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Museum der Primärnationen ("Indianermuseum") Zürich
6. Quillwork mit aufgeweichten Stachelschweinborsten - Perlenstickerei mit europäischen Glasperlen
Sioux-Ehrenfeder mit verstärktem Kiel, ein Hartlederband mit Quill umwickelt bzw. umflochten
Samtmütze mit Perlenstickerei der Irokesen-Primärnation
präsentiert von Michael Palomino (2012)
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Prestel-Museumsführer, Text von Denise Daenzer und Tina Wodiunig: Indianermuseum der Stadt Zürich; Prestel-Verlag; München, New York 1996; gefördert durch die Cassinelli-Vogel-Stiftung, Zürich, MIGROS Kulturprozent, Volkart-Stiftung, Winterthur; ISBN 3-7913-1635-4
<Quillwork und Perlenstickerei
[Ursprüngliche Verzierungstechniken]
Die Technik der Applikation, also das Aufsetzen und Anbringen von plastischen Verzierungen und Ornamenten aus den verschiedensten Materialien auf Gewebe, Leder und andere Unterlagen, entwickelte sich in den indianischen Kulturen in vielfältigen Formen. Ursprünglich dienten Stachelschweinborsten, Elchhaare, Muschelperlen, Schneckenhäuschen, Federn, Federkiele, Gräser, Maisstroh oder auch Zähne verschiedener Tiere als Applikations- und Schmuckmaterial. Durch die Handelsbeziehungen mit den europäischen Eroberern und Einwanderern wurden später auch Glasperlen, Seidenbänder und bunte Tücher als Applikationsstoffe eingesetzt. Dabei hat man die Verarbeitunstechniken der Weissen zum Teil übernommen, zum Teil aber auch auf eigene Weise abgewandelt und mit traditionellen, indianischen Handwerkstechniken kombiniert. Vor allem die mit Stachelschweinborsten geschmückten Pfeifenbehälter (Abb. S.74), Satteltaschen und Jagdbeutel sowie die perlenverzierten Kleider, Leggins und Mokassins mit den geometrischen oder floralen Applikationsornamenten wurden für die Europäer gewissermassen zu Markenzeichen des indianischen Kunsthandwerks.
[Quillwork mit aufgeweichten, gefärbten Stachelschweinborsten und Naturfarben]
Das Quillwork, die Applikation von Stachelschweinborsten, war zunächst im nördlichen Waldland und in der Subarktis verbreitet. Durch aus dem Waldland eingewanderte Volksgruppen wurde die Technik später auch in den Präriegebieten bekannt. Die Bewohner der Plains, deren Lebensraum auch nicht zum Verbreitungsgebiet des nordamerikanischen Baumstachelschweins gehörte, kamen hauptsächlich durch Tauschhandel und Jagdausflüge in die nördlichen Regionen zu den begehrten Schmuckstacheln. Während die Jagd der Stachelschweine zu den Aufgaben der Männer gehörte, waren die Verarbeitung der Borsten und das gesamte Quillhandwerk eine Domäne der Frauen.
Um die Stacheln für die Applikation elastisch zu machen, sind sie in warmes Wasser gelegt oder im Munde aufgeweicht worden. Meist wurden die Borsten auch gefärbt - mit Vorliebe rot, gelb oder schwarz -, wobei man pflanzliche und mineralische Farbstoffe verwendete. Um zu möglichst intensiven Tönen zu kommen, wurden die unteren Enden der Borsten abgeschnitten, so dass sich auch ihre Hohlräume einfärben liessen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden für das Quillwork vermehrt auch Anilinfarben europäischer Herkunft eingesetzt.
Zu den primären Quillwork-Verfahren gehören das Umwickeln, das Flechten, das Aufnähen und das Weben, wobei sich in der Anwendung dieser Techniken je nach Kultur und Region vielfältige Varianten entwickelt haben.
[Quilltechnik Umwickeln]
Die einfachste Methode war das Umwickeln, wie es das Beispiel der beiden von den Oglala-Sioux stammenden Armbänder zeigt (Abb. 5), bei denen man (S.85) ein Rohlederstück nicht ganz bis zum Ende in drei Streifen aufgeschnitten und mit weissen, roten und rosafarbenen Borsten umwickelt hat, die auf der Rückseite durch Ineinanderstecken fixiert worden sind. Solche umwickelte Streifen wurden auch zu breiteren Mustern zusammengefügt, wie dies am Beispiel des Skalphemdes und seiner Quillbänder sichtbar ist (Abb. 1).
Umwickelter Quill bei Armbändern oder Skalphemd
Bequillte Armbänder wurden von den Männern bei Tänzen und Zeremonien an den Oberarmen getragen.
Auf dem weichgegerbten Lederhemd sind an den Ärmeln und von den Schultern nach vorne und hinten abfallend bequillte Lederstreifen aufgenäht. Der Brustteil des Hemdes ist mit Hermelinschwänzen geschmückt, die Rückenseite mit Skalplocken.
[Quilltechnik Flechten]
Beim Flechten wurden abgeflachte Borsten abwechslungsweise unter und über zwei Sehnenfäden geführt, bis sich ein Band mit einem Flechtmuster ergab, das aus zwei ineinandergreifenden Dreiecken gebildet war. Wurde gleichzeitig mit zwei verschiedenen Borsten geflochten, entstand ein rautenförmiges Muster. Für besonders feine Arbeiten verwendete man die weichen und dünnen Stacheln von der Bauchseite des Baumstachlers. Dabei ist die Einfadentechnik bevorzugt worden, bei der man einen Quillstreifen um einen Faden wickelte und in gleichmässigen Abständen auf dem Trägermaterial aufnähte. So entstanden jene lebendigen Linien, wie sie vor allem für die Kurvenmuster der Irokesen typisch sind (Abb. 4).
Geflochtenes Quill bei Mokassins
Weichsohlige Mokassins. Auf Rist und Überschlägen ist die feine Quillarbeit von breiteren Bahnen in Dreiecksbandtechnik eingefasst. Die Überschläge sind mit roten und weissen Hirschhaarbüscheln bereichert, die mit Sehnenfaden in Blechhülsen eingezogen sind.x
Das Leder ist rauchgebräunt. Die Quillapplikationen sind in Linear- und Dreibandtechnik gefertigt, wobei die Seideneinfassung des Überschlags mit weissen Perlen besetzt ist.
[Quilltechnik Weben]
Die anspruchsvollste Quilltechnik, das Weben, wurde nur von einzelnen Gruppen in der Subarktis praktiziert. Dazu verwendete man einen hölzernen Webbogen, zwischen dessen Enden die Kettenfäden eingespannt waren (Abb. 2). Die einzelnen Borsten wurden so eingeflochten, dass auf und ablaufende Bänder entstanden. Am Ende der Arbeit sind die auf der Rückseite vorstehenden Borsten abgeschnitten und je nach Verwendungsart mit einem Leder- oder Stoffstreifen kaschiert worden.
Der Holzbogen ist mit einer angefangenen Quillweberei bespannt. Nach dem ersten kurzen Arbeitsstück, das bereits fertig und mit Leder abgefüttert ist, kommt ein weiterer Teil mit abgeschnittenen Borstenspitzen; beim letzten Abschnitt sind noch die Enden der verwobenen Borsten zu sehen. Darunter liegt ein Gürtel ganz aus Quilltechnik. Gewobene Quilltechnik ist heute eher selten. Dieser Gürtel ist relativ neu und wurde von Rosa Minoza in Fort Providence (Great Slave Lake) gewoben.
Die Indianerinnen im Gebiet der grossen Seen schmückten auch Behälter aus Birkenrinden mit gefärbten Stachelschweinborsten (Abb. 3). Dabei wurden die Borsten in vorgebohrte Löcher gesteckt, nach innen gebogen und mit einem Rindenfutter abgedeckt und festgehalten.
Die Borstenspitzen wurden, nachdem man sie durch die Rinde nach innen gesteckt hatte, abgewinkelt und mit einem Rindenfutter kaschiert.
[Glasperlen lösen grossenteils die aufwändige Arbeit mit Schweineborsten ab - das Glasperlensortiment des Häuptlings]
Als im Laufe des 19. Jahrhunderts der Handel mit europäischen Glasperlen immer mehr an Bedeutung gewann, ist die aufwändige Quilltechnik allmählich von der einfacheren Perlenstickerei abgelöst worden. Zwar benutzten die Indianerinnen bereits in vorkolumbischer Zeit Muschelschalen und Schneckenhäuser, um daraus eine Art von Perlen herzustellen (vgl. Abb. 8, S.61), die sie auf Kleidern aufnähten oder zu Halsbändern aufreihten. Doch erst mit den von den Europäern als Tauschware eingeführten Glasperlen verbreitete sich die Perlenstickerei über alle indianischen Regionen. Bald wurden die Glasperlen zum eigentlichen Wohlstandssymbol, so dass ein Häuptling nicht mehr viel galt, wenn er nicht ein Perlensortiment im Gegenwert von mindestens zweihundert Fellen besass.
Beispiele für Arbeiten mit Perlenstickerei der Primärnationen
Die Perlenstickerei mit der hochgewachsenen Pflanze symbolisiert die Fichte des Irokesenbundes, die so hoch war, dass sie bis zum Himmel reichte. In diesem Baum sah man das schwesterliche Verhältnis aller Stämme verkörpert, während seine Wurzeln für die fünf Irokesenstämme stehen - Seneca, Cayuga, Onondanga, Oneida und Mohawk -, die 1570 den Irokesenbund schlossen.
Das Blumenmuster müsste eher der Region der Waldlandbewohner (Ojibwa) zugeordnet werden, aber der auf dem Stulpenrand eingestickte Name Delloria gehört zu einer Familie der Santee-Dakota.
[Die gestickten "Amerika"-Fahnen sind eher Zynismus und Anpassung an die Macht der imperialistisch orientierten Feuerwaffen].
Das Blau auf Frauen- und Mädchenkleidern der Sioux hat oft nicht die Farbe des Himmels zu bedeuten, sondern kann auch ein Symbol der Erde sein - wahrscheinlich wegen der blauen Tonerde in Minnesota, aus der die Sioux ihre blaue Farbe gewannen.
Diese perlenbestickte Weste (Overlay Stitch) ist eine Nachahmung der Bekleidung weisser Männer, die oft hemdsärmlig im Freien arbeiteten. Das Blumenmuster ist charakteristisch für die Waldlandbewohner des Nordostens.
Im Gegensatz zu den Mokassins der Waldlandindianer, die aus einem einzigen weichen Lederstück gefertigt wurden, sind jene der Prärievölker mit einer harten Sohle versehen.
Für die Beisetzung kleidete man die Verstorbenen in ihre wertvollsten Gewänder. Die Mokassins wurden auch an den Sohlen verziert, da man sich vorstellte, dass die Verstorbenen darauf über die Milchstrasse ins Jenseits wandern würden.
[Die Glasperlen aus Amsterdam, Gablonz und aus der Region Venedig (Murano)]
Hergestellt wurden die begehrten Glasperlen in Amsterdam, im böhmischen Gablonz sowie vor allem im venezianischen Murano. Bis heute gilt Venedig in Amerika als "Mother of Modern Beads". Von dort stammten die berühmten "Tradeheads" (Handelsperlen) wie die Chevronperlen, die Cornaline-d'Aleppo-Perlen und all die unzähligen Lampenwicklerperlen. Neben den "Tradebeads" wurden auch die "Crow"-, "Pony"- und "Seedbeads" beliebt und berühmt. Erst die winzigen "Seedbeads" mit nicht mehr als drei Millimetern Durchmesser, die bei uns Samenperlen oder Rocailles genannt werden, ermöglichten die filigranen Stickereien, wie sie etwas auf den reich ornamentierten Lederhandschuhen (Abb. 7) zu sehen sind (S.86).
[Techniken der Glasperlenstickerei]
Zur Verarbeitung der Glasperlen wurden hauptsächlich zwei Techniken angewandt: das Weben mit einem einfachen Webrahmen und die eigentliche Perlenstickerei auf Stoff, Leder und anderen Materialien. Sowohl bei den verwobenen wie bei den aufgestickten Perlen war die gewählte Ornamentik zunächst noch ganz von der klassischen Quilltradition bestimmt, wobei sich später indianische Muster und europäische Motive zu neuen Figuren und Formen verbanden (Abb. 6). Dabei gab es Arbeitsweisen, bei denen jede Perle einzeln für sich festgenäht war, oder andere, bei denen eine ganze Perlenreihe auf einem Faden aufgezogen und in regelmässigen Abständen mit einem darüberliegenden zweiten Faden fixiert wurde. Diese "Overlay"-Technik wurde hauptsächlich von den Indianerinnen des nördlichen Waldlandes für ihre floralen Schmuckformen eingesetzt (Abb. 9).
Für eher flächendeckende Perlenstickereien haben die Frauen der Plains- und Präriegebiete den "Lazy Stitch" (Faulenzerstich) angewandt, bei dem parallele Reihen von fünf bis zehn Perlen aufgenäht wurden, wobei die für diese Regionen charakteristischen Bogen- oder Buckelmuster entstanden (Abb. 12).
[Emanzipation bei Quillwork und Perlenstickerei - nun dürfen auch die Männer]
Wie das Quillwork war auch die Perlenstickerei früher ausschliesslich den Indianerinnen vorbehalten. Nachdem die Nachfrage nach perlenbesetzten Kleidungs- und Schmuckstücken durch die Renaissance von Powwowws und anderen indianischen Traditionen in der jüngsten Vergangenheit stark zugenommen und auch der touristische Markt einen grossen Bedarf an indianischem Kunsthandwerk geweckt hat, sind heute vermehrt auch Männer dazu bereit, sich der Perlenstickerei zuzuwenden (S.87).
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