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Bernhard Chiari: Alltag hinter der Front. Besatzung, Kollaboration und Widerstand in Weissrussland 1941-1944. Droste Verlag Düsseldorf, 1998.
Zusammenfassung
1921 wird Weissrussland zwischen Russland und Polen aufgeteilt. Der Ostteil wird sowjetisiert, der Westteil wird polonisiert.
Ab Oktober 1939 ist West-Polen deutsch und Ost-Polen/West-Weissrussland sowjetisch besetzt. Weissrussland feiert kurz eine "Wiedervereinigung", wonach aber die Sowjetmacht eine "Sowjetisierung" vollzieht. Unter den Polen West-Weissrusslands beginnt Widerstand gegen die weissrussische Beherrschung und erste Partisanenbildung. Gleichzeitig hoffen die Weissrussen auf eine "Belorussifizierung" und Entrechtung der anwesenden Polen. 100.000e Russen strömen nach West-Weissrussland ein und provozieren eine Wohnungsnot.
Die Sowjets geben weder den Polen noch den Weissrussen Vorzugsrechte, sondern vergeben die Vorrechte durch Einführung des Rubels an sich selbst. Die weissrussische wie die polnische Seite sind frustriert. Aus dem deutsch besetzten Teil Polens ziehen schätzungsweise 300.000 Juden hinzu, die vor der Hitler-Besetzung flüchten. Ein Passgesetz zwingt der Bevölkerung und allen Flüchtlingen die sowjetische Staatsbürgerschaft auf. Wer nicht akzeptiert, soll zurückgeschafft werden. 1940 werden daraufhin zwischen 1,4 und 1,5 Mio. Mitglieder der einstigen Ober- und Mittelschicht - zum Teil willkürlich als "unzuverlässig" bezeichnet - nach Sibirien und Kasachstan deportiert, vor allem Polen und Juden.
Ab dem 22. Juni 1941 gelangt Weissrussland unter deutsche Besatzung. Die Rote Armee ist völlig desorganisiert und flüchtet panikartig nach Osten. Die Weissrussen spalten sich erneut: Weissrussen, die unter der Sowjetisierung gegen Hitler kämpfen wollen, ziehen mit der Roten Armee ins Innere Russlands, Weissrussen, die sich unter Hitler ein besseres Leben als unter Stalin versprechen, warten auf die deutsche Besetzung. 1/8 der jüdischen Bevölkerung Weissrusslands zieht ebenfalls mit der Roten Armee nach Osten. Minsk wird zum Ruinenfeld, und die SS, die Wehrmacht und der Arbeitsstab unter Rosenberg beginnen ihre Raubzüge gegen das weissrussische Kulturgut.
Gleichzeitig hat der Arbeitsstab Rosenberg den Auftrag, "Kulturarbeit" am "Untermenschen" zu leisten, was an sich schon eine schizophrene Situation darstellt.
Die Polen in Weissrussland, die im westlichen Teil Weissrusslands bevölkerungsmässig die grosse Mehrheit stellen, konfrontieren sich nun planmässig mit dem Rest der weissrussischen Bevölkerung. Die Weissrussen wehren sich und erhalten Hilfe von Litauern und Ukrainern gegen die polnische Bevölkerung.
In Weissrussland finden von Juli 1941 bis August 1944 drei Kriege gleichzeitig statt:
-- Deutsche gegen Russen
-- Deutsche, Weissrussen, Polen und Litauer gegen Juden
-- Weissrussen, Litauer und Ukrainer gegen Polen
Die deutsche Besatzung kann in diesem Kriegsklima mangels Sprachkenntnisse nicht viel ausrichten. Es herrschen bis August 1944 eine nächtliche Ausgangssperre ab 19 Uhr und die Bibliotheken bleiben bis auf wenige Ausnahmen geschlossen. Die Besatzung verbietet "gefährliche" Bücher und tut das notwendigste, um Antisemitismus zu schüren. Die deutsche Besatzung organisiert mit Hilfe der weissrussischen, litauischen und polnischen Bevölkerung meistenteils die grossen Exekutionen gegen die ansässigen oder zugezogenen Juden. Sie ist jedoch machtlos gegen den Krieg der ansässigen Weissrussen, Litauer und Ukrainer gegen die Polen.
Zudem tragen die vier genannten Gruppen durch Denunziationen, eigenmächtige Erschiessungen und Raubmord nicht unwesentlichen zum Judenmord ausserhalb des deutschen Befehls bei. Die mangelnde Führung und die kreuz und quer gestreuten Gerüchte verschärfen die Lage zusätzlich. Partisanengruppen überfallen erste Dörfer, so dass eine landesweite Polizei aufgestellt werden muss, die meist aus Bauern und Analphabeten besteht. Die Situation eskaliert ins Uferlose. Deutsche bekommen Waffen zu ihrem Schutz vor Partisanen, Weissrussen und Polen jedoch nicht. Die Bürgermilizen der Dörfer müssen sich selbst Waffen von Partisanen erobern, um den Befehlen zum Schutz der Dörfer nachzukommen.
Ab 1943 ändert sich die Lage, indem die Rote Armee vorzurücken droht. Die Ruinenstadt Minsk wird von der Wehrmacht überschwemmt. Ganze Teile der Lenin-Bibliothek und der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften verrotten in Kellern oder werden nach Ostpreussen und Ratibor transportiert, um dort von Wind und Wetter zerstört zu werden. Die Polizeikorps berauben zum Teil die eigene Bevölkerung und "Draufgängertum" wird mit Karriereschritten belohnt. Währenddessen organisiert die deutsche Verwaltung mit den national-weissrussischen Kräften den "Weissrussischen Zentralrat", der Ende 1943 seine erste Sitzung abhält.
Die deutsche Besatzung muss aber bereits Anfang 1944 die letzte Verteidigung im Namen der Heimat Weissruthenien organisieren. Ausserdem verbünden sich Teile polnischer Einheiten mit deutschen Truppen, wodurch sich die Gegnerschaft der Russen zu den polnischen Einheiten verschärft. Nun brauchen Weissrussen, Litauer und Ukrainer nur noch zuzuschauen, wie die Rote Armee die polnischen Nationalisten in Weissrussland vernichtet. Die "Belorussifizierung" und die zweite Sowjetisierung werden somit gleichzeitig vollendet. Die polnischen Kräfte müssen sich mit dem von Stalin bestimmten Territorium abfinden.
Der Zentralrat muss im August 1944 nach Königsberg flüchten, der Grossteil der Mitglieder und Angehörigen an Arbeitsstellen Zwangsarbeit leisten, währenddessen ein paar auserwählte Weissrussen des Zentralrats mit deutschen Bürokraten die Rückeroberung planen. Die zweite Sowjetisierung Weissrusslands muss von der ganzen weissrussischen Bevölkerung hingenommen werden. Die sowjetische Geschichtsschreibung ist dementsprechend. Sie verherrlicht den "vaterländischen Krieg" und vertuscht alle inneren Konflikte.
Chronologie
16.-19. Jh.
Weissrussland existiert nur als kulturelle Einheit - polnische oder russische Führungsschichten
Weissrussland besteht nur als sprachliche und kulturell-bäuerliche Existenz. Weissrussisch als Sprache wird als "niedriger" russischer Dialekt angesehen. Abwechselnd herrschen über die weissrussischen Gebiete polnische oder russische Oberschichten.
(Information von Bernhard Chiari, 12.12.2000).
1897
Zarenreich/BSSR: Volkszählung, durchschnittlich 13,6 % Juden
in den Regionen Minsk, Mogilev, Grodno, Wilna und Vitebsk 13,6 % Juden, in den Städten bis über 53 %, in Sluck 77 %. Umstände:
-- grosse Armut
-- die jüdische Religion kontrastiert mit der orthodoxen Bevölkerung
-- die Ausbildung in den religiös-jüdischen Elementarschulen ist besser als die der christlich-orthodoxen Bevölkerung, die zum Teil gar keinen Schulunterricht besuchen kann [Verhinderung von Integration]
-- die Schtetl schirmen die Juden gegen die christliche Bevölkerung ab [Verhinderung von Integration] (S.232)
-- häufig sprechen die Juden auch kein Russisch, so dass die Kinder sich nicht einmal verständigen können [Verhinderung von Integration] (S.233)
-- Eindringen westlicher Güter aus Mitteleuropa durch die jüdischen Verbindungen über die Schtetl [jüdische Handelsverbindungen und Privilegien, Dominanz]
-- die jüdische Elite drängt in Hochschulen, drängt in die Führungsetagen wie die russischen Erziehungseinrichtungen oder wandert ins westliche Ausland ab (S.232)
[Bessere Ausbildung für Juden und ungleiche ökonomische Bedingungen aufgrund der Passivität auf Regierungsebene in Moskau bergen auf die Länge kulturelle Konflikte, der irgendeinmal ausbrechen werden].
1914-1917
Weissrussland: Deportationen von Juden durch das zaristische Regime
wegen des Vorwurfs der Spionage für die deutsche Seite.
(Information von Bernhard Chiari, 12.12.2000)
1917
Friede von Brest-Litowsk zwischen Deutschland und Russland - Unabhängigkeit Weissrusslands, Georgiens, Armeniens und Aserbeidschans
in: dtv-Atlas für Geschichte, München, 1986, S.143
Diese Unabhängigkeit Weissrusslands ist die einzige kurze Unabhängigkeit bis zur Perestroika.
(Auskunft von Bernhard Chiari, 12.12.2000)
ab 1919
West-BSSR: Lebensbedingungen der Landbevölkerung bleiben auf dem Niveau des Zarenreiches stehen
(S.236)
1920-er Jahre
April-Oktober 1920
Polnisch-russischer Krieg/BSSR: polnische Greuel gegen die weissrussische Bevölkerung im russisch-polnischen Krieg - russisch-polnischer Krieg: Stabskapitän A.K.Demideckij-Demidovitsch
Chiari:
<Hier waren zwischen Polen und Weissrussen erhebliche Spannungen vorhanden. Erinnerungen der Weissrussen an den polnisch-sowjetischen Krieg 1919/20 und von der polnischen Armee begangene Greueltaten entfalteten ihre Wirkung. > (S.271)
Die Greuel umfassen Geiselnahmen, Vergewaltigung, Plünderungen, brutale Folterungen vor Publikum, Erschiessungen.
(telefonische Information von Bernhard Chiari, 12.12.2000)
Polnisch-russischer Krieg / BSSR: Weissrussen erschiessen Kommunisten
(S.171); der Pole A.K. Demideckij-Demidovitsch, Anwalt in Warschau, ist in der Pilsudski-Armee Stabskapitän (S.99).
1921
Ost-Weissrussland: Gefangennahme von Antikommunisten
(S.171)
18.3.1921
Ost-BSSR: "Friede" von Riga: Weissrussland wird ein schmaler Streifen Land
(S.29)
Teilung der BSSR
(S.27)
ab 18.3.1921
UdSSR/Ost-BSSR: "Belorussifizierung": Unterdrückte Unabhängigkeitsbewegung - Aufbau eines sozialistisch-weissrussischen Bildungssystems: Jiddisch wird Staatssprache
Vom NKWD wird jede Unabhängigkeitsbewegung kontrolliert, nur Sprache und kulturelle Selbständigkeit sind erlaubt. Politische Unabhängigkeitsbemühungen werden als "politischer Banditismus" und kulakische Konterrevolution" diskreditiert. Damit wird die Entwicklung eines starken Selbstbewusstseins durch gemeinsame Erfolgserlebnisse verhindert (S.30).
Im neuen sozialistisch-weissrussischen Schulsystem werden vier Staatssprachen propagiert: weissrussisch, russisch, polnisch und jiddisch (S.30,233).
Die Sowjets bekämpfen damit vor allem den in Weissrussland herrschenden Analphabetismus (S.31).
wenden sich gleichzeitig aber
-- gegen die religiösen Inhalte der jüdischen Religion
-- gegen eine hebräische Ausbildung der jüdischen Kinder (S.233).
Juden bekommen eine Selbstverwaltung zugesprochen (S.238).
Ostpolen/West-BSSR, Südlitauen, Ost-Galizien: Polonisierungspolitik - Ansiedlung von Polen und Rassismus
Die Ansiedlung von Polen im neuen Ostpolen ist gegen "bedeutende nationale Minderheiten" gerichtet. Voraussetzung für die Polonisierungspolitik sind stabile Verhältnisse und somit gute polnisch-russische Beziehungen (S.34).
Warschau siedelt in Ostpolen planmässig neue polnische Militärs, Beamte und Priester an (S.115).
Polnische "Militärsiedler" bekommen in Ostpolen Land "zugeteilt" (S.47).
Ostpolen/West-BSSR: Polen unterdrücken Weissrussen
Die weissrussische Bevölkerung wird innerhalb des polnischen Staatsverbandes zur unterdrückten Minderheit, gilt und bleibt wirtschaftlich, kulturell und politisch rückständig. Das Regime in Warschau versucht, zentralistische Strukturen aufzubauen, um Autonomiebestrebungen anderer Ethnien zu unterbinden.
Allgemein gilt das Gebiet der West-BSSR als "kulturelles Niemandsland", ist eine vom ersten Weltkrieg [und vom russisch polnischen Krieg 1920] hinterlassene "Wüste", abgebrannt und von Epidemien heimgesucht. Alle Infrastruktur muss neu aufgebaut werden. Ausländische Helfer schildern das Gebiet als "unwirkliche Mondlandschaft", mit Stacheldrahtverhauen, Minenfeldern und Gräben (S.32).
Polen installieren durch den Analphabetismus der weissrussischen Bevölkerung ihre Machtpositionen in den ostpolnischen Verwaltungen (S.36). Alle wichtigen Posten in Verwaltung und Wirtschaft werden durch Polen besetzt (S.263).
In der Folge ergeben sich für polnische Bauern profitable Lebensbedingungen: Sie bezahlen keine Naturalsteuer, haben ein reiches Warenangebot und haben guten Verdienst (S.271).
Ostpolen/West-BSSR: Gründung einer Kommunistischen Partei KPZB
(S.43)
[nicht erwähnt:
Die polnische Regierung etabliert Schulen, die für die weissrussische Bevölkerung unerschwinglich sind, womit eine polnische Oberschicht privilegiert wird.
in: Tec: Bewaffneter Widerstand, 1996, S.18,38].
1921-1925 ca.
BSSR: Fluchtwelle national orientierter Weissrussen ins europäische Ausland
Weissrussische Intellektuelle bilden eine Diaspora (S.114).
1923
Moskau: Auflösung der Moskauer Choralsynagoge - Bibliothek "Judaica" nach Minsk
Die Bibliothek der Choralsynagoge wird in die Minsker Lenin-Bibliothek überführt und wird zum neuen jüdischen Kulturzentrum. Die Lenin-Bibliothek bekommt einen permanenten Sammelauftrag für jüdische Literatur, um die jüdische Abteilung "Judaica" zu vervollständigen (S.242).
Ostpolen/West-BSSR: Nachwirkungen der Kriege 1914-1918 und 1920 - Hungerflüchtlinge aus der UdSSR
Elend und Tod bestimmen das Bild v.a. in den Städten Brest und Pinsk. Aufnahme von Hungerflüchtlingen aus der UdSSR (S.32). Die Region bleibt das polnische "Armenhaus" mit über 80 % Bauern, zum Teil Sumpfland (S.33).
1923 ca.
UdSSR / Ost-BSSR: Kollektivierung scheitert am Widerstand der einheimischen Bauern
(S.233)
1924
Ost-BSSR: wird erweitert um Bezirk Mogilew
(S.29)
1926
Ost-BSSR: wird erweitert um Bezirk Gomel
(S.29)
Ost-BSSR: Volkszählung - jüdische Anteile in Städten
Minsk: 53.700 Juden
Gomel': 37.700 Juden
Vitebsk: 37.000 Juden
Bobrujsk: 21.600 Juden
Mogilev: 17.100 Juden.
Die jüdische Bevölkerung der sowjetischen Ost-BSSR umfasst "knapp ein Fünftel" aller Juden der UdSSR. Die KP der BSSR besteht zu einem Viertel aus jüdischen Mitgliedern. Juden hoffen auf ein Selbstbestimmungsrecht, so wie es die Bolschewisten allen Nationalitäten versprochen haben (S.233).
[Der Konflikt zwischen Juden und der ehemals orthodoxen Bevölkerung ist vorprogrammiert].
Mai 1926
Warschau: Staatsstreich Pilsudskis - weitere Diskriminierung der Weissrussen
In der Regierung von Józef Pilsudski tauchen Litauer und Ukrainer als nationale Minderheiten auf, Weissrussen aber nicht. Das Regime führt eine widersprüchliche Sprachen- und Bildungspolitik, was zu Problemen vor allem im ukrainischen Ostgalizien führt. Pilsudski lässt kommunistische Gruppen in West-Weissrussland entschieden verfolgen (S.34).
ab Mitte 1920-er Jahre / ab 1926 ca.
UdSSR/Ost-BSSR: Landwirtschaftsprogramm für Juden und Kollektivierung
Die sowjetische Regierung beginnt, rund 40.000 Juden als Bauern auf dem Land anzusiedeln und weist ihnen kleine Höfe zu, die meist seit dem Bürgerkrieg 1917-1919 verwaist sind. Einige erhalten Land nach kostenaufwendigen Trockenlegungen von Sümpfen und Rodungen.
Die neuen jüdischen Bauern betreiben als Anfänger-Bauern kollektivierte Landwirtschaft, was die Wut der einheimischen Bauern auf sich zieht (S.233)
Ende 1920-er Jahre / 1929 ca.
Ost-BSSR: 47.000 jüdische Bauern betreiben kollektivierte Landwirtschaft - Hass der einheimischen Bauern
Ende der 1920-er Jahre sind 47.000 jüdische Bauern als kollektiv arbeitende Bauern registriert. Der Hass der weissrussischen Bauern steigt, weil sie selbst die Kollektivierung immer noch ablehnen (S.233).
[Es kommt das Gefühl auf, die Juden würden sich bei der sowjetischen Regierung einschmeicheln bzw. würden für die Kollaboration bei der Kollektivierung auch noch mit Land belohnt].
ab Nov 1929
"Schwarzer Freitag" und Weltwirtschaftskrise: Armut und Ausweichen auf Waldwirtschaft
Die Wirtschaftskrise hat in Ostpolen / West-BSSR massive Auswirkungen. Kaufleute, Handwerker und Händler gleiten in Not ab, weil die Märkte kein Geld mehr haben. Die jüdischen Selbständigen verarmen vollends. Die einzige Lösung ist das Ausweichen auf Waldwirtschaft (S.33). Der polnische Staat interessiert sich für die Sümpfe nicht, um sie trockenzulegen (S.34).
ab 1929
Moskau: Gleichschaltung der Peripherie - Gleichschaltung der Ost-BSSR
auch in Weissrussland, Vernichtung nationaler Eigenständigkeiten.
In der Folge wird auch das wachsende Nationalbewusstsein in der BSSR zerstört (S.31).
ab Ende 1920-er Jahre / ab 1929 ca.
UdSSR/Ost-BSSR: Radikalisierung der anti-hebräische Politik - Jiddisch erlebt Aufschwung
-- Zerstörung traditioneller Lebenswelten, Schliessung fast aller Synagogen
-- planmässig betriebene antireligiöse und antizionistische Propaganda
-- "Reinigung" der jiddischen Sprache von Hebräismen.
Jiddisch erlebt einen neuen Aufschwung, jiddische Schulen vermehren sich und sind ein Element der Sowjetisierung der jüdischen Kultur (S.234).
UdSSR/Ost-BSSR: Russifizierung der weissrussischen Sprache in Grammatik und Lexik
(S.234)
1930-er Jahre
Sommer 1930
Ostpolen / Ost-Galizien: Gewalttätige Unruhen
(S.34)
Anfang 1930-er Jahre
UdSSR / Ost-BSSR: NKWD liquidiert die Führer der kleinen "weissrussischen Bewegung"
(S.31)
Warschau: Pilsudski begrüsst die "Sowjetisierung" in der Ost-BSSR und in der Ukraine - Zerstörung jeglichen weissrussischen Nationalismus
Durch die sowjetische antireligiöse und anti-weissrussische Tätigkeit nehmen die nationalen Tendenzen der weissrussischen und ukrainischen Bevölkerung in den von Polen besetzten Landesteilen ebenso ab.
Weissrussen gelten in Polen als Bauern und Landarbeiter, gesellschaftlich minderwertig. Die Belletristik zeigt den weissrussischen Bauern stereotyp als Sumpfbewohner (S.34), gutmütig und freundlich, aber misstrauisch zur Aussenwelt, täglich um sein Leben kämpfend. Weissrussisches Nationalbewusstsein wird als russisch provozierte Energie dargestellt, um Polen zu verkleinern.
Weissrussische Schulen werden als Hort des Kommunismus bezeichnet, und das Bedürfnis nach eigener Sprache den Weissrussen verweigert. Die Latinisierung des weissrussischen Alphabets sei die Voraussetzung, die Weissrussen zu einem Teil des polnischen Volkes zu machen (S.35).
Polen (mit Ostpolen): über 3 Mio. Juden, 10 % der Gesamtbevölkerung
(S.234)
1930-er Jahre
UdSSR/Ost-BSSR mit Minsk: Sowjetisierung: Zerstörung von Kirchen - zweite Fluchtwelle - verweigerter Nationalstatus an Weissrussen
Kirchenzerstörungen und weitere Sowjetisierung (S.106) verursachen eine zweite Fluchtwelle national orientierter Weissrussen - Intellektuelle und Antikommunisten - nach Polen und Deutschland, mit Ziel der nationalen "Wiederauferstehung" Weissrusslands. Organisierung des Widerstands (S.114).
Das "Bauernvolk" der Weissrussen und der "Hiesigen" / "Tutejschye", die eine eigene Mischung aus Polnisch und Weissrussisch sprechen, bekommt keinen Nationenstatus. Die Weissrussen sollen sich nach Sprache und Religion definieren, aber nicht über einen eigenen Staat. Der Analphabetismus erreicht z.T. noch über 30 % (S.35).
In den Regionen Baranovitschi, Novogródek, Lida und Scutschin kann sich ein grosser polnischer Bevölkerungsanteil etablieren (S.55).
Ostpolen / West-BSSR: Rezession: Verarmung jüdischer Handwerker und jüdischer Geschäftsinhaber - planmässiger polnischer Rassismus
Hohe Arbeitslosigkeit in den Schtetls (S.235).
Die jüdische, die ukrainische und die weissrussische Bevölkerung Ostpolens bleibt von der Kommerzialisierung und Industrialisierung weitgehend unberührt. Ausgrenzung ist rassistisches polnisches Regierungsprogramm. Jüdische Historiker und Soziologen beschreiben die Randstellung als "Kaltes Pogrom."
In: Ainsztein: Jüdischer Widerstand, S.28
In: Lewin, Isaac: The Jewish Community in Poland, 1985, S.215-239
(S.234)
1931
Ostpolen/West-BSSR: immer noch hohe Analphabetismusrate
-- Bialystok: 24,5 %
-- Nowogródek: 34,9 % (S.35)
-- Wilna: 29,1 % (S.35-36)
-- auf dem Land wahrscheinlich noch höher (S.36)
1935
UdSSR / Ost-BSSR: Liquidierung weissrussischer Angehöriger des Bauern- und Arbeiterverbandes
Der NKWD liquidiert, um alle nationalistischen Tendenzen bei Weissrussen auszuschalten, die Angehörigen des weissrussischen Bauern- und Arbeiterverbandes / "Hromada" in der UdSSR, die vor den polnischen Nationalisten in die Ost-BSSR geflohen sind (S.31).
1937
UdSSR / Ost-BSSR: Neue Verfassung mit Zerstörung der Minderheitenrechte - Russifizierung
-- die Akzeptanz der Minderheitensprachen als Staatssprachen wird beendet
-- Definition einer weissrussisch-russischen Zweisamkeit
-- Einführung eines obligatorischen Russischunterrichts an allen Schulen (S.31).
1937-1938
UdSSR / Ost-BSSR: Säuberungen: grosse jüdische Verluste durch die Stalinschen Säuberungen
(S.234)
ab 1937 ca.
UdSSR / Ost-BSSR: Gleichschaltung abgeschlossen
Ost-Weissrussland ist mit Moskau weitgehend gleichgeschaltet. Die Leninsche NEP mit ihren kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten ist praktisch vernichtet (S.32).
Anfang 1938
UdSSR / Ost-BSSR: Verhaftungswelle gegen Polen
Der NKWD leitet in der BSSR die Festnahme von 7-8000 Menschen ein, v.a. gegen polnische Nationalisten gerichtet:
-- ehemalige polnische Legionäre
-- polnische Emigranten
-- Angehörige polnischer Organisationen.
Gleichzeitig soll es in Minsk 25.000 polnische Spione geben. Es kommt zu weiteren Verhaftungswellen gegen Polen (S.31).
1938
Geteilte BSSR: der geistig labile Zustand und vorprogrammierte Konfrontationen
-- in manchen Gegenden ist der Analphabetismus immer noch nicht besiegt
-- die Landbevölkerung definiert sich kaum über nationale Kriterien
-- die jüdischen Intellektuellen spielen in Literatur und Universitäten eine Schlüsselrolle
-- weissrussische Wissenschaftler drängen mit polnischen oder russischen Universitätsabschlüssen in die Schaltstellen von Staat und Wirtschaft Weissrusslands und beginnen, die jüdischen Verantwortlichen anzugreifen (S.31).
1939
Umwälzungen in Europa
16.März 1939
[Ergänzung:
CSSR: Besetzung der Rest-Tschechoslowakei durch deutsche Truppen
Hitler kann riesige Mengen an Kriegsmaterial übernehmen und zum Teil den Staatsschatz plündern. Hitlers Politik erweist sich zum ersten Mal als anderen Nationen schädlich gesinnt.
in: Nicolaus von Below: Als Hitlers Adjutant, 1980, S.154ff.].
[31.3.1939
England schliesst mit Polen und weiteren Ländern Schutzverträge ab
in: Nicolaus von Below: Als Hitlers Adjutant, 1980, S.199].
März-Aug 1939
[nicht erwähnt:
Polens Wankelpolitik gegenüber Hitler und Stalin
Die polnische Regierung kann sich nicht entscheiden, ob sie mit Hitler gegen Russland oder mit Russland gegen Hitler kämpfen will. Ein halbes Jahr lang verstreicht ungenutzt und ohne Entscheid, bis die Grossmächte eigenmächtig Polen "aufteilen".
in: Valentin Falin: Zweite Front].
Aug 1939
Sowjetunion/Deutschland: Molotov-Ribbentropp-Pakt
mit Beschluss zur Aufteilung Polens und weitere Besetzungen für beide Seiten. Damit wird Weissrussland unter sowjetischer Führung "wiedervereinigt".
[Ergänzung:
Die geplante Teilung Polens wird in Diplomatenkreisen bekannt
Der Teilungsplan wird in englischen und "US"-amerikanischen Diplomatenkreisen über russische Diplomaten sofort bekannt. In Japan, dem mit Hitler am meisten gegen Russland verbündeten Land, löst der Hitler-Stalin-Pakt eine Regierungskrise und Orientierungslosigkeit aus. Erklärungen Hitlers, dass seine ganze Politik gegen Russland gerichtet sei, finden in Japan keinen Glauben mehr. Somit beginnt die japanische Politik, eigene Wege zu gehen und einen Eroberungsplan nach Süden auszuarbeiten.
in: Valentin Falin: Zweite Front]
Sep 1939
[Ergänzung:
Deutscher Polenfeldzug: Gerüchte in Warschau über französische Truppen im Schwarzwald
Polenfeldzug unter Hitlers Kommando. Stalin wartet mehr als zwei Wochen zu. Ganze Bevölkerungsteile West-Polens fliehen nach Ost-Polen. Französische Gerüchte berichten von einer angeblichen französischen Invasion im Westen bis tief in den Schwarzwald. Deswegen glauben die polnischen Truppen an einen Abzug der deutschen Truppen und kämpfen weiter, aber umsonst. Tausende Polen sterben deswegen im falschen Glauben, dass Deutschland von Westen angegriffen sei.
in: Nicolaus von Below: Als Hitlers Adjutant, 1980, S.207].
[Ergänzung:
Frankreich und England greifen nicht gegen Deutschland ein
Frankreich und England greifen gegen die deutsche Aggression gegen Polen nicht ein, sondern warten trotz Kriegserklärung weiter ab
(in: Nicolaus von Below: Als Hitlers Adjutant, 1980, S.207).
Die "USA" geben sich "neutral" [!], [weil die Regierung absolut rassistisch ist und das Recht des "Stärkeren" gewährt, bis sie sich selbst gefährdet sieht]
(in: Valentin Falin: Zweite Front)].
17.9.1939
West-BSSR: Einmarsch der sowjetischen Truppen - Hoffnungen der Weissrussen - polnische Niederlage - polnische Pogrome an Weissrussen und Juden
Die Weissrussen hoffen auf ein wiedervereinigtes Weissrussland und auf Verbesserung der Lebenslage, hoffen zum Teil aber vergebens. Vereinzelt kommt es zu polnischem Widerstand. Die Sowjetführung spricht von "Guerillabanden". Die Weissrussen unterstützen spontan die Rote Armee, z.B. in Grodno, in Polesien und zwischen Pinsk und Brest. Zum Teil sind die russischen Truppen nicht einmal schwer bewaffnet. Im Hintergrund beginnen NKWD-Einheiten sofort, "antisowjetische" Elemente aufzuspüren und folgen dabei ihren vorbereiteten Namenlisten (S.36).
Polnische Grenzverteidigungskorps (KOP) liefern in Glubokoe, Vilejka und Baranovitschi Rückzugsgefechte und werden von der gewaltigen russischen Übermacht geschlagen, ebenso polnische Truppenteile, die erst seit ein paar Tagen existieren und sich noch in Ausbildung befinden. Polnische Zivilisten schliessen sich ihnen aus polnischem Nationalstolz und Fanatismus an und vollziehen Übergriffe auf Weissrussen und Juden, plündern und produzieren Chaos, zum Teil mit hohen Verlustquoten. Eine mit Polizei und Feuerwehr improvisierte Verteidigung von Grodno wird von sowjetischer Artillerie zerstört. Vereinzelt helfen weissrussische Spezialeinheiten den russischen Truppen.
Es ist der Beginn eines polnisch-weissrussischen Bürgerkriegs (S.37).
BSSR: "Wiedervereinigung" - Streit um Volksanteile der Weissrussen - Diskriminierung der Polen
Die BSSR wird mehr als doppelt so gross. Stalin vollzieht eine "Wiedervereinigung des weissrussischen Volkes in einem einheitlichen sowjetischen Staat", so die Propaganda Moskaus in "Istoija Belorusskoj SSR", 343-368 (S.27).
Die Fläche wie die Bevölkerung verdoppeln sich (S.28) von 5,6 auf 10,4 Mio. Einwohner.
Chiari:
"Die Einwohnerzahl der BSSR stieg 1939 von 5,6 auf 10,4 Millionen"
In: Iwanow, Nikolaj: The Byelorussians of Eastern Poland under Soviet Occupation 1939-1941; Aufsatz in:
Sword: The Soviet Takeover of the Polish Eastern Provinces, S.255
[...] "Beitrittsgebiet [...] bei einer Gesamtbevölkerung von 4.125.000 Menschen" (S.29).
In: Piotr Eberhardt: Struktura narodowsciowa Polski, Aufsatz in: Spoleczenstwo bialoruskie, litewskie i polskie, S.53
Verschiedene Statistiken
Gemäss sowjetischer Statistik machen die Weissrussen "in den annektierten polnischen Gebieten" 62 % aus. Dagegen spricht Piotr Eberhardt für das weissrussische "Beitrittsgebiet" von
48 % Weissrussen (also 1,9 Mio.)
36 % Polen (also 1,485 Mio.) und
rund 9 % Juden, (also 388.000), zusammen 3.773.000 Personen (S.29).
In:Piotr Eberhardt: Struktura narodowosciowa Polski pólnocno-wschodniej w latach trzydziestych XX wieku; in: Spoleczenstwo bialoruskie, litewskie i polskie, S.44-56 (S.29, 345).
Ab sofort wird die polnische Kultur in der West-BSSR unterdrückt. Die Anpassungsprozesse gehen langsam vor sich (S.29).
[Ergänzung:
Russlands Stalin-Regierung arbeitet dem deutschen Antisemitismus in die Hände
Russland liefert ab sofort Deutschland Flüchtlinge aus, darunter viele Juden, die vor dem Hitler-Regime geflohen waren.
in: Benjamin Pinkus: The Soviet Government and the Jews, 1984, S.84].
20.9.1939 ca.
West-BSSR und Ost-Galizien: Kriegsgefangenschaft für Polen - Weissrussen und Ukrainer werden freigelassen
Ungefähr 250.000 Menschen geraten in russische Kriegsgefangenschaft. 130.000 polnische Soldaten und Offiziere werden gefangen gehalten. Ukrainer und Weissrussen werden grösstenteils freigelassen, wie auch die meisten der deutschen Minderheit (S.46).
ab 20.9.1939
BSSR: Hoffnungen der Weissrussen auf Russland - polnische Hoffnungen auf Russland gegen die Nationalsozialisten
-- "Segnungen des Sowjetkommunismus"
-- Befreiung von der "rabiaten polnischen Nationalitätenpolitik" 1921-1939
-- Schlagwort der "nationalen Befreiung"
-- Schlagwort der "Klassenemanzipation" (S.38).
In vielen Gemeinden begrüsst die polnische Verwaltung die russische Armee als Verbündeten gegen die deutsche Invasion. Die polnische Bevölkerung verspricht sich durch die Rote Armee einen gewissen Schutz.
Die Bevölkerung ist zu jeder Kollaboration bereit. Es bilden sich spontane Arbeitermilizen, die politische Aufgaben übernehmen (S.38).
und u.a. nach "Feinden der Sowjetunion" suchen.
West-BSSR und Ost-Galizien: "Sowjetisierung"
radikale Umgestaltung der Verwaltung zur Eingliederung in die Sowjetunion (S.37).
Weissrussisch wird neue Landessprache - Landverteilung durch neue Bauernkomitees
Währenddessen treffen 28 kommunistische Redaktionsteams zur Gleichschaltung der Presse ein.
Gerüchte und Hoffnungen:
-- die weissrussische Bevölkerung versteht die Legalisierung der weissrussischen Sprache bereits als Befreiung
-- Gerüchte, die vom NKWD gestreut sind, werden zur "Wahrheit", weil keine andere Information existiert
-- im v.a. polnisch bewohnten Byten manipuliert der NKWD z.B. die Bevölkerung, die Rote Armee mit roten Fahnen zu empfangen
-- neu gegründete Bauernkomitees verteilen Land und Vieh an mittellose Landarbeiter, z.B. im Gebiet um Baranow, um Wilna u.a.
-- Verbreitung sowjetischer Zeitungen wie Prawda, Izvestija, Zvezda und Sovet'skaja Belorus
-- der Begriff "Polen" wird in den Sowjetmedien zum historischen Begriff, meist abwertend gemeint (S.39).
ab 23.9.1939
Ostpolens Bevölkerung in der West-BSSR und in Ost-Galizien
zusammen 13 Mio. Einwohner, aufgeteilt in
-- 5.270.000 Polen: 40 %
-- 4.530.000 Ukrainer: 34 %
-- 1.960.000 Weissrussen und "Hiesige": 14,7 %
-- 1.110.000 Juden: 8,4 %
Über die Statistikgrundlage sagt Chiari:
<Ausschlaggebend für die Statistik war die Muttersprache, Zahlen gerundet nach Siemaszko: The Mass Deportations of the Polish Populations to the USSR 1940-1941; in: Sword: The Soviet Takeover of the Polish Eastern Provinces 1939-1941. New York, 1991; S.230>
weitere Quellen für die Statistik der russischen Deportationen 1939-1941:
-- W. Wielhorski: Los Polaków w niewoli sowieckiej. London, 1965
-- W. Wielhorski: Trzy pytania i trzy odpowiedzi. London, 1964
-- Nedim Ögelman: Ethnicity, Demography and Migration in the Evolution of the Polish Nation-State; in: Polish Rewiew (PR), 40/1995,2, S.165
-- Kersten, Krystyna: International Migrations in Poland after World War II; in: Acta Poloniae Historica, 19/1968, S.58
Sowjetisch besetztes Ostpolen: Etwa 1.270.000 Juden
in der West-BSSR, Ost-Galizien und Südlitauen. Im jüdischen Kollektivbewusstsein ist die Herrschaft der Roten Armee die bessere Lösung als eine deutsche Okkupation (S.234).
Für die polnische Bevölkerung Ostpolens ist die russische Besetzung eine Tragödie. Sie werden rechtlos (S.234).
West-BSSR: Requirierungen für die Rote Armee
Die Rote Armee requiriert Nahrungsmittel und andere Güter, zum Teil ohne jede Quittung. Alkohol wird zur Ersatzwährung. Flüchtlingsstrom aus den deutsch besetzten polnischen Gebieten (S.41).
Ende Sep 1939
Moskau-Berlin: Endgültige Festlegung der deutsch-sowjetischen Grenze
(S.37
Okt 1939
West-Polen: Suche nach deutschen Landwirten für West-Polen - "Landhunger"
für west-polnische Grossbetriebe oder die Betreuung von kleinen und mittleren Betrieben. Den zukünftigen Landwirten wird auch der Besitz von Höfen versprochen. Daraus ergibt sich ein grosser Andrang von Bewerbungen mit "Landhunger" (S.69).
West-BSSR und Ostgalizien: Bialystok und Lemberg: "positive" Abstimmungen über den sowjetischen Anschluss
Die positiven Abstimmungen in Bialystok und Lemberg (S.37) mit überwältigender Mehrheit für die Sowjetunion (S.37-38) werden fortan von allen sowjetischen Historikern als Beweis der "revolutionären Begeisterung" zitiert (S.38).
West-BSSR: Sowjetisierung: Inhaftierung von Weissrussen, die 1920 Kommunisten erschossen haben
(S.171)
Wilna-Region wird Litauen angegliedert, 70 % polnische Bevölkerung
Insgesamt teilen sich die 470.000 Menschen in
-- knapp 70 % Polen [also 329.000]
-- 14 % Juden [also 65.800]
-- 9 % Litauer [also 42.300]
-- 4 % Russen [also 18.800]
-- 3 % Weissrussen [also 14.100]
in der Stadt Wilna allein:
127.000 Polen, 56.000 Juden, 7000 Russen und knapp 2000 Weissrussen, 3000 andere, zusammen 195.000 (S.282).
BSSR/Drazno: Russische Kommandos erschiessen Weissrussen als Rache für Überfälle auf Transporte der Roten Armee
(S.281)
Okt 1939-Juni 1941
Westpolen: deutsche Kollektivstrafenpraxis und Fluchtwelle
-- die Polen werden im deutsch besetzten Polen als Untermenschen bezeichnet
-- ständiges Gebrüll deutscher Besatzer gegenüber Polen: "Schnell! Schnell!", um Nervosität und Angst zu verdecken und um die schrecklichen Greuel zu bewältigen (S.270).
Praxis der Kollektivstrafen durch die deutsche Besatzung (S.280). Flucht von "wahrscheinlich 300.000" Juden in die West-BSSR und nach Ost-Galizien. Die russischen Behörden versuchen, die Wanderungsbewegung zu unterbinden (S.234).
West-BSSR: "Sowjetisierung"
Propaganda der "Wiedervereinigung"
Die sowjetische Geschichtsschreibung propagiert, die BSSR sei wiedervereinigt worden. Dies ist eine geschönte Umschreibung für das, was in den nächsten zwei Jahren passiert, nämlich eine erste Zerstörung der Gesellschaft.
Polen sehen Weissrussen und Juden dabei als "Kriegsgewinnler", wobei der Aufstieg für Weissrussen und Juden durch die sowjetische Besetzung der Führungsposten begrenzt ist. Der NKWD misstraut der ganzen Bevölkerung der West-BSSR, weil diese im "bourgeoisen polnischen Staat" gelebt habe (S.307).
Chancengleichheit auf Arbeit für Weissrussen und Juden - Diskriminierung der Polen - Schwarzhandel und steigende Kriminalität durch Desorganisation an der Mittelschicht
Polen werden ab sofort diskriminiert und bleiben ohne Aufstiegschance. Polnische Funktionsträger werden von den Sowjetbehörden mehr und mehr entfernt und sind bei Arbeitsvergabe benachteiligt.
Wegen fehlender Organisation und daraus resultierendem Rohstoffmangel müssen Fabriken schliessen.
Verstaatlichung von Banken, Fabriken und Eisenbahn. Zusammenfassung kleiner und mittlerer Betriebe in Kombinaten. Es herrscht ein eklatanter Warenmangel durch Reglementierungen (S.41). In der Folge entwickeln sich Schwarzhandel und Diebstahl trotz drakonischer Strafen (S.42). Durch Entlassung und Gefangennahmen vieler Polen flüchten Polen in deutsch besetzte polnische Gebiete (S.292).
Widerstand der polnischen Bevölkerung gegen die Sowjetisierung - erste polnische Partisanen ZWZ
Die polnische Bevölkerung organisiert gegen die Sowjetisierung einen Widerstand in Untergrundstrukturen: "Gemeinschaft des bewaffneten Widerstands" / "Zwazek Walki Zbrojnej" / ZWZ. Beginn mit von Warschau aus gelenkten Partisanentätigkeit (S.280).
Minsk: Beginn der Deportationen der Bourgeoisie - Aufstieg für untere Schichten
Beginn der Deportationen der vor allem jüdischen Funktionsträger der weissrussischen Wirtschaft. Die Deportationen schaffen ein Vakuum für andere Bevölkerungsgruppen, so dass viele Menschen aus den unteren Schichten einen Aufstieg beginnen können, darunter viele arme Juden. Die ärmeren Menschen begrüssen deswegen die sowjetische Besetzung (S.42).
Gleichzeitig:
-- Aufstiegschancen für die Unterdrückten und Unterprivilegierten
-- Ausschreibung von Stellen für Weissrussen und Juden
-- Polen werden diskriminiert, was zu gesellschaftlichem Zündstoff führt (S.234).
Vernichtung der jüdischen Kultur - Überleben in Nischen
Gleichschaltung aller jüdischen Organisationen. Jüdisches Kulturleben und Religionsleben wird vernichtet und verboten (S.42). Trotz der tiefgreifenden Deportationen kann in der BSSR die jüdische traditionelle Lebensweise in Nischen überdauern.
Chiari:
(S.235).
Minsk: Die weissrussische Intelligenz gilt als "nationalistisch" - Deportation
Die kleine weissrussische Intelligenz sieht sich betrogen, wird von den Sowjets als "Nationalisten" und "Reaktionäre" abgestempelt und werden sofort diskriminiert und deportiert (S.42).
West-BSSR: Die Sowjets lassen Hass und Gewalt zwischen Polen, Weissrussen und Juden zu
"Zulassen von Gewalt im privaten Bereich" zwischen Polen, Juden und Weissrussen ist planmässiges sowjetisches Mittel, um die Übermacht zu bestätigen und zu "regeln".
Chiari:
<Die sowjetischen Behörden griffen in die spontan ausbrechende Gewalt nicht ein, welche in der ethnisch zerrissenen Gesellschaft auf das Ende der polnischen Staatsmacht folgte. [...] die Sowjets forderten in Westweissrussland die Menschen unverhohlen auf, persönlich offenstehende Rechnungen zu begleichen. Die Zulassung von Gewalt im privaten Bereich war von Anfang an ein wichtiges Kennzeichen des neuen Regimes.> (S.42-43)
Ost-BSSR: Deportationen im Ostteil - Demonstrationen im Westteil - Misstrauen der Sowjets in der West-BSSR
In der Folge von "Säuberungen" in der Ost-BSSR organisiert die Bevölkerung des Westteils Loyalitätskundgebungen, um nicht deportiert oder erschossen zu werden. Viele Mitglieder der oberen Schichten meinen, sie könnten sich mit Kollaboration retten.
Die Sowjetfunktionäre sind derart misstrauisch, dass sie in der West-BSSR bis 1940 niemanden der alten KP (KPZB) in die neu gegründeten Kommunistischen Parteien aufnehmen, ausser, wenn die Person über fünf Empfehlungen der KPdSU verfügt. Stalin behauptet bis zu seinem Tod, die KPZB sei vom polnischen Geheimdienst aufgebaut (S.43).
West-BSSR: Auflösung des sozialen Netzes der katholischen Kirche und der Schulen. Die neuen sowjetischen Cliquen reissen alle Macht an sich
-- unternehmen Requirierungsstreifzüge
-- unternehmen Aktionen zur Parzellierung und Neuverteilung des Bodens
-- für eigene Ziele wird so viel abgezweigt, wie sie für notwendig erachten. Folgen:
->> willkürliche Bereicherung, Bevorteilung und Bestrafung
->> es breitet sich Angst vor Denunziationen und Habsucht der Nachbarn aus, trotz loyaler Haltung zum sowjetischen Staat
->> die Polen in der West-BSSR werden völlig entrechtet
->> die Weissrussen der West-BSSR werden von den Sowjets ebenfalls diskriminiert, weil sie das Pech hatten, unter den Polen gelebt zu haben (S.43).
West-BSSR: Etablieren des sowjetischen Spitzelsystems
-- Blockwarte bewachen Wohnhäuser, "verdächtigen" Personen werden die Schlüssel abgenommen, so dass diese sich jeweils melden müssen
-- Razzien auf Bahnhöfen, um das Entstehen von Wiederstandsgruppen zu verhindern, um Flüchtlinge aufzuspüren und um Schmuggel und Schwarzhandel zu bekämpfen
-- Hausdurchsuchungen mit willkürlichen Konfiskationen zur Bereicherung
->> willkürliche Verhöre von beobachteten Personen und Abfragen von Gesprächen, bei Differenzen Untersuchung und Verfahren
->> viele Inhaftierungen von Männern lassen die Familien verarmen
->> Erfassung der "Wehrpflichtigen" bis März 1940 (S.44).
Folgen in der kollektiven Wahrnehmung bei den Weissrussen der West-BSSR:
-- Erinnerungen an das Chaos von 1920 an die Zeit des russisch-polnischen Krieges werden wach
in: Isaak Babel: Die Reiterarmee, 1994 (russ. Konarmija, 1926)
-- einzelne Befürchtung an die Zarenherrschaft und Deportationen von 1917
-- zum Teil bewirkt die Sowjetisierung die Hinwendung zum Aberglauben
-- Polen werden pauschal als Kulaken und Ausbeuter diffamiert und zum Teil von jüdischen und weissrussischen Nachbarn angegriffen (S.45).
BSSR: Spaltung der Bevölkerung durch die Gleichschaltung - Sowjet-Propaganda gegen Polen
Die Gleichschaltung funktioniert nicht, denn die Abonnentenzahl bei den russischen Zeitungen Prawda, Izvestija, Zvezda und Sovet'skaja Belorus steigt nicht, sondern sinkt. Dafür werden Schulen und Bildungseinrichtungen zu Zentren der sowjetischen Indoktrination der Russifizierung und Belorussifizierung (S.39).
Sowjetische Propaganda behauptet, Polen habe in den besetzten Gebieten Belorusslands 1921-1939 ausbeuterischen Kolonialismus betrieben. Die Landschaft von Wilna bis Polesien würde "Kennzeichen halbkolonialer Länder" tragen (S.39-40).
Zudem gehen Gerüchte über Privatisierungen umher, die durch die sowjetische Propaganda genährt werden (S.40).
West-BSSR: Enteignungen durch Russen ohne Kompensation - Bauern verweigern Kollektivierung - Inflation
Manche Polen werden zugunsten neuer russischer Machthaber und Funktionäre enteignet, zum Beispiel Wohnungen requiriert (S.276). Ebenso ergeht es Gutsbesitzern, Kirchen, Klöster und Liegenschaften von Wohlhabenden.
Die meisten Bauern sperren sich gegen die Schaffung von Grossbetrieben, so dass die Kollektivierung nur schleppend verwirklicht wird. Es kommt zu einem Gütermangel und zu Inflation, vor allem für landwirtschaftliche Produkte (S.40).
West-BSSR: Ersetzen der Kaderstellen durch Russen - Überschwang - Kasernierung der russischen Soldaten, um den Lebensstandard vor ihnen zu verbergen
Die Kaderstellen werden ausgetauscht und sowjetisch besetzt: 700 KP-Mitglieder und 8000 Komsomol-Mitglieder beherrschen den Staatsapparat. Gründung kommunistischer Parteistrukturen und Komsomol-Strukturen. Bis Mai 1940 werden 960 neue Parteiorganisationen mit 9000 Mitglieder und 24.000 Komsomol-Mitgliedern geschaffen, die aber fast alles russische Neuankömmlinge sind. Die Einheimischen beteiligen sich kaum daran (S.40).
[Es entsteht Wohnungsnot].
Die Gleichschaltung entfaltet eine nicht mehr kontrollierbare Eigendynamik (S.40-41). Bewerber werden kaum noch geprüft, Funktionsträger willkürlich ernannt. Zum Teil veranstalten Gruppen der KP im Überschwang Alkoholrandale, die streng geahndet werden.
Gleichzeitig werden die sowjetischen Soldaten durch den im Vergleich zur Sowjetunion hohen Lebensstandard in der BSSR verunsichert. In der Folge werden die sowjetischen Soldaten in ihren Kasernen eingesperrt (S.41).
West-BSSR: kein Widerstand in der Verwaltung gegen Sowjetisierung
weil die zivilen Verwaltungsstellen kollaborieren [bzw. bei Widerstand die Deportation droht] (S.13-14).
ab Okt 1939
London: Aufbau der "Armia Krajowa" / "Heimatarmee" in Polen und in Weissrussland - Gegenwehr der weissrussischen Bevölkerung mit Erinnerung an 1920
Die polnische Exilregierung in London bemüht den Aufbau einer polnischen Untergrundarmee "Armia Krajowa", vorerst mit der Aussicht auf Zusammenarbeit mit England und Russland (S.281). Zum Teil werden polnische Einheiten in Russland von der Roten Armee ausgebildet. Die Heimatarmee bleibt militärische bedeutungslos. Bis 1942 schwankt sie politisch zwischen englischen und russischen Positionen (S.282). Die "Armia Krajowa" kommt ins Spannungsfeld mit der weissrussischen Bevölkerung. Die Erinnerung an die polnischen Greuel von 1919/1920 kommen bei Weissrussen wieder hoch und entwickeln eine entsprechende Gegenwehr gegen jede polnisch-nationale Bewegung (S.270).
Nov 1939
Brest: gemeinsame deutsch-russische Militärparade zum Untergang Polens
Die deutsche und die sowjetische Armee feiern den Untergang Polens (S.306) und die Besetzung der jeweils zusätzlichen Landesteile (S.307).
Raum Bialystok, Augustow, Grodno: erste bewaffnete polnische Partisanengruppen - polnischer Widerstand ZWZ
Aufbau von polnischen Partisanengruppen mit Untergrundstrukturen der "Gemeinschaft des bewaffneten Widerstands" / "Zwazek Walki Zbrojnej" / ZWZ mit Lenkung aus Warschau, Organisationszentrum in Bialystok, mit Ablegern in den Regionen Augustow und Grodno. 4000 Mitglieder: Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften (S.280).
Wilna: Polnische Widerstandsgebiete um Wilna gegen die Rote Armee, polnische Freikorps
(S.281)
Nov 1939 ca.
West-BSSR: Domatschevo: Gründung einer kleinen Bürgermiliz durch einen polnischen Rechtsanwalt
(S.266); Ausrüstung mit Gewehren von kommunistischer Seite. Mitglieder sind vor allem Freiwillige aus verarmten Familien. Domatschevo selbst hat einen hohen jüdischen Anteil. Zum Teil arbeiten Weissrussen, Ukrainer und Polen für jüdische Arbeitgeber (S.267).
ab Anfang Nov 1939-Juni 1941
BSSR: Teilweise Zusammenarbeit zwischen polnischem Widerstand ZWZ und der Roten Armee
Teilweise Zusammenarbeit zwischen dem polnischen Widerstand ZWZ in Absprache mit der Roten Armee mit dem Ziel des "Zerschlagen marodierender Gruppen", z.T. ist die Zusammenarbeit von der Exilregierung in London befohlen. Meist sind die Abkommen zwischen ZWZ und Roter Armee aber nicht mehr als Stillhalteabkommen (S.283).
2.11.1939
Moskau: Formelle Annektierung des weissrussischen Territoriums
(S.38)
29.11.1939
Moskau: Dekret zur Staatsbürgerschaft: die neuen "Sowjetbürger"
Moskau macht per Dekret alle Einwohner der neu besetzten Gebiete zu "Bürgern der Sowjetunion". Dies betrifft Weissrussen, Ukrainer und dort lebende Juden. Gleichzeitig bleibt die Staatsbürgerschaft der Polen in Weissrussland ungeklärt. Polen bleiben Polen (S.38).
Kurze Zeit nach dem 1.10.1939/ab 1.12.1939 ca.
BSSR: an Polen glaubt niemand mehr
Niemand glaubt daran, dass Polen je noch einmal auferstehen würde (S.45).
West-BSSR: Wohnungsnot
Russische Soldaten und Offiziersfamilien belegen Arbeits- und Wohnraum und schlafen auch in Scheunen. Es herrscht eine totale Wohnungsnot. In der Folge kommt es zu Ausweisungen und Umsiedlungen, was die Bevölkerung bisher noch kaum erlebt hat (S.45).
West-BSSR: Diskriminierung der gesamten Bevölkerung durch Einführung des Rubels - Sowjetisierung wird zum "Pulverfass" - der Polizeistaat
Durch die Einführung des Rubels verliert die gesamte Bevölkerung einen grossen Teil der Sparguthaben in polnischer Währung. Die Bevölkerung verarmt zusätzlich (S.45). Die Besatzer dagegen können mit ihren Rubeln, die sie direkt aus Moskau erhalten, alles aufkaufen. Insgesamt entsteht eine explosive Situation, die die sowjetischen Machthaber mit polizeistaatlichen Mitteln beherrschen will (S.46). Widerstand ist wegen des gut funktionierenden Militär- und Polizeiapparats von vornherein nur in kleinen Gruppen möglich (S.42).
Mitteleuropa: Sowjetisierung der West-BSSR verstärkt die weissrussische Diaspora im Ausland
(S.114)
Wilna: Gründung eines Kreises für die "Wiedergeburt" Weissrusslands
Gründung eines weissrussischen Intellektuellenkreises, der sich für die "Wiedergeburt" Weissrusslands einsetzt, mit Bezug auf die Gründung Weissrusslands von 1917 im Vertrag von Brest-Litowsk (S.98).
Ende 1939 ca.
UdSSR / BSSR: Ausbau der Grenze zum deutsch besetzten Polen - Durchlässigkeit
Die Sowjetunion baut die Grenze der BSSR zum deutsch besetzten Teil Polens aus: Entvölkerung eines 1km breiten Geländestreifens, Vertreibung der Bevölkerung, Häuserabbruch, Bau von Feldbefestigungen mit einer Tiefe von bis zu 30km. In der Folge verschwinden jahrhundertealte Siedlungen, Wirtschaftsstrukturen und Betriebe innert weniger Tage. Die Ausrichtung der Region wird neu in Richtung Minsk befohlen. Alle Verbindungen zu Warschau müssen abgebrochen werden (S.38).
Damit entstehen neue Bezugspunkte und neue Schwerpunkte in der Gesellschaft (S.28). Gleichzeitig bleibt die Grenze zwischen der BSSR und dem deutsch besetzten Polen aber schlecht bewacht und für Flüchtlinge durchlässig (S.41).
Westpolen: Vernichtung der polnischen Elite
Parallel zur russischen Grenzbefestigung beendet die deutsche Besetzung in Polen die Vernichtung der polnischen kulturellen und geistigen Infrastruktur (S.38).
Ende 1939-Mai 1941 ca.
West-BSSR und Ost-Galizien: Deportationen Stalins
Quellen: Zahlenangaben und Analysen in:
-- Gerhard Simon: Instrumente der Sowjetisierung in den annektierten westlichen Gebieten der Sowjetunion 1939-1950; in: Hans Lemberg (Hg.): Sowjetisches Modell und nationale Prägung. Kontinuität und Wandel in Ostmitteleuropa nach dem 2.Weltkrieg. 1991, S.13-20
-- Jan T.Gross: Revolution from Abroad. The Soviet Conquest of Poland's Western Ukraine and Western Belorussia; Princeton/N.J. 1988
-- Jan T.Gross: Und wehe, du hoffst.. Die Sowjetisierung Ostpolens nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939-1941; Freiburg 1988
-- Keith Sword (Hg.): Deportation and Exile. Poles in The Soviet Union, 1939-1948. 1994 (S.20).
In der Folge entsteht durch neue Gewinner und Verlierer und die Deportationen neuer Hass in der Bevölkerung (S.3).
Stalin-Deportationen Ende 1939-Mai 1941ca.
Die Anzahl der von Stalin nach Sibirien deportierten "bürgerlichen Elemente" gemäss Chiari
als "politische Disziplinierung" bis Juni 1941 deportiert:
-- 840.000 Polen: 15,9 % der polnischen Bevölkerung Ostpolens
-- 280.000 Juden: 25,2 % der jüdischen Bevölkerung Ostpolens
-- 217.000 Ukrainer: 4,79 % der ukrainischen Bevölkerung Ostpolens
-- 91.000 Weissrussen: 4,6 % der weissrussischen Bevölkerung Ostpolens
insgesamt: 1.428.000 Menschen, 13,3 % der Bevölkerung Ostpolens (S.46).
Von den 1,428 Mio. Deportierten sind 990.000 "Unzuverlässige" und werden nach Ostsibirien deportiert, davon sind nur 250.000 von sowjetischen Gerichten verurteilt. Zum Teil werden die Deportierten zur Arbeit in gigantischen Sowjetwerken wie z.B. im Stahlkomplex Magnitogorsk gezwungen. Die sowjetische Geschichtsschreibung macht aus den Deportationen "freiwillige Übersiedlungen von Arbeitslosen" (S.47).
Die Anzahl der von Stalin nach Sibirien deportierten "bürgerlichen Elemente" gemäss Tec
Es werden die Mittel- und Oberschichten deportiert, um die kapitalistische Bourgeoisie zu vernichten und die Regionen politisch zu "stabilisieren". Zahlen aus Tec, Bewaffneter Widerstand, 1996, S.32:
insgesamt 1,5 Millionen
unterteilt in :
-- 750.000 Polen (50 %)
-- 450.000 Weissrussen (30 %)
-- 300.000 Juden (20 %)
In: Tec: Bewaffneter Widerstand, 1996, S.32, 37
1940
Warschau: Der Pole A.K.Demideckij-Demidovitsch tritt dem "Weissrussischen Nationalkomitee" bei
und glänzt durch gute Landes- und Sprachkenntnisse, weil er im russisch-polnischen Krieg die Landschaft "kennengelernt" hat (S.99).
BSSR: Sowjetisierung und sowjetische Herrschaft durch Zwangs- und Strafsystem - das sowjetische Regime isoliert sich von der Bevölkerung
(S.140)
Minsk während der Sowjetisierung der West-BSSR: Anwachsen auf 240.000 Einwohner
(S.80)
BSSR-Litauen: Kämpfe zwischen der Armia Krajowa und litauischen Polizeieinheiten
(S.282)
ab Anfang 1940
West-BSSR/Armia Krajowa: Regionen Nowogródek, Baranovitschi, Brest: Erste kleine Gruppen
kleine Gruppen von 30-100 Mann (S.282).
ab Jan 1940 ca.
Nowogródek: Polnische Mordaktionen mit irrealer Hoffnung auf Hilfe durch den "Westen"
Nordöstlich von Nowogródek greifen polnische Partisanen sowjetische Patrouillen an, erschiessen "verdächtige" Sowjethelfer und plündern Geschäfte, in der Hoffnung, der "Westen" werde ihnen gegen die Besetzung helfen (S.281).
Feb 1940
Stalin-Deportationen
West-BSSR und Ost-Galizien: Erste Deportationswelle: Ca. 220.000 nach Sibirien - Spaltung der Bevölkerung
Razzia des NKWD gegen die polnischen "Militärsiedler" und die öffentlichen und privaten Forstverwaltungen, darunter Weissrussen, Ukrainer und Nachkommen russischer Siedler aus der Zarenzeit: ca. 220.000. Deportation in sowjetische Lager. Anschuldigungen sind
-- Planung von Aufständen
-- Spionage
-- Sabotage
-- Diversion
-- Propaganda
was nach § 58 alles als "Hochverrat" geahndet wird.
In der Folge ergeben sich immer neue Spaltungen in der Bevölkerung, am Ende eine völlige Zersplitterung (S.47).
März-Mai 1940
Regionen Baranovitschi,Bialystok, Augustow, Biebrza, Narew: Anschläge polnischer Soldaten - Spaltung der Bevölkerung: Polen unterstützen polnische Partisanen, Weissrussen verraten sie - reiche Weissrussen fliehen vor den Deportationen in den Wald: erste weissrussische Partisanen
Die Anschläge finden auch in den Sümpfen entlang der Flüsse Biebrza und Narew statt, zum Teil ausserhalb der zentralen Leitung der ZWZ in Warschau.
Zusätzlich erfolgt:
-- die Organisation von polnischem Widerstand gegen die Sowjetisierung innerhalb der Polizei der Regionen
-- jugendliche Polen und Weissrussen in der Region Baranovitschi und Slonim legen in Schulen Waffenlager an
-- die polnische Bevölkerung beginnt, die polnischen Partisanen zu unterstützen
-- zum Teil werden die polnischen Partisanen von Weissrussen verraten
-- weissrussische wohlhabende Bauern in Byten bei Slonim flüchten in den Wald, um den Deportationen nach Sibirien zu entgehen und bilden die ersten weissrussischen Partisanengruppen (S.281).
BSSR: NKWD ermordet 15.000 polnische Offiziere bei Katyn
(S.46)
[gemäss dtv-Lexikon 1990 sind es "nur" 4100 polnische Leichen, die gefunden wurden; in: dtv-Lexikon 1990, Bd.9, S.247].
Die Auswahl der zu Tötenden geschieht nach Aussehen der Handfläche, weil die Offiziere ihre Dienstgradabzeichen vernichten.
Chiari:
"Fehlende Spuren körperlicher Arbeit konnten für den Betroffenen das Todesurteil bedeuten." (S.47)
In: Jan T.Gross: Und wehe, du hoffst... Die Sowjetisierung Ostpolens nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939-1941; Freiburg, 1988; S.48
ab März 1940
West-Weissrussland: Wehrpflicht für Russland: 200.000 Wehrpflichtige
der Jahrgänge 1917-1922 werden in Lehrgängen ausgebildet, mit Ideologisierung, "Staatskunde" und Russisch. Wehrdienstverweigerung wird mit Deportation der gesamten Familie bestraft. Die Musterungskommissionen haben bei der Musterung keine hohen Ansprüche, zum Teil ganz ohne ärztliche Kontrolle. Viele junge Männer werden in Baubataillone eingeteilt, weit von ihren Familien entfernt (S.44).
Apr 1940
West-BSSR und Ost-Galizien: Zweite Deportationswelle: Ca. 320.000 v.a. nach Kasachstan
betroffen sind diesmal
-- alle Offiziellen der ehemaligen polnischen Armee
-- Lehrer
-- Unternehmen
-- Geschäftsleute
-- Politiker
-- Anwälte
-- nationalistische "Aktivisten" von weissrussischer, jüdischer und ukrainischer Seite
-- wohlhabende Bauern
-- Führer von Zeitungen und parlamentarischen Gremien
insgesamt gemäss Chiari vermutlich 320.000 Menschen, die meisten nach Kasachstan (S.48).
15.4.-5.6.1940
West-BSSR und Ost-Galizien: Bevölkerungsaustausch mit Hitler-Deutschland
15.000 Polen und 67.000 Deutsche mit polnischer Staatsbürgerschaft in russisch besetzten Gebieten werden in deutsch besetztes Gebiet abgeschoben. Im Gegenzug werden 35.000 Weissrussen und Ukrainer aus West-Polen in die russisch besetzten Gebiete der West-BSSR und Ost-Galizien abgeschoben.
Hitlers Seite bekommt 47.000 Menschen mehr als Stalins Seite (S.48).
ab April 1940
Dänemark: Deutsche Besetzung und kollektiver Widerstand
Dänemark entzieht sich durch kollektiven Widerstand der Verwaltung dem Befehl zur Beteiligung am Holocaust (S.14).
in: Jacques Semelin: Unarmed against Hitler. Civilian Resistance in Europe 1939-1943
Mai 1940
West-BSSR: polnische Partisanen streben nach einem neuen Polen - Chance in Ostpolen ist grösser
Der Bericht von polnischen Offizieren der polnischen Partisanen an die Zentrale des polnischen Widerstands ZWZ schätzt die Chancen für eine Neugründung Polens in Ostpolen unter den Sowjets besser ein als in Westpolen unter der deutschen Besatzung, weil die Sowjets keine Kollektivstrafen gegen Anschläge anwenden würden (S.280).
ab Juni 1940
Stalin-Deportationen
West-BSSR und Ost-Galizien: Deportation von Polen und jüdischen Flüchtlingen: 240.000
Dabei handelt es sich um Flüchtlinge aus dem deutsch besetzten West-Polen, die weder nach West-Polen zurückkehren wollen noch einen sowjetischen Pass annehemen möchten. In der Folge gelten diese Menschen als "unzuverlässig" und werden in sowjetische Lager deportiert:
-- 98.400 Polen: 41 %
-- 141.600 Juden: 59 %
insgesamt 240.000 (S.48).
Diejenigen, die in die deutsch besetzten Gebiete zurückkehren wollen, wird der Rücktransport versprochen. Darunter sind bis zu 30 % Juden (S.48).
in: Keith Sword (Hg.): Deportation and Exile. Poles in the Soviet Union 1939-1948. 1994, S.6-17
[Ergänzung:
-- deutsche Frankreichbesetzung mit Luxemburg, Belgien und Holland
-- die Sowjetunion besetzt das neutrale Litauen als "Kompensation"].
1941
Juni 1941
Ost- und West-BSSR: Bevölkerungsverteilung: Die deutsche Schätzung
-- 7,9 Mio Weissrussen unterteilen sich in
-- 940.000 Juden
-- 930.000 Polen
-- 590.000 Russen
-- 160.000 Ukrainer
-- 90.000 Litauer
-- 6.500 Deutsche
insgesamt: 10.616.500 Menschen (S.48).
in: Eugen Freiherr von Engelhardt: Weissruthenien. Volk und Land, Berlin/Amsterdam/Prag/Wien 1943:
[In der hohen Schätzung für Juden scheinen Halbjuden, Vierteljuden, Achteljuden und 16tel-Juden miteingeschlossen].
ab 22.6.1941
BSSR: Die deutsche Besetzung der BSSR
Panische Evakuierung des russischen Funktionspersonals durch die Rote Armee
(S.49); Abzug der sowjetischen Kader durch die Rote Armee (S.123) und Abzug aller weissrussischen politischen und wirtschaftlichen Gremien nach Russland mit der Roten Armee (S.96).
[Ergänzung:
Alle Weissrussen, die wollen, können mit der Roten Armee nach Russland ziehen, um gegen den Faschismus zu kämpfen.
in: Tec: Widerstand, S.43].
Grosse Flucht mit der Roten Armee ins Innere Russlands
Knapp 1/8 der weissrussischen Juden zieht mit der Roten Armee nach Russland
und entgeht der Judenverfolgung unter dem Hitler-Regime.
Chiari:
<Nur jeder achte Jude entkam dem nationalsozialistischen Holocaust in Weissrussland [mit eingeschlossen der Tod bei Partisanengruppen, Morde von Polen und Weissrussen an Juden, Verrat an Juden und die toten Juden bei der 'Jagd auf Deutsche' ab 1943, Tote in der Roten Armee]. Die meisten Überlebenden verdankten ihre Rettung der sow- (S.314) jetischen Evakuierung 1941.> (S.315)
[Dadurch bleibt eine nazifreundliche weissrussische Bevölkerung in der BSSR übrig, die auf Verbesserung der Lebensumstände durch das Nazi-Regime hofft.
Ausserdem ist es wahrscheinlich so, dass viele Juden, die z.T. schon seit Generationen mit Christen verheirtatet sind, keine Flucht unternehmen bzw. überhaupt nicht an Flucht denken].
West-BSSR: Begrüssung der deutschen Besetzung
vor allem mit Racheenergie wegen der Deportationen Stalins (S.48).
[Es ist nur logisch, dass diejenigen Weissrussen, die sich die deutsche Besetzung ausgesucht haben, diese begrüssen und zunächst kollaborieren].
Viele Bauern hoffen auf eine bessere ökonomische Lage unter dem Hitler-Regime (S.141). Teile der Bevölkerung hoffen auf ein unabhängiges Weissrussland. Das Bild vom "eisernen deutschen Soldaten" und deutscher Propaganda in Russisch (S.129) gegen den Weltfeind "Bolschewismus" (S.130) weckt allgemeine Hoffnung auf Vernichtung der "gottlosen Sowjets" (S.129). Viele Dorfälteste unterstützen bis Ende 1942 aktiv das Hitler-Regime (S.141).
Slonim: Zerstörungen durch Luftangriffe, aber kaum Militär in der Stadt
(S.96)
BSSR: russische Verwundete in Spitälern - Sprachbarriere macht Deutsche lächerlich - Aufbau einer einheimischen Polizei für Propaganda
Bericht von I.I. Stavrovskij an die russischen Untersuchungsbehörden (1944):
-- Verwundete russische Soldaten werden von der Bevölkerung in zivilen Krankenhäusern versorgt
-- totale Sprachbarriere gibt in der Bevölkerung Anlass zur Belustigung über die deutschen Besatzer (S.96).
Die einheimische Polizei erfüllt in der ersten deutschen Besatzungszeit auch Propagandafunktion. Deutsche Kräfte sind auf dem Land kaum präsent (S.163).
ab 25.6.1941 ca.
BSSR: deutsche Nazifizierung
Deutsche Aufrufe zur Abgabe allen Kriegsmaterials (S.96). Rotarmisten auf der Flucht müssen bei Bauern Zivilkleidung erbetteln (S.148).
Ungewissheit und Hoffnungen bei den Zurückgebliebenen - jüdische Berichte über West-Polen werden immer noch als Erfindungen abgetan
Zurückbleibende Weissrussen, Polen und Juden wissen nicht, was die deutsche Besatzung mit ihnen machen wird. Manche erhoffen sich Aufstieg und Vorteile. Gleichzeitig haben sie Sorgen um Angehörige, die verschleppt, geflüchtet oder verschollen sind. Anträge auf Suche nach Vermissten bringen sie zum ersten Mal mit den deutschen Autoritäten in Verbindung. Es kommt zur grossflächigen Kollaboration durch alle Schichten. Kollaborierende Verwaltungsleiter sind z.B. Radoslav Ostrovskij, Ivan Ermatschenko und Vincenty Gadjevskij (S.97).
Manche Teile der jüdischen Bevölkerung glauben die Berichte der jüdischen Flüchtlinge aus dem deutsch besetzten Teil Polens über die Greuel der deutschen SS an Juden immer noch nicht, weil ihnen die relativ ruhige deutsche Besetzung im ersten Weltkrieg 1914-1917 noch immer präsent ist. Sie glauben auch, bei den Greueln im deutsch besetzten Polen handele es sich um den Ausdruck der deutsch-polnischen Feindschaft dieser Zeit. Deswegen u.a. setzen manche jüdische Repräsentanten auf Kooperation.
(telefonische Information von Bernhard Chiari, 12.12.2000)
ab Juli 1941
BSSR: Die Macht des deutschen Besatzungsregimes
Ausgangssperre ab 19 Uhr, auch im Sommer (S.75).
Schliessung aller öffentlichen Bibliotheken bis auf wenige Ausnahmen
(S.93)
Minsk: Das Leben in Ruinen - die katastrophalen Umstände
Bevölkerungsrückgang in Minsk um mehr als die Hälfte der 240.000 Einwohner - Ruinenleben und Kunstraub - Hunger und Transportproblem
Minsk ist eine Trümmerwüste. Nur an der Peripherie stehen alte Wohnviertel, z.B. nahe des Hauptbahnhofs, 7-8km vom Zentrum entfernt, dazwischen eine "Mondlandschaft".
Mehr als die Hälfte der 240.000 Einwohner haben Minsk in Richtung Russland verlassen, darunter die meisten Angehörigen der sowjetischen Intelligenz (S.80).
Die Umstände in der Stadt beinhalten neben der Einrichtung der deutschen Zivilverwaltung das Fehlen öffentlicher Transportmittel (S.80) und den "Ruinenkoller" (S.83). Die Bewohner suchen nach Schlafplätzen in Kellern der Ruinen oder bauen sich Blechhütten, um kürzere Arbeitswege zu haben. Wehrmachtsoldaten und deutsche Offiziere beginnen in Minsk und anderen weissrussischen Städten, Museen und Bibliotheken zu plündern (S.80), wobei die SS der Wehrmacht überlässt, was sie nicht "benötigt".
Chiari:
"In kollegialer Weise gab die SS der Wehrmacht alles, was sie nicht für eigene Zwecke benötigte, zur Plünderung frei." (S.81)
Einschmelzen der Lenin-Statue und Verwendung der Bronze zu Rüstungszwecken (S.81) und katastrophale Lebensmittelversorgung (S.86). Durch den Benzinmangel ist sogar Minsk mit Lebensmitteln unterversorgt, so dass z.B. die Hälfte der benötigten Kartoffeln in Baranovitschi und Novogródek liegen bleibt. Die Bevölkerung erhält Berechtigungsscheine zum selber Sammeln in Umkreisen von 5-10km. Friedhöfe (S.120) und Parks werden zu Gemüsepflanzungen (S.121).
BSSR: Einführung eines Bezugsscheinsystems und Prämiensystems - keine Produktion wegen Energieknappheit - Betriebe laufen für die Wehrmacht
Für fast alle alltäglichen Artikel gelten Bezugsscheine. Kleider können nur aufgrund von Leistungsprämien bezogen werden (S.120). Es steht kaum Strom zur Verfügung. Industrieware existiert praktisch nicht, auch keine Arbeit. Nur die Registrierung zur Arbeit ist wichtig, um Lebensmittelgutscheine zu erhalten (S.121). Die wenigen noch laufenden Betriebe laufen für den Endsieg für die Wehrmacht. Den Betrieben werden andauernd anmassende Deutsche als Vorgesetzte eingesetzt (S.132).
In den Belegschaften bilden sich Gesinnungsfraktionen. Es herrschen dauernde Verunsicherung und Angst (S.133).
[Die Verarmung und die Anfälligkeit der Bevölkerung auf Antisemitismus steigt].
BSSR/Minsk: Aufbau einer Verwaltung
BSSR: West-BSSR mit Minsk heisst in der deutschen Verwaltungssprache "Generalkommissariat Weissruthenien"
(S.27)
[Ergänzung: um die Bezeichnung von Russland abzugrenzen.
in: Gartenschläger: Die Stadt Minsk während der deutschen Besetzung; Magisterarbeit, Köln, 1990, S.23].
Angehörige der Zivilverwaltung heissen aufgrund der Uniformfarbe im Volksmund "Goldfasane" (S.62).
"Weissrussisches Komitee" - die Intelligenz ist weg
Organisation eines "Weissrussischen Komitees" als Kern einer einheimischen Selbstverwaltung.
Die Wehrmacht beklagt das Fehlen einer weissrussischen Intelligenzschicht, die nicht kommunistisch ist. Die Rote Armee hat nach der Version der Wehrmacht alle weissrussischen politischen und wirtschaftlichen Gremien nach Russland mitgenommen (S.96).
Minsk: Deutsche Besatzung sucht loyale Verwaltung und findet u.a. loyale Leute in Deutschland, Polen und Litauen - Verwaltungsaufbau mit Einheimischen - kaum Kontrolle möglich wegen Sprachbarriere
Die kleine weissrussisch-national eingestellte Intelligenz schliesst sich im "Weissruthenischen Selbsthilfewerk" oder in Lokalverwaltungen zusammen, v.a. in Komitees in Bialystok und in Warschau, in weissrussischen Theatern, Museen und wissenschaftlichen Gesellschaften sowie in Redaktionen weissrussisch-nationaler Zeitungen. Die deutschen Stellen machen den weissrussischen Nationalisten Versprechungen für eine "lichte Zukunft" nach einem Blitzsieg in Moskau (S.98).
Die Rayonverwaltungen in Ost-BSSR werden mehrheitlich weissrussisch, in der West-BSSR gemischt besetzt. Die einzelnen Abteilungen sind u.a. Forstverwaltung, Mühlenwesen, Veterinärmedizin, Arbeitsamt, Handel, Jugendwerk, Gendarmerie und Polizeistellen (S.123).
Die deutschen Gebietskommissare bestimmen alle Rayonbürgermeister, die Stellvertreter und die Leiter der Ordnungsdienste, Kolchosen und Sowchosen. Sie kontrollieren dabei die Personalangaben der Qualifizierungen nicht, womit wieder jedwelcher Betrug möglich wird (S.124). Oft müssen eingestellte Leute wegen Inkompetenz oder (S.124-125) aus nationalen Gründen ausgetauscht werden (S.125).
In der militärisch verwalteten Ost-BSSR ist ein sehr hoher Anteil der Verwaltung weissrussisch. Gleichzeitig setzt die deutsche Besatzung aber vielfach polnische Fachleute ein, um die Verwaltung mit qualifiziertem Personal wieder in Gang zu bringen (S.123).
Beispiel Klitschev westlich von Mogilev in der Ost-BSSR:
121 Weissrussen, 19 Polen und 7 Russen in der Verwaltung
Beispiel Telechany in der Region Gancevitschi in der West-BSSR:
-- 1 Holländer als Vorsteher der Gutsverwaltung
-- 2 Ukrainer an der Spitze der Rayonverwaltung
-- 4 Deutsche als Sonderführer und im Handel
-- ein Pole als Buchhalter (S.123).
Weissrussen sind meist nur untergeordnet beschäftigt (S.123):
-- ein polnischer Direktor als Leiter der Schulverwaltung von Telechany leitet mit einem russischen Sekretär 10 weissrussische Lehrer
-- ein Russe als Leiter der Forstabteilung mit 8 untergeordneten Polen und 6 Weissrussen
-- ein Pole als Leiter der Bauabteilung (S.124).
50 % Polen sind in der Polizei, in der Polizei v.a. Arbeiter und Bauern.
In der Folge sind Konflikte vorprogrammiert, ohne dass die deutschen Stellen damit rechnen. Oft sind Lehrer an berufsfremden Stellen eingesetzt (S.124). Die deutsche Seite blockiert zum Teil die einheimische Gemeindearbeit durch "Kontrollwahn" (S.125) und weissrussische Stellen beklagen sich über die deutsche Prioritätenverteilung, die weiter dem "Endsieg" gelte. Gleichzeitig spekulieren deutsche Verwalter auf Ältestenposten nach dem "Endsieg" (S.126).
Warschau?: Das "Weissrussische Nationalkomitee" sucht Männer für den Einsatz im "befreiten" Weissrussland
Der Pole A.K.Denideckij-Demidovitsch meldet sich freiwillig (S.99).
Minsk: Einrichtung einer ersten weissrussischen Selbstverwaltung im Haus des SD
ist eine Gruppe von 20 Weissrussen aus Minsk mit einer kleinen Gruppe aus Warschau.
Ernennung von V.Tumas zum Bürgermeister, des Polen Demideckij, Anwalt aus Warschau, zum stellvertretenden Bürgermeister und Kanzleileiter und höchsten weissrussischen Gerichtsvorsteher. Demideckij lebt in "Saus und Braus", hält mit Alkohol- und Lebensmittelbeständen des SD ausgedehnte Abendpartys, während das Volk hungert (S.99).
Polen brauchen "Unbedenklichkeitserklärungen", wenn sie im Bereich der Selbstverwaltung arbeiten wollen (S.114).
BSSR und Russland: Die deutschen Behörden in Russland bekämpfen und blockieren sich zum Teil gegenseitig
(S.15)
Quellen dazu in:
-- Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im 2.Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945. 1989.
-- Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. 1970
-- Dietmut Majer: Führerunmittelbare Sondergewalten in den besetzten Ostgebieten; in: Rebentisch: Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System. 1986
Besetzte Ostgebiete: Planung der "Säuberungen" mit "Einsatzgruppen" und Planung des Aufbaus
Bildung von "Einsatzgruppen" unter Heinrich Himmler zur Umsetzung der rassenideologischen Zielsetzungen des Feldzugs (S.53). Planung des Aufbaus der besetzten Gebiete nach dem Blitzsieg über Moskau (S.54).
Judenmassaker heisst Schuldenabbau - der erwartete "Blitzsieg"
Viele Bevölkerungskreise sind bei Juden verschuldet und freuen sich, dass durch die deutschen Massaker sich die Schulden in Luft auflösen (S.2). Die deutsche Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung funktioniert mit Hilfe der Beherrschten (S.3).
Die NS-Führung vollzieht in den sowjetisch besetzten Gebieten vor allem die Rassenpolitik am radikalsten [auch wegen der Not der Bevölkerung durch den Produktionsstillstand]. Allfällige gemässigte Kräfte des Besatzungsregimes werden "ausgehebelt". Alle erwarten einen neuen Blitzsieg gegen Russland.
Chiari:
<In den von der deutschen Wehrmacht besetzten sowjetischen Gebieten verwirklichte die nationalsozialistische Führung ihre Politik, vor allem die Rassenpolitik am radikalsten. Gemässigte Kräfte des Besatzungsregimes wurden ausgehebelt, und es entstand eine gigantische und korrupte Klientelwirtschaft [...]
Sie wurde dominiert durch Wehrmacht und SS, doch kämpften die verschiedenen zivilen Institutionen und Behörden ebenfalls um Machtpositionen. In Erwartung eines neuen Blitzkriegserfolges konzipierte die nationalsozialistische Führung einen Apparat, mit dessen Hilfe die besetzten Gebiete wirtschaftlich ausgebeutet und die Wehrmacht aus dem Land versorgt werden sollte.> (S.51).
BSSR: die zerrissene Gesellschaft
Die verwirrend gespaltene Bevölkerung - Unvorbereitete deutsche Behörden - Russen arbeiten für das Reich
Die weissrussische Bevölkerung ist völlig gespalten und kaum zu beschreiben.
Chiari:
"Die Geschichtswissenschaft steht vor dem Problem, nicht zu wissen, mit welcher Bevölkerung sie es auf dem Territorium der BSSR von 1941 eigentlich zu tun hat." (S.17).
Die deutschen Besatzer sind überrascht, dass die Gesellschaft der BSSR zersplittert strukturiert ist (S.3). Die deutschen Behörden sind überhaupt nicht auf die Spezifika der von Stalin gebeutelten BSSR vorbereitet. Das entstandene Hass- und Gewaltpotential ist riesengross und wäre auch von einer erfahrenen Verwaltung kaum beherrschbar gewesen (S.50). Viele kriegsgefangene Rotarmisten kollaborieren nach der Freilassung mit der deutschen Seite (S.148).
Diskriminierungen unter dem deutschen Regime gegen "Volksdeutsche"
"Volksdeutsche" in Weissrussland werden von Gauleiter Kube mit Weissrussen und Polen gleichgestellt, weil sie ja unter dem Kommunismus gelebt hätten und somit eine kommunistische Gefahr bedeuten würden. Sie werden auch dauernd verdächtigt, Juden zu sein, weil Juden auch gut Deutsch könnten. Personen mit "jüdischem Rasseneinschlag" werden auf jeden Fall abgelehnt (S.66).
Unvorbereitete deutsche Verwaltung lässt dem Krieg zwischen Weissrussen und Polen freien Lauf
Die deutsche Unkenntnis über die polnisch-weissrussischen Spannungen setzt innerhalb der West-BSSR ein hohes Mass an Destruktivität frei. Gleichzeitig meint die deutsche "Elite" der SS und der HJ-Funktionäre, in der BSSR eine "Ostkolonisation" realisieren zu müssen (S.308).
Weitere Praktiken in der deutsch besetzten BSSR
-- in Weissrussland beginnen Antragsteller, die Amtsinhaber als Kommunisten zu denunzieren
-- es bewerben sich "Volksdeutsche" ohne deutsche Sprachkenntnisse, z.B. in Siedlungen von Wolgadeutschen, wo die Anträge gegen die Vorgaben auch bewilligt werden
-- als Übersetzer haben sogar jüdische Anträge Chancen
-- zahlreiche Polen versuchen, sich als "Volksdeutsche" zu bewerben, und die Anträge werden zum Teil zugelassen. Wird die Person aber kriminell, wird ihr die Anerkennung als "Volksdeutsche" wieder aberkannt und mit Zwangsarbeit bestraft
-- weissrussische Verwaltung in Minsk agiert gegen Volksdeutsche (S.67), weil die Anstellung von "Volksdeutschen" eine "Eindeutschung" bedeuten würde (S.68).
Penible deutsche Vorschriften in Dörfern
Deutsche Zivilstellen überhäufen die Dörfer mit zum Teil peniblen Vorschriften (S.141) wie z.B. die Hundevorschrift, dass nicht angekettete Hunde erschossen werden sollen (S.142).
Ergänzung:
-- die Ausgangssperre muss streng befolgt werden
-- es gelten Grussvorschriften, wer wen zuerst grüssen muss
-- es gelten Viehhaltungsvorschriften, wie man die Tiere anbindet bzw. dass Pferden die Füsse verbunden werden sollen
(telefonische Information von Bernhard Chiari, 12.12.2000).
Kompensation des Hasses gegen Profiteure und Exekution der jüdischen Bevölkerung als Hoffnung auf Situationsverbesserung
Der Gesellschaft fehlen alle Autoritäten, Leiter, Funktionäre. Die Führungsschichten sind alle nach Sibirien oder Kasachstan deportiert. Die übriggebliebene Bevölkerung hofft unter der deutschen Besatzung auf eine gerechtere Zukunft. Der Hass, der sich während der sowjetischen Besatzung seit Oktober 1939 angestaut hat, kommt nun zum Ausbruch und richtet sich kompensativ gegen die jüdische Bevölkerung. Fast alle Massenxekutionen an den Juden geschehen unter den Augen der nichtjüdischen Nachbarn.
Chiari:
<[...] Ermordung der weissrussischen Juden. Deren Tötung geschah nicht im Verborgenen, sondern, wie eingangs geschildert, meist unter den Augen der nichtjüdischen Nachbarn.> (S.3)
Dazu kommt der dauernde Konflikt zwischen Polen und Weissrussen. Die deutsche Besatzung kann die Spannungen zwischen Polen, Weissrussen, Russen und Juden vorerst für sich ausnützen (S.4). In der Folge entwickeln alle Teile der Bevölkerung eine Überlebensstrategie. Durch die Massenexekutionen an Juden [und anderen Volksteilen] verlieren viele Dörfer die Verbindungen zum Umland. Es entstehen Isolation und Angst (S.5).
[Ergänzung:
Durch die zusammengebrochene Stromversorgung und die völlig blockierte Produktion wächst die Not derart, dass die Bevölkerung für antisemitische Aktionen völlig anfällig wird und einen Drang zum Raub entwickelt].
Baranowitschi: Ju. Sobolevskij in Baranovitschi
ehemaliger Sejm-Abgeordneter, übernimmt die Funktion des einheimischen Verwaltungsführers in Baranovitschi (S.98-99).
Deutsch besetzte Ostgebiete: Personalverschwendung deutscher Kräfte in Kleinbetrieben - Personalmangel in der Verwaltung
In Kleinbetrieben werden wahllos unqualifizierte Deutsche als "Sonderführer", ohne Fachwissen, eingesetzt. Daneben wird fieberhaft nach deutschem Leitpersonal für Grossbetriebe gesucht (S.59). Zum Teil sind der nationalsozialistische Lehrerbund und der Reichsnährstand an der Auswahl beteiligt, auch durch das "Hauptamt für Kommunalpolitik" in München. Es werden kaum spezielle Anforderungsprofile oder Qualifikationen vorausgesetzt.
Den Vorzug bekommen natürlich diejenigen, die schon im Ersten Weltkrieg in Russland waren. Zudem hinterlassen die in die Ostgebiete Verpflichteten im Reich Lücken, so dass zeitraubende Verfahren entstehen, die sogar mit Rückversetzung enden können (S.60). Ausbildung findet in Einweisungslehrgängen auf der Ordensburg Krössinsee in Pommern, "Falkenburg", statt, wo Stammführer, Ordensjunker, politische Leiter und Führer der NSDAP, Beamte und weibliche Angestellte in propagandistischen Schnellkursen vorbereitet werden, mit gestellten Szenen des Besatzungsalltags, v.a. Proben der Requirierung für Armee und Reich, Sammeln und Transporte, mit Vorträgen deutscher Hochschullehrer über die Bevölkerung, den "Volkscharakter" und die Geschichte, aber ohne jede Sprachvermittlung oder Sprachkurse (S.61). Das deutsche Personal muss die Aufgaben ohne jede Sprachkenntnisse mit "eigener Vorstellungskraft, Sensibilität und Findigkeit" lösen... (S.62).
Motive der Deutschen für den "Osteinsatz"
Motive sind: "Weiterkommen", "Sinn des Lebens innerhalb des grossen völkischen Schicksals" finden, Hoffnungen auf Aufstieg (S.62), Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen als in Deutschland, Hoffnung auf Erhalt grosser Landgüter (S.308), Hoffnung auf eine neue Existenzgründung, auf Verschonung von der Front (S.63,308), auf Erfüllung der Wiederaufbaupläne (S.63) oder es melden sich ehemalige diskriminierte Bauern (S.64). Bauern, die 1939 ausgesiedelt wurden und Sprachkenntnisse hätten, melden sich, werden aber aus politischen Gründen abgelehnt (S.65-66).
Zum Teil versuchen Deutsche, die im Reich kriminell geworden sind, im Osten ihre kriminelle Existenz weiter zu betreiben, was ihnen auch gelingt, mit Amtsmissbrauch, Alkohol etc. (S.68). Das Verwaltungsgebiet Weissruthenien wird von der deutschen Verwaltung schliesslich als "Wildnis" verschmäht (S.62). Beliebt für einen Osteinsatz bleiben Schwarzmeerküste, die Krim oder baltische Hafenstädte (S.63).
BSSR: Bürgermeister und "Verpflichtungserklärung"
Die Bürgermeister leben fortan am exponiertesten, weil sie eine "Verpflichtungserklärung" unterschreiben müssen, alle Anweisungen der deutschen Verwaltung auszuführen (S.128).
Bürgermeister
-- müssen eine "Verpflichtungserklärung" [mit einem Eid auf den "Führer] leisten
-- sind zum Teil weissrussische Analphabeten (S.143)
-- sollen Landwirtschaftssteuern festlegen
-- zählen die Bevölkerung und denunzieren Juden, Zigeuner, Rotarmisten (S.142), "Verdächtige" oder auch frühere Helfer der Sowjetisierung (S.143)
-- besorgen das Müllwesen, die Desinfektionsvorsorge und das Bauwesen
-- setzen das Jagdverbot durch (S.142)
-- verteilen deutsche Propaganda, die zum Teil aber von ihnen selbst aufgrund von Papiermangel als Briefbogen benutzt wird (S.143).
BSSR: Die Rolle der Agronomen/Leiter der landwirtschaftlichen Grossbetriebe
-- haben grosse Machtfülle und Autonomie, solange die Abgaben an die deutschen Besatzer stimmen, müssen wie die Bürgermeister eine "Verpflichtungserklärung" unterschreiben, alle Partisanengruppen zu melden
-- in der West-BSSR werden zum Teil polnische Agronomen als Leiter der ehemaligen Kolchosen und Sowchosen eingesetzt, was die weissrussischen Bauern zur Weissglut bringt: Arbeitsverweigerung, Brandstiftung und Plünderungen sind die Folge (S.144).
[Weder die Polen noch die deutsche Besatzung findet hier scheinbar Lösungen].
Agronomen als Denunzianten, Personalbeschaffer und Steuereintreiber
-- Agronomen geben der deutschen Verwaltung Listen mit Partisanenverdächtigen und liefern diese damit meist der Erschiessung aus
-- Agronomen suchen für die deutschen Stellen Kandidaten für Polizei und Gendarmerie (S.144).
-- Agronomen treiben zum Teil die Requirierungen und Steuern selber ein
-- Agronomen werden zum Teil als "Volksdeutsche" anerkannt, was ihre "Position" stärkt (S.145).
BSSR: Vor allem Verlierer der Sowjetisierung werden nun zu Kollaborateuren des Hitler-Regimes
-- Bürgermeister werden als Steuereintreiber Herren in den Dörfern
-- die Kollaborateure glauben an den Endsieg, der in Kürze eintreten wird
-- die neuen Kollaborateure verprügeln zum Teil Bauern, die nicht sofort gehorchen
-- Bauern, die bei der Sowjetisierung enteignet worden waren, hoffen auf die Wiederzuteilung von Land (S.145).
-- ehemalige Kriegsgefangene, die in ihre Dörfer zurückkehren, müssen gemäss Anweisung der Bürgermeister zum Teil hungern
Die deutsche Besatzungsmacht verspielt den Goodwill von Anfang an:
-- sie verlangt von den Bauern höhere Abgaben als das Stalin-Regime
-- sie führt bei den landwirtschaftlichen Abgaben mit der Lupe Kontrollen nach Milben durch, was bei den Bauern Hass provoziert
-- die deutschen Prämien bei erfüllter Ablieferung sind zu gering, als dass sie einen Ansporn bilden würden
-- die deutschen Soldaten leisten sich vereinzelt Vergewaltigungen, was das Vertrauen ganzer Dörfer zerstört (S.146).
Weissruthenien: Förderung der orthodoxen Kirche gegen die polnisch-katholische Kirche
Die deutschen Behörden der Besatzungsmacht unter Reinhard Heydrich befiehlt, die orthodoxe Kirche als Verbündeten zu betrachten, da die nationalsozialistische Führung die katholische Kirche als "5.Kolonne" des Polentums betrachtet. In Ost-Weissrussland und Minsk herrscht aufgrund der jahrzehntelangen antireligiösen Politik eine religiöse Apathie. Die deutsche Besatzung meint, dass aber v.a. ältere Menschen das Bedürfnis nach Kirche haben (S.103).
17.7.1941
Baltenstaaten, BSSR und Ukraine: Hitler ernennt Alfred Rosenberg zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete
(S.51)
Minsk: Einsatz von deutschen Streifen und Posten gegen Überfälle
zum Schutz der deutschen Einrichtungen. Auch die Mitarbeiter des Rosenberg-Stabes, auch die Frauen, werden in die Bewachung und die Sicherungsmassnahmen miteingebunden, müssen mit Soldaten der Wehrmacht Schiessübungen am automatischen Gewehr, an Karabinern und Handgranaten absolvieren (S.86).
Juli 1941-1945
Ostpolen oder ganze BSSR (?): Durch polnische Hilfe können 50.000-120.000 Juden die deutsche Judenverfolgungen überleben
(S.234-235)
In: Piotr Olszówka: Antisemitismus in Polen. Ein Antisemitismus ohne Juden? Aufsatz in: Hausleitner / Katz: Juden und Antisemitismus im östlichen Europa; Berlin, 1995, S.137-148
1.8.1941
Aufteilung der deutsch besetzten Ostgebiete in Westteil und Ostteil - Amtsantritt Alfred Rosenbergs in Riga
Rosenberg übernimmt vom OKW die drei baltischen Republiken und den westlichen Teil Weissrusslands sowie die Ukraine, zum Teil gegen den Willen der Wehrmacht (S.51). Rosenberg ist mit seinem Stab nomineller "Herr" der Gebiete. Er schirmt die Besiedelungs- und Ausbeutungspolitik gegen aussen ab (S.53).
Rosenberg teilt die Gebiete von Ostsee zum Schwarzen Meer neu ein und plant die Administration für die Zeit nach einem Blitzsieg:
-- Reichskommissariat Ukraine, Verwaltungszentrum Kiew
-- Reichskommissariat Ostland: Baltenstaaten und West-BSSR mit Minsk, Verwaltungszentrum Riga,
Gauleiter Lohse. Unterteilung des Reichskommissariat Ostland in drei "Generalbezirke" Estland, Lettland und Litauen sowie das Generalkommissariat Weissruthenien, das die West-BSSR mit Minsk umfasst.
Die Grenzen der Baltenstaaten bleiben weitgehend unverändert (S.52).
Hitler erteilt Göring den Auftrag zur "wirtschaftlichen Nutzung" der besetzten Gebiete (S.53). Geplant wird die Einrichtung einer ausgedehnten deutschen Administration mit 4 Reichskommissaren in den Ostgebieten, 24 Generalkommissaren und über 900 Gebietskommissaren (S.58).
Passausgabe für die Bevölkerung - Toleranz zu neuen Existenzgründungen
Ausgabe eines weissruthenischen Passes mittels Vorlage einer sowjetischen Meldebestätigung, eines alten Ausweises oder anderen Legitimierungen. Die lockeren Vorschriften geben Gelegenheit zur neuen Existenzgründung. Mitgliedschaften in der KP oder sowjetische Ämter bleiben verborgen. Auch eine Behauptung, das sowjetische Papier sei nicht mehr auffindbar, wird akzeptiert. Fälschungen werden nicht erkannt, oder auch Namenwechsel bleiben unentdeckt (S.116).
Weitere Unterteilung des Generalkommissariats Weissruthenien in Gebietskommissariate - deutsche Land- wirtschaftsverwaltung
Baranowitschi, Borisov, Glubokoe, Gancevitschi, Lida (S.54), Minsk-Stadt, Minsk-Land, Novogródek, Slonim, Sluck und Vilejka. Alle unteren Verwaltungen sollen mit Einheimischen besetzt werden ausser den Landwirtschaftsgremien, wo "Kreislandwirte" und deren Mitarbeiter Deutsche sein sollen. Die "Kreislandwirte" sollen gleichzeitig die "Inspektoren" der Kreisstädte sein, sollen gemäss der Wehrmachtpläne eine zentrale Rolle bei der Aufstellung des einheimischen Ordnungsdienste spielen (S.55).
Die ungenügende und unfähige deutsche Verwaltung - die BSSR wird "Sammelplatz für Unerwünschte"
Nur um ein Beispiel zu nennen, stehen im Gebietskommissariat Glubokoe für 400.000 Menschen (wovon 250.000 Weissrussen und ca. 100.000 Polen) auf 11.000 km2 nur 79 deutsche "Fachkräfte" zur Verfügung.
In Lida sind es gemäss Chiari "wenig mehr Mitarbeiter" für 280.000 Menschen, 215.000 Polen und 60.000 Weissrussen (S.55). Die Landwirtschaftserträge sind gegenüber der Ukraine relativ niedrig [und die BSSR hat kaum militärtechnisch wichtige Bodenschätze].
Die BSSR wird in der Folge zum "Stiefkind" und "Experimentierfeld" der deutschen Verwaltung und wird verwaltungsmässig mit dem "Ausschuss" bedacht, was woanders übrigbleibt. Das deutsche Verwaltungspersonal hat in der Folge wenig bis gar keine Kenntnisse über die BSSR und ist kaum mit Dolmetscher, Autos, Büroeinrichtungen oder Uniformen ausgerüstet. Rosenberg betrachtet die BSSR gemäss Chiari als "hervorragend als Sammelplatz für Unerwünschte" geeigneten Platz, für Unerwünschte "aus den baltischen Ländern und aus dem Generalgouvernement" (S.56).
In: Rolf-Dieter Müller: Die deutsche Wirtschaftspolitik in den besetzten sowjetischen Gebieten 1941-1943. Boppard 1991, S.213
Die orientierungslose deutsche Verwaltung - "Ostnieten" unter "Niederrassen"
Die Vorstellungen der deutschen Besatzung über Gesellschaft und Kultur der BSSR bleiben völlig diffus. Es findet kein Lernprozess statt. De Eindruck ist ein ethnisch gemischtes Wald- und Sumpfland. Zudem handelt die deutsche Besatzung nur nach Anweisung von oben, aber die oberen Stellen haben überhaupt keine Ahnung. Bis 1943 tut sich überhaupt nichts.
Chiari:
<Nach anderthalb Jahren Einsatzdauer schrieb ein frustrierter Abteilungsleiter, es sei wünschenswert, "dass allgemeine Neuordnungsanweisungen und insbesondere eine grundsätzliche Klärung der politisch-national-kulturellen Zukunft Minsks und ganz Weissrutheniens von befugter höherer Stelle aus ausgegeben würden. Das ist von entscheidender Bedeutung; denn es lässt sich kein Kulturaufbau in einem Lande betreiben, von dem man auch nicht annähernd weiss, was einmal aus ihm werden soll".>
Die Initiative des Handelns geht der deutschen Verwaltung bald verloren.
Chiari:
<Die deutsche Verwaltung verlor im Lauf der Zeit die Initiative des Handelns. Ähnlich wie die Bevölkerung reagierte sie lediglich auf Krisen: freilich nicht durch Flucht oder Anpassung, sondern durch realitätsfernen Verwaltungsaktivismus.> (S.56)
Das Ostpersonal gilt innerhalb der gesamtdeutschen Verwaltung als minderwertig, Bezeichnung "Ostniete" innerhalb von "Niederrassen" (S.59) und als Beamte der zwei grossen "W": Weiber und Wodka (S.60).
Besetzte Ostgebiete: Die Planung von 14.000 Landwirtschaftsführern - Abwarten des "Blitzsieges"
Die Landwirtschaftsführer und Gebietskommissare sind gemeinsam verantwortlich für die Requirierungen (S.68), für die sowjetischen Gebiete insgesamt schätzungsweise 14.000, die aus dem Reichsnährstand und aus den Beamten der Landwirtschaftsorganisation rekrutiert werden sollen. Sie sollen nach dem Endsieg zum Einsatz kommen, stehen deswegen aber nie zur Verfügung (S.68).
Da keine Besitzversprechen mehr gemacht werden, ist der Andrang auch nicht sehr hoch (S.69). Die Auswahl der Landwirtschaftsführer in Weissrussland sind Kleinbauern (S.70) ohne Erfahrung mit Grossbetrieben und ohne Persönlichkeit und Durchsetzungsvermögen (S.71).
ab 1.8.1941
Weissruthenien: Kaum Verwaltungsanweisungen aus Berlin - ein "Merkblatt für Soldaten"
Berlin lässt die Verwaltung der BSSR im Stich.
Chiari:
<Wehrmacht und Ostministerium liessen ihre Mitarbeiter vor Ort ohne brauchbare Verhaltensregeln, Ausbildung oder Handlungsanweisungen. Instruktionen und Regeln 'für den Umgang mit Russen' konnten hier keine Abhilfe schaffen.> (S.73)
Anweisungen in einem "Merkblatt für Soldaten":
-- Requirierungen auf ein Minimum beschränken, um nicht als Besatzer zu erscheinen
-- Vermeiden von Ungenauigkeiten
-- Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit seien das beste Mittel, die "russische Psyche" zu beherrschen
-- Prügel vermeiden, denn diese würden nur an die "Zarenzeit" erinnern
-- kein Geschrei, denn der russische Mensch reagiere auf ruhige Anweisungen am besten
-- Russen hätten ein Teil Wikingerblut und seien ein Teil arisch anzusehen.
Chiari:
<Selbst in bezug auf "rassische Gesichtspunkte" liess man Deutschen im "Osteinsatz" einige Freiheit. Während in Deutschland Bilder von "vertierten Horden" und "Untermenschen" bestaunt wurden, hiess es in einem Leitfaden mit dem Titel "Zehn Regeln zum Umgang mit Russen", man dürfe "Russen und Weissrussen, die obgleich auf einer rassisch niedrigeren Stufe als die Deutschen, doch mit einem Teil Wikingerblut ausgestattet seien und deshalb zur arischen Rasse gehörten, niemals ihre Minderwertigkeit vorhalten".> (S.73).
Weissruthenien: die totale Unbeholfenheit wegen der Sprachbarriere
Es kommt wegen der Sprachschwierigkeiten
-- zu "primitiver Kindersprache"
-- zu Schreiereien
-- viele deutsche Vorgesetzte duzen Bauern, Verwalter, Ärzte oder Wissenschaftler aus Hilflosigkeit (S.73)
-- rassistische Anweisungen gegen "den russischen Landwirt" in "12 Gebote" für landwirtschaftliches Verwaltungspersonal. Es soll nicht Nationalsozialismus vermittelt, sondern die Bevölkerung soll beherrscht werden.
Zitat:
<Wir wollen die Russen nicht zum Nationalsozialismus bekehren, sondern sie zu unserem Werkzeug machen. [...] Armut, Hunger und Genügsamkeit erträgt der russische Mensch schon seit Jahrhunderten. Sein Magen ist dehnbar, daher kein falsches Mitleid. Versucht nicht, den deutschen Lebensstandard als Massstab anzulegen und die russische Lebensweise zu ändern.> (S.74)
In der Folge scheitert die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaftsführern und einheimischen Agrarfachleuten (S.74).
Riga: Klagen Rosenbergs über SS und Polizei - realitätsferne Befehle aus Berlin - Willkür, Ausbeutung und "Arbeitsgruppe Weissruthenien"
Rosenberg beklagt sich gegen den permanenten Machtzuwachs der SS in den Ostgebieten (S.56).
Weissruthenien: SS-und Wirtschaftsdienststellen handeln eigenmächtig - eigenmächtige Ausbeutung
Für die SS- und die Wirtschaftsdienststellen stellen sich ideale Bedingungen, an der deutschen Verwaltung vorbei anarchistische Einzelaktionen zu unternehmen. Ausserdem sind die Anweisungen aus dem Reich völlig realitätsfern, z.B. Polen aus der Verwaltung auszuschliessen. In der Folge umgeht die deutsche Verwaltung deutsche Vorgaben mit der Begründung, Kriegsziele zu erreichen. Eine deutsche Kontrolle über die deutsche Verwaltung fehlt. Die Gebietskommissare werden kaum kontrolliert.
Bleibende Leitlinien sind:
-- die Propagierung einer "weissruthenischen Nation"
-- die brutale Ausbeutung und das Zulassen von Massenexekutionen (S.140).
Willkürliche Requirierungen durch deutsche Verwalter - erwarteter "Blitzsieg"
Deutsche Verwalter lassen Höfe requirieren, halten sich leibeigene Bauern und Dienstpersonal, prügeln zum Teil herum, rauben und plündern zum Teil, was auch zu Verurteilungen führt (S.62). Der Bestand an Vieh durch willkürliche Requirierungen sinkt in der weissrussischen Landwirtschaft dramatisch (S.140). Die von der neu gegründeten Polizei vorgenommenen Requirierungen sind willkürlich (S.141) und rücksichtslos im Sinn des erhofften bevorstehenden Sieges in Moskau (S.140)
[und das Klima der Kriminalität im Land steigt].
Kulturarbeit durch "Arbeitsgruppe Weissruthenien" an "Untermenschen" in Minsk
Einrichtung der "Arbeitsgruppe Weissruthenien" beim "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" in Minsk. Vereinzelt kommt es zur Errichtung von Kinos oder zur Organisation von Volkstanz- und Laienspielgruppen. Das Schulwesen bleibt ein Notbetrieb (S.57). Der Radius der "Arbeitsgruppe Weissruthenien" reicht zudem nicht aus Minsk hinaus. Zudem ist der Kulturbetrieb durch eine schizophrene Haltung gestört, denn es soll Kulturarbeit geleistet werden, andererseits die Bevölkerung als "Untermenschen" gelten (S.58).
ab Anfang Aug 1941 ca.
Weissruthenien: Etablieren einer weissruthenischen und einer deutschen Gerichtsbarkeit - deutsche Willkür durch Heraufsetzen des Strafmasses bei einheimischen Urteilen
Weissruthenische Gerichtsbarkeit: für Erbschafts-, Miet-, Ehe-, Pfändungs- und Schadenersatzsachen, die keine Deutschen betreffen. Damit werden die deutschen Gerichte vor "unangenehmen Entscheidungen" bewahrt und die Autorität vordergründig geschützt, z.B. bei Zuteilungen von Höfen an Rückkehrer aus der Sowjetunion (?), oder bei Wiederaufnahme von Erbfällen, die unter sowjetischer Herrschaft abgeschlossen wurden (S.108). Deutsche Gerichtsbarkeit ist zuständig für deutsche Beamte, Zivilangestellte (S.107) und "Volksdeutsche" (S.108). Alle Urteile einheimischer Gerichte müssen von der deutschen Verwaltung unterschrieben werden. Oft setzt die deutsche Verwaltung das Strafmass der Urteile willkürlich herauf (S.114)
[womit noch mehr Vertrauen und Goodwill verlorengeht].
Mitte Aug 1941
Minsk: Eintreffen des ersten deutschen Staatskommissars Janetzke
(S.99)
ab Aug 1941
Weissruthenien: deutsche Unfähigkeit, den Boden gerecht zu verteilen
Die befriedigende Verteilung des Bodens gelingt in Weissruthenien nicht. Damit geht ein weiteres Stück Kontrolle und Autorität bei der Zivilbevölkerung verloren (S.97).
Minsk/Lenin-Bibliothek: Säuberung der "Judaica"-Abteilung
Aussortierung der "Judaica"-Abteilung durch jüdische Bibliotheksangestellte des Einsatzstabes Rosenberg. Sie müssen Listen erstellen, um die "Judaica" nach nationalsozialistischen Kriterien zu "säubern", was ein ganzes Jahr lang dauert (S.242).
ab Aug 1941 ca.
BSSR: Beginn der Partisanenüberfälle - Organisation flächendeckender Polizei
Kleine Wald-Gruppen beginnen, Dörfer auf dem Land zu überfallen und nehmen zu ihrer Nahrungsmittel- beschaffung Requirierungen vor. Die Dorfältesten beginnen, Polizeikräfte zu organisieren, beginnen, die Einheimischen aufzufordern, sich zur Polizei zu melden. Dabei sind kaum Uniformen und Gewehre vorhanden (S.163).
[Die Erwartung eines Blitzsieges der deutschen, rumänischen, italienischen und anderen Truppen gegen Moskau wächst in der ganzen Welt].
Sep 1941 ca.-Mitte 1942 ca.
BSSR: Unvollendete Landwirtschaftsreform produziert Unzufriedenheit bei Bauern
Die Landwirtschaftsproduktion läuft in erster Linie für die Wehrmacht, in zweiter Linie für das Reich und erst in dritter Linie für die einheimische Bevölkerung. Die Landreform bleibt unvollendet (S.133). Ausserdem sind die deutschen Landwirtschaftsführer völlig landesunkundig und haben grosse Sprachprobleme, ebenso die Dolmetscher, die bestimmte weissrussische Formulierungen nicht richtig übersetzen (S.137).
Ost-BSSR: Kolchosen werden zu "Gemeindehöfen" oder restituiert
d.h.: die kommunistischen Strukturen werden beibehalten.
-- Kolchosen, die von Bauern schon aufgelöst sind, werden wieder eingerichtet
-- die deutsche Verwaltung hat grosse Schwierigkeiten, Führungsleute für die grossen Kolchosen zu finden, weil die ganze sowjetische Verwaltung mit der Roten Armee abgezogen ist (S.134).
West- und Ost-BSSR: Enteignung von Kleinbauern - katastrophale provisorische Landverteilung
-- Rückgabe von Höfen an Bauern, die bei Sowjetisierungen enteignet worden waren
-- oder die bei Sowjetisierungen enteigneten Bauern werden neu als Verwalter eingesetzt, auch wenn sie Polen sind (S.133)
-- die neu Enteigneten haben dabei sehr grosse Nachteile hinzunehmen (S.136)
-- bei der Landverteilung werden diejenigen, die im Dienste der deutschen Verwaltung stehen, bevorzugt. Die Begünstigung geschieht aufgrund von Vorschlägen der Dorfältesten, Gemeinde- und Rayonverwaltungen. Somit ist totale Willkür möglich (S.135) wie z.B. die Verteilung von Land nur an "verdiente Kämpfer" (S.135).
In der Folge verbreiten sich in den Dörfern Hass, Missgunst und Vetternwirtschaft. Das dem Nationalsozialismus noch vor kurzem wohlgesinnte Bevölkerungskollektiv wird gespalten und zerstört (S.135).
Die russischen Geheimdienste konstatieren diese Fehler der deutschen Administration und versuchen, daraus ihren Nutzen zu ziehen (S.136).
ab Sep 1941
Weissruthenien: Gauleiter Wilhelm Kube: ein Herrscher mit "Hofstaat"
Kube mit Sitz in Minsk, einstiger Gauleiter der Kurmark und Oberpräsident von Brandenburg und Westpreussen, gilt als problematische und eitle Persönlichkeit, die "weggelobt" worden sei, ist gemäss Chiari ein "absolutistischer Herrscher":
-- Kube bildet um sich eine weissrussische Privatgarde aus 50 weissrussischen Jugendlichen
-- Kube gilt in anderen Kreisen als "Freund des weissrussischen Volkes", der seine Pläne wegen der SS und Wehrmacht nicht umsetzen kann (S.54).
BSSR: Organisation der Polizei unter Einschluss einheimischer Kräfte - Erfüllungsgehilfen BSSR
Um die ersten Partisanen zu bekämpfen, muss eine landesweite Polizei gegründet werden. Es werden deutsche Postenführer eingesetzt. Manche prügeln und schikanieren die einheimischen Untergebenen (S.167). Viele Einheimische, die in die Polizei eintreten, haben Rachegelüste gegen die Sowjets, von Partisanen betroffene Bauern oder ehemalige politische Gefangene (S.171).
Weitere Motivation ist aber neben der Sucht, etwas zu "erleben", auch das Angebot von Karrierelaufbahnen, denn viele Bauern und Analphabeten wollen die Chance zur Laufbahn und zu einer Ausbildung nutzen. Alle glauben an den "Blitzsieg" und dass das deutsche Regime noch lange halten werde (S.312). Insgesamt herrscht in der Polizei immer Personalmangel, so dass einzelne Nationalitäten in den kleinen Einheiten zweitrangig sind (S.172-173).
Einheitliche Uniformen gibt es nicht (S.170). Rein deutsche Abteilungen existieren nur in Smolevitschi und in Rudensk zu ca. 20 Mann. In allen anderen Polizeistützpunkten dienen je nach Region mehrheitlich Russen, Weissrussen (S.166) oder Polen (S.273).
Einheimische Polizisten werden von der SS nur als Notlösung akzeptiert aus Mangel an deutschen Polizisten (S.160). Einheimische Polizei als Erfüllungsgehilfe für Requirierungen, Rekrutierungen und Exekutionen.
Chiari:
"Einheimische Polizisten zählten zu den wichtigsten Erfüllungsgehilfen der neuen Ordnung." (S.162)
mit einer "Verpflichtungserklärung" [wahrscheinlich auf den "Führer"] (S.171).
ab Sep 1941 ca.
Minsk: Vorbereitungen eines "Weissruthenischen Selbsthilfewerks"
wird zum Sammelpunkt für national gesinnte Exil-Weissrussen (S.114).
Sep/Okt 1941
Minsk: Kunstraub durch Reichsführer-SS
Der Reichsführer-SS lässt die Kunst- und Gemäldesammlung von Minsk aus der Stadt entfernen, wogegen Gauleiter und Generalkommissar Kube in einem Brief an Rosenberg protestiert und um Rückgabe oder zumindest um Gutschrift des Wertes an das Ostministerium apelliert. Kube: Durch den Raub der Kunst- und Gemäldesammlung sei dem "schon an sich armen Weissruthenien [...] schwerster Schaden" entstanden (S.81).
Okt 1941-Dez 1941
BSSR: erste grosse Exekutionswelle gegen Juden: Weissrussen denunzieren, v.a. Litauer und Deutsche schiessen
Weissrussische Polizisten denunzieren den deutschen Besatzern die jüdischen Häuser, treiben die Juden zusammen und führen diese an die Gruben. Die Exekutionen nehmen meist Litauer und Deutsche vor. Manchmal führt die einheimische Polizei die Exekution sogar selber durch, ohne deutschen Befehl (S.183-184).
Judenmassaker heisst Schuldenabbau
Viele Leute der Mittel- und Unterschicht sind durch die Ermordung von Juden entschuldet worden. Chiari fasst aus dem unveröffentlichten Typoskript der "Erinnerungen" von Dr.Ehrenfried Schütte, Februar 1997, zusammen:
<Zwei Angehörige des "Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete" auf Informationsfahrt durch die okkupierten Zonen der Sowjetunion, einer davon Eugen von Engelhardt, Baltendeutscher und Verfasser einer Schrift über die Geschichte "Weissrutheniens" [...] Im Ort Narotsch, wo sie geschlafen hatten, war ihnen die bezaubernde Schönheit des Sees angepriesen worden. Dieser lag im Wald und war nur auf kleinen Feldwegen zu erreichen. Die Spaziergänger fanden ein kleines Dorf, es könnte der Ort Sarmez gewesen sein. Sie trafen dort einen älteren weissrussischen Bauern und fragten ihn nach dem Weg zum See. Der Mann war gut gelaunt.
Er hatte Zeit und erbot sich, die Deutschen ans Wasser zu begleiten. Beide sprachen Russisch und waren stolz darauf, sich mit ihrem Führer problemlos unterhalten zu können. Sie kamen bis an den Rand eines kleinen Waldstücks. Im Gehen zeigte der Bauer auf eine kaum sichtbare Wölbung des Bodens und sagte vergnügt: "Dort liegen unsere Juden". [...]
Ihr Begleiter erzählte, die Bevölkerung der umliegenden Dörfer habe an dieser Stelle "ihre" Juden zusammengetrieben. Unter der Leitung eines Deutschen seien sie dann von weissrussischen oder lettischen Polizisten erschossen worden, so genau wisse er das nicht mehr. Verschmitzt erklärte er, viele seiner Nachbarn seien bei den Juden verschuldet gewesen.> (S.2)
3.10.1941
Minsk: Auftrag an den Erzbischof für eine national-weissrussische orthodoxe Kirche - Weissrussisch als Kirchensprache - Wiederaufbau von Kirchen - Gebete für Hitler
Der Erzbischof von Minsk erhält den deutschen Auftrag, eine nationale weissrussische Kirche zu etablieren. Die Reglemente:
-- es werden nur weissrussische Bischöfe zugelassen
-- in Predigten wird Weissrussisch als Sprache vorgeschrieben (S.104)
-- in Kirchengeschäften und im Religionsunterricht wird ebenfalls Weissrussisch als Sprache vorgeschrieben (S.105).
In der Folge wendet sich die in West-Weissrussland mehrheitlich polnische Bevölkerung andern Orientierungspunkten zu (S.107).
Weitere Tätigkeiten der weissrussischen orthodoxen Kirche:
-- Planung und Einsetzen von Diözesen, Durchführung von Synoden nach deutschen Muster
-- unabhängige seelsorgerische und karitative Tätigkeit (S.105)
-- Wiederaufbau von Kirchen, die von den Sowjets zerstört worden waren, v.a. in Minsk
-- Erfüllen eines grossen Bedürfnisses an Gottesdiensten auf dem Land (S.106).
Vorkommnisse:
-- deutsche Behörden "reinigen" kirchliche Lehrbücher von "Polonismen" und "Russizismen", z.T. auch inhaltliche Zensur
-- Dauerstreit um Entlohnung der Geistlichen
-- die orthodoxen Priester werden von der deutschen Besatzung nicht hoch geachtet (S.106)
-- Gratwanderung der weissrussischen orthodoxen Kirche zwischen polnischer und russischer Tradition
-- die Kirche Weissrusslands fungiert als Instrument der "Belorussifizierung" und Instrument der deutschen Besatzer in einem (S.107).
Die neu restituierte weissrussisch-orthodoxe Kirche soll eine tragende Rolle spielen. Die Kirche betet für Hitler.
Chiari:
<Tatsächlich beteten in weissrussischen Gotteshäusern Geistliche für Adolf Hitler und die deutsche Wehrmacht, nahmen orthodoxe Popen den 'Führer' und das Deutsche Reich in ihre Fürbitten auf.> (S.104)
22.10.1941
Minsk: Arbeitsbeginn beim "Weissruthenischen Selbsthilfewerk" (WSW) - Leiter Ermatschenko - Ämterunion, Denunziationen, Tätigkeiten
Nach deutschen Vorstellungen soll das WSW einem weissrussischen Roten Kreuz entsprechen.
Ernennung von Ivan Ermatschenko als Leiter des Selbsthilfewerks. Ermatschenko selbst betrachtet das Selbsthilfewerk als eine Art Ersatzregierung:
-- gegen sowjetische und nationalpolnische Unterwanderung
-- Zuteilung ehemals jüdischer Apotheken an die "richtigen" Interessenten, nämlich Weissrussen
-- Ermatschenko denunziert Mitarbeiter an deutsche Stellen, die ihm nicht weissrussisch genug erscheinen (S.114), z.B. Leute, die die weissrussische Sprache hassen, und lässt sie durch genehmere Leute ersetzen (S.115). Die Kreisvorsteher des Selbsthilfewerks sind oft auch die Gebietsvorsitzenden in einer Person (S.116).
Verwaltungsarbeit
-- Schaffung eines flächendeckenden Netzes von Gebietsvertretungen
-- Suchdienst für die russische Bevölkerung, die auf Freilassung der Angehörigen drängt, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten sind (S.116)
-- Finanzierung durch Kredite von der deutschen Zivilverwaltung (S.118)
-- kleine eigene Einnahmen: Mitgliedsbeiträge, Erlöse aus Zeitungsverkauf, Gewinne aus Industrie, Handels- und Transportunternehmen (S.119)
-- Betreiben von Krankenhäusern und Lebensmittellagern
-- Organisation von neuen Industrie-, Handels- und Transportunternehmen
-- Organisation des administrativen Apparates und neuer Finanzierungswege für den WSW (S.121)
-- Rekrutierung von Arbeitskräften
-- Einfluss auf die weissrussische Gerichtsbarkeit und Polizei, die Belorussifizierung voranzutreiben, oft unter Umgehung der deutschen Zivilverwaltung und der deutschen Gebietskommissare (S.122).
Verbreitung eines neuen Geschichtsbildes
-- dauernde Erinnerungsarbeit an die "nationale Vergangenheit Weissrutheniens" und Agitation gegen Polen, Russen und z.T. gegen die ganze Sowjetunion als "Handlangerin des weltlichen Judentums"
-- die sowjetischen Säuberungen in den 1930-er Jahren werden Russen und Juden angelastet, die nicht "antisowjetische Elemente", sondern v.a. weissrussische Menschen liquidiert oder deportiert hätten
-- Klagen gegen den Versailler Vertrag, der mit der Restitution Polens erst die Aufteilung der BSSR von 1921 ermöglicht habe (S.115)
-- nationale Propagandaarbeit auch in hauptsächlich polnisch besiedelten weissrussischen Gebieten [v.a. West-Weissrussland] (S.117)
-- Sammlung von Angaben über die in der Stalinzeit verfolgten Weissrussen, v.a. den als "Kulaken" und "Nationalisten" Verhafteten (S.116).
Nothilfearbeit
-- Registrierung aller Waisenkinder (S.115)
-- Linderung der Not, die von der polnischen und der sowjetisch-jüdischen Herrschaft verursacht worden sei (S.117)
-- Sachspenden
-- öffentliche Speisungen
-- Wohnungsbeihilfen
-- Unterstützungen für ärztliche Behandlung
-- Leistung anderer finanzieller Zuschüsse, im Jahr 1942 knapp 600.000 [wahrscheinlich RM?] (S.121)
-- Appelle zum Spenden (S.118)
-- Organisation von "herrenlosem Saatgut" in Höfen getöteter oder deportierter Bauern, Verteilung an bedürftige Bauern
-- Verteilarbeit von "Judensachen" bei Ghettoräumungen (S.119)
-- Organisation der Unterbringung und Pflege von Alten und Waisen (S.120).
Kulturarbeit
-- Registrierung der Musiker und Künstler, die in Weissrussland noch übriggeblieben sind (S.115)
-- die statistische Erfassung der kulturellen Aktivitäten auf dem Land deckt ein grosses Manko an Aktivitäten auf, denn die Aktivitäten konzentrieren sich sehr auf Minsk (S.118)
-- Nowogródek: Unterteilung der Bevölkerung in:
oo Anhänger des "Neuen Europa",
oo kleine von polnischen und russischen Partisanen bedrohte Bauern
oo kommunistische Aktivisten
-- Versorgung der Landbevölkerung mit "Druckerzeugnissen"
-- Organisation von Kursen und Veranstaltungen
-- Förderung der kulturellen Entfaltung, Errichtung von "Volkshäusern" als Zentren der weissrussischen "Nationalkultur" (S.117).
Schlamperei im "Weissrussischen Selbsthilfewerk"
-- Betrug, Schiebereien, Postenrücken, Korruption (S.121
-- schlechte Führung verbittert die guten Mitarbeiter
-- ausser in Minsk und Minsk-Land entwickelt das Selbsthilfewerk fast keine Hilfe an die Aussenstationen (S.122).
Die Konfrontation mit der deutschen Verwaltung
Dauerndes Misstrauen der deutschen Verwaltung gegenüber dem Selbsthilfewerk (S.122).
ab Ende Okt 1941
Front / Wehrmacht: Brutalisierung innerhalb der Wehrmacht
Die hohen Verluste der Wehrmacht führen innerhalb der deutschen Truppen zu einer "Entmodernisierung" und zur Auflösung der Hierarchie innerhalb der Armee. Zunehmende Brutalisierung (S.13).
Nov 1941
"Wanderungsbewegung": Massenflucht von Juden
Wehrmachtberichte sprechen von Massenbewegungen im gesamten weissrussischen Raum, in denen sich Juden der Verhaftung entziehen wollen (254-255). Plündernde Gruppen jüdischer Flüchtlinge (S.256)
[keine Angabe von Zahl und Richtung].
ab Nov 1941
BSSR: Überlebensstrategie im Ghetto: "Funktionshäftlinge"
wie Ärzte, Schreiber, Angehörige des Ordnungsdienstes etc., Mitglieder der Selbstverwaltung, versuchen, sich durch "sklavischen Gehorsam" vor der Erschiessung zu retten und distanzieren sich von den anderen Juden.
Ähnliche Kollaboration vollzieht die weissrussische Polizei.
Chiari:
<In irrationaler und oft kaum nachvollziehbarer Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten sowie der Berechenbarkeit der nationalsozialistischen Administration liessen sich viele Betroffene auf ein tödliches Spiel ein. Der Glaube daran, in einem chaotischen System überleben zu können, ermöglichte das Funktionieren des Apparates. Die deutschen Machthaber bedienten sich rücksichtslos aller Individuen, Berufsgruppen, politischen Gruppierungen, Ethnien oder nationalen Ideen und spielten diese gegeneinander aus.> (S.21).
Widerspruch:
Eine solch ausgeklügelte Manipulation der Bevölkerung kann ohne Sprachkenntnisse und mit Agieren auf Befehl kaum möglich gewesen sein; vergleiche S.60-62
ab 18.11.1941
Minsk: Rosenbergs Einsatzstab mit einem "Vorkommando": Arbeitsaufnahme in Minsk - Programm: "kulturelle Erweckung"
Der Einsatzstab entwirft in Zusammenarbeit mit weissrussischen Nationalisten und Kirchenvertretern ein Programm zur "kulturellen Erweckung" des Landes. Leiter ist Leutnant Günther H., mit der übriggebliebenen weissrussischen Intelligenz. Diskussion einer "Neuordnung" (S.90):
-- die Tätigkeit ist eine Randerscheinung des Krieges, hat aber eine grosse Kulturvernichtung zur Folge (S.95)
-- die Angestellten haben gleichzeitig die Vorstellung, eine "sinnvolle Aufgabe" zu erfüllen (S.91)
[nicht erwähnt: wahrscheinlich retten sich einige im Rosenberg-Stab durch ihre "Arbeit" vor einem Fronteinsatz]
-- Leitung des Stabes unter Günther H., seit 1933 in der SA, seit Juni 1941 im "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" (S.83
-- kein Strom, kein Telefon, keine Heizung in den Räumlichkeiten (S.85)
-- Ausraubung der Ostgebiete (S.81), z.B. die Sammlung der Familie Radziwill (S.83)
-- dem Einsatzstab stehen zwei alte amerikanische Beutewagen als Fuhrpark zur Verfügung, wovon immer nur einer läuft, und die für Versorgungsfahrten bis nach Wilna benutzt werden, um die katastrophale Versorgungslage in Minsk zu umgehen (S.86)
-- "Kulturarbeit": Rekrutierung deutscher Wissenschaftler und Künstler zur Etablierung eines "kulturellen Lebens" in den besetzten Gebieten: 15 Deutsche, wovon fünf mit wissenschaftlichem Abschluss, zusätzlich bis zu 30 einheimische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (S.81) wobei mindestens zwei einheimische Mitarbeiterinnen Kontakte zum russischen Widerstand haben (S.87)
-- Organisation "weissruthenischer Volkskunst" auf "weissruthenischen Abenden" (S.83)
-- "Katalogisierung" der Buchbestände der Bibliotheken (S.85).
Minsk: Rosenberg-Einsatzstab: Die Kulturzerstörung an der weissrussischen Geschichte
-- Bücherverbrennungen, um "Platz zu schaffen"
-- die Lenin-Bibliothek, wird unter deutscher Besetzung zum Lager- und Kühlhaus
-- die deutschen Besatzer sammeln weissrussische Bücher der Lenin-Bibliothek als "Souvenir"
-- Bücher der Lenin-Bibliothek werden zum Teil auf den Märkten verhökert (S.88)
-- auch die wichtigsten Archivbestände bleiben davon nicht verschont
-- ein Transport der wichtigsten Archivbestände nach Berlin wird von Rosenberg beantragt, von der Reichsführung aber nie umgesetzt (S.89)
-- der Einsatzstab hält Vorträge über "die Juden in Minsk"
-- der Einsatzstab sucht in den Ruinen nach Metallstücken für die Rüstungsindustrie
-- der Einsatzstab gibt bestimmte Bestände der Bibliotheken, vor allem Bestände der Akademie der Wissenschaften, als Recycling-Papier frei, die dann von der "Ostlandfaser-Gesellschaft" zu Altpapier verarbeitet werden. Dabei kommen "Kontrolleure" zum Einsatz, die Bücher als "unbrauchbar" stempeln (S.90).
Weissruthenien: Gebiete ausserhalb von Minsk sind für den Rosenberg-Einsatzstab kaum erreichbar
Der Rosenberg-Stab dringt nicht aufs Land vor. Schlechte Wege, grosse Entfernungen und der Mangel an Fahrzeugen lassen es nicht zu.
Im von der Wehrmacht verwalteten Ostteil Weissrusslands, z.B. in Gomel, sind die Mitglieder des Rosenberg-Stabs vom Goodwill der Wehrmacht abhängig (S.91) und überhaupt nicht gern gesehen, weil die Wehrmacht die Arbeit des Rosenberg-Einsatzstabes als sinnlos betrachtet und dies auch offen zeigt (S.91).
ab Winter 1941/ab Nov 1941 ca.
[Der "Blitzsieg" gegen Moskau wird fraglich].
BSSR/Minsk: Bücher werden verheizt oder zu Zigarettenpapier
Soldaten verheizen zum Teil Kunstschätze (S.81) oder rollen Bücherseiten zu Zigarettenpapier (S.89).
Dez 1941-April 1942
BSSR: Eröffnung der lokalen Vertretungen des Selbsthilfewerks - Unterschlagungen
-- zum Teil aber kaum Sitzungen
-- Personalverbindung mit dem Chef der Rayonverwaltungen
-- Vertuschungen von Unterschlagung von Geldern (S.118).
5.12.1941
Minsk: bischöflich-kirchlicher Aufruf an die Bevölkerung zum Arbeitseinsatz im Reich
Der stellvertretende Erzbischof, Filofej, ruft die Bevölkerung zur Meldung zum Arbeitseinsatz in Deutschland auf.
Chiari:
"Der Stellvertreter der Metropoliten der weissrussischen orthodoxen Kirche, Erzbischof Filofej, wandte sich in Minsk mit einem Aufruf an die Bevölkerung, in dem er sie zur Unterstützung der deutschen Sache und zur Meldung für den Arbeitseinsatz in Deutschland aufforderte." (S.104)
Winter 1941/1942
Minsk: Frost zerstört Heizungsrohre
Der starke Frost zerstört Heizungsrohre und Wasserleitungen, die zum Teil an der Oberfläche lieben (S.86).
BSSR: Deutsche Forderungen nach Pelzen, Wollsachen und Fellen für die Wehrmacht
Die Bevölkerung soll Pelze, Wollsachen und Felle sowie Nahrungsmittel an die Wehrmacht abgeben. Die Rayonbürgermeister sind für die Requirierung zuständig, die u.a. mit der Befreiung der BSSR "vom bolschewistischen Terror" begründet wird (S.127, 143).
[Damit verarmt die Bevölkerung noch mehr, hungert und friert und wird noch anfälliger auf Antisemitismus, v.a. durch die Propaganda, dass der Kommunismus eine jüdische Erfindung sei].
ab Dez 1941
Gescheiterter Blitzsieg: Zurückstufung der Siedlungspläne - Gesamtorganisation der Ortspolizei in den besetzten "Ostgebieten" mit Einheimischen
Die Siedlungspläne der Rassenideologen werden in der Priorität zurückgestuft.
Chiari:
<Mit dem Scheitern des deutschen Vormarsches vor Moskau verloren die Siedlungspläne der Rassenideologen an Dynamik.>
Priorität gewinnt neu die militärische Sicherung des "deutschen Hinterlandes" durch die Gründung einheimischer Polizeieinheiten, benannt als "Ordnungsdienst", "Schutzmannschaft" oder Ordnungspolizei".
mit Weissrussen, Ukrainern, Letten, Litauern, in gemischten oder sortierten Gruppen (S.160), in polnisch besiedelten Gebieten auch mit Polen (S.273). Oft werden auch Kriegsgefangene als neue Polizisten rekrutiert (S.160-161). Möglichkeit zur Karriere (S.161).
Ende 1941
Ost-BSSR ohne Minsk: deutsches Festhalten an der Kolchosenstruktur - Siedelungsziele der SS
Der deutsche "Beauftrage für den 4-Jahres-Plan" hält an den Kolchosen fest, was sogar von der SS abgesegnet wird, denn die SS sieht darin ein Mittel für "ihre weitgreifenden Siedelungsziele", die später ebenso von Landwirtschaftsminister Backe unterstützt werden (S.134).
Das Siedelungsziel ist die Deportation der jüdischen Bevölkerung nach Nordsibirien.
(Auskunft von B.Chiari, 12.12.2000)
Zum Teil befiehlt die SS sogar die Kollektivierung von Hof- und Gartenland (S.136).
Die Auflösung der Kolchosen wird zum Dauerthema. Sowjetexperte Otto Bräutigam und Angehörige des Auswärtigen Amtes sowie die Abwehr sind für die Auflösung, denn die Bevölkerung bleibe sonst passiv und die Landwirtschaft ohne Überschüsse. Bräutigam will den Anschein einer Ausbeutung in den besetzten Ostgebieten auf alle Fälle vermeiden, denn sonst würden die 80 Mio. Menschen der Ostgebiete unregierbar (S.134).
Minsk: Bürgermeister V.Tumas geht nach Berlin - Nachfolger: Vaclav Ivanovskij
Bürgermeister V.Tumas wechselt nach Berlin, um dort für eine weissrussische Zeitung zu arbeiten, Nachfolger wird Vaclav Ivanovskij, ein Dozent der technischen Hochschule in Wilna, ein Deutschtreuer, der vor den sowjetischen Truppen im Oktober 1939 ins deutsch besetzte Polen geflüchtet war (S.99).
ab Ende 1941
BSSR wird für Moskau zur Hauptträgerin des "Volkskrieges gegen den Faschismus"
(S.27)
UdSSR-Polen: Aufbau einer polnisch-kommunistischen Armee
Die deportierten Polen finden Aufnahme in polnisch-sowjetischen Verbänden, um nach dem Sieg Polen zu einem sowjetischen Satellitenstaat zu machen. Zum Teil finden Polen auch Aufnahme in der Bürokratie.
Die deportierten Juden aus der BSSR finden Aufnahme in Bürokratie und Verwaltung, besser als die aus der BSSR deportierten Polen (S.50).
Winter 1941/1942
BSSR: Partisanen und Rotarmisten in den Wäldern hungern und überleben in Erdlöchern
(S.148)
Ende 1941/1942
[Ergänzung:
Weltweite Enttäuschung über den misslungenen Blitzsieg der Hitler-Truppen - "USA" müssen gegen das Reich aufrüsten
Der russische Winter begünstigt die angepassten Sowjettruppen, während die deutschen Panzer in der sibirischen Kälte steckenbleiben.
Das kommunistische Weltsystem ist nicht vernichtet und die ganze Welt muss sich auf einen längeren Krieg einstellen. England muss sich mit Lend-Lease-Abkommen die militärische Unterstützung der "USA" sichern, während Stalin gleichsam um Hilfe aus den kapitalistischen "USA" bittet.
In der Folge bekommt Russland vom Klassenfeind Kriegsmaterial, aber nie die Unterstützung durch englische oder amerikanische Soldaten. Stalins Bitte um die Eröffnung einer zweiten Front in Frankreich bleibt 3 Jahre lang unerfüllt. Stattdessen betreiben die "USA" und England Seelandungen am Rande des Hitler-Reiches, um Erfahrung und Zeit für eine eigene Aufrüstung zu gewinnen. England und die "USA" hatten den Sieg Hitlers in Moskau erwartet und keinen langen Krieg gegen die Hitler-Macht.
In: Valentin Falin: Zweite Front].
1942
Minsk: Gründung der "weissrussischen Unabhängigkeitspartei" / "Belorusskaja nezavisimaja partija", (BNP)
Fortan dominieren die katholischen Weissrussen aus Wilna und Mittel- und Südwest-Weissrussland. Verbindende Elemente:
-- Hass auf die Sowjets
-- Unkenntnis über die genauen Verhältnisse im Land
-- viele kommen aus Fluchtgebieten zurück und wollen sich am Kommunismus rächen (S.99)
-- sie suchen v.a. nach "Feinden" (S.100).
BSSR: Ghettowärter oder Polizisten werden Bürgermeister - "Verpflichtungserklärung"
Sie leisten dafür eine "Verpflichtungserklärung" [wahrscheinlich mit Eid auf den "Führer"] und bekommen dafür als Kompensation für die Sowjetisierung die Garantie, das eigene Land weiter bewirtschaften zu können oder sogar eine kleine Wirtschaft zu betreiben (S.143).
ab Anfang 1942
BSSR: Die Partisanen bekommen Zulauf
weil die deutschen Vorgesetzten sich dauernd anmassend verhalten und die Bevölkerung aus den Siedlungen und Betrieben flieht (S.132).
BSSR: deutsche Propaganda gegen den Bolschewismus - Behauptung, Bolschewismus sei jüdisch
-- Vergleich mit einer "Spinne", die das "weissruthenische Blut [...] aussaugen wolle, bis das Volk als solches ausgelöscht ist"
-- der Bolschewismus sei eine "jüdische Pest"
-- einheimische, von deutscher Seite ausgebildete Propagandisten - ehemalige russische Kriegsgefangene, die die Seite gewechselt haben - verdammen u.a. die "sowjetische Liederlichkeit" (S.131)
-- den Propagandisten fehlt die Verbindung zur antisowjetischen Intelligenz, und sie haben z.T. Sprachschwierigkeiten mit Deutsch und Weissrussisch (S.130) da sie meist übergelaufene Russen sind (S.132).
BSSR: Hetze der "Weissruthenischen Selbsthilfe" gegen Polen und Juden
Die "Weissruthenische Selbsthilfe" übertrifft in ihren Äusserungen gegen Polen und Juden die Vorgaben der deutschen Zivilverwaltung (S.156).
Weissruthenien: deutsche Zweifel an Blitzsieg - aufkommendes Misstrauen und Vorschriften gegen Partisanen - aufkommende Spionage und Gegenspionage
Aufkommende Zweifel in der deutschen Besatzung über die deutsche Zukunft in russischen Gebieten. Die Benutzung von Schreibmaschinen wird bewilligungspflichtig, um gegen russische Propaganda vorzugehen. Die Vorschrift wird durch interne Verbindungen unterlaufen.
In der Folge werden Männer der Unter- und Mittelschicht zu V-Männern für die Partisanen und für die deutsche Seite gleichzeitig, z.T. werden Kinder zu Spionagezwecken eingesetzt, in Einzelfällen Juden.
Chiari:
"In Einzelfällen verschonte man jüdische Ghettobewohner, um sie ebenfalls in der Aufklärung einzusetzen",
oder die deutsche Seite setzt "falsche Banden" ein, um die Loyalität einzelner Dorfbewohner oder ganzer Siedlungen zu überprüfen.
Als "verdächtig" gilt bereits das Lesen oder der Transport gewisser Zeitungen, Briefe oder Besuche.
Gleichzeitig wächst das Misstrauen unter der deutschen Besatzung selbst. Entwicklung einer Festungs- mentalität (S.77).
Weissruthenien: viele Möglichkeiten zum Widerstand gegen instabile deutsche Besatzung
Die deutsche Besatzung ist dermassen instabil, dass sich der Bevölkerung viele Nischen und Möglichkeiten bieten, die Besatzung zu "durchlöchern".
Chiari:
<Tatsächlich war der Alltag in allen Bereichen der Besatzungsgesellschaft durch Unsicherheit gekennzeichnet. In den Städten boten sich Nischen für jede Art antideutscher Tätigkeit. Spione liessen sich deutsche Papiere ausstellen und bewarben sich um einen Arbeitsplatz. In einem ständigen Vabanque-Spiel warben sie unter der Bevölkerung Vertrauensleute, ähnlich wie die deutsche "Abwehr". Vornehmlich geschah dies an den wenigen Plätzen, an denen sich öffentliches Leben vollzog, etwa während kultureller Veranstaltungen. Geschickte Rekrutierer konnten es mit ein wenig Glück bis zum Aufbau von Meldernetzen mit 20 und mehr Personen bringen, die Nachrichten sammelten und weitergaben oder bei der (S.76) Evakuierung bedrohter Personen halfen.> (S.77)
ab Anfang 1942 ca.
BSSR: Umwandlung einiger Kolchosen in Dörfer
auf Initiative der Bauern, wobei die Abwicklung mit den deutschen Stellen sehr lange dauert. Zudem werden die privatisierten Betriebe durch die deutschen Stellen dermassen kontrolliert, dass sich die Situation für die Bauern kaum ändert (S.136).
im Verlauf des Krieges / ab 1942 ca.
BSSR: Aufbau von russischen und polnischen Widerstandsstrukturen von aussen her
-- russische Partisanen von Moskau geleitet
-- polnische Heimatarmee von der polnischen Exilregierung in London geleitet.
Beide Widerstandsgruppen müssen sich auf die Reste der weissrussischen Gesellschaft stützen. Gleichzeitig ist die "Rest-Gesellschaft" destabilisiert und empfänglich für jede neue Perspektive, weil Polen, Weissrussen und Juden bei der Sowjetisierung gegenüber Russen und Ukrainern benachteiligt wurden (S.49)
[und die Gesellschaft durch den Produktionsausfall für zivile Produkte und die Requirierung von Winterkleidung für die Wehrmacht immer mehr in Not gerät].
ab Jan 1942
Kein Blitzsieg - Notverwaltung der besetzten Ostgebiete
Rosenberg muss sehen, dass er wenigstens das allernötigste Verwaltungspersonal zusammenbekommt.
Er diskutiert innerhalb seines Stabes, einheimisches Personal einzusetzen und alle Generalkommissariate Einheimischen zu überlassen, so dass die deutsche Kontrolle sich auf Aufsichtstätigkeit und regulierendes Eingreifen beschränken könne (S.58). Die Kompetenzabgabe an Einheimische wird nur innerhalb des Rosenberg-Stabes geführt. Gegen aussen wahrt Rosenberg den Schein eines stabil verwalteten Gebietes (S.59). Nur ein Bruchteil der offenen Stellen wird besetzt und wo besetzt, dort ist das Personal nur bedingt geeignet (S.60).
Feb 1942
Minsk: Das Generalkommissariat hat ca. 850 deutsche Frauen angestellt
(S.61)
Mitte März 1942
BSSR: kleine Zugeständnisse an die Landwirte - zentrale Befehle aus Berlin - Vertröstung auf den Sieg
Zugeständnisse sind (S.134):
-- Vergrösserung der Privatnutzungsfläche (S.134-135)
-- Einführung der neuen Agrarordnung (16.3.1942) (S.135)
-- aber die Zugeständnisse kontrastieren wieder mit zentralen deutschen Befehlen betreffs der Fruchtfolge, so wie zu Sowjetzeiten (S.138).
->> Gartenland und Viehhaltung bleiben für die Bauern am lukrativsten, es fehlen jedoch Futtermittel
->> die Kolchosen werden in "Landbaugenossenschaften" umbenannt (S.135).
Insgesamt werden die Bauern auf die Zeit nach dem Sieg gegen Moskau vertröstet, in der der Boden dann gerechter verteilt werden soll (S.135).
ab März 1942
Minsk: Einsatzstab Rosenberg: Strom, Telefon und Heizung
Strom, Telefon und Heizung stehen ab März 1942 auch dem Rosenberg-Stab zur Verfügung. Ausrüstungsgegenstände müssen aus den Ruinen gesucht oder mit "Organisationstalent" über den Schwarzmarkt organisiert werden: Bauteile, Glühbirnen, Glas (S.85).
Frühjahr 1942
Berlin: Auswärtiges Amt: dramatische Partisanentätigkeit: "rote", "weisse", jüdische und polnische Partisanen
Die Partisanentätigkeit wird bereits jetzt als "dramatisch" eingeschätzt (S.138). Partisanengruppen verschaffen sich mit Lügen Zutritt bei Höfen und berauben die Höfe, um zu überleben (S.148). Untergruppen sind "rote" Partisanen, die deutsche Einrichtungen zum Teil mit Zusehen der einheimischen Polizei sabotieren, und "weisse" Partisanen, die mit ihrer Partisanenexistenz dem Konflikt mit den Sowjets oder der Deportation ins Reich ausweichen. Daneben existieren jüdische und polnische Partisanen (S.149).
April/Mai 1942 ca.
BSSR: Einführen von Prämien für "besondere Tapferkeit" im Kampf gegen die Partisanen
(S.150)
BSSR: Jagd auf entlaufene Kriegsgefangene - Denunziationen
organisiert von Agronomen und Bürgermeistern, zusätzlich werden die Angehörigen der Entlaufenen denunziert (S.150).
Die Dorfältesten denunzieren z.T. mehr, als nötig wäre (S.151), auch auf deutschen Druck hin, denn sie werden für jeden Schaden an Strasse und Schiene verantwortlich gemacht (S.152).
Dorfälteste
-- denunzieren russische Partisanen, liefern polnische Flüchtlinge aus, fertigen Listen für Zwangsarbeiter an
-- verweigern kommunistischen Erschossenen die Bestattung auf dem Dorffriedhof (S.151)
-- Bürgermeister bereichern sich und buchen das geraubte Gut als "Partisanenverluste" ab (S.153).
Die deutsche Besatzung reagiert insgesamt willkürlich, so dass ein Misstrauen zwischen Dorfältesten und deutscher Besatzungsmacht entsteht. Die Bevölkerung steht zwischen den Fronten (S.153).
Die Rache der Partisanen gegen Denunzianten
In der Folge ist die Rache an den Dorfältesten, Bürgermeistern und Agronomen vorprogrammiert (S.151), ebenso Rache an Lehrern und Funktionären (S.152). Es kommt zu Plünderungen von Funktionärswohnungen und Verwaltungen mit Entwendung von Dienstsiegeln (S.153).
27.5.1942
Weissruthenien: Hirtenbrief der orthodoxen Kirche mit Lob für "deutsche Brüder"
Im ersten Hirtenbrief der orthodoxen Kirche werden die "deutschen Brüder" als Befreier Weissrusslands gefeiert, die das Land vom "Bolschewistenjoch" befreit hätten. Abdruck in der "Deutschen Zeitung im Ostland" vom 27.5.1942:
<Der Allerhöchste erhörte unsere Gebete, und als wir schon jegliche Hoffnung verloren hatten, schuf er ein grosses und unerwartetes Wunder: Unsre Nachbarn im Westen, die deutschen Brüder, schickten mit Gottes Hilfe ihre tapferen Söhne, das grosse Kriegsheer, und es warf von unseren Schultern das grausame Bolschewistenjoch ab, riss uns aus kommunistischen Sklavenketten heraus, und Weissruthenien war wieder zu neuem Leben auferstanden.> (S.104)
Juli 1942
Minsk: Einsatzstab Rosenberg: Übergabe der Leitung von Günther H. an Dr. Günther K. - Minsk als unbeliebtester Ort der Ostgebiete
Dr. Günther K. ist Musikwissenschaftler.
Minsk wird wegen seiner Ruinen und fehlenden Infrastruktur innerhalb des Einsatzstabes Rosenberg zur "Strafversetzungsstelle" (S.84).
Sommer 1942
BSSR: zweite grosse Exekutionswelle gegen Juden: Weissrussen denunzieren, v.a. Litauer und Deutsche schiessen
Weissrussische Polizisten denunzieren den deutschen Besatzern die jüdischen Häuser, treiben die Juden zusammen und führen diese an die Gruben. Die Exekutionen nehmen meist Litauer und Deutsche vor. Manchmal führt die einheimische Polizei die Exekution sogar selber durch, ohne deutschen Befehl (S.184).
BSSR: Massnahme gegen die Bereicherung der Bürgermeister: deutscher Druck und Kontrolle
Auf deutschen Druck hin müssen die Rayonverwaltungen
-- den gesamten Schriftverkehr sammeln
-- die Steuern durchsetzen
-- pauschale Strafzahlungen durchsetzen
wobei die deutsche Besatzungsmacht droht, bei Nichtbezahlen gruppenweise Dorfbewohner als Geisel zu nehmen, bis bezahlt sei (S.154)
-- zusätzlich müssen die Dorfältesten ein Netz gegen die russischen Partisanen aufbauen
-- Organisation der Jagd auf "unzuverlässige Elemente" (S.155)
-- Dorfälteste berauben Wohnungen von Denunzierten (S.157)
-- Einführen der Sippenhaft gegen "partisanenverseuchte Dörfer" (S.155).
In der Folge pressen die Dorfältesten nun alles aus der Bevölkerung heraus. Freiraum bietet nur noch die Kirche (S.154).
[Dadurch nimmt die Verarmung der Bevölkerung weiter zu und der Antisemitismus mit der Beraubung der Juden wird weiter provoziert].
BSSR/Polizei: weissrussische Denkschrift zum "Schulterschluss" mit dem deutschen Blut
(S.171)
ab Sommer 1942
Weissruthenien: Gemeindebürgermeister werden zu Richtern - russische und polnische Partisanen-Gerichtsbarkeit
Gemeindebürgermeister bekommen Gerichtskompetenz und Urteilsbefugnis für kleinere Delikte, um den Gerichtsnotstand im Land abzubauen. Die Strafen sind drakonisch, bis 1000 Rubel Busse, bis 14 Tage Arrest und Zwangsarbeit (S.109). Juden werden deutschen Stellen zugeführt und sofort erschossen (S.113)
[nicht erwähnt: Kopfgeld auf Juden und Belohnung für die Denunzianten;
in: Tec: Widerstand, S.131-132, 141].
Delikte sind: Diebstahl, Arbeitsverweigerung gegenüber deutschen Stellen, Schwarzbrennen von Alkohol, Betrug, Schwarzhandel oder Hehlerei, Tragen einer falschen Uniform (S.112), illegaler Waffenbesitz (S.113). Zudem ist bei Einvernahmen Willkür wie auch willkürliche Hausdurchsuchungen üblich (S.113).
Gleichzeitig werden auf dem Land infolge der gefährdeten Verbindungswege immer weniger Fälle gemeldet (S.111).
Die ungenaue Praxis über die Zuständigkeit ergibt jedoch einen erneuten Vertrauensverlust in die Verwaltung (S.109).
Russische und polnische Widerstandsgruppen begründen ihre eigene "Gerichtsbarkeit" (S.109).
Mitte 1942 ca.
Weissruthenien: hilflose deutsche Besatzung gegenüber den Partisanen - Pistolen als Statussymbol - Einheimische bekommen gegen Partisanen keinen Waffen (!) - Friedhofsruhe in der BSSR
In der deutschen Besatzung steigt das Misstrauen, die Angst vor Spionen und Partisanen. In den deutschen Büros kommt infolge erster Partisanenanschläge das Gefühl auf, dauernd belagert zu sein.
In der Folge verlangen immer mehr deutsche Zivilisten Waffenberechtigungsausweise. Jeder, der eine Anzahl "Einheimischer" kontrolliert, will eine Waffe (S.74). Weissrussen und Polen, die lange Diensttouren zu bewältigen haben, wird die Waffenberechtigung vorenthalten. Sie bleiben vor den Partisanen ohne Schutz (S.74-75). Dörfer beginnen, mit Beutewaffen einen Selbstschutz aufzubauen, um so den deutschen Befehlen gegen die Partisanen nachzukommen (S.78). In der Folge wird die "Pistole im Nachtkästchen" zum Statussymbol und ist gleichzeitig ein Symbol für "deutsche Machtlosigkeit". In der Atmosphäre der Angst führen die deutschen Besatzer die Vorkostpraxis ein, um vor Vergiftung sicher zu sein (S.75).
Allgemein meidet die Bevölkerung wie die Besatzung öffentliche Plätze. In den Städten herrscht "Friedhofsruhe", im Wald die Partisanen. Deutsche Soldaten verweigern die Kommunikation mit der Bevölkerung, diskutieren nur in kleinen Gruppen, v.a. mit einheimischen Frauen, solange keine Vorgesetzten sie sehen (S.76).
BSSR: die Prekäre Lage der Bürgermeister - deutsche Einheiten schützen die Eisenbahnlinien
-- sie sollen ohne Waffen Zivilisten gegen Partisanen schützen (S.142)
-- die Partisanen rächen sich an den Bürgermeistern für deren Denunziationen und Kollaboration mit der Ermordung von Angehörigen oder sie ermorden die Bürgermeister selber (S.144)
-- die deutsche Besatzung konzentriert sich auf die Kontrolle über Eisenbahnen, wobei sogar Gleisreparaturen durch deutsche Aufseher überwacht werden (S.128).
ab Mitte 1942
Weissruthenien/Rubezevitschi: wachsende Herrschaft der russischen Partisanen
über die Region Rubezevitschi bei Novogródek nach Zerstörung einer Polizeigarnison. Der sowjetische Kommandant bekommt Gerichtskompetenz, zieht Steuern ein und setzt dabei sogar die einheimische Selbstverwaltung ausser Kraft. Dasselbe gilt für Klitschev, wo sogar eine sowjetische Zeitung erscheint (S.126). Zum Teil beherrschen die Partisanenkorps bereits ganze Höfe, die sie für sich arbeiten lassen (S.137).
BSSR: Verdoppelung der Polizei gegen die Partisanen - weissrussische SS - deutsche SS-Willkür
Die Polizeikorps werden mit grosser Mehrheit aus einheimischen Bauern verdoppelt (S.165), um Kampfaufträge gegen Partisanengruppen und zu "Straf- und Vernichtungsaktionen" auszuführen (S.160). Die Polizei macht somit die Eskalation der Gewalt mit (S.162). Aufstellen einer weissrussischen SS-Freiwilligenkompanie (S.161).
Weissruthenien wird für viele deutsche Besatzer "undurchschaubar" und löst stereotype Bilder von Angst und Schrecken aus (S.77). SS- und Polizeiführer von Gottberg lässt mit Terror die Bevölkerung verängstigen, was absolut kontraproduktiv ist (S.78).
BSSR/Polizei: Die Polizei eignet sich Gerichtskompetenz an und erschiesst gleich selber - Eigendynamik, Gewalt und Greuel durch die Polizei
(S.167)
Slonim: Deutsche Erfolge gegen Partisanen im Verhältnis 6:1
Gebietskommissar Ehrenleitner meldet ein Verlustverhältnis der Partisanen zu den Deutschen von 6:1 (S.130).
ab Sommer 1942 ca.
Minsk: Russische Luftangriffe - Kellerkultur und Hunger - Partisanendiebstähle und Umteilungen
Durch russische Luftangriffe wird Minsk noch mehr zerstört. Bombardierung deutscher Dienstgebäude und der 1941 heil gebliebenen Wohnviertel. Umstände:
-- die deutsche Verwaltung muss sich in Kellern einrichten
-- in Minsk bricht Hunger aus
-- deutsche Durchhalteparolen erinnern an "Pflichterfüllung", Appel an "Ordnung [...], Ehrgefühl und Verantwortungsgefühl"
-- Diebstahl an Einrichtungs- und Bürogegenständen durch Partisanen nimmt immer mehr zu
-- Abwanderung deutscher Mitarbeiter des Einsatzstabs Rosenberg an besser versorgte Stellen, z.B. in den Lazarettdienst (S.87).
Aug 1942
Minsk: Versammlung der Gemeindebürgermeister, nur einer fehlt - Hoffnung auf eine bessere Zeit nach einem deutschen Sieg
-- die Partisanen haben noch keine Macht, die die deutsche Herrschaft blockieren würde
-- in den Rayons herrscht keine Panik wegen der Partisanen (S.128)
-- die Abgabelasten empfinden die Bauern als "drückend, aber nicht unzumutbar"
-- mehrheitlich wird immer noch ein Sieg der deutschen Seite gegen den Bolschewismus erwartet.
Chiari:
<Viele Menschen rechneten 1942 nicht mit der Rückkehr der Roten Armee. Sie hofften vielmehr auf ein baldiges Kriegsende, um ein neues und besseres Leben zu beginnen.>
-- Feststellung, dass es den Dörfern an Militärschutz mangelt (S.129)
-- die Repräsentanten der Selbstverwaltung haben selbst keinen Überblick, wo sich welcher Widerstand befindet (S.129-130)
-- v.a. aber die polnischen Partisanen nehmen stetig zu, v.a. in den polnischen Zentren Lida und Slonim
-- die Partisanen haben gegen die deutschen Truppen regelmässig sehr hohe Verluste
-- Hauptleidtragende der Auseinandersetzungen sind Bauern und Dorfrepräsentanten (S.130).
Sep 1942
Minsk: Rosenberg-Einsatzstab: Gründung der "Weissruthenischen wissenschaftlichen Gesellschaft"
an einem gemeinsamen Treffen des Rosenberg-Einsatzstabs mit der deutschen Zivilverwaltung und mit weissrussischen Wissenschaftlern, in der Wohnung des Minsker Bürgermeisters Ivanovskij (S.91).
16.9.1942
Minsk: Starke Reduzierung der Juden im Rosenberg-Einsatzstab
Im Rosenberg-Einsatzstab verbleiben nach Abschluss der Säuberung der "Judaica" noch wenige Juden, die "aus arbeitstechnischen Gründen" noch dort belassen werden können (S.242).
Sep/Okt 1942
Weissruthenien: Die meisten Deutschen tragen bereits eine Schusswaffe - steigende Nervosität
(S.86)
[Ergänzung:
Wieder kein "Endsieg" erreicht. Kessel Stalingrad].
Okt 1942 ca.
Region Minsk: Partisanenüberfall auf deutschen Konvoi: Ermordung des Gebietskommissars von Minsk-Land, Ehrenleitner, des Leiters der dortigen Finanzabteilung, des Gebietslandwirts, des Gebiets-Gendarmerieführers und deutscher und weissrussischer Soldaten
Grosse Beerdigungsfeier in Minsk. Die Angst steigt aber weiter (S.87).
BSSR: Bürgermeister und deutsche Offiziere rekrutieren Zwangsarbeiter - zivile Gegenwehr und Eskalation der Gewalt durch die Polizei
"Ostarbeiter" werden gewaltsam rekrutiert (S.127). Die Verschickung zur Zwangsarbeit wird für die Bürgermeister auch zum Dauerdruckmittel (S.147), wobei Zwangsarbeiter gemäss deutschen Forderungen zusammengetrieben werden müssen (S.127). Zusammen mit Polizei und Gendarmerie "organisieren" die Bürgermeister die "Verschickungen" ins Reich (S.147), wobei die einheimische Polizei wesentlich zur Gewalteskalation beiträgt (S.159).
Deutsche Offiziere ziehen aus Kirchen und Schulen willkürlich und unangemeldet arbeitstaugliche Männer und Frauen heraus, greifen sogar bei Exekutionen ein, um die "Verschwendung von Menschenmaterial" zu reduzieren und lassen Arbeitstaugliche ins Reich verschicken.
Die Gegenwehr gegen die Verschickung ins Reich:
-- Bestechung der Bürgermeister, um Angehörige vor der Deportation zu retten
-- Dorfälteste können ärztliche Zeugnisse manipulieren
-- Fluchtgelegenheit auf Verladebahnhöfen (S.147).
ab Nov. 1942 ca.
Weissruthenien: Sprachenkampf: Die Polen torpedieren die Belorussifizierung
-- dauernde Schwierigkeiten mit polnischen Einflüssen, die sich gegen die "Belorussifizierung" stemmen
-- polnische Bürgermeister verbieten die Lektüre weissrussischer Zeitungen, womit auch die Publikation des Selbsthilfewerks verboten werden (S.117).
Winter 1942/1943
Minsk: Einsatzstab Rosenberg: Heizung mittels Torf
von der Wehrmacht erbettelt (S.85). Alkohol und Zigaretten für die Bewirtung von Gästen bleiben weiter aus (S.86).
Ende 1942
Berlin: NSDAP kreiert ein Programm "Deutsche Gemeinschaft"
für alle Deutschen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion. Es ist ein Programm zur Schaffung eines deutschen Lebensstils und zum Leiten deutscher Arbeitsgemeinschaften (S.66-67).
Weissruthenien: Todesurteile gegen mehrere deutsche Verwalter
wegen Raub und Plünderung (S.62).
Weissruthenien: Selbsthilfewerk: Fast 30.000 Mitglieder
(S.117)
BSSR: 2/3 der weissrussischen Höfe sind unter Partisanenherrschaft
(S.137)
Riga: Erfassung der Verluste an Landwirtschaftsmaschinen an die Partisanen
Die Landbewirtschaftunsgesellschaft Ostland meldet an Verlusten von Landwirtschaftsmaschinen an die Partisanen:
48 % der Traktoren
42 % der Dreschmaschinen
18 % der Mähmaschinen
49 % aller Lastkraftwagen
31 % der Molkereien (S.139).
Ende 1942/ 1943
Weissruthenien umfasst noch 2,5 Mio. gezählte Einwohner auf knapp 60.000 km2
(S.55)
Tabelle: Einwohner in den einzelnen Gebietskommissariaten in Weissruthenien Datum
Gebietskommissariat
Einwohnerzahl
7.3.1943xxxxxxxxx
xxxxxxxBaranovitschi
341.522xxxxxxx
20.1.1943xxxxxxxxx xxxxxxxBorisov: nur Rayon Plisanici
32.717xxxxxxx 16.12.1943xxxxxxxxx xxxxxxxGlubokoe
340.217xxxxxxx 22.1.1943xxxxxxxxx xxxxxxxGancevitschi
119.595xxxxxxx 11.11.1942xxxxxxxxx xxxxxxxLida
278.508xxxxxxx 15.4.1942xxxxxxxxx xxxxxxxMinsk Stadt
103.110xxxxxxx 13.12.1942xxxxxxxxx xxxxxxxMinsk Land
304.241xxxxxxx 3.3.1943xxxxxxxxx xxxxxxxNovogrudok
194.504xxxxxxx 8.12.1942xxxxxxxxx xxxxxxxSlonim
171.563xxxxxxx 10.12.1942xxxxxxxxx xxxxxxxSluck
220.603xxxxxxx 23.1.1943xxxxxxxxx xxxxxxxVilejka
299.553xxxxxxx Total
2.411.333xxxxxxx
(S.96-97)
Höchste Bevölkerungsdichten existieren neben Minsk-Stadt in Lida mit 60,0, in Baranovitschi mit 59,2 und Minsk Land mit 56,0 Einwohner pro Quadratkilometer (S.96).
[nicht mitgezählt: die Versteckten, die Partisanengruppen, die ins Reich freiwillig oder gezwungen Verschickten].
1943
Weissruthenien: Strafaktionen und Razzien mit Konsultation deutscher "Kreislandwirte"
(S. 55)
BSSR: antibolschewistische Propaganda in neu geschaffenen Berufsverbänden
Schaffung von weissrussischen Berufsverbänden, die mit einheimischen Propagandisten gegen den Bolschewismus Propaganda betreiben:
-- der Bolschewismus sei das "Judenjoch"
-- Verherrlichung der "weissrussischen SS-Bataillone" (S.131)
-- Verherrlichung des "Bundes der weissruthenischen Jugend" (S.131-132)
-- Beschwörung des Schulterschlusses gegen "den Feind" (S.132)
Region Mir/Dolginovo: Erschiessung von Polen zur Belorussifizierung
Erschiessung eines polnischen Agronoms und des polnischen Gemeindebürgermeisters, Einsetzen weissrussischer Funktionäre, um den weissrussischen Bauern gerecht zu werden, die zum Teil die Arbeit unter den Polen verweigert haben (S.144).
BSSR: deutsche Stützpunkte im "Niemandsland"
Durch Vergeltungs- und Rekrutierungsaktionen werden ganze Regionen zu "Niemandsland", z.B. die Region Staryna. Aus den Trümmern bauen sich Polizeitrupps unter deutscher Leitung Stützpunkte als Ausgangspunkt zum Kampf gegen die Partisanen. Immer wieder werden "Unerschrockenheit" und "Draufgängertum" gelobt und ausgezeichnet (S.169).
1943 ca.
BSSR: Deutscher Schulversuch, lateinische Schrift einzuführen
Der Versuch, die weissrussische Sprache im lateinischen Alphabet zu unterrichten, stösst bei weissrussischen Kindern und Lehrern auf grosse Ablehnung und vermindert jede Motivation (S.314).
BSSR: Jugendwerk als Reservoir für die Armee
Das weissruthenische Jugendwerk dient als Reservoir für Zwangsarbeiter, Polizisten und Soldaten (S.314).
Anfang 1943
Moskau: Kündigung des Abkommens zur Staatsbürgerschaft mit Polen
Das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten in Moskau erklärt alle Abkommen mit der polnischen Regierung betreffs Nationalitäten für gegenstandslos (S.38).
ab Anfang 1943
BSSR: Versuchte Fehlerkorrektur in der Landwirtschaft ohne Chance - Hungerödeme und deutscher Machtverlust
Deutsche Zivilverwalter versuchen, die Fehler der ersten Besatzungsmonate zu korrigieren, was aber kaum noch möglich ist. Es breitet sich Hunger aus, in gewissen Regionen bei über 70 % der Bevölkerung. Zum Teil ernähren sich die Menschen von Gras. Für Einheimische ist der Zukauf von Lebensmitteln aufgrund der hohen Preise für Einheimische unmöglich. Überall kommt es zu Hungerödemen. Allgemeiner Salzmangel (S.140).
Weissrussland bekommt durch die Partisanenbewegungen eine "Sonderstellung" in der deutschen Heeresführung (S.56). Die deutsche Verwaltung kann nur noch mit Hilfe von Militär und Polizei requirieren, kann aber nicht mehr reagieren. Die deutschen Gebietskommissare müssen sich damit abfinden. Einige ziehen sich in ihre Amtssitze zurück und betreiben Privatgeschäfte, andere isolieren sich von der Realität und glauben weiter an die "Lebensraumutopie" (S.58).
Für den Zustand macht die deutsche Besatzung den Bolschewismus verantwortlich. Die Rassenideologie wird weiter verfolgt und eine "Politik des Durchgreifens" statt Konversation betrieben. Das pauschale Niederbrennen ganzer Dörfer wird zu einem "Mittel", deutsche "Autorität" zu zeigen. Politische Propaganda für den Nationalsozialismus wird weiter nicht betrieben, da man keine zusätzlichen Anhänger brauche (S.79).
Zerfall der zivilen Wertesysteme durch den Dauerkampf
In der Folge der dauernden Spannungen zwischen Polen, Weissrussen, Russen und Resten der jüdischen Bevölkerung und jüdischen Partisanen kommt es zu einem Zerfall des Wertesystems und zu einer Verrohung der Gesellschaft. Deutsche, Weissrussen und Polen versuchen die Manipulation an der Bevölkerung (S.4). Durch die Massenerschiessungen und Deportationen ganzer Dörfer verlieren ganze Regionen ihre Verbindungen zum Umland. Die Isolation verstärkt sich (S.5).
ab Anf 1943 ca.
BSSR: Bau von Wehrdörfern
(S. 148)
Diese Wehrdörfer sind gegen die Partisanen und die Rote Armee gerichtet. Errichten eines Netzes von Festungen, das über das ganze Land verteilt ist.
(telefonische Information von Bernhard Chiari, 12.12.2000).
BSSR: Absage nationalsozialistischer Feiertage in der Provinz - Feste vor Ruinen in Minsk
In der Provinz fallen die nationalsozialistischen Feiertage wegen Mangels an Lebensmitteln und Getränken aus. In Minsk werden Mai- und Muttertagsfeiern vor Ruinen abgehalten und in deutschen Reden der Sieg und der Wiederaufbau beschworen (S.130).
Weissruthenien: orthodoxe Kirche und Gerichte verlieren auf dem Land an Einfluss
Die weissrussisch-orthodoxe Kirche hat immer weniger Einfluss auf dem Land, wird wegen durch die Partisanen unterbrochenen Verbindungen abgeschnitten, ebenso die weissruthenische Gerichtsbarkeit, die dadurch weiter an Autorität und Bedeutung verliert (S.107). Gleichzeitig bekommen die weissruthenischen Gerichte die Aufgabe, für die deutschen Stellen Verhöre durchzuführen (S.108).
Weissruthenien: deutsche Praxis der Kollektivstrafen und "Vergeltungsaktionen" auf dem Land
weil die Gebiete für die Gerichte nicht mehr zugänglich sind. Die deutsche Besatzung kompensiert dabei die eigene Schwäche, statt den Fehler bei sich zu suchen (S.114).
Weissruthenien: Gerüchteküche
-- Gerücht in der Bevölkerung, dass deutsche Besatzung und Partisanen sich Gebiete aufgeteilt hätten, um Auseinandersetzungen zu vermeiden
-- Diskussion in der Bevölkerung, ob Amerikaner oder Sowjets zukünftig das Land beherrschen werden (S.78).
Jan 1943
Minsk: Stop der Durchführung der neuen Agrarordnung wegen Undurchführbarkeit - Prämien für deutschtreue Bauern
Die Agrarordnung wird angehalten. Generalkommissar Kube ordnet an, dass alle Bauern, die ihre Abgabepflicht zu 100% erfüllen, registriert werden, um ihnen Boden als Privateigentum zurückzugeben. De facto ist aber gar kein Land mehr zu vergeben (S.139).
März 1943 ca.
Slonim: Zwei deutsche Aktionen gegen Partisanen
(S.130)
Minsk: Einsatzstab Rosenberg: lange Kartoffelsortierarbeit
Langes Aussortieren der angefaulten Kartoffeln, um die Ernährung zu sichern (S.86).
29.3.1943
Weissruthenien: die deutsche Besatzung ist nur noch ein Netz kleiner Festungen
die auf "Abwehr" der Partisanen ausgerichtet ist. Ein Aktenvermerk vom 29.3.1943 über einen Besuch der Rayonstadt Rudensk:
"Demgegenüber steht die deutsche 'Abwehr' (nur als solche kann unsere jetzige Herrschaft bezeichnet werden). Das Land ist überzogen von teils äusserst wehrhaften Stützpunkten, die äusserlich durch ihre gewaltigen Holzpallisaden und Befestigungen ein teilweise sehr imposantes, aber doch bedenkliches Bild geben. [...] ganze Gebiete [sind] völlig ausser unserer Macht." (S.77)
Am Ende sind die deutschen Besatzer in ihren Bürostuben isoliert und feiern ihre "Kameradschaftsverhältnisse" (S.80).
ab März 1943
Region Slonim: Partisanenherrschaft durch Partisanen "unbekannter Nationalität"
"Mehrere 1000 Partisanen unbekannter Nationalität" beherrschen in der Region Gebiete, so dass die Zivilverwaltung keinen Zugang mehr hat (S.130).
ab April 1943
BSSR: Einführen von Prämien für die Abgabe von alten polnischen und sowjetischen Waffen
(S. 142)
Mai 1943
Ost-BSSR: Zaslavl': "Befriedungsaktion" der Polizei: 1419 Tote
Abbrennen von 13 Dörfern mit 317 Höfen und Abbrennen von 2190 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche (S.128).
Minsk und Baranovitschi: Einrichtung weissrussischer Bezirksgerichte
die jedoch unrealistische Entscheidungen fällen (S.108) und mit Anwälten und Richtern besetzt sind, die seit langem unter sowjetischer Herrschaft agiert haben und deswegen keine Erfahrung mehr mit Besitzrecht haben. Es kommt somit zu einem weiteren Autoritätsverlust (S.109).
Juni 1943
Weissruthenien/Minsk: Gründung eines "Vertrauensrats"
zwischen deutschen Behörden und weissrussischer Bevölkerung, 16 Mitglieder, Vorsitz führen V.Ivanovskij und Ju. Sobolevskij (S.98).
3.6.1943
Ost-BSSR: Einführung des bäuerlichen Eigentums für die Ost-BSSR
obwohl de facto kein Boden mehr zu vergeben ist (S.139).
Mitte 1943 ca.
Minsk: Untersuchung nach Läusen: 33 % der einheimischen Angestellten haben Läuse
Jeder dritte einheimische Mitarbeiter des Generalkommissars Kube hat Läuse. Die Desinfektionen von Räumen haben nur mässigen Erfolg. Die Entwesung wird vorbereitet, dann das Gebäude aber durch einen russischen Bombenangriff zerstört (S.86).
ab Mitte 1943
BSSR: Waffenausgabe an Betriebsmeister gegen Partisanen
(S. 142)
BSSR: Entwicklung einer riesigen Zukunftsangst in der Bevölkerung
Die Bevölkerung entwickelt die Angst vor Sippenhaft im Falle, dass die Rote Armee die Macht übernimmt.
Die Partisanen führen "Schwarze Listen" mit den Namen von Funktionären, die denunziert haben. Situation:
-- die Bevölkerung verzweifelt
-- die deutsche Besatzung kann nur noch willkürlich reagieren
-- beim Überlaufen zu den Partisanen reagiert die deutsch geleitete Polizei mit Sippenhaft gegen die Angehörigen (S.155).
Viele Weissrussen sehen als Ausweg den Entscheid zur Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht und treten der Polizei bei, um im Zweifelsfall, wenn die Rote Armee Weissrussland wieder besetzen sollte, mit ins Deutsche Reich reisen zu dürfen. So können sie wenigstens ihr Leben vor der bolschewistischen Rachejustiz retten, meinen sie.
(telefonische Auskunft von B.Chiari, 12.12.2000)
Sommer 1943
BSSR/Minsk: Errichtung von Grundbuchämtern
mit Geld für Vermessungswesen. Der Schritt kommt zu spät, denn die Partisanen beherrschen das Feld (S.136).
ab Sommer 1943
BSSR: Denunziantengesetz
Die deutsche Besatzung verpflichtet Agronomen und Dorfälteste, jeden "Verdächtigen" zu melden.
(S. 145)
BSSR: Selbsthilfewerk: Reduktion der Finanzierung durch deutsche Verwaltung
(S. 119)
3.7.1943
Weissruthenien: weissrussische Berufsverbände huldigen Kommissar Kube
Die weissrussischen Berufsverbände huldigen Kube und den deutschen Besatzern als arische Blutsver- wandte. Die Weissruthenen seien in die "Familie der Völker des neuen Europas" zurückgeholt worden (S.54).
30.7.1943
West-BSSR: Einführung des bäuerlichen Eigentums für die ganze BSSR
Dabei hat die Zivilverwaltung keine Kontrolle mehr und die Bauern bewirtschaften zum Teil ohne Rücksprache mit der Zivilverwaltung brachliegende Flächen (S.139). Der Plan, einen deutschen "Privatisierungsbeamten" einzusetzen, wird zudem verschleppt (S.140).
Aug 1943
BSSR: Ÿ der weissrussischen Höfe sind unter Partisanenherrschaft und gelten als "verloren" - Zerstörung von Höfen, um den Partisanen die Existenz zu erschweren
(S.137). Beispiel Sluck: Von 20 Staatsgütern kann die deutsche Verwaltung nur noch eines erreichen (S.138). Die von Partisanen besetzten Höfe werden als "verloren" aufgeführt und zum Teil unter Partisanenbefehl weiter bewirtschaftet. Von den "verlorenen Höfen" sind "nur" ein Drittel von deutscher Stelle abgebrannt, um die Existenz der Partisanen zu erschweren (S.138-139).
Sep 1943
Vitebsk: "Partisanenaktion" mit deutscher, lettischer und ukrainischer Polizei
(S. 162)
2 Wochen vor dem Attentat auf Kube/8.9.1943 ca.
Minsk: Bombenanschlag - deutsche Rache: willkürliche Erschiessung von 300 Weissrussen
Männer, Frauen und Kindern (S.126), z.T. nur, weil sie sich nicht ausweisen können, darunter mehrere Mitglieder der Zivilverwaltung. Die Identifizierung dauert mehrere Tage und produziert in höchstem Masse Unruhe in der Zivilbevölkerung (S.127).
22.9.1943
Weissruthenien: Ermordung von Generalkommissar Kube durch Partisanen - Nachfolger: SS-Führer von Gottberg
In der Nachfolgediskussion rät die "Abteilung Politik" von einer Nachfolge des SS-Führers von Gottberg ab (S.91). Nachfolger wird aber trotzdem SS- und Polizeiführer, SS-Brigadeführer von Gottberg. Nun hat die SS die volle Macht über Weissruthenien und jede zivile Verwaltung ist praktisch ausgeschaltet (S.56). Rosenberg ist durch den Personalentscheid praktisch ausgeschaltet (S.57).
Herbst 1943
BSSR: Sowjetische Partisanenverbände künden die flächendeckende Herrschaft an
wenn die Rote Armee gekommen sein wird. In der Folge ergibt sich eine stillschweigende Kollaboration der Dorfältesten mit den Partisanen. Die Marionettenregierung "Weissrussischer Zentralrat" kann an den Zuständen nichts ändern (S.156).
Minsk: Weissrussisches Selbsthilfewerk: Absetzung des Leiters Ivan Ermatschenko wegen Bereicherung - Nachfolger: Jurij Sobolevskij
(S. 115)
Minsk: Allmähliches Eintreffen der rückflutenden Wehrmacht - Raummangel
Die Wehrmacht drängt zurück, braucht in Minsk mehr und mehr Raum. In der Folge werden die Bibliotheksbestände in einzelnen Kellern zusammengepfercht (S.92).
Herbst 1943
BSSR: Die Juden im Generalkommissariat Weissruthenien sind grösstenteils umgebracht
Chiari:
"Bis zum Herbst 1943 waren die Juden im Generalkommissariat grösstenteils getötet worden." (S.263)
Okt 1943
Minsk-Land: Stimmungsumschwung für die russischen Partisanen
50 % der ländlichen Bevölkerung sympathisiert mit dem sowjetischen Widerstand. Gerüchte besagen, der in Sibirien versteckte Zar Michail werde wieder Machthaber werden (S.126).
Minsk: Rosenberg-Einsatzstab: Antrag auf Verlegung der Bibliotheksbestände an "sicherere Orte"
Der Rosenberg-Einsatzstab beantragt beim Generalkommissar von Weissruthenien von Gottberg die Überführung der der Bibliotheksbestände der Lenin-Bibliothek und der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften an "sicherere Orte" (S.92).
Dez 1943
Minsk: Gründung und erste Sitzung des "Weissrussischen Zentralrats": Präsident Ostrovskij - Tätigkeiten und Konfrontationen mit den deutschen Stellen
Arbeitsaufnahme des "weissruthenischen Zentralrats" / "Belorusskaja Central'naja Rada"
als Marionettenregierung, ist in nationalsozialistischen Propaganda-Augen eine "nationale Selbstbestimmung" im "Neuen Europa", ist aber praktisch bedeutungslos (S.98). Der neue Generalkommissar von Gottberg macht den aus der Region Sluck stammenden weissrussischen Funktionäre R.Ostrovskij zum Präsidenten des Weissruthenischen Zentralrats (S.98), den polnischen Verwaltungsführer aus Baranow, Sobolevskij, zum Vorsitzenden der "Weissruthenischen Selbsthilfe" (S.99).
Die Ministerien
Gründung rudimentärer Ministerien für Aufklärung, Wirtschaft, Planung und Verteidigung, Finanz, Jugend, Soziales, Verwaltung, Presse und Propaganda, Wissenschaft und Kultur.
Die Ostrovskij-Regierung wird von der SS dauernd misstrauisch betrachtet und kontrolliert, v.a. wegen der Sprachbarriere. Sie bleibt ohne eigentliche Kompetenzen (S.100).
Die Tätigkeiten
Die Marionettenregierung Ostrovskij bekommt untergeordnete Aufgaben wie:
-- Einführen neuer Steuern auf Kino- und Theaterkarten
-- Speisung der notleidenden Bevölkerung, Flüchtlingen und Kindern (S.100)
weitere Tätigkeiten:
-- der Zentralrat will die Weissrussen im Exil unterstützen
-- der Zentralrat bemüht sich um Einschränkung der Polen in Weissrussland
-- der Zentralrat befürwortet zur Einhaltung des von der deutschen Besatzung bestimmten Kontingents die Deportation von 6-7000 Polen aus den Regionen Slonim und Lida nach Deutschland zum Arbeitseinsatz, weil die Polen die polnischen Partisanen unterstützen
-- der Zentralrat schlägt die Deportation von Flüchtlingen nach Deutschland vor, weil es ihnen in Deutschland besser gehen würde als in den Flüchtlingslagern Weissrusslands (S.102).
Einfluss nur in Minsk - Kompetenzgerangel mit deutschen Behörden
Der Einfluss des Zentralrats bleibt auf Minsk beschränkt, wobei die Mittel auch für Minsk nicht ausreichen.
Zwischen Regierung und Besatzung kommt es zu Sprachproblemen um "Polonismen" oder speziellen weissrussischen Formen aus dem Exil. Der Bevölkerung ist die neue "weissrussische Regierung" ob der Not völlig egal (S.100), wogegen die Regierungsmitglieder von nationaler Politik träumen und dabei von weissrussischen Exilanten aus Deutschland unterstützt werden.
Deutsche Zensur und der SD verhindert jedoch die nationale Eigenständigkeit. Die deutsche Verwaltung wirft den Veranstaltungen der weissruthenischen Regierung zum Teil sogar Bolschewismus vor (S.101). Charakteristisch ist auch das dauernde Kompetenzgerangel mit der deutschen Verwaltung und der orthodoxen Kirche, denn die "Konfessionsabteilung" des Zentralrats entscheidet über die "politische Eignung" von Priesterkandidaten (S.102).
Ende 1943
BSSR: Selbsthilfewerk: Einstellen der Finanzierung durch die deutsche Verwaltung
(S. 119)
Ende 1943 ca.
Minsk: Ermordung von Bürgermeister Vaclav Ivanovskij - Nachfolger: Anatolij Komar
(S. 99)
ab 1943
BSSR: Angestellte des Selbsthilfewerks werden Kriegsgewinnler
weil die Zahlungen, die aufs Land gingen, nicht in Hilfe umgesetzt, sondern unterschlagen wurden (S.122).
1944
Anfang 1944
Neuverteilung der Verwaltung: Brest wird Weissruthenien zugeschlagen
(S. 164), weil die russische Front in der Ukraine so weit fortgeschritten ist, dass der deutsch besetzte Rest durch Minsk verwaltet wird.
(telefonische Information von Bernhard Chiari, 12.12.2000)
Jan 1944
Minsk: Rückzug der Wehrmacht - erneute Auslese aus den Bibliotheksbüchern - 2 Mio. Bücher vernichtet
Der Rückzug der Wehrmacht wird chaotisch, der Einsatzstab Rosenberg macht einen weiteren "Auswahlprozess" bei den Bibliotheksbüchern. Dem Weissrussischen Zentralrat sollen nur die "wertlosen Reste" erhalten bleiben, der wertvolle Teil nach Berlin transportiert werden. Der Zentralrat übernimmt in der Folge die Verantwortung für eine Million Bücher, v.a. Bücher der Zarenzeit (S.92). Der Auslagerung der wertvollsten Bücher nach Insterburg in Ostpreussen muss der Zentralrat zustimmen (S.92-93). Insgesamt sind von 3 Mio. Büchern 2 Mio. verschwunden (S.93).
BSSR: Elend auf den Höfen
Auf den Höfen herrscht Elend. Die Bauern müssen z.T. in Ruinen leben und sind durch Partisanen ausgeraubt (S.140). Da auf abgebrannten Höfen auch die Speicher abgebrannt sind und Maschinen zerstört sind, kann die Ernte zum Teil weder eingefahren noch gelagert werden (S.141).
Weissruthenien/Minsk: Eröffnung einer "Landwirtschaftlichen Verwaltungsführerschule"
die direkt dem Ostministerium untersteht, mit Kursen für deutsche und einheimische Verwaltungsangestellte. Die Institution hat aber kaum noch Auswirkungen auf die machtloser werdende deutsche Verwaltung (S.61).
Minsk/Lenin-Bibliothek: Abtransport der letzten Bestände der "Judaica"
(S. 242)
Jan-Feb 1944
Paulsgrund bei Ratibor: Lagerung der "Auslese" der Bücher der ehemals deutsch besetzten Sowjetgebiete
zum Teil während des Eisenbahntransports zerstört, z.B. Lagerung im Freien (S.93) und Verrottung bei Wind und Regen (S.94). Zum Teil sind es aber auch nur wertlose Doubletten (S.93).
8.2.1944
Minsk: Rosenberg-Meldung der Vernichtung der jüdischen Kultur in Minsk
Rosenberg meldet prahlerisch nach Berlin, dass die jüdische Kultur in Minsk bis auf den Friedhof und einige weitere "Zufallsreste" zerstört sei. Der Einsatzstab hat offiziell keine Juden mehr angestellt (S.243).
Frühjahr 1944
BSSR: Aufstellung der "Weissruthenischen Heimatwehr" / "Belaruskaja kraeraja abarona"
durch den "Weissrussischen Zentralrat" als Kern einer weissrussischen Armee, hat aber kaum Einfluss (S.161).
BSSR: Deutsche Propaganda zum "Schutz der Heimat" vor der Invasion der Roten Armee
Die deutsche Besatzungsmacht propagiert, dass die Einheimischen sich für den Dienst in der Wehrmacht melden sollen. Dem Aufruf wird oft im Namen der "Heimat" gefolgt. In der Folge verstärkt sich bei den sowjetischen Partisanen und Politstellen, dass Weissrussland ein völlig nationalsozialistisches verwildertes Land sei (S.304).
Mitte 1944
BSSR: Machtwechsel und russisches Vorgehen gegen weissrussische "Kollaborateure"
meist nur mit der Beschuldigung, im deutsch besetzten Gebiet gelebt zu haben.
Chiari:
"Die "'Heimgeholten' [Weissrussen der West-BSSR nach der sowjetischen Besetzung 17.9.1939] hatten ihre intellektuelle Führungsschicht verloren und sahen sich Repressionen ausgesetzt, die jenen gegen die weissrussischen 'Kollaborateure' 1944 nicht unähnlich waren. Auch deren einziges 'Verbrechen' bestand häufig darin, dass sie während der deutschen Besat- (S.49) zung im besetzten Gebiet gelebt hatten." (S.50)
ab Anfang Juli 1944 ca.
BSSR: zweite sowjetische Besetzung
Abreise vieler Kollaborateure mit der Wehrmacht ins Reich
u.a. der Polizisten, Antikommunisten etc.
(Auskunft von B.Chiari 12.12.2000)
Rückkehr der Partisanen an ihre Höfe
bekommen zum Teil Vieh und Hausrat zugeteilt (S.149)
[oder beerben weissrussische Bauern, die mit der Wehrmacht ins Reich ziehen].
Die negativen Erwartungen der Bevölkerung
Die Bevölkerung erwartet neue Requirierungen, Kirchenschliessungen, Zwangsarbeit auf Kolchosen (S.303) und die Einberufung aller jungen Männer, die noch verfügbar sind, in die Rote Armee. Die Bevölkerung vermeidet wenn möglich Auskünfte über das Leben unter der deutschen Besatzung aus Angst vor kommunistischen Bestrafungen (S.304).
Der erbärmliche Zustand der Bevölkerung und Gerüchte über Russland
-- die Bevölkerung haust zum Teil in Kleidung aus Rinde und Bambus (S.303)
-- Gerüchte über Hungersnöte in Russland, Epidemien und hohe Kriegsschulden der UdSSR
-- Gerücht, dass Baku und Archangelsk den Briten und den "USA" übergeben worden seien (S.304).
Juli / Aug 1944
Minsk: Flucht des "Weissruthenischen Zentralrats"
und der angehörigen Familien nach Königsberg, wo er ohne Betreuung durch das Ostministerium bleibt. Schliesslich werden die meisten der Mitglieder und Angehörigen vom Ostministerium zum Arbeitseinsatz "freigegeben". Die restlichen "Auserwählten" planen mit deutschen Bürokraten die Rückeroberung des kommunistisch besetzten Weissrussland (S.103).
BSSR: Ernte: in der Ost-BSSR schlechter als in der West-BSSR
In der West-BSSR ist die grosse Mehrheit der Höfe bewirtschaftet. Die sowjetischen Beobachter schliessen daraus auf eine behutsamere deutsche Zivilverwaltung. Die Deutschen hätten in der West-BSSR hauptsächlich nur Pferde requiriert (S.305).
BSSR: 1/8 der weissrussischen Juden überlebt
Gemäss Chiari sind 7/8 der weissrussischen Juden von Juni 1941 unter der deutschen Besatzung umgekommen (S.314).
Die Überlebenden sind vor allem Juden, die im Juni 1941 mit der Roten Armee nach Osten ziehen konnten.
Chiari:
"Nur jeder achte Jude entkam dem nationalsozialistischen Holocaust in Weissrussland [mit eingeschlossen der Tod bei Partisanengruppen, Morde von Polen und Weissrussen an Juden, Verrat an Juden und die toten Juden bei der 'Jagd auf Deutsche' ab 1943]. Die meisten Überlebenden verdankten ihre Rettung der sow- (S.314) jetischen Evakuierung 1941." (S.315)
ab Aug 1944
BSSR: zweite Sowjetisierung
Brutale Methoden der "Befreiung"
Die Rote Armee und die sowjetische Administration sind durch die Macht von 2,5 Mio. sowjetischer Soldaten völlig überlegen und wenden Methoden der "Befriedung" an, wie die deutsche Besatzung es vor ihnen drei Jahre lang getan hat:
-- Besitz von Radioapparaten kann mit dem Tod bestraft werden
-- Nichterfüllen der Ablieferungsquoten kann mit dem Tod bestraft werden
-- Zugehörigkeit zu nationalen Widerstandsgruppen während der deutschen Okkupation kann mit dem Tod bestraft werden.
Widerstand ist aussichtslos (S.305).
[Ergänzung:
Moskau: Befehl für alle ehemaligen Partisanen an die Front - Massentod
Das sowjetische Kommando schickt ehemalige Partisanen an die Front, wovon die Mehrheit fällt, u.a. auch die Mehrheit der jüdischen überlebenden Partisanen.
in: Tec: Bewaffneter Widerstand, 1996, S.297]
Vorbereitung der zweiten Sowjetisierung: Einsetzen der Partisanenführer als politische Führer - Rache an Kollaborateuren
Die UdSSR formt mit ihren politischen Sowjetführern in der BSSR einen "Einheitsstaat" (S.5).
Die sowjetische Führung bereitet die erneute Sowjetisierung vor, indem alle politischen Posten mit sowjetischem Personal besetzt werden. Dies sind ehemalige Partisanenführer, die alle Kollaborateure der deutschen Besetzung kennen und Rache nehmen. Als Straftat wird auch gewertet, dass man unter der deutschen Herrschaft nur gelebt hat (S.304).
Die Bevölkerung reagiert verschieden:
-- Aufspüren versprengter Deutscher
-- Auslieferung von "Spionen" an die Sowjets
-- die Bevölkerung übt zum Teil sogar Selbstjustiz und ermordet Deutsche oder Kollaborateure
-- Deutsche, die verwundet sind, werden in Verstecken gepflegt und dann den sowjetischen Stellen übergeben, woraufhin die Deutschen vom NKWD noch vor den Augen der Helfer oft erschossen werden
-- manche Dörfer halten gegen den NKWD zusammen, so dass die Nachbarn jeweils jede Auskunft verweigern oder falsche Aussagen machen, was das Misstrauen der Sowjets erregt (S.305).
BSSR: Russische antipolnische Aktionen
Die zweite Sowjetisierung wird zu einer erneuten Katastrophe für das Land, indem alle polnischen Strukturen vernichtet werden (S.314).
Der NKWD führt gegen die Armia Krajowa im Stil der deutschen Besatzungsmacht "Befriedungsaktionen" durch. Der polnische Untergrund, der im Namen der polnischen Exilregierung in London Polen in den Grenzen von 1921 wieder auferstehen lassen will, ist in der BSSR eines der wichtigsten Angriffsziele der sowjetischen Armeen. Suche nach Agenten der Londoner Regierung.
Es geht das Gerücht, die Londoner Regierung befehlige ihre Armia Krajowa im Namen der deutschen Gestapo, um den russischen Vormarsch zu stoppen (S.303).
Sowjetische Geschichtsmanipulation für die BSSR
Das russische Regime verhindert jede Aufarbeitung der Kriegsgeschichte. Die Menschen können 45 Jahre lang nicht über ihre Erlebnisse sprechen. Die "Kollaborateure" werden "repatriiert", was für Betroffene noch einmal traumatisierend wirkt. Die Geschichtsschreibung wird heroisiert und gefälscht, um der ganzen Bevölkerung ein leicht begreifliches Geschichtsbild zu präsentieren (S.9).
Es ist eine "heile Welt" mit Heroisierung eines Volkswiderstandes. Die Auseinandersetzung mit dem Alltag wird verhindert (S.10).
Sep 1944
Generalkommissariat Weissruthenien: Feststellung der Bereicherung der deutschen Verwalter
Gemäss einem Erfahrungsbericht von Reichsrevisor Ohr gelten 40 % der deutschen Verwalter als politisch "völlig unzuverlässig", würden sich bereichern, seien in einem völligen Chaos und hätten Stalin indirekt in die Hände gearbeitet (S.62).
Okt 1944 ca.
BSSR: Demoralisierung der polnischen Armia Krajowa und der polnischen Bevölkerung
Die Übermacht der russischen Armeen gegenüber der Armia Krajowa führt bei den polnischen Soldaten zu Plünderungen und in der polnischen Bevölkerung zu sozialer Apathie. Die sowjetische Besetzung wird abgelehnt (S.303).
Ende 1944/Nov/Dez 1944 ca.
BSSR und Polen/Rote Armee: Winteroffensive und Kampf gegen die polnische Bevölkerung
Die Rote Armee führt gleichzeitig die "Winteroffensive" und eine Offensive gegen die polnische Bevölkerung der BSSR. Nach der Einrichtung von "Repatriierungsbüros" in Brest, Lida, Pinsk, Slonim und anderen Orten polnischer Bevölkerung fahren ab Dezember 1944 Transporte mit Polen von Baranovitschi in Richtung Lublin und Rzeszów. Dies ist der Beginn einer ethnischen Säuberung an insgesamt 274.000 Polen, die umgesiedelt werden. Die Russen vollbringen die Belorussifizierung, die die deutsche Besatzung nicht vollendet hat (S.306).
1945
ab 1945
UdSSR: planmässige russische Vertuschung der Geschichtswahrheit
Russland bleibt sozialhistorisch für europäische Historiker ein unbekanntes und verborgenes Gebiet (S.14-15). Die Realität bleibt verschlossen, indem die Geschichtsschreibung sich nur auf Organisationsstrukturen der Partisanen und auf Befehle, Erlasse und Massnahmen der deutschen Seite stützt (S.15).
-- die sowjetische Geschichtsschreibung macht aus den Deportationen Oktober 1939-Juni 1941 aus Ost-Polen und Ost-Galizien "freiwillige Übersiedlungen von Arbeitslosen". (S.47)
-- marxistische Historiker verengen die weissrussische Kollaboration auf einige wenige Nationalisten, die an der Verwaltung der BSSR mitwirken, wobei die kollaborierenden Verwaltungsleiter Radoslav Ostrovskij Ivan Ermatschenko und Vincenty Gadjevskij zu "Feinden der Sowjetunion" erklärt werden
-- die flächendeckende Kollaboration der Bevölkerung Weissrusslands mit der deutschen Besatzungsmacht im Hinblick auf einen "Blitzsieg" wird verschwiegen (S.97)
-- die Beraubung der Bauern durch die Partisanen wird verschwiegen (S. 149)
-- Weissrussland bleibt historisch kaum erforscht. Die Vergangenheit ist nur "schemenhaft sichtbar" (S.16).
BSSR: die russischen Sowjets legen die offizielle Geschichtsschreibung fest
Die Sowjets bestimmen die Geschichtsschreibung und löschen die Geschichte der BSSR praktisch aus. Aus der BSSR wird eine sowjetische Vorzeigerepublik gemacht:
-- die Vertreibung der Polen aus der BSSR wird ganz verschwiegen
-- es wird ein russisch-weissrussischer Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus erfunden, den es so einheitlich nie gegeben hat, und die Kollaboration mit der deutschen Besatzung wird verschwiegen
-- die Sowjets lassen Denkmäler für den Abwehrkampf errichten, zum Beispiel an der Festung in Brest, mit imposanten Gedenkstätten, die den Menschen dominieren.
Es ist ein erlogener Kampf (S.314).
ab Mai 1945
UdSSR/BSSR: Diskriminierung durch russische Stellen an der Bevölkerung
Die Bevölkerung der ehemals deutsch besetzten Gebiete erleidet wie alle zurückkehrenden Zwangsarbeiter eine Diskriminierung durch die leitenden Sowjetstellen. Sie werden als "Menschen zweiter Klasse" behandelt (S.305).
ab 1945
ab 1990
UdSSR: Fehlende Geschichtsaufarbeitung - fehlende Aufarbeitung der Manipulation seit 1945
Russland ist nur teilweise fähig, das Geschichtsbild vom "Vaterländischen Krieg" abzustreifen. Der Wissenschaftsbetrieb bleibt weiter staatlich kontrolliert. Die Geschichtsschreibung bleibt bei der Perspektive der "grossen Männern", Stäben, Ministerien und Behörden. Es ist keine freie Forschung möglich (S.17).
Chiari:
<In der ehemaligen Sowjetunion schliesslich wurde das offizielle Geschichtsbild des "Grossen Vaterländischen Krieges" selbst durch den Erdrutsch der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der neunziger Jahre nur teilweise revidiert. [...]
Auch auf anderen Gebieten betraten die Historiker Neuland, doch behielten sie bei der Untersuchung der militärischen Katastrophe der ersten Kriegswochen oder der Verluste der sowjetischen Streitkräfte bzw. der Opfer in der Gesamtbevölkerung in der Hauptsache die Perspektive der "Grossen Männer", der Stäbe, Ministerien und Behörden bei. Obwohl die quantitative Bedeutung von Kollaboration angesichts vieler Hunderttausender Sowjetbürger im Dienste von Wehrmacht- und Polizeieinheiten nicht geleugnet wurde, beschränkte sich die Interpretation des Begriffs auf die klassischen Felder militärischer Zusammenarbeit und einheimischer Marionettenregierungen. Die 'sowjetische (S.17) Mentalität' in den besetzten Gebieten blieb eine Grundannahmen der Historiker. [...]
Es war verpönt, Aussagen der Opfer oder deren psychologische Situation infragezustellen bzw. zu untersuchen, obwohl an publizierten und unveröffentlichten Erinnerungen kein Mangel herrschte.> (S.18)
Kunst und Architektur des 3.Reiches werden in der weissrussischen Presse mit der Stalin-Architektur verglichen. Das Konzentrationslagersystem Hitlers ist im Volk wie bei weissrussischen Künstlern präsent (S.18).
Die Analyse der Ursachenforschung aber scheitert. Es folgt ein Rückfall in alte Formulierungen, Listen von Schadensmeldungen, statt psychologische und ökonomische Zusammenhänge und Sachzwänge zu untersuchen. Pejorative Pauschalisierungen ersetzen zum Teil Forschungsanalyse. Die Partisanenbewegung wird weiter einseitig gelobt und die Beleuchtung anderer Seiten weggelassen. Opferzahlen des deutschen Gegners werden heroisiert und zum Teil masslos überhöht.
Chiari:
<Die Ausgangspunkte jeder historischen Annäherung blieben für die meisten Autoren immer noch die sowjetische Partisanenbewegung und deren ins Phantastische überhöhte Erfolgsbilanz. Als Beispiel für eine typische Arbeit vgl. Paskevitsch, Stanovlenie i razvitie partizanskogo dvezenija. Vladimir P.Pavlov schrieb allein den Partisanen des Vitebsker Gebietes für die Zeit des Krieges 140.000 getötete deutsche Offiziere und Soldaten zu. [...] Zum Vergleich: In internen deutschen Meldungen beliefen sich die Gefallenenzahlen im gesamten weissrussischen Gebiete (Territorium der Zivilverwaltung und militärverwaltete Teile) für einen Viermonatszeitraum im Sommer 1942 auf 323 Deutsche und 179 Einheimische.> (S.19)
Auch die Tätigkeit der polnischen "Heimatarmee" / "Armia Krajowa" kommt erst langsam ans Licht: Die Kollaboration mit der Wehrmacht ist in Polen "längst bekannt", in Weissrussland aber tabuisiert.
Die weissrussischen Historiker entdecken die polnische Heimatarmee erst ab den 1990-er Jahren als Kraft, die gegen Weissrussland gearbeitet hat (S.20).
BSSR: Geschichtsaufarbeitung infolge der Perestroika: Teilweises Scheitern
Die Geschichtsaufarbeitung scheitert zum Teil daran, dass ehemalige Kollaborateure wichtige Posten besetzt halten und Forschung gezielt verhindern (S.9).
1995
England: Oral History zu Weissrussland
Beginn der Oral History "War Crimes Unit" mit Befragung zu Kriegsereignissen in Weissrussland
Aufspüren weissrussischer Kriegsverbrecher, die in England leben (S.8).
1996
Berlin: Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker" behauptet, Antisemitismus sei spezifisch deutsch
Daniel Goldhagen gibt in seiner Studie "Hitlers willige Vollstrecker" vor, Antisemitismus sei quasi eine deutsche Erscheinung. Das ist nachweislich falsch und nicht nur durch den polnischen Antisemitismus widerlegt (S.314).
Bevölkerungsbewegungen im Reichskommissariat Weissruthenien/West-BSSR mit Minsk 1939-1944
Okt 1939
West-BSSR ohne Minsk: 4.125.000
(S. 53)
ab September 1939
plus: ca. 300.000 Juden aus dem deutsch besetzten Teil Polens ziehen nach West-Weissrussland und in die Ukraine (S.234)
(für West-BSSR allein keine Zahlenangaben, geschätzt: + 250.000)
minus: davon wandert ein Teil der jüdischen Flüchtlinge via Litauen aus Europa aus (in: Tec: Widerstand, S.43, keine Zahlenangaben, geschätzt: - 10.000)
Ende 1939-Mai 1941 ca.
Stalins Deportationen:
minus - 1.428.000, ergibt eine Bevölkerung für die West-BSSR ohne Minsk: 2.697.000 (S.46)
mit Minsk (+ 240.000): 2.937.000 (S.80)
ab 22.6.1941
minus die sowjetische Besatzung (keine Zahlenangabe, geschätzt: - 80.000) (S.49)
minus die sowjetische Intelligenz, die v.a. in Minsk ansässig ist (keine Zahlenangabe, geschätzt: - 40.000) (S.80)
minus
viele Weissrussen (von 1.960.000 Weissrussen und "Hiesigen", S.58), die mit der Roten Armee nach Russland ziehen (in: Tec: Widerstand, S.43, keine Zahlenangabe, geschätzt: - 120.000)
minus:
nicht erwähnt: Minsk mit 240.000 Einwohnern (Anfang 1941) ist zum Teil völlig zerstört, die russische Intelligenz aus Minsk zieht ab (s.o.), ausserdem kommen noch geschätzte - 3000 Todesopfer der Bombardements hinzu, so dass noch geschätzte 94.000 Einwohner auf dem Land unterkommen müssen, davon - 30.000 im militärisch verwalteten Teil, so dass Minsk noch 103.110 Einwohner bleiben (S.80).
minus:
nicht erwähnt: Die Anzahl der Partisanen, die sich bis Mitte 1943 in den Wald abgesetzt haben bzw. bereits zu Tode gekommen sind und nicht mehr mitgezählt werden (keine Zahlenangaben, geschätzt: - 30.000)
ab Mitte 1942 ca.
minus: Massenerschiessungen an Polen durch SS und SD durch "Belorussifizierung" und "Säuberung" (S.272-275)
auch aufgrund von weissrussischen Denunziationen, Polen "verdächtig" einzustufen (keine Zahlenangaben,
geschätzt: - 80.000) (S.276)
minus:
die Massenexekutionen an der jüdischen Bevölkerung (müssten dann 97.667sein) (S.2)
plus:
nicht erwähnt: deutsche militärische Besatzung in Garnisonen (keine Zahlenangaben, geschätzt: + 50.000)
nicht erwähnt: deutsches Personal (keine Zahlenangaben, geschätzt: + 5000)
Ende 1943
Bevölkerung von Generalsekretariat Weissruthenien: 2.411.333
(S. 97)
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