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Museum der Primärnationen (Nordamerika Native Museum, "Indianermuseum") Zürich
12. Holzschnitzerei an der Nordwestküste sowie bei Hopi und Irokesen
Adlermaske, eventuell von der Haida-Primärnation (Abb.1)
Zeremonialhut mit Fisch und Reiter, Tlingit-Primärnation (Abb.8)
präsentiert von Michael Palomino (2012)
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Prestel-Museumsführer, Text von Denise Daenzer und Tina Wodiunig: Indianermuseum der Stadt Zürich; Prestel-Verlag; München, New York 1996; gefördert durch die Cassinelli-Vogel-Stiftung, Zürich, MIGROS Kulturprozent, Volkart-Stiftung, Winterthur; ISBN 3-7913-1635-4
<Holzschnitzerei
Die Vorstellungen von indianischer Holzschnitzkunst werden vor allem mit den Kulturen der Nordwestküste [heute zwischen Vancouver und Alaska] verbunden, auch wenn deren plastische und ornamentale Gestaltungsformen manchmal eher an ostasiatische und ozeanische Vorbilder erinnern. Neben den Nordwestküstenvölkern sind nur noch die Hopi im Südwesten (Kachinafiguren, siehe S. 37ff.) sowie die Irokesen des nordöstlichen Waldlandes für ihre Schnitzkunst berühmt. Die Irokesen haben es in der Holzbearbeitung vor allem mit ihren Falschgesichtsmasken zu grosser Meisterschaft gebracht.
[Relativer Wohlstand an der Nordwestküste mit Lachs und Wald - Entwicklung der Holzschnitzerei]
Für die Menschen an der waldreichen Nordwestküste war Holz der wichtigste Rohstoff, und das reichhaltige Angebot an Lachsen und anderen Meerestieren ermöglichte ein sesshaftes Leben in relativem Wohlstand. Das führte dazu, dass sich eine privilegierte Klasse von "Adligen" entwickeln konnte, die diesen Status vorwiegend dadurch demonstrierte, dass sie ihren Besitz öffentlich zur Schau stellte, einen Teil davon verschenkte oder ihn sogar zerstörte. Zu diesem Zweck benötigten diese Adligen viele , repräsentative Güter, was den Holzschnitzern und Künstlern willkommene Beschäftigung gab.
[Motive der Geistwesen oder Gottheiten in Tierform in der Holzschnitzerei]
Im Leben der Nordwestküstenvölker waren Alltag und Kunst nicht streng voneinander geschieden. Kunst hatte in diesen Gesellschaften stets eine Aufgabe zu erfüllen, eine Botschaft zu vermitteln. So hat man zum Beispiel auch Werkzeuge und Gerät des täglichen Gebrauchs durch künstlerische Bearbeitung aufgewertet. Dabei wurden eher figurative als geometrische Formen gewählt, wobei Tierfiguren realistisch oder als Phantasieschöpfungen auftreten. Das erklärt sich aus der Bedeutung der vielen Geistwesen oder Gottheiten [Ausserirdische, Astronauten], die den Menschen meist in Tierform erschienen. Jede Kultur hatte ihre eigenen mythischen Figuren und Tiergeister, die oft als stilisierte oder abstrahierte Symbole und Muster wiedergegeben wurden. Was dargestellt werden sollte, wurde meist weniger durch die ganze Gestalt als durch einzelne Merkmale charakterisiert. So erkennt man den Raubwal vor allem an seiner markanten Rückenflosse, den Biber an den beiden übergrossen Nagezähnen oder am üppigen Schuppenschwanz, den Raben an der typischen Schnabelform und den Bären an seinem mächtigen Maul mit den zackigen Zähnen.
Das Relief an der Aussenseite zeigt von links nach rechts einen Wolf, zwei Vögel, ein Menschengesicht und einen grünen Frosch. Auf der gegenüberliegenden Seite sind Otter, Schwertwal und Donnervogel dargestellt, auf der Innenseite des Wiegenhauptes erscheint ein Vogelkopf.
Kunstobjekte der Nordkwestküste, besonders Masken und andere Zeremonialgegenstände, zählten bereits früh zu den gefragtesten Sammelstücken. Heute sind es aber auch Alltagsgegenstände, die auf Auktionen hohe Preise erzielen. Die in Form einer Robbe aus Zedernholz geschnitzte Tran- und Essschale gehörte sicher einmal zu den Kostbarkeiten eines indianischen Haushaltes. Meist wurde darin Fischöl oder Waltran als Tunke für trockene Fisch- oder Fleischstücke angerichtet. Auch die Holzschüssel in Form einer Scholle, auf deren Deckel ein Adler sitzt, zeigt die Vorliebe für Tiermotive (Abb. 5) (S.65). Bei diesen Beispielen sind die Tiere nicht nur illustrativ dargestellt, vielmehr ist der ganze Gegenstand als Tierfigur aufgefasst und gestaltet worden.
Geschnitzte Gebrauchsgegenstände als Tierfiguren
Kopf und Schwanz einer Scholle bilden die Handgriffe dieser Schüssel, der Deckelgriff ist als Adler gestaltet.
Essgefäss aus Zedernholz in Froschgestalt.
[Motivik als "Flächenfüller"]
Die Künstler der Nordwestküste vermieden leere Flächen (Latein: "Horror vacui") und benutzten dazu standardisierte "Flächenfüller". Eine annähernd ovale Form stellt gewöhnliche Augen und Gelenkverbindungen dar. U-förmige Zeichen stehen häufig für Ohren, Schnauzen und Federn, aber auch für Rücken- und Schwanzflossen von Fischen oder Säugetieren. Die inneren Teile der Tiere, wie Rippen, Rückgrat und Eingeweide, wurden oft im "Röntgenstil" dargestellt, um den Raum innerhalb der Konturen auszufüllen. Obwohl die Künstler viele Möglichkeiten hatten, die vorgegebenen Linien und Figuren individuell zu variieren, wurde kein persönlicher Ausdruck angestrebt. Selbstverständlich entwickelten sich aber zahlreiche, regionale Stilvarianten, von den eher expressiven Werken südlicher Gruppen wie Kwakiutl, Nootka und Salish bis zu den realistischeren Schnitzereien der Tlingit, Tsimshian und Haida im Norden. Der intensive, kulturelle Austausch zwischen den einzelnen Familien und Völkern führte dazu, dass sich die regionalen Unterschiede der gebräuchlichen Gestaltungsformen im Laufe der Zeit mehr und mehr verwischt haben.
[Wappenpfähle (Totempfähle, Pfahl der Sippe)]
Zu den bekanntesten Holzschnitzereien der Nordwestküste gehören die Wappenpfähle, die in der opulären Literatur meist als Totempfähle bezeichnet werden. Sie tragen stark schematisierte Tierdarstellungen, wobei die Tiere aber keine Totems sind, sondern Wappentiere und Würdezeichen des Pfahlbesitzers. Man errichtete solche Pfähle, die Höhen bis zu fünfzehn Metern erreichten, bei verschiedenen Anlässen: beim Bau eines Hauses, zu Ehren einer verstorbenen, hochrangigen Person, oder bei Bestattungen von Familienangehörigen, wobei die ausgehöhlten Pfähle zuweilen selbst als Grabstätten dienten, indem der Leichnam in sie hineingelegt wurde. Aber auch als Willkommensfiguren wurden und werden Pfähle errichtet, sei es am Fluss- oder Seeufer zur Begrüssung der ankommenden Gäste, oder sei es vor dem Zürcher Indianermuseum zum Empfang der Besucher.
[Beschreibung des ehemaligen Totempfahls vor dem ehemaligen Indianermuseum in Zürich]:
(Gestaltet wurde der "Zürcher" Wappenpfahl von Mark George, einem indianischen Künstler aus North Vancouver. Mit der Axt und mit Schnitzmessern sowie mit Hilfe zahlreicher Schülerinnen und Schüler modellierte er aus dem 700 Kilogramm schweren Lindenstamm die Reliefs von Rabe, Schwertwal und Indianergestalt, die anschliessend farbig bemalt wurden).
[Leider enthält der Museumsführer kein Foto dieses alten Zürcher Totempfahls und auch im Internet ist von diesem alten Totempfahl vor dem alten Museum kein Foto zu finden].
[Masken]
Auch Masken gehören zu den charakteristischen und weitverbreiteten Kunstwerken der Nordwestküste. Im Norden spielten sie vor allem bei Feiern, Festen, Tanzveranstaltungen und beim Potlatch, dem Geschenkverteilungsfest, eine wichtige Rolle. Das Oberhaupt einer Familie oder eines Clans trug dabei meistens eine Maske, die sein Wappentier repräsentierte, während die Tänzer, die Clan- oder Volksmythen darstellten, je nach ihrer Rolle unterschiedlich maskiert waren.
Holzmasken der Primärnationen der oberen Nordwestküste (heutiges Kanada)
Der untere Schnabelteil und die Zunge der bemalten Holzmaske sind so ausgeführt, dass sie sich bewegen lassen.
Die Ende des 19. Jahrhunderts aus Zedernholz geschnitzte Maske wurde auf dem Kopf getragen; an ihrer Hinterseite war ursprünglich ein Nackentuch angebracht.
Im Süden sind die Kwakiutl [auf der Insel Vancouver Island] für ihre auffallenden Masken bekannt. Sie stellen vogelähnliche Monster [wahrscheinlich ausserirdische Vogelgötter!] und andere übernatürliche Wesen dar, die mit rituellem Kannibalismus in Verbindung standen.
[Die Sage über die Riesin "Tsonokwa"]
Eine moderne Variation eines alten Motivs zeigt die "Tsonokwa"-Maske (Abb. 4), die eine legendäre Riesin verkörpert, welche in fernen Bergen und Wäldern lebte (S.66) [...] Tsonokwa war Überbringerin von Reichtum und Glück. In ihrem Haus waren viele Kisten versteckt, mit Schätzen vollgestopft, die von Kindern gefunden wurden, welche die Riesin besuchen wollten.
[Die Version über Tsonokwa mit der Behauptung, Kinder einzufangen und zu verspeisen, ist NICHT möglich, denn gleichzeitig soll Tsonokwa nicht gut laufen können und ihre Augen sollen immer halb geschlossen sein. Aber Kinder lassen sich nicht von einer Frau einfangen, die nicht gut laufen kann. Die Menschenfresserlegende über Tsonokwa ist wahrscheinlich "christlich"-rassistischer Stumpfsinn und soll nur die Massenmorde bei den eigenen, "christlichen" Kriegen vertuschen].
[Ein Zeremonialhut der Tlingit - die Sage von einem Schwertwal]
Eng verwandt mit der Maskenkultur sind Zeremonialhüte, Kopfschmuckvorderteile und Helme, die Wappen, Legenden oder Episoden aus der Geschichte eines Clans dokumentieren. So gehörte der Träger des aus Zedernholz geschnitzten Zeremonialhutes (Abb. 8) zum Schwertwal-Clan der Tlingit. Die Darstellung geht auf eine Sage um einen Schwertwal zurück, der mit den Menschen befreundet war und ihnen offenbar auch erlaubte, auf seinen Rücken zu klettern, um sich von einer Insel zur anderen befördern zu lassen - wobei man sich natürlich an der Rückenflosse gut festhalten musste.
Der Träger dieses aus Zedernholz geschnitzten Zeremonialhutes gehört zum Schwertwal-Clan. Die Darstellung geht auf eine Sage zurück, in welcher der Schwertwal mit den Menschen befreundet war und sie auf seinem Rücken von Insel zu Insel beförderte.
[Zeremonialstäbe und Rasseln]
Zu den Zeugnissen dieses eigenständigen Kunsthandwerks zählen auch die Zeremonialstäbe, die von hohen Persönlichkeiten bei Ansprachen oder bei bestimmten Ritualen getragen wurden, sowie geschnitzte Figuren, die Schutzgeister und Schamanen verkörpern, schliesslich auch die hölzernen Rasseln, die in verschiedensten Formen ausgeführt wurden. Eine besonders interessante Variante waren die Rabenrasseln (Abb. 9), die wahrscheinlich zuerst von den Tsimshian gestaltet wurden. Das gezeigte Objekt entspricht einem verbreiteten Typus und symbolisiert die Machtübertragung zwischen Mensch und Tier.
Beispiele von Holzrasseln der Primärnationen
Diese Rassel aus Zedernholz stellt einen stilisierten Schwertwal dar.
Die bemalte Holzrassel entspricht einem verbreiteten Typus: Auf dem Rabenrücken sitzt ein Mensch, der durch seine Zunge mit einem Frosch verbunden ist, der seinerseits von einem Eisvogel gehalten wird. Auf der anderen Seite der Rassel ist ein Habicht dargestellt.
[Heutige Schnitzer schnitzen traditionell oder entwickeln neue Motive]
Heutige, indianische Kunsthandwerker und Künstler verfolgen zwei unterschiedliche Strategien: Während die einen den überlieferten Formen und Inhalten treu bleiben, entwickeln andere das Überlieferte weiter oder suchen nach neuen Wegen und Ausdrucksmöglichkeiten. Dabei fällt auf, dass sich zahlreiche indianische Künstlerinnen und Künstler zunächst vor allem mit den Traditionen der Nordwestküstenvölker beschäftigen, bevor sie sich ihrer eigenen kulturellen Herkunft zuwenden. Oft liegt für die Beschäftigung mit den Traditionen nur sekundäres Material vor. Sie kommt mit Hilfe von Literatur oder über jene Begegnungen zustande, die das Museum möglich macht (S.67).
Beispiele neuerer Schnitzereien der Primärnationen der Nordwestküste (heutiges Kanada)
Die 1968 entstandene Maske wird eingerahmt von einer "Halo-Scheibe", einem "Hof"; das herabhängende Haar ist aus Zedernbast.
Alkuntäm, der Schöpfer der Menschen, Tiere und Pflanzen, wurde 1970 geschnitzt. Das weisse, wallende Haar ist aus dem Schweif eines Pferdes gefertigt.
Der Brieföffner in Form eines Schwertwals und die Brosche mit dem stilisierten Wolfskopf stammen von dem Holzbildhauer Mark George aus North Vancouver.
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