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Die Argumente für das Anschlussverbot gegen Österreich 1919

Verbot von Abstimmungen für deutsch besetzte Gebiete und für Österreich - keine Belohnung für die Feinde

von Michael Palomino (1998)

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aus: Stourzh, Gerald: Zur Genese des Anschlussverbots in den Verträgen von Versailles, St-Germain und Trianon. In: Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich Band 11: Saint-Germain 1919. Verlag für Geschichte und Politik Wien 1989.


Zusammenfassung
Die Chronologie zeigt die Argumentation der Alliierten, dass man die Feindstaaten Deutschland und Österreich nicht noch mit einer Vereinigung belohnen wollte. Ausserdem könne man Österreich keine Volksabstimmung gewähren, sonst würden andere deutsche besetzte Gebiete ebenfalls eine Abstimmung fordern wollen. Das neue Völkerrecht wird also gleich mehrfach massivst verletzt, bzw. Frankreich hat vor der deutschen Militärmaschinerie eine solche Angst, dass es keine anderen Mittel sieht, Deutschland längerfristig zu zähmen.

Michael Palomino 1998 / 2005


Chronologie

Die Diskussionen an den "Friedensverhandlungen" in Paris

11.3.1919
Tardieu schlägt Philip Kerr und Sidney Mezes die Neutralität und Unverletzlichkeit Österreichs vor (S.41-42).

15.-31.3.1919/zweite Märzhälfte
Das Interesse an einer Neutralität Österreichs lässt nach. Der französische Botschafter in Wien, Henry Allizé, führt in Wien die Kampagne für Neutralität aber weiter, ohne dass er gestoppt wird (S.41-42).

Mitte März 1919
Der Vorschlag für eine Neutralität Dänemarks findet bei den Grossmächten Zustimmung
(S.42), denn es sollte sich jeder Staat für neutral erklären können (S.43).

Aber: Österreich darf nicht neutral werden
Österreich soll nicht neutral sein dürfen wegen der im Völkerbund vorher verankerten kollektiven Sicherheit. Der französische Generalstab sieht eine Neutralität Österreichs für nachteilig an im Fall einer Auseinandersetzung mit Ungarn, das seit 22.3. 1919 kommunistisch regiert [und terrorisiert] wird. Österreich könnte so aufgrund einer Neutralität das Durchmarschrecht verweigern (S.43).

ab Mitte März 1919
Frankreich ist für die festgeschriebene Unabhängigkeit Österreichs
Im Schlussteil der "Note relative à l'Autriche allemande" ["Relativ-Note an Deutschösterreich] sind Entwürfe enthalten, die vier Hinweise zur Argumentation geben:

1. Deutschland soll nicht nur die Unabhängigkeit Österreichs garantieren, sondern solle sich auch jeder direkten oder indirekten Aktion enthalten, die im politischen oder wirtschaftlichen Bereich diese Unabhängigkeit bedrohen oder mindern könnte (später auch im Genfer Protokoll) (S.43).

2. Österreich soll zur Unabhängigkeit verpflichtet werden. Vorerst aber ist das Anschlussverbot nicht in den Vertragsentwürfen enthalten, sondern erst bei der letzten Übergabe am 2. September 1919, als in Weimar die deutsche Verfassung beraten wird.

3. Österreich soll auch von den Siegermächten die Unabhängigkeit garantiert bekommen.

4. Vorgesehen ist dieselbe Unabhängigkeitsgarantie auch zwischen Österreich und Ungarn (S.44).


25.4.1919
Die Note mit dem Anschlussverbot "Note relative à l'Autricheallemande" wird von André Tardieu an Arthur Balfour übergeben und von Alfred D. Low präsentiert (S.41-42).

Low fügt hinzu, die Note sei im Februar 1919 verfasst worden. Dies ist eine Falschinformation (S.41-42). Man nimmt an, dass das Dokument zwischen 15.3. und 22.4.1919 entstanden ist (S.41-42).

Die Note zitiert die Entschliessung betreffs Grenzen zwischen Österreich und Deutschland, und diese Entschliessung "Commission Centrale des Affaires territoriales" [Zentrale Gebietskommission] war erst am 15 März 1919 fertig (S.41-42).


Die Note bezüglich Deutschösterreich: Anschlussverweigerung und die französische Einschätzung

Die "amerikanische" und die französische "Delegation im Zentralkomitee für Territorialfragen" schlagen dem Obersten Rat vor:

-- dass im Präliminarfrieden [Vorfrieden] mit Deutschland festgelegt wird, dass Deutschland weder politisch noch wirtschaftlich die Unabhängigkeit Österreichs antasten darf (S.48)

-- dass sich Änderungen der Grenzen durch die Gründung der tschechoslowakischen Republik ergeben

-- die französische Regierung wünscht, dass "unter den gegenwärtigen Umständen die Vereinigung Deutschösterreichs mit Deutschland in dem Präliminarfrieden untersagt werde

-- damit sei das Selbstbestimmungsrecht Österreichs beschnitten: Die französische Regierung könne unter den gegenwärtigen Umständen dieses Recht für Deutschösterreich nicht zulassen. Die Entscheidung der Mächte stünde immer noch über einem solchen Plebiszit und eine Volksabstimmung sei somit ungültig

-- der Entscheid der österreichischen Nationalversammlung zum Anschluss an Deutschland wird nicht anerkannt. Denn: Nur die Sozialisten würden mit dem Anschluss ein politisches Ziel verfolgen. Die anderen Gruppierungen sähen im Anschluss nur einen Notbehelf, wollten wirtschaftliche Garantien, wollten falls möglich die Neutralität und Wien weiter als Hauptsitz einer Donaukonföderation oder Sitz internationaler Organisationen sehen (S.49).


Das Entstehen der Anschlussbewegung soll deutsch manipuliert sein

Die Alliierten behaupten:

Die Anschlussbewegung sei nicht in Deutschland entstanden, es sei eine aussernationale Bewegung:

-- die Anschlussbewegung sei eine gleichzeitig grossdeutsche und sozialistische Bewegung, "die zur Bestürzung der Wiener, durch deutschen Willen und das Schweigen der Grossmächte aufgedrängt wurde"

-- als Verbündeter im Krieg habe Deutschösterreich nie die Vereinigung mit Deutschland gefordert [damit jeder seinen Kaiser behält!]

-- für die Grossdeutschen in Österreich sei die Vereinigung mit Deutschland das Kriegsziel, und diese profitieren von der Niederlage

-- die Sozialisten würden die Vereinigung mit Deutschland verlangen, um die Stärke der Partei zu mehren (S.49)

-- die deutsche Regierung Ebert, Scheidemann, Brockdorf-Rantzau und Erzberger verfolge einen deutschen Einheits- und Expansionssozialismus

-- die Grossdeutsche Bewegung in Österreich hoffe auf die Annexion Österreichs durch Deutschland, was mit einem Selbstbestimmungsrecht nichts zu tun habe (S.50).

[Damit negieren die Alliierten alle deutsch-österreichischen Bestrebungen zu einem Anschluss seit 1871].


Das Verweigern von Volksabstimmungen als Taktik

Die Alliierten in Paris behaupten zu Österreich:

-- mit einer Volksabstimmung über einen Anschluss würde man diese Verschleierungstaktik zum deutschen Expansionismus belohnen. So hätte man auch Belgien an Frankreich und Kanada an die "USA" fallen lassen können, und somit zählt die Sprachverwandtschaft nicht als Grund für ein einheitliches Land

-- mit einer Volksabstimmung hätte die österreichische, sozialistische Partei mit Erfolg die rein politische österreichische Frage in eine nationale Frage verwandelt

->> Somit sei das Gesetz der Selbstbestimmung auf dem gegenwärtigen Stand der österreichischen Frage nicht anwendbar (S.50).


Gründe gegen eine Volksabstimmung: den Feind nicht noch belohnen

Die Alliierten behaupten:

-- Deutschösterreich ist immer noch ein feindliches Land [obwohl der Kaiser gegangen ist und nur noch ein Rumpf-Österreich übriggeblieben ist]

-- der Friedensvertrag hat zum Ziel, die politischen Ambitionen der feindlichen Länder zu mässigen

-- der Pangermanismus in der deutschen Regierung werde seit 5 Jahren aktiv vertreten mit der Behauptung, Deutschland könne mit der Annexion von Österreich selbst als besiegtes Land gestärkt aus dem Krieg hervorgehen

-- man wolle nicht dem deutschen Imperialismus dienen

-- der Anschluss Österreichs wäre eine unmoralische Belohnung für die Feinde (S.50).


Der Anschluss Österreichs würde Kriegsgefahr bedeuten

-- Deutschlands Stärke würde um 7 Mio. Menschen erhöht

-- die CSSR [ein gewaltsam "vereinter" Vielvölkerstaat mit ca. 6 beteiligten Nationen...] würde zwischen dem deutschen Staat ersticken und wäre fast nur von zwei Staaten, Deutschland und Ungarn umgeben

-- auch die Schweiz hat gegen die Vereinigung zwischen Österreich und Deutschland protestiert [weil die Oberschicht hauptsächlich in Deutschland studiert hat, aber gleichzeitig unabhängig bleiben will]

-- wenn Deutschland und Österreich sich vereinigen dürfen, was solle man tun, wenn Ungarn dasselbe mit rumänisch und tschechisch besetzten Gebieten verlangt?

-- wenn der Anschluss erlaubt werde, so werden die Alliierten selbst Deutschland den Drang nach Osten erlauben. In diesem Sinn sei der Anschluss Österreichs an Deutschland eine "deutsche Falle"

-- bevor man feindlichen Ländern Vorteile zugesteht, muss man sie ausser Stand setzen, der Welt zu schaden [denn Deutschlands Militärführung wollte ganz Europa germanisieren und so alle Kolonien einkassieren]

-- der Frieden muss zuerst garantiert sein, gegen die Feinde. Es sei eine Frage des Prinzips (S.51).


Sudetenland, Mähren, Böhmen, Korridor, Westpreussen bleiben ohne Abstimmung - auch Österreich muss ohne Abstimmung bleiben

-- die oben genannten deutschen Gebiete werden aus Gründen der allgemeinen Sicherheit durch Annexion ohne Volksabstimmung den anderen Staaten einverleibt, denn dies wurde von den Kommissionen der Konferenz "für notwendig befunden"

-- wieso soll Deutschösterreich plötzlich abstimmen dürfen, wenn die anderen Gebiete dies nicht dürfen?

-- Deutschösterreich werde seit 4 Monaten deutschem Druck ausgesetzt und sei somit "nicht fähig, frei seinen Willen auszudrücken"

-- Österreich wird somit eher noch geschützt, wenn man Deutschösterreich die Unabhängigkeit auferlegt (S.51)

-- nur so wird Österreich ruhig überlegen können, was es machen wolle: Donaukonföderation oder Vereinigung mit Deutschland:

"Heute die deutsche Lösung unterstützen würde bedeuten, die Zukunft vorwegzunehmen, nicht sie offen zu lassen. Die einzige Lösung, die sie offen lässt, ist die Unabhängigkeit." (S.52)


Aufnahme in den Völkerbund

Vor der Aufnahme in den Völkerbund sollen sich die Feindstaaten das Vertrauen erarbeiten. Es liege an ihnen selbst, für die Verbesserung der Zukunft besorgt zu sein:

"Man untersagt ihnen nichts für die Zukunft, aber man verlangt, dass ihnen kein Vorteil zugestanden werden darf, der in Europa einen Unsicherheitsfaktor darstellen kann." (S.52)

Diese Regel ist für Frankreich von Lebensinteresse. Frankreich sei "gleichzeitig überzeugt davon, dass diese Vorsicht dem Allgemeininteresse entspricht." (S.52)

[Frankreich und England teilen sich ganz nebenbei die deutschen Kolonien auf. Es ist bei den zusätzlichen Landbesetzungen nicht zu erwarten, dass ein Vertrauen zustande kommt, aber die französische Politik sieht diese Verhältnisse nicht].


Die Argumente gegen einen Anschluss

Die Alliierten behaupten:

-- die Anschlussbewegung ist künstlich, ist grossdeutschen und ist imperialistischen Ursprungs

-- die Vereinigung mit Deutschösterreich sei ein Kriegsziel der deutschen Pangermanisten

-- die Vereinigung mit Deutschösterreich würde Deutschland zuungunsten von Frankreich verstärken

-- die Vereinigung mit Deutschösterreich würde die CSSR und die Schweiz in eine gefährliche Situation bringen

-- Deutschösterreich soll nicht mehr Rechte haben als die Volksgruppen im Sudetenland, in Böhmen, Mähren, im Korridor und in Westpreussen

-- die Vereinigung als "Prämie für den Frieden" wäre für die feindlichen Länder, die für den Krieg verantwortlich sind, ein Akt der Unvorsichtigkeit und Immoralität

->> Frankreichs Regierung besteht auf Klauseln im Präliminarfrieden [Vorfrieden] mit Deutschland, Österreich und Ungarn, die die Unabhängigkeit Österreichs sichern werden (S.52).


->> Verpflichtung für Österreich

Die Vorschrift der Alliierten:

"Die Regierung Deutschösterreichs verpflichtet sich, auf ihrem Gebiet jede Aktion zu untersagen, die darauf abzielt, die Unabhängigkeit, die ihr durch den gegenwärtigen Präliminarfrieden zugestanden und garantiert wird, direkt oder indirekt - sei es in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht - zu gefährden." (S.53)


->> Verpflichtung für Deutschland

Die Vorschrift der Alliierten:

"Die deutsche Regierung, die die Unabhängigkeit Deutschösterreichs anerkennt, verpflichtet sich, sich jeder direkten oder indirekten Aktion zu enthalten, die darauf abzielt, die genannte Unabhängigkeit entweder in politischer oder in wirtschaftlicher Hinsicht zu bedrohen oder zu verringern. Sie verpflichtet sich auch, alle Umtriebe, welcher Art auch immer, zu untersagen, die ein derartiges Ziel haben." (S.53)


Heute ist die Note mit dem Anschlussverbot "Note relative à l'Autricheallemande" im Archiv des Quai d'Orsay in Paris: Ministère des Affaires étrangères, Paris, Archives diplomatiques, Serie A.Paix, vol. 100, fol. 43-52 (S.41-42).

[Situation heute im Jahr 2005:
In der EU haben die deutschsprachigen Länder doppelten Einsitz. Es sind sogar interne politische Manöver zwischen Deutschland und Österreich möglich, um Prozesse in Gang zu setzen oder zu korrigieren. Damit sind Deutschland und Österreich heute eigentlich ganz zufrieden...].

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