Unbeabsichtigt
aktuell: Ausgerechnet jetzt, wo der
chinesische Chemie-Gigant ChemChina
daran ist, den Basler Agrochemie-Multi
Syngenta für über 40 Milliarden
Schweizer Franken zu übernehmen,
erscheint eine Publikation, die
Syngenta nicht aus der Sicht der Börse
und der Finanzhaie beleuchtet, sondern
aus der Sicht der Menschlichkeit und
der Menschen: der «kleinen» Menschen
rund um die Welt, von denen viele
durch die aggressive Strategie der
Agrochemie-Multis Monsanto, Dow,
Syngenta und wie sie alle heissen, ihr
Land und damit ihre Existenzgrundlage
verloren haben.
[Demonstrationen, Transparente -
und ein Buch mit den kriminellen
Syngenta-Fakten]
Bei Demonstrationen gezeigte Transparente und Spruchbänder und auf billiges Zeitungspapier gedruckte Kampfbroschüren sind das eine. Sie können mit einem medienwirksamen Blitzlicht einen Missstand kurz beleuchten oder in Erinnerung rufen. Aber in Zeiten der Medien-Hypes sind sie, so ist zu beobachten, auch schnell wieder vergessen. So ist der Entscheid, zu einem Unternehmen mit einer hochproblematischen Business-Strategie ein richtiges, schön gestaltetes und auch normal im Buchhandel erhältliches Buch herauszugeben, sehr gut verständlich. Nicht nur die Landwirtschaft soll ja nachhaltig sein, auch kritische Beobachtungen und deren Bekanntmachung verdienen eine höhere Nachhaltigkeit.
Zum Inhalt des Buches
Einfachheitshalber
sei hier die Inhaltsübersicht zitiert,
wie sie Ueli Gähler von MultiWatch der
Zeitung des Europäischen
BürgerInnenforums ARCHIPEL gegeben
hat:
[Kriminelle Syngenta: Gift-Pestizid-Produzent
Nr. 1 der Welt - Gen-Saatgut-Prozudent
Nr. 3 der Welt]
«Im ersten Teil 'Syngenta auf
der Weltbühne' führen die
Autorinnen und Autoren auf eine kleine
Weltreise und schildern Syngenta als
wichtigen Protagonisten des globalen
kapitalistischen Agrobusiness. Syngenta
ist der weltgrösste
Pestizidhersteller und der
drittgrösste Saatgutproduzent.
[Kriminelle Syngenta mit
Auftragsmorden - z.B. in
Brasilien]
Marianne Spiller aus Brasilien
berichtet über die Ermordung des
Landlosen-Gewerkschafters Keno durch
die Angestellten einer von Syngenta
beauftragten Sicherheitsfirma und über
die kürzlich erfolgte diesbezügliche
Verurteilung des Multis.
[Kriminelle Syngenta mit
Projekt "Golden Rice" zur
Verbreitung von transgenem Saatgut
in Asien]
Paul Scherer analysiert Syngentas
Rolle beim Projekt 'Golden Rice', das
als trojanisches Pferd für die
Verbreitung von transgenem Saatgut in
Asien dienen soll.
[Kriminelle Syngenta sprüht
Pestizide direkt neben Schulen und
Wohngebieten]
Der Beitrag über Syngentas Testfelder
auf Hawaii schildert den Kampf der
Aktivistinnen und Aktivisten, die auf
Einladung von MultiWatch an der
Syngenta Aktionärsversammlung 2015
aufgetreten waren, weil Syngenta sich
weigert, Schutzzonen zwischen ihren
Pestizid-Sprühgebieten und lokalen
Schulen und Wohngemeinden zu
akzeptieren. Der Basler Geograph
Martin Forter informiert über die
Giftmülldeponien der
Syngenta-Vorläuferfirmen in der Region
Basel.
[Kriminelle Syngenta
mit Cash-Crop-Monokulturen - die
Manipulationen bei Politikern in
Washington und EU-Brüssel]
Im zweiten Teil des Schwarzbuches
'Vor und hinter den Kulissen'
wagt das Kollektiv eine erste Analyse
des Basler Multis. Mit ihren
Pestiziden, Saatgutsorten und Patenten
ist Syngenta aufs engste mit dem
internationalen Agrobusiness und den
kapitalistischen 'Cash
Crop'-Monokulturen verbunden. Dass
Syngenta ein 'schweizerischer' Konzern
sei, ist natürlich ein Märchen. Das
zeigt die Aktionärsanalyse.
Schliesslich schildern die Autorinnen
und Autoren das Lobbying Syngentas in
Washington und Brüssel und die
spezielle Ideologieproduktion und
'Greenwashing'.»
Namhafte
Autoren - [Professor Altieri:
Pestizide verursachen
Milliardenschäden]
Das Schwarzbuch zu
Syngenta ist denn auch nicht nur von
einer kleinen Gruppe von Schweizer
Anti-Globalisierungsgegnern
geschrieben. Mitgearbeitet haben auch
namhafte Wissenschaftler. Speziell
erwähnt dabei sei Miguel A. Altieri,
Professor für Agrarökologie an der
Berkely University in Kalifornien, der
als chilenisch/US-amerikanischer
Doppelbürger vor allem die zunehmende
Verwüstung Lateinamerikas durch
die Agromultis im Auge
hat. In seinem Vorwort nennt er ein
paar Zahlen:
«Die Intensivierung der Landwirtschaft
durch Hochertragssorten, Düngung,
Bewässerung und Pestizide
beeinträchtigt die natürlichen
Ressourcen, die Umwelt sowie die
Gesundheit von Mensch und Tier. Jedes
Jahr werden externe Kosten in
Milliardenhöhe verursacht. Infolge
ihrer ökologischen und genetischen
Homogenität und der daraus folgenden
Anfälligkeit auf Insektenplagen,
Pflanzenkrankheiten und Unkräuter sind
Monokulturen stark pestizidabhängig.
In den letzten 35 Jahren ist der
Pestizideinsatz weltweit massiv
angestiegen. Die jährliche Zunahme
beträgt in gewissen Regionen um die 5
Prozent. Im Jahre 2007 wurden weltweit
Pestizidmengen von knapp 2,4 Millionen
Tonnen zum Marktwert von 39 Milliarden
USD eingesetzt. Heute sind es bereits
über 50 Milliarden USD. Alleine in den
USA erreicht der Jahresverbrauch der
verschiedenen Pestizide mehr als
500'000 Tonnen. Die indirekten
Umweltkosten, das heisst die negativen
Auswirkungen auf Tierwelt,
einschliesslich Bestäuber und
natürliche Feinde, auf Fischerei,
Wasserqualität, Bodenkontamination
etc., sowie die durch Vergiftungen und
Krankheiten verursachten sozialen
Kosten belaufen sich ebenfalls auf
Milliardensummen.»
[Kleinbauern verlieren ihr
Land an die Grosskonzerne mit Soja,
Mais, Baumwolle und Raps]
Zu den
wirtschaftlichen Auswirkungen des
überhandnehmenden Land-Grabbings
schreibt Altieri:
«In den vergangenen zwanzig Jahren
sind die besten Anbauflächen
Lateinamerikas für die Produktion
transgener Ackerfrüchte (vor allem
Soja, Mais, Baumwolle und Raps) in
Beschlag genommen worden. Deren
Grossproduzenten sind eng mit
ausländischen Investoren verbunden.
Somit kontrollieren diese nun
Millionen Hektaren erstklassigen
Acker- und Viehwirtschaftslandes in
Paraguay, Bolivien, Brasilien und
anderswo. Dieses Land-Grabbing führt
zu einer ganzen Reihe von Problemen.
Die ausländische Herrschaft über Land
und Ressourcen unterhöhlt die
regionale und nationale
Ernährungssicherheit. Zwar sichern
Nahrungsmittelimporte stabilere
einheimische Preise und befriedigen
die wachsende städtische Nachfrage,
doch konkurrenzieren sie die
einheimische kleinbäuerliche
Produktion, was zur Vertreibung von
Bauernfamilien und zu einer noch
höheren Bevölkerungsdichte in den
Städten führt. Gleichzeitig fliesst
der grösste Teil der von ausländischen
Firmen in den kommerziellen
Landwirtschaftssektoren erzielten
Profite in die Länder, in denen diese
Konzerne ihren Hauptsitz haben – im
Falle von Syngenta in die Schweiz.»
Syngenta soll von chinesischem Kapital übernommen werden
Hinter dem Schwarzbuch Syngenta steckt mehrjährige Arbeit. Dass es gerade jetzt zur Publikation kommt, da Syngenta für einen Kaufpreis von über 40 Milliarden Franken in die Hände des chinesischen Konzerns ChemChina kommen soll, ist sicher Zufall. Aber die Übernahme der Syngenta durch die Chinesen bringt es natürlich mit sich, dass die widernatürliche Monokultur-Landwirtschaft und ihre negativen Auswirkungen bald einmal auch in China überhand nehmen werden – zum Nachteil weiterer Millionen von Kleinbauern.
Keine
Erwähnung: die Risiken der Schweiz -
[die kriminelle K300-Schweinz haftet
eventuell für Syngenta-Schäden im
Ausland]
Aus terminlichen
Gründen ist es verständlich, wenn auch
schade, dass ein Aspekt im
Schwarzbuch nicht mehr zur Sprache
kommt. Die Schweiz hat bekanntlich mit
China ein Freihandelsabkommen
unterschrieben, und wie bei allen
Freihandelsabkommen der Schweiz kommt
bei Streitigkeiten zwischen den
Investoren und dem Staat ein
Schiedsgericht zum Einsatz, also keine
nach den Kriterien unseres
Rechtsstaates operierende Instanz.
Konkret ist es fast immer das in
Washington DC in den USA anässige und
der Weltbank unterstellte ICSID (International
Centre for Settlement of Investment
Disputes). Dort pflegen
Rechtsanwälte aus der Privatwirtschaft
eben nicht nur als
Interessen-Vertreter der beteiligten
Parteien aufzutreten, sondern auch als
Schiedsrichter zu entscheiden, wie
viel ein Staat zahlen muss, wenn ein
Investor zum Beispiel aufgrund eines
neuen Gesetzes die erwarteten Gewinne
nicht realisieren kann.
Eine Anfrage beim Seco von Infosperber
hat diesen Umstand konkret bestätigt.
Das Seco wörtlich: «Der
Investitionsschutz wird in dem am 13.
April 2010 in Kraft getretenen
bilateralen Investitionsschutzabkommen
(ISA) mit China geregelt (SR
0.975.224.9). Der
Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus
erlaubt es dabei den Investoren, bei
einer Vertragsverletzung vor einem
internationalen Schiedsgericht – wie
dem ICSID – ein Schiedsverfahren
einzuleiten und Schadenersatz geltend
zu machen.» Bei diesen
Schadenersatz-Forderungen geht es,
notabene, schnell einmal um Milliarden
und nicht nur um Millionen.
Infosperber hat darüber ausführlich
informiert (siehe hier
und hier).
Die zunehmenden Gefahren bei einer
Inkraftsetzung des
US/EU-Freihandelsabkommens TTIP werden
im Schwarzbuch immerhin noch kurz
angesprochen. (Auch zu TTIP
hat Infosperber schon mehrmals
informiert.)
Keine Buchrezension ohne Kritik...
Ist die Lektüre des Schwarzbuches also jedermann zu empfehlen? Ja, sogar sehr. Eine kleine Kritik verdient nur die Gestaltung durch die Basler Firma OrigamiDesign. Zu viele Titel und Texte sind versal geschrieben, in Grossbuchstaben. Das sieht zwar ästhetisch gediegen aus, ist aber – Verlagsprofis müssten das wissen! – schwer zu lesen. Und wenn man einem interessierten Leser, einer interessierten Leserin, Anmerkungen und Quellen-Angaben inbegriffen, 320 Seiten zu einem nicht ganz einfachen Thema zumutet, sollte man das Lesen typographisch nicht noch erschweren.
* * * * *
Das Schwarzbuch Syngenta wird am kommenden Donnerstag, 21. April, an einer Vernissage in der Markthalle in Basel erstmals vorgestellt. Weitere Vorstellungsveranstaltungen in Zürich, Bern, Genf und Luzern folgen an den Tagen darauf. Das Buch selber kann im Buchhandel oder über die Webseite von MultiWatch bezogen werden (Broschur, 320 Seiten, Fr. 29.00, ISBN: 978-3-85990-283-1). Nähere Angaben, auch zu einem Protest-Marsch am 21. Mai in Basel, findet man auf der Website MultiWatch.>