Brasilien 12.2.2010: Fordlandia und Belterra -
Henry Fords Kautschuk-Desaster
aus: Spiegel online: Henry Fords verlorene Dschungelstadt;
12.2.2010;
http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/6081/fords_verlorene_dschungelstadt.html
<Mitten im Dschungel des Amazonas ließ Autokönig Henry
Ford Ende der zwanziger Jahre die puritanische
Mustersiedlung "Fordlândia" bauen - mit Golfplatz,
Burger-Bistro und Alkoholverbot. Dann kam es zum
Arbeiteraufstand, Militär rückte an - und Fords große Vision
endete im Desaster. Von Christoph Gunkel
Es sollte ein besinnliches Weihnachtsfest werden, 1930,
mitten im brasilianischen Urwald. US-Autotycoon Henry Ford
hatte seinen Arbeitern extra ein Dutzend Kiefern aus Detroit
ins Tausende Kilometer entfernte Fordlândia geschickt. Dort,
am Rio Tapajós, einem Nebenfluss des Amazonas, hatte der
millionenschwere Unternehmer 1928 eine Kleinstadt errichten
lassen. Fordlândia sollte eine Mustersiedlung nach
amerikanischem Vorbild werden - mit schindelbedeckten
Holzhäusern, feuerroten Hydranten und striktem
Alkoholverbot.
Die Stimmung aber unter den brasilianischen Hilfsarbeitern,
die hier für den Amerikaner den Dschungel abholzten, war
angespannt. Statt sich nach dem jahreszeitlich bedingten
Wetter zu richten, mussten die Brasilianer stets zur selben
Zeit mit der Arbeit beginnen, penibel protokolliert per
Stechuhr. Genauso argwöhnisch von den amerikanischen
Vorarbeitern überprüft wurde ihre Hygiene. Und zu ihrer
eigenen Gesundheit sollten sie außerdem in der
Betriebskantine ungeliebte Speisen wie etwa Naturreis,
Haferbrei und Dosenfrüchte essen - deren Kosten ihnen
mittels Personalnummer sogleich vom Lohn abgezogen wurden.
Als zwei Tage vor Weihnachten in der Kantine auch noch die
Selbstbedienung eingeführt wurde und sich die Wartezeiten
entsprechend verlängerten, eskalierte die Situation:
Aufgebracht schmissen Arbeiter ihre Teller zu Boden und
demolierten die Einrichtung. Mit Macheten bewaffnete Männer
brannten Bürogebäude nieder, zertrümmerten Maschinen und
versenkten Ford-Trucks im Rio Tapajós. "Brasilien für
Brasilianer", skandierten sie, "tötet alle Amerikaner!" In
Panik flüchteten die so Vertriebenen zu ihren Booten oder
versteckten sich tagelang im Dschungel. Die Rebellen aber
zerschlugen alle Stechuhren, das Symbol der verhassten
industrialisierten Arbeitswelt, die Henry Ford versucht
hatte, mit Macht in den Urwald zu verpflanzen.
Haarsträubende
Fehlentscheidungen
Der Aufstand war eine Attacke auf die naiv-romantische
Vision vom amerikanischen Traum in der Wildnis - und nur
eine von vielen Katastrophen des ambitionierten
Dschungelprojekts. Jahrelang hatte Henry Ford Wege gesucht,
vom britischen Kautschuk unabhängig zu werden, den er für
seine Autos benötigte. Verbissen pumpte er fast zwanzig
Jahre lang Millionen Dollar in Fordlândia - ohne auch nur
ein Pfund Gummi zu produzieren.
Fordlândia, heute eine fast verlassene und halb vermoderte
Geisterstadt, wurde zum größten Debakel des Mannes, der
zuvor die Welt mit Fließbändern revolutioniert hatte. Der
US-Historiker Greg Grandin hat das beinahe vergessene
Kapitel amerikanischer Industriegeschichte erforscht. Sein
aktuelles Buch liest sich wie ein Protokoll haarsträubender
Fehlentscheidungen - und ist zugleich eine Parabel auf die
menschliche Hybris.
Mit seinen Plänen zu Fordlândia war Henry Ford, der eine
persönliche Abneigung gegen jegliche Experten hatte,
zunächst einmal zwielichtigen und inkompetenten Beratern
aufgesessen. Sie hatten Brasilien den Vorzug gegeben, obwohl
afrikanische oder asiatische Länder für Kautschukplantagen
weit besser geeignet gewesen wären, weil es dort den
gefährlichsten aller Gummibaum-Schädlinge, den
südamerikanischen Mehltau, gar nicht gab. Das Land in
Brasilien aber war schon allein wegen seiner hügeligen
Topographie anfällig für Wind und Erosion - und damit völlig
unpassend für eine Plantage.
Verheerende Feuersbrunst
Die Verträge mit dem zuständigen brasilianischen Gouverneur
des Bundesstaates Pará ließ Ford 1927 vom damals 37-jährigen
Willis Blakeley, zuvor Mitarbeiter in Fords Sicherheitsstab,
aushandeln - eine denkbar schlechte Entscheidung: Eigentlich
zu Verschwiegenheit verpflichtet, plauderte der
selbstsüchtige Blakeley schon auf der Schiffsfahrt Fords
geheime Pläne aus. In Brasilien machte er sich schnell einen
Namen als Trunkenbold und erregte die öffentlichen Gemüter,
weil er in seinem Nobelhotel gerne für alle sichtbar Sex mit
seiner Frau hatte - bei offener Verandatür.
Der Skandal-Unterhändler, der bald Stadtgespräch war, schien
dennoch erfolgreich. Für den Spottpreis von 125.000 Dollar
erwarb er die Rechte an einem rund 10.000 Quadratkilometer
großen Streifen Land. Dort durften die Amerikaner laut
Vertrag auch andere Rohstoffe wie Holz oder Öl abbauen - und
sie dann steuerfrei in die USA verschiffen. Dass Ford sogar
US-Maschinen zollfrei nach Fordlândia importieren dürfe, war
jedoch eine reine Erfindung von Blakeley, die das
Unternehmen später viel Zeit und Geld kosten würde.
Auch als Manager von Fordlândia entpuppte sich Blakeley, der
nicht die geringste Ahnung von Botanik hatte, als Fehlgriff.
Während er es sich in einer komfortablen Hacienda bequem
machte, mussten seine Arbeiter in fensterlosen Baracken ohne
WC unterkommen oder draußen in Hängematten schlafen.
Ausgerechnet mitten in der Regenzeit versuchte Blakeley
schließlich, den Urwald zu roden. Als die Baumfäller im
Morast stecken blieben, ließ er die nassen Bäume tagelang
mit einer riesigen Menge Kerosin abfackeln. "Es war, als
würde die Welt von Flammen verschlungen", berichtete ein
Augenzeuge. "Es schockierte mich."
Malaria und Millionen
Fliegen
Die Feuersbrunst legte zwar Hunderte Hektar Wald frei - doch
der Boden war danach kaum noch für den Anbau zu gebrauchen.
Als ein brasilianischer Ford-Händler im Juli 1928 die
geplante Mustersiedlung besichtigte, war er schockiert:
"Keine sanitären Einrichtungen, keine Mülltonnen, Millionen
Fliegen", berichtete er der Ford-Zentrale in Michigan. "30
von 104 Männern krank, keine Toten, aber viele Fälle von
Malaria. In der Küche so viele Fliegen, dass man kaum das
Essen auf dem Tisch sehen kann." Kurz danach wurde Blakeley
gefeuert.
Dabei hatten die Erwartungen an Fordlândia anfangs fast
religiöse Züge angenommen - befeuert vom Unternehmen selbst,
das das Projekt als zivilisatorisches Experiment und einen
Kompromiss zwischen Industrie und Landwirtschaft verkaufte.
So mutmaßte das US-Magazin "Time", Ford werde so viel
investieren, "bis der ganze Dschungel industrialisiert ist".
Die "Washington Post" prophezeite, der Tycoon würde nicht
nur Kautschuk kultivieren - sondern gleich die Menschen mit.
Aber auch brasilianische Reporter überschlugen sich, tauften
Henry Ford "Jesus Christus der Industrie" und "Moses".
Die Hoffnungen, dass der einst reichste Mann der Welt das
von Armut geplagte Land mit Technik und Wohlstand "erlöst"
(so Fords Sohn Edsel), hatten historische Gründe. Noch im
19. Jahrhundert war Brasilien einziger Produzent von
Kautschuk - bis 1876 der Brite Henry Wickham 70.000 Samen
des Gummibaumes außer Land schmuggelte. Mit den Setzlingen
legten die Briten in ihren Kolonien in Südostasien riesige
Plantagen an. Die Bio-Piraterie brach das Monopol und machte
Brasilien langfristig als Kautschuk-Produzenten unbeutend.
Verbotene Bordelle und Bars
Fords Pläne weckten daher Erinnerungen an bessere Zeiten -
doch als Details des Vertrages an die Öffentlichkeit
drangen, kippte die Stimmung. "Für ein paar erbärmliche
Dollar", wetterte die nationalistische Presse, "dürfen die
Boote eines Multimillionärs alles außer Land bringen, ohne
einen Cent in unsere leeren Kassen zu zahlen". Viele
unterstellten dem US-Amerikaner, ihm gehe es nicht um
Kautschuk - sondern in Wahrheit um den Raubbau wertvollerer
Rohstoffe.
Das traf nicht zu, nur: Auch Blakeleys Nachfolger als
Plantagen-Manager bekamen die Situation nicht in den Griff.
Immer wieder gab es Unruhen, die bewaffnete Söldner
eindämmen mussten. Es kamen zwar Tausende Arbeiter nach
Fordlândia, doch viele verließen die Siedlung nach kurzer
Zeit wieder. Die Sterblichkeit war hoch, Arbeiter wurden von
Schlangenbissen getötet, Kinder starben an Fieber - trotz
eines Krankenhauses mit kostenloser Versorgung. 1930 lagen
fast 300 Menschen auf dem Fordlândia-Friedhof begraben.
Am meisten Widerstand erntete der Automagnat, der Fordlândia
selbst nie betrat, jedoch mit dem Versuch, die puritanische,
kleinbürgerliche US-Lebenskultur an den Amazonas zu
exportieren. Das strikte Alkoholverbot wurde systematisch
ignoriert. Schlimmer noch: In der Umgebung Fordlândias
bildete sich bald eine ganze lasterhafte Industrie mit Bars
und Bordellen. Auf Schildern warnte das Unternehmen seine
Arbeiter vor Zahlungen, falls sie wegen
Geschlechtskrankheiten behandelt werden müssten.
Rache der Natur
Paradoxerweise sollte ausgerechnet der verheerende Aufstand
von Dezember 1930 helfen, Fords zivilisatorische Visionen
doch noch zu verwirklichen: Radikal planten die Amerikaner
danach den Neubeginn, feuerten fast alle Arbeiter, ließen
Bars und Bordelle abreißen. Tausende neue Arbeiter wurden
rekrutiert, zeitweise lebten in Fordlândia mehr als 8000.
Straßen wurden geteert, Schulen, Friseure, Bäckereien und
Fleischereien eröffneten. Es gab sogar eine Golfanlage und
regelmäßige Gartenwettbewerbe. Und weil der Autokönig aus
Detroit klassische Musik liebte, wurde auf Betriebsfesten
auch im Dschungel Walzer statt Samba gespielt.
Rund hundert Kilometer nördlich von Fordlândia gründete Ford
1935 sogar noch eine zweite US-Klonstadt namens Belterra,
weil dort das Gelände für Plantagen günstiger erschien. Es
schien so, als ob die Amerikaner den Dschungel nun doch
gezähmt hatten. Doch die eigentliche Schlacht - die gegen
die Natur - hatten sie auf ganzer Linie verloren: Weil sie
die Kautschukbäume, die urwüchsig weit voneinander entfernt
stehen, dicht an dicht pflanzten, schufen sie einen idealen
Brutkasten für Schädlinge: Pilze, Käfer, Raupen.
Verzweifelt sammelten und verbrannten die Arbeiter
Hunderttausende Raupen, säuberten die Blätter von
Schädlingen und sprühten Insektizide. Umsonst: Millionen von
Bäumen gingen ein. Latex wurde in Fordlândia deshalb nie
gefördert, in Belterra waren es einmalig 750 Tonnen - 1942.
Bereits ein Jahr später zerstörte eine Raupenplage auch
diese Plantage.
Als sich der inzwischen 82-jährige Henry Ford 1945 aus dem
Unternehmen zurückzog, verkaufte sein Sohn Henry Ford II als
eine seiner ersten Amtshandlungen alle Besitzungen am
Amazonas. Auf den heutigen Wert umgerechnet hatte sein Vater
eine Milliarde Dollar investiert. Ford Junior verhökerte den
Landstreifen nun für 244.200 Dollar. Das entsprach genau dem
Wert, den die Firma seinen Arbeitern noch als
Abschlagszahlung schuldete.
Zum Weiterlesen:
Greg Grandin: "Fordlandia - The Rise and Fall of Henry
Ford's Forgotten Jungle City". Faber And Faber Ltd., Januar
2010, 416 Seiten.>