Die EU ist am
Scheiterweg: EUdSSR bereitet die Enteignung
der Sparer vor - so was gab's nicht mal in der
DDR (!)
Das neue Buch „Wehrt euch, Bürger!“ kann beim Finanzbuchverlag
(FBV) erworben werden.>
<Die EZB ist kein Hort der Stabilität und
geldpolitischer Vernunft. Sie wurde zum
Kampfzentrum nationaler Interessen. Den
Schaden haben die Sparer und Verbraucher in
Deutschland. Die Enteignung erfasst bei
näherem Hinsehen alle Anlageformen. Es gibt
kein Entrinnen.
Über die Folgen der Nullzinspolitik, so wie
sie die EZB verordnet hat und von der sie
wünscht, dass sie unbefristet anhält, wird
im wissenschaftlichen Raum
kontrovers diskutiert.
Das hängt damit zusammen, dass es auf die
Frage, welches die volkswirtschaftliche
Funktion des Zinses eigentlich
sei, viele, zum Teil sehr unterschiedliche
Antworten gibt. Consensus omnium, also
gemeinsamer Nenner aller vertretenen
Meinungen, ist indessen, dass der Zins
Entgelt für den Liquiditätsentzug auf Seiten
des Gläubigers sei und seine Ausgestaltung
dem Risiko entsprechen sollte, das der
Kreditnehmer darstellt. Nun hat die
Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank
die Zinsdifferentiale zwischen den
unterschiedlichen staatlichen Emittenten und
Schuldnern der Eurozone nicht völlig
egalisiert, sondern nur eingeebnet. Die
Ergebnisse sprechen der Realität Hohn: Bei
kurzfristigen Anleihen verdient Spanien –
ein Land mit krisenhafter Volkswirtschaft –
Geld. Die Rendite ist negativ.
Doch wirkt sich die tendenziell egalitäre
Zinspolitik der EZB nicht nur auf
den Staatsschuldenmärkten aus, sondern hat
mittlerweile auch Einfluss auf die
Modalitäten von Unternehmensanleihen, die
Geschäftsmodelle von Sparkassen- und
Raiffeisenbanken sowie die betrieblichen
Altersversicherungssysteme.
Die betriebliche Altersvorsorge, von der
Politik und allen Volkswirten angesichts
der demographischen Entwicklung in
Deutschland gepriesen, setzt
voraus, dass die Unternehmen willens und in
der Lage sind, entsprechende Rückstellungen
zu bilden. Die Unternehmen müssen dabei
ermitteln, welche Verpflichtungen aufgrund
betrieblicher Rentenzusagen in absehbarer
Zeit auf sie zukommen werden. Die Aktuare –
also die Versicherungsmathematiker der
Unternehmen, die betriebliche
Altersversorgung betreiben – stöhnen
angesichts der Nullzinspolitik. Denn nach
ihren Berechnungen werden die Eigenmittel
und die Bilanzen der Unternehmen mit
betrieblicher Altersversorgung durch die
Niedrigzinspolitik in erheblichem Umfang
belastet. Gewiss ist das
Finanzierungskonzept der jeweiligen
Unternehmen zur Realisierung ihrer
betrieblichen Altersvorsorge sehr
unterschiedlich.
Einige Unternehmen legen hohe Teile
künftiger Verpflichtungen im Wege eines
Sondervermögens zur Seite. Andere
Unternehmen versuchen, künftige
Pensionäre aus laufenden Erträgen zu
bedienen. Vorsichtiger ist es
gewiss, die Realisierung einer
Finanzierungszusage durch Sondervermögen,
welches vorgehalten wird, abzusichern. Dies
belastet indessen notwendigerweise das
Eigenkapital des Unternehmens. Schwer lässt
sich eine allgemeine Aussage für alle
Unternehmen treffen. Denn wie stark
Unternehmen durch ihre Pensionszusagen in
Anspruch genommen werden, hängt letztlich
von den Modalitäten eben dieser
Altersversorgung ab. Je geringer indessen
das Zinsniveau auf den Anleihemärkten ist,
desto schwieriger sind die Bedingungen für
Unternehmen, ein gut rentierliches
Pensionsvermögen aufzubauen und vorzuhalten.
Wer individuell etwas für seine
Altersvorsorge tun und mit
Bedacht seine erwirtschafteten Barmittel
anlegen will, steht vor einem für
durchschnittliche Anleger kaum noch zu
lösenden Problem: Bei öffentlichen
Schuldnern mit exzellenter Qualität (AAA)
müssen Anleger schon eine lange Laufzeit von
circa sieben Jahren in Kauf nehmen, um
überhaupt noch auf positive Erträge zu
kommen. Gehen sie in kürzer laufende
Anleihen, zum Beispiel der Bundesrepublik
Deutschland, so stellt sich das Problem des
Negativzinses. Dieses wird angesichts der
technischen Unwilligkeit, einen Strafzins an
den Emittenten zu entrichten, dadurch
umgangen, dass die jeweiligen
Staatsemissionen über pari emittiert werden.
Diese Emission oberhalb des Nominalwerts versucht
die Realität des Negativzinses zu
verschleiern. Es bedarf aber
weniger arithmetischer Kenntnisse, um das
Spiel zu durchschauen. Auf diesem Markt der
Staatsanleihen hat der private Anleger also
das Nachsehen. 2,5 Billionen Euro an
europäischen Staatsanleihen, also mehr als ein
Drittel der gesamten umlaufenden
Staatsanleihen, rentieren im Durchschnitt
unter 0,1 Prozent.
Indessen wird es der Anleger nicht
einfach haben, am Markt für
Unternehmensanleihen ansprechende Renditen zu
finden. Abgesehen von der ungelösten
Problematik der Zinswendepunkte, die sich bei
Unternehmensanleihen besonders auswirken, und
des prinzipiellen Liquidationsrisikos eines
jeden Unternehmens hat der Trend zu negativen
Zinsen auch den Markt für corporate bonds
erreicht.29 Der Markt für Unternehmensanleihen
hat indessen den ausschließlichen Vorteil,
dass das Kaufprogramm der EZB dieses
Marktsegment bisher außen vor gelassen hatte.
Die immense Nachfragewirkung und damit die
Verbilligung der Emissionskonditionen, wie wir
sie auf dem Staatsanleihemarkt erleben
konnten, ist bislang auf diesem Markt nicht
eingetreten.
Bleibt also für den auf Rendite
angewiesenen Anleger nichts
anderes als der Blick auf den Aktienmarkt.
Dieser befindet sich weltweit auf einem
Niveau, das sich, angeheizt durch die
Nullzinspolitik der EZB und die tendenziell
ähnliche Politik aller anderen westlichen
Zentralbanken, nahezu vollständig von der
Realwirtschaft abgekoppelt hat.
In der Eurozone stecken außer den
Leistungsbilanzüberschussländern alle
anderen Mitglieder in einer
stagnativ-rezessiven Phase.
Währenddessen sind aber die Aktienkurse
französischer und italienischer Unternehmen
auf Rekordhöhen geschnellt. Wer in dieser
Situation nolens volens Anlegern empfiehlt,
ihr Vermögen im großen Stil in Aktien
umzuschichten, ignoriert die unvermeidbare
Kurskorrektur der Börse im Verhältnis zu dem
Zustand der jeweiligen Realwirtschaft.
Bleiben noch Hybridanleihen, also solche
Anlageprodukte, die als aliud
zwischen Fremd- und Eigenkapital
aufgrund ihrer Nachrangigkeit besondere
Risiken darstellen. Diese in Gestalt von
Unternehmensanleihen emittierten
Anlageprodukte werfen signifikant höhere
Zinscoupons ab, sind allerdings hinsichtlich
ihrer Risikostruktur für durchschnittliche
Anleger schwerer zu evaluieren. Davon
unabhängig ist der Hybridanleihenmarkt mit
insgesamt im Umlauf befindlichen circa 50
Milliarden Euro Anleihevolumen europäischer
Unternehmen immer noch ein relativ kleines
Marktsegment. Das Volumen wächst gleichwohl.
Gewiss sichern weder das Grundgesetz noch
die europäischen Verträge Sparern signifikante
Erträge aus sehr einfachen Anlageprodukten
wie beispielsweise Sparbriefen. Indessen
befindet sich gerade der mit den
Finanzmärkten nicht vertraute Anleger
gegenwärtig in einer verdrießlichen
Situation. Tut er das, was die Politik
empfiehlt, also private Vorsorge durch
Anlageprodukte durchschnittlichen Ertrags
mit geringem Risiko zu treffen, so geht er
leer aus.
Daher ist das Argument, die Politik
der EZB würde eine Enteignungswirkung
haben, beziehungsweise ihre
Politik käme einem enteignungsgleichen
Eingriff nahe, nicht von der Hand zu weisen.
Die Not in den Akquiseabteilungen von
Versicherungen ist groß. Denn das
Stammgeschäft der Lebensversicherungen
bricht auch dann weg, wenn der Gesetzgeber
der gesetzlichen Minimalverzinsung der EZB
Pate steht und die Minimalrendite senkt, die
Lebensversicherungen erwirtschaften müssen.
Schon kommt es zu neuen, bislang noch nicht
erprobten Koalitionen zwischen Banken und
Versicherern. Letztere erwerben Portfolios
von Bankenkrediten für
Infrastrukturprojekte, von denen anzunehmen
ist, dass sie über eine geringere Risiko-
und Ertragsvolatilität verfügen als der
Eigenheimkredit an fast vermögenslose
Kunden. Ob diese Notgemeinschaft den Ausweg
weist oder sich als Holzweg herausstellen
wird, mag die Zukunft entscheiden.
Von unterschiedlichsten Institutionen sind
die Konsequenzen der Nullzinspolitik
der EZB für die Sparer
quantifiziert worden. Die Volkswirte der
DZ-Bank haben ausgerechnet, welche
Ertragsverluste nicht nur für
Tagesgeldkonten, sondern auch bei
Lebensversicherungen und durch den
Zinsverlust bei Anleihen entstanden sind.
Das Ergebnis ist niederschmetternd: Demnach
hätte jeder Deutsche in dem Zeitraum 2010 –
2014 durchschnittlich bereits 1 400 Euro
Zinsverlust zu tragen gehabt und dies unter
Berücksichtigung der Zinsersparnisse bei
Krediten. So käme man auf einen
Ertragsverlust von 112,5 Milliarden Euro.
Das sind für Durchschnittssparer sehr
erhebliche Einnahmeverluste.
Die Zinsersparnis bei den Krediten,
so die Volkswirte der DZ-Bank, in Höhe von
ungefähr 78 Milliarden Euro würden die
Ertragsverluste bei den Sparprodukten
mitnichten ausgleichen. Andere Berechnungen
weisen insbesondere darauf hin, dass Bürger
mit geringem Einkommen von der
Nullzinspolitik im Hinblick auf die Vorsorge
für ihr Alter besonders betroffen sind.
Auf die Frage, wie viel ein künftiger
Rentner bezogen hätte, wenn er einen privaten
Rentenversicherungsvertrag mit den
Überschussbeteiligungen des
Jahres 1998 abgeschlossen hätte und diese
konstant geblieben wären, kommen diese
Berechnungen zu Ergebnissen, die aufhorchen
lassen. Denn trotz Steigerung der
Vorsorgeaufwendungen des durchschnittlichen
Sparers für sein Alter sind die Beträge
aufgrund der gesenkten Überschussbeteiligung
deutlich gesunken. Nach diesen Berechnungen
beträgt der Unterschied für die gesamte
Laufzeit bis zum Renteneintrittsalter mehr
als 48 000 Euro. Die Nachsteuerrendite sei
von 5 Prozent auf 2,8 Prozent gesunken.
Heruntergebrochen auf die monatliche
Nettorente stehen dem fiktiven
Rentenempfänger dann nur noch 1 025 Euro
statt der fiktiven 1 248 Euro zur Verfügung,
die er bei Beibehaltung der
Vertragsbedingungen von 1998 erwirtschaftet
hätte. Es mag dahingestellt sein, ob die
Berechnungen im Detail zutreffen. Unschärfen
kann man bei solchen Quantifizierungen nie
vermeiden, zumal mit Durchschnittswerten
gerechnet wird.
Indessen lässt sich das Ergebnis
der Nullzinspolitik nicht schönrechnen:
Wenn der Durchschnittssparer über längere
Zeiträume die Folgen der Nullzinspolitik für
seine Altersvorsorge ermittelt, wird
deutlich, dass es sich um sehr signifikante,
tendenziell enteignende Vermögenseinbußen
handelt. Und diese Vermögenseinbußen treffen
besonders einkommensschwache Schichten, die
bei Eintritt in das Rentenalter mit einem
geringeren Rentenniveau auskommen müssen und
dementsprechend ihren Konsum einzuschränken
haben.
Die EZB-Politik trifft also –
bestens verschleiert – die Kleinen und
Schwachen. Die Nullzinspolitik
wird somit gerade für alternde
Gesellschaften, die es gewohnt sind,
risikoavers für ihr Alter vorzusorgen, eine
neue soziale Frage aufwerfen.
Dass das Argument, die Nullzinspolitik der
EZB würde den deutschen Sparer enteignen, die
Herren Draghi, Coeuré und Constâncio ins
Mark trifft, wird an der
amtlichen Reaktion der EZB deutlich. Coeuré,
ihr starker Mann, verantwortlich für die
Offenmarktgeschäfte, hatte mehrfach bereits
in trauter Runde zugegeben, dass man
kurzfristig die Sparer zum Opferstock
bittet, um ihnen dann langfristig die
Möglichkeit zu geben, an einer stark
wachsenden Wirtschaft teilzuhaben. Doch
gegen die Vorwürfe aus Deutschland,
vorgetragen durch den Präsidenten des
Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, den
ehemaligen bayrischen Finanzminister
Fahrenschon, durch Paul Kirchhoff, aber auch
durch unterschiedliche internationale
Stimmen, insbesondere aus der Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich, schickt
Coeuré seinen wichtigsten Exekutanten, den
Generaldirektor der EZB, Ulrich Bindseil,
ins Gefecht. Bindseil erwidert – formal
zusammen mit zwei Ökonomen der KfW –, was er
von den unterschiedlichen Einwendungen gegen
die akkommodierende Politik, insbesondere
die Nullzinspolitik der EZB hält.
Dass die Europäische Zentralbank
auf eine fachliche, mittlerweile
die breite Öffentlichkeit erreichende
Debatte in einem wichtigen Mitgliedsland der
Eurozone so spezifisch eingeht, spricht
Bände. Sie fühlt sich in Legitimationsnot.
Daher bemüht sich Bindseil gewissenhaft, die
unterschiedlichen Argumente aufzuzählen: Auf
Niedrigzinsen reagieren Sparer mit
reduziertem Konsum.
Die Nullzinspolitik würde Blasen
verursachen und die finanzielle
Stabilität unterminieren. Die
Sparanstrengungen in den öffentlichen
Haushalten würden entmutigt. Durch den
erleichterten Zugang zu
Investitionsfinanzierungen würde die
effiziente Allokation gestört, und
schließlich würden Niedrigzinsen auch
strukturell die Rentabilität von Banken
gefährden. Nach dieser genauen Aufzählung
flüchtet sich der EZB-Generaldirektor in
mathematische Formeln. Im Niemandsland von
Gleichungen wird der gesunde
Menschenverstand aufgelöst. Es findet eine
Diskussion anhand von Modellen statt, die
sich sowohl von der Erdoberfläche als auch
von der Realökonomie gelöst hat. Kein Wunder
bei dieser methodischen Verirrung der
Wirtschaftswissenschaften, dass Bindseil zu
dem Schluss kommt, alles sei im Lot.
Doch damit will er sich nicht
begnügen. Er gibt Deutschland –
auch dies scheint innerhalb des Mandats der
EZB möglich zu sein – auch noch eine Reihe
von Ratschlägen, wie es seine Produktivität
steigern, seine demographischen Probleme in
den Griff kriegen könne und zu guter Letzt
auch, wie es seinen fiskalischen Spielraum
zur Stimulierung der öffentlichen
Investitionen besser ausnutzen könne. Man
muss sich dieses Prosastück des
EZB-Generaldirektors auf der Zunge zergehen
lassen: Da wird der hierarchisch Untergebene
des französischen Direktoriumsmitglieds
Coeuré angewiesen, die deutschen Ängste mit
einem »Occasional Paper« zu besänftigen, und
der deutsche Gehilfe beeilt sich, seinen
Pariser Auftraggeber zufriedenzustellen.
Längst haben die Machthaber in Paris
verstanden, wie man die Unabhängigkeit der
EZB auf Französisch buchstabiert, lange
bevor die deutsche Bundesregierung aufwachen
wird, um endlich zu verstehen, wie
geräuschlos die Machtübernahme in der EZB
stattgefunden hat.
Der Rechtsschutz der Anleger
gegenüber einer Enteignungspolitik der
Zentralbank ist praktisch
inexistent. Die Rechtsprechung stellt
bislang allein darauf ab, ob durch Tun oder
Unterlassen einer Zentralbank eine
Hyperinflation hervorgerufen würde. Davon
kann gegenwärtig nicht die Rede sein.
Indessen wird darüber zu diskutieren sein,
ob die Nullzinspolitik der EZB und all ihren
Weiterungen – so sie auf Dauer durchgeführt
werden – nicht dadurch enteignungsgleiche
Wirkungen hervorbringt, dass peu à peu die
Sparervermögen aufgefressen werden. Sind die
Sparer und Anleger der
Leistungsbilanzüberschussländer
verpflichtet, dieses Notopfer zugunsten der
Südländer und ihrer desolaten öffentlichen
Haushalte zu erbringen? Diese Frage ist umso
dringender, wenn man beobachtet, dass die
Südländer die Zinsgeschenke mitnichten für
die Sanierung ihrer Haushalte nutzen und
sich hierzu auch noch bekennen.
So hat die Bank von Piräus – welche
selbst nur noch von den ELA-Notkrediten am
Leben gehalten wird – ein
Programm im Rahmen der »Bekämpfung der
humanitären Krise« in Griechenland
entworfen. Dieses sieht vor, dass bei
Privatpersonen mit besonders niedrigem
Einkommen auf die Rückzahlung von Darlehen
und Kreditkartenschulden bis zu einem Betrag
von 20.000 Euro verzichtet werden soll.
Ebenso wurde angeboten, Immobilienkredite
einzufrieren und die anfallenden Zinsen zu
erlassen.
Die dreisteste Politik betreibt in
dieser Hinsicht Frankreich,
dessen Kommissar, Pierre Moscovici, in
Brüssel dafür sorgt, dass die Pariser
Regierung keine blauen Briefe erhält. Der
Hinweis auf die enteignungsgleiche Wirkung
der Nullzinspolitik gegenüber großen und
kleinen Geldeigentümern wird
ordnungspolitisch veredelt durch die
langfristige Zerstörung, welche die
EZB-Politik für jene Geschäftsmodelle mit
sich bringt, die sich gerade in der Krise
der Jahre 2007/2008 als besonders stabil und
unverzichtbar für die Versorgung der
Volkswirtschaft mit Krediten herausgestellt
haben. Man mag über den kommunalen Charakter
des deutschen Sparkassenwesens die Nase
rümpfen. Auch kann man über die klaglose
Inanspruchnahme der Sparkassenorganisation
durch die jeweiligen Landesbanken, die nicht
sehr erfolgreich das große Rad des
Investmentbanking gedreht haben, den Kopf
schütteln. Tatsache bleibt, dass die
Sparkassen, und mit ihnen die
Genossenschafts- und Raiffeisenbanken als
Kapitalsammelstelle, jene Liquiditätsflutung
nicht notwendig hatten, von der im Wege der
Vollzuteilung Großbanken und
Investmentbanken während und nach der
Finanzkrise im Wesentlichen abhängig waren.
Gerade deshalb, weil die Sparkassen nicht am
»Tresen der Zentralbank« standen und stehen
– denn sie werden durch die Einlagen von
über 45 Millionen Sparinhabern
vertrauensvoll unterstützt – waren sie in
der Lage, ihre Kredittätigkeit
aufrechtzuerhalten.
Sie, die eine Bankenunion gar
nicht nötig haben, weil sie ein
eigenes Konkurssicherungssystem in ihre
Organisation eingebaut haben, das im Übrigen
von den Kunden mitbezahlt wird, werden sich,
wenn die Nullzinspolitik weitergeht, das
bisherige Zweigstellennetz nicht länger
leisten können. Ein Kostenblock von 12 000
Filialen mit insgesamt circa 240 000
Mitarbeitern der ungefähren 416 Sparkassen
wird auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten
sein, wenn die klassischen Kunden der
Sparkassenfilialen sich als Einleger mangels
Kreditgeschäft von diesen Instituten
abwenden und sich damit die
Refinanzierungsmöglichkeiten der Sparkassen
fundamental zu wandeln beginnen. Zu allem
Überfluss müssen eben jene Banken auch die
Kosten für eine Europäische Bankenaufsicht
übernehmen, die sie von Anfang an abgelehnt
haben. So hat die EZB die Aufsichtsgebühren
für 2014 – 2015 auf 326 Millionen Euro
festgesetzt.34 89 Prozent dieser Kosten
entfallen auf die 123 bedeutenden Banken,
darunter 21 deutsche (z.B. DZ-Bank, viele
Landesbanken und auch die Hamburger
Sparkasse), 11 Prozent entfallen auf die 3
500 weniger bedeutenden Banken, die nicht
einmal direkt von der EZB beaufsichtigt
werden, darunter die meisten Sparkassen und
Volksbanken.
Nota bene: Es gibt in der
Marktwirtschaft keinen Bestandsschutz
für bestimmte Geschäftsmodelle. Dennoch
mutet es erstaunlich an, dass ein
Geschäftsmodell in Gestalt von
Genossenschaftsbanken und Sparkassen,
welches in Deutschland für außerordentliche
Stabilität in der Kreditversorgung gesorgt
hat, im Wege der Nullzinspolitik
zwangsrationalisiert wird. So könnte der
Verdacht entstehen, dass die in Brüssel
tätigen Kräfte, die ohnehin die
Sparkassenorganisation in Deutschland als
ein Netz von Gebietskartellen ansehen, mit
Hilfe der EZB ihrem Ziel ein Stück näher
kommen wollen.35 Parallel zu
kartellrechtlichen Untersuchungen erklärte
der Generaldirektor der EZBBankenaufsicht
Vesala auf einer Konferenz in Frankfurt,
dass die EZB in diesem Jahr einen Blick auf
den öffentlich-rechtlichen und
genossenschaftlichen Bankensektor in
Deutschland werfen werde.
Es ist kaum verwunderlich, dass sich in
dieser historisch einmaligen Situation Vertreter
des Finanzkapitalismus zu Wort melden
und behaupten, dass gerade die niedrigen
Zinsen zu einer Gefährdung des Wachstums
führen würden. Der legendäre Bill Cross wies
bislang unwiderlegt darauf hin, dass die
anhaltende Niedrigzinspolitik die
Geschäftsmodelle institutioneller Investoren
wie Versicherer und Pensionskassen, wenn
nicht zerstören, so doch massiv gefährden
würde. Diese Anleger hätten für
längerfristige Anlagen kaum noch eine
Rendite zu erwarten.
Der zweite Hinweis ist noch einschlägiger:
Unterstellt man ein rationales
Verhalten beim Individualanleger,
so schränkt er sich infolge der
Nullzinspolitik beim Konsum ein und legt
mehr Geld auf die hohe Kante, um für
schlechtere Zeiten vorzusorgen. Was dies für
die von der Pariser Regierung beschworene
Binnennachfrage bedeutet, liegt auf der
Hand.
Prof. Dr. Markus C. Kerber
ist Professor für öffentliche
Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an
der Technischen Universität Berlin.
Seit 2006 ist er Gastprofessor für
Verteidigungsökonomie am I.E.P. Paris. Von
1998 bis 2001 war er Gastdozent an der
Führungsakademie der Bundeswehr. Seit
1991/92 ist Kerber Rechtsanwalt und
Unternehmensberater in Berlin, Paris und
London. Er veröffentlicht regelmäßig
Schriften zur öffentlichen
Finanzwirtschaft und
Unternehmensfinanzierung sowie zum
Gesellschaftsrecht, Kartellrecht und
Europarecht. 2005 gründete er den Think
Tank Europolis.
Das neue Buch „Wehrt euch, Bürger!“ kann beim Finanzbuchverlag
(FBV) erworben werden.>
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