Die kriminelle Pharma
beschliesst, dass die direkte,
schnelle Todesstrafe mit
Giftspritzen in den "USA" nicht mehr
stattfindet:
USA:
Die Pharmaindustrie schafft die
Todesstrafe ab
Pfizer, Hospira und Co.
wollen keine Tötungsmittel mehr nach
Amerika liefern. Hunderte Verurteilte
können nicht getötet werden. Nicht zum
ersten Mal ist die Wirtschaft stärker
als die Politik.
"Der Fortschritt ist eine
Schnecke", schrieb einst ein deutscher
Literaturnobelpreisträger, von dem
vielleicht nicht sehr viel mehr bleiben
wird als dieser Satz. Und der ist
falsch. Der Fortschritt kriecht in
keiner Schleimspur; er hat keine Fühler,
mit denen er sich vorwärtstastet; er hat
kein Haus, in das er sich bei Gefahr
zurückziehen könnte. Vor allem aber
bewegt er sich nicht in einer geraden
Linie vorwärts. Nein, der Fortschritt
ist keine Schnecke; er ist ein Krebs. Er
geht seitwärts, um voranzukommen.
Ein schönes Beispiel dafür
sehen wir gerade in den Vereinigten
Staaten – jedenfalls dann, wenn man die
Abschaffung der Todesstrafe für einen
Fortschritt hält. Jahrzehntelang haben
Gruppen von amerikanischen
Bürgerrechtlern gegen die Todesstrafe
demonstriert; linksliberale
Anwälte haben versucht zu zeigen, dass
es sich hier um eine "grausame und
ungewöhnliche" Strafe handle, die nicht
mit der Verfassung vereinbart werden
könne.
Anwaltsbüros haben
Gefangene, die im Todestrakt saßen,
unentgeltlich vertreten, um sie in
letzter Minute noch vor der Exekution zu
retten, die katholische Kirche hat gegen
die Todesstrafe angepredigt, Hollywood
hat einen Anti-Todesstrafen-Film nach
dem anderen gedreht, und schwarze
Organisationen haben darauf hingewiesen,
dass Amerikaner afrikanischer Herkunft
deutlich häufiger hingerichtet werden
als Weiße.
Es hat alles nicht
genützt, und zwar deswegen, weil die
Vereinigten Staaten in einem viel
graswurzelhafteren Sinn eine Demokratie
sind als die europäischen Länder. Und
die meisten Amerikaner
befürworten nun einmal die Todesstrafe –
sei es, weil sie sie für gerecht halten,
sei es, weil sie Angst vor
Gewaltverbrechern haben und glauben, nur
durch die Drohung mit dem Tod könnten
sie in Schach gehalten werden.
Pfizer will nur als
Medikament verwendet werden
Nun aber wird die
Todesstrafe in den Vereinigten Staaten
doch abgeschafft, wenn schon nicht de
jure, so doch de facto. In unseren
Tagen und vor aller Augen. Und wer ist
daran schuld? Die Pharmaindustrie. Im
vergangenen Monat hat die Firma Hospira
– die als einzige in den Vereinigten
Staaten berechtigt ist, das Schlafmittel
Thiopental herzustellen, das bei
Exekutionen mittels Injektionsspritze
verwendet wird – bekannt gegeben, dass
sie keinen Nachschub mehr liefern wird.
Zuvor hatte Hospira
versucht, die Produktion von Thiopental
nach Italien auszulagern; das war aber
am Veto der italienischen Öffentlichkeit
und Regierung gescheitert. Im März hatte
die Arzneimittelfirma Pfizer bekannt
gegeben, dass sie sieben von ihr
produzierte Substanzen – darunter
Kaliumchlorid – nur als Medikament
eingesetzt sehen will, nicht als
Tötungsmittel. Sie werde durch schärfste
Beobachtung dafür sorgen, dass die
fraglichen Substanzen nicht in die Hände
der Regierungen von amerikanischen
Bundesstaaten gelangen, in denen es
weiterhin die Todesstrafe gibt.
Die Folge? Jenen 35
Bundesstaaten, welche die Exekution per
Giftspritze praktizieren, geht der Stoff
aus. Ein paar von ihnen – etwa Arizona,
Kalifornien und Nebraska – haben
versucht, sich das Zeug aus
Großbritannien und Indien liefern zu
lassen. Aber Großbritannien hat
mittlerweile verboten, Medikamente in
die Vereinigten Staaten zu liefern, wenn
sie dort zur Hinrichtung von Verbrechern
verwendet werden; außerdem ist eine
Klage anhängig, ob der Stoff aus dem
Ausland überhaupt amerikanischen
Qualitätskriterien genügt. So lange über
diese Klage nicht entschieden ist,
können die Substanzen in den Vereinigten
Staaten nicht verwendet werden.
Das Ganze erinnert an
Al Capone
In Texas sitzen
mittlerweile 317 Häftlinge im Todestrakt
– der Bundesstaat hat aber nur noch
genug Medikamente, um zwei von ihnen zu
Tode zu spritzen. Ohio hat sogar nur noch
genug Gift für einen Todeskandidaten
übrig. Gewiss kann man sich – wie die
Regierung von Utah – dafür entscheiden,
auf altmodische Hinrichtungsarten (im
Falle Utahs: Erschießen)
zurückzugreifen. Aber das zieht wieder
langwierige Rechtsstreitigkeiten nach
sich, weil die Methoden von gestern den
juristischen Standards von heute nicht
genügen. Die Todesstrafe in Amerika
könnte dank dieses Streiks der
Pharmaindustrie also endgültig passé
sein.
Von ferne
erinnert das an einen berühmten
Kriminalfall: Al Capone. Jahrelang war
das FBI hinter diesem Gangsterkönig her,
der sich in der Zeit der Prohibition mit
Alkoholschmuggel in Chicago eine goldene
Nase verdiente und seine Konkurrenten im
Valentinstag-Massaker am 14. Februar
1929 mit Maschinenpistolen niedermähen
ließ. Keine Anklage blieb kleben, dem
Mann war einfach nichts nachzuweisen,
zumal er mit Politikern im Rathaus
kungelte.
Was wurde
Capone am Ende zum Verhängnis? Die Steuergesetzgebung. 1927
beschloss der Oberste Gerichtshof in
Washington, dass auch für Vermögen, das
auf illegalem Wege erworben worden war,
Einkommensteuer abgeführt werden musste.
Und so wurde der Alkoholschmuggler,
Gangsterboss und Mörder Capone im
November 1931 wegen Steuerhinterziehung
zu einer mehrjährigen Haftstrafe
verurteilt.
Auch im Kalten Krieg
bestimmte die Wirtschaft die Politik
Man kann in
diesem Zusammenhang auch an das Ende der
Sowjetunion denken. Hier soll gewiss
nicht das Verdienst von Dissidenten wie
Andrej Sacharow,
Alexander Solschenizyn oder Nathan
Scharanski kleingeredet werden, die
tapfer die Wahrheit sagten, auf
Menschenrechte pochten und der
Sowjetunion den Anschein der Legitimität
raubten. Auch die viel geschmähte
nukleare Hochrüstung hat geholfen, die
Herren des Gulag in die Knie zu zwingen.
Letztlich war es aber weder dies noch
jenes, was der kommunistischen Diktatur
den Garaus machte, sondern – wie Sven
Felix Kellhoff in der "Welt" vom 16. Mai
gezeigt hat – der Ölpreis.
Die
wirtschaftlich marode Sowjetunion war
auf den Verkauf von Rohöl angewiesen, es
war ihr wichtigster Exportartikel. Doch
zwischen 1980 und 1987 fiel der
Marktpreis für ein Barrel Öl von 39,50
auf 9,75 Dollar. Dass die Sowjetunion es
gleichzeitig nicht schaffte, mehr Öl zu
fördern, sondern immer weniger
hochpumpte, verschärfte die Lage
natürlich noch. Als sie 1991 aufgelöst
wurde, war sie rechtschaffen pleite.
Letztlich haben wir das Ende des
grausamen sowjetischen Experiments – und
damit den Fall der Mauer – auch
einem guten Zufall der Marktwirtschaft
zu verdanken.
Der Fortschritt
ist eben keine Schnecke, sondern ein
Krebs. Er bewegt sich nicht vorwärts,
sondern seitwärts; er nimmt Wege, die
kein Mensch voraussehen kann. Er zwickt
mit seinen Krebsscheren just dann zu,
wenn es niemand erwarten würde. Er ist
unberechenbar, anarchisch. Man übersieht
ihn leicht, weil er so klein ist. Aber
auf Dauer sind nicht einmal Weltreiche
vor ihm sicher. Und die Hoffnung hat
keinen besseren Bundesgenossen als
ihn.>