aus: Walter Andritzky:
Traditionelle Psychotherapie und Schamanismus in Peru;
VWB-Verlag für Wissenschaft und Bildung 1999
Kokablätter kauen zur
Stärkung des Immunsystems und zur Dämpfung von Hunger und
Durst - die "coca-mama" sorgt für die Indios
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Karte der Koka-Hauptanbaugebiete in
Süd-"Amerika" 2006 [2]
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Kokablätter enthalten viel Vitaminen C, B
1 und B
2
(S.48).
"Der Genuss der Kokablätter bewirkt, nach allgemeiner
Auffassung, wie sie sich auch in den Berichten der Chronisten
widerspiegelt,
-- eine erhöhte Resistenz gegen Kälte
-- Hunger
-- Durst
-- und Müdigkeit
- eine Eigenschaft, die von den Indianern noch heute geschätzt
wird. Die anstrengende Arbeit auf den Feldern, tagelange
Fussmärsche und das Übernachten in eisiger Kälte, - immer soll
das Kokakauen die harten Lebensbedingungen des Hochlandes
etwas erleichtern. Diese Kräfte des Kokastrauchs schreiben die
Indianer einer in der Pflanze wohnenden Gottheit, der
'coca-mama' zu." (Andritzky, S.47)
Tests ergeben v.a. für langanhaltende Belastungen eine
beweisbare, geringfügige Leistungssteigerung:
"CABIESES (1992, S.24) betont, dass die durchschnittliche
Tagesration von ca. 30 Gramm, in Einzelfällen bis 200 Gramm,
keinerlei schädliche Nebenwirkungen zeige. Mit Ergometertests
liess sich keine leistungssteigernde Wirkung durch
Kokagebrauch nachweisen, nur bei grossen Belastungen
verlängerte sich die Belastbarkeit geringfügig." (S.48)
Kokablätter für rituelle Zwecke - Privileg zum Koka
kauen für Priester und Inkas
"Am Anden-Ostabhang befindet sich in einer Höhe von 600 bis
1800 Meter das Anbaugebiet des Kokastrauchs." (Andritzky:
Psychotherapie und Schamanismus, S.46)
"Koka war im alten Peru vor allem eine Opfergabe für alle
Arten von Heiligtümern ('huacas'). Ein Bericht des 16. Jh.s
aus dem Bezirk Huamanga [in der Provinz Ayacucho, zentrales
Peru-Hochland] deutet auch darauf hin, dass der Kokagebrauch
zur Inkazeit und vermutlich schon zur Moche-Epoche und früher,
ein Privileg der Herrscher und Priester war und die Blätter
weniger dem alltäglichen und allgemeinen Konsum dienten."
(S.46)
Moche-Kokakauer, Illustration [3]
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"Der älteste, archäologische Hinweis auf den Kokagebrauch ist
ein Fund gekauter Kokakugeln in einem auf 1750 v.Chr.
datierten Grab der archäologischen Zone von 'El Tanque' (DE LA
MATA / RAVINES 1984). Vielleicht ist der Kokagenuss aber
bereits den ersten Einwanderern im andinen Hochland wie dem
'Mensch von Lauricocha' (ältester Knochenfund) vor über
zehntausend Jahren bekannt gewesen (vgl. BUSTO 1982)." (S.46)
"Noch während der Inka-Zeit war der Genuss von Kokablättern
den Inka-Familien und Priestern vorbehalten. Anderen Indios
war das Kauen von Kokablättern verboten." (S.46)
Moche-Keramik: Kokakauer [4]
Abbildung
von Bartholomé de las Casas: Scheiterhaufen im Namen
des Kreuzes in Peru [5]
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Koka-Zeremonien auf Keramikgefässen
"Keramikgefässe aus Grabungen der nordperuanischen Mochekultur
(ca. 100 v.Chr. - 750 n.Chr.) zeigen, dass der Gebrauch der
Koka zu rituellen Zwecken schon lange vor der Zeit der Inka
üblich war.
Der Kokaesser [in der Darstellung auf dem Keramikgefäss] hält
in der linken Hand ein Gefäss ('poporo', 'calero'), das im
andinen Hochland Quinoa-Asche ('llipta') und im Küstenbereich
Muschelkalk enthält, und in der Rechten ein Stäbchen, mit dem
der Kalk oder die Asche den gekauten Kokablättern zu geführt
wird. Die Jaguarfigur im Kopfputz [auf dem Gefäss] deutet auf
eine ranghohe Persönlichkeit, vermutlich einen
Priester-Schamanen hin.
Eine andere Moche-Keramik (ca. 500 n.Chr.) zeigt ebenfalls
einen Kokaesser, der diesmal in der Linken das Kokatäschchen
('chuspa') hält und eine Gesichtstataurierung trägt (vgl. die
Abbildungen in ANDRITZKY 1988, Bd.2, S.412). Die
Gefässbemalung deutet mit den Abbildungen meskalinhaltiger
Kakteen, den Füchsen und den von KUTSCHER (1954) als
Waffenbündel bezeichneten Schild, Speer und Keule auf einen
schamanistisch, kämpferischen Kontext hin. Die Verbindung zum
Kokagebrauch ist vermutlich ritueller Art und mit einem
mythologischen Hintergrund verbunden, der sich verloren hat.
Mit Kokablättern gefüllte Täschchen fanden sich nach
KAUFMANN-DOIG (1983) auch in den Gräbern der Küstenkulturen
von Paracas und Nasca." (Andritzky: Psychotherapie und
Schamanismus, S.46)
Erst die spanische Besatzungsmacht verordnet Kokablätter
zur Leistungssteigerung für alle Indios
Erst "die Spanier [...] setzten [...] später die
Kokablätter dazu ein, um die Leistungsfähigkeit und damit die
körperliche Belastbarkeit der Indianer steigern zu können."
(S.46)
Am 18.10.1569 bestätigt Philipp II. den Priestern von Peru,
dass der Kokagenuss den Indios bei den schweren arbeiten als
Medizin und Stimulans diene [und somit für die spanische
Kolonialherrschaft nützlich sei]. "Abergläubische" Praktiken
mit Kokablättern seien aber zu überwachen (S.32).
Die aufgenommene Kokain-Menge durch das Kokablätter-Kauen
ist minim
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Kokafeld
mit Kokabauer [6]
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"Nach dem Ergebnis verschiedener Untersuchungen werden bei den
rituell strukturierten Arbeitspausen ('hallpay') täglich
zwischen 25 und 70 Gramm Kokablätter konsumiert (HANNA 1976,
S.364). GANTZER 1975; S.26,48) berechnete für den
Hochlandindio einen Durchschnittsverbrauch von 28 Gramm Koka
pro Tag mit insgesamt 0,14 Gramm Kokain und betont:
'Nur bei extensivem Gebrauch über einige Stunden hinweg, z.B.
bei Festen, wo allerdings auch viel Alkohol aufgenommen wird,
ist ein euphorisierender Effekt vorhanden.' (S.47)
Im Übrigen bemerkte er bei Selbstversuchen ein verringertes
Hungergefühl und erhöhte Wachheit, ohne sonstige
Bewusstseinsveränderungen. FREUD (1884) hatte bei Dosen von
0,05-0,1 Gramm vor allem eine gewisse Aufheiterung, Euphorie
und müheloses geistiges Arbeiten erzielt. Dazu ist zu
bemerken, dass diese in einmaliger Dosis eingenommene
Kokainmenge gerade der über einen ganzen Tag verteilten Menge
beim Kauen der Blätter entspricht." (S.48)
Die Koka-Pause wird in Peru zum sozialen Ritual einer
"Koka-Zeremonie" der Arbeiter: "Hallpay"
Das Kokablätterkauen ist mit der Verehrung der indianischen
Heiligtümer ('huacas') verbunden (S.32).
"Zuerst werden die zwei oder drei besten Blätter ohne Flecken
und Beschädigungen ('k'intu') ausgesucht. Man hält sie vor den
Mund, bläst darüber und ruft die Lokalgottheiten an ('pukuy').
[...] Den nächsten 'k'intu' bietet man seinen Genossen an.
Nach der Erde ('pachamama') werden die lokalen Berggötter
('apus') angerufen. Sie sind für das Gemeindeleben, für das
Klima und für die Gesundheit von Mensch und Tier
verantwortlich.
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Kokapause in
einer Mine, wahrscheinlich am Cerro Rico in Potosí
[7]
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Neben diesen, in einer eigenen Hierarchie mit den
Schneegipfeln als höchsten Wesen stehenden Berggottheiten, die
die lokale Umwelt räumlich gliedern, werden im 'hallpay' auch
die Geister der Vorfahren angebetet, die für die Fruchtbarkeit
der Äcker zuständig sind.
Nach Entfernen der festen Blattadern werden die Blätter dann
in den Mund gesteckt, etwas gekaut und anschliessend die
erwähnte Rindenasche oder Muschelkalk ('llipta') hinzugefügt.
Danach verbleibt die zu einer Kugel ('acullico') geformte
Masse ein bis zwei Stunden ohne weiteres Kauen, auch
äusserlich gut sichtbar, in einer Backe neben den Mahlzähnen
(vgl. CABIESES 1992, S.10ff.)." (S.48)
"Da der Ernährungswert der Kokablätter (ausser den Vitaminen
C, B
1 und B
2) gering ist, und auch die
Kälteempfindlichkeit durch eine leichte Gefässverengung und
damit verringertem Wärmeverlust nur wenig verbessert wird,
kann man die Effekte des Kokakauens nicht allein aus der
Wirkung der chemischen Bestandteile der Koka auf den
Organismus ableiten. Vielmehr scheinen die von den Indianern
gepriesenen Eigenschaften ihre Ursache in rituellen
Situationen zu haben, bei denen das gemeinsame Kokakauen nur
das Medium bildet, um eine Art 'sozialer Energie' (vgl. AMMON
1982) zu erzeugen, die die subjektive Wahrnehmung im Sinne
eines psychophysischen Effektes beeinflusst. Damit ist hier
die aus dem gemeinsamen Vollzug einer Ritualhandlung, dem
'hallpay', und der damit verbundenen interpersonellen
Kommunikation entstehende 'psychische Energie' gemeint.
Kokaernte
in Peru [8]
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Auch WAGNER (1977, S.196), der durch das Kokakauen weder eine
zentralnervöse noch anästhesierende oder sensibilisierende
Wirkung fand (im Bereich der beim 'hallpay' üblichen Menge
zwischen 25-70 Gramm pro Tag), betont die sozialintegrative
Bedeutung des gemeinsamen Kokakauens, das im 'hallpay' eine
ritualisierte Gruppeninteraktion der Andenbauern darstellt."
(S.48)
"Die soziale Interaktion und der Aufbau neuer sozialer Energie
für die Bewältigung der Arbeit, und das Ertragen der
natürlichen Umweltbedingungen, ist im 'hallpay' durch die
Bestätigung des gemeinsamen Weltbildes geprägt. Der rituelle
Kokagebrauch ist ein Symbol der traditionellen indianischen
Identität, eine Verbindung zur alt-andinen Kosmologie (GANTZER
1975, S.52)." (S.48)
[Alles in allem könnte man sagen: Kokablätter kauen ist für
die Indios in Süd-"Amerika" wie ein Vitamin-Kaugummi].
Weitere Koka-Rituale im Leben der Indios in Süd-"Amerika"
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Trocknen
von Kokablättern in Peru [9]
Bäuerin verkauft Kokablätter in Cusco [10]
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"WAGNER (1977, S.212) betont weiterhin, dass bei den Quechuas
jede soziale Interaktion (S.48) in Begriffen des Austausches
konzipiert sei und alle sozialen Beziehungen einen
ökonomischen Aspekt hätten. Der Austausch von Koka dient z.B.
als "Siegel" bei Verträgen zu gegenseitiger Hilfe innerhalb
der Verwantschaftsordnung ('ayni'). Allgemein ist das
'hallpay' also in Begriffen der Gegenseitigkeit konzipiert,
wobei der ökonomische Aspekt (z.B. bei einer Arbeitsleistung
beim Hausbau) minimiert und der expressiv-sozialintegrative
Aspekt maximiert wird.
Beim 'hallpay' steht nicht die ökonomische Tatsache im
Vordergrund, dass ein Teilnehmer Koka und Alkohol für die
anderen kauft, sondern der Austausch signalisiert Freundschaft
und Grosszügigkeit. Die Gegenseitigkeitsbeziehung ist im
'hallpay' wie beim Koka-Orakel auch durch die wechselseitigen
Einladungen zu einem Schluck Alkohol ('trago') ausgedrückt,
den der Klient mitbringt. Das 'hallpay' ist ein Gruppenritual,
das, vor dem religiös-mythischen Hintergrund, die sozialen
Bande festigt. Im Anklang an die christliche Kommunion
bezeichnen die Bauern die Koka daher als Brot oder Hostie
('t'anta'). ALLEN (1981, S.157ff.) sieht im 'hallpay' ein
'mächtiges Symbol der kulturellen Identität' und in seiner
Funktion als Arbeitspause 'ein meditatives Zwischenspiel, eine
Zeit ruhiger Konversation, eine Gelegenheit, Gedanken und
Gefühle zu sammeln und sich auf die bevorstehenden Aufgaben
vorzubereiten'." (S.49)
Die Terror-Kirche will das Kauen von Kokablättern
verbieten - die Indios arbeiten nicht ohne Koka
"Im Mittelpunkt er 'Koka-Debatte' im 16./17. Jh. aber stand
der Konflikt, dass die Kirche den Kokagenuss verboten sehen
sollte, da er die Indianer dauern an ihre heidnischen
Traditionen erinnerte, während diese tägliche Kokarationen
forderten, ohne die sie die Arbeit in den Minen und Haziendas
verweigerten (vgl. GAGLIANO 1963)." (S.46)
Die Industrie stellt Kokain her - die "USA" wollen Kokain
und die Koka-Pflanze kriminalisieren
"Ende des 19. Jh. gelangten dann kokainhaltige Produkte wie
Zigaretten, Inhalationsstoffe und Injektionslösungen in den
USA auf den Markt. Nach dem Auftreten von Kokainsüchtigen
wurde im Jahr 1914 nicht nur der Gebrauch von Kokain in den
USA illegal, sondern auch die Kokapflanze." (S.46)
Aber: 4000 Jahre lang leben die Peruaner nun mit den
Kokablättern
(http://www.perunoticias.net/modules/news/index.php?storytopic=119)
oder andere Webseiten geben sogar 6000 Jahre an: 6000 Jahre
lang haben die Indios in Peru mit der Kokapflanze gesund
gelebt.
(http://www.quechuanetwork.org/news_template.cfm?news_id=3014&lang=s)
Der "US"-amerikanische Gringo bedroht die "Coca
Mama", Filmplakat 2004 [11] |
Kokabauer (2006) demonstriert gegen die
Kriminalisierung durch die dumme "USA" [12] |
[Da die Kokablätter viel Vitamin C enthalten, sind die
Aktionen der "USA" gegen das Kauen von Kokablättern bei den
Hochlandindios der totale Schwachsinn. Wegen den
Drogensüchtigen in den kriminellen "USA" sollen die Indios in
Süd-"Amerika" auf ihren Vitamin-Kaugummi verzichten.
Das erste Coca-Cola enthielt übrigens auch Coca, dürfte heute
aber gar nicht mehr Coca-Cola, sondern müsste Zucker-Cola
heissen.
Die "USA" sollten sich also eher um die Einführung der
Menschenrechte im eigenen Land kümmern, dann gäbe es weniger
Krieg, weniger Defizit, und dann wären in den "USA" weniger
Menschen drogensüchtig.
Wieso soll man Kokablätter verbieten, nur weil die dumme "USA"
Probleme mit ihren frustrierten Bürgern haben, die Kokain
konsumieren?
Andersherum gesehen gilt folgendes: Jeder Kokainkonsument
schadet nicht nur sich selbst, sondern schadet auch der
Kokablätter-Kultur in Süd-"Amerika"].