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Massenmord, Kollaboration und Überleben im zerstörten Minsk während der deutschen Besatzungszeit 1941-1944

 Chronologie

von Michael Palomino (2001 / 2007)

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aus:

Uwe Gartenschlaeger: Die Stadt Minsk während der deutschen Besetzung (1941-1944). Magisterarbeit im Fach Mittlere und Neuere Geschichte; Köln 1990.

Kontakt: Uwe Gartenschlaeger

Joachimstr.11; 53113 Bonn (2001)

Kommentar

Die Arbeit über die Stadt Minsk basiert auf vorwiegend deutschen Quellen, lokalen Berichten und der traditionell heroischen Partisanenliteratur. Die Chronologie gibt ein einleitendes Bild der grausamen Umstände ab der 1941 zu 80% zerstörten Stadt. Das Leben in den Ruinen wird zudem durch Krankheiten und Plünderungen von allen Seiten unmöglich gemacht. Wie die Fakten zeigen, werden die weissrussische wie auch die jüdische Identität zwischen Nazismus und Kommunismus aufgerieben und teilweise vernichtet. Dabei nennen die deutschen Quellen zum Teil erheblich niedrigere jüdische Opferzahlen als die jüdischen Quellen. Die Tragik für die Bevölkerung und überlebende Weissrussen wie Juden bleibt aber auch mit allenfalls niedrigeren Opferzahlen ebenso dramatisch, ist Minsk doch Mitte 1944 durch sowjetische und deutsche Einwirkungen total zerstört, der Krieg noch nicht beendet und die Not anfangs der zweiten Sowjetisierung 1945 immens.

Michael Palomino, Freiburg i.Br., Januar 2001




Chronologie

ab 1650 ca.
Minsk: Muslime in der Stadt, Angehörige westtatarischer Stämme
(S.152)
 
16.-19.Jh.
BSSR bleibt eine unterdrückte, von russischen und polnischen Oberschichten beherrschte Kultur
Die weissrussische Bevölkerung bleibt politisch "unmündig" und muss über Jahrhunderte in Unterentwicklung leben (S.91).

1905
Minsk: Pogrom gegen demokratisch gesinnte Bürger
innerhalb der grossen Pogromwelle in Russland, 75 % der Opfer sind Juden (S.105)
 
Okt 1917
Oktoberrevolution: Kaum Entwicklung von Selbstbehauptung in der weissrussischen Bevölkerung
(S.91)

Sowjetunion: Gründung der Geheimpolizei "Tscheka"
mit oft jüdischen Aktivisten, die gegen die Bauern aktiv sind (S.109).
 
1918
Minsk: Einberufung und Durchführung des 1.weissruthenischen Konvents
(S.88)
 
ab 1919
BSSR wird sowjetisiert. Auswanderung weissrussischer Nationalisten nach Warschau, Prag, Berlin und Wilna
(S.84)
 
ab 1921
Ost-BSSR: "Nationales Erwachen" durch NEP
u.a. mit militärischen Kursen für Partisanen- und Guerillatechniken in Anlehnung an den "überstandenen" Bürgerkrieg und den polnischen Krieg (S.91).

Ost-BSSR: Teilweise Rückkehr der ausgewanderten weissrussischen Nationalisten
Andere Vorsichtigere bleiben in Warschau, Prag, Wilna oder Berlin und warten die Konfrontation zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus ab. Gründung eines "weissrussischen Zentrums" in Warschau unter Leitung von Schtschors (S.84).

Ost-BSSR: Kollektivierung
durch den jüdisch dominierten NKWD durchgesetzt (S.109).

 1930-er Jahre
Minsk: Rasantes Wachstum durch Industrialisierung
mit Anwachsen der Einwohnerzahl von ca. 180.000 (1932) auf 250.000 (1941), Zuwanderer zum Teil aus weit entfernten Teilen der Sowjetunion (S.91), darunter auch russische Wolgadeutsche (S.128). Das Sozialgefüge bleibt labil. Die demokratischen Instrumente der Willensbildung und die Instrumente der Selbstbehauptung wie die Kurse für Partisanen- und Guerillatechniken werden unter Stalin weiter abgebaut (S.91), weil sie als "systemgefährdend" gelten (S.92).

Minsk: Industrialisierung und Abbau von Klischees gegenüber Juden
Die jüdische Bevölkerung zieht infolge der Industrialisierung in die Städte und verlässt ihre angestammten, traditionellen Milieus. Viele Vorurteile der weissrussischen Bevölkerung gegenüber Juden werden abgebaut (S.108-109).

BSSR: Kollektivierung unter Stalin
trifft die BSSR überdurchschnittlich hart und erschüttert nachhaltig die nationalen Strukturen (S.91).

 Anf. 1930er Jahre
BSSR: Stalinistische Säuberungswelle
mit Ermordung weiter Teile der weissrussischen Intelligenz (S.91), mit Ermordung der zurückgekehrten weissrussischen Nationalisten, die in den 1920er Jahren zurückgekommen waren (S.84).
 
1936
3.Reich: Kube als Intrigenopfer
(S.28)

1936-1941
Minsk: Kommunistische Säuberungswellen
(S.44)

1941
 
1941
Berlin: Bezeichnung Weissruthenien, um das Land von Russland ideologisch abzutrennen
(S.23)
 
19.6.1941
BSSR: Die sowjetische Verwaltung verlässt in aller Hast Weissrussland
(S.31). Ein Teil der jüdischen Bevölkerung von Minsk kann mit der Roten Armee fliehen (S.157).

Berlin: allgemeine Erwartung eines Blitzsiegs gegen Moskau (S.155)
 
ab 19.6.1941
Minsk: Nicht allen, die flüchten wollen, gelingt die Flucht mit der Roten Armee
weil der deutsche Angriff zu schnell vor sich geht (S.43).

Minsk: Flucht der allermeisten Fachkräfte und der jüdischen Intelligenz mit der Roten Armee in Richtung Russland
(S.39)

ab 22.6.1941
Berlin: Erwarteter Blitzsieg gegen die Sowjetunion
weswegen keine grosse Planung für Weissrussland vorbereitet ist (S.155, sowie Anm.1 ebda.).

BSSR: schnelle deutsche Invasion

Der deutsche Überfall ist so schnell, dass die sowjetischen Kräfte keine Untergrundkomitees mehr gründen können. Die Bevölkerung bleibt in der Folge ohne Kenntnisse im konspirativen Arbeiten zurück (S.94).

In Litauen und in der Ukraine herrscht ein starker Antisemitismus, so dass dort Pogrome leicht auszulösen sind, wogegen in Minsk und der Ost-BSSR kaum Antisemitismus herrscht (S.105). Pogrome sind kaum auslösbar (S.106), weil die jüdische Bevölkerung durch die Industrialisierung der 1930er Jahre meist integriert ist. Die von deutscher Seite gepredigten Vorurteile gegen Juden finden in Minsk keinen Anklang (S.108).

 
ab Anf. Juli 1941
Minsk: Zerstörung, Bevölkerungsschwund, deutsche Besetzer, Spitzelsystem, Kochen im Freien, kaum medizinische Versorgung, Arbeitsausweise, Schwarzmarkt, Prostitution

Zerstörte Infrastruktur

Minsk ist zu 80 % zerstört (S.29), noch ca. 45 % der Einwohner sind geblieben. Von 238.772 ist die Einwohnerzahl auf 105.000 gesunken (S.74), z.T. Kochen auf der Strasse bei offenem Feuer (S.75).  Wasserleitungen und Abwassernetz sind zerstört. Es fährt in der ganzen Stadt nur eine Buslinie (S.58). Transporte müssen durch Pferdewagen vom Land gefahren werden (S.75). Keine Seuchenprävention, keine Impfungen oder Filtrieranlagen für Trinkwasser nach der zusammengebrochenen Wasserversorgung (S.131-132).


Deutsche breiten sich aus - Rassismus - Spitzelsystem - Krankheiten - Lager, Deportation - deutsche Willkür in Betrieben

Die deutschen Stellen nehmen die besten Häuser, was erste Verbitterung in der Bevölkerung hervorruft (S.74). Die Wehrmacht und die SS besetzen die grossen Krankenhäuser für sich, so dass der Zivilbevölkerung nur drei kleine Krankenhäuser bleiben (S.76). Sofort werden die Wolgadeutschen in Minsk als Volksdeutsche bzw. Russlanddeutsche registriert, gemäss KdS Janetzke 1700, wobei sich einige Russen wohl als Russlanddeutsche registrieren lassen, weil sie sich davon Vorteile versprechen (S.128). Die deutsche Besatzung etabliert ein Spitzelsystem zur Einhaltung von Mieten und Wohnflächen (S.74). Durch Krankheit und mangelnde medizinische Versorgung kommt es in der Bevölkerung zu einem Arbeitsausfall von 30-50 % (S.76). Der Arbeitsausweis wird zur Existensberechtigung, sonst drohen SS-Arbeitslager (S.77), z.B. an der Schirokaja-Strasse (S.92) oder Deportation ins Reich. Die deutschen Vorgesetzten der einheimischen Betriebe leisten sich jegliche Willkür gegenüber den Einheimischen (S.77). Kaum Lohn und lange Arbeitszeiten bis 16 Stunden. Es kommt zu Widerstand am Arbeitsplatz, so dass die deutschen Vorgesetzten "Bummele" beklagen (S.78).

"Kriegsgefangenenlager" - Bildung eines ersten sowjetischen Untergrunds
Einrichtung eines Kriegsgefangenenlagers vor Minsk, das nur aus einem sandigen Feld besteht (S.34). Die katastrophalen Umstände für die gefangenen Rotarmisten sprechen sich herum, so dass die grosse Mehrheit der Rotarmisten, die mit der Roten Armee den Rückzug nicht mehr geschafft haben, in den Untergrund geht (S.95).

Niedergeschlagene Stimmung in der Bevölkerung

Die Stimmung ist apathisch, weil die Besetzung der Stadt so schnell vonstatten ging und sich die Rote Armee als dermassen schwach herausgestellt hat (S.43).

In der Bevölkerung herrscht zum Teil auch die Furcht vor Rückkehr der Roten Armee, denn die Säuberungswellen 1936-1941 sind noch in lebhafter Erinnerung. Die Bevölkerung hat Angst vor Stalins Rache, falls Zwang zur Kollaboration mit der deutschen Besatzung eingeführt wird. Die Stadt wird noch von Heckenschützen unbekannter Herkunft beherrscht (S.44). Die Bevölkerung durchsucht währenddessen die Ruinen nach Brauchbarem (S.45).

Kampf ums Überleben: Umbrüche in der Gesellschaft - "stumpfe" Bevölkerung - Anreize zur Kollaboration

Es beginnt der Kampf ums Überleben: Wohnraum und Lebensmittel (S.43) mit Schwarzarbeit, Schwarzmarkt, Prostitution und Kinder- und Jugendarbeit (S.79), Stiefelputzen, Betteln, Schmuggel. Die Jugend verwahrlost (S.103) und wird desillusioniert, rauchen, trinken Alkohol, treiben schwunghaften Tauschhandel. Der Kampf ums Überleben gibt neue "Perspektive" (S.104). Grosse Nachfrage nach Büchern und Lesestoff (S.80).

Politisch bleibt die weissrussische Bevölkerung in deutschen Augen passiv und "stumpf" (S.106,130). Die Minsker haben die Wahl zwischen Kollaboration und Tod. Gute Lebensmittelzuteilungen sind Anreiz zur Kollaboration in der Verwaltung sowie zum Dienst bei SD und Polizei (S.81) als einheimische Spitzel und V-Leute, z.B. Boris Rudzjanko, der sich in den Untergrund einschleusen kann (S.82).

Kollaborierende orthodoxe Kirche - Gebete für den "Führer"

Organisation der orthodoxen Kirche, die willig mit der deutschen Besatzung kollaboriert, da sie in der Stalin-Zeit völlig unterdrückt wurde.

Die Kirche predigt
-- gegen die Partisanen
-- für die "deutsche Sache"
-- Dank für den "Führer"
-- das Volk bekreuzigt sich vor dem "Führerbild" (S.83).

Da die Kirche aber immer wieder grossrussische Tendenzen zeigt und die deutsche Besatzung eine unabhängige orthodoxe Kirche anstrebt, kommt es immer wieder zu Misstrauen und Reibungen (S.83). Gleichzeitig finden aber die kirchlichen Repräsentanten auch kaum Kontakt zur Minsker Bevölkerung, die die offene Kollaboration weiter mehrheitlich ablehnt (S.132).

Parallele Widerstandsgruppen
Es besteht keine Koordination. Kleine Widerstandsgruppen arbeiten nebeneinander her, z.B. die traditionell bolschewistisch orientierten Eisenbahner, Studentengruppen, Gruppen in einzelnen Betrieben und Stadtteilen, zum Teil familienmässig organisiert (S.95).

ab Anf. Juli 1941
Minsk: Militärische Verwaltung: Bürgermeister Tumasch - Polizei und Wehrmacht plündern
Deutsches Ordnungspolizeiregiment (S.48), Bürgermeister unter der Militärverwaltung ist Tumasch aus Lodz (S.84). Einsetzung polnischer Verwalter als Versuch, eine weissrussisch-polnische Verwaltung aufzubauen (S.62).

Polizei mit Minsker Wolgadeutschen - "Ordnungsdienst" - Plünderungen durch Polizei

Die Polizei wird aus Wolgadeutschen gebildet. Aus kollaborierenden Weissrussen wird der unbewaffnete "Ordnungsdienst" zusammengestellt (S.36) und bekommt sowjetische Waffen und Armbinden (S.49). Polizei und Ordnungsdienst beginnen, willkürlich Häuser von Einheimischen zu plündern, die Bevölkerung mit illegalen Hausdurchsuchungen und Raubaktionen zu terrorisieren. Die Einsatzgruppen bezeichnen Polizei und "Ordnungsdienst" als "organisierte Räuberbande". Die Weissrussen vom "Ordnungsdienst" decken sich im Untergrund mit Waffen ein (S.36).

SSPF Eduard Strauch ist ein harter Verfechter der Vernichtungspolitik gegen die jüdische Bevölkerung (S.47).
Plünderungen durch Soldaten der Wehrmacht und Offiziere
Die Plünderungen dauern bis November 1941 (S.144), wobei auch deutsche Einrichtungen von den Plünderungen betroffen sind (S.143-144) Raub von Gemäldesammlungen, Möbeln und Kunstgegenständen durch Offiziere mit ins Operationsgebiet (S.144).

Die konfuse deutsche Nicht-Verwaltung

-- Rosenberg-Meinung: BSSR als "Auffanglager asozialer Elemente" (S.26)

-- die deutsche Planung interessiert Weissrussland nicht gross, weil die BSSR keine Bodenschätze hat (S.155), Weissrussland ist quasi ein "Abstellgleis" gescheiterter Verwalter im Reich (S.141), die in der neuen Freiheit des "weiten Raumes" über Leben und Tod Schicksal spielen können (S.142)

-- der deutschen Verwaltung fehlt es an Ausbildung (S.155) und Personal (S.156), zudem herrschen Vorurteile vor (S.155)

-- kaum ein Deutscher beherrscht eine osteuropäische Sprache (S.129,155), gleichzeitig geben sie sich aber arrogant (S.129-130), was deutsche Vorurteile gegenüber der weissrussischen Bevölkerung fördert (S.130)

-- der erwartete Blitzsieg gegen Moskau versetzt die deutsche Besatzung in die Erwartung, dass man in Weissrussland kaum etwas definitiv organisieren müsse (S.155), so dass vieles improvisiert bleibt und russische Partisanen sich durch die Verwaltungslücken in Weissrussland ein Zentrum aufbauen können (S.28).

Fehlende deutsche Informationspolitik
Die Bevölkerung in Minsk erhält kaum Informationen, keine deutsche Presse oder deutscher Rundfunk für die Bevölkerung, obwohl ein grosses Informationsbedürfnis besteht (S.36). Die Bevölkerung ist völlig apathisch, weil die Sowjetmacht dermassen schnell vertrieben wurde, die sich als "allmächtig" dargestellt hat (S.92). Trotzdem kann die Roten Armee bei der Bevölkerung allmählich wieder Vertrauen gewinnen, weil die deutsche Propaganda keine Inhalte an die Bevölkerung vermittelt (S.36).

Kollaboration und Rachedenken - weissrussische Emigranten
-- es ergibt sich die Bildung einer lokalen Polizei mit Kollaborateuren. Manche Stalin-Opfer wollen sich auch gegen Kommunisten rächen, unter denen sie ab 1936 Opfer wurden (S.81-82)

-- Weissrussen, die negative Erinnerungen an den Bürgerkrieg von 1917 haben, Bauern, die in den 1920er Jahren durch die Kollektivierung enteignet wurden sind für Kollaboration ebenfalls anfällig (S.109)

-- Rückkehr politischer weissrussischer Emigranten von 1919 aus Warschau, Prag, Wilna und Berlin, die die Vorstellung haben, ein national eigenständiges Weissruthenien aufzubauen (S.84 und folgende Seiten).

Beginn von Erschiessungen
-- Organisation von Hilfskräften für die Vernichtungsaktionen. Hilfskräften sind v.a. Balten und Ukrainer, ein massgeblicher Anteil der Einheiten (S.106)

-- Geiselerschiessungen in Minsk (S.92)

-- dauernd Erschiessungen von Gefangenen des Minsker Zentralgefängnisses, weil das Gefängnis überfüllt ist, völlig willkürliche Erschiessungen, einmal aus Versehen 25 polnische Facharbeiter, die im Gefängnis provisorisch untergebracht sind (S.149).

Arbeitslager
-- Einrichtung von Arbeitslagern in Minsk, z.B. an der Schirokaja-Strasse (S.92)
 
ab 2.7.1941
Minsk: Eintreffen der "Sonderkommandos" (SK) zur Eliminierung der Intelligenz

2.7.1941: Eintreffen der ersten Angehörigen des SK 7a
4.7.1941: SK 7a und 7b geben Minsk als Sitz an
5.7.-19.7.1941 ca.: Einsatzgruppe B unter Arthur Nebe mit Sitz im ehemaligen "Haus des weissrussischen Sowjets", dem "Hochhaus" (S.40)
 13.7.41
Minsk: Gründung des Judenrats und Einführung des "Judenflecks"
(S.41)
 
Mitte Juli 1941
Ghetto Minsk: Abzäunung des Quartiers - Erschiessung der restlichen jüdischen Intelligenz
Einzäunung eines intakten Quartiers, das zum jüdischen Ghetto werden soll. Gründung eines jüdischen Ordnungsdienstes und einer jüdischen Selbstverwaltung für das Ghettogebiet, bewacht durch Wehrmachtsangehörige und Hilfspolizei. Die Juden werden gezwungen, in Arbeitskolonnen eine Ghettomauer zu bauen, die sie selber einschliesst (S.42).

Die restliche jüdische Intelligenz in Minsk, die nicht mit der Roten Armee nach Russland geflüchtet ist, wird durch Einsatzgruppen ermordet: Lehrer, Professoren, Rechtsanwälte etc., mit Ausnahme der Mediziner. Die Mithilfe des Judenrats bei der Bezeichnung der Juden ist dabei entscheidend. Die Zahlen, die die Einsatzgruppen melden, sind unklar. Man weiss nicht, ob sich die Erschiessungszahlen auf Minsk oder auch auf das Umland beziehen (S.42).

20.-25.7.41
Ghetto Minsk: Ghettoisierung von 40.000 / 80.000 (?) Juden in das neue Ghetto - russisches Ghetto - sowjetische Angst-Propaganda gegen Weissrussen

Die Hilfe des Judenrats ist für die "Umsiedlung" entscheidend, denn nur der Judenrat weiss, wo überall Juden wohnen und wer alles Jude ist (S.42). Gemäss Reitlinger ("Die Endlösung" S.251) sind davon 40.000 (S.112, Anm.9), gemäss Black Book (S.335 und S.453) 80.000 Juden betroffen (ebda.).

Die weissrussische Bevölkerung hilft den Juden im Ghetto zum Teil mit Lebensmittelhandel und Schmuggel (S.108). Juden bleiben auch ausserhalb des Ghettos im Schwarzmarkt aktiv und bei der Bevölkerung voll integriert (S.107).

Ebenso Einrichtung auch eines russischen Ghettos (S.148), wo z.T. jüdische Kinder versteckt werden (S.108).
Die sowjetische Propaganda nutzt die Ghettoisierung der Juden dahingehend aus, um bei den Weissrussen entsprechende Ängste zu schüren (S.108).
 
20.-30.7.1941
Minsk: Eintreffen des Einsatzkommandos EK 8
bleibt mindestens 6 Wochen in Minsk (S.40).
 
Aug 1941
Minsk: Not und Fleckfieber

Das Fleckfieber fordert auch Opfern auch unter den Deutschen. Nur deutsche Erkrankte werden behandelt (S.75), und Vorbeugemassnahmen wie Entlausung erstrecken sich nur auf die Deutschen und diejenigen Einheimischen, die mit Deutschen in Berührung kommen (S.75-76). Gefangene der Gefängnisse mit Fleckfieber werden sofort erschossen (S.132, Anm. 18).

Ghetto Minsk: Judenrat Muschkin (S.125, Anm.65) pflegt Beziehungen zum Untergrund
Im Allgemeinen verbieten Judenräte den ghettoisierten Juden Handlungen zum Selbsterhalt (S.124).
 
ab Aug 1941 ca.
Minsk: Erste Massenexekutionen an Juden

beginnen in Minsk eher als auf dem Land (S.42-43). Die SS ist "treibende Kraft" für die "Judenaktionen" (S.49).
Der Judenrat sorgt für das Ablaufen der Massenexekutionen, die "Aktionen". Ohne seine Hilfe wären die Exekutionen völlig unmöglich (S.157-158). Ukrainer und Balten sind massgeblicher Teil der Polizei und der Hilfskräfte für SS und SD bei den Judenexekutionen (S.106). Als Enthemmer dienen Alkohol (S.142) und Zigaretten (S.142-143). Zum Teil erleiden die Beteiligten Nervenzusammenbrüche und erweisen sich als "ungeeignet" (S.146-147). Mit der Zeit bilden sich dann die Gruppen "harten" Personals heraus, die die Exekutionen "problemlos" durchführen (S.147). Im Volksmund werden Deutsche pauschal als "Judenhenker" bezeichnet (S.107) [und die Kollaboration von Ukrainern und Balten nicht erwähnt].

Bildung ersten Widerstands, eines "Kriegsrats der Partisanenbewegung" (VSPD)
durch Rotarmisten im Untergrund (S.95).
 
1.9. 1941
Minsk: Übergabe der Stadt an die Zivilverwaltung, Abzug der Militärverwaltung
(S.40,52).

Neuer Bürgermeister Iwanowski - gemischte Verwaltung muss bleiben
ein weissrussischer katholischer zurückgekehrter Emigrant aus Wilna. Gleichzeitig lässt die deutsche Zivilverwaltung nie einen eigenen weissruthenischen Staat zu (S.85). Insgesamt bleiben in Minsk 4-5000 Wehrmachtsangehörige und 3000 Deutsche der Verwaltung, wovon knapp 1500 Frauen (S.128, Anm.1).
Der Aufbau einer weissrussischen Verwaltung kommt mangels Kollaborateuren nicht voran. Die gemischte weissrussisch-polnische Verwaltung bleibt bestehen (S.62). Erweiterung durch Anwerbung mit gesicherter Lebensmittelversorgung (S.62-63). Weissrussen können bis zum Abteilungsleiter aufsteigen (S.63).

Generalkommissar Kube beklagt sich über Minsk als "Strafkolonie" für unfähige deutsche Verwalter (S.28). Zwischen den deutschen Stellen erfolgt keine Koordination, sondern ein strukturelles Nebeneinander. Rivalitäten hemmen die Effektivität der Verwaltung empfindlich: "Verzahnung von strukturellen und persönlichen Rivalitäten" (S.154). Kube hegt den Plan, die weissrussischen Parteien gegeneinander auszuspielen (S.25).
In der Folge versucht Reichskommissar Kube systematisch, die aus der Emigration zurückgekehrten national gesinnten Weissruthenen in die Verwaltung mit einzubeziehen (S.45). Gleichzeitig lehnt die leidende Bevölkerung die neuen, aus der bürgerlichen Emigration zurückgekehrten national agierenden weissruthenischen "Repräsentanten" mehrheitlich strikt ab (S.85-86).

Beginn mit deutscher Berichterstattung ohne Bezug zur Bevölkerung
Die deutsche Propaganda findet bei der Bevölkerung kaum Anklang (S.93).

Deutsche Arroganz der Besatzung mit Häme gegen Minsk
-- Minsk wird in der deutschen Presse als minderwertige Ruinenstadt dargestellt (S.131), die Bevölkerung sei "verproletarisiert" und lebe in rückständigen "Holzhäusern" (S.129)

-- Formulierung "Ruinenkoller" (GKW an RKO, Abt. Frauen vom 10.8.42, BA R90/229), "Steppensender" (Minsker Zeitung 15.5.42), die Besatzung verabscheut ihre eigenen Zerstörungen (S.131)

-- deutsche Angestellte, z.B. zwei deutsche Köche, flüchten von ihren Stellen wegen nicht akzeptablen Umständen (S.133)

-- die einheimische Bevölkerung sei zum Teil "unbrauchbar" (S.130) und "verwahrlost", Verfestigung von Vorurteilen (S.132), es kommt zu Ausfälligkeiten der deutschen Besatzer gegenüber der weissrussischen Bevölkerung (S.143-144)
 
ab Sep 1941
Minsk: Bildung einer WOrdnungspolizeiW mit Hilfe Wfremdvölkischer FreiwilligerW
aus Personalmangel. Das deutsche Ordnungspolizeiregiment zieht aus der Stadt weg in militärisch verwaltetes östliches Gebiet (S.48). Die "fremdvölkische Erweiterung" der "Ordnungspolizei" gelingt mit Ukrainern und Weissrussen, die von Balten befehligt werden. Neue Einteilung in "Schutzmannschaftsbataillone", neue schwarze Uniformen (S.49).

Entwicklung von Konkurrenzdenken unter den deutschen Besatzungsinstitutionen
mit der Folge, dass aus Rache und Neid einheimische oder jüdische "Angestellte" bei deutschen Institutionen von anderen Deutschen erschossen werden (S.149). Die deutsche Verwaltung bleibt völlig inkompetent. Fast alle Probleme bleiben ungelöst: nie gelöste Lebensmittelversorgung und verschärfter Terror, der zur Abschreckung dienen soll, um die Unterbesetzung der deutschen Besatzung zu vertuschen. Not und Terror bringen dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung immer mehr Sympathien und Anhänger (S.156). Das ganze deutsche Versagen fördert die Unterstützung für die stalinistische Sowjetunion (S.159).

Verschiebungen von Einsatzkommandos
Abzug des Grossteils des Einsatzkommandos EK8. Der zurückbleibende Rest bildet mit einem eingetroffenen Vortrupp der Einsatzgruppe A ein Kommando von ca. 10 Leuten (S.40).
 
ab Sep 1941 ca.
Minsk: Muslime in Minsk: zuerst Inhaftierung aller "Asiaten"
(S.152)

Minsk: Inhaftierung und Liquidierung aller "asiatisch" eingestuften Kriegsgefangenen
(S.152)

Ghetto Minsk: Handel mit Lebensmitteln und falsche Pässen
Dominierend ist der Handel aller Waren aus dem Ghetto gegen Lebensmittel und gefälschten Pässen, die für eine Flucht entscheidend sind (S.145-146).
 
Herbst 1941 oder März 1942
Ghetto Minsk: Judenrat Muschkin (S.125, Anm.65) wird von der SS ermordet
wegen seiner Beziehungen zum Untergrund (S.124), gemäss Wilenchik im Herbst 1941, gemäss Black Book im März 1942 (S.125, Anm.65).

Gemäss Loewenstein feiern nachfolgende Judenräte mit den SS-Leuten nach Massakern gemeinsame Orgien (S.124, Anm.59).
 
22.10.1941
Minsk: Gründung des "Weissruthenischen Selbsthilfewerks" (WSW) unter Ermatschenko
(S.86). Dr.Ermatschenko, ein nationalistischer zurückgekehrter Emigrant auf Prag (S.84): Organisation von Wohnheimen, Freizeitaktivitäten, Handarbeiten, Betreuen von Büchereien in Heimen, Saalveranstaltungen, Übernachtungsbaracke für Zivilreisende durch den NSV-Bahnhofsdienst etc. (S.67).
 
Nov 1941 ca.
Minsk: Ankunft des ganzen Einsatzkommandos EK 1b
unter Obersturmbannführer Ehrlinger, Quartier im ehemaligen Universitätsgebäude (S.40).
 
7.-11.11.1941
Ghetto Minsk: Ermordung von ca. 6000 einheimischen Juden - Schaffung eines "Sonderghettos"
für "deutsche Juden", die ankommen sollen (S.114). Gemäss Justiz IX 512 sind es 6000 Juden, gemäss Ereignismeldung UdSSR Nr.140, BA R58/219 222 sind es 6624 Juden, vermutlich aber mehr (S.112, Anm.10). Beteiligt an solchen Massenexekutionen sind i.d.R. das gesamte Kommando von Sicherheitspolizei und SD (KdS), die Eisenbahnangestellten und die Schutzpolizei (S.121).
 
ab Mitte Nov 1941-Ende Nov 1941
Sonderghetto Minsk: Ankunft 6963 deutscher, österreichischer und tschechischer Juden
(S.112,114), "deutsche" Juden aus dem Reichsgebiet, Österreich und dem "Protektorat" Böhmen und Mähren (S.114). Proteste von Generalkommissar Kube und Gebietskommissar Wilhelm Janetzke gegen die Judendeportationen an "deutschen" Juden nützen nichts (S.114).

Die Angekommenen sind ohne lokale Sprachkenntnisse hoffnungslos verloren und den deutschen Besatzern völlig ausgeliefert (S.158).
 
ab Nov 1941
Minsk: Beginn der Registrierung von SA und SS-Mitgliedern
(S.65)

Ghetto Minsk: Massenexekutionen in Trostinec und Koidanov - die SS übertreibt die Opferzahlen absichtlich

Hinrichtungsstätten sind die Lager Trostinec (S.121) und Koidanov (S.122). Um die Panik und die Abschreckung nicht nur bei der jüdischen Bevölkerung zu steigern und die Menschen zu terrorisieren, verbreitet die SS absichtlich übertriebene Opferzahlen (S.119), ist zum Teil auch Prahlerei (S.148).

Der grosse Klau

-- Eisenbahner klauen Wehrmachtsverpflegung (S.145)
-- besoffene Reichsdeutsche versuchen, Einheimische in ihren Häusern zu überfallen (S.145)
-- Ausbreitung von Korruption auch in deutschen Etagen (S.145)
-- durch die Not des Winters verarmt beginnen Juden nun auch Juden zu beklauen (S.120), z.B. Koffer deutscher Juden (S.145).
 
Dez 1941
Niederlage der Heeresgruppe Mitte vor Moskau
(S.95)

Ghetto und Sonderghetto Minsk: Requirierung aller Pelzwaren durch die SS
(S.145) [nicht erwähnt: wahrscheinlich für die frierenden Truppen, die ohne Winterkleider vor Moskau stehen].
 
3.12.1941
Minsk: Gründung der "Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei (Sipo) und des SD" (KdS)
(S.40)
 
Ende 1941
Ghetto Minsk: Viele Kältetote durch den strengen Winter
(S.121), gemäss Gartenschlaeger auch, weil es der erste Ghettowinter ist und die Ghettoinsassen für den Winter nicht vorbereitet sind. Opfer werden wahrscheinlich v.a. Alte, Kranke und Kinder (S.121, Anm.52).

Minsk: Beginn der Koordination der Widerstandsgruppen - jüdischer Widerstand

(S.95) mit Gründung eines "Ergänzenden Parteikomitees" durch Rotarmisten im Umland von Minsk im Glauben, dass in Minsk ein von Moskau gesteuertes Stadtparteikomitee existieren würde, was aber gar nicht existiert . Aktionen: Befreiung von Kriegsgefangenen, Betreuung von Flüchtlingen in der Illegalität, Herstellung und Verteilung handgeschriebener Flugblätter, kleine Sabotageakten mit Schwerpunkt beim Eisenbahndepot (S.96).

Die Juden bilden zum Teil eigene Untergruppen und sind eine wichtige Informationsquelle für den russischen Widerstand (S.106).

Ghetto Minsk: Kommunistische Partisanen helfen den Juden kaum zur Flucht - Juden sind "nützlich" - Partisanen verhindern jüdische Massenflucht

Eine Massenflucht zu organisieren wäre immer möglich, weil das Ghetto Lücken hat. Den kommunistischen Partisanen nützen aber die Juden im Ghetto mehr, v.a. die "Facharbeiter", weil die Juden als Informationsträger zwischen deutscher Seite und Partisanen "nützlich" sind (S.106). Ausserdem produziert das jüdische Ghetto für die Partisanen mit seinen Werkstätten illegal Waffen und Ausrüstungsgegenstände (S.126).

Somit werden eine grosse Mehrheit von Juden, die flüchten könnten, nicht gerettet, sondern nur junge, kräftige und bewaffnete jüdische Männer (S.106-107), die von den Partisanen ausgewählt sind (S.157, Anm.4). Es ist der kollektive Fehler des jüdischen Minsker Untergrunds, das eigene jüdische Leben für den sowjetischen Sieg zu opfern, obwohl die kommunistische Partei nicht unbedingt im Interesse der Juden agiert (S.126).
 
ab Ende 1941
Minsk: Schwärmerei für die deutsche "Heimat" - deutsche Juden als Kulturvermittler

-- die Schwärmerei für die "Heimat" wird zum Seelentröster (S.133-134) und deutsche Juden in Minsk werden als Vermittler für Heimatgefühl missbraucht (S.135-136), z.T. halten sich deutsche Besatzer jüdische Geliebte als "Seelentröster" oder jüdische Klavierstimmer (S.136)

-- deutscher "Kulturimport": "Sonnenblume aus Deutschland" (Minsker Zeitung 24./25.3.42) oder Fussballstadtmeisterschaften (Minsker Zeitung 16.5.,26.5.,23.7.,23.10.42) (S.134)

-- Rangbezeichnungen, die Besatzer im Reich erworben haben, werden in Minsk beibehalten, obwohl andere Bezeichnungen gelten, und Abteilungsleiter holen sich aus dem Reich Bekannte nach (S.135).

Minsk: Kube als "Judenfreund" - Erschütterung der Nazi-Ideologie durch Anwesenheit deutscher Juden - der deutsche Generationenkonflikt

Generalkommissar Kube gilt innerhalb der deutschen Verwaltung inzwischen als "Judenfreund" und wendet sich bezüglich der deutschen Juden gegen den Antisemitismus (S.136). Er will die deutschen Juden in Minsk wegen ihrer Kulturabstammung schützen (S.151), so dass ihm "Judenfreundlichkeit" vorgeworfen wird (S.47-48).

Ohne Mendelssohn und Offenbar sei die Musikgeschichte doch wohl nicht denkbar, so Kube am 16.12.41 an das RKO in Riga (S.151, Anm.104). Er versucht, deutsche Juden in einer eigens gegründeten Panjewagenfabrik zu beschäftigen und sie so zu retten (S.151-152). Zeitweise kommt es wegen der "kulturellen Nähe" der deutschen Juden zu den deutschen Besatzern zu Erleichterungen für die deutschen Juden (S.153).

Die Nazi-Ideologie kommt allgemein durch die Ermordung deutscher Juden ins Wanken (S.150). Kube wendet sich gegen die Ermordung deutscher Juden, weil sie sauberer und arbeitsamer seien als Einheimische (S.151), weil sie ihm als "vertraut" erscheinen. So wird das Bild der Ideologie erschüttert (S.150).

In der Folge bekommt Kube mit jungen NS-Führern grosse Schwierigkeiten (S.152). Der SD terrorisiert die Leute Kubes systematisch (S.85). Es tut sich ein Generationenkonflikt auf. Junge SS-Führer sind allein in der Nazi-Ideologie aufgewachsen und haben ihre Karriere ganz dem Nazi-Staat zu verdanken, wogegen die ältere Generation das Kaiserreich und die Weimarer Republik erlebt haben und ihr Bewusstsein nicht von der Nazi-Ideologie abhängig machen (S.152).

Minsk: Rassenschande gilt nicht mehr viel - psychischer Terror gegen Juden
Die Rassenschande-Bestimmungen werden im deutsch besetzten Weissrussland kaum noch befolgt (S.146). Gleichzeitig werden aber der jüdischen Bevölkerung gezielte, quälende Verbote auferlegt gegen Tätigkeiten, die Freude bereiten (S.146). Die Todesstrafe gilt für geringste Vergehen. Akten von Menschen, die zu "liquidieren" sind, werden von SD-Kommandeur Isselhorst mit einem "L"-Stempel gekennzeichnet. (S.148). Es gilt auch Sippenhaft. Zum Beispiel werden für einen Fluchtversuch aus dem Ghetto 300 Juden erschossen, die dann vom Judenrat zum Teil auch gestellt werden (S.148-149).

1942


1942

Minsk: Entwicklung des Schwarzmarkes und Hamsterfahrten
wobei der Schwarzmarkt von der Besatzung geduldet ist (S.71). Einheimische Diebesbanden rauben Waren, z.B. Brot, und verkaufen auf dem Schwarzmarkt. Ebenso Verkauf von Alkohol aus Schwarzbrennereien. Astronomisch hohe Preise. Entwicklung des Tauschhandels, z.T. Zigarettenwährung (S.72). In der deutschen Presse werden die Schwarzmarktpreise öffentlich genannt. Gegenmassnahmen zur Preisregulierung sind kaum spürbar (S.73).
 
Anf. 1942
Ghetto Minsk: Noch 18.000 Juden - bisher 41.000 Juden in BSSR getötet
Aktennotiz von Einsatzgruppe A Ehrlinger, dass sich noch 18.000 Juden im Minsker Ghetto befinden. Zusammen mit dem Sonderghetto sind es ca. 25.000 Juden, die in Minsk ghettoisiert sind (S.112).

[nicht erwähnt:
Somit können es im August nicht mehr als ca. 30-35.000 ghettoisierte Juden gewesen sein].

BSSR: Ehrlinger:Bisher in der ganzen BSSR 41.000 Juden ermordet
Ein vermutlich vom Januar 1942 stammender Bericht der Einsatzgruppe A, der sog. Ehrlinger-Bericht, erwähnt 41.000 getötete Juden in ganz Weissrussland (S.112, Anm.10).
 
ab Feb 1942
Minsk: Die Balten etablieren sich u.a. auch im Stab des Kommandeurs der Sicherheitspolizei (KdS)
(S.49).
 
März 1942
Widerstand Minsk: Vernichtung des ersten Widerstands VSPD und Neuaufbau mit neuer Struktur
(S.95-97). Razzia gegen den Widerstand mit Hilfe des V-Mannes Boris Rudzjanko (S.82). Grausame Folterungen, Körperverletzung, Peitschenhiebe (S.146). Durch Verrat und ungünstige Struktur wird ein Grossteil des Untergrunds in Minsk vernichtet. Durch Folter kommt der SD an über 400 Personen des Widerstands heran (S.96), darunter die ganze im Aufbau befindliche Führung (S.96-97). Fast völlige Vernichtung des Widerstands (S.82). Der offene Umgang mit Namen und Informationen wird dem Widerstand zum Verhängnis. 28 öffentliche Hinrichtungen durch Hängen, die meisten anderen hinter verschlossenen Türen. Wiederaufbau des Widerstands (S.97).
 
2.3.1942
Ghetto Minsk: Massaker an 5000 Juden in Koidanov - Plünderungen - SS gibt zu hohe Opferzahl an

Protokoll gemäss Justiz XIX 191: Fussmarsch durch die Stadt, Verladung in Güterwagen nach Koidanov, Kleider vor Grube ablegen, die Grube hat für "mindestens mehrere Hundert Leichen" Platz (S.122), gemäss Loewenstein Erschiessung 5000 Juden (S.119). Die SS verbreitet gemäss Loewenstein zudem das Gerücht, es seien 25.000 Juden erschossen worden, um absichtlich Panik zu verbreiten (S.119, Anm.46). Plünderungen durch drei lettische "Schutzmänner", Festnahme der Letten (S.119, Anm.42).
Zum Teil werden den Opfern (gemäss Justiz IX 15) vor der Ermordung Goldzähne und Blomben herausgebrochen (S.149).
 
Frühling 1942
Widerstand Minsk: Ankommen erster Partisanen aus Russland - eiliger Wiederaufbau des Widerstands - Spitzel
Kontaktpflege, Verbindung nach Moskau durch Funk wird gesichert, Spionagearbeiten, Einführung von Decknamen (S.97), Kleingruppenbildung, Gründung von 5 Quartierkomitees (S.98). Der jüdische Widerstand ist aktiv am Wiederaufbau beteiligt (S.126). In der Eile wird die Vorsicht vergessen, die eintretenden Personen zu wenig kontrolliert. Ein deutscher Spitzel kann sich in einem Stadtteilkomitee einnisten (S.98).
 
ab Frühling 1942 ca.
Minsk: Die Besatzung flüchtet sich in ihre Hobbys - allgemeine Labilität, Alkohol und Zigaretten
Zwei Beispiele: Generalkommissar Kube beschäftigt sich bei Minsk mit Ausgrabungen an germanischen Hügelgräbern und lässt sein germanisches Theaterstück "Totila" aufführen, das jedoch kaum Erfolg hat (S.140). Der bayerische Staatsarchivassessor Dr.Rall, Wetterdienst-Inspektor der Wehrmacht in Minsk, lässt alle Minsker Archive überprüfen und lässt dafür, nachdem er kein deutsches Personal zur Verfügung gestellt bekommen hat, einheimische Leute dafür extra ausbilden (S.138).

Allgemein entwickelt sich eine labile Machthaltung über Leben und Tod. Die deutschen Funktionäre müssen dem System für ihre Machtposition "dankbar" sein. Häufig greifen auch sie zum Alkohol (S.142) oder zu Zigaretten (S.143-144) und werden auch untereinander ausfällig und gewalttätig (S.143).
 
Mai 1942
Sonderghetto Minsk: Weitere 300 deutsche Juden, 3000 in Trostinec sofort erschossen
SSPF Strauch setzt gegen den Willen von Generalkommissar Kube die zweite Deportationswelle von deutschen Juden nach Minsk durch (S.48). Ankunft weiterer 3300 deutscher Juden (S.112,114), wovon 90 % (gemäss BA R70/SU 39 3) sofort auf dem Gut Trostinec bei Minsk ermordet werden (S.114-115) und in den vorbereiteten Gruben verscharrt werden (S.115).
 
Juni 1942
Minsk: Einrichtung eines ersten "Filmtheaters"
(S.79)
 
26.6.42
Minsk: Exekution eines Weissrussen vom "Ordnungsdienst" wegen illegalem Waffenbesitz und Raub
(S.36).
 
29.6.1942
BSSR: Anerkennung des Selbsthilfewerks als einzige weissruthenische Organisation
Kube wertet das WSW durch die Ernennung von "Referenten" auf (S.87).
 
Mitte 1942  ca.
Minsk: Eröffnung eines Hallenbades für deutsche Soldaten
(S.131)
 
Juli 1942
Minsk: Bildung dreier "Wehrmannstürme", zwei aus Reichsbahnern
(S.65)

Minsk: Weitere 900 deutsche Juden, 9000 in Trostinec sofort erschossen
Gemäss BA R70/SU 39 3: Ankunft weiterer 9000 deutscher Juden (S.112,114) wovon 90 % sofort auf dem Gut Trostinec bei Minsk ermordet werden (S.114-115) und in den vorbereiteten Gruben verscharrt werden (S.115).
 
22.7.1942
Minsk: 1232 Muslime in Minsk
gemäss Minsker Zeitung vom 22.7.42 (S.152)
 
Sep 1942
Widerstand Minsk: Zweite Razzia, Massenverhaftungen
mit Verhaftung des "Gesamtstädtischen Parteizentrums" (S.98) und vieler führender Persönlichkeiten. Es bleiben nur isolierte, kleine Gruppen übrig, die isoliert voneinander arbeiten, u.a. die Wider- standsgruppe "Kazatschenok" mit Plakataktionen. Jugendliche werden zu Informationsträgern (S.99).

Herbst 1942
Minsk: Erneute Vernichtung des russischen Widerstandes
und neue Reorganisation mit Organisationszentrum ausserhalb von Minsk (S.97-99).
 
Ende 1942
Deutsch-rumänisch-italienische Niederlage der 6.Armee in Stalingrad

1943

1943

Minsk: Entfremdung zwischen deutscher und weissruthenischer Verwaltung

Zwischen den weissrussisch-nationalistischen zurückgekehrten Emigranten und der deutschen Besatzung entwickelt sich eine totale Distanz. Generalkommissar Kube bezeichnet die zurückgekehrten Emigranten als "Fremdlinge im eigenen Land", weil diese von der Bevölkerung selbst abgelehnt werden (S.85). Das Konzept der weissrussischen Organisationen bleibt gegen die deutsche Verwaltung gerichtet (S.86), und die deutsche Besatzung lässt eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Weissrussen nie zu, so dass die nach Minsk zurückgekommenen Emigranten zum Teil sogar wieder aufgeben (S.160). Die weissrussischen Nationalisten werden zwischen der deutschen Besatzung und dem sowjetischen Untergrund Attentate von beiden Seiten aufgerieben (S.90).

Der deutschen Verwaltung stehen die Kollaborateure zur Verfügung, die schon 1941 Kollaboration betrieben haben, denn diese haben nichts mehr zu verlieren. Die Mehrheit der Bevölkerung wendet sich dem sowjetischen Widerstand zu (S.86).
 
März 1943
Minsk: Einrichtung eines zweiten "Filmtheaters"
(S.79)

April 1943 ca.
Minsk: Ein Minsker gründet eigenmächtig ein Jugendwerk
und hat grossen Zulauf (S.89). Sofort erfolgt kommunistische Gegenpropaganda (S.90).

ab Mai 1943
Minsk: Die Buslinie wird durch eine Strassenbahn ergänzt
(S.58), die eine Strecke befährt, die deutschen Bedürfnissen folgt (S.75).

Mai 1943 ca.
Minsk: Der Minsker mit dem illegalen Jugendwerk wird von Partisanen erschossen
(S.89)
 
22.6.1943
Minsk: Gründung des "Weissruthenischen Jugendwerks" (WJW)
unter deutscher Führung als Kopie des illegalen vorherigen weissrussischen Jugendwerks (S.89). Sowjetische Gegenpropaganda, weil befürchtet wird, dass das Jugendwerk Erfolg haben könnte (S.90).
 
Mitte 1943?
Minsk: Eröffnung einer neuen Moschee für die Muslime in Minsk

Arrangement des Nazismus mit den Muslimen (S.153), weil die Muslime antikommunistische Tataren sind. Die deutsche Propaganda stellt die Tataren nicht mehr als gefährlich dar, sondern plötzlich als "nett, arbeitsam und antikommunistisch" (S.153).
 
27.7.1943
Minsk: Gründung eines weissruthenischen "Vertrauensausschuss"
(S.88)
 
ab Juli 1943
Minsk: Reorganisierung des Selbsthilfewerks und Kampf des SD Strauch gegen Ermatschenko
(S.87). Im Dauerstreit um die ideologische Führung des Landes kommt es zum "Privatkrieg" zwischen SS- und Polizeiführer (SSPF) Strauch und dem Vorsitzenden des Selbsthilfewerks, Ermatschenko (S.156).
 
Sep 1943
Minsk: Attentat auf das SD-Kasino - Rache: 300 Erschiessungen
(S.92)
 
21./22.9.1943
Minsk: Ermordung von Kube durch Partisanenanschlag
(S.52) in der Nacht (S.101).
 
23.9.1943
Minsk: Curt von Gottberg wird Nachfolger von Kube - Rache
(S.50-51). Für den Mord an Kube werden 100 Minsker Geiseln erschossen (S.92).

Okt 1943
Ghetto Minsk: Ermordung der Kranken des Ghettokrankenhauses
(S.149)

ab Okt 1943
BSSR: Carl von Gottberg entmachtet das Generalsekretariat nun völlig
und ordnet es der SS unter (S.55).
 
ab Herbst 1943
BSSR: Beginn der Besetzung der BSSR durch die Rote Armee - Exhumierungen der Massengräber
Die Rote Armee findet bei ihren Vormärschen Massengräber und erwähnt dies in der Propaganda. Ab sofort beginnen deutsche Stellen mit dem Ausgraben / Exhumierung der Leichen der Massengräber bei Minsk, um Spuren vor der Roten Armee zu beseitigen. Gemäss Loewenstein: Übergiessen der ausgegrabenen Leichen mit Benzin und Steinkohleteerheizöl. Partisanen werden (gemäss Loewenstein) lebendig auf den Leichenhaufen mitverbrannt (S.149).

BSSR: Beginn einer zweiten deutschen Plünderungs- und Zerstörungswelle durch die rückflutende Wehrmacht an deutschen und einheimischen Einrichtungen und Wohnungen. Die nationalsozialistische Ideologie zerfällt mehr und mehr (S.150).

Dez 1943
Widerstand Minsk: Komsomolkomitee und Kommandozentrum des Widerstands im Umland

mit Partisanenoperationen von ausserhalb der Stadt her (S.99-102). Die Kommandozentren des Widerstands sind nun im Umland mit intensiver Verbindung zu den Partisanen, wo die deutsche Besatzung keine Kontrolle hat. Der städtische Widerstand wird zum Befehlsempfänger (S.100).

Der Widerstand breitet sich mit den Siegen der Roten Armee nun in der ganzen Bevölkerung aus. Man muss ja auf der Seite der Sieger sein (S.102).

[Die kommunistische Diktatur ist im Anmarsch].

Dez 1943-März 1944
Minsk: 401 Deportationen ins Reich
(S.93)

21.12.1943
Minsk: Gründung des "Weissruthenischen Zentralrats" auf Initiative Gottbergs
der aber nur in kulturellen und sozialen Angelegenheiten Rechte besitzt. Gottberg ernennt selbst die ihm genehmen Mitglieder. Das Ganze ist eine Farce (S.88).

1944

1944

Minsk: Terror durch Arbeitszwang, Luftangriffe und Plünderungen
-- Kasernierung der arbeitenden Bevölkerung in den für die deutsche Besatzung wichtigsten Betrieben, damit sie nicht von der Arbeit fernbleibt (S.79)

-- sowjetische Luftangriffe mit noch mehr Zerstörung (S.70)

-- Plünderungswelle deutscher Soldaten und Einheimischer während des Rückzugs der Wehrmacht, auch an deutschen Einrichtungen. Die Organisation Todt und Einheimische schliessen sich den Plünderungen an. Plünderung des "deutschen Kaufhauses" (S.144), deutsche Soldaten plündern die Wohnungen von Reichsdeutschen etc. (S.144-145).
 
ab Mai 1944 ca.
Minsk: Rückflutung der Wehrmacht: neue Plünderungswelle und Zerstörungen

Alles, was verfügbar scheint, wird mitgenommen, Plünderung des "deutschen Kaufhauses" (S.144), von Radios, Einrichtungsgegenständen, Wäsche und besonders Zivilanzüge. Was nicht transportiert werden kann, wird zerstört (S.145).

Juli 1944
Minsk: Einberufung des 2.Konvent des "Weissruthenischen Zentralrats"
zwei Tage vor dem Einmarsch der Roten Armee, nach dem 1.Konvent von 1918, ca. 1000 Delegierte. Es ist eine bedeutungslose Angelegenheit (S.88).
 
Aug 1944
Minsk: Zweite Sowjetisierung - Minsk liegt zu fast 100  % in Trümmern
(Fotos)

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Erwähnte Quellen

Bundesarchiv (BA):
-- R58: Reichssicherheitshauptamt (RSHA)
-- R70/SU: Polizeidienststellen im besetzten Teil der Sowjetunion
-- R 90: Reichskommissar für das Ostland (RKO)

The Black Book, hrsg. vom Jewish Black Book Committee, New York 1946

Loewenstein, Karl: Minsk - Im Lager der deutschen Juden, In: Beilage zur Wochenzeitschrift "Das Parlament", B 45/46 vom 7.11.56, S.706-718

Reitlinger, Gerald: Die Endlösung, Berlin 1956

Wilenchik, Witalij: Die Partisanenbewegung in Weissrussland 1941-1944, Sonderdruck aus: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Berlin (West)/ Wiesbaden 1984

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