"Vorwürfe
gegen
U.S.-Konzerne
auf der Washingtoner Holocaust-Konferenz. General
Motors und Ford hätten Hitlers Kriegsmaschinerie auf
Touren gebracht.
[Die "Unschuld" der "USA" ist verloren:
Historiker Snell suchte in "amerikanischen" Archiven]
Das Treffen war sorgfältig vorbereitet wie ein
Weltwirtschaftsgipfel. Ein Jahr lang hatte
U.S.-Staatssekretär Stuart Eizenstat, 55, mit
europäischen Diplomaten verhandelt und die Manager
internationaler Konzerne bearbeitet.
Die Konferenz, die Eizenstat vergangene Woche in
Washington leitete, sollte endlich alle noch offenen
Fragen zum grössten Raubzug der Geschichte klären, der
Ausplünderung der europäischen Juden durch die Nazis. Bis
zur Jahrtausendwende will der Diplomat, der selber drei
Grossonkel und -tanten im Holocaust verlor, Rückgabe und
Entschädigung endgültig auf den Weg bringen. Für diese
schwierige Aufgabe sah Eizenstat nur eine geeignete
Nation:
"Nur Amerika hat dazu die moralische Autorität und
Glaubwürdigkeit."
Doch am vergangenen Montag verdarb der amerikanische
Historiker Bradford Snell seinem Landsmann den
grossen Auftritt. Stunden vor Konferenzbeginn
veröffentlichte der Wissenschaftler Auszüge aus
Dokumenten, die er in amerikanischen Archiven gefunden
hatte. Sie zeigen, dass zwei Giganten der U.S.-Wirtschaft,
General Motors und Ford, mit Hitlers
Drittem Reich kollaborierten und sich an den Opfern des
Holocaust bereicherten.
Die deutschen Tochterfirmen der Automobilunternehmen
beschäftigten Zwangsarbeiter, verschafften dem Dritten
Reich Zugang zu kriegswichtigen Rohstoffen und rüsteten
Hitlers Wehrmacht auf. Die amerikanischen Besitzer wussten
davon und billigten zum Teil sogar die Zusammenarbeit mit
dem Nazi-Regime.
Die U.S.A., das Land der Holocaust-Anklagen, wurden durch
die Veröffentlichung auch in die Reihe der Mitschuldigen
hineingezogen. "Jedes Land muss seine Geschichte
aufarbeiten", stellte Eizenstat selbstkritisch fest, "auch
die U.S.A."
Die Amerikaner "lebten bisher mit einem Mythos", meint der
Washingtoner Rechtsanwalt Michael Hausfeld - dem Mythos
vom makellosen Kampf der grössten Demokratie der Welt
gegen den Faschismus. Doch das Glanzbild zeigt inzwischen
braune Spritzer.
[Klagen gegen "amerikanische" Firmen wegen
Zwangsarbeit im Dritten Reich]
Bereits im März verklagte Hausfeld im Namen von Elsa
Iwanowa, die als junges Mädchen bei Ford in Köln
zwangsweise schuften musste, das Unternehmen in den U.S.A.
neben der deutschen Tochterfirma auf Schadensersatz. Er
macht den U.S.-Konzern für die Kollaboration der deutschen
Filiale mit den Nazis verantwortlich. Innerhalb der
nächsten vier Wochen will der Anwalt auch gegen General
Motors Klage einreichen. Sollte er Erfolg haben,
werden die Konzerne Hunderte von Millionen Dollar
Schadenersatz an Zwangsarbeiter zahlen müssen.
Zwei Jahre, nachdem amerikanische Juristen mit
Milliardenklagen gegen Schweizer Banken die weltweite
Suche nach den Profiteuren in Gang setzten, sind die
Fahnder im Ausgangsland angekommen. In amerikanischen
Museen und Privatsammlungen werden immer neue
Gemälde und Zeichnungen entdeckt, die einst die Nazis bei
europäischen Juden beschlagnahmten. Auf undurchsichtigen
Wegen waren sie in die U.S.A. gelangt. Die grossen Museen
der U.S.A. haben sich inzwischen verpflichtet, ihre
Bestände auf Beutegut durchzusehen.
Doch nun sind die Konzerne Ford und General
Motors ins Zwielicht geraten. Das Engagement der
beiden Unternehmen in Deutschland begann nach dem Ersten
Weltkrieg. Ford baute 1925 ein erstes Werk in Berlin,
General Motors kaufte 1929 die Opel AG in Rüsselsheim.
[Henry Ford und Du Pont machen Kuhandel mit
Göring - erster Hitler-Orden für Henry Ford 1938]
Den Nationalsozialisten, die sonst den Einfluss
ausländischer Unternehmen als "Überfremdung" kritisierten,
war das recht. Henry Ford, der die
Fliessbandarbeit in der Automobilindustrie einführte, war
glühender Antisemit. Hitler bewunderte den Auto-Tycoon;
dessen Bild hing im Münchner Büro des Diktators. Und Irénée
Du Pont von General Motors unterstützte den Führer
mit Geldspenden.
Für die Unternehmen zahlte sich das aus. Hermann
Göring verzichtete 1938 darauf, die Ford-Werke wie
zahlreiche andere Grosskonzerne den Reichswerken Hermann
Göring einzugliedern. Auf Hitlers Wunsch errichteten Ford
und Opel Fabriken in Berlin und Brandenburg. Hitler
liess Henry Ford zu dessen 75.Geburtstag am 30.Juli
1938 mit dem Grosskreuz des Adlerordens
auszeichnen (S.184).
[Henry
Ford boykottiert England 1940 - deutsche Autos gegen
"amerikanisches" Gummi]
Zwei Jahre später - Hitler hatte seinen Krieg bereits
begonnen - weigerte sich der so Ausgezeichnete, einer
Bitte des amerikanischen Präsidenten Franklin
D.Roosevelt nachzukommen und Grossbritannien mit
Flugzeugmotoren auszuhelfen.
Das verbiete ihm, erklärte Ford, sein Pazifismus. Das
chronisch devisenschwache Dritte Reich, immer auf der
Suche nach teuren Rohstoffen aus dem Ausland, wurde von
Ford jedoch durch Tauschhandelsgeschäfte unterstützt. Ford
exportierte in Deutschland gefertigte Autos und versorgte
dafür das Reich mit Gummi, wie aus einem geheimen
Untersuchungsbericht der amerikanischen Armee von 1945
hervorgeht, den die U.S.-Regierung im März freigab.
[Ford und Opel: Drei-Tonnen-Kettenfahrzeuge, 2/3
aller mittelgrossen Lkw, Ketten-Lkw]
An der Aufrüstung der Wehrmacht beteiligten sich Ford und
Opel seit 1938. Gemeinsam fertigten sie 90 Prozent der Drei-Tonnen-Kettenfahrzeuge
und gut zwei Drittel aller mittelgrossen Lastwagen.
Darunter war auch der "Opel Blitz", das sogenannte
Rückgrat der Wehrmacht. Dessen Allradantrieb half Hitlers
Soldaten an der schlammigen Ostfront ebenso wie in den
Wüsten Nordafrikas.
Die Ingenieure der Ford-Werke entwickelten zudem eigens
das "Maultier", einen Lastwagen mit hinterem
Kettenantrieb. Ohne die beiden amerikanischen Unternehmen,
so Historiker Snell, wäre Hitlers Angriff auf
Polen 1939 und die Sowjetunion 1941 "nicht möglich
gewesen".
[Ford lässt in Ford-Fabriken Munition für das
Dritte Reich produzieren - Opel produziert Bomber Ju 88
und Düsentriebwerke - ZwangsarbeiterInnen]
In einer geheimen Absprache mit Hitlers Oberkommando der
Wehrmacht vereinbarte Ford 1939 zudem, in den Kölner
Werken auch Munition herzustellen. Die Opel AG in
Rüsselsheim stellte die Fahrzeugproduktion ebenfalls
teilweise um und produzierte statt dessen Ju-88-Bomber und
Düsentriebwerke für die Luftwaffe. James Mooney,
bei General Motors verantwortlich für das
Überseegeschäft, hatte dies persönlich mit Hitler
vereinbart.
Für Ford war das Rüstungsgeschäft lukrativ. Wie
aus einer kürzlich freigegebenen Untersuchung der
amerikanischen Militärbehörden hervorgeht, konnte Ford
seine Erträge zwischen 1938 und 1942 verdoppeln. Als
kriegswichtiges Unternehmen hatten die Automobilbauer die
Möglichkeit, auf KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter
zurückzugreifen - darunter viele junge Mädchen aus der
Sowjetunion.
[Ab 1945 hat Ford "nichts gewusst" - 1974:
Historiker Snell wird von GM verklagt und verurteilt]
Als der Krieg vorbei war, behauptete die Ford-Zentrale in
Detroit, von dem Treiben der deutschen Tochterfirma nichts
gewusst zu haben. General Motors klagte sogar mit Erfolg
gegen Snell, als dieser 1974 erstmals dem
Unternehmen vorwarf, für das Handeln der Rüsselsheimer
Rüstungsfabrik bis 1945 verantwortlich zu sein.
[Fords Dokumentenschmuggel 1943 über Portugal]
Seitdem haben sich zahlreiche Hinweise dafür gefunden,
dass die Version der Autobauer zumindest für Ford so nicht
stimmt: Im Juni 1943 traf sich der Verwalter der Kölner
Ford-Werke heimlich mit U.S.-Managern im neutralen Portugal.
Und ein portugiesischer Kurier schmuggelte Berichte der
Pariser Ford-Zentrale im besetzten Frankreich, die der
deutschen Ford-Tochter unterstellt war, nach Lissabon.
Von dort gelangten sie in die U.S.A.
Staatssekretär Eizenstat wollte sich auf der
Holocaust-Konferenz mit den Vorwürfen gegen die beiden
U.S.-Unternehmen lieber nicht beschäftigen. Niemand habe
die amerikanische Regierung offiziell darum gebeten, sich
einzumischen.
Das dürfte sich bald ändern. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum
plant eine internationale Konferenz auf Regierungsebene,
die sich ausschliesslich mit Zwangsarbeit beschäftigen
soll. Die Einladungen werden noch vor Weihnachten
herausgehen. Auf der Adressliste steht auch Stuart
Eizenstat.
[Der Hitler-Orden für Henry Ford]
Henry Ford erhielt am 30.Juli 1938 in Detroit von den
deutschen Konsuln Fritz Heiler und Karl Kapp in Detroit
das Grosskreuz des Adlerordens verliehen (S.185).
Klaus Wiegrefe.>