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Museum der Primärnationen (Nordamerika Native Museum, "Indianermuseum") Zürich
9. Flechtarbeiten: Hüte, Schalen, Körbe: Korbherstellung vor dem Zeitalter der Töpferei
Hut für die Waljagd der Nootka-Primärnation (Abb.1)
Korbschalen der Hopi-Primärnation in Spiralwulsttechnik (Abb.11)
präsentiert von Michael Palomino (2012)
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Prestel-Museumsführer, Text von Denise Daenzer und Tina Wodiunig: Indianermuseum der Stadt Zürich; Prestel-Verlag; München, New York 1996; gefördert durch die Cassinelli-Vogel-Stiftung, Zürich, MIGROS Kulturprozent, Volkart-Stiftung, Winterthur; ISBN 3-7913-1635-4
<Flechtarbeiten
[Korbherstellung vor dem Zeitalter der Töpferei]
Die Korbherstellung gilt als das älteste nordamerikanische Handwerk und wird oft als "Mutter" der indianischen Künste bezeichnet. Schon lange vor der Konfrontation mit den Weissen waren in Nordamerika viele Flechttechniken bekannt, die zur Herstellung von Kleidern, Masken, Matten, Rasseln, Fischreusen, Tragevorrichtungen, Taschen, Behältern und Schmuckstücken dienten. Noch bevor die Keramikherstellung in Nordamerika Verbreitung fand, waren die Indianerinnen in der Lage, wasserdichte Krüge und Gefässe zu flechten, die innen oder aussen mit Harz ausgestrichen waren und zum Kochen in die Glut gestellt werden konnten. Korbbehälter waren überall in Nordamerika zur Lagerung, Zubereitung und zum Schöpfen von Nahrungsmitteln von zentraler Bedeutung; lediglich in der Region der Prärie/Plains wurden vorwiegend Ledergefässe benutzt. Im Südwesten sind die geflochtenen Kochtöpfe zuerst bei den sesshaften Pueblo durch feuerfeste Tongefäss ersetzt worden. (Der Begriff "Pueblo" - spanisch für "Dorf" - bezeichnet sowohl die indianischen Dörfer wie auch die Bewohner im Südwesten Nordamerikas). Die Nomaden dieser Region - insbesondere die Apachen und Navajo - blieben länger bei den Korbformen, die leichter und weniger bruchgefährdet als Tongefässe waren. Erst mit der Verbreitung von kommerziell hergestellten und von Weissen importierten Behältern jeglicher Art verloren die Korbgefässe im Alltag der Indianer an Bedeutung - ausgenommen im Südwesten, wo sie in vielen Zeremonien noch immer eine wichtige Rolle spielen. Im Zuge der Wiederentdeckung indianischen Handwerks in den sechziger Jahren erlebte auch die Korbherstellung einen neuen Aufschwung. In der Folge ist es aber nur den Hopi und den Papago gelungen, die Korbwarenproduktion zu einem rentablen Wirtschaftszweig zu entwickeln.
[Einige Regeln zur Korbflechterei bei den Primärnationen]
Das Korbflechten wird in Nordamerika fast ausschliesslich von Frauen betrieben und ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine anonyme Tätigkeit. Wie das Töpfern unterliegt auch dieses Handwerk gewissen Tabus. So ist es bei den Hopi zum Beispiel Mädchen und jungen Frauen untersagt, einen Korb ganz zu Ende zu flechten. Denn würden sie das noch hervorstehende Flechtwerk abschneiden und zu einem Abschluss verarbeiten, signalisierten sie damit den Göttern, dass sie keine Kinder gebären möchten. Diesen Eindruck gilt es aber zu vermeiden, da Fruchtbarkeit in dieser Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert hat (S.27).
Wie die Töpferinnen so müssen auch die Flechterinnen zur Gewinnung der Rohmaterialien ihre natürliche Umgebung sehr gut kennen. Zum Flechten eignen sich Gräser, Wurzeln, Stengel, Ruten, Blätter, Nadeln und Fasern vieler Pflanzen; sie müssen jedoch zur rechten Zeit gesammelt sowie fachgerecht getrocknet und verarbeitet werden, damit sich die Flechtwaren nach ihrer Fertigstellung nicht verziehen. Für die Gestaltung der Motive, mit denen die Körbe geschmückt wurden, verwendeten die Indianerinnen des Südwestens um 1900 vorübergehend Anilinfarben, doch schon nach wenigen Jahren kamen sie wieder auf die natürlichen Farbstoffe zurück.
[Verschiedene Flechttechniken zur Korbherstellung]
Zur Herstellung eines Korbes gibt es grundsätzlich drei Techniken, wobei jede in zahlreichen Variationen angewandt wird: das einfache oder "echte" Flechten, wovon das Weidenflechten ("Wicker Plaiting") eine besondere Form ist; die Doppelfadentechnik ("Twining"), auch Zwirnbindung genannt, sowie die Spiralwulsttechnik ("Coiling").
[Flechtarbeiten der Ureinwohner an der Nordwestküste des heutigen Kanada und in Kalifornien]
Die Doppelfadentechnik ist das an der Nordwestküste und in Kalifornien vorherrschende Flechtverfahren. Insbesondere die Körbe der Aleuten gehören weltweit zu den feinsten in dieser Technik ausgeführten Arbeiten. Beliebt sind auch die konischen Hüte der Haida, Kwakiutl oder Tlingit wie auch die mit Verzierungen in Auflagetechnik ("Overlay") gemusterten Dosen und die flexiblen Körbe der Makah (Abb. 3). Die Flechterei spielt an der Nordwestküste heute eher eine untergeordnete Rolle und wird nur noch von wenigen Frauen praktiziert.
Flechtarbeiten der Nootka und Makah (Nordwestküste des heutigen Kanada)
Dieser Hut wurde von der Flechterin Rhoda Mack aus weissem Zedernbast geflochten. Das Walfangmotiv ist in schwarzer Farbe gehalten, mit etwas Rot an der Stelle, wo der Wal getroffen wurde. Als Vorlage diente wohl ein Bild des schweizer Malers Johann Wäber, auf dem Maquinna porträtiert ist. Maquinna war Chief der Nootka zur Zeit, als Captain Cook die Nordwestküste [des heutigen] Kanada bereiste. Damals war es üblich, dass der Häuptling während der Waljagd einen solchen Hut trug, um das Jagdglück herbeizuführen. Heute werden diese Hüte nicht mehr benutzt und deshalb nur noch selten angefertigt.
Diese Korbwaren stammen alle von der Nordwestküste Kanadas und sind in Doppelfadentechnik aus Zedernbast gefertigt. Von links nach rechts: Korb mit Boots- und Vogelmotiv (Nootka), Körbchen mit Rand (Makah), geflochtene Dose mit Deckel (Nootka), rechteckiger Korb (Makah) und langer, schmaler Korb im Hintergrund (Makah).
[Flechtarbeiten der Hupa und Yurok an der Westküste im heutigen Nord-Kalifornien]
Der Norden Kaliforniens ist das Zentrum der in der Auflagetechnik gestalteten Verzierungen. Dabei wird der Flechtfaden mit einem zusätzlichen Streifen farbigen Materials belegt und so eingeflochten, dass das Muster entweder nur auf einer Seite sichtbar wird ("Half-twist overlay") oder auf beiden Seiten ("Full-twist overlay"). Die geometrischen Motive auf den Kochkörben und Hüten der Hupa und Yurok sind Beispiele für die erste Variante (Abb. 10). Dazu werden Fichtenwurzeln verwendet, die man mit glänzend gelbem "Bärengras" oder schwarzen Farnstengeln belegt.
Flechtarbeiten der Hupa und Pomo (heutiges Kalifornien)
Der Weidenkorb, der in Doppelfadentechnik geflochten ist, wurde von den Frauen mit einem Riemen um die Stirn getragen - eine Art des Lastentragens, die im Südwesten weit verbreitet war.
[und ist heute noch verbreitet z.B. bei den Ureinwohnern in Otavalo in Ecuador].
Solche Hüte dienten den Frauen als Stirnschutz, damit die Stirnriemen der Lastkörbe nicht zu stark in die Haut einschneiden konnten. Die Hüte sind in Doppelfadentechnik gefertigt und mit "Half-twist-overlay"-Mustern verziert.
In dieses Körbchen sind Federn des Rotkopfspechtes und der kalifornischen Wachtel eingeflochten; der Rand ist mit Muschelscheibchen verziert. Juwelenkörbchen hatten symbolische Bedeutung und wurden an Mädchen, Bräute und andere Frauen verschenkt, die sich in Übergangsstadien ihres Lebens befanden.
[Flechtarbeiten der Hopi im heutigen Arizona]
Der Südwesten [des nord-"amerikanischen" Kontinents] ist das Zentrum der Körbe, die in der Spiralwulsttechnik hergestellt werden. Es ist auch jene Region, aus der heute die meisten kommerziell produzierten Korbwaren kommen. Vor allem die von den Hopi nur auf der zweiten Mesa angefertigten flachen Korbschalen (Abb. 11) sind sehr sorgfältig gearbeitet und gehören bis heute [1990er Jahre] zu den beliebtesten Modellen. (Die Pueblo-Indianer bauten ihre Dörfer aus Verteidigungsgründen vorwiegend in der Höhe, auf drei "Mesas" des Colorado-Plateaus, eines kargen, in der Halbwüste Nordarizonas gelegenen Tafelgebirges). Die dicken Wülste dieser Körbe bestehen aus Yuccafasern, die mit regelmässigen Stichen dicht umwoben werden. Die Motive reichen meist bis in den letzten Wulst hinaus und können sowohl geometrische wie auch naturalistische Darstellungen von Wolken, Federn, Vögeln, Menschen, Kachinas usw. sein. Sind die Muster geometrisch, so werden sie meist in symmetrischer Anordnung über die ganze Korbschale verteilt. Bei naturalistischen Motiven besteht gewöhnlich eine Symmetrie, während auf einen Ausgleich zwischen oben und unten häufig verzichtet wird. Die Muster sind in den Farben Gelb, Rot, Braun und Grün gestaltet, wobei die Farben aus Naturstoffen gewonnen werden (S.28).
Flechtarbeiten der Hopi (heutiges Arizona)
Diese drei flachen Schalen wurden auf der zweiten Mesa in Spiralwulsttechnik angefertigt.
Diese Korbschalen, hier in der Rückansicht abgebildet, sind in Wickertechnik geflochten worden.
Runde oder ovale Ringkörbe wurden schon vor Ankunft der Weissen zum Maiswaschen verwendet und sind immer noch in den Hopi-Dörfern anzutreffen, heute oft mit farbig eingeflochtener Musterung. Die Körbe, die am oberen Rand mit einem Holzring verstärkt sind, werden in einfacher Flechttechnik aus Yuccafasern hergestellt.
Die in der Wickertechnik - einer Variante des einfachen Flechtens - hergestellten Schalen und flachen Korbteller der Hopi sind von hoher Qualität und stammen ausschliesslich aus den Dörfern auf der dritten Mesa. Sie bestehen aus einem festen Gerüst, das aus den Ruten des "Wild Currant" - einer Art Berberitze - gebildet wird und mit Zweigen des "Rabbitbrush" umflochten wird. Diese Arbeiten sind mit ähnlichen Motiven geschmückt wie die in der Spiralwulsttechnik gefertigten Körbe, allerdings in weniger leuchtenden Farben (Abb.6).
Flechtarbeiten weiterer Primärnationen (heutiges Arizona)
Vorratskrug der San-Carlos-Apachen, entstanden um 1920, in Spiralwulsttechnik geflochten.
Der Korb entstand um 1930 und wurde in der Spiralwulsttechnik geflochten.
[Flache Korbschalen - "Hochzeitskörbe" der Hopi- und Navajo-Primärnationen]
Flache Korbschalen, die Hochzeitskörbe genannt werden, sind bei den Hopi und den Navajo bekannt. Jene der Hopi können in Wicker- oder Spiralwulsttechnik gefertigt sein und weisen ein Sternenmotiv auf. Auf ihnen trägt die Braut - als Bestandteil der Hochzeitszeremonie - Maismehl in das Haus ihres zukünftigen Gatten. Der Hochzeitskorb ist für den Mann eine Voraussetzung, um nach dem Tod in eine andere Welt gelangen zu können. Bei den Navajo essen Braut und Bräutigam während der Hochzeitszeremonie gemeinsam Maisbrei aus dem Hochzeitskorb, den sie anschliessend ihren Gästen anbieten. Der Korb wurde früher bis zum Tode eines Partners aufbewahrt und anschliessend verbrannt. Heute wird er oft an ein anderes Brautpaar weitergegeben.
Die Fertigung der Navajo-Hochzeitskörbe erfolgte früher nach strengen Regeln. Das farbige Muster hat einen roten Kern, der von schwarzen Zacken umfasst wird und an einer Stelle offen ist (Abb. 6). Durch diesen "spirituellen Pfad" sollen die geistigen Kräfte ein- und ausgehen können. Das Muster repräsentiert die Berge und Täler der Ober- und der Unterwelt, das heisst der spirituellen und der materiellen Welt. Das Wulstende des Korbes befindet sich immer auf der Höhe des "spirituellen Pfades", damit dieser auch dann markiert bleibt, wenn der Korb mit Maisbrei gefüllt ist. Bei Hopi und Navajo sind die Hochzeitskörbe bis heute [1990er Jahre] in Gebrauch, jene der Navajo werden inzwischen aber von anderen Gruppen - insbesondere den Papago - hergestellt (S.29).
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