<Das Land tritt gegen die Todesstrafe
ein, aber praktiziert die Hinrichtung
von Menschen ohne jegliche
Gerichtsverfahren
Seit fast fünfzehn
Jahren führen die Vereinigten Staaten
ihren Drohnen-Krieg. Im Zentrum dieses
Schattenkrieges steht vor allem die
Todesliste, auf der die Namen von
Zielpersonen vermerkt sind - die
sogenannte "Kill List". Wie
mittlerweile bekannt ist, wird sie vom
US-Präsidenten höchstpersönlich
wöchentlich, an jedem Dienstag,
unterzeichnet und abgesegnet.
Vor wenigen Tagen wurde
allerdings bekannt, dass die USA nicht
der einzige Staat dieser Welt sind,
der eine solche Drohnen-Todesliste
führt. Ein ausführlicher Bericht der
britischen Menschenrechtsorganisation
Reprieve macht
deutlich, dass auch die Briten, die
ebenfalls bewaffnete Drohnen
einsetzen, eine derartige Liste
führen - und ihren Opfern teils
merkwürdige Codenamen geben, etwa jene
von Musikern, Comicfiguren oder
Pornodarstellern.
So wurden manche der
Ziele, hauptsächlich
Terrorverdächtige, allerdings auch
angebliche Drogenschmuggler, unter
anderem als Britney Spears, Drake,
Krusty the Clown, Iron Man oder
Garfield bezeichnet.
Laut Reprieve würde
diese ungewöhnliche Namensgebung für
die Öffentlichkeit besonders
schockierend sein, da sie den gesamten
Prozess der Tötung vollkommen
entmenschlichen soll.
Abgesehen davon macht
der Bericht deutlich, dass
Großbritannien schon früh nach Beginn
des "Krieges gegen Terror" seine
eigene Todesliste erstellte und in
diesem Zusammenhang eng mit Washington
zusammenarbeitete. Prekär ist die
Tatsache, dass Großbritannien seinen
Schattenkrieg nicht nur in bekannten
Kriegszonen, etwa in Afghanistan,
führt, sondern auch in Staaten wie
Pakistan. Offiziell herrscht in diesem
Land jedoch kein Krieg. Des Weiteren
zählt die Regierung in Islamabad zu
den engsten Verbündeten Londons.
Ähnlich verhält es sich
mit dem Drohnen-Krieg der USA, der
unter anderem ebenfalls in Staaten
stattfindet, mit denen sich Washington
offiziell nicht im Krieg befindet,
etwa Pakistan, Jemen oder Somalia.
In diesem Kontext wird
auch klar, dass die britische
Regierung bezüglich ihrer
Kriegsaktivitäten mehrmals gelogen
hat. So suggerierte etwa David
Cameron, der britische
Premierminister, im September 2015 die
Einführung einer Liste, auf der sich
Individuen befinden, die eine "Gefahr"
darstellen würden. Reprieve hebt
diesbezüglich hervor, dass diese
Politik, die Individuen, die dem
staatlichen Sicherheitsapparat oder
dem Militär nicht passen, zum Ziel
macht, keineswegs neu ist, sondern
schon seit über einem Jahrzehnt im
Geheimen im Gange ist.
"Für ein Land, welches
lautstark gegen die Todesstrafe
eintritt - sogar im Falle einer
Verurteilung nach einem fairen
Gerichtsverfahren - ist diese
Heuchelei gewaltig. Nun wissen wir,
dass britische Behörden tief
verwickelt sind in die Hinrichtung von
allen möglichen Menschen, inklusive
angeblicher Drogendealer, ohne
jegliche Gerichtsverfahren", meinte
etwa Clive Stafford Smith, der Leiter
von Reprieve.
Ein Leben auf der Kill
List
http://www.heise.de/tp/artikel/48/48020/2.html
Wie sich jemand fühlt,
dessen Name auf einer solchen
Todesliste - egal ob britische oder
amerikanische - steht, machte ein
Betroffener auf beeindruckende Art und
Weise deutlich. Vergangene Woche veröffentlichte
der britische Independent einen
Kommentar von Malik Jalal, einem Mann
aus Waziristan, jener pakistanischen
Region, die an Afghanistan grenzt und
seit Jahren von den "Todesengeln", wie
die einheimische Bevölkerung die
unbemannten Maschinen nennt,
heimgesucht wird.
Jalal gehört zum
Führungskreis eines Friedenskomitees
in seiner Region. Ziel des Komitees
ist die Vermittlung zwischen den
lokalen Stämmen und den Taliban. Wie
viele andere Menschen in Waziristan
glaubt Jalal an eine friedliche Lösung
zwischen den Stämmen und den
ansässigen militanten Gruppierungen.
Dies ist nicht verwunderlich, da viele
Taliban-Kämpfer gleichzeitig auch
Stammesmitglieder sind. Als diese sind
sie mit den gesellschaftlichen
Strukturen vor Ort tief verbunden.
Jalal betont, dass das Vorgehen des
Komitees der pakistanischen Regierung
ein Dorn im Auge ist.
Im Laufe mehrerer
militärischer Operationen Islamabads
wurde Waziristan in den letzten Jahren
mehrfach verwüstet. Bei den
zahlreichen Angriffen starben nicht
nur bewaffnete Taliban-Kämpfer,
sondern auch zahlreiche Zivilisten.
Menschenrechtsorganisationen
berichteten immer wieder von
Kriegsverbrechen. Tausende Menschen
sahen sich gezwungen ihre Heimat zu
verlassen und fanden unter anderem
Zuflucht in einigen Regionen
Afghanistans.
Bezüglich des
Drohnen-Krieges in der Region spielt
der pakistanische Sicherheitsapparat
seit Jahren eine führende Rolle. Der
Krieg mit den Todesmaschinen wird
nicht nur toleriert, sondern auch
gefördert. Zwischen dem pakistanischen
Geheimdienst ISI sowie der CIA findet
seit Jahren ein reger
Informationsaustausch statt. Dies
betrifft auch potenzielle Ziele von
Drohnen-Angriffen.
Im Januar 2010 wurde Malik Jalal das
erste Mal von einer Drohne
angegriffen. Er hatte Glück und
überlebte unverletzt. Sein Neffe,
Salimullah, musste schwerverletzt ins
Krankenhaus. Vier weitere Männer, die
in einer nahegelegenen Miene
arbeiteten, wurden getötet.
Im September desselben
Jahres fand der nächste Angriff auf
Jalal statt. Er war gerade auf dem Weg
zu einer Stammesversammlung, als der
Wagen hinter ihm zerbombt wurde. Die
vier Insassen, wieder waren es
lediglich lokale Arbeiter und keine
bewaffneten Kämpfer, wurden getötet,
Jalal überlebte ein weiteres Mal.
Einen Monat später fand
ein weiterer Drohnen-Angriff statt.
Drei Menschen wurden getötet. Unter
ihnen befand sich auch Jalals Cousin,
Kalimullah. Jalals Verdacht schien
sich zu bestätigen. Er war zum Ziel
der Drohnen geworden.
Im März 2011 fand ein
vierter Anschlag auf Jalal statt und
traf eine Stammesversammlung. Über
vierzig Zivilisten wurden an jenem Tag
getötet. Viele von ihnen waren
Mitglieder des Friedenskomitees. Ein
weiteres Mal überlebte Jalal - und
erlebte das Massaker hautnah.
Quellen, die Jalal
aufgrund ihrer eignen Sicherheit nicht
genauer benennen möchte, haben
bestätigt, dass er und andere
Mitglieder des Friedenskomitees von
Nordwaziristan auf der Todesliste der
Amerikaner und ihrer Verbündeten
stehen. Aus irgendeinem Grund will das
Weiße Haus Jalal und seine Freunde in
Leichensäcken sehen.
Von nun begann Malik
Jalal, seinen Alltag zu ändern. Er
parkte sein Auto immer abgelegen, weit
weg vom eigentlichen Zielort. Er mied
Einladungen zu Abendessen - aus Angst,
dass das Mahl mit einem
Drohnen-Massaker enden könnte. Nachts
schlief Jalal außerhalb des Hauses,
etwa unter Bäumen, um seine Familie
nicht zu gefährden.
Auch Jalals Kinder
fürchten sich. Sein kleiner Sohn Hilal
meinte einst zu seinem Vater, dass
auch er Angst vor den Drohnen habe.
Jalal versuchte ihn zu beruhigen,
indem er behauptete, Drohnen würden
keine Kinder töten. Doch Jalals Sohn
wusste, dass das eine Lüge war.>