Brasilien
23.3.2010: Ureinwohner der Pirahã bekehren den Missionar
zur wahren Freiheit
aus: Basler Zeitung online: Das glücklichste Volk der Welt;
23.3.2010;
http://bazonline.ch/kultur/buecher/Das-gluecklichste-Volk-der-Welt/story/28157347
<Mit 26 Jahren zieht der Missionar Daniel Everett in den
brasilianischen Urwald, um den Stamm der Pirahã zu bekehren.
Sieben Jahren später verlässt er die Indianer – seinen Glauben
hat er verloren.
1/5 Die Pirahã leben an einem Nebenfluss des Amazonas. Die
etwa fünfhundert Indianer kommen ohne die Errungenschaften der
modernen Zivilisation aus.
[Buch]: Daniel Everett: Das glücklichste Volk. Sieben Jahre
bei den Pirahã-Indianern am Amazonas. Aus dem Englischen von
Sebastian Vogel. 414 Seiten, 43.90 Franken.
[Buchbesprechung]:
Daniel Everett hat einen klaren Auftrag: Die Bibel in die
Sprache der Pirahã zu übersetzen. Also macht sich der
Amerikaner 1977 mit seiner Frau und seinen drei Kindern auf
den Weg in den brasilianischen Urwald zum Maici, einem
Nebenfluss des Amazonas, wo der Indianerstamm ohne
Errungenschaften der modernen Zivilisation lebt. Sieben Jahre
lang bleibt Everett bei den Pirahã, lernt ihre Sprache, eignet
sich ihre Lebensweise an. Das Buch, in welchem der heutige
Anthropologe und Linguist seine Erlebnisse erzählt, ist nun
auf Deutsch erschienen; Die «Süddeutsche Zeitung» hat es sich
genauer angeschaut.
Everett, der gläubige Christ, wird von den etwa fünfhundert
Pirahã-Indianern fröhlich empfangen. Sie nehmen ihn auf, er
wohnt mit ihnen, studiert ihr alltägliches Leben. Er
beobachtet sie beim Fischen, Jagen, Beerensammeln und
Maniokausgraben. Eines fällt ihm dabei von Anfang an auf:
«Alle schienen glücklich zu sein. Jedes Gesicht zierte ein
Lächeln», schreibt er. Mit der Zeit beginnt er, ihre Sprache
zu lernen. Diese ist aussergewöhnlich: Die Pirahãs kennen
weder Farbbezeichnungen wie rot und gelb noch Zahlen, und
folglich können sie auch nicht rechnen.
Leben im Jetzt
Auch sprechen sie nicht über Dinge, die sie nicht selbst
erlebt haben: die ferne Vergangenheit also, Fantasiegebilde
oder die Zukunft. Das wird Everett bewusst, als er das Wort
«xibipíío» lernt. Er hört es beispielsweise, wenn ein Jäger
aus dem Dschungel kommt oder ein Boot hinter einer
Flussbiegung auftaucht. Die Pirahãs benutzen es auch, wenn ein
Flugzeug vorbei fliegt, oder wenn ein Zündholz erlischt.
«Schliesslich wurde mir klar, dass dieser Begriff das benennt,
was ich als Erfahrungsschwelle bezeichne: den Vorgang, die
Wahrnehmung zu betreten und zu verlassen.» Wichtig ist für die
Indianer nur die stattfindende Gegenwart, das Jetzt.
Darum verlaufen alle Missionierungsversuche Everetts im Sande.
Weil nur über das unmittelbar Erlebte gesprochen wird, kennen
die Piraha weder Schöpfungsmythen noch andere Überlieferungen.
Sie interessien sich schlicht nicht für Jesus. «Wir sind keine
Amerikaner. Wir sind Pirahã, und Pirahã glauben nicht an
Jesus», sagen sie. Dass Everett ihnen keinen lebenden
Augenzeugen für Christus Existenz vorführen kann, macht sie
umso skeptischer. «Hast du ihn gesehen, welche Hautfarbe hat
er, wie gross ist er?», fragen sie. Everett entgegnet, dass
weder er noch andere Jesus gesehen haben. «Also niemand, den
du kennst, hat ihn gesehen? Warum erzählst du uns dann von
ihm? Wir würden nie über etwas sprechen, wofür wie keine
Beweise haben.»
«Glücklicher als Christen»
Darauf wendet sich Everett von der Religion ab, seine Ehe
zerbricht. Das einfache Lebensglück der Pirahã hat ihn
bekehrt. «Das Aussergewöhnlichste, das den Menschen auffällt,
die die Pirahã mit mir besuchen, ist ihre Zufriedenheit. Wie
sie einfach den ganzen Tag am Strand sitzen und hungern oder
fischen.» Everett bewundert ihre Belastbarkeit und ihre
Fähigkeit, mit Problemen umzugehen; es sei aber nicht so, dass
ihr Leben einfacher wäre als unseres. Everetts Fazit: «Ich
stellte fest, dass sie bereits glücklicher waren als alle
Christen, die ich kannte», sagt er. «Sie sind glücklicher
wegen ihrer inneren Kraft und der kulturellen Werte, die
westliche Kulturen nicht mehr besitzen.»
(cha)>