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Frauenrechte und -unrechte im Mittelalter

von Michael Palomino (2000)

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aus: Shulamith Shahar: Die Frau im Mittelalter; übersetzt von Ruth Achlama. Athenäum Verlag, Königstein 1981


Literatur
Frauenforschung im Mittelalter:
-- E.Power: "The Position of Women"; In: "The Legacy of the Middle Ages", hrsg. v. C.G.Grump und E.F.Jacob. Oxford 1926
-- E.Power: "Medieval Woman", hrsg. v. M.M. Postan, Cambridge 1975

Kommentar
Die kleine Zusammenfassung gibt die Grundlage des Wissens über die Frauendiskriminierung im Mittelalter, wie sie z.T. in islamischen Ländern bis heute noch besteht.

Michael Palomino
1999 / April 2004


Allgemeine Angaben

Die Entwicklung ist national und regional verschieden. In GB, NL, D, F, Italien und auf der iberischen Halbinsel existiert das Feudalsystem. In allen Ländern herrscht gemeinsamer Wirtschaftsaufbau, gemeinsame materielle Kultur, ständische Gliederung, katholischer Glaube, Kirchenorganisation und Latein als Sprache der "höheren Kultur" (S.9).

Die Unterschiede
-- bei Gesetz und Brauch
-- uneinheitliches Lehenswesen (z.B. im muslimischen Spanien)
-- besondere Wirtschaftsentwicklung (frühzeitige Entwicklung in Norditalien und Flandern)
-- Ketzerbewegungen, v.a. in Norditalien und Südfrankreich (S.9) [als Folge der misslungenen Kreuzzüge erste Reformbewegungen]
-- Hexenanklagen sind in GB anders als auf dem Kontinent (S.10).


Weibliches Erbrecht ist in verschiedenen Kodifikationen des Lehens- oder Stadtrechts festgehalten (S.10).


Die Gesellschaftsstruktur im Mittelalter: Stände ohne Frauen

Ab Ende 10.Jh. ist die Gesellschaft in drei Stände ("ordines") eingeteilt: Beter - Kämpfer - Arbeiter, eine "gottgewollte, christliche Gesellschaft" (S.13), mit horizontal ausgewogenen Abhängigkeiten zwischen diesen Gruppen (S.14). Für die Frau ist darin aber kein Platz (S.13).

Ab dem 12.Jh. kommt eine Neubetrachtung der Ständegesellschaft zustande. Es bilden sich "sozial-berufliche" Stände in Statusstufen, ein neues vertikal-autoritäres System, das die menschliche Ordnung darstellen soll. Die 3 vorigen Stände werden nun jeweils unterteilt, und wieder sind es alles nur Männer (S.14):

Beter
Kämpfer sozial-berufliche Ordnung der Arbeiter
reguläre Priester weltliche Priester:
-- Papst
-- Kardinäle
-- Bischöfe
-- Gemeindepriester
-- Herzog
-- Graf
-- Ritter
-- Fussknecht
-- freie Bauern
-- Leibeigene
-- Kaufleute
-- Notare
-- Ärzte
-- Handwerker
-- Bettler
-- Diebe
(S.14)


Frauen erscheinen in der historischen Literatur als "gesonderter Stand", mit Untergruppen je nach sozial-wirtschaftlicher Stellung. In Gebetsbüchern, Sittenbüchern und Predigtbüchern erscheinen Frauen als Sondergruppe nach Familienstand unterteilt.


ab 15.Jh.
Erst jetzt werden die Frauen in die Unterteilung der Gesellschaft integriert, z.B. im "Totentanz" (S.15).

In: Huizinga: "The Waning of the Middle Ages", N.Y. 1954, S.1445-146

Sünden der Frauen

Die Beichtspiegel der Kirche listen spezielle weibliche Sünden auf (S.10), z.T. differenziert nach Untergruppen. Den Frauen werden vorgeworfen: Eitelkeit, Stolz, Gewinnsucht, Leidenschaft, Esssucht, Trunksucht, Launenhaftigkeit, Wankelmut (S.15).

Anweisungen gegen Frauen

-- Frauen sollen von öffentlichen Ämtern ferngehalten werden
-- Frauen sollen von öffentlichen Räten und Versammlungen ferngehalten werden
-- Frauen sollen sich auf häusliche Aufgaben konzentrieren, den Mann versorgen, den Mann lieben und Kinder erziehen (S.15).

In:
R.Mohl: "The Three Estates in Medieval and Renaissance History", N.Y. 1962
B.Jarret: "Social Theories of the Middle Ages 1200-1500"; Boston 1926, Kap. 3

Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau wird in der irdischen Kirche und in Staat und Gesellschaft festgeschrieben. Gleichheit besteht nur in Bezug auf Erlösung gemäss Galaterbrief 3,28 (S.15).

Beim Kirchenschriftsteller Hugo (Abt von Flavigny) kommen Frauen dagegen auch in der "metaphysischen Hierarchie" am Ende der Skala. Die "himmlische" Rangfolge gemäss Hugo sei:

Petrus und Paulus
Johannes der Täufer
übrige Apostel
heilige Einsiedlermönche
vollkommene Mönche, die in Gemeinschaft leben
gute Bischöfe
gute Laien
zuletzt: Frauen
(S.15)



Frauen über Frauen im Mittelalter: politische Selbstverneinung - bescheidene Darstellung

Auch Frauen stellen sich selbst als gesonderten Stand dar, Bsp.: die Lyrik-, Geschichts- und Sittenbände von Christine de Pisan Ende 14./Anf. 15.Jh. Auch bei Freuen finden Frauen im Staatsaufbau keine Erwähnung. Eigene Frauenbücher dagegen existieren mit Besprechung von Frauen verschiedener Stände, dem "richtigen Verhalten" von Mädchen, Frauen und Witwen etc.:
-- "Das Buch der 3 Tugenden" (Le Livre de Trois Vertus)
-- "Der Schatz der Frauenstadt" (Le Trésor de la Cité des Dames) (S.16).

Ausbildung von Frauen

Die Ausbildung bleibt den Frauen verschlossen. Sie haben keine Chance auf einen Standesaufstieg. Sie haben auch keine Chance auf einen Kirchendienst oder Aufstieg in der Kirche (S.16-17). Die Autoren betonen den Familienstand nur bei Frauen, bei Männern nicht. Diese Diskrepanz ist bis heute in der Anrede enthalten (S.17).

[Wenn unverheiratete Frauen "Fräulein" genannt werden, müssten unverheiratete Männer "Männlein" genannt werden].

Gleichstellung im Recht und in der Literatur - die Sklaverei in der Praxis

Gesetz  und Realität unterscheiden sich z.T. sehr. Im griechischen Drama werden Frau und Mann gleichgestellt, in der griechischen Gesellschaft aber ist die Frau die Arbeitssklavin (S.18). In derselben Weise beschreibt der höfisch-mittelalterliche Roman ein Ideal, das nicht existiert. Die Minnedichtung hat mit der Realität noch weniger zu tun. Die moralisch-satirisch städtische Literatur dagegen ist eher wirklichkeitsgetreu, schildert die städtische Lebensweise, mit feindseligen Äusserungen über die Frau, wie die Frauenfeindlichkeit z.T. heute noch existiert (S.19).

Die höfische Literatur ist von Männern geschrieben, mit Idealisierung der ausserehelichen Liebe, mit Darstellungen von Liebhabern als Vasall der Herrin. Die Literatur ist ein Protest gegen die bestehende "Ordnung", ein Ausdruck von Sehnsucht nach einer anderen "Ordnung", aber sicher nicht die Realität (S.21).


Die Frauen kämpfen nicht um die Gleichberechtigung

Politische und soziale Aufstandsbewegungen der Frauen gegen Männer gibt es nicht. Die Frauen kämpfen nicht um eine Statusänderung. Eine offene Frauenbewegung existiert nicht (S.20-21). In Colmar segnet eine Frau die verurteilten Frauen, die auf dem Scheiterhaufen landen (S.21).

In: Annales Colmariensis Maiores, A-1301, MGHS, Bd. XVII, S.226

Frauen absolvieren die Kirchenlaufbahn

-- mit religiös freier Existenz von männlicher Autorität
-- mit umfassender Bildung
-- als Äbtissin oder in anderen Klosterämtern möglich mit Ausüben von Vollmachten (S.21).

So sucht manche unglücklich verheiratet Frau den Schutz der Klostermauern, auch viele Witwen, sowie zahlreiche Frauen der "Ketzerbewegungen" [nach den missglückten Kreuzzügen]. Die Frauen erwerben einen höheren Status, mehr Rechte und ein Leben mit weniger männlicher Bevormundung (S.21).


Öffentliche Ämter und gesetzliche Rechte

Öffentliche Ämter: Frauen raus
-- Einschränkungen gegen alle Frauen
-- Einschränkungen je nach Familienstand (S.23).

An der Herrschaft im Staat und in der Gesellschaft haben Frauen keinen Anteil, weder in öffentlichen Ämtern, noch in staatlichen Körperschaften (Gerichte, Stadtregierungen, Königsräte, Abgeordnetenhäuser). Frauen sollen sich um weibliche und häusliche Angelegenheiten kümmern (S.23).

in: R.Mohl: The three Estates in Medieval and Renaissance Literature. S.341

Gemäss dem englischen Rechtsgelehrten Glanville sind Frauen nicht zum Dienst für den königlichen "Herrn" berechtigt (S.23).

In: F.Pollok/F.Maitland: A History of English Law. Cambridge, 1898, Band I, S.485

Die Gründe der Einschränkungen gegen Frauen

-- Argument Kirchenrecht: Frauen seien in der Schöpfung zweitrangig
-- Argument weltliche Gesetzgebung: Frauen werden Eigenschaften zugeschrieben wie Unwissenheit, Leichtsinn, Liest, Habsucht. Es sind die Argumente der römischen Zeit (S.23).

Frauenfreunliches Lehensrecht

Die Einschränkungen gelten nicht beim Lehnserbe und bei Äbtissinnen auf einem ihrem Kloster verliehenen Erblehen. Die Lehensverfassung lässt also höhere Positionen für Frauen zu als die Neuzeit bis ins 20.Jh. (S.24).

Abgaben sollen Frauen entrichten

Frauen in der Stadt und auf dem Land unterstehen einer Abgabenpflicht, obwohl sie selbst keine Rechte haben. Für ledige Frauen oder Witwen sind die Steuern gleich wie für die Männer. Bei Ehepaaren ist der mann für die Steuern der Frau verantwortlich. Übt die Frau einen eigenen Beruf aus, zahlt sie die Steuern selbst (S.24). In London beschlagnahmen Frauen auch Besitz und verkaufen verpfändete Gegenstände (S.25).

Hoch- und Spätmittelalter: Der Verlust aller Rechte bei Heirat

Frauen können nicht bezahlte Richterin und auch nicht Anwältin (procurator) werden. Frauen werden als unfähig betrachtet, vor dem Gericht Zeugnis abzulegen oder als Eideshelferin zu dienen. Weibliche Zeugenaussagen werden nur zugelassen, wenn keine männliche Zeugenaussage vorhanden ist (S.25).

Ledige Frauen haben Rechte: Klagerecht, Vertragsabschlussrecht, Testamentrecht. Ledige Frauen können auch Kredite aufnehmen und können vor Gericht erscheinen, ausser in der Region Brabant und Sizilien, wo sie durch ein männliches Familienmitglied gegen Bezahlung vertreten sein muss.

Verheiratete Frauen werden total vom Mann abhängig, verlieren ihre Rechte als ledige Frau, dürfen z.B. auch nur mit Zustimmung des Mannes Zivilklage erheben (S.25).

Im Strafrecht wird dagegen kein Unterschied zwischen verheirateten und unverheirateten Frauen gemacht. Jede Frau darf klage (S.25). Mordfälle werden ab dem 13.Jh. von der öffentlichen Anklage abgelöst (S.26).

Frauen mit prozessrelevanter Kompetenz bei speziellen Fällen

-- Frauen wird bei Erbfällen eine gewisse Zeugenfähigkeit zugesprochen, z.B. bei der Frage, welches Kind bei Zwillingen zuerst geboren wurde, oder welches Kind nach der Geburt gestorben ist
-- Frauen können bei Impotenz des Mannes auf Scheidung klagen
-- Frauen können eine Untersuchung ihres Körpers durchsetzen, wenn Vergewaltigungsspuren vorzeigbar sind
-- z.T. existieren sogar eigene Amtsstellen für Frauen, z.B. in Paris, in der Normandie u.a. (S.26)
-- in England können Frauen in manchen Städten die Zeugenschaft für Frauen übernehmen (S.27).

In Kirchengerichten kann eine Nonne, die wegen Unzucht angeklagt ist, Eideshelferinnen aus ihrem Kreis bestimmen (S.27).

Frauen besitzen die Fähigkeit zur Unterschrift, können Vormundschaften übernehmen, wenn sie verwitwet sind, und dürfen Testamente erstellen (S.27).

Frauen können Zeuge von Wundertaten sein. Über die Hälfte der Aussagen über Wundertaten werden von Frauen bezeugt. Am Prozess gegen Jeanne d'Arc 1456 sind die überwiegenden Zeugenaussagen von Frauen (S.27).

Vergewaltigung als Verbrechen - Vergewaltigungsverleumdung als Heiratsmittel

Das Strafmass bei weiblicher Anklage gegen Männer:

-- F. und GB: Blendung, Kastrierung, Hinrichtung möglich

-- Sizilien unter Friedrich II.: auch wer Dirnen vergewaltigt: Todesstrafe, unterlassene Hilfeleistung bei Vergewaltigung: massive Geldbusse

-- Deutschland: Auspeitschung des Vergewaltigers, z.T. mit Mitwirkung der vergewaltigten Frauen

-- Spanien: Cuenca und Sepulvede: Geldstrafe und Vertreibung aus der Stadt (S.27)

-- bäuerliche Kreise: in der Praxis wird eine Geldstrafe verhängt, manchmal sogar Straffreiheit, wenn Opfer und Täter von derselben Gesellschaftsschicht sind und heiraten (S.28).


Vergewaltigungsverleumdungen führen so zu mancher unstandesgemässen Ehe. Die Frau kann mit der Verleumdung, vergewaltigt worden zu sein, auf Heirat klagen und den Mann zur Ehe mit ihr zwingen (S.28).

In England gilt das spezielle männerfreundliche Gesetz der "Lustempfindung". Die Richter glauben, dass nur bei Lustempfindung Schwangerschaften möglich seien. Somit werden alle Klagen auf Vergewaltigung, aus denen Schwangerschaften entstehen, abgewiesen (S.28).

Strafrecht: Frauen werden gleich bestraft - Schwule werden verbrannt - Lesben bleiben straffrei

Für "Ketzerei" oder "Hexerei" gelten gleiche Strafen. Männer wie Frauen landen auf dem Scheiterhaufen (S.29). Dabei werden viel mehr "Hexen" als "Zauberer" verbrannt (S.30).

Homos landen auf dem Scheiterhaufen. Lesben dagegen bleiben straffrei. Auch in den Beichtspiegeln der Kirche werden Schwulitäten als schwerere Sünde angesehen als lesbische Aktivitäten (S.30).

Männer morden viel mehr als Frauen (S.29). Bei Mord am Vorgesetzten landet der Mörder immer auf dem Scheiterhaufen, wenn z.B. der Vasall seinen Senior oder der Diener seinen Herrn umbringt, oder wenn die Frau ihren Mann ermordet (S.30).

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