Russische
Notenbankchefin Nabiullina: Leitzins Ende 2014
von 10 auf 17% erhöht und freien Wechselkurs
eingeführt - Rubel gerettet:
Diese Frau rettet für Putin den Rubel
http://bazonline.ch/wirtschaft/geld/diese-frau-rettet-fuer-putin-den-rubel/story/15299155
Russland stand am Rande des
Kollaps – doch Zentralbankchefin Elvira
Nabiullina reagierte brillant. Trotzdem bleibt
ihre Rolle in Putins Universum nebulös.
Ans Jahresende 2014 wird sich Elvira
Nabiullina eher ungern erinnern. Der Kollaps
des russischen Finanzsystems schien nicht mehr
nur hämisches Gerede von Stimmungsmachern an
den Märkten, er war mit einem Schlag zum
Greifen nah.
Womöglich wären die Banken des
Landes binnen weniger Stunden kollabiert, wenn
Nabiullina falsch reagiert hätte. Hat sie aber
nicht. Die Notenbankchefin zog die Notbremse
und hob den Leitzinssatz von zuvor 10,5
Prozent auf 17 Prozent. Durchaus
wirksam, wie sich bald herausstellen sollte.
Der grosse Finanzcrash mit dem befürchteten
Bank-Run war abgewendet.
Auch deshalb hat die
Fachzeitschrift «Euromoney» sie soeben zur
Notenbankerin des Jahres gekürt. Seit 15
Jahren vergibt das Magazin diesen und andere
ehrenwerte Titel in der Finanzwelt.
Schwerste Krise seit
1998
Die Verdienste der zierlichen,
ruhigen Frau mit der kaum hörbaren Stimme
gehen aber weit hinaus über diesen
Zinskraftakt, der sie in der russischen
Währungsgeschichte zur Heldin macht. Die Jury
des Fachmagazins urteilte, Nabiullina habe dem
wirtschaftlichen Sturm, der 2014 ausbrach und
das Land 2015 in eine Rezession stürzte, mit
vernünftigen Massnahmen Widerstand geleistet.
In der Tat durchlebt Russland
die schwerste Wirtschaftskrise seit dem
Rubel-Crash 1998 und der globalen Finanzkrise
2008. Die Zentralbank selbst prognostiziert
für das Gesamtjahr ein Schrumpfen von 3,9 bis
4,4 Prozent und erwartet – im Unterschied zu
anderen optimistischeren Institutionen – auch
2016 einen Abschwung um bis zu ein Prozent.
Zum Faktum der Struktur- und
Systemkrise gesellten sich die Sanktionen, die
vor allem den Zugang zum westlichen
Kapitalmarkt blockieren. Am folgenschwersten
für den Rubel aber war und ist der Verfall des
Ölpreises, der die Währung mit nach unten riss
und in der besagten 51. Woche des Vorjahres im
Wert halbierte.
Zum Jahresende 2014 erreichte
der Kapitalabfluss beispiellose 156 Milliarden
Dollar oder acht Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Die Inflation, deren
Drosselung im Laufe der vergangenen Jahre zum
Hauptziel der russischen Zentralbank geworden
ist, zog – auch aufgrund des Importembargos
auf westliche Agrarprodukte – kräftig an, die
Gold- und Währungsreserven begannen zu
schwinden.
In dieser Situation musste
Nabiullina nicht nur Liquidität bereitstellen,
damit die Firmen ihre Auslandsschulden
bedienen konnten. Sie entschied sich Anfang
November 2014 dann auch dazu – um die
Währungsreserven nicht länger zur Stützung des
fallenden Rubels zu verschwenden –, den
sukzessiven Übergang zum freien Wechselkurs
abrupt zu vollziehen.
Nabiullina hält das
Geld zusammen
Für dieses Wagnis erntete sie
Beifall. Kritisiert – etwa von Finanzminister
Anton Siluanow – wurde eher, dass sie sich
nicht schon früher dazu entschlossen hatte. In
den zehn Monaten davor hatte sie nämlich gute
80 Milliarden Dollar aus den damals 510
Milliarden Dollar schweren Gold- und
Währungsreserven für Stützungskäufe
aufgewendet.
Verstummt sind aber
diejenigen, die damals dazu rieten, das
Finanzpolster weiter anzuzapfen und nochmals
Hunderte Milliarden Dollar für Stützungskäufe
aufzuwenden, wie das Nabiullinas Vorgänger
Sergej Ignatjew zu Beginn der globalen
Finanzkrise 2008 getan hatte.
Heute sind die von Nabiullina
gesparten Milliarden sehr wertvoll. Weil der
Kreml und die Regierung vor einschneidenden
Reformen zurückschrecken und die überbordenden
Ausgaben für Militär und Soziales abermals
nicht gekürzt werden, müssen die
Finanzreserven herhalten, um das Budget zu
retten. Dass dies womöglich eine fahrlässige
Politik ist und die Ressourcen in zwei Jahren
verbraucht sein werden, liegt nicht
Nabiullinas Verantwortung.
Die 51-jährige
Zentralbank-Chefin Nabiullina, die für die
allernächste Zeit eigenen Worten zufolge keine
grosse Volatilität beim Rubel-Kurs erwartet
und den Leitzinssatz inzwischen wieder auf elf
Prozent gesenkt hat, weiss um die Denkart im
Kreml. Schliesslich kennt sie die Machthaber
nicht vom Hörensagen, sondern aus nächster
Nähe. Und das seit langer Zeit.
Wie gross ist die Nähe
zu Putin?
Bis zu ihrer Ernennung zur
Zentralbank-Chefin Mitte 2013 hatte die
ausgewiesene Expertin für Makroökonomie ein
Jahr lang als Präsidentenberaterin in
Wirtschaftsfragen gedient. Zuvor war sie
immerhin fünf Jahre lang Ministerin für
Wirtschaftsentwicklung, als Kreml-Chef
Wladimir Putin Premierminister war.
Auch war sie Leiterin des
wirtschaftlichen «Zentrums für strategische
Konzepte», das einmal als Schattenkabinett
angedacht war. Und nach ihrem Intermezzo als
Vizechefin einer Oligarchenbank Ende der
90er-Jahre war sie kurze Zeit Co-Autorin von
Putins erstem Wahlprogramm.
Das schafft eine gewisse Nähe
zum Kreml-Chef, die sich jedoch in ihren
Vorstellungen über die Wirtschaftspolitik auf
den ersten Blick nicht aufdrängen würde. Von
der freien Marktwirtschaft geprägt wurde sie
nämlich schon in den 90er-Jahren.
Ihr Mentor war niemand
Geringerer als Jewgeni Jasin, Doyen der
russischen Wirtschaftswissenschaft, ehemaliger
Wirtschaftsminister und heute akademischer
Leiter der renommierten Moskauer Higher School
of Economics. Der Rektor dieser Schule ist
übrigens Jaroslaw Kuzminow, Nabiullinas
Ehemann.
Putin hat im Laufe seiner
langen Amtszeit nicht nur Weggefährten aus dem
KGB und Militärs an die Schaltstellen des
Staates gehievt, sondern zur Wahrung einer
gewissen Balance eben auch liberalere Geister.
Insofern ist Nabiullina Teil eines relativ
jungen Teams an Wirtschaftsliberalen, das sich
freilich mit dem Einfluss der dirigistischen
Hardliner nicht messen kann.
Putin höre sehr wohl auf die
Wirtschaftsliberalen, erklärte Sergej Petrow,
Milliardär und einer der wenigen
Oppositionellen im russischen Parlament, vor
einiger Zeit im Interview mit der «Welt»: Aber
im Zweifelsfall entscheide er eben zugunsten
der Hardliner, die ihm mit ihren
Sicherheitsbedenken mehr Gehör abrängen.
Liess Putin sie
warten?
Da kann es schon vorkommen,
dass selbst Nabiullina für einen Termin bei
Putin mehrere Stunden im Vorzimmer des
Kreml-Chefs warten musste, obwohl die Zeit
angesichts der Rubel-Krise eigentlich drängte.
Und dies trotz der Beteuerung Putins, man
arbeite angesichts der wirtschaftlichen
Turbulenzen eng mit der Zentralbank zusammen.
Ohnehin wurde lange Zeit
gemunkelt, dass Putin Nabiullina auf diesen
Posten hievte, weil er nach dem Ausscheiden
von Zentralbankchef Ignatjew eine weniger
selbstbewusste Person an der Schaltstelle der
Geldpolitik haben wollte.
Aber nur weil Nabiullina
zurückhaltend wirkt und leise spricht, ist sie
keine Duckmäuserin. Das sind Frauen in
Russland ohnehin selten, auch wenn sie nicht
oft an den Top-Positionen von Politik und
Wirtschaft zu finden sind. Dafür hatten sie –
angefangen bei den Familien – immer schon die
Oberaufsicht über das Geld inne.
Auch heute fällt auf, dass
russische Frauen zwar selten als
Vorstandsvorsitzende in grossen Unternehmen
fungieren. Aber wenn sie schon kein eigenes
Unternehmen gegründet haben oder führen, so
sind sie doch überproportional häufig als CFO
für die Finanzen zuständig. Eine Tradition,
die nun auch in die Zentralbank Einzug hält.
Neben Nabiullina führt Xenia Judajewa die
Geschäfte der Vizegouverneurin.
Hoffen auf Ende der
Krise
Die brillante Ökonomin kommt
aus Russlands grösster Bank, Sberbank, in der
sie viele Jahre als Chefökonomin gedient hat.
Auch sie ist eher unscheinbar im Auftreten,
aber tough in der Haltung.
Vor dem Hintergrund des
Rubel-Dramas fast untergegangen ist, dass
Nabiullina recht konsequent den äusserst
fragmentierten russischen Bankenmarkt von
dubiosen Geldinstituten reinigt. Waren vor
einigen Jahren noch über 1000 Geldinstitute
auf dem Markt, sind es inzwischen an die 800.
Dass man am Ende eine Anzahl von 200 bis 300
anpeile, dementiert Nabiullina: Die Institute
müssten lediglich «gesund» sein, sagt sie.
Im Übrigen blickt sie nach
vorn. Sollte die Volatilität beim Rubel
aufhören, könne man wieder dazu übergehen, die
Währungsreserven aufzustocken, meinte sie
kürzlich. Am Montag konnte sie dann vermelden,
dass im dritten Quartal zum ersten Mal seit
Mitte 2010 ein reiner Kapitalzufluss, und zwar
5,3 Milliarden Dollar, nach Russland
stattgefunden hat. Positiv für die
Zentralbank. Aber für einen Rohstoffexporteur
mit einem chronischen
Leistungsbilanzüberschuss leider kein Zeichen,
dass die Krise zu Ende geht.
© «Die Welt»(Tages-Anzeiger>
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