14. April 2014, 18:39
Die Folgen traumatischer Ereignisse pflanzen sich
über Generationen hinweg fort. Welche biologischen
Abläufe dabei eine Rolle spielen, haben nun
Schweizer Forscher herausgefunden.
Zürcher Forscher fanden heraus: Stress verursacht ein
Ungleichgewicht von Micro-RNAs in Spermien - Die
Folgen sind auch noch in der Enkelgeneration sichtbar
Zürich/Wien - In der Psychologie ist das Phänomen
längst bekannt: Traumatische Erlebnisse in der
Kindheit oder Jugend können später
Verhaltensauffälligkeiten auslösen. Und wie man
ebenfalls weiß, können solche Traumafolgen von einer
Generation zur nächsten Generation weitergegeben
werden. Das große Rätsel aber ist, wie diese
erworbenen Eigenschaften vererbt werden können.
In der Wissenschaft spricht man in dem Zusammenhang seit einigen Jahren von sogenannter "epigenetischer" Vererbung: Was da vererbt wird, steckt nicht in den Genen selbst, sondern muss sich - wie die griechische Vorsilbe "epi-" anzeigt - "neben" oder "jenseits" der DNA befinden. Forschern der ETH Zürich um Isabelle Mansuy ist es nun gelungen, einen möglichen Informationsträger dieses Phänomens zu identifizieren: sogenannte Micro-RNA: kurze RNA-Moleküle, die natürlicherweise in Zellen vorkommen und Regulierungsaufgaben übernehmen wie das "Ein- und Ausschalten" von Genen.
Für ihre im Wissenschaftsjournal "Nature Neuroscience" veröffentlichte Untersuchung setzten sie junge Mäuse extremen Stresssituationen aus: Sie trennten sie in willkürlichen Zeitabständen von ihrer Mutter. Nachdem die Versuchstiere ausgewachsen waren, überprüften sie unter anderem ihre Reaktion auf helles Licht und offene Räume, oder ließen sie in einem Becken schwimmen. Alle traumatisierten Mäuse hatten größtenteils ihre natürliche Scheu vor diesen Aufgaben verloren. Auch ihr Stoffwechsel war beeinträchtigt: Insulin-und Blutzuckerspiegel lagen bei diesem tiefer als bei Jungtieren. Einige Folgen wurden sogar auf die Enkel vererbt.
Doch ließen sich die Träger dieses geänderten Verhaltens auch in der Erbsubstanz finden? Mansuy und ihr Team untersuchten Anzahl und Art verschiedener Micro-RNAs in jenen Mäusen, die sie stressigen Situationen ausgesetzt hatten, und verglichen die Werte mit jenen nichtgestresster Mäuse. Dabei entdeckten sie, dass Stress zu einem Ungleichgewicht der RNA-Schnipsel in Blut, Gehirn und in Spermien führt. Dadurch laufen gewisse Zellprozesse, die durch diese Micro-RNAs gesteuert werden, aus dem Ruder.
Zu viel Stresshormone
Es seien zwar noch Fragen offen, zum Beispiel wie genau es zu dem Ungleichgewicht der kurzen RNAs kommt, sagt Isabelle Mansuy. "Mit den Micro-RNAs in Spermien haben wir aber einen Informationsträger entdeckt, über den Traumata vererbt werden könnten." Sehr wahrscheinlich seien sie Teil einer Wirkkette, die damit beginnt, dass der Körper zu viele Stresshormone produziert - und die erst bei den Enkeln endet. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 15.4.2014)
Abstract
Nature Neuroscience: Implication of sperm RNAs in
transgenerational inheritance of the effects of
early trauma in mice>

Australien 1.10.2014: Neue Genetik-Erkenntnisse: Alle Sexpartner einer Frau haben einen genetischen Einfluss auf die Nachkommen - Beweis bei Fliegen für "telegonische Vererbung"
[Die These der Forscher ist folgende: Die Samenflüssigkeit verändert die Eier in den Eierstöcken, auch wenn keine Befruchtung stattfindet. Und somit kommt es zur Schlussfolgerung, dass nur Kondome oder Zäpfchen vor dieser Veränderung der Eier in den Eierstöcken schützen].
aus: Der Standard online: Wie Fliegen die Vererbungslehre auf den Kopf stellen; 1.10.2014;
http://derstandard.at/2000006299685/Wie-Fliegen-die-Vererbungslehre-auf-den-Kopf-stellen
Sydney - Die auf Aristoteles zurückgehende Vererbungstheorie der Telegonie galt lange als unumstößlich. Sie besagt, dass das Erscheinungsbild eines Organismus nicht nur von den eigenen Eltern, sondern auch von früheren männlichen Sexualpartnern der Mutter geprägt werden kann. Bis weit ins 19. Jahrhundert teilte man diese Annahme, so kommt sie etwa noch bei Charles Darwin und Herbert Spencer vor.
Die Wissenschaft hat die Telegonie jedoch spätestens mit der Entdeckung der Vererbungsgesetze durch Gregor Johann Mendel, den "Vater der Genetik", verworfen. Sie ist mit heutigen Annahmen inkonsistent - Experimente mit unterschiedlichen Spezies und groß angelegte statistische Untersuchungen bei Menschen änderten daran nichts. Bis jetzt.
Denn nun wollen australische Forscher um Angela Crean von der University of New South Wales einen Nachweis für eine solche telegonische Vererbung bei Fliegen erbracht haben. Wie sie in den "Ecology Letters" berichten, beeinflussen männliche Sexualpartner bei Fliegen aus der Familie der Neriidae die Größe von Nachkommen, die andere Männchen nach ihnen gezeugt haben. "Unsere Experimente zeigen, dass das Konzept der Telegonie zu früh verworfen wurde - zumindest für Fliegen", sagte Crean zum STANDARD.
Verräterische Größe
Die Forscher züchteten durch nährstoffreiche oder -arme Nahrung männliche Fliegen mit erheblichen Größenunterschieden. Dann wurden noch nicht voll entwickelte Weibchen mit entweder einem großen oder einem kleinen Männchen gepaart. Als die Weibchen ausgewachsen waren, kam es abermals zur Paarung und diesmal auch zur Befruchtung. Als Sexualpartner fungierten nun aber Männchen, die sich größenmäßig deutlich von ihren Vorgängern unterschieden.
Das Ergebnis: "Obwohl die zweiten Partner die Väter waren, wurde die Größe der Nachkommen eindeutig durch den früheren Sexualpartner bestimmt", so Crean. Die Forscher vermuten, dass Bestandteile der Samenflüssigkeit der ersten Partner die noch unreifen Eier der jungen Weibchen veränderten und so das Wachstum der Sprösslinge ihrer Nachfolger beeinflussten.
Crean will nun herausfinden, ob sich diese Tatsache auf das Verhalten der Weibchen auswirkt. Denkbar wäre etwa, dass sie frühe Geschlechtspartner gezielt nach phänotypischen Vorteilen für spätere Nachkommen auswählen. Was dies nun alles für die Vererbungslehre bedeutet, ist noch unklar. Aristoteles könnte aber wieder einmal recht behalten. (David Rennert, DER STANDARD, 2.10.2014)