"Den schlimmen Schock der Erkenntnis, dass wir
jahrzehntelang ein schädliches Material verwendet haben,
müssen wir überwinden." Mit diesen Worten kommentierte
Engl (1993), promovierter Zahnarzt, das Urteil des
Bundessozialgerichts vom 8.9.1993 (Az.: 14a RKa 7/92),
in dem "das Bundessozialgericht das Bestehen einer
solchen potentiellen Gefährdung nunmehr
höchstrichterlich anerkannt hat" (Kassenzahnärztliche
Vereinigung Westfalen-Lippe 1994).
Ähnlich bestätigte Tölg (1989 a; im gleichen Sinne ders.
1989 b), Professor für analytische Chemie und Leiter des
Instituts für Spektrochemie und angewandte
Spektroskopie, Dortmund: "Mir bekannte Informationen
sprechen dafür, dass in einer nicht mehr zu
vernachlässigenden Zahl von Fällen gravierende
Schädigungen durch mobilisiertes Quecksilber aus
Amalgamfüllungen beobachtet wurden."
Was hier
- von
einem zahnmedizinisch tätigen Praktiker und
- von einem wissenschaftlich
ausgewiesenen Chemiker mit (S.23) Schwerpunkttätigkeit
ausserhalb
der zahnmedizinischen Wissenschaft
mit vergleichsweise neuem Datum veröffentlicht worden
ist, war bereits seit Jahrzehnten vorher jedem bekannt,
der gesicherte auf Amalgam bezogene Erkenntnisse aus der
zahnmedizinischen Fachliteratur in Einklang mit den
Beobachtungen aus den Bereichen Toxikologie und
Arbeitsmedizin gebracht hatte. Die hieraus gewonnene
Überzeugung einer Gesundheitsschädlichkeit von
Amalgamfüllungen fand sich bestätigt durch die Vielzahl
von Schadensberichten, die im Fachschrifttum jedem
zugänglich waren.
1.
Frühzeitiger Kenntnisstand z.B. der Deguassa AG
[Warnung von Loebich 1955]
Den Herstellern des Amalgams war ein ernsthaftes
Interesse an diesem Gesichtspunkt der Amalgamherstellung
und verwendung zumutbar. Sie waren hierzu sogar
verpflichtet, um abzuklären,
a)
ob die weitere Produktion des Amalgams angesichts der
beim Patienten mit diesem Arzneimittel verbundenen
Gesundheitsrisiken vertretbar war
und - im Falle einer Fortführung der Amalgamproduktion -
b)
welche Gegenmassnahmen geboten waren mit dem Ziel, die
Risiken für die mit Amalgam behandelten Patienten
einzugrenzen.
Wer mit Produkten aus hochtoxischen Inhaltsstoffen
handelt, von denen bekannt wird, dass sie in der
konkreten Anwendung Gesundheitsschäden verursachen
können, ist zur Einleitung geeigneter Gegenmassnahmen
(S.24) schon bei ersten ernstzunehmenden Anzeichen einer
Schadenswirkung verpflichtet.
Die Einhaltung dieser Pflicht zu einem entsprechenden
wissenschaftlichen Engagement war den Amalgamherstellern
auch möglich. Sie verfügten - wovon auszugehen ist -
über die Kenntnis der einschlägigen Publikationen und
der relevanten Fakten aus Wissenschaft und Praxis.
Auf Grund dieses Kenntnisstandes veröffentlichte der
Leiter des metallographischen Laboratoriums des
Amalgamherstellers Degussa AG, Loebich (1955), bereits
in den 50er Jahren die Warnung, dass Amalgam
"Beschwerden
oder Krankheiten
hervorgerufen hat".
Bestätigend schreibt er, es könne "kein Zweifel sein,
dass es solche Fälle gibt." Den "jüngsten Stand
wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse" - so
die Redaktion der "Zahnärztlichen Mitteilungen" in ihren
einleitenden Worten hierzu - formulierte Loebich (1954)
bereits ein Jahr zuvor mit den Worten: Amalgam - in
Kombination z.B. mit hochkarätigem Dentalgold,
hochwertigem Platingold, Spargold usw. - "kann in
Einhelfällen eine
Gesundheitsstörung
oder eine Allgemeinerkrankung
hervorrufen." Des weiteren war bereits damals
anerkanntes Fachwissen, dass die physiologische
Wirksamkeit einer solchen Metallkombination unabhängig
davon besteht, ob ein metallischer Kontakt zwischen
beiden Metallrestaurationen vorhanden ist (Loebich
1955); schon die gleichzeitige Anwesenheit in der (S.25)
Mundhöhle reicht nach dem seit Mitte der 50er Jahre z.B.
bei der Degussa AG vorhandenen und von ihrem Mitarbeiter
Loebich (1955) im Fachschrifttum veröffentlichten Wissen
insoweit aus, Allgemeinerkrankungen zu verursachen.
Loebich (1955) präzisierte auch, auf welche Weise eine
zahnärztliche Legierung wie Amalgam auf die menschlichen
Lebensvorgänge einwirkt:
"Dies
kann auf zwei grundsätzlich verschiedenen Wegen
erfolgen. E n t w e d e r wirken die Ionen
(Metallsalze) giftig, die sich aus dem Metall bilden
können (chemische Einflüsse). " O d e r
die "Potentialdifferenz (= elektrische Spannung)
bewirkt irgendeine Funktionsstörung im Organismus
(physikalischer Einfluss)."
Diese vermag nach Loebich (1955) "in erster Linie auf
die nervösen Elemente im Organismus einzuwirken", wobei
"die Lokalelementwirkung auf den Organismus dann
besonders auffallend ist, wenn die beiden Metalle oder
Legierungen in dauerndem oder zeitweiligem Kontakt
stehen." Ein solcher Kontakt gehört jedoch "nicht zu den
notwendigen Voraussetzungen für die physiologische
Wirksamkeit der Metallkombination" (Loebich 1955).
Oft können "beide Einflüsse gleichzeitig auftreten. ...
Das Lokalelement liefert nämlic, sobald nicht nur eine
Spannung da ist, sondern auch ein Strom fliesst, eine
der Stromstärke entsprechende Menge von Metallionen. Sie
entstammen der unedleren Elektrode" - also dem Amalgam -
"und
können
auf dem chemischen Weg giftig wirken."
"An diesen Dingen kann der Zahnarzt heute nicht mehr
vorübergehen", lautete die Mahnung Loebichs (1955) als
Mitarbeiter eines Amalgamherstellers in den
"Zahnärztlichen Mitteilungen". (S.26)
Damit anerkannte er gleichzeitig die Aufgabe und die
Pflicht auch der Amalgamhersteller, "diese Dinge" ernst
zu nehmen und korrekt, d.h. auch: umfassend das
vorhandene Wissen über das Schädigungspotential von
Silberamalgam u.a. gegenüber Zahnärzten und Ärzten
offenzulegen. Loebich (1955) appellierte bereits im
Jahre 1955 an Ärzte und Zahnärzte:
"Bei Gesundheitsstörungen und Erkrankungen unklarer
Ätiologie [Herkunft], die auf die übliche ürztliche
Behandlung und medikamentöse Therapie nicht ansprechen,
sollte man immer auch prüfen, ob nicht Lokalelemente im
Mund vorhanden sind, und ob vielleicht diese die Ursache
oder das auslösende Moment für die Erkrankung bilden
könnten."
Ausdrücklich als für den Patienten "gefährlich"
bezeichnete Loebich (1955) eine Kombination von Amalgam
mit Aluminium oder Aluminiumlegierungen im Mund. Ebenso
kontraindiziert ist nach Loebich Amalgam bei Patienten,
deren Zähne im übrigen bisher nur mit edleren
Legierungen (z.B. Goldlegierungen) versorgt sind:
Amalgam bedeutet hier, so die Erkenntnisse des
Degussa-Fachautors Loebich bereits im Jahre 1955, ein zu
grosses gesundheitliches Risiko für den Patienten.
Haftungsrechtliche Fragen in bezug auf Situationen, in
denen Patienten durch eine Missachtung dieser Fakten in
ihrer Gesundheit geschädigt worden sind, beschliessen
die Ausführungen Loebichs (1955) zu dem Thema: "Unter
welchen Umständen können Metalle im Munde schädlich
sein?" (S.27)