aus: Akten zur
deutschen auswärtigen Politik 1918-1945; Serie A:
1918-1925 Band II. 7.Mai bis 31.Dezember 1919.
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1984,
Historisches Seminar Zürich HS: NQ24A:2
Zusammenfassung:
Absichten der Germanisierung ganz Europas - kein
Anschluss Österreichs an Deutschland 1919
Die folgende Chronologie zeigt einen Auszug
des aktenmässig erfassten diplomatischen Verkehrs
zwischen Wien und Berlin im Jahre 1919. Seit 1914 war
das Ziel der deutschen Heeresleitung und des Kaisers,
den deutschen Machtbereich weiter auszudehnen und Europa
immer mehr zu germanisieren. Die Absicht der
Germanisierung kommt dann auch in den Akten des
Auswärtigen Amtes von 1914 bis 1918 deutlich zum
Ausdruck, und es ist anzunehmen, dass Frankreichs Spione
nicht geschlafen haben und dies alles mitbekommen haben.
Hier wird die Thematik des Anschlusses Österreichs an
Deutschland und der verhinderte Anschluss von Vorarlberg
an die Schweiz besprochen. Der Österreich-Anschluss ist
1919 nicht möglich, und so versprechen sich die
Diplomaten gegenseitig den Anschluss für spätere Zeiten.
Der Anschluss von Vorarlberg an die Schweiz wird von der
Schweiz abgelehnt, weil Italien dann das Tessin
beanspruchen könnte. Und Tirol wird Kriegsbeute
Italiens, weil der Hafen Fiume nicht italienisch wird.
Michael Palomino, 1998 / 2005 / 2012
Abkürzungen:
AA: Auswärtiges Amt in Berlin
Chronologie
Am 7.5.1919 schickt der deutsche Botschafter in Wien Graf von Wedel ein Telegramm an das
Auswärtige Amt in Berlin. Er bereitet Besprechungen für
den Anschluss vor, noch vor der Vertragsunterzeichnung
der deutschen Seite in Versailles (S.5).
Deutsches politisches
Manöver gegen den Vorarlberg-Anschluss an die Schweiz
Am 8.5.1919 sendet der Unterstaatssekretär im deutschen
Auswärtigen Amt (AA) Freiherr Langwerth von
Simmern der Botschaft in Wien ein Telegramm
K1075/K276052 mit den Angaben:
-- dass ein Anschluss von Vorarlberg an die
Schweiz mit den gemeinsamen
deutsch-österreichischen Interesse unvereinbar sei
-- Berlin kündigt Schritte an, um gegen den Anschluss
Vorarlbergs an die Schweiz zu wirken, "indem wir
annehmen, dass dortige Regierung hiergegen nichts
einzuwenden habe".
Der österreichische Gesandte Hartmann
in Berlin hatte geäussert, dass Österreich Vorarlberg
jede Freiheit lasse (S.20-21).
Derselbe Langwerth (Unterstaatssekretär
des AA Berlin) fordert am 9.Mai 1919 in einem Telegramm
den Leiter der Passstelle Bregenz Padel
auf, dahin zu wirken, dass die Volksabstimmung über den
Schweiz-Anschluss in Vorarlberg vertagt werde. Langwerth
kündigt einen deutschen Abgeordnetenbesuch in Vorarlberg
an, um eine "andere Zukunft" für Vorarlberg
vorzubereiten (S.20-21).
10.5.1919
[Abstimmung in
Vorarlberg mit 80 % für einen Schweiz-Anschluss].
Am 11.5.1919 meldet Padel (Leiter der
Passstelle Bregenz) dem AA in Berlin, in Vorarlberg
seien 80 % für einen Schweiz-Anschluss (S.34)
12.5.1919
Die österreichische
Politik will die "Friedensverträge" von Paris abwarten
und Bern informieren
Padel berichtet am 12.5.1919 in einem Telegram an das AA
Berlin über ein Gespräch des Abgeordneten Locher
mit Landeshauptmann Dr. Ender:
-- Ender werde keine Verhandlungen mit Deutschland
führen, bevor der Entscheid aus Versailles für oder
gegen den Schweiz-Anschluss vorliege
-- das Abstimmungsresultat von 80 % für die Schweiz
werde dem Bundesrat in Bern mitgeteilt
und noch vor dem Versailles-Entscheid Verhandlungen
aufgenommen
-- Padel rät dem AA in Berlin,
Reichsminister Erzberger in Wien
anzuweisen, die Verhandlungen mit der Schweiz
verschieben zu lassen
-- Locher braucht
neue Anweisungen
-- Padel meint,
nur noch Druck aus Wien könne in Vorarlberg etwas ändern
(S.34).
13.5.1919
Deutscher Ratschlag:
Vorarlberg-Anschlusswille an die Schweiz in Paris
geheimhalten
In einem Telegramm rät Langwerth
(Unterstaatssekretär des AA Berlin) Wedel (dt.
Botschafter in Wien), den Landeshauptmann Dr. Ender in
Paris anzuweisen, die Frage des Vorarlberganschlusses an
den Verhandlungen nicht zu erwähnen und das
Abstimmungsresultat von 80 % für die Schweiz geheim
zu halten (S.44).
14.5.1919
Telegramm des Botschafters in Wien, Wedel, an das AA in
Berlin
Wedel berichtet vom Gespräch mit Vizekanzler
Fink über Vorarlberg und das Schweiz-Projekt
-- Fink habe
den Posten erhalten, weil er grossdeutscher Gesinnung
sei, ist selber Vorarlberger, war in Vorarlberg,
Rückkehr am 13. Mai nach Wien und Gespräch mit
Wedel
-- Fink hatte
Kontakt mit den Spitzen in Vorarlberg, die behaupteten,
die 80 % für die Schweiz seien als Signal gegen
eine schlechte (S.43) Agitation für einen Anschluss an
Württemberg zu verstehen
-- die schweizer Regierung habe zur Bedingung gemacht,
dass Verhandlungen erst mit Bewilligung der
Zentralregierung in Wien beginnen könnten, um die
Beziehungen nicht zu gefährden
-- zudem wisse man in Vorarlberg, dass Wien kaum einen
Schweiz-Anschluss zulassen werde, und dass auch
Frankreich der Anschluss nicht behage, weil das deutsche
Element in der Schweiz dann grösser würde und Österreich
noch kleiner, was zur Auflösung von Österreich und zum
Anschluss von Teilgebieten an Deutschland führen könnte
-- die Entente strebe die Neutralisierung von Österreich
an, was jede Loslösungsbewegung unmöglich mache
-- Fink meint, der Anschluss von Vorarlberg an die
Schweiz sei ein "totgeborenes Kind" und er habe deswegen
keine Sorge
-- Staatssekretär Bauer
habe sich weniger optimistisch geäussert: In
eventuellen Verhandlungen mit Vorarlberg werde er die
Bedingungen so gestalten, dass Vorarlberg sich nicht
lösen könne. So werde das Vorhaben zum Scheitern
gebracht
-- eine Agitation für Württemberg sei sinnlos, denn dann
werde die Schweiz vorgezogen
-- man müsse grossdeutsch argumentieren, das werde
Erfolg haben (S.44).
16.5.1919
Telegramm von Wedel (dt.
Botschafter
in Wien) [an das AA?]
Staatssekretär Bauer werde
mit
finanziellen Belastungen die Abspaltung Vorarlbergs
verhindern (S.44).
19.5.1919
Telegramm vom AA, Freiherr Langwerth von Simmern, an den deutschen
Gesandten Müller in
Bern
Die Gründe der Schweiz
einen Vorarlberg-Anschluss - Möglichkeiten zu Manövern
in Vorarlberg
-- Wedel berichtet
von der Abstimmung, der Absicht von Landeshauptmann Ender für
Verhandlungen und die Absicht von Staatssekretär Bauer, mit
finanziellen Bedingungen Vorarlberg von der Trennung
zurückzuhalten (S.52)
-- für die Schweiz sei die Situation sehr delikat,
berichtete der schweizerische Gesandte Bourcart
in Wien, wegen der Beziehungen der Schweiz zu
Deutschösterreich und den Protestanten und den
Französisch-Schweizern in der Schweiz, die dann
anteilmässig viel weniger vertreten wären
-- Langwerth (AA)
schlägt ein Schreiben des deutschen Gesandten Müller in
Bern und des österreichischen Gesandten an die schweizer
Regierung vor:
oo die Abspaltungsbemühung
von Vorarlberg erfolge wegen Steuerflucht und aus
momentaner wirtschaftlicher Not
oo die Schweiz werde sich
wohl nicht am Raub deutscher Gebiete durch die Entente
beteiligen und so die Beziehungen aufs Spiel setzen
-- Langwerth schlägt Presseberichte mit denselben
Argumenten vor, v.a. das Argument des Katholizismus in
Vorarlberg sollte betont werden, das die protestantische
Schweiz nicht akzeptieren werde
-- Langwerth schlägt auch einen Presseartikel in der
italienischen Presse vor mit dem Argument, dass sich die
Nationalitätenbalance zum Nachteil des romanischen
Elements verschieben würde, weil auch Italien alte
Interessen an österreichischen Gebieten hat
-- nach den Protesterklärungen wird eine deutsche
Irredenta zu erörtern sein (S.53).
Antworttelegramm des dt. Gesandten Müller in Bern an das
AA in Berlin
Müller rät, eine Zusammenarbeit mit österreichischen
Reichsminister Erzberger
wegen seiner unzuverlässigen Mentalität zu
unterlassen, und im Übrigen habe er mit Gegenmassnahmen
"längst begonnen" (S.53).
6.6.1919
Telegramm von Reichsminister des Auswärtigen, Graf von Brockdorff-Rantzau (zu diesem
Zeitpunkt in Versailles) an Langwerth (AA)
Deutscher Vorschlag an Österreich, gemeinsam
gegen die Verträge von Versailles und St-Germain
vorzugehen
-- Brockdorff teilt Langwerth mit, Langwerth solle dem
österreichischen Staatssekretär Bauer in Wien mitteilen,
dass Deutschland Österreich gegen die
"Friedensbedingungen" nicht beistehen könne
-- aber Brockdorff schlägt ein möglichst paralleles
Vorgehen der Delegationen vor (S.93).
9.6.1919
Weiterleitung einer Kopie des Telegramms an
Staatssekretär Bauer (S.93)
9.6.1919
Brief des österr. Gesandten in Berlin, Hartmann,
an den Reichsminister des AA Graf von
Brockdorff-Rantzau
Bericht über die ungarisch-kommunistische
Invasion auf tschechische und böhmische Gebiete
-- Hartmann berichtet über ungarisch-kommunistische
Angriffe auf tschechische Gebiete (S.102-103)
-- in Deutsch-Böhmen wird die Verteidigung gegen die
ungarischen Kommunisten verweigert
-- Ungarns kommunistische Armee habe grosse Erfolge
erzielt und gerade Pressburg besetzt und dringe in
alttschechische Gebiete vor
-- solange Deutschland die Unterschrift verweigert, habe
die Entente keine Truppen gegen die kommunistische
ungarische Armee zur Verfügung (S.103) [denn die
Entente-Truppen stehen unter General Foch an der
deutschen Grenze, um im Zweifelsfall gegen Berlin zu
marschieren]
-- die Ungarn haben grosse Munitions- und
Artilleriematerialmengen aus Italien erhalten, und das
Verhältnis zwischen Frankreich und Italien sei sehr
schlecht
-- Folgen: Die Tschechen sehen sich gezwungen, auch in
Deutsch-Böhmen zu rekrutieren, aber die Deutsch-Böhmen
möchten sich nicht unter tschechisches Kommando stellen
-- es gibt Tendenzen, unter den deutsch-böhmischen
Soldaten, Soldatenräte zu bilden, so ergäbe sich nachher
alles von allein (S.103).
Propaganda der ungarischen Kommunisten in
Wien - Waffenlager Wöllersdorf
Weiter im Bericht des Ö-Botschafters Hartmann an
Rantzau:
-- auch in Wien finde die kommunistische Propaganda
statt, es sei bisher noch zu keinem Putsch gekommen
-- das grösste österreichische Munitionslager liegt in Wöllersdorf nahe
der jetzigen ungarischen Grenze, was die ungarischen
Kommunisten zum Einmarsch reizen könnte
-- Frankreich forderte die Auslieferung der
Munitionsbestände von Wöllersdorf, um damit die
Tschechen zu unterstützen, und die Konfiskation sei
jederzeit gegen den Willen der Arbeiterschaft möglich,
wobei die Arbeiterschaft dann sicher die Munition
manipulieren würde (S.104).
Ungarn im Innern: Terror unter Béla Kun in
Lenin-Manier
Weiter im Bericht des Ö-Botschafters Hartmann an
Rantzau:
-- im Innern von Ungarn herrsche ein Terrorregime unter
Béla Kun,
scheinbar ein Mann nach dem Muster Lenins, der seine
(S.103) Gegner (die Sozialisten) an die Front schicke,
und die Kriegserfolge brechen die Opposition im Land
(S.104).
Italien befürwortet den Anschluss
Österreichs an Deutschland
Weiter im Bericht des Ö-Botschafters Hartmann an
Rantzau:
-- vor einigen Wochen wurde ein Gesprächsvorschlag des
italienischen Zivilkommissärs Marchioro
in Wien stillschweigend abgelehnt, vor Kurzem dann aber
hat doch eine Aussprache stattgefunden
-- Italien setze sich vehement für den Anschluss
Österreichs an Deutschland ein. Marchioro sei ein
"energischer Vorkämpfer des Anschlusses", denn:
oo Österreich werde nur im
Anschluss sein "Heil" finden
oo Italien fürchte die
Übermacht des Südslawentums, und Deutschland und
Österreich wären ein Gegengewicht
oo Italien fürchtet die
Entente, v.a. sei Frankreich als zukünftige, herrschende
Macht im Mittelmeerraum unberechenbar
oo von Österreich aus
werden sicher keine Entscheidungen kommen, wenn
Österreich an Deutschland angeschlossen sei, so werde
Italien sicher mehr Entscheidungsrechte in Europa
erhalten.
Südtirol wird Kriegsbeute Italiens werden,
weil Fiume / Rijeka verweigert wird
Weiter im Bericht des Ö-Botschafters Hartmann an
Rantzau:
-- Italien beharre auf dem Vertrag von London, bzw. auf
Tirol kann nur dann verzichtet werden, wenn eine
Kompensation verfügt würde: Fiume / Rijeka, Kleinasien,
Kolonien. Dann "würden sie über Deutsch-Südtirol mit
sich reden lassen"
-- der Staatssekretär empfehle deshalb grösste
Rücksichtnahme auf Italien und direkte Fühlungnahme
(S.104).
Taktik gegen die "Friedensverträge":
Anstreben mündlicher Verhandlungen
Weiter im Bericht des Ö-Botschafters Hartmann an
Rantzau:
-- die Taktik der österreichischen Delegation wird
dieselbe sein wie die der deutschen Delegation (S.104)
-- Ziel der Delegation in St-Germain ist, die
tatsächliche Unmöglichkeit der Erfüllung jener
Bedingungen nachzuweisen, und dies sei kein taktischer
Trick, sondern die Darstellung der Wirklichkeit
-- man vermutet, dass die Tschechen Kramar und Benesch
bei der Entente gegen Österreich intrigieren
-- die Unmöglichkeit zur Existenz für [Rumpf-]Österreich
in der neuen Form ist ein starkes Argument für den
Anschluss, aber in St-Germain werde gar nicht über den
Anschluss diskutiert (S.105)
-- den Anschluss jetzt durchzuführen, würde aber zum
Abbruch der Verhandlungen in St-Germain führen
-- man könne den Anschluss durchführen, wenn der Friede
abgeschlossen wäre, und wenn kein Friede zustandekäme
(S.106).
Der Vertragsentwurf von St-Germain sei
inakzeptabel - die französischfreundliche Presse
schwenkt
Weiter im Bericht des Ö-Botschafters Hartmann an
Rantzau:
-- die Entente-Freunde in Wien, die christlich-sozialen,
gegenrevolutionären Entente-Freunde, hätten immer auf
die angeblichen Versprechungen von Allizé
verwiesen, um den Anschluss zu verhindern
-- diese Entente-Freunde schwenken jetzt seit
Bekanntgabe der neuen Form von [Rumpf-]Österreich gegen
Frankreich um, auch die fraznösisch-freundliche Presse
greift nun Allizé und Frankreich scharf an (S.106).
12.6.1919
Telegramm von
Unterstaatssekretär im AA, Freiherr
Langwerth von Simmern, an den deutschen
Botschafter in Wien, Graf von Wedel
Ein Anschluss Österreich-Deutschland soll
immer möglich bleiben
Langwert empfiehlt Wedel, darauf hinzuwirken, dass
Österreich keine Abmachungen treffe, die einem späteren
Anschluss entgegenstehen, v.a. keine Donau-Zollunion und
keine Übernahme von Pflichten an Sukzessionsstaaten ohne
vorherige Rücksprache mit den deutschen Stellen
(S.107-108).
18.6.1919
Aufzeichnungen von
Legationsrat Freiherr
von Grünau
Südtirol: Projekt einer grossdeutsch
ausgerichteten Zeitung für Tirol
An der Sitzung ist das Vorstandsmitglied der Deutschen
freiheitlichen Partei Österreichs, Rittermeister In der Maur, mit dabei.
-- mit der Nachrichtenabteilung in Berlin wird folgende
Vereinbarung getroffen:
"Diese [Zeitung] soll, ohne sich auf eine Partei
festzulegen, die demokratische deutsch-nationale
Richtung voranstellen, zugleich aber ein gut
katholisches Blatt sein, das auch den Bedürfnissen des
gemässigten linken Flügels der Christlich-Sozialen
Rechnung trägt, um die christlich-sozialen Leser unmerklich [Hervorhebung vom Herausgeber]
für den grossdeutschen Gedanken zu gewinnen und so ein
Gegengewicht gegen die habsburgisch und ententistisch
orientierte Schöpfersche Presse zu bilden." (S.127)
-- In der Maur
hat zur Rettung Südtirols [das von Italien beansprucht
wird und von "US"-Präsident Wilson ohne Überprüfung
Italien zugeschlagen wird] einen Ausschuss gebildet und
schlägt direkte Verhandlungen mit der italienischen
Mission in Innsbruck vor
(S.127)
Italienische Vorstellungen über Tirol: Conte
Pinchia
Die Position des Beirats der Besatzungstruppen, Conte Pinchia:
-- Tirol könne ein selbständiger Staat werden, mit
Italien als Garantiemacht, mit der Möglichkeit eines
italienisch-deutschen Bündnisses
-- Tirol könne sich für selbständig erklären und sich
Deutschland anschliessen, könne innerhalb eines
Staatenbundes existieren, aber ohne auf seine
Selbständigkeit zu verzichten
-- es bestände auch die Möglichkeit des
Zusammenschlusses von Tirol, Kärnten und Salzburg
(S.128).
7.7.1919
Aufzeichnungen von
deutschen Legationsrat Freiherr von Grünau
Über Vorarlberg - Schweiz
Es gilt, Massnahmen zu ergreifen, die Anschlussbewegung
an die Schweiz in Vorarlberg auf alle Fälle zu
verhindern (S.152-154).
10.7.1919
Telegramm des dt. Botschafters in Wien, Wedel, an das AA
Berlin
Bauer: Vorarlberg solle sich eher
Deutschland anschliessen
Der österreichische Staatssekretär Bauer habe
versichert, er sei einverstanden, wenn Deutschland an
Vorarlberg Anschlussangebote mache, um den
Schweiz-Anschluss zu verhindern. Er verspricht sich aber
keinen Erfolg (S.154).
25.7.1919
Brief des
deutschen Geschäftsträgers in Wien, Prinz
Stolberg-Wernigerode, an das AA in Berlin
Gegner eines Ö-Anschlusses an Deutschland -
die Volksmehrheit ist dafür
-- auch in Österreich selbst wird der Anschluss
Österreichs an Deutschland nicht
überall begrüsst: Gegen diesen Anschluss seien u.a.
Monarchiefreunde, Leute mit Abneigungen gegen
Preussen-Deutschland, Leute mit einer Scheu vor der
Bevormundung von Berlin, und so sei die Entente das
"kleinere Übel"
-- die Volksmehrheit sei aber sicher für den Anschluss
an Deutschland
-- der Novemberbeschluss der Nationalversammlung in Wien
1918, sofort den Anschluss zu proklamieren [mit
Paragraph in der Verfassung!], sei ein grosser Fehler
gewesen, denn Paris könne nun in aller Ruhe
Gegenmassnahmen ergreifen (S.198).
Auf Österreich kommt ein Anschlussverbot zu
- Plan: Den Anschluss unmerklich vorbereiten
-- die Entente verbiete im Vertrag von Versailles nun
den Anschluss
-- das Ziel des Anschlusses werde aber weiterverfolgt,
dabei sei in aller Weise Zurückhaltung geboten, denn
jede Willenskundgebung zum Anschluss wird
Gegenmassnahmen der Entente zur Folge haben
-- die Kontakte zwischen D und Ö können weiterentwickelt
werden: auf wirtschaftlichem, juristischem und
kulturellem Gebiet, dies sei auch der Wunsch von
Staatssekretär Otto Bauer (S.199).
De-facto-Anschluss: Deutschland soll
Betriebe kaufen
-- der österreichische Staatssekretär Otto Bauer hat die
Vorstellung, Deutschland könne Österreich
Wirtschaftshilfe leisten
-- Deutschland solle österreichische Betriebe kaufen,
und mit diesem Geld könne Österreich Lebensmittel
bezahlen, und gleichzeitig sei ein Schritt zum Anschluss
wirtschaftlich vollzogen
-- es stelle sich die Frage, ob Deutschland gewillt und
in der Lage sei, Deutschösterreich mit finanzieller
Hilfe, mit Lebensmitteln und mit Kohle zu unterstützen,
wobei diese Frage entscheidend sei (S.199).
29.7.1919
Brief von
Legationsrat von
Riepenhausen (zur Zeit in Innsbruck) an den
Wirklichen Legationsrat, Freiherr von
Grünau
Vorschlag: Tirol als "Freistaat":
"Bundesstaat Tirol"
Die Begründung, warum für spätere Vorhaben die Gründung
eines Freistaates Tirol wichtiger erscheint als ein
jetziger Anschluss (S.206-207):
-- die Volkskräfte im von Italien abgetrennten Teil
(Süd-Tirol) seien so besser wiederzuerwecken
-- ein freies Tirol sei das Lieblingskind des deutschen
Volkes, wenn Tirol mit Bayern zusammengehen würde
-- so würde ein Zusammengehen von Tirol mit Bayern nicht
möglich sein (S.207).
Mittel und Taktik für einen Tirol-Anschluss
-- durch "Geschrei in der deutschen Presse" soll
Mitgefühl in Deutschland ausgelöst werden (S.207)
-- keinen Anschluss zum Voraus ankündigen
-- möglichst baldiger De-facto-Anschluss durch
Lostrennung von Wien mit Lebensmittellieferungsgarantie,
falls die Entente Tirol dann nicht mehr beliefert
-- finanzielle Unterstützung zusichern
-- den De-facto-Anschluss vollziehen mit der Mark als
zweites Zahlungsmittel, Einbezug in den Wirtschaftsraum
-- Voraussetzung sei die Einigkeit der Tiroler
Christlich-sozialen Partei (S.208-209).
2.8.1919
Aufzeichung über
die Unterredungen einer Delegation von Bevollmächtigten
aus Tirol in Berlin
Begründung der Anschlussbewegungen in Tirol
-- Tirol sei nur durch die Habsburger Dynastie an
Österreich gebunden gewesen, die nun abgedankt habe
-- Tirol habe nach dem Abdanken der Dynastie von Anfang
an betont, der Verbleib bei Österreich sei ein
Provisorium
-- am 15. Juni 1919 konnte die erste autonome
Tiroler Landesregierung gewählt werden
-- bis zum Vertrag von St-Germain habe man zugewartet,
dass ein Selbstbestimmungsrecht garantiert werde, nun
sei eine Selbstbestimmung innerhalb des österreichischen
Staatsverbandes aber kaum noch zu erhoffen
-- in Wien wurde auch über eine Donau-Konföderation
spekuliert, somit sei von Wien nichts mehr zu erhoffen,
denn Tirol werde sowieso durch Italien und den
"US"-Präsidenten Wilson zerrissen und Nordtirol
politischen und wirtschaftlich ausgebeutet werden
-- Italien werde alles daran setzen, die Brennergrenze
zu behalten, und nur im Anschluss an das Reich könne
Hoffnung auf Wiedergewinn von Südtirol bestehen und
wirtschaftliche Entwicklung garantiert sein (S.235) als
Brücke zwischen Nord und Süd
-- die Tiroler Landesregierung beabsichtigt die
Unabhängigkeitserklärung und den Anschluss an das
deutsche Reich
Zweck des Besuchs der Tiroler in Berlin ist die
Fühlungnahme, Aufnahme und Einsatz für Südtirol:
-- Abklärung, ob Geneigtheit in Deutschland bestehe,
Tirol aufzunehmen
-- Abklärung, ob Geneigtheit in Deutschland bestehe,
sich für die Wiedergutmachung des Unrechts durch
Losreissung des deutschen Südens einzutreten (S.236).
Die Unmöglichkeit eines Tirol-Anschlusses
-- Deutschland ist per Vertrag verpflichtet, die Grenzen
Österreichs zu achten
-- einer Veränderungen von Landesgrenzen muss der
Völkerbund zustimmen
-- Italien wird auf Südtirol und auf den Vertrag von
London bestehen müssen (Brennergrenze als Belohnung für
den Kriegseintritt), da es sich gegenüber der Entente in
einer bedrängter Lage befinde (S.237).
[denn Fiume / Rijeka wird an Jugoslawien fallen].
Beschlüsse in Berlin zu Tirol:
Erleichterungen zwischen Tirol und Deutschland
realisieren
-- Abwarten mit der Unabhängigkeitserklärung bis nach
der Ratifizierung der "Friedensverträge", dann aber soll
bald auf einen Tirol-Anschluss hingearbeitet werden
-- Tirol will sich nicht an ein Schicksal von
Deutschösterreich ketten, sondern eine eigene
Handlungsfreiheit verwirklichen (S.236) bei eventueller
Vermittlung des Reichs
-- Tirol wird per Volksabstimmung den Anschluss ans
Reich erklären und Deutschland um Eingliederung ersuchen
-- es wird alles mit deutschen Stellen abgesprochen
werden
-- zum Anschluss werden alle erforderlichen
Verwaltungsarbeiten von Tirol aus geleistet werden, um
Hilfe von Deutschland wird dabei gebeten
-- Bitte um Lebensmittel, wenn Deutschösterreich als
Rache die Versorgung Tirols sperren sollte
-- wenn kein Anschluss möglich ist, wird vorgeschlagen,
zwischen Tirol und Deutschland ein Verhältnis wie
zwischen Liechtenstein und Österreich herzustellen: d.h.
Aufnahme in den deutschen Zollverband
-- Bitte um Erleichterungen, auch wenn kein Anschluss
zustandekommt, z.B. im Grenzverkehr
-- Wunsch, dass möglichst bald eine deutsche Bank in
Innsbruck eine Filiale einrichtet (S.237).
11.8.1919
Brief des
deutschen Geschäftsträgers in Wien, Prinz
zu Stolberg-Wernigerode, an den Reichsminister des
AA Müller
Bericht: Renners "treudeutsche Gesinnung"
-- Renner muss in der Notlage Österreichs den Anschluss
vorläufig aus der Politik heraushalten
-- man solle aber nicht an seiner "treudeutschen
Gesinnung" zweifeln
-- die Entente solle sein Doppelspiel nicht bemerken
(S.232).
11.8.1919, abgesandt am 19.8.1919
Brief von
Reichsminister des AA, Müller, an den
deutschen Geschäftsträger in Wien, Prinz zu
Stolberg-Wernigerode
Diskussion um Tirolanschluss in Berlin
-- für einen Tirolanschluss seien Bevollmächtige der
Tiroler Landesregierung in Berlin angekommen, um für
einen separaten Anschluss Kontakte zu knüpfen:
Dr.Steidle, Dr.Straffner, Handelskammerpräsident Reder,
Herr In der Maur, Konsul von Külmer (S.234-235)
-- man solle der Regierung in Wien mitteilen, dass die
Abrede vom März mit der österreichischen Regierung
weiter gelte, und das der Anschluss von einzelnen
Ländern nur mit Einvernehmen der Wiener Regierung
vollzogen werden könne (S.234).
Nachricht von Reichsminister des AA, Müller,
an das deutsche Konsulat in Innsbruck, Freiherr
von Grünau
Abraten vom Tirol-Anschluss
Müller rät von einem Beschluss für einen Tirol-Anschluss
ab, denn man sei in Deutschland nicht in der Lage, den
Anschluss zu fördern, nach dem, was Clémenceau in den
Friedensverträgen verlange. Somit könne man auch in
wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht keine
Zusicherung geben (S.291).
Nachricht des Reichsministers des AA, Müller,
an den Geschäftsträger in Wien, Prinz zu
Stolberg-Wernigerode
Frage nach Tirol-Anschluss Ja oder Nein
-- Müller bittet den Geschäftsträger in Wien, Stolberg,
mit Renner den Tirol-Anschluss zu besprechen mit dem
Hauptpunkt, dass Deutschland die Unabhängigkeit von
Österreich im Vertrag von Versailles anerkennen müsse,
was mindestens solange gelten werde, bis der Völkerbund
eingerichtet sei und Österreich und Deutschland in den
Völkerbund aufgenommen seien
-- somit wird es, wenn Staatskanzler Renner es auch so
sieht, keine Arbeiten oder direkte Verhandlungen zwecks
Angleichung in den Gebieten der Rechtspflege, des
Verkehrswesens, des Schulwesens usw. geben (S.314)
-- um die Meinung von Renner wird gebeten
-- im Schlusswort hofft Müller aber doch auf einen
Tirol-Anschluss: Es gilt die Erwartung, dass jeder
selbst "alles tun werde, was die Angleichung fördert,
damit in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit der
Anschluss vollzogen werden kann, sobald die Zeit reif
sein wird." (S.314)
30.9.1919
Brief von Stolberg an Müller
Über Renner: Anschlussbemühungen sollen
verdeckt mit "Tagungen" weitergeführt
werden
-- Renner befürworte, "dass die vor dem Kriege
regelmässig stattgehabten Versammlungen deutscher,
österreichischer und auch teilweise schweizerischer
Gelehrter, wie der Hochschullehrer-Tag, Juristen-Tag,
Naturforscher-Tag, Ärzte-Tag, schleunigst ihre Tätigkeit
wieder aufnehmen und an ihrem Teile an einer
gegenseitigen Angleichung der betreffenden Materien
arbeiten sollten. Gerade bei Einbeziehung der Schweiz
würde die Entente bei diesen Verhandlungen keine
Anschlussvorbereitung wittern können." (S.314)
-- die neue Verfassung werde eng in Anlehnung an die
deutsche Verfassung aufgebaut werden (S.314).
21.10.1919
Brief des
Geschäftsträgers in Wien von Riepenhausen an das AA Berlin
Ein Anschluss von Vorarlberg an die Schweiz
ist unmöglich wegen Italien und der "Tessin-Frage"
Riepenhausen berichtet von einem Gespräch mit Renner zum
Thema des Vorarlberg-Anschlusses:
-- Renner werde die Deputation von Vorarlberg, wenn sie
in Wien eintreffe, sofort zurückschicken
-- es könne sein, dass die Vorarlberg-Vertretung den
Völkerbund anrufen werde
-- er rechne mit italienischer Unterstützung des
österreichischen Standpunktes in Wien gegen einen
Vorarlberg-Anschluss an die Schweiz, und es sei alles
schon in St-Germain vorbesprochen
-- Italien habe den Bundesrat in der Schweiz darauf
aufmerksam gemacht, dass Italien Vorarlberg mit der
Tessin-Frage verknüpfen werde, daraufhin sei in der
schweizer Presse von Vorarlberg wochenlang nichts mehr
erschienen
[das Tessin war früher koloniales Gebiet der zentralen
Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden, wo heute noch bei
Bellinzona drei Burgruinen für die drei Urkantone
stehen, und der Gotthardpass mit Nord- und Südflanke ist
die zentrale Identität der Deutschschweiz]
-- Renner werde die italienische Argumentation mit der
"Tessin-Frage" übernehmen
-- eine Hilfe durch reichsdeutsche Zeitungen mit der
Darstellungen des Zusammenhangs zwischen Vorarlberg und
dem Tessin könne nur nützen, z.B. in der Frankfurter
(S.371).
Aufteilung der Schweiz ist auch möglich -
der Schreckschuss für die Schweiz
Von Riepenhausen berichtet weiter:
-- Renner finde, die Idee der Aufteilung der Schweiz
könne als "Schreckschuss" gegen den Vorarlberg-Anschluss
wirken
-- Renner wolle wegen Vorarlberg eng in Verbindung mit
der Reichsregierung bleiben
-- Renner unterstütze finanziell die Agitation des
Schwabenkapitels, um in Vorarlberg vom Schweiz-Anschluss
abzulenken
-- Renner nehme mit Befriedigung Kenntnis davon, dass
die Reichsregierung in Berlin Österreich als Einheit
erhalten wolle.
Riepenhausen bittet darum, auf dem Laufenden gehalten zu
werden (S.372).
26.10.1919
Brief des
Reichsminister des AA, Müller, an
Reichswirtschaftsminister Schmidt
Lebensmittellieferungen von Deutschland an
Vorarlberg und Tirol
-- die Lebensmittelhilfe sei geplant und werde mit den
dortigen Landesregierungen abgeschlossen werden
-- die massgebenden österreichischen Regierungsstellen
seien einverstanden, und die württembergische Regierung
werde die die Aktion durchführen
-- so werde v.a. in Vorarlberg die
Schweiz-Anschlussbewegung unschädlich gemacht werden
(S.378)
-- dabei bestehe in Deutschland selbst eine kritische
Lebensmittelversorgung
-- wenn die Entente ernsthafte Massnahmen ergreife, um
die Notlage in Österreich zu lindern, so werde durch
eine derartige Hilfsaktion der Entente das Deutsche
Reich von der Lieferung entbunden (S.379).
4.11.1919
Brief des
Wirklichen Legationsrats, Freiherr von
Grünau, an den preussischen Gesandten beim
Vatikan, von Bergen (in Lugano)
Das Projekt einer deutschfreundlichen
Zeitung für Tirol
-- Grünau erwähnt die Entente-Agitation in
Deutschösterreich
-- das Projekt umfasse eine deutschfreundliche Zeitung
in Tirol gegen "die klerikale, mit Habsburger Wasser
segelnde Presse Tirols", sowie gegen die "rein jüdische
Geschäftspresse und die sozialdemokratische Presse"
-- die neue Zeitung soll ein Sprachrohr werden, durch
das der deutsche Gedanke und in späterer Folge der
Anschlussgedanke propagiert werden könnte (S.397)
-- die süddeutschen Grossindustriellen konnten bereits
für das Projekt gewonnen werden, haben sich aber wieder
zurückgezogen
-- aus Reichsmitteln stünden 1/2 Million Mark zur
Verfügung
-- er hoffe, privat noch 1 Mio. Mark aufzutreiben, es
fehle noch die dritte halbe Million
-- Frage, ob Bergen Herrn Krupp von Bohlen-Halbach
interessieren könnte, gegen Zins und Sicherheit Geld
herzugeben für eine Druckerei und Grundstücke
-- Personal und Papierzulieferung seien geregelt
-- Beteiligte seien bis jetzt u.a.: die
München-Augsburger-Maschinenfabrik und süddeutsche
Finanzkreise (S.398).
16.11.1919
Brief von Moltke über die
schweizer Presse
Die schweizer Presse behauptet, dass sich
die deutsche Regierung mit der Annexion Vorarlbergs
beschäftigt
(S.400)
20.11.1919
Aufzeichnungen von
Reichsminister des AA, Müller, über die
Besprechung mit führenden Männern Österreichs über
Fragen der Politik und der Wirtschaftspolitik vom
17.11.1919
Die "Gleichschaltung" Österreichs soll
vorbereitet werden
-- Ziel ist es, alle Hindernisse für einen zukünftigen
Zusammenschluss zu beseitigen, v.a. soll eine Rechtsangleichung vollzogen
werden
-- der österreichische Verfassungsentwurf sei der
deutschen Verfassung entsprechend ausgearbeitet
-- Dr. Ofner
sei bereits beauftragt zu sorgen, dass in Österreich
kein Gesetz erlassen werde, das dem Anschluss ein
Hindernis sein könnte
-- in derselben Weise sei Reichsjustizminister Schiffer tätig
-- ebenso finde ein Zusammenwirken mittels deutscher
Juristentage und Ärztetage statt
-- zwischen den deutschen und österreichischen Parteien
soll eine enge Fühlung bestehen (S.417).
Thema: Anschluss Vorarlberg und Tirol
Müllers Aufzeichnungen:
-- Wien hält jede Sonderaktion weiter für unrichtig
-- eine deutsche Hilfe an Vorarlberg sei gut, denn bei
einem Österreich-Anschluss an Deutschland wolle die
Schweiz den Anschluss von Vorarlberg gleich vollziehen,
was verhütet werden muss
-- deswegen sei die Unterstützung des Schwabenkapitels
notwendig (S.418)
Restauration in Ungarn: Massnahmen mit Prag
und Belgrad
Müllers Aufzeichnungen:
-- Ungarn steht vor der Restauration der Monarchie, was
in allen Nachbarstaaten Angst und Bedrohungsgefühle
produziere
-- Wien, Prag und Belgrad hätten gemeinsam Vorstellung
gegen die Restauration in Ungarn erhoben
-- Wien und Prag planen einen gemeinsamen
Nachrichtenaustausch wegen Ungarn (S.418)
-- Wien, Prag und Belgrad planen, einem restaurierten
Ungarn möglichst viele Schwierigkeiten zu bereiten
-- Deutschland zeige keine Einwände bei den Massnahmen
gegen Ungarn, beteilige sich aber vorerst nicht daran
(S.419).
Weitere Themen in Müllers Aufzeichnungen:
Thema: Donau-Konföderation Ja oder Nein
-- die Konferenz in Paris sei sich über eine
Donau-Konföderation selbst uneinig
-- der Gedanke bildet bis jetzt keine Gefahr für einen
späteren Anschluss, weil eine solche Konföderation wohl
auch in Paris keine Zustimmung finden wird (S.419).
Thema: Auslieferungsverträge
Österreich benötige neue Verträge, denn sonst könne
man die Kommunisten aus Bayern und Ungarn in Österreich
nicht loswerden. Österreich bittet dabei um Verständnis
bei Deutschland (S.419).
Thema: Schulen
Es besteht der Plan, die Wiener Konsularakademie zu
internationalisieren und die Sukzessionsstaaten gegen
Entgeld daran beteiligen zu lassen. Auch Deutschland
könne sich gerne daran beteiligen (S.420).
Thema: Kohle
Österreich bittet dringend um deutsche Hilfe für die
Notsituation in Wien, denn trotz Hilfe der Entente stehe
Wien vor dem Zusammenbruch. Es bestehe somit die Gefahr
des Zusammenbruchs der neuen Republik (S.420).
Thema: Kredit
Deutschland lehnt weiter einen 100-Mio.-Mark-Kredit
für Deutschösterreich ab (S.420).
Thema: Kartoffeln
Wien benötigt weiter Kartoffeln, aber sehe ein, dass
Deutschland kaum liefern könne (S.420).
Thema: Zölle
Waren, die zwischen Deutschland und Schweiz zollfrei
sind, sollen auch zwischen Österreich und der Schweiz
zollfrei sein, besonders für Vorarlberg (S.420).
22.11.1919
Brief des
deutschen Reichswirtschaftsministers an das AA
Kartoffeln
Die Resultate der Verhandlungen über Kartoffel- und
Getreidelieferungen an Vorarlberg zwischen
Reichswirtschaftsminister und der Vorarlberger
Delegation werden dem AA mitgeteilt (S.379).
25.11.1919
Aufzeichnungen des
Wirklichen Legationsrats Freiherr von
Grünau
Schweizer Zeitungen appellieren an das
Selbstbestimmungsrecht von Vorarlberg
-- der schweizer Ständerat Calonder
äusserte sich wiederholt gegen Deutschland, es würde
Vorarlberg annektieren wollen (S.429)
-- Calonder schilderte am 21.11. 1919 die Gefahr für die
Schweiz, falls Vorarlberg deutsch wird
-- somit sei es im Interesse der Schweiz, dass
Vorarlberg nicht an Deutschland gehe, denn dann sei die
Ostschweiz in grosser politischer Gefahr (S.430)
-- die deutsche Seite werde sich in dieser Frage nicht
einmischen (S.430)
-- die deutsche Seite verwahrt sich dagegen, dass mit
Verdächtigungen Stimmung für schweizerische
Ausdehnungsbestrebungen gemacht werde, und man werde mit
dem schweizerischen Gesandten in Berlin sprechen müssen
(S.431).
25.11.1919
Brief des
Geschäftsträgers in Wien von Riepenhausen
an das AA Berlin
Wien stehe vor dem Kollaps und von
ungarischen Truppen bedroht - Appell an deutsche Hilfe
-- der österreichische Vizekanzler Schiffer
habe Nachricht erhalten, dass die bedrohlich
erscheinende Lebensmittelkrise in Wien eine
verhängnisvolle politische Wendung haben könne: Bei
Unruhen könnte Ungarn intervenieren, so dass eine
Restauration eintreten könnte, oder man ruft die
Entente, die das Land in ihre totale Abhängigkeit
bringen würde.
-- nur deutsche Hilfe könne helfen
-- Wien stehe am Rande einer Hungersnot, und es sei
höchste Eile erforderlich bei 787 gr Brot, 250 gr Mehl
und 125 gr Hülsenfrüchte pro Wochenration: "Wir haben
hier nur eine Hoffnung, die heisst Deutschland." (S.433)
2.12.1919
Brief von
Unterstaatssekretär des AA Berlin, Haniel
von Haimhausen, an das
Reichswirtschaftsministerium in Berlin, zu Handen von Major Keim
Die Lebensmittellieferungen für Vorarlberg
sind noch nicht vollzogen
Deutschland soll unabhängig der zugesagten
Gegenlieferung von Vieh die Lebensmittel liefern, denn
das Vieh könne unmöglich gleichzeitig geliefert werden.
In Vorarlberg sei eine grosse Enttäuschung über das
Nichteintreffen der deutschen Lebensmittel eingetreten
(S.448). Es wurde gestern vom AA Berlin die Lieferung
nach Bregenz zugesagt. Die politische Wirkung der
Lieferung könne nur erwartet werden, wenn die Lieferung
unmittelbar erfolgt (S.449).
10.12.1919
Brief [von Major Keim?]
-- bestätigt Mehllieferungen nach Vorarlberg
-- bestätigt Kartoffellieferungen nach Vorarlberg
(S.449).
11.12.1919 ca.
[Der Tiroler Landtag in
Innsbruck beschliesst den wirtschaftlichen Anschluss
an Deutschland].
13.12.1919
Telegramm vom
Reichsminister des AA, Müller, an das
deutsche Konsulat in Innsbruck
Tirols Resolution in Innsbruch zum
wirtschaftlichen Anschluss
Müller meint gegenüber dem deutschen Konsulat in
Inssbruck:
Der Beschluss des Tiroler Landtags wegen des
wirtschaftlichen Anschlusses an Deutschland wurde nach
Paris an Staatskanzler Renner
weitergeleitet. Vizekanzler Fink meint,
der oberste Rat der "Friedenskonferenz" in Paris würde
den Antrag ablehnen (S.465), um die teilweise Auflösung
von Deutschösterreich und die "Friedensverträge" nicht
zu gefährden (S.466)...
Frankreichs Manöver: Spaltung Deutschlands
als Ziel und eventueller Südstaat Bayern-Tirol
Frankreich wolle das Deutsche Reich in Nord und Süd
aufspalten. Paris würde deswegen einen Anschluss von
Tirol an Bayern vielleicht nicht ungern sehen, da damit
"ein grösseres süddeutsches Reich von Frankreichs Gnaden
geschaffen würde". Somit sollten die Tiroler auf die
Spaltungsgefahren in Deutschland und durch Frankreich
hingewiesen werden, wenn man sich einem Gliedstaat
anschliessen würde (S.466).
Anmerkung
Die Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945
sind in jedem grösseren Historischen Seminar einer
Universität oder in jeder grösseren
Universitätsbibliothek einsehbar.