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Das Rheinwiesenlager Remagen-Niederbreisig

Deutscher Bericht Nr. 5 von Dolmetscherin Karin Loef

"Mit den Augen einer Frau gesehen"

präsentiert von Michael Palomino (2013)
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aus: Wolfgang Gückelhorn / Kurt Kleemann: Die Rheinwiesenlager Remagen und Sinzig. Helios-Verlag 2013, Aachen, helios-verlag@t-online.de;
www.helios-verlag.de; ISBN 978-3-86933-094-5, S. 102-103

Wortschatz

PWTE = zeitlich begrenztes / vorläufiges Kriegsgefangenenlager [Prisoner of War Temporary Enclosures]


<"Mit den Augen einer Frau gesehen" - Bericht von Karin Loef

"Von all den Kulminationspunkten der Kriegsgeschehnisse, die zum Teil im Laufe der Jahre fast schon dem Allheilmittel "Vergessen" angehören, gibt es doch noch immer den einen oder anderen, der nie verheilte Narben hinterlassen hat, die auch heute noch schmerzen. Dazu gehört mein folgendes Erlebnis:

[Sicht auf das Rheinwiesenlager Remagen von der anderen Rheinseite aus - die "Goldene Meile" ist wie eine tote Zone]

Kaum hatte man uns täglich zwei Stunden mittäglicher Ausgehzeit zugestanden, ging ich mit ein paar Freunden zur Erpeler Ley hinauf. dort stand ich im heilsten Sonnenschein gegen den Gedenkstein gelehnt, den man hier zur Erinnerung an den ersten Überflug des Grafen Zeppelin errichtet hat, und sah hinüber auf die sogenannte "Goldene Meile", wo sich das berüchtigte Gefangenenlager ausdehnte. Es war ein unbeschreiblich grausamer Anblick. Es hätte ein Breitwandfilm sein können aus einem biblischen Film des Alten Testamentes, das etwa die Heuschreckenplage zum Vorwurf hatte. Jegliche Vegetation schien vernichtet, man sah nur dicht aneinander gedrängte Menschenmassen, aus denen ein einziger Hilfeschrei gegen den Himmel zu steigen schien. Unter bitteren Tränen habe ich mir damals im Stillen geschworen, alles zu versuchen, um wenigstens ein wenig Hilfe, soweit es in meinen relativ schwachen Kräften stand, dort zu bringen. Gottlob war es mir dann später vergönnt, diesen Entschluss zu verwirklichen. Hierüber werde ich noch etwas zu berichten haben.

[Ehrenfriedhof in Bodendorf]

Lassen Sie mich an dieser Stelle jedoch zunächst einen Ausschnitt aus einem kleinen Artikel wiedergeben, den ich im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge hinsichtlich der Einweihung des Ehrenfriedhofes in Bodendorf schrieb und der sich mit den Opfern des Lagers am Rhein befasst:

"... Mein Herz, du irrst dich nicht: Es hat ein jeder Toter des Bruders Angesicht!"

So schrieb einst Heinrich Lersch in seinem Gedicht "Brüder", wohl kaum ahnend, dass in dem friedlichen Örtchen an der unteren Ahr, darin er selbst die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, schon im nächsten Jahrzehnt Brüder aus allen Teilen Deutschlands und auch Österreichs ihre wohlverdiente Ruhestätte finden würden. Hier liegen die Tapferen, eingebettet in heimatlicher Erde und doch fanden sie die letzte Heimstatt für ihre müden, von Leid gequälten Körper an einem Platze, den zuerst die Willkür einer fremden Besatzungsmacht aus der Not des Augenblicks bestimmte.

[Gedicht von Günter Eich]

In jenen Tagen des tragischen Frühjahrs 1945, in den Tagen der turbulenten Ereignisse gerade hier am deutschen Schicksalsstrome entstand am linken Rheinufer in der sogenannten Goldenen Meile zwischen Remagen und Sinzig ein unübersehbar grosses Kriegsgefangenenlager. Ein Lager, das für die Sieger des II. Weltkrieges keineswegs ein Ruhmesblatt bedeutet. Wäre die rheinische Erde dort ein tönender Resonanzboden, so würde sie heute noch widerhallen von den Seufzern, dem Stöhnen und Fluchen der Männer und Jünglinge, die hier dem Kriegsende entgegensahen. Der Lyriker Günter Eich beginnt sein Gedicht "Blick auf Remagen":
"Am Nachthimmel ungeheuer
Leuchtet der Widerschein
Der tausend Lagerfeuer
auf der Steppe am Rhein!"

Es war tatsächlich dort gar bald eine "Steppe geworden für Unzählige voller Resignation, für manchen aber auch mit Hoffnung gepaart, wie zum Beispiel für den Dichter, der fortfährt:
"Am zerschossenen Gemäuer
Weiss ich, grünt wieder der ein.
Werden mir jünger und neuer
Einmal die Stunden sein?"

[Der Massentod auch für Jugendliche und Alte]

Für viele, allzu viele aber sollte dieser Wein nicht mehr grünen, denn ausgestandene Strapazen und Entbehrungen, Hunger und Durst rafften sie dahin, obwohl die feindlichen Bomben und Granaten [S.102] sie bislang verschont hatten. Bedenkt man dabei, dass in der Totenliste jener Opfer des Lagers Remagen / Sinzig der jüngste Soldat ganze sechzehn Lenze zählte, während der älteste siebzig Lebensjahre hinter sich hatte, so enthüllt diese Tatsache wohl die ganze Tragik des Gottesackers an der Unterahr, der ihnen letzte Ruhe bot.

[Der Ehrenfriedhof in Bodendorf]

Hier in Bodendorf wurden bei der Anlage des Friedhofes im Jahre 1945 genau 1090 Kämpfer bestattet, von denen aber im Laufe der Zeit 69 in die Heimat überführt wurden. Während des Ausbaues der Ehrenstätte wurden dann aus den Kreisen Ahrweiler, Mayen und Neuwied noch 154 Tote zugebettet, bei denen es sich entweder um einzelne auf Dorffriedhöfen oder aber um an Feldern und Wegrändern bestattete Kriege handelte.

Am 1. Mai 1957 wies der Bodendorfer Ehrenfriedhof 1175 Belegungen auf, von denen 66 unbekannte "Brüder" sind. Es ist schon erwähnt worden, dass der Ursprung der Ehrenstätte auf eine Diktatur der Besatzungsmächte zurückzuführen ist. Tatsache ist aber auch, dass keine liebende Seele einen schöneren Platz gerade für diejenigen, die bereits die Schrecken des Krieges hinter sich hatten, hätte ausfindig machen können, denn hier schlafen sie friedlich inmitten einer der schönsten rheinischen Landschaften ...

Gönnen wir all denen, die auf diesem schönen Ehrenfriedhof in Bad Bodendorf liegen, ihren Frieden. Sie ruhen in rheinischer Erde, sie schlafen weitab vom lauten Verkehr in unmittelbarer Nähe der munter dahinfliessenden Ahr, in einer wirklich gesegneten Landschaft, die einen weiten Blick auf das Rheintal freigibt. Ein kleiner trutziger Turm an der Eingangspforte scheint treue Wacht zu halten. Er weist auf seiner Spitze einen kleinen güldenen Engel auf, der hoch über den Dingen schwebt und weithin leuchtet. Seine Botschaft lautet: Dass alle, die unter seiner Obhut liegen, nur Schläfer und keine Toten sind, denn "Alle die, die von dieser Welt gingen, sterben erst dann, wenn wir, denen ihre Liebe galt, sie vergessen!"

[Karin Loef ist amtliche Dolmetscherin bei den "Amerikanern" und später bei den Franzosen - Mehrarbeit mit Passierscheinen - Passierscheine für Gefangene]

Und nun geht es zum Schluss noch einmal zu mir. Wie bereits erwähnt, hatte ich meinen ursprünglichen Job als amtliche Dolmetscherin aufnehmen können, der mich zunächst mit den amerikanischen Besatzungstruppen zusammenbrachte, bis ziemlich plötzlich im Juni 1945 ein Umschwung kam, als die Amerikaner durch französische Truppen abgelöst wurden. Damit fiel eine grosse Mehrarbeit an. Dazu gehörte die Ausstellung von Passierscheinen für die englisch besetzte Zone im Raume Köln und Aachen, ausserdem die Pass- oder Übergangsmöglichkeiten für die nach und nach aus dem grossen Gefangenenlager in der "Goldenen Meile" nun zur Entlassung kommenden deutschen Soldaten. Und das war natürlich das, worauf ich schon fieberhaft gewartet hatte.

Heute kann ich natürlich nicht mehr sagen, wie viele Formulare ich damals ausgefüllt habe, um Landsern, die irgendwo in Deutschland beheimatet waren, aber noch nicht dorthin entlassen werden konnten und darum gern nach der britisch besetzten Zone wollten, auf diesem Weg geholfen habe, musste ich doch auf diesen Formularen bescheinigen, dass diese Männer in diesem oder jenem Ort am Niederrhein oder Westfalen ihren Wohnsitz hatten. Aus diesen Notlügen habe ich mir aber noch nie Gewissensbisse gemacht, trotzdem damals unsere Ortspolizisten, sofern sie mich sahen, immer augenzwinkernd summten: "Lauter Lügen!" Sie meinten ausserdem auch stets, das ich mindestens immer mit einem Bein schon im "Prison" gestanden hätte, aber dieser Kelch ist gottlob stets irgendwie an mir vorbeigegangen."

Quelle: "Remagener Nachrichten" (Amtsblatt der Stadt Remagen), Ausgabe Nr. 21 vom 24. Mai 1968, IX. Teil der Serie "Brückenkopf Remagen".> [S.103]


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Quellen


Fotoquellen


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