Deutscher
"Journalismus"=NATO-Journalismus:
»Es gibt ein NATO-Netzwerk in den
deutschen Medien« zum jW-Gespräch mit
Willy Wimmer (CDU), Ex-Staatssekretär im
Bundesverteidigungsministerium
Dass Willi Wimmer in seiner damaligen
Funktion im Bonner Bundestag die Anfrage
des SPD-Abgeordneten Sperling nach der
Authenzität der von mir übersetzten und in der “neuen hanauer
zeitung” (nhz) veröffentlichten
USAREUR-Studie zum Umgang mit
deutschen Politikern ohne Zögern bejahend
beantwortet hat, das hat mich in den
End80ern doch ziemlich überrascht.
Während mich die
Frankfurter Rundschau zunächst in die
damals noch nicht so genannte
Verschwörungstheoretiker-Kiste packte
und den Abdruck
auch von Auszügen aus dieser US-Studie
verweigerte (wie auch unser Interview
mit dem PolenAusverkäufer Lech Walesa
und unsere Augenzeugen-Berichte über das
Wirken der CIA-Tochter IGfM in der
Solidarnosc-Solidaritäts-Bewegung und
über die offen antisemitischen und
faschistischen Teile der SOLIDARNOSC
während unserer über 15
Hilfs-Konvoi-Fahrten durch die DDR nach
Polen). Dass und warum Willi Wimmer
damals so reagierte, wird mir nach der
Lektüre des junge Welt-Gespräches mit ihm
erst richtig klar … und damit auch vieles,
was mich zu einer doch erheblichen
Fehleinschätzung Helmut Kohls gebracht
hat. Nicht
dessen, was er als Kanzler und auch
schon als RLP- Ministerpräsident gemacht
hat, nicht seiner objektiven Funktion,
aber doch dessen, was ihn beinahe
daran gehindert hätte… nun Andere
scheitern in Badewannen oder an
Häuslebauer-Krediten. Nach dem
Wulff-Freispruch müsste doch eigentlich
jetzt der Diekmann einsitzen ? Oder etwa
nicht ?
Helmut Kohl wurde eben zu dem
gemacht, den er dann auch “gespielt”
hat: Hanns-Martin
Schleyer schreibt kurz vor seiner
Hinrichtung: “Mein lieber Freund
Helmut Kohl” und
da stellt sich doch die immer noch
unbeantwortete Frage : Wer erschoss in wessen
Auftrag den
Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin
Schleyer ?
13.09.2014 / Wochenendbeilage / Seite 1
(Beilage)
»Es gibt ein NATO-Netzwerk in den
deutschen Medien«
Gespräch mit Willy Wimmer. Über die
geopolitischen Interessen der USA in
Europa, über Helmut Kohl und den Angriff
auf die parlamentarische Demokratie
Interview: Thomas Wagner
Willy Wimmer gehörte 33 Jahre dem
Bundestag an. Zwischen 1985 und 1992 war
er erst verteidigungspolitischer
Sprecher der CDU/CSU und dann
Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesverteidigungsministerium. Von 1994
bis 2000 war er Vizepräsident der
Parlamentarischen Versammlung der
Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Sie haben nach 1989 als
Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesministerium für Verteidigung
die Nationale Volksarmee (NVA) der
DDR in die Bundeswehr eingegliedert
und darüber hinaus das Konzept
entwickelt, mit dem das vereinigte
Deutschland in die NATO geführt
wurde. Trotzdem wurden Sie bald
darauf von US-Repräsentanten des
»Kommunismus« bezichtigt.
Zunächst gab es die Frage, wie man die
Wiedervereinigung so hinkriegen kann,
daß der europäische Friede erhalten
bleibt. Aber wir Parlamentarier, die auf
internationalem Feld arbeiteten – zu uns
gehörte auch die damalige
Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth –,
wollten uns auch mit wirtschafts- und
gesellschaftspolitischen Fragen
befassen. Die Briten und Amerikaner, die
für eine reine Form des Kapitalismus
eintraten, verhinderten das. Sie lehnten
das von uns vertretene Konzept der
sozialen Marktwirtschaft ab und
beschimpften uns als Kommunisten.
Das hat uns überrascht und war ein
Zeichen, daß sich die Welt auf ungeahnte
Weise umbrechen würde. Wir sind damals
davon ausgegangen, daß Verhandlungs- und
Verständigungsforen wie die Konferenz
für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (KSZE), aus der später die OSZE
wurde, erhalten bleiben würden. Mit der
KSZE war verbunden, daß man sich auf
drei Feldern konzeptionell Gedanken
machen konnte: Außen- und
-Sicherheitspolitik, Menschenrechte. Der
dritte von diesen drei Körben war in der
Zeit des Kalten Kriegs nicht genutzt
worden: die wirtschaftspolitische
Zusammenarbeit. Die Kontinentaleuropäer
wollten ihn mit Leben füllen, die USA,
die Briten und zum Teil die Kanadier
nicht. Schließlich haben die Amerikaner
den dritten Korb übernommen und mit
»Shareholder Value« gefüllt.
Wir gerieten mit unserem Konzept der
sozialen Marktwirtschaft ins
Hintertreffen, auch in der eigenen
Partei. 2002, auf dem sogenannten
Leipziger Parteitag, präsentierte sich
die CDU als eine überdimensionierte FDP.
Hierhin gehört auch Frau Merkels Idee,
eine »marktkonforme Demokratie« zu
entwickeln.
In den internationalen Gremien hat sich
diese Entwicklung schon so früh
abgezeichnet, daß wir nicht überrascht
sein mußten. Aber wir konnten das
unseren Kollegen, die sich nicht in den
internationalen Foren bewegten, einfach
nicht vermitteln. Sie lebten in einer
ganz anderen Welt. Das trifft auch auf
die Gewerkschaften zu. Wir mußten
feststellen, daß die USA nicht bereit
waren, das erfolgreiche
Verhandlungsforum der KSZE fortzusetzen.
Henry Kissinger, er verkörperte in
dieser Frage die amerikanische Position,
hat Mitte der 1990er Jahre dafür
plädiert, die internationale
Völkerrechtsordnung zu beseitigen und an
ihre Stelle eine Rechtsordnung zu
setzen, die im Interesse der USA ist.
Das beinhaltete, bewährte
Verhandlungsforen zur friedlichen
Beilegung von Konflikten zu beseitigen.
Wenn Helmut Kohl damals von Reisen in
die USA zurückkam, hat er sich in der
Fraktion immer darüber aufgeregt, daß im
US-Kongreß die Stimmung vorherrschte:
»Der Dritte Weltkrieg ist beendet, und
wir haben ihn gewonnen.« Er hat damals
zu uns gesagt: »Der Krieg ist aus Europa
nicht verschwunden.« Das hat ihm 1994 in
den eigenen Reihen aber keiner geglaubt.
Sie schätzen Helmut Kohl, den Sie
noch 2004 bei einer Reise nach China
begleiteten, offensichtlich sehr. Im
Unterschied zu Ihnen hat er in den
vergangenen Jahren aber nicht laut
die Stimme erhoben, um gegen die von
uns Ihnen angesprochenen Tendenzen
in der Außen- und Sicherheitspolitik
zu protestieren.
Er hat für diese Entwicklung persönlich
einen sehr hohen Preis bezahlt. Es
besteht kein Zweifel daran, daß die
deutsche Bevölkerung 1998 mehrheitlich
eine Fortsetzung seiner Kanzlerschaft
nicht gewollt hat. Die andere Frage ist,
wie das im Inneren der CDU abgelaufen
ist. Helmut Kohl war ein ausgesprochener
Verfechter der Idee, daß man auf die
anderen Völker in Europa zugehen müsse.
Das betrifft die Russen, die Polen, aber
auch die Serben. Ich habe in seinem
Auftrag Verhandlungen mit Milosevic
geführt, um die Konflikte auf dem Balkan
friedlich beizulegen. Das war gegen
amerikanisches Interesse. Es gab Kräfte
in den eigenen Reihen, Wolfgang Schäuble
und Volker Rühe an der Spitze, welche
die CDU in diese Richtung drängten. Weil
er den Krieg gegen Jugoslawien nicht
geführt hätte, wollte man ihn nicht mehr
an der Spitze einer künftigen
Bundesregierung. Doch seine Absicht, die
bestehenden Mechanismen der
internationalen Zusammenarbeit zu
stärken, war richtig. Deswegen mache ich
keinen Hehl daraus, daß mir dieser Mann
liegt.
Im Jahr 2000 nahmen Sie in
Bratislava an einer vom
US-Außenministerium ausgerichteten
Konferenz teil, auf der ganz offen
über die Strategie Washingtons
gesprochen wurde.
Mich hat das überrascht. Bei uns hatte
es ja eine Kampagne nach der anderen
gegeben um den Krieg gegen Jugoslawien:
mit Auschwitz und mit weiß was allem. In
Bratislava dagegen wurde eine rein
machtpolitische Überlegung vorgetragen.
Die Vertreter des US-Außenministeriums
sagten, es sei bei dem Krieg darum
gegangen, eine Fehlentscheidung General
Eisenhowers aus dem Jahr 1944 zu
korrigieren. Er hatte es damals
unterlassen, US-Bodentruppen auf dem
Balkan zu stationieren. Dies vor Staats-
und Regierungschefs, Außen- und
Verteidigungsministern so offen
darzulegen, war eine ungewöhnliche
Vorgehensweise. Die Vertreter des
US-Außenministeriums machten deutlich,
daß sie die Art und Weise, wie wir in
Europa mit unseren Nachbarn umgehen,
Eigentumsfragen regeln und Strafprozesse
organisieren, nach den Maßgaben ihres
eigenen Rechtssystems umbauen wollten.
Das Vehikel dafür sollten der
Internationale Strafgerichtshof in Den
Haag und das Kriegsverbrechertribunal
sein.
Sie erklärten außerdem, wie sie sich
Europa künftig vorstellen. Sie wollten
einen Linie ziehen, die von der Ostsee
bis zum Schwarzen Meer und von da aus
weiter nach Anatolien geht. Alles was
westlich von dieser Linie liegt,
betrachteten sie als Einflußgebiet der
USA. Die Russische Föderation sollte aus
den europäischen Entwicklungen
herausgedrängt werden. Das heutige
Geschehen in der Ukraine ist für mich
ein Beleg dafür, daß diese Leute damals
nicht in den Mond geguckt haben. 2006,
beim NATO-Gipfel in Riga, haben wir den
Versuch gesehen, Georgien und die
Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Das
ist aus einem wichtigen Grund verhindert
worden: Die Westeuropäer haben kein
Vergnügen daran gefunden. Denn wenn
diese durchgehende Limes-Linie von der
Ostsee bis nach Anatolien etabliert
würde, dann bräuchten Deutsche,
Franzosen, Italiener und Spanier sich
keine Gedanken mehr darüber machen, wie
ungehinderte Beziehungen zur Russischen
Föderation aufrechterhalten werden
können. Die könnten dann je nach
Interessenlage der Vereinigten Staaten
von diesen jederzeit unterbrochen
werden. Sie könnten dabei auf die
Zusammenarbeit mit den osteuropäischen
Staaten bauen: vom Baltikum bis zu
Rumänien. Die USA unternehmen alles, um
dieses Ziel doch noch zu erreichen. So
erklärt sich auch ihr Verhalten im
Hinblick auf die Ukraine.
Der US-Nachrichtendienst Stratfor
hat Anfang dieses Jahres
Überlegungen angestellt, durch die
Etablierung besonderer Beziehungen
mit den osteuropäischen Staaten
einen Hebel zu installieren, mit dem
sie die NATO links liegen lassen
kann.
Das ist die logische Konsequenz aus
dem, was ich eben gesagt habe. In diesen
Tagen erheben die baltischen Staaten und
Polen Forderungen, den von der NATO
geplanten Raketenschirm auf Rußland
auszurichten. Wenn es Washington
gelingt, Sonderbeziehungen zu den
gefügigen Staaten Ost- und Südosteuropas
zu etablieren, dann spielen wir keine
Rolle mehr. Wir befinden uns dann hinter
dem Limes unter amerikanischer
Kontrolle. Die Nachricht, daß die
neutralen Staaten Finnland und Schweden
eine engere Anbindung an die NATO
suchen, muß man als ein Eingehen auf die
realen Machtverschiebungen deuten, die
wir in Europa haben.
Wie ordnen Sie die derzeit
laufenden Verhandlungen um ein
Freihandelsabkommen TTIP zwischen
den USA und der Europäischen Union
in diesem Zusammenhang ein?
Bei TTIP handelt es sich um den Versuch
der USA, den hinter dem »Limes«
liegenden Bereich in ihrem Interesse zu
ordnen. Dabei geht es weniger um das
vieldiskutierte Chlorhuhn, als um die
Aushebelung der parlamentarischen
Demokratie. Wenn wir als hoch
entwickelter Rechtsstaat Schiedsgerichte
bekommen, mit denen Differenzen über
Investitionen entschieden werden sollen,
brauchen wir uns keine Gedanken mehr
darüber machen, was von Parlamenten und
unseren Regierungen noch übrigbleibt.
Wenn unsere Presse noch frei berichten
würde, dann würde man Überlegungen
dieser Art in den Medien debattiert
sehen. Auf diesen außen- und
sicherheitspolitischen Feldern findet
eine freie Berichterstattung aber
überhaupt nicht mehr statt.
Wie kommt es zu dieser
Einseitigkeit?
Man kann sich diesen Dingen nur über
Indizien nähern. Die in der Bevölkerung
herrschende Meinungsvielfalt wird in der
Berichterstattung nicht widergespiegelt.
Ich kann mich sehr gut an ein langes
Gespräch mit einem mir seit Jahrzehnten
bekannten führenden FAZ-Mitarbeiter
erinnern. Der machte deutlich, wenn das
State Department noch rechtzeitig vor
Drucklegung nachts anruft, dann kommt
der gewünschte Artikel am nächsten
Morgen in die Zeitung.
Als ich 1985 Verteidigungspolitischer
Sprecher wurde, hat mich ein leitender
Mitarbeiter der Pressestelle der CDU/CSU
ausdrücklich gewarnt vor einem Netzwerk
der NATO in der deutschen Presse. Wenn
es heute irgend etwas zu kommentieren
gibt im Zusammenhang mit Entwicklungen
innerhalb der Russischen Föderation,
werden dafür in unseren Medien immer
amerikanische Institutionen mit Sitz in
Moskau herangezogen. Sie hören keine
Stimme aus Moskau, die russisch ist.
Kommen wir von den Medien zum
Bundestag. Momentan gibt es eine
koalitionäre Arbeitsgruppe, die sich
mit dem sogenannten
Parlamentsvorbehalt befaßt. Worum
geht es da?
Beim Parlamentsvorbehalt geht es darum,
daß der Deutsche Bundestag darüber
entscheidet, ob deutsche Soldaten im
Ausland eingesetzt werden. Und zwar,
bevor sie dorthin geschickt werden. Laut
unserer Verfassung ist die Armee auf die
Verteidigung des eigenen Landes
zugeschnitten. Peter Gauweiler hat vor
einigen Monaten eine fulminante Rede vor
der Bundeswehrhochschule in Hamburg
gehalten, in der er die
Fehlentwicklungen herausgearbeitet hat,
die es seit Jahrzehnten in dieser
Hinsicht gibt. In der CDU/CSU gibt es
nach dem Jugoslawien-Krieg Kräfte, die
solche Bedenken im Bundestag vor einem
Einsatz nicht mehr debattiert sehen
wollen. Sie haben in der neuen Koalition
eine Arbeitsgruppe durchgesetzt, die
sich mit dem Parlamentsvorbehalt befaßt.
Gewollt ist, daß es bei den integrierten
internationalen Verbänden, zum Beispiel
den AWACS-Flugzeugen, automatisch in den
Einsatz gehen soll, wenn es die NATO
verlangt. Der Bundestag soll dann nur
noch die Möglichkeit haben, die Soldaten
notfalls zurückholen zu können.
Mich erinnert das an Brünings
Notverordnungen in der Endphase der
Weimarer Repbulik. Wird das umgesetzt,
dann bekommen wir demnächst
sicherheitspolitische Notverordnungen.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß der
Bundestag eine einmal getroffene
NATO-Entscheidung widerruft.
Hinzu kommt, daß die Regierung ihren
außenpolitischen Handlungsspielraum
verringern würde, den sie durch das
Parlament bislang noch hat. Wenn sie
sich heute gegen einen Auslandseinsatz
entscheidet, kann sie das ihren
Bündnispartnern mit der fehlenden
Zustimmung des Parlaments begründen. Das
ist in parlamentarischen Systemen so
üblich. Selbst der US-Präsident verweist
auf den Kongreß, wenn er etwas nicht
will. Wenn der Bundestag nun ausfällt,
dann ist es faktisch nicht mehr die
Bundesregierung, die über
Auslandseinsätze bestimmt, sondern die
NATO. In diesem Zusammenhang ist auch
die Parallelentwicklung in den
Streitkräften kritisch zu sehen. Es gibt
immer wieder Bemühungen, dem
Generalinspekteur der Bundeswehr die
Rolle des faktischen Oberbefehlshabers
zu geben. Momentan ist er der
Verteidigungsministerin und den
Staatssekretären untergeordnet. Diese
Bemühungen gibt es seit der
Wiedervereinigung. Noch zu Bonner Zeiten
war bespielsweise gefordert worden, daß
nur ein Viersternegeneral
Verteidigungsminister werden sollte.
Theodor zu Guttenbergs Versuch, den
Generalinspekteur in den Rang eine
Staatssekretärs zu heben, konnte
verhindert werden. Das erinnert an eine
Entwicklung, die es vor dem 30. Januar
1933 auch gegeben hatte. Damals
versuchten wirtschaftlich orientierte
Kreise und die Armee, der militärischen
Führung jene wichtige Funktion
zurückzugeben, die sie noch im
Kaiserreich hatte. Bestimmte Kreise in
der Bundeswehr versuchen mit Hilfe der
NATO in Deutschland heute wieder das
gleiche.
Sie meinen: Wenn der
Parlamentsvorbehalt kippt und der
Generalinspekteur zum
Oberbefehlshaber gemacht wird, dann
entscheidet über den Einsatz der
deutschen Streitkräfte künftig die
NATO?
Oder die Europäische Union.
Befürchten Sie, daß die
Bundeswehr dann auch gegen die
eigene Bevölkerung eingesetzt werden
könnte?
Ja. Die im Juni durch die Europäische
Union verabschiedete Solidaritätsklausel
weist in diese Richtung. Danach soll der
Einsatz des Militärs innenpolitisch
erlaubt sein: im Falle von Katastrophen,
aber auch im Falle von sozialen Unruhen.
In der Bundesrepublik haben wir eine
Reihe von Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts gegen den
Einsatz der Bundeswehr im Innern. Das
soll über den Umweg der europäische
Komponente oder über die NATO ad
absurdum geführt werden. Wir haben bei
der ursprünglichen Verabschiedung der
Lissabon-Gesetze gesehen, daß die
Regierung dem schon zugestimmt hatte.
Nur durch die von Gregor Gysi und Peter
Gauweiler herbeigeführte Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts konnte der
Bundestag diese Entscheidung der
Bundesregierung wieder zurückholen.
Wenn es um die Rolle der
Bundeswehr ging, haben Sie im
Bundestag diverse Male eine
Minderheitenmeinung vertreten. Wie
erklären Sie sich das?
Die Gründe sind komplex. Als ich in
Bonn als Parlamentarier politisch
sozialisiert wurde, hatten wir auf der
Seite der Verwaltung, auch im
Verteidigungsministerium, immer eine
solche Auswahl an Spitzenleuten, daß es
fast egal war, wer an der Regierung war.
Jedes mir bekannte Ministerium war
damals dazu in der Lage, die für
Regierungsentscheidungen erforderlichen
Gesetzentwürfe selbst zu machen. Heute
tun das Anwaltskanzleien. Der Niedergang
des öffentlichen Dienstes seit den
1990er Jahren war begleitet vom
Aufkommen von Beratungsgruppen, die
gegen Entgelt oder unentgeltlich
zunehmend Einfluß auf politische
Entscheidungen genommen haben.
Die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth
hat Ende der 1990er Jahre Klagelieder
darüber angestimmt, welcher Druck auf
den Bundestag ausgeübt wurde, um diese
Angelegenheiten kommerziell verwertbar
zu machen. Hinzu kommt, daß das vorhin
angesprochene transatlantische Netzwerk
natürlich auch in das Parlament
hineinwirkt. Man ist gerne im Council
für dies und im Council für das.
Beispielsweise unterhält Nicolas
Berggruen einen eigenen Thinktank.
Der Milliardär lädt sogenannte
Elder Statesmen und
Wirtschaftsvertreter in die
Google-Zentrale nach Kalifornien.
Auch aktive Politiker sind dabei: zum
Beispiel Ursula von der Leyen. Der Name
Bergguen steht beispielhaft für den
Prozeß, etablierte Einrichtungen, die
den Volkswillen repräsentieren sollten,
beiseite zu fegen, zugunsten von
Beratungsgremien, die den faktischen
Einfluß ausüben. In den relevanten
Arbeitsgruppen der Bundestagsfraktionen
wissen Sie heute nicht mehr, wie ein
Papier, das ihnen zur Beratung vorgelegt
wird, entstanden ist und wer daran
mitgewirkt hat. Das kommt aus den
unterschiedlichsten Ecken.
Und warum wird das von den
Parlamentariern geschluckt? Weil man
sich nicht mit allem befassen kann?
Nein, weil man Karriere machen will.
Gar nicht wenige Kollegen haben mir
gesagt: »Ich bin eigentlich deiner
Meinung, aber ich kann nur mit Hilfe der
Liste zurück in den Bundestag kommen.«
Sie rechnen auch von seiten der
Opposition im Hinblick auf die
Militarisierung der Außenpolitik
nicht mehr mit viel Widerstand. In
dieses Urteil schließen Sie die
Fraktion Die Linke mit ein. Wie
kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Vor dem Hintergrund langer und
intensiver Gespräche.
Mit wem?
Das sagt man dann besser nicht. Hinzu
kommt die Betrachtung der Entwicklung
seit dem vergangenen Herbst. Die Grünen
sind ja schon in einer fast widerlichen
Weise zur Kriegspartei geworden. Die
letzte Partei im Deutschen Bundestag,
die sich dem zur Zeit noch widersetzt,
ist Die Linke. Aber es nicht nur mir
aufgefallen, daß an den konzeptionellen
Arbeiten der Stiftung für Wissenschaft
und Politik zum ersten Mal auch linke
Abgeordnete beteiligt waren.
In Ihrem gemeinsam mit Wolfgang
Effenberger verfaßten Buch
»Wiederkehr der Hasardeure:
Schattenstrategen, Kriegstreiber,
stille Profiteure 1914 und heute«
befürchten Sie, daß wir uns auf dem
Weg in den Dritten Weltkrieg
befinden. Wie begründen Sie das?
Wenn ich nicht will, daß Streitfragen
auf friedlichem Wege geklärt werden,
bleibt mir nur die militärische
Komponente. Auf die setzen die
Amerikaner, weltweit. Die Taliban, gegen
die unsere Soldaten zwölf Jahre lang in
Afghanistan eingesetzt waren, sind eine
amerikanische Schöpfung, die von den
Saudis finanziert wurden, genau wie IS
in Syrien und im Irak. Wir sehen das
auch im Fall der Ukraine. Da legen der
deutsche Außenminister und seine
polnischen und französischen Kollegen
Verständigungspapiere vor, alle stimmen
zu, und anschließend sabotieren die
rechten Kräfte auf dem Maidan im
Interesse der USA jede Lösung. Wir
müssen uns in Deutschland und in Europa
auf die Hinterbeine stellen, um in
diesem allgemeinem Trend nicht
unterzugehen. Was wir brauchen, ist eine
Rückkehr zu bewährten diplomatischen
Verständigungsmitteln, die wir mit der
KSZE bereits hatten, die aber zerstört
worden sind.
Wolfgang Effenberger/Willy Wimmer:
Wiederkehr der Hasardeure.
Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille
Profiteure 1914 und heute. Verlag
zeitgeist Print & Online,
Höhr-Grenzhausen 2014, 640 Seiten, 29,90
Euro>
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