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Krankes Deutschland 6.3.2011: <Die Justiz - unkontrollierte Macht der Demokratie> - jeder Richter macht seine eigene "Politik"
aus: Welt online: Die Justiz - unkontrollierte Macht der Demokratie; 6.3.2011;
http://www.welt.de/debatte/article12715310/Die-Justiz-Unkontrollierte-Macht-der-Demokratie.html
<Versicherungsverträge, Tarifrecht, Gewaltverbrechen – viele Richter machen ihre eigene Politik. Ihre Erwägungsgründe sind dabei oft dubios.
Vor wenigen Tagen hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil verkündet, nach dem europaweit die Versicherungsprämien für Männer und Frauen gleich sein müssen. Das hört sich auf den ersten Blick gut an. Doch geht es bei der Beitragshöhe von Versicherungen nicht um das Geschlecht, sondern um Risikokalkulation.
Wenn Beiträge der Häufigkeit von Versicherungsfällen folgen, führt das manchmal für Frauen zu höheren Beiträgen (Privatrente) und manchmal für Männer (Kfz-Versicherung). Solche Beitragsunterschiede gibt es auch zwischen Jungen und Alten oder zwischen Stadt- und Landbewohnern. Das ist nicht ungerecht, sondern sachgerecht. Bei unterschiedlichen Beiträgen zählt jeder Schadensfall gleich. Wo hingegen die Beiträge für alle Menschen gleichgesetzt werden, kostet der gleiche Fall bei der einen Gruppe weniger als bei der anderen. Die höheren Risiken werden quersubventioniert. Eigentlich hätte man von einem aufgeklärten Gericht ein anderes Urteil erwarten können. Es muss ja darüber befinden, was der Fall ist.
Aber der Europäische Gerichtshof hat sich über die Sache hinweggesetzt – im Namen einer ganz abstrakten Gleichheit „der Menschen“, die von allen realen Abläufen des Lebens absieht. Hier ist ein absolutistischer Gestus spürbar.
In der Justiz gibt es die Neigung, das Strafmaß nicht auszuschöpfen
Eine solche Aussage mag überzogen erscheinen. Aber es ist kein Einzelfall. Man kann von einer zunehmenden Zahl von gerichtlichen Entscheidungen sprechen, die einen ideologischen Beigeschmack haben. Da ist das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Würdebegriff des Grundgesetzes – ohne zwingenden rechtlichen Grund – sehr einseitig interpretiert. Die Bedeutung der „materiellen Voraussetzungen“ der Würde wurde stark ausgedehnt und damit das Verhältnis zwischen bürgerlicher Eigenleistung und staatlicher Versorgung verschoben.
Oder betrachten wir die Strafverfolgung der Gewaltverbrechen im öffentlichen Raum: Hier gibt es in der Justiz eine verbreitete Neigung, das gesetzliche Strafmaß nicht auszuschöpfen und bei Intensivtätern sogar den Sinn des Strafens infrage zu stellen. Man relativiert, im Namen sogenannter tieferer Ursachen der Gewalt, die eigene Kernaufgabe der Gewaltabwehr.
Und noch eine Konsequenz richterlicher Anmaßung könnten die Bürger bald zu spüren bekommen: die Blockade des deutschen Eisenbahnsystems durch eine kleine Sondergewerkschaft, die die Machtposition ihrer Mitglieder (der Lokführer) zur Erpressung ausnutzt. Eine Tür dazu hat das Bundesarbeitsgericht geöffnet, das im Juni 2010 das Prinzip „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ für überholt erklärte und damit kleinen Gruppen einen großen Machthebel in die Hand gab.
Eine weitere Tür besteht darin, dass sich kaum Richter finden, die den Missbrauch von Warnstreiks – bis hin zur Gleisblockade durch stehen gelassene Züge – unterbinden. Den geistigen Hintergrund bildet die Auffassung, dass es im Sinne des Grundgesetzes (der Koalitionsfreiheit) ist, dass bei der Durchsetzung (privater) Tarifinteressen schwere Beeinträchtigungen öffentlicher Einrichtungen in Kauf zu nehmen seien.
Unabhängige Gerichte sind ein Eckpfeiler der Demokratie
Solche Entscheidungen ergeben sich nicht automatisch und „alternativlos“ aus dem Recht. Vielmehr treffen die Richter eine Wahl, bei der Weltbilder und Wertvorstellungen wirksam werden. Das ist an sich kein Problem. Doch ist die Wertung, die hier vorgenommen wird, nicht kenntlich gemacht. Gerichte ziehen sich gern auf ihre Unabhängigkeit zurück und erwecken subtil den Eindruck, sie urteilten im Namen höherer Einsicht.
Mit bemerkenswerter Rücksichtslosigkeit hat sich der Europäische Gerichtshof bei seinem Versicherungsurteil über die gesetzgebende Gewalt in den Mitgliedsländern hinweggesetzt. Der Gerichtshof scheint für sich eine besondere Höhe in Anspruch zu nehmen, von der er auf die europäischen Verhältnisse herunterblickt. Er spricht, als wäre er der europäische Souverän. Damit werden die Grenzen der Gewaltenteilung deutlich überschritten.
Die Unabhängigkeit der Gerichte ist ein Eckpfeiler der Demokratie, aber die Gerichte stehen nicht außerhalb der Demokratie. Auch die Judikative ist Teil der politischen Willensbildung – im weiten Sinn des Wortes verstanden. Ein Gerichtsverfahren hat seine spezifischen Mittel und Wege, aber es ist im Vergleich mit anderen politischen Verfahren nicht weitsichtiger oder sorgfältiger, insbesondere nicht im Vergleich mit dem parlamentarischen Verfahren des Gesetzgebers.
Die Handlungsweise der Justiz ist kaum durchschaubar
Es wäre falsch, von einer generellen Fehlentwicklung unserer Justiz zu sprechen. Das Beispiel der Intensivtäter zeigt, dass innerhalb des Juristenstandes eine Diskussion über die Wertmaßstäbe schon in Gang gekommen ist. Doch gibt es im Zusammenspiel mit den anderen Gewalten des Staates ein präzises Problem: Die Handlungsweise der Justiz ist für das Publikum kaum durchschaubar.
Die unterschiedlichen Kräfte, die an einem Urteil mitwirken, bleiben ihm verborgen. Der Richter erscheint ihm als ein Wesen ohne Eigenschaften, jedenfalls als ein unbekanntes Wesen. Bisweilen hat es den Anschein, als wäre die Recht sprechende Gewalt im Lande eine vermummte Gewalt, die ihr Gesicht nicht zeigt.
Warum sind Richter – im Vergleich zu Politikern – so selten Gegenstand von Porträts in den Medien? Warum gibt es keine öffentlichen Dossiers, in denen man die Linie der bisherigen Urteile, die der mit einem Fall betraute Jurist verantwortet, nachlesen kann? Das Publikum wüsste schon gerne, welche Geister da am hohen Tisch des Europäischen Gerichtshofs sitzen und auf welcher Erfahrungsgrundlage das Tarifrecht unserer Unternehmen beurteilt wird.
Gerichtsinstanzen mache ihre Wertentscheidungen unsichtbar
Die Staatsentwicklung unserer Zeit ist von einem eigenartigen Ungleichgewicht geprägt, das auch in der Zerstörung politischer Talente zum Ausdruck kommt. Regierung und politische Parteien stehen im Fokus der Beobachtung. Aber sie sind umgeben von Mächten, die einer vergleichbaren Beobachtung nicht unterliegen. In den Medien bleiben diejenigen, die im Hintergrund über Themen, Reihenfolge und Wortwahl entscheiden, anonym.
Zu diesen Mächten gehören auch Gerichtsinstanzen, die ihre Wertentscheidungen unsichtbar machen. So entsteht insgesamt eine Politik aus dem Off, deren Akteure sich jeder Kontrolle entziehen. Wer diese Entwicklung kritisiert, übt keine Wissenschafts-, Medien- oder Gerichtsschelte. Er setzt sich nur für eine faire Gewaltenteilung ein.>
Kriminelle deutsche Justiz in Bayern am 13.12.2024: Manfred Denditzki sass 13 Jahre unschuldig in Haft - Haftentschädigung von 75 Euro pro Tag wird verweigert (!):
13 Jahre unschuldig in Haft: Deutsches Justizopfer soll 100'000 Euro für Kost und Logis zahlen
https://www.blick.ch/ausland/13-jahre-unschuldig-in-haft-deutsches-justizopfer-soll-100000-euro-fuer-kost-und-logis-zahlen-id20410931.html
Sandra Meier - Journalistin News - Manfred Genditzki sass jahrelang in einem deutschen Knast für eine Straftat, die er nie begangen hatte. Dafür verlangt er Schadenersatz. Doch jetzt bekommt er selbst eine Rechnung.
4916 Tage. 117'984 Stunden. 7'079'040 Minuten. So lange sass Manfred Genditzki in Bayern unschuldig in Haft. 13 Jahre seines Lebens wurden dem heute 64-Jährigen gestohlen – für einen angeblichen Mord, den er nie begangen hatte. 13 Jahre, in denen das Justizopfer seine Kinder nicht aufwachsen sah und die Geburt seiner Enkelkinder verpasste. «Das ist eine Tragödie, die sich kaum in Worte fassen lässt», sagte ein Gerichtssprecher nach dem Freispruch 2023.
Jetzt hat das Ringen um die Haftentschädigung begonnen. Das deutsche Gesetz sieht 75 Euro pro unschuldig erlittenem Hafttag vor. Das entspricht knapp 369'000 Euro (346'283 Franken).
Zusätzlich fordert Genditzki Schadenersatz in Höhe von mindestens 750'000 Euro. Doch absurd: Gleichzeitig fordert der Staat auch Geld von ihm zurück. 100'000 Euro werden dem Mann für die 13 Jahre hinter Gittern in Rechnung gestellt, wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtet.
Der Betrag setzt sich gemäss der Zeitung aus 50'000 Euro zusammen, die Genditzki für Unterkunft und Verpflegung im Gefängnis hinblättern soll. Weitere fast 49'000 Euro werden ihm verrechnet für das Geld, das er während seiner Haftzeit mit Arbeit verdient habe. Für etwa zwei Euro die Stunde hatte er als Hausmeister gearbeitet.
Der Justizskandal: Das ist passiert
Vor seinem Gefängnisaufenthalt hatte Genditzki als Hausmeister in einer Wohnanlage gearbeitet, in der 2008 eine 87-jährige Frau tot in einer Badewanne gefunden wurde. Schnell wurde Genditzki verdächtigt. Der Vorwurf: Der bis dahin völlig unbescholtene Mann habe die Seniorin in einem Streit geschlagen und zur Verdeckung des Angriffs getötet.
Seiner neuen Verteidigerin Regina Rick gelang es aber später, neue Gutachter mit dem Fall zu befassen. Diese brachten die vorherigen Annahmen des Gerichts zum Einsturz und zeigten, dass der Tod der Frau durchaus Folge eines Unfalls gewesen sein konnte.
Es gebe keine Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt, lautete der Schluss. Losgelöst davon habe Genditzki für den wahrscheinlichen Todeszeitraum der 87-Jährigen, der anhand neuer Methoden berechnet wurde, ein Alibi, hiess es.
Dieses staatliche Vorgehen gegenüber Justizopfern sei «gängig, üblich und bisher legal», erläutert Simon Pschorr, Amtsrichter im baden-württembergischen Singen, gegenüber der Zeitung. Der bisherige Bundesjustizminister Marco Buschmann habe die Praxis auch schon beenden wollen. Er hatte einen Gesetzesentwurf erarbeitet, in dem unter anderem stand: «Die Betroffenen empfinden diese Anrechnung vielfach als ungerecht, da sie auf die seitens des Staates zwangsweise gewährte Kost und Logis gerne verzichtet hätten.» Bloss: Nach dem Ende der Ampelregierung und Buschmanns Rücktritt als Justizminister könnte der Entwurf versanden.