geschrieben am 17/07/2016
von Link im roten Text am
Ende des Artikels
<Von
Ernst Wolff.
Das
globale Finanzsystem gleicht seit 2008
einem Patienten, der auf der
Intensivstation liegt und künstlich am
Leben erhalten wird. Seine Ärzte sind
die Zentralbanken, die ihm immer höhere
Dosen immer billigeren Geldes
verabreichen und dabei wissen: Ohne
diese Behandlung wäre der Patient
innerhalb kürzester Zeit tot.
Ähnlich
wie mit dem Finanzsystem verhält es sich
derzeit mit den italienischen Banken.
Sie sind aus eigener Kraft nicht
überlebensfähig. Für genau diesen Fall
hat die EU die Bail-in–Regelung
eingeführt. Sie besagt: In Not geratene
Banken sollen nicht mehr wie 2008 durch
ein Bail-out, also mit dem Geld der
Steuerzahler, sondern zunächst durch die
teilweise Enteignung von Aktionären,
Einlegern und Sparern gerettet werden.
Italien
und EU in der Sackgasse
Dieses
Prinzip ist allerdings bereits im
vergangenen Dezember bei vier Banken in
der Toskana angewendet worden und hat
nicht nur dort, sondern in ganz Italien
für Aufruhr gesorgt: Es wurde nämlich
deutlich, dass es alles andere als
sozial gerecht ist. Während ultrareiche
Investoren ihre Vermögen durch ihren
Informationsvorsprung rechtzeitig
abziehen und in Sicherheit bringen
konnten, wurden Arbeiter, Angestellte,
Kleinunternehmer und Rentner kalt
erwischt und über Nacht zwangsenteignet.
Einige von ihnen verloren ihre gesamten
Ersparnisse, ein Rentner nahm sich aus
Verzweiflung das Leben.
Die
italienische Regierung steht nun vor
einem unlösbaren Dilemma: Wendet sie die
Bail-in-Regelung erneut an, muss sie mit
heftigem sozialem Widerstand,
möglicherweise einem Volksaufstand und
einem Run auf die Banken rechnen. Wendet
sie die Regelung nicht an, ist sie auf
die Unterstützung der EU angewiesen.
Die EU
aber befindet sich ebenfalls in einer
Zwangslage: Gibt sie den italienischen
Forderungen nach, macht sie sich nicht
nur unglaubwürdig, sondern verteilt das
Problem einfach nur auf alle
europäischen Steuerzahler. Diese aber
sind gleichzeitig die Wähler der
nationalen Regierungen und werden jede
weitere Maßnahme dieser Art durch
Abwendung von den etablierten Parteien
und nach dem Brexit-Votum der Briten
durch weitere Austrittsforderungen aus
der EU quittieren.
Der
IWF schaltet sich ein
In die
Patt-Situation zwischen der
italienischen Regierung und der
EU-Führung hat sich nun der IWF
eingeschaltet. Die erste Frage, die sich
dem Beobachter aufdrängt, lautet: Wieso
mischt sich der IWF überhaupt in innere
Angelegenheiten der EU ein? Die Antwort:
Die Angelegenheit ist alles andere als
ein internes Problem der EU.
Hier der
Grund:
Wegen der seit Jahren instabilen
Situation des Finanzsystems wird heute
kaum noch ein Kredit ohne
Kreditausfallversicherung (englisch:
credit default swap oder CDS) vergeben.
Dabei versichert sich der Kreditgeber
gegen den möglichen Zahlungsausfall
seines Schuldners. Was einmal vernünftig
als Maßnahme zur Risikobegrenzung
gedacht war, ist durch die Deregulierung
der Finanzmärkte in eine der
gefährlichsten Tellerminen im
Finanzgeschäft verwandelt worden: Heute
ist es nämlich auch solchen
Marktteilnehmern, die an der Vergabe
eines Kredites nicht beteiligt sind,
gestattet, eine
Kreditausfallversicherung abzuschließen.
Das hat
jede Menge Spekulanten auf den Plan
gerufen, die sich gezielt nach
unsicheren Krediten umsehen und darauf
Ausfallversicherungen abschließen, d.h.:
auf ihren Ausfall wetten. Je mehr von
ihnen auf den Zug aufspringen, umso
größer die Summe, die bei einem
tatsächlichen Ausfall des Schuldners
fällig wird – im Falle der italienischen
Banken dürfte es sich dabei inzwischen
um weit mehr als eine Billion Euro
handeln.
Insbesondere
Hedgefonds (Vermögensverwaltungen für
Milliardäre) lauern im Hintergrund und
warten nur darauf, dass es zu
Zahlungsausfällen kommt. Da die meisten
Kreditausfallversicherungen bei
Marktgiganten wie der Deutschen Bank,
der Crédit Suisse und den US-Großbanken
JPMorgan und Goldman Sachs abgeschlossen
wurden, ist das Problem der
italienischen Banken also kein
nationales, sondern ein internationales.
Und in der internationalen Arena hat vor
allem einer das Sagen: der IWF.
Allerdings
steckt der IWF in Bezug auf die EU
ebenfalls in der Klemme. Auf der einen
Seite ist die EU ein Konkurrent der USA,
daher ist der IWF an ihrer Schwächung
interessiert. Auf der anderen Seite ist
die EU ein essentieller Teil des
globalen Finanzgefüges und könnte es im
Falle ihres Zusammenbruchs mit in den
Abgrund reißen. Aus diesem Grund muss
der IWF also versuchen, die EU trotz
aller Störmanöver am Leben zu erhalten.
Das
Rezept des IWF ist bereits ausgestellt
In der Tat
bemüht sich der IWF zurzeit um eine
solche Doppel-Strategie: Indem er die
italienische Regierung in ihrer
Forderung nach einem Bail-out durch die
EU unterstützt, treibt er die seinem
Vorschlag ablehnend gegenüberstehenden
deutschen Politiker in die Enge: Geben
sie nicht nach, droht der Banken-Kollaps
in Italien, geben sie nach, wird die
Empörung darüber ihren Rückhalt in der
Bevölkerung weiter schwinden lassen.
Noch kann
niemand sagen, wie das Drama um die
italienischen Banken ausgehen wird. Nur
eines ist gewiss: Selbst ihre
vorübergehende Stabilisierung würde nur
einen Bruchteil der Probleme in der
Eurozone lösen. Derzeit nicht im Blick
der Öffentlichkeit sind nämlich noch die
spanischen, portugiesischen und
griechischen Banken, deren Bilanzen
ebenfalls riesige Löcher aufweisen. Dazu
kommen die Staatsschulden, die
inzwischen nicht nur in Griechenland,
sondern auch in Italien, Spanien,
Portugal, Belgien und Irland mehr als
100 % des Bruttoinlandsproduktes
ausmachen und damit als untragbar
gelten.
Das
Problem, vor dem die EU zurzeit steht,
ist also erheblich größer als das der
italienischen Banken und erfordert
langfristig wesentlich mehr Geld als
eine „einfache“ Bankenrettung. Doch
woher soll es in einer Situation
allgemein hoffnungsloser Verschuldung
kommen?
Der IWF
hat seine Antwort auf diese Frage
bereits vor Jahren gegeben: In der
Broschüre „Taxing Times“ vom Oktober
2013 hat er zur Lösung der europäischen
Schuldenkrise eine „einmalige
Vermögensabgabe“ in Form einer Steuer
auf Privatvermögen ins Gespräch gebracht
und diese Forderung sogar präzisiert:
„Um die Schuldenquote auf das Niveau vom
Jahresende 2007 zu senken, bedürfte es…
eines Steuersatzes von etwa 10 % auf
alle Haushalte, die über Kapitalvermögen
verfügen.“ Da die Verschuldung seit 2013
um ca. 1,5 Billionen Euro gestiegen ist,
müsste der Prozentsatz heute also noch
etwas höher liegen.
In anderen
Worten: Für den Ernstfall verlangt der
IWF von der EU, der arbeitenden
Bevölkerung durch einen Rundumschlag
einen Teil ihrer hart erarbeiteten
Rücklagen zu entziehen. Und das nicht
etwa, um die Probleme der EU ein für
allemal aus der Welt zu schaffen,
sondern nur, um einen Reset auf den
Stand von 2007 vorzunehmen! Da der IWF
keinerlei Konsequenzen für die
Verursacher der Krise fordert, ist es
nicht schwer, sich seine Zukunftsvision
auszumalen: Nach der Enteignung darf das
gegenwärtige Spiel zu den gleichen
Regeln wieder von vorn beginnen: Nachdem
die arbeitende Bevölkerung gezwungen
wurde, für die von ultrareichen
Investoren angerichteten Schäden
aufzukommen, dürfen diese nach dem
Willen des IWF auch weiterhin ungehemmt
auf Kosten der Allgemeinheit
spekulieren.
Ernst
Wolff ist freier Journalist und Autor
des Buches „Weltmacht IWF – Chronik
eines Raubzugs“, erschienen im
Tectum-Verlag, Marburg.>