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Uwe Gartenschlaeger

DIE STADT MINSK WÄHREND DER DEUTSCHEN BESETZUNG (1941 - 1944)

8. Zusammenfassung und Schlusswort

Magisterarbeit im Fach Mittlere und Neuere Geschichte im Rahmen der Magisterprüfung an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln. Gutachter: Prof. Dr. M.Alexander

Abschrift: Michael Palomino (2000)

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Die deutsche Besatzungspolitik in den von der Wehrmacht okkupierten Gebieten der Sowjetunion war auch von ihren eigenen Zielen her gesehen alles andere als erfolgreich. Die geplante Unterstützung der Front durch eine brutale, aber dabei so effektiv wie möglich organisierte Ausbeutung des Hinterlandes gelang ebensowenig wie die wirksame Unterdrückung des Widerstandes durch Repressionsmassnahmen oder politische Einwirkung. Einzig das Vernichtungsprogramm an den osteuropäischen Juden wurde konsequent verwirklicht.

Ein Grossteil der Ursachen für diesen Misserfolg liegt in Fehlern begründet, die bereits im Planungsstadium angelegt waren. So gelang es nie, die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Institutionen zu koordinieren. Das Ergebnis war, dass die verschiedensten Konzepte nebeneinander existierten: Ökonomischer Ausbeutungskrieg, rassisch motivierter Vernichtungsfeldzug, Präventiv- und Befreiungskrieg stimmten schon vom Ziel her nur punktuell überein. Dass Vertreter all dieser Zielvorgaben vor Ort eingesetzt wurden, führte schon auf er strukturellen Ebene zur festen Etablierung eines beachtlichen Konfliktpotentials. So bildeten in Minsk beispielsweise die Auseinandersetzungen zwischen SS und Zivilverwaltung eine beinahe die gesamte Besatzungszeit durchziehende Konstante. Erst als die Leitung beider Institutionen in der Hand einer Person vereint wird, verlieren sie an Prägnanz.

Diese Reibungsverluste wurden durch persönlich motivierte Auseinandersetzungen noch verstärkt. Durch die institutionellen Strukturen sehr begünstigt, hatte das so entstehende Klima ständiger Rivalität fatale Auswirkungen auf die Effektivität deutscher Verwaltung in Weissrussland. Die Verzahnung von strukturellen und persönlichen Rivalitäten kann besonders an Hand der gut dokumentierten (S.154)

Kontroverse von SSPF Strauch mit dem GKW Kube nachvollzogen werden.

Hinzu trat das Desinteresse der Nationalsozialisten an einer mittel- und langfristig angelegten Planung.

(1. Man glaubte, auf diese verzichten zu können, da nach allgemeiner Einschätzung die UdSSR in einem weiteren Blitzkrieg schnell besiegt werden würde).

Dies traf insbesondere für die Gebiete ohne bedeutende Rohstoffvorkommen zu. Minsk und Weissrussland lagen so nicht nur im Windschatten der deutschen Planer, sie wurden darüber hinaus auch zu dem Gebiet, in das persönlich unfähige oder missliebige Funktionsträger abgeschoben wurden. Diesem Personenkreis - zu nennen sind hier z.B. Kube, der sich seinerseits über diese Praxis bitterlich beschwerte, Janetzke, Strauch und Zenner - gelang es nie, das durch das Planungsdefizit entstandene Vakuum produktiv zu füllen. Vielmehr nutzten sie die entstandenen Freiräume zu persönlichen Neigungen entsprechenden, aber politisch wenig weitsichtigen Projekten. Kubes Sorge um die germanische Vorgeschichte Minsks oder das Engagement eines als Wetterdienst-Inspektor eingesetzten bayrischen Archivassessors für die Archive der Stadt gehören in diese Kategorie.

(2. In Einzelfällen stimmten politisch Sinnvolles und persönliche Neigung allerdings überein, wie im Falle der Jugendarbeit eines HJ-Führers).

Weitere Unzulänglichkeiten trugen zum mangelhaften Niveau der deutschen Besatzungsverwaltung bei. Viele der in Minsk eintreffenden nationalsozialistischen Funktionsträger waren erheblich mit ideologisch motivierten Vorurteilen befrachtet. Für sie gehörten Slawen einer minderwertigeren Menschenrasse an, die meisten waren wohlmöglich verkappte Bolschewisten. Hinzu kam die sehr lückenhafte Ausbildung. Nur wenige Deutsche beherrschten eine slawische Sprache; auf den wenigen Vorbereitunsglehrgängen wurden den Teilnehmern kaum Verständnis für (S.155)

das Land vermittelt. Der Personalmangel verschärfte die Schwierigkeiten zudem ausserordentlich.

Das Ergebnis dieser Defizite war eine Besatzungspolitik, die viele Chancen vergab. Die dringendsten Probleme der Stadt - allen voran die Versorgung mit Lebensmitteln - konnten nie gelöst werden. Das Anwachsen der Widerstandsbewegung wurde hilflos beobachtet, die eingesetzten Mittel in erster Linie eine Verschärfung des Terrors - waren völlig ungeeignet, ja kontraproduktiv. Eine echte Chance wurde in der Zusammenarbeit mit kollaborationswilligen Einheimischen vertan. Zwar darf gerade hier der Handlungsspielraum nicht überschätzt werden. Doch gehen einige Fehlentwicklungen deutlich auf das Konto der Protagonisten vor Ort. Dies gilt für Strauchs Privatkrieg gegen den Vorsitzenden des "Weissruthenischen Selbsthilfewerks", Ermatschenko, ebenso wie für die verfehlte Kirchenpolitik mit ihrem Beharren auf der von den Orthodoxen ungeliebten Autokephalie.

Vom Vorwurf der Inkompetenz kann kaum eine der in Minsk eingesetzten Dienststellen freigesprochen werden. Er trifft gerade auch die Militärverwaltung, deren Massnahmen - insbesondere die Inhaftierung aller männlichen Erwachsenen Minsks - eine erste schwere Hypothek für das Ansehen der Deutschen darstellten. Bemerkenswert ist dabei, dass sich die Motivation der Militärs, soweit sie erkennbar ist, kaum von der anderen Institutionen unterscheidet.

(3. Allenfalls lassen sich Nuancenverschiebungen ausmachen: So ging es den Militärs in erster Linie um die Sicherung des eroberten Gebietes, der SS hingegen primär um die Verwirklichung ideologischer Ziele. Elemente rassischen Denkens beispielsweise lassen sich aber auch bei der Militärverwaltung ausmachen).

Die geschilderten Defizite hatten aber nicht nur Auswirkungen auf die konkrete Besatzungspolitik. Sie (S.156)

zeigten sich auch in der emotionalen Hilflosigkeit vieler Deutscher. Unvorbereitet fanden sich die meisten in einer Lage wieder, in der sie keineswegs als die strahlenden Eroberer in ein Land mit völlig demoralisierter, untertäniger Bevölkerung einzogen. Der immer zäher werdende Widerstand der Einheimischen, ihre Fremdartigkeit und z.T. auch die gnadenlose Brutalität des Besatzungsregimes zeigten bei vielen Wirkung. Die Reaktionsweisen waren recht unterschiedlich: Manche waren der Situation nicht gewachsen, erlitten Nervenzusammenbrüche, baten um Versetzung. Andere versuchten sich mit Alkohol zu betäuben, verloren mit der Zeit alle moralischen Schranken. Wieder andere begannen, an der Richtigkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung zu zweifeln. Besonders die Anwesenheit der aus demselben Kulturkreis stammenden, gleichwohl aber zu tötenden deutschen Juden trug hierzu bei.

Die jüdischen Bewohner Minsks, sofern sie nicht mit der Roten Armee fliehen konnten, erwarteten die Deutschen zunächst ohne besondere Furcht. Ihr Verhalten unterschied sich anfangs nicht von dem apathischen Vor-sich-Hinleben der anderen Minsker. Doch die Massnahmen der Besatzungsmacht - Ghettoisierung und permanente rassische "Siebungen" und Erschiessungen von Juden im Kriegsgefangenenlager - machten ihnen sehr schnell ihre verzweifelte Lage klar. Ein kleiner aktiver Kern reagierte darauf mit der Organisierung von Widerstand und Versuchen der Kontaktaufnahme zum gesamtstädtischen Untergrund.

(4. Der Untergrund verhalf aber nur sehr wenigen, jungen und sowjetpatriotischen Juden zum Überleben).


Die Mehrheit jedoch verhielt sich auch weiterhin passiv. Neben der Empfindung eigener Machtlosigkeit trug dazu die von den Deutschen angewandte Taktik bei, die Angelegenheiten des Ghettos durch einen von ihnen ernannten Judenrat verwalten zu lassen. Diesem oblag es, für Sicherheit und Ordnung, aber auch für den reibungslosen Ablauf der (S.157)  verschiedenen "Aktionen" zu sorgen. Ihm gelang dies weit besser, als es die mit den Gepflogenheiten der Ostjuden kaum vertrauten Besatzer je vermocht hätten.

(5. Uneingeschränkt gilt dies aber erst, nachdem die im Widerstand aktiven Mitglieder des Judenrates von den Deutschen ausfindig gemacht und ermordet worden waren).

Die Lage der nach Minsk deportierten deutschen, österreichischen und tschechischen Juden war von vornherein hoffnungslos. Den völlig entwurzelten und im Osten fremden Menschen war eine wirkungsvolle Kontaktaufnahme zum Widerstand unmöglich. Dem SD gelang es auch in diesem Fall, den Judenrat zur Disziplinierung einzusetzen. Allerdings war das Widerstandspotential im deutschen Ghetto sowieso schon geringer als im russischen. Die kollektive Haltung  seiner Bewohner schwankte zwischen apathischer Resignation und dem Wunsch, sich die letzten Tage so angenehm wie irgendmöglich zu machen.

(6. Schwer zu beurteilen ist dabei das Mass an gegenseitiger Solidarität. Die Materiallage lässt hier, wie überhaupt zum Komplex des jüdischen Schicksals, noch viele Fragen offen).

Die schnelle deutsche Besetzung ihrer Stadt hinterliess bei vielen weissrussischen und russischen Minskern einen schweren, tiefsitzenden Schock. Die verzweifelte Stimmung wurde durch die bald zu Tage tretende Härte des deutschen Besatzungsregimes noch verstärkt. Dies alles erschwerte die ohnehin schon prekäre Lage der Minsker, die in einer zu 80% zerstörten Stadt leben mussten, in der jegliche Infrastruktur ausgefallen war. So galt die Hauptsorge der Organisierung des täglichen Überlebens: der Beschaffung von Lebensmitteln, Wohnraum und Heizmaterial. Besonders die Lebensmittelversorgung war auf legalem Wege nicht sicherzustellen. Wes entstanden weitverzweigte illegale Strukturen, die im von den Deutschen im allgemeinen geduldeten Schwarzmarkt zusammenliefen. (S.158)

Daneben war die Beschaffung einer legalen Existenz angesichts der vielen Kontrollen in Minsk zweite Sorge der Bewohner. Sie hing eng untrennbar mit dem Nachweis einer Arbeitsstelle zusammen, da die Deutschen eine Registrierungspflicht beim städtischen Arbeitsamt eingeführt hatten. Mit der Fortdauer und Zuspitzung der deutschen Unterdrückungsmassnahmen wurden an diesem Punkt immer mehr Menschen vor die Frage gestellt, ob denn die weitere Arbeit für die Besatzungsmacht nicht einer Kollaboration gleichkam. Die Frage nach dem Widerstand stellte sich immer häufiger. Er wurde mit der Zeit zu einer Überlebensfrage, da die Deutschen zum einen immer deutlicher auf die Verliererstrasse gerieten, und man bei den voraussichtlichen Siegern auf keinen Fall in den Geruch der Kollaboration kommen wollte. Zum anderen trieb das brutale Besatzungsregime selbst die Menschen zu der Erkenntnis, dass der Widerstand eine realistischere Überlebenschance biete.

Zunächst bestand die in der Stadt aktive Untergrundbewegung aber nur aus wenigen überzeugten Kommunisten.

(7. Eine nennenswerte nichtkommunistische Widerstandsbewegung ist in Minsk nicht nachweisbar).

Ihre Aktionen blieben zunächst unkoordiniert. Sie konnten die Besatzungsmacht kaum beeinträchtigen. Kontinuierlich gewann der Widerstand - unterbrochen allerdings durch zwei verheerende Verhaftungswellen - an Breite und Organisiertheit. Für die Deutschen zu arbeiten, wurde auch moralisch unhaltbar. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch eine geschickte sowjetische Politik: Appelle an den "Sowjetpatriotismus" fielen ebenso auf fruchtbaren Boden wie konkrete Zugeständnisse, etwa in der Kirchenpolitik. Durch die Politik des nationalsozialistischen Deutschlands, die den Minskern keine realistische Existenzmöglichkeit anbot, gewann so die stalinistische Sowjetunion immer mehr Unterstützung. (S.159)

Zunehmend gelang es der Sowjetführung, den Minsker Untergrund im Sinne einer für den Kriegsverlauf möglichst effektiven Arbeit durchzuorganisieren. Dies betraf einerseits die Verfeinerung der konspirativen Techniken, andererseits die umfassende Lenkung der Aktionen.

(8. Dem Ziel der Minimierung der Gefahr diente in der letzten Phase auch die Verlegung der Zentrale zu den Partisanen. Inwiefern dieser Schritt auch einer verbesserten Kontrolle des Minsker Untergrundes durch die Partei dienen sollte, muss offen bleiben. Dies Motiv spielte aber vermutlich schon deswegen nicht die entscheidende Rolle, weil die Kontrollmöglichkeiten schon in der dritten Phase recht umfassend waren).

Die Bereitschaft zur Kollaboration war am Anfang nur schwach entwickelt. Dies lag zum einen an den Stalinschen Massenmorden gegen die potentiell kollaborationsbereiten nationalistischen Eliten. Andererseits bestand auf deutscher Seite nie die Bereitschaft zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit. So gaben die 1941 nach Minsk gekommenen weissrussisch-nationalistisch eingestellten Emigranten sehr schnell resigniert auf.

(9. Die Emigranten waren im Grunde die einzige Gruppe, die aus politischen Motiven heraus mit den Deutschen zusammenarbeitete).

Was blieb, waren einige aus den unterschiedlichsten Motiven kollaborierende Menschen. Ihr Wert blieb für die Besatzungsmacht äusserst begrenzt. (S.160)

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Quellen
Gartenschläger: Die Stadt Minsk
                            1941-1944, Seite 154
Gartenschläger: Die Stadt Minsk 1941-1944, Seite 154
Gartenschläger: Die Stadt Minsk
                            1941-1944, Seite 155
Gartenschläger: Die Stadt Minsk 1941-1944, Seite 155
Gartenschläger: Die Stadt Minsk
                            1941-1944, Seite 156
Gartenschläger: Die Stadt Minsk 1941-1944, Seite 156
Gartenschläger: Die Stadt Minsk
                            1941-1944, Seite 157
Gartenschläger: Die Stadt Minsk 1941-1944, Seite 157
Gartenschläger: Die Stadt Minsk
                            1941-1944, Seite 158
Gartenschläger: Die Stadt Minsk 1941-1944, Seite 158
Gartenschläger: Die Stadt Minsk
                            1941-1944, Seite 159
Gartenschläger: Die Stadt Minsk 1941-1944, Seite 159
Gartenschläger: Die Stadt Minsk
                            1941-1944, Seite 160
Gartenschläger: Die Stadt Minsk 1941-1944, Seite 160




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