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Meldungen über das Dritte Reich
prässentiert von MIchael Palomino
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15.3.2010: Weizsaecker u.Co. verschleppten Atomentwicklung u. liessen D verlieren
aus: Spiegel online: Werbetrommler für die Superbombe; 15.3.2010;
http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/6365/werbetrommler_des_atomaren_superknalls.html
<Vom Saulus zum Paulus: Als junger Physiker forschte Carl Friedrich von Weizsäcker begeistert im Atomprogramm der Nazis an der Uranbombe. Dann half er, die Entwicklung zu verschleppen, verhinderte so einen möglichen Sieg der NS-Diktatur - und wandelte sich nach dem Krieg zum militanten Atomgegner.
Von Matthias Schulz
Im Sommer 1941 - deutsche Panzer rollen auf Moskau zu - setzt ein junger Mann in Berlin eine brisante Patentschrift auf. Er beschreibt darin eine "Bombe" sowie ein "Verfahren zur explosiven Erzeugung von Energie und Neutronen" aus Plutonium. Der Verfasser ist 29 Jahre alt, und er zählt zu den talentiertesten Atomphysikern der Welt.
Erst vor wenigen Jahren ist das Dokument in einem russischen Archiv aufgetaucht. Es zeigt, wie sehr Carl Friedrich von Weizsäcker in das Atomprojekt der Nationalsozialisten verstrickt war.
Die Haare elegant gescheitelt, stolz, galant, so trat der junge Doktor im "Dritten Reich" auf. Er galt als Genie. Abends trug er gern Verse seines Lieblingsdichters Stefan George vor.
Das Bürgertum sei am Ende, glaubte der Gelehrte damals. Hitler hielt er für das Werkzeug einer "neuen Welt", die noch nicht sichtbar sei. Einem Kollegen erklärte er: "Strammstehen ist ein dionysisches Erlebnis." Dann, im Dezember 1938, entdeckte Otto Hahn die Kernspaltung. Während draußen braune Kolonnen marschierten, hoben in den Forschungslabors hektische Gespräche an.
Weizsäcker gehörte zu diesem Kreis "sagenhafter Männer" (Rüstungsminister Albert Speer). Bereits im März 1939 wusste er: "Man wird vermutlich eine Bombe machen können, die ganz London zerstören kann." Die ganze Weltgeschichte werde sich ändern.
Begierig begann der junge Adlige 1940 in Dahlem mit ersten Versuchen an einer "Uranmaschine" - unter militärischer Leitung. "Was mich faszinierte, war, an einen Schalthebel politischen Einflusses zu kommen", gestand er hernach. Mit einer Atombombe in der Hinterhand habe er mäßigend auf Hitler einwirken wollen. Purer Größenwahn? Später gab er zu: "Ich war verrückt."
Schon in den fünfziger Jahren hatte sich dieser radikale Wandel vom Saulus zum Paulus abgezeichnet. Als nach der Gründung der Bundeswehr deren Ausrüstung mit taktischen Atomwaffen diskutiert wurde, trat Weizsäcker dem Plan mit einem wuchtigen Manifest entgegen. Bis ins hohe Alter griff er als "radikaler Pazifist" in die Polit-Debatten der Republik ein. Er stritt für "Kriegsverhütung", Solarenergie und eine bessere "Ernährungslage der Welt". Dabei wirkte der Friedensphilosoph wie ein Guru. Ein Besuch im indischen Ashram 1969 hatte ihn nach eigener Aussage spirituell erleuchtet.
Unter Hitler hatte der junge Patriot noch vor Geltungsdurst und Siegessucht gesprüht. Während Otto Hahn sich sorgte ("Wenn der Hitler durch meine Arbeit eine Uranbombe bekommt, bringe ich mich um"), tat sich Weizsäcker als Zauberlehrling und Werbetrommler eines radioaktiven Superknalls hervor: Im Sommer 1940 unterrichtete er das Heereswaffenamt über die Möglichkeit einer Plutoniumbombe; er erstellte Geheimberichte zum Atomprogramm der USA und verfasste sechs Patentschriften zu Sprengkörpern und Kernmeilern.
Weizsäcker war auch beteiligt, als der deutsche Physiker Werner Heisenberg im September 1941 über seinen dänischen Kollegen Niels Bohr angeblich eine Art atomares Stillhalteabkommen mit den USA einfädeln wollte. Der Plan scheiterte. Bohr war von der Nachricht eines von Berlin aus gesteuerten "Uranvereins" so geschockt, dass er alles den Briten erzählte. Heisenberg berichtete seinem Mitverschwörer Weizsäcker: "Ich glaube, das ist vollkommen schiefgelaufen."
Wieder daheim, trat Heisenberg nun seinerseits wirklich auf die Bremse. Rüstungsminister Speer ließ er wissen, die Entwicklung der Waffe dauere noch Jahre. Nach diesem Gespräch verlor der Uranverein alle Dringlichkeitsstufen - und Weizsäcker kam später zum Urteil: "Wenn wir alle gewollt hätten, dass Deutschland den Krieg gewinnt, hätte es uns gelingen können."
So aber endete das Nuklearprojekt im NS-Reich im April 1945 in einem schlecht beleuchteten Weinkeller in Haigerloch. Der Versuchsreaktor dort kam nie in Gang.
Der umsichtige Weizsäcker hatte dem Pleiteunternehmen frühzeitig den Rücken gekehrt. Er war 1942 einem Ruf an die Universität Straßburg gefolgt.
Zum nuklearpolitischen Berater Hitlers hatte es zwar nicht gereicht. Doch der Mann nahm es gelassen. Er gehörte zu den jüngsten Professoren Großdeutschlands.>
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20.3.2010: SS-Niederländer leben in Deutschland unbehelligt
aus: n-tv online: Dossier: NS-Flüchtlinge aus den NiederlandenIm Windschatten der Politik; 20.3.2010;
http://www.n-tv.de/politik/dossier/Im-Windschatten-der-Politik-article771404.html
<Heinrich Boere im Aachener Landgericht.
Seit Oktober 2009 muss sich der NS-Kriegsverbrecher Heinrich Boere vor dem Aachener Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn an, als SS-Hauptscharführer drei Niederländer erschossen zu haben, und fordert lebenslange Haft.Boere hat diese Taten gestanden, beruft sich jedoch darauf, dass er nur Befehle ausgeführt habe. Die Verteidigung plädiert auf Einstellung des Verfahrens und begründet dies mit einer früheren Verurteilung wegen der Taten. Sollte Boere trotzdem erneut verurteilt werden, fordert sie wegen Mordes in zwei Fällen eine milde Strafe bis zu maximal sieben Jahren. Das Urteil wird am 23. März erwartet.
Jahrzehntelang lebte Boere unbehelligt in der Bundesrepublik. Obwohl ein Gericht in Amsterdam ihn verurteilt hatte, wurde er nie ausgeliefert: Dank eines "Führererlasses" vom Mai 1943 galt der gebürtige Niederländer in der Bundesrepublik als Deutscher - die Auslieferung war damit unmöglich. In Deutschland entschied die Staatsanwaltschaft Dortmund 1984, dass die Boere zur Last gelegten Morde nicht als solche zu werten seien. Die Aktion "Silbertanne", an der Boere beteiligt war, sei "zulässig und rechtmäßig" gewesen.
Boere steht auf der Liste der zehn meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher des Wiesenthal-Zentrums. Dort findet sich auch der Name eines zweiten gebürtigen Niederländers, der Zuflucht in der Bundesrepublik fand: Klaas Carl oder Carel Faber. Er lebt nach wie vor unbehelligt in Ingolstadt. Der Historiker Harald Fühner zeigt sich darüber nicht verwundert, gab es doch lange Zeit bei Staatsanwälten "eine gewisse Rest-Kameraderie".
n-tv.de: Niederländische Kriegsverbrecher wie Heinrich Boere fanden nach dem Krieg Zuflucht in Deutschland. Kam es häufig vor, dass NS-Kriegsverbrecher aus den Niederlanden in die Bundesrepublik flohen?
Der Historiker Harald Fühner hat über "Die niederländische Politik und die Verfolgung von Kollaborateuren und NS-Verbrechern" zwischen 1945-1989 promoviert.
Harald Fühner: Solche Fälle waren nicht selten. Nach 1978 gab es in den Niederlanden verstärkt Bemühungen, Kriegsverbrecher und Kollaborateure zu fassen. So wurde unter anderem nach 30 Kollaborateuren gefahndet, die zu einer lebenslangen Haftstrafe oder sogar zur Todesstrafe verurteilt worden waren, ohne dass die Strafe hatte vollzogen werden können - die Verurteilung war entweder bereits in Abwesenheit erfolgt oder die Verbrecher waren aus dem Gefängnis geflohen. Die Fahndung ergab, dass von diesen 30 Männern mindestens 16 in Deutschland lebten, bei zwei weiteren galt es als wahrscheinlich.
Wie stark war der niederländische Druck auf Deutschland, diese Leute auszuliefern?
Bei den sogenannten Sieben von Breda - das waren NS-Kollaborateure, die 1952 aus dem Gefängnis von Breda entflohen waren - übte die niederländische Regierung in den 1950er Jahren gehörigen Druck aus, um eine Auslieferung zu erzielen. Das Auslieferungsersuchen hatte jedoch keinen Erfolg, weil nach deutscher Rechtsprechung diese sieben Deutsche geworden waren und damit nicht ausgeliefert werden konnten.
Warum wurde keiner der Sieben von Breda je in Deutschland verurteilt?
"Für Ihre Ehre und Ihr Gewissen. Auf! Gegen den Bolschewismus. Die Waffen-SS ruft Sie!" (Foto: Wikipedia)
Viele Kriegsverbrecher hatten das Glück, immer wieder im Windschatten von Politik und Justiz zu segeln. Zunächst überwogen die politischen Faktoren: Als die Niederlande versuchten, eine Auslieferung ihrer zumindest ehemaligen Staatsbürger zu erreichen, entschieden deutsche Gerichte, dass diese Deutsche geworden seien, weil sie in die Waffen-SS eingetreten waren. Damit war aus deutscher Sicht eine Auslieferung unmöglich. Es gab zwar bereits in den 50er Jahren Versuche, in Deutschland selbst zu einer Verurteilung zu kommen. Doch da spielten die Niederlande nicht mit. Sie weigerten sich, Rechtshilfe zu leisten - sie stellten also beispielsweise kein Beweismaterial zur Verfügung. Sie vertraten die Position: alles oder nichts. Das blieb bis Anfang der 60er Jahre so. Damit kommen wir zu den vorwiegend juristischen Faktoren. 1960 verjährte nach deutschem Recht das Delikt Totschlag. NS-Verbrecher konnten danach nur noch wegen Mordes verfolgt werden. Zu dieser Zeit war die Rechtsauffassung allerdings, dass entsprechende Taten nur als Totschlag galten.
Mord ist nach deutscher Rechtslage nur dann gegeben, wenn gewisse Merkmale erfüllt sind.
Das sind Grausamkeit, Heimtücke, das Vorliegen von "niedrigen Beweggründen" oder Mord zur Verdeckung einer Straftat. Die Staatsanwälte sagten, davon sei diesen Leuten nichts nachzuweisen, weil sie zumeist Befehlsempfänger waren. Ab den 60er Jahren waren die Niederländer zwar kooperationsbereit, aber es gab aus Sicht der deutschen Gerichte keine juristische Grundlage mehr, um zu einer Verurteilung zu kommen. Es dauerte bis in das vergangene Jahrzehnt, dass die Rechtsprechung sich dazu durchringen konnte, den Mordbegriff etwas breiter auszulegen.
Von den Sieben von Breda ist nur einer von der britischen Militärpolizei zurückgeschickt worden, Jacob de Jonge. Warum bloß einer?
Das lag einfach daran, dass de Jonge bereits den niederländischen Behörden überstellt worden war, als die Deutschen dagegen protestieren konnten. Die Briten hatten vollendete Tatsachen geschaffen, indem sie ihn aus Leer in die Niederlande zurückbrachten.
Hätten die Briten nicht einfach bei Boere klingeln und ihn zur niederländischen Grenze bringen können? Es galt doch das Besatzungsrecht.
Ritterkreuzträger Erich Mende und seine Frau Margot (Archivbild vom 8. Mai 1958).
(Foto: picture-alliance / dpa)
Theoretisch hätte es diese Möglichkeit nach dem Besatzungsstatut gegeben. Die Deutschen setzten jedoch gegenüber der Alliierten Kommission durch, dass die deutsche Rechtsprechung und das Grundgesetz beachtet wurden. Daher fand keine Auslieferung statt. Zudem schafften es die Flüchtlinge aus Breda zumindest ansatzweise, die öffentliche Meinung in Deutschland auf ihre Seite zu ziehen. Es gab zum Beispiel ein Gespräch eines dieser Geflohenen, Antoine Touseul, mit dem damaligen FDP-Vorsitzenden Erich Mende, der als Fürsprecher solcher "Kriegsverurteilter" auftrat und damit auf viel Beifall stieß.
Boere gehörte nicht zu den Sieben von Breda.
Nein, aber er gehört gewissermaßen in dieselbe Kategorie wie zumindest drei dieser Entflohenen. Boere war wie Klaas Carel Faber, Sander Borgers und Willem Polak an den so genannten Silbertanne-Morden beteiligt.
Worum ging es da?
Mitglieder der niederländischen SS, später umbenannt in "Germanische SS in den Niederlanden" (Archivbild vom 9. Oktober 1941).
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
In den Niederlanden gab es in der Zeit der deutschen Besatzung einen begrenzten bewaffneten Widerstand, der vor allem Kollaborateure liquidierte, selten auch deutsche Funktionäre. Die Aktion "Silbertanne" war eine Repressalmaßnahme: Auf einen Mord an einem Kollaborateur folgten anschließend Morde an Niederländern, die für ihre Widerstandshaltung bekannt waren.
Die Flüchtlinge aus Breda mussten in Deutschland wegen illegalen Grenzübertritts eine Ordnungsstrafe von jeweils 10 Mark zahlen. Herbertus Bikker, einer der sieben, erzählte dem "Stern" 1997, die Strafe habe ein Gerichtsdiener übernommen, der ihnen jeweils noch mal 10 Mark für die Weitereise geschenkt habe. "Beim Gericht, das waren alles Kameraden", so Bikker.
In der Bundesrepublik herrschte bis weit in die 60er Jahre die Haltung vor, allein verantwortlich für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg sei ein Hitler gewesen, vielleicht noch ein Göring und ein Goebbels. Der Rest sei halt mit heilem Gewissen und mehr oder weniger heiler Haut durch den Krieg gekommen. Diese Haltung wurde von der Bundesregierung übernommen. Ähnlich lautete dann ja auch die Ehrenerklärung, die Bundeskanzler Adenauer 1951 im Bundestag für die Wehrmacht abgab. Mit der Realität stimmte das nicht überein.
Und heute?
Das heutige Handeln ist sicherlich schwieriger zu beurteilen. Ich denke schon, dass der gute Wille da ist, dass er in den oberen Instanzen schon seit dem Ende der 50er oder den frühen 60er Jahren da ist. Das zeigt zum Beispiel die Gründung der Ludwigsburger Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen im Jahr 1958. Auch verzichtete die Bundesregierung ab 1960 auf weitere politisch gefärbte Interventionen zugunsten der letzten deutschen NS-Verbrecher, die noch in niederländischen Gefängnissen saßen. Wie tief diese Kehrtwende ging, ist eine andere Frage. Es gab immer wieder Staatsanwälte, die das Recht sehr stark zugunsten der Beschuldigten auslegten - nicht wenige Historiker entdecken hier eine gewisse Rest-Kameraderie.
Spontane Freudenfeier nach der Befreiung von Maastricht durch die Amerikaner, 25. September 1944.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
In Deutschland leben noch drei NS-Verbrecher, die ursprünglich Niederländer gewesen waren, von der Bundesrepublik wegen des "Führererlasses" vom Mai 1943 jedoch als Deutsche angesehen wurden: Boere, Faber und ein gewisser Siert Bruins.
Mit dem Unterschied, dass Siert Bruins - oder Siegfried Bruns, wie er sich in Deutschland nannte - 1980 in Deutschland zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Für Leute wie Faber und Bruins gibt es niederländische Wikipedia-Einträge, aber keine deutschen. Ärgern sich die Niederländer, dass Fälle wie diese in der deutschen Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielen?
Es gibt natürlich ein gewisses Unverständnis gegenüber deutschen Rechtsentscheidungen. Auf der anderen Seite gibt es spätestens seit den 80er Jahren immer mehr die Einsicht, dass die Niederländer auch selbst bei der Verfolgung einige Fehler begangen haben.
Was halten Sie davon, dass Boere nun vor Gericht steht?
Ich finde es weiterhin wichtig, Leute anzuklagen, wenn man der Meinung ist, es kann zum Erfolg führen. Aus historischer Sicht ist interessant, dass sich juristische Argumentationen so wandeln können, dass dieselbe Tat zunächst nur als Totschlag gewertet wurde und jetzt als Mord. Da fragt man sich natürlich, ob tatsächlich immer sauber juristisch argumentiert wurde oder ob nicht auch politische Hintergedanken dabei waren. Das ist aber eine nicht beantwortbare Frage.
Mit Harald Fühner sprach Hubertus Volmer>
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14.11.2010: <Report des US-Justizministeriums: USA gewährten Nazis Unterschlupf> - weit unter 10.000 "haben es in die USA geschafft"
aus: Spiegel online; 14.11.2010; http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,729090,00.html
Washington - Dem 600 Seiten starken Report zufolge durften die Nationalsozialisten ins Land kommen, obwohl ihre dunkle Vergangenheit den US-Behörden bekannt gewesen sei. In manchen Fällen hätten die amerikanschen Geheimdienste bewusst mit Helfern des Hitler-Regimes zusammengearbeitet, um von deren Wissen zu profitieren, schreibt die "New York Times".
Der Report des Justizministeriums spreche von der "Kollaboration der Regierung mit den Verfolgern", heißt es in dem Bericht. "Amerika, das sich als sicherer Hafen für die Verfolgten rühmte, wurde - in einem kleinen Maße - auch ein sicherer Hafen für die Verfolger." Die USA hätten deswegen in zahlreichen Fällen diplomatischen Streit mit anderen Ländern gehabt.Als Beispiel nennt das Blatt unter anderen den deutschen Raketeningenieur Arthur Rudolph, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA gegangen war und dort nach Arbeiten am Pershing-Raketenprogramm maßgeblich an der Konstruktion der "Saturn 5"-Trägerrakete beteiligt war, die 1969 erstmals Menschen auf den Mond brachte. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Rudolph Waffen für die Nazis und leitete am Kriegsende die unterirdische Raketenfabrik Mittelwerk bei Kronstein im Harz.
Ein weiterer Fall, über den die Zeitung berichtet, ist Otto von Bolschwing, der von der CIA in den USA angestellt wurde. Bolschwing gehörte zu den Mitarbeitern von Adolf Eichmann, der während der NS-Zeit maßgeblich für die Organisation der Deportation und Ermordung der europäischen Juden verantwortlich war.
Spezialeinheit zur Aufspürung von Hitler-Getreuen
Der Bericht schildere die Erfolge und Fehler einer speziellen Untersuchungseinheit des Justizministeriums über die Nazi-Verfolgung in den USA. Die Gruppe aus Anwälten, Geschichtsexperten und Kriminalisten wurde 1979 unter anderem eingesetzt, um in den USA lebende Hitler-Getreue zu überführen, damit sie des Landes verwiesen werden konnten. Ungefähr 300 Nazi-Schergen seien seit Gründung der Spezialeinheit deportiert worden. Die Abteilung sei mittlerweile mit einem anderen Teil des Ministeriums verschmolzen worden.Insgesamt hätten es - so der Bericht weiter - weit weniger als 10.000 Nazis aus Deutschland in die USA geschafft. Die Zahl sei damit deutlich geringer als in offiziellen Darstellungen von US-Behörden angegeben.
Das seit 2006 existierende Papier sollte eigentlich niemals an die Öffentlichkeit gelangen, da es nach Angaben der Behörde nicht formal fertiggestellt worden sei und faktische Fehler enthalte. Das Ministerium habe aber eingelenkt, nachdem eine private Forschungsgruppe mit einer Klage auf Freigabe drohte. Der "New York Times" liege nun eine vollständige Version des Reports vor.
kng/dpa/AFP>
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15.11.2010: Neue Goebbels-Biographie: <Joseph Goebbels - Narziss von Hitlers Gnaden>
aus: Welt online: Drittes Reich: Joseph Goebbels - Narziss von Hitlers Gnaden; 15.11.2010;
http://www.welt.de/kultur/history/article10872311/Joseph-Goebbels-Narziss-von-Hitlers-Gnaden.html
Neue Biografie: Der Historiker Peter Longerich findet in der Gier nach Bestätigung den Kern des NS-Propagandaministers.
Peter Longerich, 1955 in Krefeld geboren, ist Professor am Royal Holloway and Bedford New College der Universität London und dort Direktor des Research Centre for the Holocaust and Twentieth-Century History
Nie war die Nähe größer als im Tod. Als Joseph Goebbels am Abend des 1. Mai 1945 im Garten der Reichskanzlei in Berlin auf eine Zyankalikapsel biss, erfüllte sich sein Traum. Indem er Adolf Hitler nach nur einem Tag in den Selbstmord folgte, als einziger aus dem engsten Führungszirkel des Dritten Reiches, schrieb er die besondere, die einzigartige Beziehung zu seinem Idol für immer fest. Nicht Martin Bormann, nicht Heinrich Himmler oder Hermann Göring, nicht einmal Albert Speer standen nun mehr zwischen Goebbels und Hitler.
„Seine Lebenslüge hatte am Ende gesiegt“, lautet der letzte Satz in Peter Longerichs neuer, 910 Seiten starker Biografie des Propagandaministers. Sie erhebt den Anspruch, für die kommenden Jahre, vielleicht Jahrzehnte die maßgebliche Goebbels-Interpretation zu sein. Der Historiker, der an der Universität London lehrt und international als einer der besten Kenner des Dritten Reiches gilt, setzt mit dem gewichtigen Buch sein Vorhaben fort, die deutsche Zeitgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in biografischen Längsschnitten darzustellen.
Der erste derartige Band war vor zwei Jahren seine viel gelobte Lebensbeschreibung von SS-Chef Heinrich Himmler; nun also Goebbels. Möglicherweise hätten andere Personen aus dem innersten Führungszirkel um Hitler näher gelegen; über Bormann oder Göring etwa gibt es keine zeitgemäßen, verlässlichen Biografien, während zu Goebbels die zwar bereits 20 Jahren alte, aber immer noch nützliche Lebensbeschreibung des Historikers und Journalisten Ralf Georg Reuth vorliegt.
Auch abseits dieses Buches darf die Figur Goebbels als relativ gut erforscht gelten. Allein 2009 erschienen zwei weitere Biografien über ihn, mit unterschiedlichen Ansätzen. Dazu kommen eine Fülle von Detailstudien, etwa über Goebbels als „Filmminister“, über seine literarischen Gehversuche in den Zwanzigerjahren und – als eindrucksvoll gelungene Kombination aus Bildern und Texten – der Band „Das Goebbels-Experiment“ von Lutz Hachmeister und Michael Kloft.
Der Grund für diese Dichte an Forschungen gerade über Goebbels ist einfach: Er hat im Gegensatz zu allen anderen Spitzenfunktionären der NSDAP eine ungeheure Fülle an persönlichen und politischen Selbstzeugnissen hinterlassen – genau genommen 6783 handbeschriebene Blätter in 23 Kladden und 34.609 Seiten mit in großen Typen betippten täglichen Diktaten, außerdem buchstäblich hunderte Leitartikel in den NS-Zeitungen „Völkischer Beobachter“, „Der Angriff“, und „Das Reich“ sowie zahlreiche Broschüren und Büchern. Ohne Zweifel gehörte Joseph Goebbels zu den produktivsten Menschen seiner Zeit.
Allerdings zugleich zu den destruktivsten. Denn ein Großteil seiner ungeheuren Text-Produktion war geprägt von Hass, anfangs gegen „das System“, also die erste deutsche Demokratie, später gegen die Nachbarstaaten Deutschlands und seine Gegner im Krieg, und fast immer gegen „die Juden“. Der Antisemitismus war die eine Grundkonstante in Goebbels’ Leben, die man seit den Zwanzigerjahren verfolgen kann. Die andere war ein beinahe pathologischer Narzissmus.
In Longerichs treffenden Worten: „Goebbels ging es als Autor und Chefpropagandist des Dritten Reiches vor allem darum, einen Spiegel aufzustellen, in dem er sich selbst überlebensgroß sah. Da ihm inneres Gleichgewicht wie äußere Sicherheit fehlten und er seiner Wirkung auf andere zutiefst misstraute, bedurfte er der ständigen Bestätigung, dass das großartige Bild im Spiegel tatsächlich ihn selbst, Joseph Goebbels, darstellte.“ Als wichtigste Bezugsperson diente dabei Hitler. Longerich belegt in seinem Buch seine Grundthese, dass Persönlichkeitsdefizite der wesentliche Antrieb in der Existenz des ebenso skrupellosen wie wehleidigen Propaganda-Genies war, schlüssig und überzeugend.
Doch all das führt nur unwesentlich über die bisher gesicherte Forschungslage hinaus. Wichtiger ist, dass Longerich wie schon in seinem Himmler-Buch die engen Grenzen des rein Biografischen hinter sich lässt. Stets entlang der Lebens-Chronologie, beschreibt er ausführlich die zentralen Arbeitsbereiche von Goebbels: die krisengeschüttelte Berliner NSDAP, der er seit November 1926 vorstand; den Aufbau und die Lenkung der Propagandaapparates, der nie so perfekt funktionierte, wie sich der zuständige Minister das wünschte; schließlich die Mobilisierung aller Kräfte für den „totalen Krieg“. Wie schon die Himmler-Biografie zugleich eine in weiten Teilen sehr überzeugende Beschreibung des NS-Repressionsapparates war, so gelingt Longerich dasselbe Kunststück mit seinem neuen Buch zum zweiten Mal.
In dieser Hinsicht geht der Autor deutlich über Reuth hinaus, der allerdings auch ein anderes Konzept verfolgte, nämlich eine klassische Biografie. Dagegen reihen sich die beiden jüngsten Bücher von Peter Longerich ein in eine Reihe von biografisch angelegten, jedoch zugleich über dieses Sujet weit hinausgreifenden Studien der vergangenen Jahre, etwa die Arbeit von Ulrich Herbert über Werner Best, die zugleich die Funktions-Elite des SS-Staates porträtierte, die zweibändige Hitler-Biografie von Ian Kershaw, die zugleich eine Gesellschaftsgeschichte des Dritten Reichs war, oder Ernst Pipers Biografie des Chefideologen Alfred Rosenberg, die erstmals die nationalsozialistische Weltanschauung präzise analysierte.
Dieser großen und wichtigen Stärke von Longerichs Goebbels-Buch steht jedoch eine Schwäche gegenüber. Er nimmt allzu oft die Tagebuchnotizen für bare Münze, obwohl schon beim Lesen der Biografie und erst recht der in 29 Bänden edierten Originalquelle deutlich wird, wie sehr Goebbels schwankte. Gerade diese Stimmungswechsel waren eine Folge der ja zutreffend beschriebenen Grundkonstellation innerer Unsicherheit. Die von der politischen Messiasfigur Hitler geliehene äußere Stärke führte eben bis zuletzt, bis zum Ende im Führerbunker, nicht zu einer Stabilität bei Goebbels selbst.
Das ändert am Wert des umfangreichen und dennoch gut lesbaren Buches freilich ebenso wenig wie die in Details nicht immer überzeugenden Wertungen von Peter Longerich, die meist auf zu wenig reflektierten Umgang mit den Tagebuchnotizen zurückgehen. So erfolgte die Ernennung von Goebbels zum Berliner NSDAP-Gauleiter 1926 sicher nicht „im Zuge einer Austarierung der innerparteilichen Kräftekonstellation“; vielmehr war Hitler bewusst, dass er in der für den Erfolg seiner „Bewegung“ entscheidenden Reichshauptstadt einen ebenso loyalen wie einfallsreichen Stellvertreter brauchte.
Longerich gelingt ein Standardwerk
Die innerparteiliche Krise rund um den Rücktritt von Gregor Strasser Ende 1932 interpretiert Longerich als aufgebauscht. Dabei stützt er sich auf die erst 2006 erschienenen Originalnotizen von Goebbels und übersieht, dass die schon lange bekannte Version in der stark bearbeiteten veröffentlichten Tagebuch-Version „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“ die realen, auch in der zeitgenössischen Presse nachzulesenden Fakten aufgriff.
Ein drittes Beispiel für die Überbetonung der Tagebücher gegenüber anderen Quellen ist die Frage, wann und wie viel Hitler über den Putsch gegen Österreichs Kanzler Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1934 wusste. Nicht erst durch eine Tagebucheintragung von Goebbels ist nämlich die Rolle des „Führers“ bei diesem schmählich gescheiterten und außenpolitisch für das Dritte Reich desaströsen Coup belegt. Vielmehr bezeugen schon die seit langem zugänglichen Aufzeichnungen des Reichswehr-Generalleutnants Wilhelm Adam diese Kenntnis.
Doch solche Details mindern die Bedeutung von Longerichs Goebbels-Buch insgesamt nicht. Ohne Zweifel ist ihm eine zeitgemäße, gerade im Hinblick auf die Propaganda und die Kulturpolitik des Dritten Reiches weiterführende Studie gelungen. Zwar war die Forschungslücke größer, die er 2008 mit seiner Himmler-Biografie geschlossen hat. Aber als Darstellung auf aktuellem Stand vor allem des gesamten Tagebuchmaterials ist sein Buch unbedingt lesenswert.
Peter Longerich: Joseph Goebbels. Biografie. Siedler, München. 910 S., 39,99 Euro>
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Die Falschmeldung des Jahres: Ein Buch mit falschem Inhalt über das Reichsausseministerium:
6.12.2010: Wer hat's geschrieben? Eckart Conze (Marburg), Norbert Frei (Jena), Peter Hayes ("USA"), Moshe Zimmermann (Jerusalem) schrieben ein Lügen-Propagandabuch gegen das NS-Reichsaussenministerium - und der ungeschulte Aussenminister Westerwelle glaubte es
Ein Historiker Eckart Conze erhielt vom früheren Aussenminister Fischer den Auftrag, ein Buch über das Reichsaussenministerium zu schreiben. Und Eckart besprach sich mit seinen Kollegen und sie schrieben, was Fischer hören wollte - oder besser: Sie liessen schreiben - die "Mitarbeiter". Und diese "Mitarbeiter" schrieben, was die Vorgesetzten hören wollten, und was der grüne Fischer hören wollte, ohne gründliche Recherche, und so schrieben sie einen Bestseller ("Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik") mit mehr Lügen als Wahrheit, und die Chefs arbeiteten eigentlich gar nicht an dem Buch, sondern sahnten nur die Honorare ab. Aber gottlob ist das Wort "Aktenlage" inzwischen auch ein Bestseller, anders als noch vor 10 Jahren, und so werden solche Lügengeschichten über die Strukturen im Dritten Reich nicht erst nach 60 Jahren enttarnt, sondern schon nach 2 Monaten. Man sollte das Lügenbuch (u.a. mit Lügen eines jüdischen Historikers aus Tel Aviv, der scheinbar Zionist ist) also sperren und nicht mehr verkaufen. Aber lesen Sie selbst:
Teil 1: Unkenntnis und Ignoranz
aus: Spiegel online: Zeitgeschichte: Unkenntnis und Ignoranz; 6.12.2010; http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,733101,00.html
<Von Klaus Wiegrefe
DPA
Eine Historikerkommission sollte Klarheit über die Nazi-Vergangenheit des Auswärtigen Amts bringen - nun ist ihr Bericht ein Bestseller, doch andere Experten laufen Sturm. Der Vorwurf: Die Autoren hätten massive Fehler gemacht und würden die Aktenlage nicht kennen.
Der Auftritt von Außenminister Guido Westerwelle in der Bibliothek seines Amtes war sorgfältig vorbereitet. Mitarbeiter räumten rechtzeitig die Bücher aus den Regalen, die vor 1945 erschienen waren.
Schließlich wollte FDP-Mann Westerwelle an jenem Donnerstag Ende Oktober das Buch einer Historikerkommission entgegennehmen, in dem die Geschichte des Auswärtigen Amtes in der Nazi-Zeit und den Nachkriegsjahrzehnten aufgearbeitet werden sollte. Nicht auszudenken, wenn der Chef bei der feierlichen Übergabe ausgerechnet vor NS-Literatur fotografiert worden wäre.Was die vier Wissenschaftler herausgefunden hatten, klang ungeheuerlich. Das Außenamt habe an den Verbrechen des Hitler-Regimes an zentraler Stelle mitgewirkt, fast alle Diplomaten seien Täter gewesen. Der Marburger Historiker Eckart Conze hatte als Kommissionssprecher im SPIEGEL (43/2010) sogar kurz vor der Veröffentlichung des Berichts ("Das Amt") das gesamte Auswärtige Amt kurzerhand zur "verbrecherischen Organisation" erklärt.
Die spektakulären Thesen Conzes und seiner Kollegen Norbert Frei aus Jena, des US-Historikers Peter Hayes und des Israeli Moshe Zimmermann katapultierten den Geschichtswälzer umgehend auf die Bestsellerlisten. So groß war die öffentliche Zustimmung zu den scheinbar sensationellen Erkenntnissen, dass auch der Außenminister alle Zurückhaltung fahrenließ.
Er stelle sich hinter die "eindrücklichen und schockierenden" Ergebnisse des Kommissionsberichts, verkündete Westerwelle vor den gereinigten Regalen. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung eines Staatssekretärs bekam den Auftrag, "aus den Ergebnissen dieser Studie die richtigen Konsequenzen zu ziehen". Alle Broschüren und Internetseiten des Amtes und der Auslandsvertretungen, die sich mit der eigenen Geschichte im "Dritten Reich" beschäftigen, stehen seitdem auf dem Prüfstand.
Westerwelles Vorvorgänger, der Grüne Joschka Fischer, hatte Conze und dessen Mitstreiter im Jahr 2005 beauftragt. Ihr Bericht sollte den erbittert geführten Streit um die Vergangenheit des Amts endlich befrieden. Doch davon ist sechs Wochen nach seiner Veröffentlichung keine Rede mehr.
Denn inzwischen haben alle möglichen Experten damit begonnen, die 880 Seiten mit den mehr als 2000 Fußnoten zu überprüfen. Was sie nun fast täglich in Interviews, Beiträgen und Leserbriefen vorbringen, ist durchweg kritisch, zum Teil vernichtend.
Vorwurf der "Geschichtspornografie" - [Mommsen empfielt Conze und Co., ein historisches Proseminar zu besuchen]
Hans Mommsen, der deutsche Altmeister unter den NS-Forschern, erklärte vergangene Woche, das Buch löse bei ihm "Entsetzen" aus, es sei voller "massiver Fehler". Fachleute wie Johannes Hürter vom renommierten Institut für Zeitgeschichte in München finden Passagen des Werks "bodenlos". Sein Mainzer Kollege Sönke Neitzel wirft Kommissionssprecher Conze sogar "Geschichtspornografie" vor, weil er das Amt als "verbrecherische Organisation" bezeichnet hatte. Conze sei es offenbar nur darum gegangen, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.
Andere Wissenschaftler sprechen von "Oberflächlichkeit" (Henning Köhler), "Unkenntnis oder Ignoranz der Aktenlage" (Gregor Schöllgen), "Einseitigkeit" (Christian Hacke) oder sehen in Teilen "schlichtweg Unsinn" (Daniel Koerfer).
Die Kritik richtet sich gegen zentrale Thesen, bemängelt wird aber auch, dass wissenschaftliche Standards nicht eingehalten worden seien.So wirft Schöllgen der Kommission vor, häufig Dokumente aus dem Archiv des Ministeriums zu zitieren, die seit langem ediert vorliegen. Damit werde der Eindruck erweckt, sie präsentiere Unbekanntes. Zudem erscheine es so, als hätte das Amt die eigene Geschichte nicht ausreichend dokumentiert. Kritiker Mommsen riet seinen Professorenkollegen daraufhin vergangene Woche öffentlich zum Besuch eines "historischen Proseminars", das normalerweise Studienanfängern vorbehalten ist.
Der Zorn des Emeritus ist verständlich, denn "Das Amt" enthält eine Reihe merkwürdiger Thesen, vor allem in dem Teil über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust, für den Zimmermann verantwortlich zeichnet. Der Professor aus Jerusalem ist nicht nur für differenzierte Urteile bekannt. So erklärte er vor kurzem mutig, die gesamte "deutsche Gesellschaft zwischen 1933 und 1945" sei eine "verbrecherische Organisation oder eine verbrecherische Gesellschaft" gewesen.
Teil 2: Schlüsselrolle des Auswärtigen Amts im Holocaust?
aus: Spiegel online: Zeitgeschichte: Unkenntnis und Ignoranz; 6.12.2010; http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,733101-2,00.html
In dem Bericht heißt es nun, schon Anfang 1939, also wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, habe den deutschen Diplomaten "klar sein müssen", dass ihre Behörde die "physische Vernichtung" der Juden anstrebe. Wo doch Hitler in einer Rede für den Fall eines Weltkriegs mit der "Vernichtung der jüdischen Rasse" gedroht habe.
Was plausibel klingt, entspricht in Wahrheit nicht dem Stand der Forschung. Denn damals setzte Hitler noch auf die Vertreibung der Juden aus Deutschland und wollte diese offenbar befördern. Es gibt keinen Beleg für die These, dass Hitler oder sein Außenminister Joachim von Ribbentrop - an deren Gewaltbereitschaft niemand zweifelt - zu diesem Zeitpunkt den Holocaust konkret geplant hätten. Er wisse gar nicht, ätzt Mommsen, "wie man zu einer solche Fehlinterpretation gelangen kann".
An anderer Stelle schreiben die Autoren, das Außenministerium habe sogar "die Initiative zur Lösung der ,Judenfrage' auf europäischer Ebene" ergriffen und sei an der Entscheidung für den Judenmord "direkt beteiligt" gewesen. Sie verweisen auf ein Treffen zwischen Hitler und Ribbentrop am 17. September 1941. Schönheitsfehler dieser Deutung: Bis heute ist nicht bekannt, was die beiden miteinander besprochen haben.
In diesen Passagen wird das Bemühen der Historikerkommission deutlich, dem Auswärtigen Amt eine Schlüsselrolle im Holocaust zuzuweisen. Dabei bestreiten auch die Kritiker nicht, dass Diplomaten zu Komplizen wurden, doch das ist seit Jahrzehnten bekannt. Immer wieder fragte das Reichssicherheitshauptamt - die Terrorzentrale der SS - im Auswärtigen Amt an, ob das Ministerium aus außenpolitischen Gründen gegen die Deportation von Juden etwa aus Frankreich oder Belgien Einwände erhebe.
Der Holocaust wäre auch ohne das Auswärtige Amt erfolgt
Doch der Großteil der Holocaust-Opfer stammte aus Polen und der Sowjetunion. Bei ihrer Ermordung spielte das Ministerium keine Rolle. Und in den anderen Teilen Europas gab "die SS und nicht das Auswärtige Amt Tempo und Umfang des Mordens vor", sagt Experte Hürter. Selbst Kommissionssprecher Conze räumt ein, dass der Holocaust auch ohne das Auswärtige Amt erfolgt wäre.
Umstritten ist zudem, in welchem Ausmaß sich die zeitweise über 6000 Angehörigen des Außenamts an den Verbrechen beteiligten und welche individuelle Verantwortung der Einzelne trug. Neitzel wirft der Kommission vor, sie habe "der Versuchung nicht widerstehen können, die Gesamtheit des diplomatischen Dienstes abzuqualifizieren".
Die Kommission hat sich ihr Urteil in der Tat oft leichtgemacht. Etwa im Fall des Diplomaten Franz Krapf, der zwar sowohl der NSDAP als auch der SS angehörte, allerdings von 1940 an in Tokio eingesetzt war, also weitab vom Geschehen. Obwohl die Kommission ausdrücklich festhält, sie wisse nicht, was er dort genau getrieben habe, schreibt sie, es sei "aber klar", dass auch im fernen Ostasien deutsche Diplomaten mit dem Holocaust beschäftigt gewesen seien.
Manchmal wird das Bild auch schief, weil wichtige Informationen fehlen. Der Berliner Historiker Koerfer hat auf den Diplomaten Karl Klingenfuß verwiesen, der 1942 zum sogenannten Judenreferat des Auswärtigen Amts versetzt wurde und nach wenigen Monaten um seine Entlassung aus dem Referat bat, als ihm klar wurde, was den deportierten Juden bevorstand. Er kam schließlich nach Bern. Im Kommissionsbericht ist dieser Teil der Geschichte nicht zu finden.
Oder Manfred Klaiber, nach dem Krieg Botschafter Bonns in Rom und Paris. Er wird in "Das Amt" als Mitglied einer Gruppe aufgeführt, gegen die Staatsanwaltschaften in den sechziger Jahren "(Vor-)Ermittlungen" eingeleitet hatten. Da in diesem Zusammenhang viele schwerbelastete Diplomaten genannt werden, entsteht der Eindruck, auch Klaiber habe Dreck am Stecken. Klaiber war ins Visier der Strafverfolger geraten, weil er 1942 an der Versenkung eines bulgarischen Schiffs mit jüdischen Flüchtlingen im Schwarzen Meer beteiligt gewesen sein soll. Das Verfahren wurde mangels Tatverdacht eingestellt. Inzwischen weiß man, dass die Sowjets das Schiff versenkten, die offenbar nicht wussten, wen es transportierte. Im Kommissionsbericht steht davon kein Wort.
Großteil des Manuskripts haben Mitarbeiter der Kommissionsmitglieder erstellt
Auftraggeber Fischer sagt heute, er habe 2005, als er die Kommission einsetzte, erfahrene Experten im Team haben wollen. Den Großteil des Manuskripts haben allerdings Mitarbeiter der vier Kommissionsmitglieder erstellt.
In der Historiker-Szene wird inzwischen genüsslich kolportiert, dass Conze, Frei, Hayes und Zimmermann den Lesesaal des Ministeriumsarchivs entweder gar nicht oder für gerade einmal einen Tag betreten hätten.
Conze verteidigt sich, man habe die Dokumente eben in einer Datenbank zusammengetragen. Darunter auch angeblich unbekannte Papiere wie ein Schreiben vom 6. Mai 1936 des damaligen Gesandten in Bern, Ernst von Weizsäcker, Vater des späteren Bundespräsidenten Richard. Der Diplomat erklärte darin, er habe "keine Bedenken", den Schriftsteller Thomas Mann auszubürgern.
Das Dokument findet sich in den Ausbürgerungsakten Manns, und die zählen zu jenen Archivalien, die man im Archiv des Auswärtigen Amts bereits seit Jahren gern zeigt - vor allem Besuchergruppen.>
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20.12.2010: "Ehrenhäftlinge" unter Hitler und ihre "ehrenhafte" Gefangenschaft
aus: Welt online: Zeitgeschichte: Was es hiess, "Ehrenhäftling" Hitlers zu sein; 20.12.2010;
http://www.welt.de/kultur/history/article11193010/Was-es-hiess-Ehrenhaeftling-Hitlers-zu-sein.html
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Mehrere hundert Menschen hielt das Dritte Reich als „persönliche Gefangene des Führers". Ein Buch beleuchtet ihr Schicksal.
1941 wurden diese Baracken auf dem Gelände des Konzentrationslagers Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin errichtet. Hier waren prominente Gefangene inhaftiert.
Puppi fand es schön in Sachsenhausen, und sie wollte gern dorthin zurück. Natürlich hatte die kleine Tochter des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers Kurt von Schuschnigg keine Sehnsucht nach dem Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin. Aber doch nach der Idylle, in der das 1941 geborene kleine Mädchen – mit vollem Namen Maria Dolores von Schuschnigg – seine ersten Lebensjahre verbracht hatte: einer Art Siedlungshaus mit hohem Giebel auf einem 300 Quadratmeter großen Grundstück. Das Kind störte sich nicht an der hohen Ziegelmauer um des Haus und nicht am Stacheldraht zu den beiden Nachbarhäusern. Und sie konnte auch nicht wie ihre Eltern hinüberschauen ins direkt angrenzende Barackenlager des KZs. Kurt von Schuschnigg schrieb über seinen Ausblick im Dezember 1941: „Hinter der Trostlosigkeit der berüchtigten Mauern haust das Heer des grauen, namenlosen Elends. Zwischen den Baracken schleppen sich abgehärmte Gestalten, aschfahl im Gesicht – und fast alle mit flackernden Augen.“
Mehrere hundert "Sonderhäftlinge"
Die Familie Schuschnigg gehörte zu den privilegierten Häftlingen in Hitler-Deutschland. Neben den Millionen KZ-Insassen, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern gab es im Dritten Reich, besonders seit Beginn des Zweiten Weltkrieges, auch eine stark zunehmende Zahl von „Sonder-" oder „Ehrenhäftlingen“, insgesamt mehrere hundert. Sie wurden auf abgelegenen Schlössern oder Villen untergebracht, in requirierten Hotels oder in Sonderbereichen nahe der mörderischen KZ-Lager. Der Journalist und Historiker Volker Koop hat dieses bisher kaum beachtete Thema jetzt in einem sehr lesenswerten Buch aufgearbeitet.
In Sachsenhausen dienten vier Standard-Siedlungshäuser als „Sonderlager“. Eingesperrt war hier nur Kurt von Schuschnigg selbst, seine Frau lebte mit der kleinen Tochter freiwillig neben der Todeszone des KZ, konnte aber jederzeit den Lagerkomplex verlassen. Schuschniggs Sohn aus erster Ehe ging zeitweise sogar von hier aus täglich ins Gymnasium. Doch so viel Freiheit war für die Familienangehörigen anderer Sondergefangener nicht üblich. Die bayerischen Wittelsbacher etwa, die als potenzielle Identifikationsfiguren einer antinationalsozialistischen Bewegung inhaftiert wurden, waren teilweise monatelang in Tirol inhaftiert. Der ehemalige Kronprinz Rupprecht, das eigentliche Ziel der Verfolgung, konnte sich dem Zugriff der Nazis jedoch trickreich entziehen.
1945 wurde Elser nach Dachau verlegt und erschossen
Zu den bekanntesten „persönlichen Gefangenen“ Hitlers gehörten der gescheiterte Attentäter Georg Elser, der im Lagergefängnis des KZ Sachsenhausen unter vergleichsweise guten Bedingungen auf seinen Schauprozess nach dem erhofften „Endsieg“ wartete. Der Einzeltäter war noch am Abend seines perfekt abgelaufenen Bombenanschlags auf den Münchner Bürgerbräukeller am 8. November 1939 festgenommen und danach scharf gefoltert worden. Er dürfte gewusst haben, dass seine Hinrichtung lediglich aufgeschoben, nicht aber aufgehoben war. Dennoch verbrachte er die Jahre im Zellenbau in bemerkenswert guter Stimmung. Erst im Frühjahr 1945, als das Ende des Dritten Reichs wirklich unübersehbar war, ließ Hitler Elser nach Dachau verlegen und hier erschießen.
Ein weiterer prominenter Sonderhäftling war Martin Niemöller, einer der Köpfe der Bekennenden Kirche. Der ehemalige Nationalist und U-Boot-Kommandant hatte in den Dreißigerjahren Hitler wiederholt zur Weißglut gebracht. Als seine Inhaftierung international Protest hervorrief, sah sich SS-Chef Heinrich Himmler genötigt zu erklären, dass „Leute, die für ihre regierungs- wie staatsfeindliche Betätigung gelobt werden, automatisch wie Landesverräter in Schutzhaft genommen werden“.
Insgesamt fast acht Jahre saß Niemöller in den KZs Sachsenhausen und Dachau; erst ab 1943 war ihm täglich ein zweistündiger Spaziergang im Hof des Arrestbaus auf dem Lagergelände erlaubt. Im Gegensatz zu den normalen Insassen des Lagers war sein Leben zwar nicht akut in Gefahr. Doch zugleich war ihm klar, dass er im Falle eines Sieges Hitler-Deutschlands angeklagt und bei einer Niederlage wahrscheinlich erschossen würde. Dass es dazu nicht kam, sondern Niemöller 1945 befreit wurde, hatte viel mit Glück zu tun.
Im Krieg wurden ausländische Politiker und Staatsrepräsentanten festgesetzt. Der belgische König Leopold III., der anders als die Monarchen der ebenfalls von der Wehrmacht besetzten Niederlande oder Norwegens nicht ins Exil gegangen war, stand erst in seiner Residenz unter Hausarrest und wurde dann ins Schloss Hirschstein gebracht, wo er unter Bewachung der SS stand. Französische Spitzenpolitiker wie die früheren Ministerpräsidenten Leon Blum und Edouard Daladier oder der frühere Oberbefehlshaber Marschall Maxime Weygand. Im idyllischen Ifen-Hotel im Kleinwalsertal waren viele prominente Franzosen interniert, auch der ehemalige Botschafter in Berlin, Andre Francois-Poncet.
Die Vielzahl von verschiedenen Orten, an denen die Sondergefangenen untergebracht waren, erhöhten den Aufwand für das Regime. Deshalb suchte das Reichssicherheitshauptamt nach einem zentralen Ort, idealerweise eine Insel im deutschen Machtbereich. 1942 glaubte man die ideale Lösung gefunden zu haben. die Inseln Suur-Pakri und Vaike-Paakri in der Ostsee, vier Kilometer vor Baltischport (heute Paldiski) gelegen, der Hafenstadt am Beginn des Finnischen Meerbusens. Volker Koop hat im Archiv der Stasi einen Bericht des SS-Befehlshabers „Ostland“ gefunden, in dem die Vorzüge dieser Inseln für die Internierung von prominenten Gefangenen beschrieben wird: „Sie sind eisfrei, nur wenig bewohnt und vom Festland weit genug entfernt.“
Für die meisten Sonderhäftlinge endete der Krieg mit einem Happy-End. Heinrich Himmler wollte sie als Faustpfand benutzen, um den Westmächten Zugeständnisse abzuringen. Doch der einst allmächtige SS-Chef hatte sich verrechnet: Niemand ließ sich mehr auf ein Geschäft mit ihm ein. Die Geiseln, die überwiegend nach Tirol gebracht worden waren, den letzten Teil Großdeutschlands unter Nazi-Kontrolle, wurden im Frühjahr 1945 befreit – auch Puppi Schuschnigg.
Volker Koop: „In Hitlers Hand. Sonder- und Ehrenhäftlinge der SS“. (Böhlau, Köln. 295 S., 24,90 Euro).>
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17.3.2011: <"Sonder- und Ehrenhaft" im "Dritten Reich" - High Society im Goldenen Käfig>
aus: Spiegel online; 17.3.2011; http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/21821/high_society_im_goldenen_kaefig.html
<Zigaretten, Radio und eine Flasche Sekt am Tag: Den "Sonder- und Ehrenhäftlingen" der SS fehlte es an nichts - außer der eigenen Freiheit. Eingesperrt in Schlössern, Burgen und Nobelhotels fristeten berühmte NS-Gefangene im "Dritten Reich" ein luxuriöses Dasein. Von Katja Iken
<Mehr als zwei Jahrzehnte lang war das Grab des Nazis in Wunsiedel ein Wallfahrtsort für Rechtsradikale. 24 Jahre nach seinem Tod werden seine Gebeine exhumiert, verbrannt und die Asche schließlich im Meer verstreut.
Am grausamsten fand SS-Häftling André François-Poncet den teutonischen Eintopf. "Ich musste Zusammengekochtes essen", beklagte sich der einstige französische Botschafter in Berlin nach Kriegsende über seine Internierung. Ansonsten gab es wenig Grund zum Meckern. Während Millionen regulärer Häftlinge in den Konzentrationslagern gefoltert und ermordet wurden, war der Diplomat im mondänen Ifen-Hotel im Kleinwalsertal gefangen, wo er ausgedehnte Spaziergänge durch die österreichische Berglandschaft unternahm und Shakespeare, Rabelais und Nietzsche studierte. Sonntags ging François-Poncet mit Italiens Ex-Premier Francesco Saverio Nitti sowie den Prinzessinnen von Savoyen-Aosta in die Kirche, seinen "Volksempfänger" durfte er anschalten, wann immer ihn danach gelüstete.
Der Ex-Botschafter hatte es gut getroffen, ebenso wie der Rest der im Ifen-Hotel Eingesperrten, allesamt Mitglieder der internationalen High Society. Sie gehörten zur privilegierten Schar der mehreren hundert "Sonder- und Ehrenhäftlinge" der SS: Politiker, Staatsrepräsentanten und Diplomaten aus den besetzten Gebieten ebenso wie in Ungnade gefallene deutsche Militärs, Geistliche, Industrielle und Adelige, denen der NS-Staat eine spezielle Fürsorge angedeihen ließ.
Eingesperrt in beschlagnahmten Schlössern, Villen, Burgen, Hotels und Sanatorien, aber auch eigens errichteten KZ-Sonderhäusern, führten diese handverlesenen Feinde Adolf Hitlers als Geiseln des "Dritten Reichs" ein bisweilen luxuriöses Leben - oftmals nur wenige Meter entfernt von den Gaskammern und Krematorien. Dieses bislang wenig erforschte Thema der "Sonder- und Ehrenhaft" hat der Journalist und Historiker Volker Koop in einem neu erschienenen, sehr lesenswerten Buch aufgearbeitet.
Tischtennisplatte, Zither und Blumen im KZ
"Erziehungshäftlinge", "Vorbeugehäftlinge", "Protektoratshäftlinge" - oder eben "Sonder- und Ehrenhäftlinge": In ihrer menschenverachtenden Klassifizierungswut teilten die Nationalsozialisten ihre Feinde fein säuberlich in verschiedene Gruppen ein. Zur Kategorie der "Sonder- und Ehrenhäftlinge" zählten auch die "persönlichen Gefangenen des Führers": deutsche Regimegegner, die zu prominent waren, als dass man sie einfach ermorden wollte.
Der Geistliche Martin Niemöller etwa gehört dazu, aber auch Georg Elser: jener Mann, der am 8. November 1939 eine Bombe im Münchner Bürgerbräukeller deponiert hatte, um Adolf Hitler in die Luft zu sprengen. Dass die Nationalsozialisten den Hitler-Attentäter nicht sofort ermordeten, sondern zu Vorzugsbedingungen internierten, hatte einen einfachen Grund: Die NS-Führung plante, nach einem siegreichen Krieg einen Schauprozess vor dem Volksgerichtshof gegen Elser zu führen.
Innerhalb des KZ Sachsenhausen wurden eigens für den prominenten Führerfeind drei Zellen zusammengelegt, Elser bekam eine eigene Hobelbank eingerichtet, wo er sich als Tischler betätigen konnte und durfte seine Zither mit in die Haft nehmen. Ferner genoss er Sonderverpflegung, bekam ein Radio, einen mit Tischdecke und Blumen dekorierten Tisch und sogar eine Tischtennisplatte in sein Privatgefängnis gestellt, um laut Zeitzeugenaussagen mit der SS sportliche Wettkämpfe auszutragen. Erst als feststand, dass der Krieg endgültig verloren war, erschossen die Nazis Elser am 9. April im KZ Dachau: ein Schicksal, das den meisten anderen "Sonder- und Ehrenhäftlingen" erspart blieb, die bis auf wenige Ausnahmen überlebten.
Haft mit Hofstaat
Gerade für die ausländische Prominenz unter den Hitler-Gegnern, zum Teil als Faustpfand für spätere Verhandlungen vorgesehen, ging die Haft meist recht glimpflich aus. Besonders gut hatte es der belgische König Leopold III. getroffen. Er war nebst seiner Familie auf Schloss Laeken bei Brüssel und später auf dem sächsischen Schloss Hirschberg interniert und bekam von der SS sogar einen kleinen Hofstaat zugestanden. Auch sonst waren die Nazis bemüht, es der inhaftierten Majestät recht zu machen: Am 19. November 1940 empfing Hitler seine Königliche Majestät auf dem Obersalzberg, um ihn nach Sonderwünschen, einem größeren Schloss etwa, mehr Geld oder einer Gespielin zu fragen. Stattdessen bat der König um Erleichterungen für sein Land und die baldige Heimkehr belgischer Kriegsgefangener: Wünsche, die ihm Hitler allerdings nicht gewähren wollte.
Ansonsten mussten die "Sonder- und Ehrenhäftlinge" auf Annehmlichkeiten nicht verzichten, wie der SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner nach dem Krieg vor dem Alliierten Militärtribunal in Nürnberg anmerkte: Die prominenten Gefangenen, etwa im Ifen-Hotel, aber auch im Rheinhotel Dreesen in Bad Godesberg, verbrachten die Haft, so Kaltenbrunner "bei dreifacher Diplomatenverpflegung, das ist die neunfache Nahrungsmittelzuteilung eines normalen Deutschen während des Krieges, bei täglicher Verabreichung einer Flasche Sekt, bei freier Korrespondenz mit der Familie."
Auch die auf Schloss Itter in Tirol untergebrachten "Ehrenhäftlinge", deren Namensliste sich wie ein Who is Who der französischen Elite liest, lebten im Vergleich mit den regulären KZ-Häftlingen in Saus und Braus: Die SS-Wachen wurden angehalten, ihren Gefangenen, unter ihnen der französische Ex-Premier Éduard Daladier, Gewerkschaftsführer Léon Jouhaux und General Maurice-Gustave Gamélin, "mit Stillstand und deutschem Gruß" zu begegnen.
Die illustren Häftlinge durften sonntags zur Messe, konnten die Haft gemeinsam mit dem Ehepartner verbringen und hatten es offensichtlich so kommod, dass sie gar nicht unbedingt flüchten wollten: Im Sommer 1944 entwickelten die auf Schloss Itter zur Zwangsarbeit verpflichteten regulären KZ-Häftlinge einen Fluchtplan, um sich gemeinsam mit den "Ehrenhäftlingen" in die Schweiz zu retten. Doch scheiterte die Flucht - weil sich die prominenten Gefangenen weigerten, den Plan in die Tat umzusetzen.
"In Sachsenhausen war es schöner!"
Mit am absurdesten mutet jedoch die "Ehrenhaft" des österreichischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg an. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich 1938 unter Arrest gestellt, bekam der inhaftierte Politiker so starke Depressionen, dass die Nazis einen Selbstmord fürchteten. Um dem vorzubeugen, ließ man dem prominenten Häftling eine besondere Fürsorge angedeihen: 1941 wurde Schuschnigg ins KZ Sachsenhausen verlegt, wo er in einem komfortablen Sonderhaus direkt neben der Todeszone wohnte.
Seine Frau Vera zog mitsamt Tochter Puppi freiwillig zu ihm, durfte das Gelände jedoch jederzeit verlassen. Ebenso wie Sohn Kurt, der mehrfach die Ferien bei seinem Vater im KZ verbrachte und von dort aus zeitweise jeden Morgen das örtliche Gymnasium besuchte. Eine eigens angewiesene - Schuschnigg allerdings nicht gut genug gekleidete Putzfrau - kümmerte sich um den Haushalt und sorgte für das leibliche Wohl, Konserven vom amerikanischen Roten Kreuz besserten die Kost noch weiter auf. Seine kleine Tochter fühlte sich im KZ Sachsenhausen so wohl, dass sie, als ihr Vater im Februar 1945 ins KZ Flossenbürg verlegt wurde, darum bat, zurück nach Sachsenhausen zu gehen. "Unser Kind aber fragt, ob wir nicht zurück nach Sachsenhausen könnten; 'denn dort war es schöner!'", zitiert Schuschnigg das Mädchen in seinen Erinnerungen.
Allerdings musste der österreichische Politiker, ebenso wie zahlreiche andere "Sonder- und Ehrenhäftlinge", für die Kosten seiner vergleichsweise noblen Internierung selbst aufkommen. Die Nationalsozialisten hatten sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt, sogar der "Umzug" vom Gestapo-Gefängnis in München ins Konzentrationslager wurde Schuschnigg in Rechnung gestellt, Einmal in Sachsenhausen, erhielt der Österreicher vom Reichssicherheitshauptamt zwar ein monatliches Taschengeld, um sich zu verpflegen. Doch ging mehr als die Hälfte davon für den Schulbesuch seines Sohnes sowie die Lagerung seiner Möbel in Wien ab, wie der Historiker Koop recherchiert hat.
Promi-Gefangeneninsel à la Alcatraz
Je weiter der Krieg voranschritt, desto größer wurde der Bedarf an komfortablen Unterkünften für besondere NS-Gefangene, zu denen auch Politiker-Nachwuchs wie die Nichte Charles de Gaulles und der Sohn Stalins gehörten. Obwohl sich Deutschland in einer mehr und mehr ausweglosen Lage befand und es eigentlich dringlichere Probleme gegeben hätte, besaß man im NS-Staat immer noch Muße, sich detailliert mit der idealen Unterbringung der prominenten Gefangenen zu befassen. Nahezu jedes Schloss in Deutschland, Österreich, Polen und der besetzten Tschechoslowakei inspizierte die SS auf dessen Eignung als Luxus-Kerker. Beliebt waren vor allem auf Bergrücken gelegene Anwesen. Einst errichtet, um Angreifer aus dem Tal frühzeitig zu erkennen und abzuwehren, erschwerte die exponierte Lage nun den Ausbruch der Gefangenen.
Als perfekter Aufenthaltsort für ihre "Sonder- und Ehrenhäftlinge" erschien den Nationalsozialisten eine Insel: Fernab der Zivilisation sollten besonders wichtige Häftlinge isoliert und ohne jede Fluchtmöglichkeit untergebracht werden, als Vorbild diente das amerikanische Alcatraz. Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes schwärmten aus, um im Ostseeraum ein geeignetes Eiland zu finden. Im Sommer 1942 wurde man schließlich Suche fündig. Die Wahl fiel auf zwei dem estnischen Hafen Baltischport (heute Paldiski) vorgelagerte Inseln: Suur-Pakri und Väike-Pakri.
Sie seien "eisfrei, nur wenig bewohnt und vom Festland weit genug entfernt", pries der SD-Befehlshaber "Ostland" die Örtlichkeiten an. Doch sollte es nicht mehr zum Ausbau einer Gefangeneninsel am Finnischen Meerbusen kommen: Mit der Niederlage der deutschen Wehrmacht bei Stalingrad im Winter 1942/43 waren die Pakri-Inseln durch die Rote Armee bedroht - und damit für einen Promi-Kerker à la Alcatraz nicht mehr geeignet.>
[Einzelne Fälle im Detail]
<Gefangen im Nobelhotel: In Tirol beschlagnahmten die Nationalsozialisten unter anderem das Luxushotel "Forelle", um dort ihre "Sonder- und Ehrenhäftlinge" einzuquartieren.
Italienische Prinzessin in deutscher Hand: Nach dem Ausscheren Italiens aus der "Achse" nahmen die Nationalsozialisten die Tochter des italienischen Königs, Prinzessin Mafalda von Savoyen, fest (hier mit ihrem deutschen Ehemann Prinz Philipp von Hessen, auf einer undatierten Aufnahme in Rom). Nach ihrer Verhaftung wurde sie im KZ Buchenwald in einer Sonderbaracke untergebracht - wo sie 1944 nach einem Bombenangriff der Alliierten starb.
Italienische Prinzessin in deutscher Hand: Nach dem Ausscheren Italiens aus der "Achse" nahmen die Nationalsozialisten die Tochter des italienischen Königs, Prinzessin Mafalda von Savoyen, fest (hier mit ihrem deutschen Ehemann Prinz Philipp von Hessen, auf einer undatierten Aufnahme in Rom). Nach ihrer Verhaftung wurde sie im KZ Buchenwald in einer Sonderbaracke untergebracht - wo sie 1944 nach einem Bombenangriff der Alliierten starb.
Inhaftierte Majestät: Der belgische König Leopold III. (hier im Gespräch mit Militärattaché Admiral Keyes im Mai 1940) und seine Familie waren zunächst auf Schloss Laeken bei Brüssel, später auf dem sächsischen Schloss Hirschberg interniert. Als blaublütigem "Ehrenhäftling" gestanden die Nationalsozialisten ihm gar einen kleinen Hofstaat zu.
Im Schloss inhaftiert: In NS-Haft geriet auch der gestürzte italienische Diktator Benito Mussolini - hier auf einem Foto von 1934. Nachdem deutsche Fallschirmjäger Mussolini im September 1943 aus dem Campo Imperatore in den Abruzzen befreit hatten, wurden er und seine Familie auf Schloss Hirschberg bei Weilheim untergebracht. Dem prominenten Häftling wurde zahlreiche Sonderrechte eingeräumt - zum Beispiel ein sogenanntes "A-Telefon", mit dem er mit sämtlichen Dienststellen im Reich in Kontakt bleiben konnte.
"Bürgerbräu"-Attentäter Elser: Der Schreinergeselle Johann Georg Elser verübte am 8. November 1939 im Münchner "Bürgerbräukeller" einen Anschlag auf Adolf Hitler, dem der Diktator nur knapp entging. Der Attentäter wurde als "Sonderhäftling" der SS im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert, wo er zahlreiche Privilegien genoss - unter anderem besaß er ein eigenes Radio, eine eigene Hobelbank und Sonderverpflegung. Nach fast fünf Jahren Haft im KZ wurde Elser am 9. April 1945 in Dachau erschossen. Das Foto nahm die Gestapo im November 1939 im KZ Sachsenhausen auf.
Stalins Sohn in NS-Haft: Jakob Dschugaschwili, der älteste Sohn Josef Stalins, bei seiner Verhaftung am 24. Juli 1941 in der Nähe von Smolensk in Russland. Nach seiner Festnahme wurde er nach Sachsenhausen gebracht, wo er im elektrischen Zaun des KZ ums Leben kam. Die genauen Todesumstände konnten nie gänzlich geklärt werden.
Miklós Horthy: Den ungarischen Reichsverweser Miklós Horthy ließ Hitler als "Ehrenhäftling" festnehmen, weil er sich nicht länger am Krieg der Nationalsozialisten beteiligen wollte. Horthy wurde 1944 auf Schloss Hirschberg interniert.
Der "Ehrenhaft" entgangen: Kronprinz Rupprecht von Bayern versteckte sich in Italien vor den Nationalsozialisten und entging so seiner Verhaftung. Mitglieder seiner Familie indes wurden als "Ehrenhäftlinge" in Konzentrationslagern festgehalten - zunächst im KZ Dachau, schließlich in Flossenbürg.
Vom Hotel zur KZ-Außenstelle: Adolf Hitler war ein häufiger Gast des renommierten Rheinhotels Dreesen in Bonn-Bad Godesberg gewesen - bis die Nationalsozialisten im April 1944 auch diese Nobelherberge für ihre "Ehrenhäftlinge" beschlagnahmten. In dem zur KZ-Außenstelle unfunktionierten Hotel wurden vor allem französische Generäle interniert.
Internationale Haute-Volée: Im Hotel Ifen im österreichischen Kleinwalsertal waren während des "Dritten Reiches" mehr als 30 prominente "Ehrenhäftlinge" interniert, darunter der französische Premierminister Albert Saurrat, und der ehemalige italienische Ministerpräsident Francesco Saverio Nitti.
Spaziergänge und literarische Studien: Auch der französische Diplomat André François-Poncet, hier am 20. Mai 1949 in seinem Pariser Büro, war im Hotel Ifen interniert. Als Gefangener war es ihm untersagt, sich mit den Bewohnern des Kleinwalsertals zu unterhalten - doch François-Poncet widersetzte sich diesem Verbot und lernte auf seinen Spaziergängen nicht nur die Reize der Landschaft, sondern auch die sympathischen Bürger der Umgebung kennen. Zudem widmete er sich "Betrachtungen über Shakespeare und Nietsche, Rabelais und Dostojewskij", wie der SPIEGEL 1955 schrieb.
"Persönlicher Gefangener des Führers": Für seine Kritik am Nationalsozialismus wurde Pastor Martin Niemöller (Foto von 1972) im Jahr 1938 als "persönlicher Gefangener" Adolph Hitlers im KZ Sachsenhausen interniert, 1941 wurde er nach Dachau verlegt. Niemöller überlebte die NS-Haft, 1984 starb er in Wiesbaden.
Prominenter Faustpfand: Auch die Nichte von General Charles de Gaulle, Geneviève de Gaulle-Anthonioz (Foto von 1997), wurde 1944 von der SS als "Ehrenhäftling" im KZ Ravensbrück interniert. Die Nationalsozialisten planten, die prominente Gefangene als Faustpfand für eine bessere Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen einzusetzen. Dazu sollte es nicht mehr kommen: Im April 1945 wurde sie von den Alliierten befreit.
Gefängnis mit Diener: Als "Ehrenhäftlinge" waren der französische Sozialist und Politiker Léon Blum und seine Frau auf dem "Falknerhof" im KZ Buchenwald interniert, wo sie von einer rund 30-köpfigen SS-Mannschaft bewacht wurden. In ihrem häuslichen Gefängnis stand ihnen ein Diener namens "Joachim" zur Seite.
KZ-Haft im Einfamilienhaus:1938 stellten die Nationalsozialisten den österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg unter Arrest, ab 1941 wurde er als "Ehrenhäftling" in einem Sonderhaus im KZ Sachsenhausen untergebracht. Seine Frau Vera zog mit ihrer Tochter "Puppi" freiwillig zu Schuschnigg, zeitweise lebte auch Sohn Kurt hier. Das Foto zeigt Schuschnigg mit Frau und Tochter im Jahr 1947.
Schwarzburg: Die Schwarzburg im thüringischen Schwarzatal war als Gefängnis für den belgischen König Leopold III. vorgesehen. Auf einem Felsrücken gelegen und leicht zu überwachen, galt die Burg als geeignetes Gefängnis für Hitlers "Ehrenhäftlinge". Die NS-Architekten Albert Speer und Hermann Giesler waren bereits mit den Umbauarbeiten beauftragt worden - doch als der Krieg immer weiter fortschritt, wurde das Projekt aufgegeben.>
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21.7.2011: Das Dorf Wunsiedel will das Grab von Rudolf Hess nicht mehr - die Asche geht aufs Meer hinaus
aus: Financial Times Deutschland online: Hitlers Stellvertreter: Grab von Rudolf Hess aufgelöst; 21.7.2011;
http://www.ftd.de/politik/deutschland/:hitlers-stellvertreter-grab-von-rudolf-hess-aufgeloest/60081878.html
Das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im bayerischen Wunsiedel ist knapp 24 Jahre nach seinem Tod aufgelöst worden. In Abstimmung mit seiner Familie sei seine Leiche ausgegraben worden, sagte Kirchenvorstand Peter Seißer.
Die Aktion fand am frühen Mittwochmorgen statt - auf den Tag genau 67 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf den Diktator Adolf Hitler. Die sterblichen Überreste von Rudolf Heß sollen verbrannt und die Asche auf hoher See verstreut werden. "Damit soll verhindert werden, dass nach Wunsiedel ein neuer Wallfahrtsort für die Ewiggestrigen entsteht", sagte Kirchenvorstand Seißer.Heß hatte am 17. August 1987 im Alter von 93 Jahren im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau Selbstmord begangen. Auf eigenen Wunsch wurde er im Grab seiner Eltern auf dem Friedhof von Wunsiedel beigesetzt.
Schon kurz nach seinem Tod kam es zu ersten verbotenen Demonstrationen mehrerer Hundert Rechtsradikaler in der Kleinstadt im Fichtelgebirge. Deshalb sei die Überführung abgebrochen und die Leiche zunächst an einem unbekannten Ort bestattet worden. Erst sieben Monate nach seinem Tod wurde Heß nach Wunsiedel umgebettet, sagte Seißer, der viele Jahre auch Landrat des Kreises war.
Der Kirchenvorstand hatte die Grabrechte nicht mehr verlängert. Eigentlich wären sie bereits im Jahr 2007 ausgelaufen. Da später jedoch auch die Urne der Witwe von Rudolf Heß in das Familiengrab kam, sei die Frist erst im Oktober dieses Jahres geendet. Die Familie habe zwar eine Fristverlängerung der Grabrechte beantragt. Der Kirchenvorstand lehnte jedoch ab. Seit Heß' Beisetzung hatten Rechtsextreme die Tage um den 17. August regelmäßig zu Gedenkmärschen in der Stadt genutzt. Proteste gegen die Aktionen der Neonazis lockten zunehmend auch autonome Gruppen nach Wunsiedel. Nach gewalttätigen Ausschreitungen wurden die Gedenkmärsche und Gegenkundgebungen in Wunsiedel 1991 erstmals verboten.
Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts musste die Rechtsprechung zum Demonstrationsverbot gelockert werden. Dadurch war Wunsiedel von 2001 bis 2004 erneut Schauplatz von Heß-Gedenkmärschen. Der Bundestag verschärfte schließlich im Jahr 2005 das Versammlungsrecht im Strafgesetzbuch. >
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13.9.2011: D 3R: Ein Flugbuch von der Ostfront
aus: Spiegel online: Logbuch eines Wehrmachtsfliegers: Die Toten zwischen den Zeilen; 13.9.2011;
http://einestages.spiegel.de/static/authoralbumbackground/23301/die_toten_zwischen_den_zeilen.html
<Kriegsschnappschuss: Bis zu ihrem Tode bewahrte Sybil Wageners Mutter ein Foto ihres toten Mannes, hier links im Bild, in Militäruniform während seines Russland-Einsatzes auf. Anhand der spärlichen vorhandenen Fotos und Aufzeichnungen versuchte Wagener, die Erlebnisse ihres Vaters im Krieg zu rekonstruieren. Es zeichnete sich ein finsteres Bild ab.
Was erlebte ihr Vater im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront? Was bekam er von den Verbrechen der Wehrmacht mit? Antworten auf ihre Fragen erhielt Sybil Wagener nie. Dann entdeckt sie sein Flugbuch - und ihr kommt ein schrecklicher Verdacht.
Nur sein Flugbuch ist der Zensur entgangen - das Dokument eines Fliegerlebens vom ersten Start bis zur letzten Landung. Beim Blättern darin entdeckte ich Jahre später, dass mein Vater als Quartiermeister des IV. Fliegerkorps das "Unternehmen Barbarossa" von Anfang an mitgemacht hat. Unter diesem Decknamen begann am 22. Juni 1941 der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion mit dem Ziel, ihren europäischen Teil vollständig zu erobern. In Erfüllung seiner Aufgabe, den Nachschub sicherzustellen, flog mein Vater im rückwärtigen Heeresgebiet zwischen seinem Stabsquartier und den Horsten hin und her, auf die die Fliegereinheiten seines Korps immer wieder neu verteilt wurden - Orte wie Nikolajew, Dnepropetrowsk und Saporoshje in der Ukraine waren Stationen seines Einsatzes.
Meine Mutter bewahrte all unsere Fotos in Schuhkartons auf. Als Studentin fand ich eines Tages beim Wühlen darin zwei Aufnahmen, die beunruhigend anders waren als die vertrauten Familiengesichter. Aus einem fahrenden Auto aufgenommen, zeigten sie zerlumpte Menschen, die panisch flohen. Die Bewegungen verrieten, dass die Gejagten sich vor dem Wagen in Sicherheit zu bringen versuchten, aus dem fotografiert wurde. Meine Mutter ließ diese Fotos später kommentarlos verschwinden, ebenso fast alle Feldpostbriefe meines Vaters. Seither hat mich die Frage nicht losgelassen, was er ihr mitgeteilt haben könnte, das die Nachwelt nicht wissen sollte.
Für die Realität dieses Krieges begann ich mich erst zu interessieren, als mein Vater schon nicht mehr lebte. Natürlich hatten wir Geschwister bereits in den sechziger Jahren begonnen, ihm kritische Fragen zu stellen. Er hatte stets behauptet, er habe von den KZs erst nach dem Krieg erfahren. Wir hatten ihm nie recht geglaubt. Heute denke ich, dass Kriegsteilnehmer wie er auch ohne Kenntnis der Lager vom Völkermord wussten. Wir haben einfach die falschen Fragen gestellt: Wir hätten fragen müssen, ob er etwas von den Massakern an der jüdischen Zivilbevölkerung in der Ukraine bemerkt hat, vom Holocaust vor Auschwitz, der oft genau dort stattfand oder kurz zuvor stattgefunden hatte, wo er sich aufhielt.
Während er lächelte, starben Juden
Viele Seiten aus dem Flugbuch meines Vaters sind herausgerissen worden. Die ersten drei Monate des "Unternehmens Barbarossa" fehlen, in denen das IV. Fliegerkorps, vor allem das Jagdgeschwader 77, maßgeblich an der Zerstörung der sowjetischen Luftwaffe mitwirkte. Die Einträge setzen erst am 20. September 1941 wieder ein. An diesem Tag startete mein Vater mit einer Bf 108 in Tschaplinka, wohin eine Gruppe des Jagdgeschwaders 77 verlegt worden war, Richtung Westen. Von dem kleinen Ort am Eingang der Landenge von Perekop aus, die die Halbinsel Krim mit dem ukrainischen Festland verbindet, flog er in Richtung des Fliegerhorsts Nikolajew-Ost, wo sein Stab seit dem 1. September 1941 lag.
Das Morden, das die Einsatzgruppen und Sonderkommandos unmittelbar nach der Einnahme der Stadt am 17. August begonnen hatten, war seither in vollem Gang. Die Meldung, in der dem Reichssicherheitshauptamt mitgeteilt wurde, dass an zwei oder drei Tagen alle Insassen des Gettos von Nikolajew, mindestens 3500 jüdische Männer, Frauen und Kinder, getötet worden seien, datiert genau vom 20. September 1941.
Das Foto meines jungen Vaters in Schaftstiefeln und Breeches - am Unterschenkel eng anliegenden, oben weiten Hosen - das meine Mutter bis zu ihrem Tod in einem Geheimfach ihrer Handtasche aufbewahrte, trägt auf der Rückseite eine Datierung: "Nikolajew Herbst 1941". Das Wetter ist diesig, die Bäume im Hintergrund sind kahl, man sieht niedrige, dunkel gedeckte Häuser und den Treppenaufgang zu einem größeren Gebäude, vor dem ein Wachposten steht.
Aber was spielte sich links und rechts von diesem Bildausschnitt ab, dahinter, ein paar Blocks weiter? Als ich las, dass die Familie des Schriftstellers Isaak Babel (der selbst anderthalb Jahre zuvor der stalinistischen Säuberung zum Opfer gefallen war) sich vermutlich unter den in Nikolajew ermordeten Juden befand, dachte ich, dass sie vielleicht genau in dem Moment starben, als mein Vater in die Kamera lächelte. Wenn nicht sie, dann andere.
Eine Reise ins Herz der Finsternis
Nachdem ich herausgefunden hatte, dass einige der Städte, die im Flugbuch meines Vaters verzeichnet sind, am Djnepr liegen, buchte ich eine Kreuzfahrt von Kiew nach Sewastopol und zurück. Es war mir klar, dass diese Reise mich ins Herz der Finsternis führen würde - und nicht nur mich. Mit mir waren viele Angehörige der Nachkriegsgeneration unterwegs, die mit traumatisierten Eltern aufgewachsen waren.
Das offizielle Programm entfaltete die reiche Geschichte der Ukraine in einem bunten Bilderbogen von Stadtansichten und Landschaften. Das "Unternehmen Barbarossa" jedoch blieb unerwähnt. Erst auf der Krim mit ihren Soldatenfriedhöfen führte kein Weg mehr am Thema Weltkrieg vorbei. Ganz und gar ausgespart aber blieben im Reiseprogramm die Massaker an Hunderttausenden von jüdischen Kindern, Frauen und Männern, die Auschwitz vorweg nahmen - und die sich teilweise so nah an der Reiseroute abgespielt haben, dass mich das Entsetzen oft nicht schlafen ließ.
In Kiew machte ich mich auf den Weg nach Babi Jar - zu der inzwischen verschütteten Schlucht, in der am 29. und 30. September 1941 die größte einzelne Mordaktion des Zweiten Weltkrieges stattgefunden hatte. 33.771 jüdische Bürger Kiews, vor allem Frauen und Kinder, wurden unter dem Deckmantel einer Evakuierungsaktion in die Schlucht gebracht und erschossen.
Babi Jar? Die Ukrainerinnen an der Rezeption hatten den Namen noch nie gehört. Der deutsche Reiseleiter bekannte, nie dort gewesen zu sein. Vielleicht lag es daran, dass es die Schlucht nicht mehr gab. Die zweieinhalb Kilometer lange, bis zu 50 Meter tiefe Felsspalte war nach 1957 aufgefüllt und mit einem "Kulturpark" getarnt worden. Erst seit 1991, nachdem die Ukraine unabhängig geworden war, erinnert eine große Menora an das Schicksal der Juden von Kiew.
Ein Blutbad unter Kindern
Leiter des Massakers war der SS-Offizier Paul Blobel. Nur wenige Wochen zuvor hatte das von ihm befehligte Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C bereits in Belaja Zerkow, etwa 80 Kilometer südlich von Kiew, ein Blutbad angerichtet - und dabei nur halbe Arbeit geleistet. Denn noch war es für die SS nicht Routine, auch kleine Kinder zu erschießen. Etwa 90 Säuglinge und Kleinkinder unter fünf Jahren wurden von den zur Exekution getriebenen Eltern getrennt und in einem Haus unversorgt zurückgelassen.
Oberstleutnant Helmuth Groscurth von der durchziehenden 295. Infanteriedivision protestierte scharf beim Befehlshaber der VI. Armee, Generalfeldmarschall von Reichenau. Doch der rügte nur seine Ausdrucksweise und ordnete an, die begonnene Aktion "in zweckmäßiger Weise" zu Ende zu führen. Die Einsatzgruppen gingen dazu über, die Kinder gemeinsam mit den Eltern zu ermorden.
In Belaja Zerkow war eine Gruppe des Stabsgeschwaders 77 im August 1941 stationiert. Musste mein Vater als Quartiermeister des IV. Fliegerkorps nicht zwangsläufig dort zu tun gehabt haben? Berichte über den Skandal der Kinder von Belaja Zerkow verbreiteten sich in der Wehrmacht wie ein Lauffeuer. Es ist unwahrscheinlich, dass er meinem Vater nicht zu Ohren gekommen war. Zuvor lag sein Stab auch in Jassy und Balti, wo Tausende Zivilisten erschossen wurden. Ist das der Grund, warum drei Monate Krieg aus seinem Flugbuch getilgt sind? Hätten die vernichteten Seiten ihn eines Wissens überführt, das sein Gewissen belasten musste, so dass er sich in die Verleugnung flüchtete?
"Humanere Tötungsmethoden"
Im Flugbuch fand ich zwei weitere Schnittstellen des Holocaust mit dem Leben meines Vaters. Am 2. Januar 1942 flog er, wenn auch nur für wenige Stunden, Poltawa und Charkow an, Orte, wo die Ermordung der Juden zu jenem Zeitpunkt ihre grausamste Form annahm.
Mitglieder der Einsatzkommandos hatten begonnen, über die nervliche Belastung zu klagen. Ihre Pflicht sollte ihnen daraufhin, wie Himmler es ausdrückte, durch "humanere Tötungsmethoden als das Erschießen" erleichtert werden. "Humaner" nicht für die Opfer, sondern für die Mörder. Die "Lösung" war der Gaswagen, eine Gaskammer auf Rädern. Das vom Motor produzierte Kohlenmonoxid wurde in den abgedichteten Fahrgastraum des Kastenwagens abgeleitet. Der Prototyp war an russischen Kriegsgefangenen in Sachsenhausen "getestet" worden.
Die ersten dieser Fahrzeuge wurden im November 1941 in Poltawa in Betrieb genommen. Charkow war der zweite Ort, wo die Vergiftung der Opfer durch Gas zur Anwendung kam. Allein dort wurden von Dezember 1941 bis Januar 1942 15.000 Juden getötet. Die meisten wurden erschossen, doch die Gaswagen waren gleichzeitig im Einsatz, vorzugsweise für Kinder und Frauen. Diese Methode wurde für Auschwitz und die anderen Vernichtungslager übernommen.
Niemand kann bezeugen, was er nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Aber gab es nicht unmissverständliche Zeichen? Menschen mit Gepäck wurden durch die Straßen getrieben. Schüsse fielen, die nichts mit Kriegshandlungen zu tun hatten. Was hatte mein Vater seiner Frau in den Briefen, die zwei große Schubladen füllten, berichtet, von dem wir, seine Kinder, und die Nachwelt nichts erfahren durften?
Die Autorin verarbeitete die Suche nach der Geschichte ihres Vaters in dem Roman "Borysthenes - Landschaft und Trauma", der in Kürze als Ebook bei libri erscheint.>=====
18.10.2011: Hitlers "moderne Kunst": heroisch, bieder, lüstern, mit Hirschen im Mondschein und Bauernvenus
aus: Spiegel online: Kunsthistorische Datenbank: Wie Hitler das "Dritte Reich" dekorieren wollte; 18.10.2011;
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,792246,00.html
Bildertexte:
<1. So sahen sie aus, die sogenannten Großen Deutschen Kunstausstellungen der NS-Zeit: Hier ein Elch aus Gips des Bildhauers Harry Christlieb in der Schau von 1940.
2. Weibliche Akte in der Ausstellung von 1939: Frauen, die nichts anhaben, aber Vasen tragen, die Kugeln stoßen, die tanzen, baden, sich strecken, auf Laken liegen oder sich diese von den Schenkeln streifen - so manches diente als Vorlage für Postkarten, die an der Front verbreitet wurden.
3. Installationsansicht aus dem Jahre 1939, im Vordergrund Figuren aus Gips und Bronze, im Hintergrund Admiralsporträts: "Nur das Vollkommenste, Fertigste und Beste (...) was deutsche Kunst zu vollbringen vermag", wurde im Katalog versprochen.
4. Natürlich gibt es all die plumpen Heroen, die man von den wenigen bisher bekannten Darstellungen der NS-Kunst kennt,...
5. ...aber vieles ist trivialer, oft auch ordinärer als gedacht: Ölbild "Elche im Moor" von Herbert Schnürpel (gekauft von der Verwaltung der Höheren SS und Polizeiführer Danzig), flankiert von zwei Sandsteintieren von Erich Schmidt-Kabul in der Ausstellung von 1942.
6. Treppenhausansicht der Schau von 1938: Das Werftbild, das Walter Hemming unter dem Titel "Stätte deutschen Schaffens" malte, kaufte Adolf Hitler für 1800 Reichsmark,...
7. ...wie er auch 1940 Conrad Hommels Porträt "Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht" erstand. 25.000 Reichsmark war Hitler diese Darstellung seiner selbst wert.>
<Von Ulrike Knöfel
Zentralinstitut für Kunstgeschichte/ Jaeger und GoergenHeroisch, bieder, lüstern - bei den "Großen Deutschen Kunstausstellungen" zeigte der NS-Staat, wie er sich zeitgenössische Kunst vorstellte. Ein öffentlich zugängliches Online-Archiv präsentiert nun Ansichten dieser Verkaufsschauen und dokumentiert die Käufer: Adolf Hitler selbst war der beste Kunde.
Im Grunde, so sagen die Wissenschaftler aus München, sei es wohl nur ein Zufall, dass diese Fotoalben nicht irgendwann nach Kriegsende weggeworfen worden seien. Zu gern sei in der Kunstgeschichte ausgerechnet die jüngere Vergangenheit verdrängt worden, und so sei auch die Existenz all dieser Alben lange ignoriert worden.
Die Alben: Sechs wuchtige Bände, die Hüllen braunrot, alle bergen Sensationelles. Sie enthalten Aufnahmen, die veranschaulichen, wie Hitler sich die zeitgenössische Kunst wirklich wünschte. Denn es handelt sich um Ansichten aus den sogenannten Großen Deutschen Kunstausstellungen in München.Man könnte nach einem Blick auf die Fotos sagen: Die Kunst dieser Schauen war noch trivialer, oft auch ordinärer als gedacht. Niemand kaufte davon so viel ein wie Hitler selbst, Millionen gab er aus. Und auch das Volk kam, meist zu Hunderttausenden. Es machte sich schick, trug Hut, drängte in die Schauen, und gelegentlich leistete es sich Kunst. Später verschwieg man gern die Herkunft seiner Sofagemälde.
Balletttänzerinnen, Blumenbouquets, Mondscheinhirsch
Jahrzehntelang standen auch die Alben weitgehend unbeachtet im Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte, wer unter den Forschern wollte sich schon der unschönen Verbindung von Kunst und Nazizeit annehmen? Vor einigen Jahren dann haben sich Wissenschaftler des Institutes mit Kollegen aus dem Haus der Kunst in München und dem Deutschen Historischen Museum in Berlin zusammengeschlossen. Sie wollten diese und weitere Aufnahmen zu den "Großen Deutschen Kunstausstellungen" - kurz GDK - endlich ins Bewusstsein der Forschung rücken, nun machen sie sie sogar öffentlich zugänglich.
Das Ergebnis ist ein eindrucksvolles Online-Bildarchiv. Am Montag wurde es in München vorgestellt, am Donnerstagabend um 21 Uhr wird die Internetadresse freigeschaltet (www.gdk-research.de). Von 1937 an fanden diese Ausstellungen in jedem Sommer statt, zum letzten Mal 1944. Sie waren Verkaufsveranstaltungen, mit ihrer Kunst sollte das "Dritte Reich" dekoriert werden, und sie waren auch Nachweis für die angeblich kreativen Höhenflüge unter Hitler. Für solche Selbstfeiern des "Dritten Reiches" war das Haus der Deutschen Kunst (heute: Haus der Kunst) am Englischen Garten überhaupt gebaut worden.
Nur wenige der präsentierten Kunstwerke waren bisher in Abbildungen bekannt, wohl nicht mehr als ein Zehntel der insgesamt 12.550 Werke. Es waren immer dieselben Bilder, derentwegen man sich die NS-Kunst insgesamt monumentaler, auftrumpfender, handfester vorgestellt hatte. Natürlich kommt Hitler auf diesen Fotos selbst vor, vielfach, und dazu all die plumpen Heroen etwa eines Arno Breker, und es gibt auch eine Bronze, die einen Handgranatenwerfer zeigt. Dann sind da noch die Soldaten- und Kapitänszeichnungen eines Lothar-Günther Buchheim. Nur war da eben noch viel mehr.
Erstaunlich viel weibliche Erotik wurde produziert und diese anschaulich dargestellt, in großer Zahl lieferten die Künstler auch biedere oder heroische Landschaften, dazu Balletttänzerinnen, Blumenbouquets oder einen Hirsch im Mondschein. Hitler begeisterte sich etwa für das Bild eines Schützenkönigs. Albert Speer, der Reichsarchitekt, erwarb unter anderem ein Landschaftsgemälde mit dem Titel "Rübezahls Reich", Außenminister Joachim von Ribbentrop leistete sich neben anderen Stücken ein sehr nacktes "Erwachen". Joseph Goebbels entschied sich für eine "Bäuerliche Venus": Nach Hitler war der Propagandaminister der beste Kunde.
Einige Künstler versuchten, an die bürgerliche Motivik des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen, doch was machten sie daraus? Landschaften, Blumensträuße, alles sehr oberflächlich, und immer wieder weibliche Akte: Frauen, die nichts anhaben, aber Vasen tragen, die Kugeln stoßen, die tanzen, baden, sich strecken, auf Laken liegen oder sich diese von den Schenkeln streifen. Sie wurden in Öl gemalt, sie wurden in Bronze gegossen oder als Porzellanfigürchen geformt, so manches diente als Vorlage für Postkarten, die an der Front verbreitet wurden.
15.000 Reichsmark für die Bauernvenus
In der Datenbank wird das Bildmaterial - und das ist ein Teil der Sensation - mit Details zu Preisen und sogar zu Käufern ergänzt, sofern es sich nicht um Privatleute handelte. Die Angaben stammen vorwiegend aus alten Kontenbüchern. Speer bezahlte für "Rübezahls Reich" 4000 Reichsmark, Goebbels für seine Bauernvenus 15.000.
Die erste "Große Deutsche Kunstausstellung" löste vorab allerdings einen Streit aus; Hitler war aus Berlin angeflogen, zeigte sich mit der Auswahl unzufrieden. "Der Führer tobt vor Wut", notierte Goebbels im Tagebuch. Also wurde umgehängt. Doch dann, im Juli 1937, herrschte der ungebrochene Hochmut. Im begleitenden Katalog von damals heißt es: "So ist klar, daß die einzige gesamtdeutsche Kunstausstellung - dies ist nach dem Willen des Führers jetzt und für alle Zeiten die alljährliche Ausstellung im Haus der Deutschen Kunst zu München - nur das Vollkommenste, Fertigste und Beste zeigen kann, was deutsche Kunst zu vollbringen vermag."
Hitler wollte den neuen Menschen, und in der Kunst bekam er ihn, glatt und bieder, manchmal ein wenig lüstern. Der im Katalog formulierte hohe künstlerische Anspruch wurde in keiner der Schauen eingehalten, im Gegenteil. Alles wurde einem biederen Realismus unterworfen, vieles wurde gnadenlos verkitscht, das gilt selbst für die Darstellung eines Kriegsversehrten.
Und doch, die Ästhetik sei weniger einheitlich als gedacht, sagen die Münchner Forscher Christian Fuhrmeister und Stephan Klingen vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Zu groß sei die Masse an Kunst, zu groß die Zahl der Beteiligten gewesen.
Die Kunst der zehner und zwanziger Jahre hatte bewiesen, wie aufregend Kunst in Deutschland sein konnte. Nach 1933 war nur noch erlaubt, was die Ideologie der Nazis stützte. Die besten Künstler mussten flüchten, ins äußere oder innere Exil. Die Banalität des verbleibenden Rests offenbart nun das Online-Archiv.>
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20.10.2011: Die Kunst aus der "Grossen Deutschen Kunstausstellung" 1938-1944 - jetzt auf
http://www.gdk-research.de/db/apsisa.dll/ete
aus: Welt online: Neue Datenbank: Hitlers Mythos der Nazi-Kunst - freigeschaltet; 20.10.2011;
http://www.welt.de/kultur/history/article13669404/Hitlers-Mythos-der-Nazi-Kunst-freigeschaltet.html#
Beispiele mit Skulpturen und Malereien
Elch aus Gips 1940 [1]
Weibliche Akte 1939 [2]
Gips-Bronze-Portraits 1939 [3]
Männerstatuen 1939 [4]
Elche im Moor 1942 [5]
Werftbild im Treppenhaus 1938 [6]
Hommel, Bild "Der Führer" 1940 [7]
Bildertexte:
<1. Perfekt gemalte Menschen, Tiere, Landschaften wie "Die Scholle" von Max Bergmann galten als Inbegriffe "deutscher Kunst".
2. Gerade einmal zehn bis 15 Prozent aller Bilder boten gezielt propagandistische Motive, zeigt die Recherche des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München – "Winternacht über der Königshütte" (1940) von Günther Domnich.
3. Wenige Monate nach seiner Machtergreifung legte Hitler im Oktober 1933 am "Tag der Deutschen Kunst" den Grundstein für das "Haus der Deutschen Kunst". Dabei wurde ein Modell in einem Festzug durch München getragen.
4. 1937 wurde das "Haus" eingeweiht.
5. Hitler nutzte den Festakt für die programmatische Ansprache: "Das nationalsozialistische Deutschland will wieder eine ,deutsche Kunst', und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein."
6. Die Ausstellung zeigte allerdings, dass es einen einheitlichen "deutschen" Stil gar nicht gab.
7. Eine ihrer Ikonen: "Die vier Elemente" von Adolf Ziegler.
8. Ziegler, Präsident der Reichskammer der Bildenden Künste, wetterte gegen die sogenannte "entartete Kunst", der er 1941 zum Beispiel ein Hitler-Proträt entgegenstellte.
9. Um die monumentalen Skulpturen Arno Brekers entzündete sich in den 80ern ein Streit: Dürfte diese Kunst überhaupt noch gezeigt werden?
10. Während Breker im Großsammler Peter Ludwig einen einflussreichen Fürsprecher fand, verschwand die Darstellung der "Reichswerke Hermann Göring Hochöfen im Bau" (1940) von Franz Gerwin in den Magazinen.
11. Manche Motive erfreuen sich allerdings nach wie vor einer gewissen Nachfrage.>
Der Artikel:
11.000 Kunstwerke von 2500 Künstlern schmückten von 1937 bis 1944 die "Großen Deutschen Kunstausstellungen". Jetzt sind sie online zu besichtigen.Irgendjemand, vielleicht Okwui Enwezor, der neue Chef, wird am Donnerstagabend im Haus der Kunst in München auf eine Computertastatur tippen. Er wird ein Passwort eingeben, anschließend die Return-Taste drücken, und schon sind rund 11.000 Fotografien für das Internet freigeschaltet. Wer danach die Adresse www.gdk-research.de aufruft, wird auf dem Monitor Tausende von Kunstwerken anklicken können, an denen kaum etwas auffällt außer der ungeheuren Langeweile, die sie ausstrahlen.
Was die Nazis "deutsche Kunst" nannten.Da sind perfekt gemalte Landschaften ohne Ende, altertümelnde Genreszenen, Porträts von Arbeitern und Bauern, Stillleben, Familienbilder. Viele sind schwarzweiß zu sehen, manche in seltsam blassen Farben. Zum Teil liegt das daran, dass die Aufnahmen fast ein Dreivierteljahrhundert alt sind; vor allem aber daran, dass knallige Farben im Nationalsozialismus nicht sonderlich geschätzt wurden. Künstler, die sie verwendeten, galten als „entartet“.
Zeitlos mittelmäßig und banal
Die 11.000 Kunstwerke von rund 2500 Künstlern, deren Abbildungen ab Freitag weltweit abgerufen werden können, hingen zwischen 1937 und 1944 in den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“. Für diese jurierten Leistungs- und Verkaufsausstellungen nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts hatte Hitler das Haus der Deutschen Kunst am Hofgarten ab 1933 bauen lassen.
„Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus“, hatte der Diktator bei der Eröffnung erklärt, „hat es in Deutschland eine sogenannte ‚moderne‘ Kunst gegeben, das heißt also, wie es schon im Wesen dieses Wortes liegt, fast jedes Jahr eine andere. Das nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine ‚deutsche Kunst‘, und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein.“
Mit dieser eher dürren Definition schuf Hitler 1937 die Basis für den Mythos von der so genannten „nationalsozialistischen Kunst“. Tatsächlich hat es sie nie gegeben – jedenfalls nicht im Hinblick auf einen einheitlichen Stil oder vorgegebene Motive. Würde man diese Bilder heute wieder auf einer Verkaufsausstellung zeigen, würden viele von ihnen einen Käufer finden. Sie sind nicht zeitlos schön, auch nicht zeitlos gelungen – aber so zeitlos mittelmäßig und banal, dass sie bis heute in jedes dritte spießbürgerliche Wohnzimmer passen.
Ein erster Blick in die neue Datenbank zu den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“, die in den vergangenen zwei Jahren unter Federführung des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte programmiert wurde und nun am Donnerstagabend freigeschaltet wird, bestätigt diese Einschätzung. Gerade einmal zehn bis fünfzehn Prozent der gezeigten Kunstwerke hatten gezielt propagandistische Motive. Natürlich gibt es die Bilder von U-Boot-Kommandanten, stürmenden und verwundeten Soldaten. Natürlich tauchen immer wieder die Baustellen des Prestigeprojektes Reichsautobahn auf, die sogar in eigenen Bildbänden zusammengefasst wurden.
Und natürlich gab es auch die Porträts der Staats- und Parteigrößen – bis hin zur Darstellung Hitlers als weißer Ritter mit Standarte. Und es gibt jene Bilder, deren Propagandagehalt erst auf den zweiten Blick offensichtlich wird: wenn zum Beispiel im Bild einer blonden deutschen Familie die künftigen Rollen der Kinder – des Mädchens mit Puppe als Mutter, des Jungen mit Holzpferd als Bauer wie sein Vater – klar definiert sind. Oder wenn erst der Bildtitel eine Landschaft mit Arbeitern als Granitbrüche mit Häftlingen beim Konzentrationslager Flossenbürg ausweist.
Wider die Mystifizierung
Dass in den vergangenen Jahren immer wieder vor allem diese Werke in Ausstellungen gezeigt wurden, hat allerdings den Gesamteindruck von der Kunst im Nationalsozialismus verfälscht. 1987 noch löste der 50. Jahrestag der Schmähaktion und -ausstellung „Entartete Kunst“ eine große Debatte über die Frage aus, ob Kunst aus der NS-Zeit überhaupt wieder gezeigt werden durfte.
Klaus Staeck, heute Präsident der Akademie der Künste in Berlin, gab damals einen Sammelband mit Positionen zur Frage „Nazi-Kunst ins Museum?“ heraus und wandte sich damit vor allem gegen eine Forderung des Kölner Marmeladenunternehmers und Großsammlers Peter Ludwig. Er und seine Frau Irene hatten sich gerade für viel Geld von Hitlers Lieblingsbildhauer, dem willfährigen Arno Breker, porträtieren lassen und schlugen nun nicht allein deren Präsentation im Museum vor.
Ausstellungen von Kunst der NS-Zeit, lautete damals das Fazit der Beiträger, sollten auf jeden Fall stattfinden, um einer Mystifizierung der Werke entgegenzuwirken und den betroffenen Künstlern keinen Märtyrerstatus zu geben. Wie schlecht und angepasst und wenig wagemutig diese Kunst war, würden die mündigen Besucher schon selbst feststellen. Eine feste Integration in museale Dauerausstellungen aber dürfe es nicht geben.
Ein „Tabu“, als das er erst gerade wieder bezeichnet wurde, war der Umgang mit der NS-Kunst spätestens seit damals nicht mehr. An der Ruhr-Universität Bochum veranstaltete Joachim Petsch regelmäßig Seminare zum Thema. Ausstellungen folgten – zum Beispiel 1992 in Bonn, 2000 in Braunschweig oder 2007 im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Gezeigt allerdings wurde, beispielsweise in Berlin, nur, was auch richtig böse aussah: Jenes Zehntel Propagandakunst eben, mit dem die Ablehnung der Auseinandersetzung mit der Kunstproduktion jener Zeit gut begründet werden konnte.
Viel mehr allerdings kannte man lange Zeit auch gar nicht. Die Werke selbst waren in den Giftschränken deutscher, britischer und amerikanischer Museen weggesperrt. Und an fotografischen Aufnahmen kannte man auch nur jene propagandistischen Hauptwerke, die in den Hauptsälen im Haus der Kunst hingen. In den Nebenkabinetten, den Treppenaufgängen, dem Obergeschoss hatte kaum jemand fotografiert.
Hitler kaufte für sieben Millionen Reichsmark
Bis auf das Fotoatelier Jaeger und Goergen, die im Auftrag der Ausstellungsleitung jeweils alle Räume und Werke systematisch durchfotografierten und selbst dann wiederkamen, wenn ein Bild oder eine Plastik verkauft und gegen ein neues Werk ausgetauscht worden war. Erst jetzt sind die Fotoalben ausgewertet und gescannt worden, die dem Haus der Kunst zwischen 1938 und 1944 übergeben wurden. In akribischer Kleinarbeit haben die Wissenschaftler des Zentralinstituts für Kunstgeschichte den Saalaufnahmen die abgebildeten Werke und mit Hilfe erhaltener Kontenbücher auch Preise zugeordnet.
Rund 6000 der 11.000 Arbeiten fanden in den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ Käufer. Etwa tausendmal hieß er Adolf Hitler, der in München für Privat- und Amtsräume im Wert von fast sieben Millionen Reichsmark einkaufen ließ.
Mit der Datenbank zu den Großen Deutschen Kunstausstellungen, an der neben dem Haus der Kunst und dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte auch das Deutsche Historische Museum beteiligt war, hat sich die Debatte von 1987 fast ein Vierteljahrhundert auf sehr elegante Weise erledigt. Die Kunst der NS-Zeit wurde weiter enttabuisiert, der Zugang zu ihr über das Internet demokratisiert, ohne dass diese Auftrags- und Gebrauchskunst auch nur annähernd museale Weihen erhält. Und dass irgendjemand noch vor diesen Werken geschützt werden müsste, glaubt ohnehin niemand, der sich auch nur fünf Minuten in der Datenbank bewegt hat.>
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19.12.2011: <Drittes Reich: Hitler gab nicht "den" Befehl zum Holocaust> - das System war der Befehl
aus: Welt online; 19.12.2011;
http://www.welt.de/kultur/history/article13759672/Hitler-gab-nicht-den-Befehl-zum-Holocaust.html
Lange haben Historiker erfolglos nach Hitlers Weisung für den Völkermord gesucht. Es gab sie nicht, weil sie im System des Dritten Reiches nicht notwendig war.>
[...]
[Hitler liess die unteren Ebenen schalten und walten, wie sie wollten]
Diese und viele weitere einzelne Ereignisse zeigen deutlich, dass der Holocaust nicht auf eine zentrale Weisung Hitlers zurückging, sondern sich zwischen Sommer 1941 und Frühjahr 1942 schrittweise entwickelte. Als wohl erster hat darauf schon Mitte der Siebzigerjahre der Bochumer Historiker Hans Mommsen hingewiesen, der wichtigste NS-Spezialist seiner Generation. Zwar habe Hitler ohne Zweifel gewusst und gebilligt, was zunächst im besetzten Polen und der westlichen Sowjetunion geschah. Jedoch überließ er wie auch fast immer sonst die Initiativen unteren Ebenen.
Hitlers polykratische Herrschaft
Das hatte nichts damit zu tun, dass der Diktator nicht formal Verantwortung für die Verbrechen übernehmen wollte. Vielmehr entsprach es ohnehin seinem Herrschaftsstil, den Dingen ihren Lauf zu lassen und Entscheidungen nur dann zu fällen, wenn unterschiedliche Interessen das unausweichlich erscheinen ließen. Genau nach diesem, in der Fachsprache der Geschichtswissenschaft „polykratisch“ genannten Prinzip funktionierte das gesamte Dritte Reich von 1933 bis 1945.
Deshalb brauchte es gar keine Hitler-Weisung, um den Massenmord umzusetzen – das geschah aufgrund von regionalen Initiativen der SS und (vor allem im besetzten Jugoslawien) der Wehrmacht. An der zentralen Rolle des Diktators ändert das nichts, denn ohne die von höchster Seite stets signalisierte Zustimmung zur Menschenvernichtung wären die mittleren Befehlshaber vor Ort wohl nicht darauf gekommen, ihr grausames Geschäft bis zur äußersten Konsequenz zu treiben. Jede Suche nach dem einen Hitler-Befehl wird also erfolglos bleiben: Es hat ein solches Papier niemals gegeben, es war gar nicht nötig.>
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8.1.2012: <Frühere Sowjet-Länder lagern deutsche Beutekunst> - die Duma erklärte Beutekunst zu "russischem Eigentum"
aus: Basler Zeitung online; 8.1.2012;
http://bazonline.ch/kultur/kunst/Fruehere-SowjetLaender-lagern-deutsche-Beutekunst/story/20406797
«Von den insgesamt rund eine Million verbliebenen Werken haben etwa 200'000 einen hohen musealen Wert», sagte der Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, der Nachrichtenagentur dpa.
Eine Aussicht auf Rückgabe bestehe nicht, weil ein Duma-Gesetz die nach dem Krieg aus Deutschland abtransportierten Kunst- und Kulturwerke zu russischem Eigentum erklärt. Deutschland hält das für völkerrechtswidrig.
Berliner Museumsinsel wäre leer
Allerdings habe es in den 50er Jahren eine grosse Rückgabeaktion an die DDR gegeben, sagte Parzinger. Von den ursprünglich 2,5 Millionen geraubten Werken seien 1,5 Millionen zurückerstattet worden, darunter der im damaligen Leningrad gelagerte Pergamonaltar. Ohne diese Rückgabeaktion von damals wäre die Berliner Museumsinsel heute leer, sagte Parzinger.
Im sogenannten Deutsch-Russischen Museumsdialog bemühen sich laut Parzinger beide Seiten, die geraubten Objekte zu erfassen und ihren Verbleib zu dokumentieren. Zudem arbeitet Deutschland an Ausstellungen in Russland mit, bei denen auch Beutekunst aus dem Bestand der Staatlichen Museen zu Berlin gezeigt wird.
«Wir dokumentieren damit unsere Verantwortung», sagte Parzinger. «Solange eine politisch-juristische Lösung nicht in Sicht ist, wollen wir alles dafür tun, diese Sammlungsbestände wenigstens für die internationale Forschung zugänglich zu machen und bei Ausstellungen in Russland auch der Öffentlichkeit zu zeigen.» (sda)>========
23.4.2012: Albert Göring, Judenhelfer gegen den Bruder Hermann Göring - und am Ende eine Flucht
Albert Goering, Portrait [8]
aus: Spiegel online: Bruder des NS-Verbrechers: Der gute Göring; 23.4.2012;
http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/24684/goerings_bruder.html
Buchempfehlung: William Hastings Burke: "Hermanns Bruder - Wer war Albert Göring?". Aufbau Verlag, Berlin 2012, 237 Seiten.
Texte der Bilderstrecke:
<1. Bonvivant: Während sein prominenter Bruder Hermann durch sein wuchtiges und autoritäres Auftreten auffiel, lebte Albert Göring (Foto etwa von 1936) still und zurückgezogen. Der kultivierte Lebemann liebte die Musik und die Frauen. Hermann beschrieb ihn auch als "schwermütig und pessimistisch".2. Der gute Bruder: Albert Göring, hier im Schützengraben während des Ersten Weltkriegs, lehnte von Anfang an den Nationalsozialismus ab und konnte dank seines Nachnamens Dutzende Verfolgte des NS-Regimes retten. "Im Herbst 1939 wurden mein Mann und dessen Sohn aus erster Ehe verfolgt. Herrn Göring gelang es, statt einer KZ-Inhaftierung ihre Ausweisung nach dem Ausland zu erwirken", gab später eine Frau namens Alexandra Otzop zu Protokoll.
3. Schuldig in allen Anklagepunkten: Von den Alliierten gefangen musste sich Hermann Göring, Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher der Anklage stellen. Er wurde in allen Punkten der Anklage schuldig gesprochen. Das Urteil lautete "Vollstreckung des Todes durch den Strang".
Seiner Hinrichtung kam Hermann Göring zuvor, indem er sich im Oktober 1946 in seiner Zelle das Leben nahm. Wenige Monate vor seinem Selbstmord hatte er Albert das letzte Mal gesehen. "Nimm dich meiner Frau und meines Kindes an", soll er seinen Bruder bei diesem Treffen gebeten haben.
4. Ehepaar Göring: Viermal war Albert Göring verheiratet - hier eine Aufnahme mit seiner dritten Frau, der tschechischen Schönheitskönigin Mila Klazarova. Für die 20 Jahre jüngere Mila hatte Albert Göring seine an Lungenkrebs erkrankte Frau Erna verlassen, als diese im Sterben lag. Aus der Ehe mit Mila ging Alberts einziges Kind, seine Tochter Elizabeth, hervor.
5. Alberts Liste: In alphabetischer Reihenfolge, mit Angabe ihres Berufs, ihrer Staatsangehörigkeit und ihres früheren Wohnorts, notierte Albert Göring auf fünf Seiten die Namen jener 34 Menschen, die er vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten bewahrt und damit womöglich das Leben gerettet hatte. Etliche von ihnen waren Juden; einige waren bereits in Konzentrationslagern interniert gewesen. Viele Überlebende oder deren Angehörige bestätigten Jahre nach dem Krieg die Hilfe Albert Görings.
Albert Göring, die Liste der Geretteten, u.a. Juden [8]
6. Inhaftiert: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Albert Göring zunächst monatelang von den Amerikanern festgehalten und verhört und dann wegen möglicher Kriegsverbrechen in Tschechien angeklagt. Weil viele seiner ehemaligen Kollegen bei Skoda und andere, denen er geholfen hatte, vor Gericht zu seinen Gunsten aussagten, wurde Albert Göring im März 1947 freigesprochen. Er kehrte daraufhin nach Deutschland zurück, 19 Jahre später starb er verbittert und verarmt in einem Münchner Vorort.
7. "Privilegierte Mischehe": Der Komponist Franz Lehár, der Hitlers Lieblingsoperette "Die lustige Witwe" geschrieben hatte, mit seiner jüdischen Frau Sophie Paschkis in ihrem Garten im österreichischen Bad Ischl, Juni 1945.
Eines Tages stand bei den Eheleuten Lehár die Gestapo vor der Tür. Wäre ihr Mann nicht daheim gewesen, hätten die zwei SS-Männer sie vermutlich gleich mitgenommen. Nach diesem Vorfall erhielt Franz Lehár ein Schreiben, in dem er aufgefordert wurde, sich scheiden zu lassen - andernfalls werde er als Nicht-Arier eingestuft, was ein Verbot all seiner Werke bedeutet hätte.
Albert Göring konnte das verhindern: Er berichtete seinem Bruder von Lehárs Situation. Hermann Göring wandte sich daraufhin an Goebbels, der die Ehe der Lehárs schließlich als "privilegierte Mischehe" heraufstufte - das bewahrte Sophie vor der Deportation.
8. Riskante Verbindung: Auf Platz 26 führte Albert Göring auf seiner Liste der Geretteten den Namen Porten auf. Die Schauspielerin Henny Porten, eine der ersten Filmstars Deutschlands, war aufgrund ihrer Heirat mit dem jüdischen Arzt Wilhelm von Kaufmann-Asser ins Visier der Nationalsozialisten geraten. Gemäß der Rassegesetze war sie durch ihre Ehe mit einem Juden ebenso ein "Untermensch". Ihre Filme wurden boykottiert und ihr drohte der finanzielle Ruin - dank seines Einflusses konnte Albert Göring dies verhindern.
9. Familiendomizil: Das 24 Zimmer umfassende Herrenhaus der Burg Veldenstein in Mittelfranken bewohnten die Görings mit ihren Kindern. Albert und Hermann besuchten die Schulen in den nahe gelegenen Orten Neuhaus und Velden.
Die Wehranlage am südlichen Ende des Veldensteiner Forsts gehörte eigentlich dem Stabsarzt Hermann von Epenstein. Als Taufpate der Söhne Albert und Hermann überließ er den Eltern die herrschaftliche Residenz, als er diese bis 1914 zehn Jahre lang renovieren ließ.
10. Verliebt: Hermann Göring billigte die Beziehung seines Bruders zu der Tschechin Mila nicht, für ihn war Alberts dritte Ehefrau ob ihrer slawischen Herkunft nur ein "Untermensch". Dennoch heirateten Albert und Mila am 23. Juni 1942 in Salzburg - sein Bruder Hermann kam nicht zur Hochzeit.
11. Skoda-Werk in Pilsen: Der diplomierte Maschinenbauer Albert Göring übernahm Ende 1939 die Exportleitung der Skoda-Werke im tschechischen Brünn. Aus dieser Position heraus soll er KZ-Gefangene aus Theresienstadt befreit haben - mit der Begründung, er brauche die Juden als Fabrikarbeiter.
Die US-Amerikaner vermuteten nach seiner Festnahme indes, Albert Göring habe als Exportchef an der Waffenproduktion des Maschinenbauunternehmens mitgewirkt. Göring stritt diesen Vorwurf hartnäckig ab: Er habe damit "überhaupt nichts zu tun" gehabt - außer die Zahlungen entgegenzunehmen.
12. Einer von 34: Auf Alberts Liste standen die Namen vieler hochrangiger und einflussreicher Persönlichkeiten - an zwölfter Stelle der des Erzherzogs Joseph Ferdinand Salvator von Österreich-Toskana (Foto von 1895). Drei Monate musste der Erzherzog 1938 im KZ Dachau verbringen, das er wohl auch aufgrund der Intervention Albert Görings wieder verlassen konnte.
13. Sascha-Filmfabrik: Auch Oskar Pilzer, Präsident der Tobis-Sascha-Filmindustrie - hier der ehemalige Sitz in Wien-Neubau -, sowie deren Direktor, Wilhelm Grüss, schützte Albert Göring vor der Deportation. Nach ihrer Verhaftung ließ Göring seine Kontakte spielen und konnte ihre Freilassung bewirken.
Die jüdischen Filmmogule, die Tobis-Sascha zur größten Filmproduktionsgesellschaft Österreichs aufgebaut hatten, handelten sich mit ihrer Position die Missgunst der Nationalsozialisten ein. Sie verboten die Filme des Wiener Unternehmens und übernahmen 1938, als Österreich an das Deutsche Reich "angeschlossen" wurde, die Firma.
14. Autor Burke: Der gebürtige Australier William Hastings Burke, der derzeit in London lebt, begann bereits mit 18 Jahren, sich für den unbekannten Bruder Hermann Görings zu interessieren. Nach seinem Studium zog er nach Freiburg, von wo aus er sich auf die Spuren Albert Görings begab.
Burke durchforstete Archive und interviewte die Angehörigen von Görings 34 Geretteten, seine Forschungsergebnisse fasste er 2009 in einem Buch zusammen. Im Mai dieses Jahres wird es unter dem Titel "Hermanns Bruder - Wer war Albert Göring?" auf Deutsch erscheinen. >
Der Artikel:
Hermann Göring war einer der mächtigsten Männer des NS-Staates und glühender Antisemit - doch jahrelang torpedierte ausgerechnet ein Familienmitglied die Politik des Hitler-Bewunderers: der eigene Bruder. Ein Buch beschreibt jetzt, wie Albert Göring Dutzenden Juden das Leben rettete - und dem Regime am Ende nur knapp entkam.
Von Christoph Gunkel
Sie wollten die alte Frau demütigen. Die Menge in der Wiener Innenstadt johlte, als die SA-Männer ihr das Schild mit der Aufschrift "Ich bin eine Saujüdin" umhängten. Dann kam dieser großgewachsene Mann mit der hohen Stirn und dem dichten Schnauzer, er boxte sich wütend durch den Mob und befreite die Frau. "Dabei kam es zum Handgemenge mit zwei SA-Männern; ich schlug sie und wurde zugleich verhaftet", gab der Retter später nüchtern zu Protokoll.
Trotz des offenen Widerstands wurde der Mann sofort wieder freigelassen. Dazu brauchte er nur zwei Worte - seinen Namen: Albert Göring. Bruder von Reichsmarschall Hermann, dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Hitlers engstem Vertrauten.
Jahre später, das "Dritte Reich" war gerade untergegangen, sitzt Albert Göring erneut in Haft, diesmal in US-amerikanischer. Wieder nennt er seinen Namen. Doch diesmal bewirkt er das Gegenteil.
"Das Ergebnis der Vernehmung von Albert Göring", notiert US-Ermittler Paul Kubala am 19. September 1945 zornig, "ist einer der plattesten Versuche der Ehrenrettung und Reinwaschung, die das SAIC (Seventh Army Interrogation Center) je erlebt hat." Alberts "Mangel an Raffinesse" lasse sich "allenfalls noch mit der Körpermasse seines fettleibigen Bruders vergleichen." Und auch Kubalas Dolmetscher Richard Sonnenfeldt war skeptisch. "Albert erzählte eine faszinierende Geschichte, an die ich damals nicht recht glauben mochte."
Görings Bruder ein Widerstandskämpfer, kann das sein?
Das Leben von Hermann Görings jüngerem Bruder ist in der Tat eine faszinierende Geschichte, die auch fast sieben Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Diktatur nahezu unbekannt ist. Vielleicht liegt es daran, dass einen noch heute reflexartig derselbe Unglaube befällt wie 1945 die US-Fahnder: Kann das denn wirklich sein, dass der Bruder von Hermann Göring ein Widerstandskämpfer war? Ein Menschenfreund, ein Judenretter, der Dutzenden Verfolgten mit Devisen und falschen Ausweisen half und sogar für die Entlassung von KZ-Internierten sorgte?
"Nun sind es vier Monate, seit ich der Freiheit beraubt worden bin", schrieb Albert Göring im September 1945 betrübt in einem Brief an seine Frau, und das, "ohne zu wissen, warum". Freiwillig hatte er sich am 9. Mai 1945 den Amerikanern gestellt. Jahrelang hatte er versucht, die Politik seines Bruders im Kleinen zu hintertreiben. Jetzt fühlte er sich betrogen.
Also nahm er Stift und Papier und schrieb in alphabetischer Reihenfolge 34 Namen auf. Der Titel seiner Liste: "Menschen, denen ich bei eigener Gefahr (dreimal Gestapo-Haftbefehle!) Leben oder Existenz rettete".
Eine verstaubte Liste
Jahrzehntelang verstaubten diese Liste und die wenigen Dokumente, die es über Albert Göring gibt, in den Archiven. Hermann Görings Leben wurde bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet - von seiner Morphinabhängigkeit, seiner Rolle als Kunsträuber bis hin zu seinem Wirken als Reichsjägermeister. Albert Göring hingegen geriet in Vergessenheit.
Schließlich waren es Journalisten, nicht renommierte Historiker, die den jüngeren Bruder erstmals einer etwas breiteren Öffentlichkeit bekanntmachten. 1998 drehte ein britisches Filmteam die Dokumentation "The Real Albert Göring". Auf sie stieß im fernen Sydney auch William Hastings Burke - eine Geschichte, die den damals 18-Jährigen jahrelang nicht mehr loslassen sollte. "Die Vorstellung, jenes Monster, das wir aus dem Geschichtsunterricht kennen, hätte einen Oskar Schindler zum Bruder gehabt, schien mir geradezu unglaublich", schrieb er später.
Also kratzte Burke nach Abschluss seines Wirtschaftsstudiums sein Geld zusammen und flog nach Deutschland. Er lebte in einer Freiburger WG, jobbte in einem Irish Pub - und machte sich ansonsten drei Jahre lang auf die Suche nach Albert Göring: Er durchforstete Archive und traf ehemalige Weggefährten oder Angehörige von Menschen, denen Albert Göring geholfen haben soll. Daraus ist 2009 ein Buch entstanden, das im Mai nun auch auf Deutsch erscheinen wird.
Es beschreibt einen Mann, der sich von seinem berüchtigten Bruder gar nicht mehr hätte unterscheiden können. "Er war stets das genaue Gegenteil von mir", gab Hermann nach dem Krieg zu Protokoll. "Er interessierte sich nicht für Politik oder das Militär; ich schon. Er war still, zurückgezogen; ich liebe Menschenansammlungen und die Geselligkeit. Er war schwermütig und pessimistisch, ich bin ein Optimist."
Der Bruder ist groß, schlank und ein Bonvivant
Auch äußerlich waren die Gegensätze so frappierend, dass es schon früh Gerüchte gab, Albert sei in Wahrheit das Ergebnis eines Seitensprungs seiner Mutter Franziska. Hermann war blauäugig, Albert hatte braune Augen. Hermann war gedrungen und dick, Albert groß und schlank. Hermann liebte den autoritären, bombastischen Auftritt, Albert war ein Bonvivant: musikalisch, kultiviert, charmant - ein Frauenheld, viermal verheiratet, immer für Affären zu haben.
Anfangs versuchte Albert lediglich, den Nationalsozialisten aus dem Weg zu gehen. Der diplomierte Maschinenbauer trat nicht in die NSDAP ein, ging als Verkaufsleiter von Heizungsboilern 1928 nach Wien und nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an. Doch die ihm so verhasste Großmachtpolitik, die sein ehrgeiziger Bruder vorantrieb, holte ihn mit dem "Anschluss" Österreichs 1938 auch dort ein.
Irgendwann wollte er nicht mehr weggucken. Sondern helfen. Etwa Menschen wie Oskar Pilzer, dem ehemaligen Präsidenten der Tobis-Sascha-Filmindustrie, der größten Filmproduktionsgesellschaft Österreichs. Pilzer war Jude. Das hatte den Nationalsozialisten den perfekten Vorwand geboten, Filme aus seinen Studios in Deutschland zu verbieten - um schließlich das schwächelnde Unternehmen selbst zu übernehmen. Als die Gestapo den gestürzten Filmmogul im März 1938 verhaftete, intervenierte Albert Göring.
Göring schrubbt aus Solidarität den Straßenboden
"Mit Hilfe seines Nachnamens", sagte Pilzers Sohn George später aus, "setzte Albert Göring alle Hebel in Bewegung, um erstens herauszufinden, wo mein Vater war, und zweitens für seine sofortige Freilassung zu sorgen."
Kein Einzelfall. Nach 1945 gab es etliche solcher Aussagen, etwa von Alexandra Otzop: "Im Herbst 1939 wurden mein Mann und dessen Sohn aus erster Ehe verfolgt. Herrn Göring gelang es, statt einer KZ-Inhaftierung ihre Ausweisung nach dem Ausland zu erwirken." Einmal soll Albert sogar aus Solidarität mit von der SA schikanierten Frauen den Wiener Straßenboden geschrubbt haben - auf allen vieren. Als er gefragt wurde, wer er denn sei, erschraken die Peiniger.
Während sein Bruder mit Hochdruck am Ausbau der Luftwaffe feilte, besorgte Albert falsche Papiere, warnte Freunde vor drohenden Verhaftungen und stattete Flüchtlinge mit Geld aus. Amtsträger schüchterte er immer wieder geschickt mit seinem Namen ein.
Eine bizarre Situation. Der überehrgeizige Hermann wusste von den Aktivitäten Alberts - und ließ ihn trotzdem gewähren. Später sagte Albert aus, sein Bruder habe ihm gesagt, es sei "seine Sache", wenn er Juden schützen wolle - Hauptsache, er bringe ihn damit nicht in "endlose Schwierigkeiten". Umgekehrt hatte Albert ein fast schizophrenes Verhältnis zu Hermann, indem er versuchte, zwischen der Privatperson und dem Staatsmann zu trennen. "Als Brüder standen wir uns nahe", sagte er.
Doch mit der Zeit ließ Albert Göring die eingeforderte Vorsicht fallen, zumal er seit Ende 1939 selbst eine einflussreiche Position bekleidete: Er war Exportleiter der Skoda-Werke im tschechischen Brünn. Von hier aus unterstützte er auch den tschechischen Widerstand, wie Aktivisten später beteuerten. Stimmen deren Aussagen, dann verriet Albert Göring nicht nur "die genaue Lage einer U-Boot-Werft", sondern auch den geplanten Bruch des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts. Die brisanten Informationen seien erfolgreich nach Moskau und London weitergegeben worden, sagten tschechische Widerstandskämpfer später aus.
Damit nicht genug: 1944 soll Göring KZ-Internierte aus Theresienstadt gerettet haben. "Er sagte: Ich bin Albert Göring, Skoda-Werke. Ich brauche Arbeiter", erzählte Jacques Benbassat, Sohn eines Weggefährten, später. "Er füllte die Lastwagen mit den Arbeitern. Der Leiter des Konzentrationslagers stimmte zu, weil es Albert Göring war. Der fuhr in den Wald und ließ sie frei."
Flucht nach Salzburg
Dass solche Geschichten nicht frei erfunden sein dürften, lässt sich auch einigen deutschen Aktennotizen entnehmen. So monierte die Prager Gestapo, Görings Büro in den Skoda-Werken sei "eine wahre Einsatzzentrale für 'arme' Tschechen". Und der General der Prager Polizei, SS-Obergruppenführer Karl Hermann Frank, hielt Albert Göring "mindestens für einen Defätisten übelster Art" und bat 1944, ihn wegen "schwerwiegender Verdachtsmomente" verhaften zu dürfen.
Der Fluchthelfer wurde nun selbst zum Gejagten. Mehrmals musste Hermann Göring für Albert intervenieren - und warnte ihn, dass er das bald nichts mehr tun werde. Denn mit jedem abgeschossenen Flugzeug sank auch der Stern des einst unantastbaren Luftwaffen-Chefs. Schließlich flüchtete Göring kurz vor Kriegsende ins österreichische Salzburg.
Noch einmal, im US-Gefangenenlager in Augsburg, trafen die beiden ungleichen Männer aufeinander. "Du wirst bald frei sein", soll Kriegsverbrecher Göring am 13. Mai 1945 zum Judenretter Göring gesagt haben. "Dann nimm dich meiner Frau und meines Kindes an. Leb wohl."
Während der in Nürnberg verurteilte Herrmann Göring seiner Hinrichtung im Oktober 1946 durch Selbstmord entging, war Albert Göring den Amerikanern immer noch suspekt. Sein Nachname wurde nun endgültig zum Fluch. Obwohl der letzte von mehreren Sachbearbeitern schließlich seine Entlassung empfahl, wurde Göring an die Tschechen ausgeliefert und in Prag wegen möglicher Kriegsverbrechen angeklagt. Schließlich gehörten zum Skoda-Konzern auch Waffenfabriken.
Erst als etliche ehemalige Skoda-Mitarbeiter für Göring aussagten, wurden die Vorwürfe fallengelassen und Göring im März 1947 freigesprochen. 1966 starb er in einem Münchner Vorort - als verarmter und verbitterter Mann. Der hochqualifizierte Ingenieur hatte im Nachkriegsdeutschland keine Stelle mehr gefunden. Zum Verhängnis geworden war ihm seine Verwandtschaft mit Hermann Göring, die ihm Jahre zuvor noch das Leben gerettet hatte.>
Teil 1 - 2 -
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