[Todesraten von 45
Promille, 29,8, 24 und 22 Promille für
Deutschland 1945-1946]
Wir
können die von Robert Murphy für das Jahr 1946 in
Deutschland angesetzte Sterblichkeitsrate
bestimmen, wenn wir von seiner Voraussage
ausgehen, die im wesentlichen besagte, dass die
Bevölkerungszahl abnehmen werde, weil die Zahl der
Todesfälle diejenige der Neugeburten in de
kommenden Jahren um zwei Millionen überwiegen
werde. Seine Voraussage beruhte auf seiner
Kenntnis der "gegenwärtigen, hohen
Sterblichkeitsrate in Deutschland" und
natürlich auf seiner Kenntnis der
Geburtenrate. Da eine Geburtenrate keine
statistischen Werte preisgibt, die, für sich
allein genommen, eine Gefahr darstellen könnten,
darf man wohl davon ausgehen, dass sie zutreffend
wiedergegeben wurde. Demnach betrug die
Geburtenrate 1946 in Westdeutschland 16,1 Promille
und in Ostdeutschland 10,4 Promille.
1) Brian Mitchell: International Historical
Statistics: Europe, 1750-1988, S.102, 109
Unter Berücksichtigung der
unterschiedlichen Bevölkerungszahlen in Ost und West
ergibt sich eine Geburtenrate von 14,47 Promille für
Gesamtdeutschland. Nach Murphys Berechnungsmodell gab
es demnach in Deutschland jährlich etwa 940.000
Neugeburten. Damit sich Murphys Voraussage
bewahrheitete, musste also die Zahl der Todesfälle
940.000+2.000.000=2.940.000 betragen, was bei einer
Einwohnerzahl von 65 Millionen einer
Sterblichkeitsrate von 45 Promille pro Jahr
(Sterbeziffer=45) entsprochen hätte, wenn man Murphys
für eine unbestimmte Zukunft getroffene Voraussage auf
ein Jahr bezieht. Entsprechend ergäbe sich, auf zwei
Jahre gerechnet (2x940.000+2.000.000), eine
Sterbeziffer von 29,8, auf drei Jahre bezogen von 24,
auf vier Jahre von 22 und so weiter. Natürlich dachte
bei den CFM-Treffen [Council of Foreign Ministers,
Aussenministerrat der vier Alliierten] niemand daran,
dass es mehr als vier Jahre dauern würde, bis alle
Vertriebenen eingetroffen und die Kriegsgefangenen
heimgekehrt sein würden, also können wir die
Berechnungen hier getrost abbrechen [S.257].
Die Sterbeziffer lag also zu der Zeit, da Murphy dies
schrieb, zwischen 22 und 45. Wir haben nirgends Belege
dafür gefunden, dass irgendwo in Deutschland in
grösserem Massstab und über einen längeren Zeitraum
eine Sterblichkeitsrate von 45 Promille oder mehr
herrschte. Die höchste Sterbeziffer, die wir fanden,
war diejenige von Berlin mit 41. Ausserdem hätte
Murphy dann davon ausgehen müssen, dass bereits nach
einem Jahr, also 1948, die letzten vertriebenen und
Kriegsgefangenen in Deutschland eingetroffen sein
würden, was natürlich nicht der Fall war, zumal
Franzosen und Sowjets, die 1947 die meisten
Kriegsgefangenen hatten, deutlich machten, dass sie
nicht daran dachten, alle ihre Gefangenen noch im
gleichen Jahr in die Heimat zu entlassen. Da diese
hohe Sterbeziffer von 45 sowieso fast unmöglich ist,
sollten wir grosses Gewicht auf die Tatsache legen,
dass Sowjets, Briten und Franzosen allesamt angaben,
sie würden ihre Kriegsgefangenen bis 1949 entlassen.
Und so geschah es auch, bis auf einige sehr wenige
Kriegsverbrecher.
[Deutsche Flüchtlinge bis 1950]
Auch sollten wir grosses Gewicht auf die Tatsache
legen, dass die Rate des Zustroms von Flüchtlingen und
Vertriebenen im Jahr 1947 bedeutete, das die
meisten von ihnen bis 1950 in Deutschland angekommen
sein würden. Und dass die Alliierten damit rechneten,
dass sich die Lage in Deutschland bis 1950 so weit
stabilisiert hätte, dass ein weiterer begrenzter
Zustrom von Vertriebenen keinen erheblichen Einfluss
mehr auf die Wirtschaft haben würde. Und so war es
dann auch.
[Die reale Sterbeziffer für
Rest-Deutschland 1945-1950: Bacque schätzt
zurückhaltend 24 Promille pro Jahr]
Die Sterbeziffer, die sich ergibt, wenn man als Ende
der Zuwanderungen das Jahr 19405 ansetzt, ist dann
auch die wahrscheinlichste. Diese Sterbeziffer beträgt
24. Dabei handelt es sich um eine vorsichtige, das
heisst, eher weniger Tote implizierende Schätzung
innerhalb eines Rahmens zwischen 22 und 29,8.
Da wir aus dem Vergleich der Volkszählungsergebnisse
von 1946 und 1950 wissen, dass Murphy tatsächlich eher
vorsichtig schätzte, indem er weniger Todesfälle
vorhersagte, als tatsächlich eintraten, so können wir
wohl auch davon ausgehen, dass er seinen Zeitrahmen
zur Bestimmung der Sterblichkeitsrate mit Bedacht
setzte. Das heisst, wir können getrost annehmen, dass
seine Schätzung der Sterblichkeitsrate eher auf der
vorsichtigen Seite innerhalb des Rahmens von 20 bis 30
Promille lag. Auch hiermit steht die angenommene
Sterbeziffer von 24 im Einklang.
[Die Volkszählungen von 1946 und 1950]
Diese Sterbeziffer soll uns nun als Bezugsgrösse zur
Überprüfung der Volkszählungsergebnisse dienen. Die
Sterberate von 24 bedeutet, dass in ganz Deutschland
in den 15 Monaten zwischen Juli 1945, dem Zeitpunkt
der Potsdamer Konferenz, und Oktober [S.258] 1946, dem
Zeitpunkt der ersten Volkszählung, 1.950.000 Einwohner
starben. Den heutigen offiziellen Angaben der
Bundesregierung zufolge starben während dieser 15
Monate in den drei Westzonen etwa 786.000 Menschen.
2) Die Bundesregierung veranschlagte die
Gesamtzahl der im Jahr 1945 Gestorbenen auf 710.000.
Der proportionale Anteil für die Zeit von Anfang
August bis Ende Dezember beträgt somit 296.000. Für
das gesamte Jahr 1946 betrug die offizielle Zahl der
Gestorbenen 588.331, auf den Zeitraum Januar-Oktober
1946 entfielen danach rund 490.000. Für den gesamten
Zeitraum von Anfang August 1945 bis Ende Oktober
1946 beträgt die amtliche Zahl der Gestorbenen somit
etwa 786.000.
Die Zahl für 1946 wird heute vom Statistischen
Bundesamt so dargestellt, als beruhte sie auf einer
tatsächlichen Zählung im Jahr 1946. Bei der Zahl für
1945 handelt es sich nach amtlicher Angabe um eine
Schätzung.
[Sowjetzone - es fehlen über 800.000 Deutsche]
Für die Sowjetzone wurden keine entsprechenden
statistischen Angaben veröffentlicht, doch herrschten
dort ähnliche Bedingungen - Lebensmittelzuteilungen
etc. - wie in den drei Westzonen. Die Einwohnerzahl
der Sowjetzone betrug etwa 39 Prozent der
Einwohnerzahl der drei Westzonen, daher setzten wir
hier die Zahl der Gestorbenen entsprechend auf etwa
306.000 an. Die offiziellen Schätzungen für den
Zeitraum Juli 1945 bis Oktober 1946, für den Murphys
Zahlen belegen, dass etwa 1.950.000 Einwohner
gestorben sein müssen, belaufen sich also auf
lediglich 1.100.000 Gestorbene. Wiederum verschwinden
hier viele Menschen einfach aus der Statistik, diesmal
über 800.000. [S.259]