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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 2. Agro-Joint [die Russland-Arbeit 1919-1938]

[2.1. Der Kampf des Agro-Joint gegen die Hungersnot in Russland 1920-1922]

[Russlands Eintritt in die Amerikanische Hilfsverwaltung - zerstörtes Russland mit 2.750.000 russischen Juden]

Die Operationen des JDC im sowjetischen Russland begannen mit dem Eintritt der Amerikanischen Hilfsverwaltung (American Relief Administration (ARA) nach Russland in der Jahresspanne 1920/1. Nach dem Krieg, nach der Revolution und nach der dem blutigen Bürgerkrieg hatte Russland sich zu einem Land des Leids gewandelt, war in eine wirtschaftliche Not zurückgeworfen, die Facharbeiter waren zerstreut, das Eisenbahnnetz war unterbrochen, und die Brücken waren zerstört. In der Ukraine, wo ein beträchtlicher Teil der 2.750.000 russischen Juden lebte, verursachten die schrecklichen Pogrome, die schon erwähnt wurden, unter den amerikanischen Juden eine Welle des Schreckens und entsprechend einen Wunsch zu helfen. Das JDC, wie es einer amerikanischen, philanthropischen Organisation entsprach, eilte dem russischen Judentum zu Hilfe.

[1920-1922: Das JDC gibt 4 Mio. $ für Hilfe für Juden aus]

Durch ein Abkommen mit der ARA wurden bis 1922 4 Mio. $ als Hilfe für die Juden ausgegeben. Damit wurden unter der Leitung von Boris D. Bogen, dem Vertreter des JDC in Osteuropa, Suppenküchen, Waisenkinderhilfe und andere lindernde Massnahmen realisiert.

[Ab 1921: JDC-Vertreter Dr. Joseph A. Rosen arbeitet in Russland]

Nach der Intervention von James N. Rosenberg im August 1921, lud Col. William N. Haskell, der mit Herbert Hoover beim ARA-Programm zusammenarbeitete, Dr. Joseph A. Rosen ein, dem ARA als JDC-Vertreter in Russland beizutreten.

Rosen hatte eine schachbrettartige Geschichte. Er war aus Sibirien geflohen, wohin er als zu den Menschewiki gerichteter Revolutionär verbannt worden war, und dann war er im Jahre 1903 in die USA gekommen. Sein Beruf war Agronom, und in den USA schloss er seine Ausbildung ab. Er entwickelte eine neue Art von Winterroggen und wurde ein landwirtschaftlicher (S.57)

Experte von internationalem Ansehen, und mit der Zeit ging er dann nach Russland. Rosen war ein Mann von enormer Willenskraft und scheint eine sehr beeindruckende Persönlichkeit gehabt zu haben. Während die Persönlichkeit sehr bescheiden war, so besass er gleichzeitig einen vorherrschenden Ehrgeiz, um wenn nur immer möglich Juden in Russland vor der Hungersnot und vor der Degradierung zu retten. In Russland traf er Dr. Lubarsky, ein Agronom-Freund, mit dem er vor dem Krieg zusammengearbeitet hatte, und dann engagierte er sich mit seiner Arbeit beim JDC.

[1917: Die russischen Bauern bekommen Boden - die russischen Bauern produzieren nicht genug - Hunger und Schulden]

Das Problem, das sich der sowjetischen Regierung in Russland nach der Beschlagnahmung der Adelsgüter gleich nach der bolschewikischen Revolution bot, war gleichzeitig grauenvoll und einfach. Russlands Hauptexport von vor dem Ersten Weltkrieg war Getreide. Dieser Exportüberschuss war von grossen Gütern gekommen, die unter staatlichen Landbesitzern geführt worden waren. Nach der Revolution waren diese Landgüter in kleine Parzellen aufgeteilt und an die grosse Masse der russischen Bauern verteilt worden, um sich damit deren Unterstützung für das bolschewikische Regime zu sichern. Diese Bauern, die vorher zur Zeit der aristokratischen Paläste immer unter Hunger gelitten hatten, produzierten nun nur wenig mehr, als sie vorher gehabt hatten. Mit dem Getreideüberschuss konnten nun langsam die Essensrationen der russischen Bauernschaft erhöht werden. Aber wer sollte nun für die Lebensmittel in den russischen Städten und für den Getreideexport sorgen, der so wesentlich für die industriellen Güter war?

Das Resultat der landwirtschaftlichen Revolution war, dass das sowjetische Regime sich mit der Notwendigkeit konfrontiert sah, entweder jegliche industrielle Expansion weiterzuführen, was gegen die Grundlagen der Ideologie verstossen würde, oder dann grosse landwirtschaftliche Gesellschaften gründen musste, um den notwendigen Überschuss zu produzieren.

[Ab 1919: Zerstörtes Transportsystem - keine Getreidetransporte - Hungersnöte - spezielle Hungersnot unter den Juden]

In den frühen 1920er Jahren verursachte diese Situation ein schweres Ungleichgewicht in der landesweiten Lebensmittelproduktion; Trockenheit in einigen Gebieten konnte da schon eine schwere Mangelsituation an Brot im ganzen Land hervorrufen. Dies wurde durch die Zerstörung des landesweiten Transportsystems noch erschwert. In den Jahren 1921 und 1922 verursachten Situationen wie diese Lebensmittelknappheit und Hungersnot. Davon war die gesamte Bevölkerung betroffen, aber die Situation der jüdischen Bevölkerung, die sich in der Ukraine und in Weissrussland in kleinen Quartieren und in grossen Städten konzentrierte, war speziell prekär.

[Rosen lässt Saatgut aus den "USA" importieren - Respekt bei der sowjetischen Führung]

Rosen hatte die Absicht, die Lebensmittelproduktion zu erhöhen, ohne dass die Anbaufläche erhöht werden musste. dies konnte (S.58)

durch traditionelle Methoden mit der Aussaht von Weizen oder Gerste nicht erreicht werden, speziell ab dem Zeitpunkt, wo es wegen Trockenheit an Saatgut mangelte. Mit voller sowjetischer Unterstützung begann nun Rosen deshalb mit dem Import von US-Saatgut, und so wurden mit diesem Getreide 2,7 Mio. Acres angesät. Es ist kaum möglich, die Wichtigkeit dieser Intervention abzuschätzen, aber es ist eine Tatsache, dass nach dieser Aktion Rosen dass Vertrauen und den Respekt der sowjetischen Führung geniessen konnte.

[1923/4: Rosen lässt 86 Traktoren importieren - noch mehr Respekt bei der sowjetischen Führung]

Seine zweite, sehr wichtige Aktion wurde in der Jahresspanne 1923 / 1924 unternommen, als das JDC mit seinen Aufbauaktivitäten in Russland begann. Um den damals existierenden jüdischen Kolonien und den neuen Kolonien, die noch eingerichtet werden sollten, zu helfen, liess Rosen 86 Traktoren importieren, komplett mit Ersatzteilen und Mechanikern, die sie reparieren konnten. Diese waren die ersten, modernen Traktoren, die Russland seit dem Kriege hatte, und Rosens Vertrauen bei der sowjetischen Führung wuchs entsprechend.

[Dez 1922: Die ARA stellt ihre Operationen in Russland ein]
In der Zwischenzeit hatte die ARA ihre Operationen eingestellt, und ab Dezember 1922 arbeitete das JDC in der Sowjetunion mit einem Spezialabkommen mit der Regierung.


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