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25.10.2011: <Gehörlosenschule in Uganga: Von den Eltern verstossen, vom Priester gerettet>
aus: Spiegel online; 25.10.2011;
http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/0,1518,789445,00.html
<Aus Kampala berichtet Sophia Sabrow
Sophia SabrowEine Behinderung gilt in Uganda oft als Strafe Gottes: Familien schämen sich ihrer Kinder, Förderung ist kaum möglich. Anthony Ssenkaayi wehrt sich dagegen. Der Geistliche lernte Gebärdensprache, opferte seine Ersparnisse und eröffnete eine Gehörlosenschule - doch ihr droht die Schließung.
Brian war noch nicht auf der Welt, da galt er schon als Schande für die Familie. Schließlich ist er das Kind eines Cousins und einer Cousine. Seine Großmutter nahm ihn vorübergehend bei sich auf, bis auch sie von der Familie geächtet wurde. Brian war von Geburt an gehörlos, er stammt aus einer sehr armen Familie in der Nähe von Ugandas Hauptstadt Kampala. Arm, körperlich behindert, verstoßen - schlimmer hätte es ihn kaum treffen können.
Brian, inzwischen ist er fünf Jahre alt, hatte jedoch Glück im Unglück: Als seine Großmutter eines Sonntags im April zum Gottesdienst ging, stellte der Priester Anthony Ssenkaayi seine Schule für gehörlose, bedürftige Kinder vor. Die Großmutter erzählte von ihrem Enkel. Kurze Zeit später fand Brian ein neues Zuhause.Für behinderte Kinder wie Brian gibt es in Uganda nur wenige spezielle Schulen, die ihnen eine Ausbildung ermöglichen könnten. Der Staat subventioniert diese Schulen zudem kaum, sie sind sehr teuer und damit für arme Familien meist unbezahlbar.
"Oft verstecken Eltern ihre behinderten Kinder zu Hause, um diese 'Schande' geheim zu halten", erzählt der Priester Ssenkaayi. "Ihre Eltern glauben, sie seien wertlos und wissen nichts mit ihnen anzufangen." Viele Ugander seien zudem sehr abergläubisch, sagt der stellvertretende Geschäftsführer der nationalen Vereinigung behinderter Menschen in Uganda, Edson Ngirabakunzi. Sie sähen in den behinderten Kindern einen Fluch, der sie wegen eines Vergehens oder eines bösen Zaubers heimsuche.
In weniger gebildeten Kreisen werden Behinderte einfach ihrem Schicksal überlassen. "Die Menschen verstehen nicht, was für ein Potential Behinderte in sich bergen und dass sie oftmals mit der richtigen Ausbildung eines Tages für sich selbst sorgen können", sagt der stellvertretende Geschäftsführer.
Haus und Ersparnisse für die Kinder
Es mangelt allerdings im Land an der richtigen Förderung. Studien des Bildungsministeriums belegen, dass nur drei Prozent aller behinderten Kinder eine Grundschule besuchen. Der Rest bleibt ohne Unterstützung zu Hause und hilft so gut es geht im Haushalt oder bei der Feldarbeit. Auch wenn sie geistig dazu in der Lage wären, können die meisten weder lesen noch schreiben. Einige können nicht einmal zählen.
Anthony Ssenkaayi studierte Ingenieurwissenschaften in England, dann, sagt er, hätte er ein angenehmes Leben in Europa führen können. Doch als er von berühmten Persönlichkeiten wie der taubblinden Schriftstellerin Helen Keller hörte, begann er, sich für ihr Schicksal zu interessieren. "Ich war fasziniert von ihrer Größe und dem Potential, das sie entfalten konnten. Als mir klar wurde, wie es behinderten Menschen in meinem Heimatland ergeht, musste ich aktiv werden."
Er kehrte zurück nach Uganda, besuchte Kurse für Gebärdensprache und eröffnete 2009 die St. Anthony Gehörlosen-Schule. Er sammelte Spenden in der Dorfgemeinde, opferte für die Schule seine Ersparnisse - und sein Privathaus, in das die Schule einzog. Für mehr reichte das Geld nicht. Als immer mehr verzweifelte Eltern ihre tauben Kinder brachten, zog die Schule vergangenes Jahr auf ein Stück Land um, das der Priester einst als Altersvorsorge gekauft hatte. Er lächelt, als er dies erzählt. Alles, was er besitzt, teilt er mit "seinen" Kindern.
Spenden finanzierten Klassenräume
Mittlerweile hat die Schule 38 Schüler und vier Assistenz-Lehrer, die alle auf dem Schulgelände wohnen. Spenden aus der Gemeinde und aus Deutschland ermöglichten richtige Klassen- und Schlafräume. Ein kleiner Schuppen dient als Küche, in der drei Mahlzeiten am Tag für die Kinder zubereitet werden. Die Deutsche Botschaft finanziert außerdem den Bau von Toiletten- und Waschanlagen.
Auf dem Grundstück bauen die Schüler Mais und Gemüse an. Nach dem Unterricht fassen alle selbstverständlich mit an: Wasser vom Brunnen holen, Felder umgraben, Wäsche mit der Hand waschen, die Kleineren versorgen. Sie wissen, dass sie bei den knappen Mitteln alle mithelfen müssen.
Die ältesten Schüler in St. Anthony besuchen inzwischen die dritte Klasse. Ssenkaayi möchte ihnen eine Grundschulausbildung ermöglichen, außerdem sollen sie ein praktisches Handwerk wie Schreinern oder Schneidern erlernen können. Dafür wird in den kommenden Wochen eine kleine Schreinerei gebaut, in dem ein gehörloser Lehrer den älteren Jungen Grundkenntnisse vermitteln soll. Für die Mädchen will Ssenkaayi Nähmaschinen kaufen. Doch dafür fehlt noch das Geld.
Wie aus der Deutschen Ine "Mama Brian" wurde
Brian besucht inzwischen die Vorschulklasse. Er lernt hier Gebärdensprache, Rechnen sowie Lesen und Schreiben auf Englisch. "Von einem verängstigten kleinen Jungen hat er sich in wenigen Monaten zu einem aufmerksamen und umgänglichen Schüler entwickelt", erzählt Ine Aerts. Die Abiturientin aus Singen kam letztes Jahr mit "Weltwärts", dem Freiwilligendienst des Entwicklungsministeriums,nach Uganda. Ihr eigentlicher Arbeitsplatz an einer Sekundarschule gefiel ihr nicht so recht. Als Aerts zufällig die Gehörlosenschule besuchte, war sie gleich begeistert. "Es war unglaublich berührend, mit den Kindern zu spielen", erzählt sie. Seit Januar arbeitet sie nun an der Schule, sammelt Spenden in Deutschland und möchte am liebsten gar nicht mehr weg. Brian hängt sehr an ihr, deswegen nennen die anderen Mitarbeiter sie scherzhaft "Mama Brian".
Langfristig will die Schule sich selbst finanzieren. Schon jetzt verdient sie durch Mais- und Gemüseanbau und durch den Verkauf selbstgebastelter Besen. Später sollen auch die Produkte aus der Werkstatt und selbstgemachte Kleidung verkauft werden. Auch die Solaranlage soll ausgebaut werden.Vielleicht wird es dazu aber auch nicht kommen. Denn vielleicht wird der Staat die Schule schließen, weil an der Schule noch keine offiziellen Lehrer unterrichten. Das sei momentan ihre größte Sorge, sagt Ssenkaayi. Um die Schule staatlich registrieren zu lassen, müssen mindestens zwei amtlich geprüfte Lehrer dort unterrichten. Doch die würden das Fünffache der jetzigen Tutoren kosten - dafür fehlt derzeit das Geld.
Der "Vater der Tauben", wie Ssenkaayi in der Region nun genannt wird, lässt sich nicht entmutigen. Er will seinen Schülern eine bessere Zukunft geben. "Ich möchte die Einstellung in meinem Land gegenüber Behinderten verändern", sagt er. "Sie sollen in die Gesellschaft integriert und als gleichwertige Bürger anerkannt werden.">
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