Vorgeschichte: Europa 1200
                      bis 1492
                
                Um die europäische Entwicklung der Kartoffel zu
                verstehen, ist es geboten, einen kurzen Abriß über 
eine
                Ursache der Entdeckung Amerikas, der Heimat der
                Kartoffel, zu geben. 
                
                Es schien etwas Wahres an den Gerüchten zu sein, die aus
                Küche und Hof in die 
caminati der Weiber
                hinüberschwappten. Nach dem endgültigen Verlust
                Jerusalems im Jahr 1244 kamen immer mehr Leute aus
                Iskandarija, dem ägyptischen Alexandria, mit der damals
                größten Bibliothek der Welt (mehrere hunderttausend
                Rollen und Papyri), aus Akkon und Palästina, Damaskus,
                Antiocheis, Seleukara und weiter nördlich nach
                Konstantinopel. Jedes Jahr ein wenig mehr. Es schien,
                als wenn eilig alle 
Giaurs die Heiligen Stätten
                verlassen wollten. Und aus Konstantinopel zogen die
                Leute weiter westwärts. 
                
                Es war lang, beschwerlich der Weg nach Norditalien, nach
                Venedig, nach Genua, ins Süddeutsche und weiter nach
                Frankreich, es dauerte Jahrzehnte, insgesamt fast zwei
                Jahrhunderte. Aber die Herrschaft des Islams über
                Palästina unter dem ägyptischen Sultan festigte sich; es
                sah nicht danach aus, als ob das »Heilige Land« je
                wieder unter christliche Herrschaft käme und man die
                Genüsse des Orients und die verwirrend vielfältigen
                sexuellen Angebote (in Alexandria soll es fünf
                Geschlechter gegeben haben!) wieder genießen könne. 
                
                Die Eroberungszüge der nach Westen z
iehenden
                Mongolen, die die Wanderratten und damit die 
Pest mitbringen, führen endgültig
                zur Beendigung der christlichen Herrschaft über das
                östliche Mittelmeergebiet. 
                
                1258 wird von den Mongolen aus der 
Tatarei
                das sunnitische 
Bagdad erobert,
                und damit verlieren die Araber ihre Herrschaft über
                Asien. Der genuesische, der venezianische Handel werden
                eingeschränkt; Seide aus Trapezunt und Gewürze kommen
                zwar immer noch nach 
Europa, aber
                alles ist hoch zu verzollen; dafür steigt der Export
                von Wein, denn auch die Mongolen wissen einen guten
                Tropfen zu schätzen. 
                
                Das antike Byzanz, das »Zweite Rom«, das »Nova Roma«,
                verlor nach dem Sieg des römischen Bischofs über die
                Ostkirche nun auch noch die wirtschaftliche Basis,
                nachdem schon unter Karl dem Großen der Einfluß auf
                Westeuropa verloren gegangen war. Damit war das
                griechisch-christliche Konstantinopel endgültig dem
                Untergang geweiht: Sultan Mehmet II. (1430–1481)
                erstürmt am 28. Mai 1453 Konstantinopel. Die im
                europäischen Teil gelegene zentrale Kirche »Hagia
                Sophia« (türkisch »ayasofya«), seit dem Bau von 532 bis
                537 unt
er Kaiser Justinian (482–565)
                eine Christenstätte, wird in einen Ort des
                Niederwerfens, eine Moschee (
masdschid),umgewandelt;
                von nun an heißt die Stadt am Bosporus 
Istanbul
                und wird Hauptstadt des osmanischen Reiches.
                Jahrhundertelange Bemühungen (mit zweiundzwanzig
                Millionen Toten durch die heiligen Kreuzzüge), den
                Landweg nach Asien und damit zu den profitablen Gewürzen
                zu sichern, nehmen ihr Ende. Nicht zu Ende waren die
                Kriege, die im Namen des Kreuzes geführt wurden. Hans
                Wollschläger sagt: »Der Apostolische Stuhl steht auf
                einem Massengrab«. Von ihren Raubreisen brachten die
                Kreuzritter Buchweizen (ein Knöterichgewächs, das wie
                Getreide verwendet werden konnte bzw. wurde), Reis,
                Pfeffer, Zitronen und Aprikosen, Seide aus China, mit.
                In besseren Kreisen kam kurzfristig das türkische Bad
                auf, Spielkarten lockerten die dunklen Abende in der
                Kemenate auf. 
                
                Die Eroberung Konstantinopels wirft Europa auch
                nahrungs-technisch und geschmacklich um Jahrhunderte
                zurück
, denn im Okzident gab es im
                Winter kaum Frischfleisch; Trockenfleisch (
Pemmikan) ohne Gewürze schmeckte
                nicht einmal den ewig hungrigen und genügsamen
                Europäern. Gewürze wurden schon von den
                prähistorischen Köchen der Suppe im Erdofen beigefügt
                – und nun war‘s aus mit den verfeinernden Zutaten. Jedes
                Kind in Europa wußte: Mit den Produkten aus Gegenden,
                die vielleicht Marco Polo (1254–1323) gesehen hatte,
                war man reich, wurde man reich. Nur durch den Fernhandel
                konnte sich Venedig die Paläste der Dogen und die
                Glockentürme der Kirchen bauen und
                politisch-militärische Macht ausüben. 
zur
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                 Die Flüchtlinge nahmen wenig mit – die Banker und
                Kaufleute ihre Schuldbücher, die Ärzte ihre Klistiere,
                die Handwerker ihr Werkzeug, die Gelehrten ihre
                Papyrus-Rollen (Franciscus Philelphus nahm sich 1427
                alle griechischen Manuskripte, als er nach Florenz ging)
                und Papyri und Pergamente aus Alexandria (die die
                Schändung durch Caesar, dem Bischof Theophilus, dem
                Kalifen Omar und schließlich der Türken überstanden
                hatten), die Landwirte Maulbeerbäume und Seidenraupen
                – das Wissen Arabiens und Asiens kam nach Europa, nicht
                umsonst kam der Spruch 
ex oriente lux wieder
                zur Geltung. Denn die Moslems (und damit die mit ihnen
                zusa
mmenwohnenden Christen) besaßen
                zu jener Zeit bereits große Krankenhäuser mit 
Fachärzten, kannten das Papier,
                bewahrten die Kenntnisse der Griechen und Perser und
                hatten Kontakt mit Indien und China. Der Ruhm von
                Universität und Moschee Azhar in Kairo, mitbegründet
                von Jacob Ibn Killis, einem zum Islam konvertierten
                Juden, reicht bis in unsere Zeit. 
                
                Die Araber verwendeten Ambra und Amulette, mixten
                Elixiere und schwitzten mit Borretsch, genossen den 
haram
                (konnte sich in Europa nicht durchsetzen) und das 
hasis(wurde
                verboten), benutzten Kampfer und lagerten schon auf der
                Ottomane als die Christen morgens noch Stroh aus den
                Kleidern schüttelten. Die Menschen im Osten der
                bekannten Welt verwendeten in ihrer Küche Knoblauch,
                Dill, Koriander, Zwiebel, Lauch, Kümmel, Feigensaft und
                Essig, Nüsse und Mandeln machten die Suppen knackiger
                und interessanter. Sie verwendeten aufgrund der
                Holzknappheit einen Doppeltopf (wie es die Chinesen
                tun): Unten köchelte eine Mischung aus (hauptsächlich)
                Gemüse und in dem darübergesetzten Aufsatz mit
                durchlöcherten Boden wurde im Dampf der Couscous
                gar. Und sie warteten fatalistisch – »mit niemals
                knickender Rute« – auf die 
houris im Paradies
,
                »auf die großäugigen Schönen, die zuvor noch kein Mensch
                oder Dschinn berührt hatte«, be
grüßt
                von einem riesigen Hahn, dessen Kamm bis zur Grenze des
                zweiten Himmels 
reicht. »Ne plus
                ultra«, bis hierher und nicht weiter, lautete die
                Inschrift der mythischen Säulen des Herkules, die das
                eine Ende der Welt markierten. Und obwohl man aus dem
                doch ferneren Indien Pfeffer und andere Gewürze kaufte,
                endete im Osten seit den alten Griechen die Welt beim
                Fluß Phasis (im Kaukasus). 
                
                Stefan Zweig schildert in »Amerigo« die Kultur, die
                Menschen im Orient:
                
                  »Diese Heiden, die man von ferne verachtet, haben
                  glatte, weiche, kühle Stoffe aus indischer Seide, die
                  dichten und funkelnden Teppiche von Buchara, sie haben
                  Gewürze und Kräuter und Düfte, welche die Sinne
                  erregen und beschwingen. ... Sie haben Karten und
                  Tafeln, auf denen alles geschrieben und verzeichnet
                  ist.«
                
                
                Um die Mitte des 14. Jahrhunderts trafen die ersten
                Gruppen in Norditalien ein und siedelten sich in den
                Hafenstädten und in Orten mit wohlhabender Kundschaft
                an. Wo die Bankiers wohnen, siedeln sich die Künstler
                an, so der französische Historiker Fernand Braudel, und
                Robert Burton sagt: »Die Theologen hängen sich
                gleichfalls an die Wohlbemittelten, die Juristen an die
                Betuchten, die Gebildeten an die Geldigen, die Künstler
                an die Großzügigen«. Und die Wissenschaftler fanden
                neue Mäzene bei reichgewordenen Patriziern und
                wohlhabender Nobilität. In Italien wird nach
                Eintreffen der ersten Flüchtlinge die 
partita
                  doppia, die doppelte Buchführung, nochmals
                »erfunden«. 
                
                Die Flüchtlinge brachten die im Zwei-Strom-Land von
                Juden und Arabern entwickelten Instrumente »modernen«
                Geldtransfers (Schuldbriefe, Wechsel, Kreditbriefe) mit;
                die »banco rotta« – der »zerbrochene Tisch« – wird
                zuerst in Venedig für manche Kaufleute eine
                unangenehme Sache. Auch – wichtig für die Geschichte der
                Kartoffel – die Wiedergeburt der Kartographie erfolgt
                in diesen Zeiten. 
Ex oriente lux – aus dem
                Osten kommt das Licht. 
                
                Das Wissen der Flüchtlinge war gewiß nicht gering, es
                glich jedoch »einer nach allen Seiten abgedunkelten
                Laterne, deren Strahlen sich in einem winzig kleinen
                Kreis verloren«. Denn die Papyrusrollen aus der
                Bibliothek von Alexandria oder die handgeschriebenen
                Texte des Mittelalters waren Kostbarkeiten und nur
                wenigen bekannt und von diesen eifersüchtig gehütet.
                Erst der Buchdruck, die Vervielfältigung des
                geschriebenen Wortes, das »künstliche Schreiben«,
                machte die Entdeckung Amerikas möglich. Linné: »Man
                kann nicht leugnen, daß Amerika die größte Erfindung
                ist, die jemals ist gemacht worden«. Und der
                Schriftsteller Francisco López de Gómara schrieb in der
                »Historia general de las Indias y conquista de México«:
                »Das größte Ereignis seit der Erschaffung der Welt (mit
                Ausnahme der Menschwerdung und des Todes des Herrn) war
                die Entdeckung Amerikas.« Dagegen meinte ein
                venezianischer Bankier zu der Nachricht von der
                Entdeckung Amerikas:
                
                  »Ob auch viele nicht sehen wollen, was da kommt, so
                  bedeutet doch diese Nachricht mehr als der ganze
                  Türkenkrieg und ist die schlimmste, die man nach dem
                  Verlust der Freiheit selbst hören kann.«    
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                Amerika ermöglichte die Reformation und damit die
                Umgestaltung des Weltbildes. 
                
                Es kamen mit den Flüchtlingen neue Fertigkeiten in
                Gebrauch, die Kinder wurden über das Wissen des Orients
                unterrichtet, das sich in manchen Dingen von denen des
                inquisitorischen Europas unterschied. Später wurde
                diese Zeit fälschlicherweise »Renaissance« (etwa 1400
                bis etwa 1600) genannt, die – wie Dürer 1523 formulierte
                »itzigen Wiedererwachsung« 
–, die Wiedergebur
t (längst bekannter) Kenntnisse,
                obwohl doch dem Orpheus von den Göttern verboten wurde,
                
zurückzublicken. 
                
                 Jeder Umbruch der Kultur fordert das
                Einverständnis der Beteiligten; die Identifikation mit
                den innovativen Kräften war Bedingung für die
                Realisierung der aus dem Osten drängenden
                Möglichkeiten. Dafür war der Nährboden in Europa
                vorhanden: Die Leute hatten einfach genug vom Trübsal
                des 
täglichen Lebens, von den
                ewigen Versprechungen auf ein besseres Jenseits. Und
                das dokumentierte sich auch in der Ausgestaltung der
                täglichen Speisen. Gewürze wie 
Safran,
                Zimt, Muskat, Nelke und natürlich Pfeffer und Zucker
                erhöhten den Geschmack und das Ansehen des Hausherrn,
                wenn denn sein Koch damit umzugehen verstand. Herzhaft,
                kräftig, deutlich mußte man’s schmecken. 
                
                Italien, Spanien, Frankreich und Süddeutschland
                verwandeln sich durch jene Zuwanderer von einem tristen
                Flecken Erde in vor Lebenslust, Energie und Optimismus
                überschäumende (multikulturelle) G
ebiete.
                Ein jeder, der in dieser Zeit etwas auf sich hält,
                spricht Griechisch oder Latein und wer schreibt und
                druckt, tut es in einer Schrift, die später »Antiqua«
                genannt wird. Im 16. Jahrhundert wird das lange»s«
,
                das runde »s« und die Ligatur »ß«
, erfunden,und das Abendland wird
                gespalten, weil die Druckkunst den Streit der Theologen
                in die Städte und Dörfer trägt. 
                
                Stefan Zweig in »Magellan«:
                
                  »Ein geistiges Fieber nach Wissen und Wissenschaft
                  entsteht aus der plötzlichen Durchblutung des
                  europäischen Organismus mit neuem Weltstoff, der
                  Rhythmus beschleunigt sich. Entwicklungen, die in
                  gemächlichem Übergang sich befanden, bekommen von
                  diesem Fieber einen hitzigen Ablauf. Die vom
                  Mittelalter ererbten Ordnungen schichten sich um,
                  manche steigen, manche versinken; die Ritterschaft
                  geht zugrunde, die Städte streben auf, der Bauernstand
                  verarmt.«  
                
                
                Die Zuwanderer verbreiteten Wissen. So e
rfuhr
                auch der abenteuerlustige Sohn eines italienischen
                Wollwebers, Cristoforo Colombo, davon, daß es wegen der
                
Kugelform der Erde doch möglich
                sein müßte, »andersrum«, über den Ozean im Westen
                Europas, nach 
Indien zu kommen –
                nicht über das von »Heiden«, von Sunniten und Schiiten,
                besetzte Gebiet vor dem Schwarzen Meer oder im heutigen
                Libanon, sondern quasi von 
hinten,
                wo die Ottomanen den »Rumis«, den Ungläubigen, den Weg
                nicht sperrten. Doch, so der Kirchenlehrer
                Lactantius:
                
                  »Ist es möglich, daß Menschen so sinnlos sein können
                  zu glauben, daß Saaten und Bäume auf der anderen Seite
                  der Erde herabhängen und daß die Menschen ihre Füße
                  höher haben als den Kopf?«
                
                
                Das war wahrlich keine Einzelmeinung, denn die gesamte
                Naturwissenschaft fußte auf Aristoteles, der 335 vor
                Chr. eine (erste) systematische Zusammenstellung aller
                Tierarten erstellte und das Wissen seiner Zeit
                zusammentrug. Etwa 400 Jahre später bringt Plinius der
                Ältere seine »Historia naturalis« heraus, »neben
                solidem zoologischem Wissen tauchen jetzt auch hübsche
                Meerjungfrauen auf, und geflügelte Pferde galoppieren
                über die Seiten.«
 
                
                Ein Buch von John 
Mandeville, der
                dagegen behauptete, man »vermöchte ohne weiteres um die
                ganze Welt fahren« war Grundlage der Überlegungen von
                Kolumbus und wurde von ihm vor dem Rat von Salamanca als
                Bestätigung für die Durchführbarkeit einer westlichen
                Route nach Indien benutzt. 
                
                Kolumbus ging mit seinem jüngeren Bruder Bartolomeo von
                Genua nach Madeira, machte einen hübschen Gewinn im
                Handel mit Zucker (im Auftrag der Familien Centruione
                und Di Negro) und zurück aufs Festland, nach Portugal,
                zu König Dom João II. (später der »Aller christlichste
                König« betitelt – Papst Alexander VI. verlieh solche
                Titel an Fürs
ten, die ihm nützlich
                sein konnten: Der französische König Charles VIII.
                konnte sich zum Beispiel an »Fils aine de L’Eglise«,
                »Erstgeborener Sohn der Kirche«, 
erfreuen).
                
                
                Die Forderungen dieses hergelaufenen Colón (nomen est
                omen: Christoforus, 
Christusträger und 
Neubesiedler,
                aber auch nahe an 
colomba symbolisch die
                weiße Taube, Friedensbote, Ölzweigträger und
                Unschuldsengel – alles für alle, nur nicht für die
                Ureinwohner des neuen Kontinents) waren so
                ausverschämt, daß das Königshaus eine für Portugal
                bedauerliche Fehlentscheidung traf: Es lehnte seine
                Forderungen ab. Da kommt die 
saudade, die
                lusitanische Form des Weltschmerzes und die sehnsüchtige
                Erinnerung an die Vergangenheit, aber auch der Fado
                her, der inzwischen zum Touristengaudi verkommen ist.
                  
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                João de Barros, Chronist am portugiesischen Königshof,
                meinte – sein Königshaus entschuldigend – über Kolumbus,
                er habe den Eindruck »eines geschwätzigen und
                prahlerischen Menschen« gemacht. Nun, Kolumbus vertraute
                auch weniger auf die Vernunft als auf Berechnungen von
                Kardinal Pierre d’Ailly, wonach »noch etwa 155 Jahre
                fehlen, bis die 7000 voll sind, nach denen das Weltende
                kommt«. 
                
                Kolumbus begriff seine Reise auch als Etappe auf den
                Weg ins endzeitliche Paradies, ins (altiranische)
                »pairi-dae’za«, in die »Umwallung« oder (übersetzt) in
                den Lustgarten oder Wonnegarten, den Parks der
                persischen Könige und Adligen und einem »beschützten
                Garten«. Das Ziel: Der Garten Eden und frei von der
                Erbsünde mit immerwährender Gesundheit, Sorglosigkeit
                und Glück. Ein kleiner Unterschied zur islamischen
                Heilsauffassung würde ihn als Christen erwarten: Statt
                jauchzende »houris« würden Harfenklang und
                Posaunenschall die himmlische Ruhe stören. 
                
                Seine Idee besessen verfolgend ging Kolumbus zum
                Königspaar von Aragón-Kastilien, zur schönen Isabel und
                Hernando, wo er sich fortan wieder Colombo, (nach
                herrschender Mode latinisiert Kolumbus) nannte.
                Vorsichtiger antichambrierte er, vorsichtiger äußerte
                er seine Forderungen. Das hatte er inzwischen gelernt:
                Von Höflingen und Bittstellern wird Ehrerbietung
                erwartet (und erhalten). 
                
                Salman Rushdie in »Osten, Westen«, Gerhard Prause in
                »Niemand hat Kolumbus ausgelacht« und Alejo Carpentier
                in »Die Harfe und der Schatten« beschreiben die
                Situation des Kolumbus am spanischen Königshof: Er soll
                ein eitler, larmoyanter und devoter Buhler gewesen sein,
                der hinter den Gutach
tern des
                Königshofes 
scharwenzelte. Dreist
                soll er gewesen sein, die höfische Courtoisie nur
                mangelhaft beherrschend, brüsk gegen den Königshof, alle
                vor den Kopf 
stoßend. 
                
                Fast sieben Jahre betrieb Kolumbus in der Obhut der
                Mönche des Franziskanerklosters Santa María de la Rábida
                seine Bittstellerei; der Prior, Antonio de Marchena,
                wird sein Freund und vermittelte Kontakte an den
                Königshof. In diesem Kloster gab es auch – wie in
                anderen Mönchsstätten – noch Landkarten der Araber. 
                
                Noch lehrte die Heilige Kirche (offiziell), die
                Landmasse von Europa Asien und Nordafrika – die »Erde«
                – wäre eine von Ozeanen umgebene Scheibe. Noch konnte
                es gefährlich sein, eine diesbezüglich andere Meinung
                kundzutun. Im Mittelalter interessierten sich die
                Menschen im übrigen wenig für die wahre Gestalt der
                Erde; die Kirche paßte die Gestalt der Erde ihren
                eigenen mystischen Vorstellungen an, und die frühen
                Kartographen faßten ihre Auftragswerke eher künstlerisch
                auf. Das Weltbild blieb auch unerschüttert von den
                glaubwürdigen Berichten von Ordensbrüdern, die diese von
                ihren weiten Missionsreisen zurückbrachten. Statt der
                Lehren von Aristoteles (384–um 322 v. Chr.) und Claudius
                Ptolemäus (um 140 v. Chr) herrscht die christliche
                Topographie, wie sie auf den Weltkarten des
                byzantinischen Mönchs Kosmas Indicopleutus aus dem
                sechsten Jahrhundert – mit Jerusalem, dem jüdische
n Yerushalayim, dem arabischen
                al-Quds (wo Mohammed in den Himmel auffuhr), als
                Mittelpunkt der Welt – überliefert 
war.
                
                
                Die Kartographen jener Zeit zeichneten an die Stelle der
                unbekannten Welt lieber riesige Ungeheuer, denn
                »jenseits dieser Stelle werden Drachen 
sein«, werden Behemoths und 
Leviathane lauern. Aber es war
                auch eine Zeit, in der Vieles neu oder wieder kam, und
                Überkommenes in Frage gestellt wurde und werden durfte.
                Einen der stärksten Einflüsse auf ein neues Weltbild
                hatte der Kompaß, die Kenntnis von Windrichtungen und 
Meeresströmungen. 
                
                 In dieser Zeit forderte Kolumbus Schiffe für die
                Fahrt nach Indien, da wo der Pfeffer wächst, für die
                Wiederentdeckung von Zipa(n)gu (Japan) und Catheis
                (China). Oder zumindest bis nach Äthiopien, wo das Gold
                der 
Kandake zu erwarten war. Oder nach Punt, in
                das »Land des Dufts«, um Weihrauch zu holen und die
                Kirchen mit seinem Geruch zu erfüllen. Oder nach Ägypten
                – zurück zu den Fleischtöpfen: Die alten Ägypter
                nannten Gold das »Fleisch der Götter« – und das ist es
                heute noch in diesen gottlosen Zeiten. Man glaubte: Im
                christlichen Äthiopien war das Reich des »Presbytero
                Joanniimperatori Athiopum«, der an der »Quelle des
                Goldes« saß. Aber vielleicht liegt nur eine Verwechslung
                vor, denn schon bei den Römern wurden »Inder« und
                »Äthiopier« synonym benutzt. 
                
                Andererseits nahm Ende des 17. und Anfang des 18.
                Jahrhunderts das Interesse der gebildeten Stände an
                Äthiopien zu: Es erschienen zum Beispiel mehrere
                dickleibige Folianten über die koptische Sprache und
                Chronologie und über die antike Geographie dieses
                ostafrikanischen Gebietes (vielleicht war das dort
                vermutete Erbe Salomos (972–932 v. Chr.)und das »Brot«
                der Königin von Saba ein Grund für die italienische
                Invasionsarmee von 1935: Abessinien als unerschöpfliche
                Schatzkammer des Duces). Denn schon König Salomo soll
                dort, in Punt, seine Schätze gehäufelt haben. Auch das,
                was Marco Polo über seine Reise ins »Reich der Mitte«
                (oder wo immer er war, bevor er im Gefängnis in Genua
                landete) und den Palast des Groß-Khans berichtete, war
                dazu angetan, Begierden zu wecken:
                
                  »Zwei Finger dick ist die Goldschicht in jedem Zimmer.
                  Die Decken, Wände, Fensterrahmen, kurz: Alles ist mit
                  Gold überzogen.«
                
                
                »Östlich von China«, so schrieb der Venezianer, läge
                »eine sehr große Insel«, auf der »die Goldvorkommen
                unbeschreiblich reich sind« und man »unendlich viele
                Perlen findet ... rot, groß und schön rund.« Das lockte,
                das weckte die Begierden. Über das arabisch-islamisch
                besetzte Nord-Afrika konnte man die erwarteten
                Goldschätze nicht nach Rom transportieren (»Niemand wage
                nach Syrien und Ägypten zu reisen« wird aus Rom und
                Konstantinopel gedroht), 
                
                 Die Umschiffung Afrikas, die Kaproute, war
                andererseits durch den Vertrag von Alcacovas seit 1479
                den Portugiesen vorbehalten; die Spanier mußten einen
                anderen Weg finden, wollten Königshaus und Hidalgos
                (frei übersetzt: ein 
Hergelaufener) nicht
                »verarmen«; die Vertreibung von »Mauren« und der
                120.000 bis 150.000 Juden aus Spanien war zwar im
                Sinne der Kirche erfolgreich, wirtschaftlich war es ein
                Desaster.  
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                Die Dürre im Spanien des 15. Jahrhunderts und die
                deshalb notwendigen »Wassertribunale« waren weitere
                Anlässe für die Umwälzungen, die in dieser Zeit
                geschehen. 
                
                 Wir wissen: Irgendwann hatte Kolumbus mit seiner
                Bittstellerei Erfolg und bekam in einem Vertrag mit
                Kastilien vom 17. April 1492 alle seine Ansprüche
                gewährt. Portugal hatte ihn abgelehnt, Englands Henry
                VII. (1457–1509) hörte ihn bzw. seinen Bruder Bartolomeo
                nicht an, der Franzosenkönig lehnte ab. Der Gewinner,
                Kastilien, bekam Alles. 
                
                Als Kolumbus 1506 nach seiner vierten Reise starb, war
                er noch immer der Auffassung, einen neuen Seeweg nach
                Indien gefunden zu haben. Selbst die Benutzung der
                Seeroute nach dem wahren Indien (um Afrika herum) durch
                den Portugiesen Vasco da Gama mit dickbäuchigen
                Schiffen und dessen nachweisliche Landung in Calikut.
                (Kalku
tta, wenige Jahren wieder
                Calikut und jetzt Kolkata), erschütterte ihn nicht in
                seinem 
Glauben. Nun, er fuhr in
                einer geraden Linie über das große Wasser, immer den
                Breitengrad der Kanarischen Inseln entlang, und mit
                seiner Methode hätte es auch klappen können, nach Indien
                zu kommen, wenn bloß nicht Amerika dazwischen gekommen
                wäre. 
                
                Ein unbelehrbarer Kerl. Es geschieht ihm recht, wenn
                der vom ihm wiederentdeckte Erdteil nach einem
                Heringshändler aus Sevilla, n
ach
                Amerigo Vespucci (1451–1512), der es »nur« zum »piloto
                mayor« brachte, getauft 
wurde. 
                
                Eine Schlußbemerkung zu diesem Kapitel: Kolumbus wurde
                beerdigt in Valladolid (der damaligen Residenz der
                spanischen Könige), 1513 umgebettet in die Krypta der
                Klosterkapelle Santa María de las Cuevas bei Sevilla und
                1540, seinem Wunsch entsprechend, in der Kathedrale von
                Santo Domingo auf der Isla Hispaniola, dem heutigen
                Haiti, beigesetzt. Francis Drake (um 1540–1596), der
                dem Kolumbus so viel zu verdanken hatte (ohne Kolumbus
                keine Piraterie und kein Entern spanischer Goldschiffe
                und keine Erhebung in den Adelsstand), zerstörte
                dieses Grab 1586 bei der Plünderung des Zentrums der
                spanischen Kolonialverwaltung in der Neuen Welt. 1697
                wird der angebliche Sarg Kolumbus’ nach 
Havanna
                (damals Puerto de Carenas) überführt, aber es liegt
                wohl nur der Enkel Luis 
darinnen.
                
                
                Denis Diderot (1713–1782) und Guillaume Raynal in der
                »Geschichte beider Indien«: 
                
                »Das war das Ende dieses seltenen Mannes, der Europa in
                Erstaunen dadurch gesetzt hatte, daß er einen vierten
                Teil der Welt oder vielmehr eine Hälfte zu diesem so
                lange verheerten und so wenig bekannten Erdball
                hinzufügte. Die allgemeine Erkenntlichkeit hätte dieser
                neuen Halbkugel den Namen des kühnen Schiffers geben
                sollen, der zuerst hingelangt.« 
                
                
                Anmerkungen 
                
                  
                
                1 1347 erreicht die Pest, das »große Sterben«, die
                »mortalega grande«, von Caffa (ein genuesischer
                Außenhandelsposten, heute Feodosija) an der Südküste der
                Krim kommend, Messina auf Sizilien und Südfrankreich,
                1348 Venedig, Mailand, Bordeaux, Toulouse. Lyon,
                Saragossa, Calais und Bristol. 1349 Schottland. Dänemark
                und Norwegen. 
                
                 Der Pestbazillus 
Pasteurella pestis wurde
                erst 1894 gleichzeitig von dem Schweizer Tropenarzt
                Yersin und dem japanischen Bakteriologen Kitasako
                entdeckt. Der Hausrattenfloh
 Xenopsylla cheopsis (in
                dem der Pestbazillus 
Yersinia pestis
                reist)bespringt nach dem Tod seiner Ratte am liebsten
                eine andere; erst wenn er keine findet, sucht er beim
                Menschen Unterschlupf und wurde (besonders unter den
                hygienischen Verhältnissen des Mittelalters) bzw. wird
                dann auch von Menschenflöhen weitergetragen. 
                
                 In Zedlers Lexikon von 1741 steht unter dem
                Stichwort »Pest«: »Ob gottlose Leute durch böse Künste
                die Luft anstecken können, ist eine Sache, welche so gar
                unmöglich nicht erscheint.« 
                
                 Als 1645 in Edinburgh die Pest ausbrach, wurde der
                vermeintliche Herd des Schwarzen Todes in der Mary Kings
                Close entdeckt; die Stadtväter mauerten die Gasse an
                beiden Enden zu – einschließlich der darin lebenden
                Menschen. Gordon McCulloch: »Das wurde in jenen Zeiten
                so gemacht.«   
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                 Man nimmt an, daß erst auf den kaltfeuchten Böden
                der »kleinen Eiszeit« die Pest – der»schwarze Tod« –
                gedeihen konnte. Es ist bis heute rätselhaft, unter
                welchen Umständen die Pest von Europa Besitz ergriff.
                Unter den Arabern erreichte die angeblich aus China
                kommende Pest nicht jene furchtbaren Ausmaße, die unter
                den europäischen Christen zu beobachten war; das mag
                neben den klimatischen Verhältnissen auch mit der
                größeren Hygiene der Araber zu tun haben. Andererseits
                akzeptierte man die Pest als Allahs Wille und versuchte
                nicht, ihr zu entfliehen oder sie mit meist
                wirkungslosen Heilmitteln zu bekämpfen. Wer an der Pest
                starb, kam direkt ins Paradies. Die Christen meinten,
                der Blick eines Kranken verbreite die Pest, weshalb
                Ärzte und Priester den Patienten aufforderten, die
                Augen zu schließen. 
                
                 Zeitgenossen machten die Konstellation der
                Gestirne, Kometen, die allgemeine Sündhaftigkeit, die
                Unkeuschheit der Priester und, natürlich, die Juden
                verantwortlich, die zu Anfang wegen ihrer größeren
                Hygiene und besserer Ärzte von dem »großen Sterben«
                verschont worden waren. Ärzte und Theologen waren der
                Ansicht, daß man die Seuche bekämpfen müsse, obwohl ihr
                Ursprung zweifelsfrei in Gottes Willen zu suchen sei –,
                aber einmal auf Erden entlassen, folge die Pest den
                Gesetzen der Natur. 
                
                 1. Samuel, Vers 5: »Aber die Hand des Herrn lag
                schwer auf den Leuten von Asdod, und er brachte
                Verderben über sie und schlug sie mit bösen Beulen,
                Asdod und sein Gebiet.« Einen guten Einstieg in die
                Ratten- und Pest-Problematik bietet Heide Platen: »Das
                Rattenbuch«. 
                
                 Ratten übertragen etwa dreißig Krankheiten; dazu
                gehören Typhus, Trichinose, Leptospirose,
                Buschfleckfieber, Tollwut, Mäusetyphus, Lassafieber,
                Tularämie und Salmonellen. Und sie bringen die
                Beulenpest durch den Floh, der sich im Fell von
                Hausratten festsetzt und den Wirt wechselt. Wenn also in
                einer Phase geringerer Hygiene die Rattenpopulation
                anwächst und dann irgendwann das »große Saubermachen«
                beginnt, besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr,
                daß der Rattenfloh den Wirt wechselt. Man vermutet, daß
                die Pest ursprünglich bei Murmeltieren endemisch war. 
                
                 Eine Mutation eines Gens auf dem Chromosom 3 kann
                die Ursache dafür sein, daß manche Menschen von der Pest
                verschont wurden. Vor etwa 28 Generationen (d.h. im 14.
                Jahrhundert) stieg die Häufigkeit dieser Mutation in
                der europäischen Bevölkerung sprunghaft an; es ist
                denkbar, daß diese Mutation auch vor dem HI-Virus
                schützt. Die Mutation zeigt – wie Stephen J. O’Brien vom
                »National Cancer Institute« im US-amerikanischen
                Frederick herausfand – ein deutliches Nord-Süd-Gefälle
                (von 14 Prozent in Schweden über 10,8 Prozent in
                Deutschland auf 4,4 Prozent in Italien). 
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                2 Die »Tatarei« ist wie »Abendland« kein präziser
                geographischer Begriff; zeitweise umfaßte der Name alle
                Länder außerhalb der »Großen Mauer« vom Kaspischen Meer
                bis Korea. Die Tataren kamen direkt aus dem Tartaros,
                der Hölle. Legenden besagten, daß Alexander der Große
                die »apokalyptischen« Völker hinter den fernen Bergen
                eingeschlossen hatte, damit sie sich erst zum Ende der
                Zeiten würden befreien können. 
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                3 Angeblich bedeutet Bagdad »Garten des (christlichen
                Einsiedlers) Dad«, dessen Zelle ursprünglich die einzige
                Behausung auf diesem Platz war. Hier residierte Harun (
Aaron)
                al Raschid (
der Gerechte), der bekanntlich
                verkleidet durch die Straßen seiner Residenzstadt
                schlich, um zu hören, was denn das Volk denke (heute
                würde die allgegenwärtigen Personenschützer verhindern,
                daß man eine Currywurst unerkannt essen könnte). Er war
                Bundesgenosse von Karl dem Großen und ein großer
                Kriegsherr, der seinen Gegnern versuchte klarzumachen,
                daß ein Jahr Tributzahlungen weniger koste als ein Monat
                Plünderung.  
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                4 Die phönizische Königstochter Europa, die der
                griechische Göttervater Zeus in Gestalt eines Stiers mit
                eindeutigen Absichten an den Strand von Kreta entführte
                – crime and sex –, soll Namenspatronin dieses Erdteils
                sein. Jedenfalls ist diese Interpretation romantischer
                als die mögliche andere Herkunft der Bezeichnung: Eine
                Ableitung von dem semitischen »ereb«, was so viel wie
                düster und finster bedeutet (und für die Menschen am
                Mittelmeer ist Europa nördlich der Alpen wahrlich düster
                und finster und sowieso nur von barbarischen Völkern
                bewohnt – damals). Erstaunlich, daß die Frauenbewegung
                die humanistisch gedeutete Version noch nicht zu einem
                Geschlechterk(r)ampf gemacht hat. 
                
                 Die Bezeichnung »Barbar« machte im Laufe der rund
                1500 Jahre »Antike« etliche Bedeutungswandel durch. Zur
                Zeit Homers waren die Barbaren jene Völker, die kein
                Griechisch sprechen konnten und deren Grammatik
                mangelhaft gewesen sein soll. Erst etwa ab dem 4.
                Jahrhundert v. Chr. (Herodot, 485–425 v. Chr.) wird mit
                dem Begriff ein kultureller Überlegenheitsanspruch der
                Griechen verbunden, der sogar die Römer einschloß. Immer
                dann, wenn benachbarte Völker den Eindruck erweckten, es
                sei mit ihnen kulturell und zivilisatorisch auf einer
                Stufe oder doch nahe – Kleidung, Waffen, Rechtsordnung,
                Staatsbildung – wandten die Griechen diesen Begriff auf
                sie an und schufen so ein (ihr) Feindbild. »Barbaren«
                waren also gerade nicht Völker, die von
                menschenfressenden Monstern beherrscht wurden. Die Römer
                verwendeten die Bezeichnung »Barbar« für alle Völker
                jenseits ihrer Reichsgrenzen. Später wurden nur die
                »Berber« in Nordafrika als Barbaren bezeichnet, die wie
                Edward Gibbons (1737–1794) meint, mit Recht an der Küste
                der Barbaren leben. Da könnte man direkt auf die Idee
                kommen (wegen Libyen), von der »Achse der Barbaren« zu
                sprechen, zumal auch die Germanen im alten Europa schon
                so bezeichnet wurden. 
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                5 Griechische Flüchtlinge, die auf den Weg vom Heiligen
                Land nach Westen von den Türken gefangen wurden, sagten,
                sie wollten »eis ten polin«, »in die Stadt«, und meinten
                damit Konstantinopel, und deshalb benennt der Sultan
                Mehmed die von ihm eroberte Hauptstadt des
                byzantinischen Reiches dementsprechend: Istanbul. Es
                war bereits die zweite Fluchtwelle, denn schon 1204
                stürmten christliche Raubritter die Stadt und
                zerschlugen das byzantinische Kaiserreich und »raubten,
                was sie vorfanden und bedrängten die Besitzer, ihnen
                versteckte Wertsachen anzugeben, indem sie einige
                schlugen, vielen auch schöntaten, alle aber bedrohten.«
                  
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                 An der Eroberung der Stadt mit rund 40.000
                Einwohnern 1453 nahmen auf Seiten der »Türken«
                (insgesamt 80.000 Mann) auch sog. Baschi-Bazuks teil,
                Söldner – zum Teil Christen – aus aller Herren Länder
                der Umgebung und Europas. 15.000 griechische,
                venezianische, genuesische, katalanische und türkische
                Soldaten (darunter sogar ein Onkel des Sultans, Orhan
                Beg) sollten die Stadt verteidigen. Der Waffenmeisters
                des Sultans war der Ungar Urban, der seine Dienste
                vorher dem christlichen Kaiser angeboten hatte, aber
                dieser konnte ihn nicht bezahlen. So baute Urban die
                »Mutter aller Kanonen«, ein Ungetüm mit einem 40 Spannen
                (8,13 Meter) langen Kanonenrohr und einer Dicke von 20,3
                Zentimetern; der Umfang betrug hinten 81 Zentimeter (wo
                das Schwarzpulver eingeführt wurde) und vorn (wo die
                Kugeln eingelegt wurden), 2,50 Meter. Die Kugeln wogen
                600 Kilogramm, flogen 1500 Meter weit und sprangen beim
                Aufprall wie Streubomben in tausend Stücke. Nur
                siebenmal am Tag konnte die Kanone abgefeuert werden. 
                
                 Die Niederlage der Christen in Konstantinopel
                führt, man ist ja schließlich Geschäftsmann, zu der
                Entsendung eines Botschafters aus Venedig, der dem
                Sultan 1200 Dukaten überbringt; die byzantinischen
                Besitztümer in Venedig werden konfisziert, um
                ausstehende Schulden zu begleichen. Im Todesjahr von
                Mehmed, 1481, hat sich die Bevölkerungsanzahl der Stadt
                vervierfacht – sie ist jetzt eine multikulturelle
                Metropole mit Menschen aller Religionen und aus allen
                Teilen des osmanischen Reiches: Eine orientalische Stadt
                im Abendland, eine abendländische Stadt im Orient. 
                
                 Es ist falsch, wenn der gleichfalls erschlagene
                byzantinische Kaiser Konstantin XI. Palaiologos als der
                letzte oströmische Kaiser bezeichnet wird, denn Sultan
                Mehmet nannte sich auch »Kayser-i Rum« – Kaiser von Rom.
                Sultan Mehmet II. übernahm als Zwölfjähriger die
                Regierungsgeschäfte von seinem Vater Murad II., der zu
                seinen Gunsten abdankte, muß aber zwischendurch in die
                Verbannung gehen, um dann mit dem Tod Murads 1451
                endgültig die Macht zu erhalten. Das Osmanische Reich
                war eine Großmacht, die im Nordwesten über den halben
                Balkan und im Nordosten bis auf die Krim reicht. Da
                störte das christliche Konstantinopel. Seine Hauptstadt
                war in Adrianopel (Edirne) – auf dem europäischem
                Kontinent. 
                
                 Nationalistische Türken sprechen von der
                »Eroberung« der Stadt, uns Abendländer ist »Fall«
                sympathischer; der »Zusammenbruch« des Deutsches Reiches
                1945 ist ja auch schöner als »Niederlage« und
                »bedingungslose Kapitulation«. 
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                6 »Pemmikan« – so stand‘s in der FAZ – »ist das
                Glaubensbekenntnis der Polarfahrer. Konzentrierter
                kann ein Lebensmittel kaum sein: Zu gleichen Teilen
                werden geriebenes mageres Fleisch und ausgelassener
                Speck miteinander vermengt, dazu kommen Rosinen, Zucker
                und Salz, Suppengemüse und Obst, Weizenkeimkleie,
                Leinsamen und Soja, durchaus auch Flomen und Pastinaken,
                wenn sie zur Hand sind. Das macht den Pemmikan zu einer
                Nahrung, die so warm hält wie eine Daunenjacke«. 
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                7 Die Medizin der Araber war auch deshalb weitergehender
                als die der Lateiner (Westeuropa ) und der Römer
                (Byzanz), weil sie wegen ihrer ständigen Kriegszüge
                zwischen den verschiedenen Richtungen des Islams bzw.
                gegen die Christen der Heilkraft der Arzneikunde und den
                Wundarzneien mehr Aufmerksamkeit widmen mußten. 
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                8 Das Paradies, der muslimische »Dschana« (Garten) ist
                in den heiligen Schriften des Islams (wie zum Beispiel
                in der Auslegungsschrift »Hadith«) als Ort irdischer
                Freuden beschrieben. Die Flüssen spenden Wasser, Milch
                und Honig; selbst Wein – im Diesseits verboten – wird
                den Seligen in güldenen Krügen gereicht. Kostbare
                Gewänder kleiden die Gläubigen, sie ruhen auf
                golddurchwirkten mit Brokat gefütterten Liegestätten.
                Und – wie schon geschrieben – die wunderbaren
                Paradiesmädels warten im ewigen Leben: »Wann immer ihr
                Gatte sich ihnen nähert, findet er sie jungfräulich
                vor«. Für Frauen ist das alles (umgekehrt) im Islam
                nicht vorgesehen, für diese bleibt wohl die dienende
                wäschewaschende Rolle. 
                
                 Doch gemach: Christoph Luxenberg, ein Pseudonym,
                übersetzt (unzulässigerweise, denn der Koran gilt als
                das ungeschaffene, direkte Wort des arabisch
                sprechenden Gottes) in den Suren 44 und 52 erwähnten
                Paradiesjungfrauen anders. Danach wurde aus dem Adjektiv
                »hur«, das syro-aramäisch »weiße Weintrauben«
                bezeichnet, sogenannte »huris« oder Paradiesjungfrauen,
                aus dem metaphorisch gemeinten syro-aramäischen Wort
                »in« (wörtlich: Augen, übertragen: perlengleich) wurden
                »Großäugige«. Aus »Erstlingsfrüchten«, auf denen die
                Seligen »behaglich« liegen, wurden »(ewige) Jungfrauen«.
                Abraham a Santa Clara, Wiener Hofprediger, unter dem
                Eindruck der Bedrängnis durch die Türken (1683): Der
                Koran sei voll von »phantastische Gedicht und grundloser
                Lugen-Zeug«, eine »gemischte Speiss«, durch den »der
                Pöbel verblendet« sei. 
                
                 An anderer Stelle, so übersetzt Luxenberg, stehe
                im Koran, daß die Märtyrer mit ihren irdischen Frauen
                zusammengeführt werden, um mit ihnen »im Schatten auf
                Teppichen« zu lagern. Was sollten da die »huris«? Ein
                solcher Ort kann wohl nicht als »Paradies« bezeichnet
                werden, sondern nur als Ort des sexuellen Stresses für
                Mann, Frau und Gespielinnen.   
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                 Das »Damen-Conversations-Lexikon« – ja, so etwas
                gab es 1835 – beschreibt die Araberinnen: »Schön wie die
                Engel des Paradieses sind sie poetisch, voll der
                tiefsten Empfindung, voll des edelsten Stolzes und doch
                kindlich naiv, tändelnd mit der anmuthigen Gazelle, mit
                dem Spiegel, unschuldig und rein, die Liebe und ihre
                süße Gewalt kaum ahnend, bis sie in ihnen aufblüht in
                aller Seligkeit und mit aller Gluth, welche das Land der
                Palmenhaine und des ewig heiteren Himmels erweckt.« Wenn
                dem so ist, wird es schwerlich erklärbar, warum man
                nicht hienieden das Paradies sucht, sondern sich erst in
                Ramallah in die Luft sprengen muß, um als »Märtyrer« zu
                sterben? 
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                9 Die Wiedergeburt, die »rinascità«, meinte zunächst nur
                den Umstand, daß man wieder eine so gute Kunst wie in
                der Antike besaß; der Kunststil hieß zunächst »maniera«
                und erst nach 1820 wurde der Stilbegriff in der
                französischen Form »Renaissance« genannt. Und in
                Deutschland sprach man in der Baukunst zuerst von der
                »welschen Mode«. Man behauptet, die Renaissance wurde
                von Künstlern begonnen, die aus Konstantinopel geflohen
                waren. 
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                 En passant: Um 1820 wurde auch erstmals vom
                romanischen Baustil als »Romanik« gesprochen. Seit der
                Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Welt noch
                unübersichtlicher, und deshalb kam die große
                Katalogisierung aller Dinge. Und noch eine Bemerkung:
                Die Renaissance hatte ihre Ursache insbesondere im
                wirtschaftlichen Umbruch jener Zeit, so wie auch andere
                Stilrichtungen zum Durchbruch kommen, weil die
                wirtschaftlichen Bedingungen sich deutlich ändern. Der
                Münster-Bau zu Ulm wurde eingestellt, da die im
                Amerika-Geschäft groß beteiligten Augsburger Fugger und
                Welser die Stadt an der Donau relativ verarmen ließen
                und auch die Kölner Dombaumeister mußten eine Pause
                einlegen, da der Amerika-Handel an ihnen nicht vorbei
                ging. 
                
                 Die
Renaissancegärten dokumentierten mit
                ihren zu geometrischen Formen zurechtgeschnittenen
                Stauden und Bäumen, mit den gestutzten Hecken und den
                sorgsam arrangierten Blumenbeeten in einheitlichen
                Formen und Mustern deutlich, daß der Mensch – wie schon
                in der Bibel (1. Mose, Kapitel 1, Vers 26) geschrieben –
                die Erde sich untertan gemacht hatte (Flaubert: »Die
                Grundlage des Christentums ist der Erdapfel.«). 
                
                 In der Renaissance wurde die Begegnung mit
                wirklichen Menschen des Schwarzen Erdteils auch in der
                Kunst verarbeitet. Der Reformator Bullinger trank aus
                einem Glas, das einen Mohrenkopf zum Stiel hatte und die
                Damen trugen Schmuckanhänger mit Mohrenkameen;
                fürstliche Sammler fügten ihren Kunstkammern (damals
                entstanden die ersten, noch privaten, Museen) gern
                Erotica in Gestalt einer »Negervenus« hinzu. Heutzutage
                entspricht es nicht der »correctness«, »Negerköpfe« als
                solche zu bezeichnen: »Dickmann« heißen die geliebten
                mit Kakao überzogenen Schaumdinger. 
                
                 Auch heute wird dokumentiert, daß die Erde dem
                Menschen untertan ist: Mit schnurgeraden Autobahnen,
                mit begradigten Flüssen, mit den Reihenpflanzungen an
                Straßen, mit der Nivellierung von kleinen
                Bodenerhebungen für den Straßenbau. Die Topographie
                hat sich nach den vorgeblichen Bedürfnissen des
                automobilisierten Bürgers zu richten, die Bäume
                mußten weichen, weil der ADAC es wollte. 
                
                 
 
                
                10 Die Kultur des Safrans ist so alt, daß heutzutage nur
                sicher ist, daß er aus mediterranen Gegenden kommen
                muß. Drei dünne Fäden gewinnt man aus jeder Blüte des 
Crocus
                  sativus – daher der hohe Preis für dieses Gewürz.
                
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                11 Weil es immer wieder falsch gemacht wird (und
                Computerschriften fast immer nur eine Form kennen): Das
                lange »s« steht immer nur am Anfang eines Wortes oder
                einer Silbe (und bei »schn« »sp« und »st«), das runde »
                
s« steht immer nur am Ende eines Wortes oder
                einer Silbe: »Festspielhau
sfriseur
smau
s«!
                Im deutschen »Neuschreib« kann man im übrigen sowieso
                schreiben wie einem die Tinte aus der Feder fließt, denn
                es ist kein Gesetz. Man muß nur die sog.
                Rechtschreibprüfung [F7] ausschalten. 
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                12 Der Seemanns-Gang: Torkelnd von rechts nach links,
                weil die Erde doch rund ist. 
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                13 Deshalb liegen noch heute die »west-indischen« Inseln
                in der Karibik. Hegel meinte, der Drang nach Indien sei
                »ein wesentliches Moment der ganzen Geschichte. Seit den
                ältesten Zeiten haben alle Völker ihre Wünsche und
                Gelüste dahin gerichtet, einen Zugang zu den Schätzen
                dieses Wunderlandes zu finden.« 
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                14 Das »Ei des Kolumbus« wurde erstmals von dem
                Italiener Girolamo Benzoni 1565 in seiner »Historia del
                mondi nuovo« (bei einem Bankett des Kardinals Mendoza
                1493 wurde ein Ei an der Spitze angeknickt und blieb
                somit stehen) erwähnt und 1672 erstmals im deutschen
                Sprachraum verwendet.       
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                 »Die Welt ... geht an solchen Binsenwahrheiten
                manchmal wie blind vorbei und ist auf das höchste
                erstaunt, wenn plötzlich jemand entdeckt, was doch alle
                wissen müßten. Es liegen die Eier des Kolumbus zu
                Hunderttausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben
                seltener zu treffen.« Von den »Eiern der Kolumbusse«·
                schrieb Hitler (Fedor Stepun meinte noch 1932: ein
                »ganz gewöhnliches Friseurgesicht«) im Kapitel »Volk und
                Rassen« von »Mein Kampf«. 
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                15 Das Buch von Mandeville war eine geschickte
                Zusammenfassung antiker und zeitgenössischer Quellen;
                es war eines der größten Bucherfolge des 14. und 15.
                Jahrhunderts, denn nirgends sonst wurden seltsame
                Ländern und wunderliche Völkern so farbig geschildert. 
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                16 Vielleicht hatte Papst Alexander dabei an einen
                anderen erstgeborenen Sohn gedacht, an den Sohn Isaaks,
                Esau, der sein Erstgeborenenrecht an seinen Bruder Jakob
                verlor. 
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                17 1479 heiratet Kolumbus’ Felipa Moniz Perestrello,
                deren Vater die atlantischen Inseln kolonisiert hatte.
                Kolumbus wird durch diese Heirat Mitglied des
                portugiesischen Adels und erhält Zugang zum Königshof.
                Und: Er erhält von der Witwe des verstorbenen
                Schwiegervaters Seekarten und Dokumenten von dessen
                Atlantikreisen. 
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                18 Adel definierte sich nicht nur durch Herkommen,
                sondern auch durch Rituale, die der Sohn eines
                Wollwebers nie gelernt hatte. Nach den sprachlichen
                Regelungen des Mittelalters definierte sich Adel nach
                Abstammung von einem alten Geschlecht, Herrschaft über
                das Handeln anderer, materieller Reichtum (zumindest so
                tun, als hätte man) sowie Ehre als Grundlage der
                Standeskultur. Und ordentlich gekleidet mußte man sein:
                In Holland würde man sagen mit 
jasje en dasje.
                
                
                 Noch zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im
                deutsch-preußischem Heer Rituale gepflegt, die wohl
                schon damals außerhalb des Adels als »topinambous«
                anmuteten. In reinen Adelsregimentern tanzten die
                Offiziere miteinander – die »Damen« durch ein Armband
                gekennzeichnet. Der Chef des Militärkabinetts brachte
                seinem Kaiser gar eine Balletteinlage im Tutu dar. 
                
                In einem aristokratischen Erziehungsbuches des 16.
                Jahrhunderts steht: »Zeigt ein großer Herr sein Glied in
                Gegenwart eines Menschen geringeren Standes, dann
                beweist er nicht Hoffart, sondern Liebe und
                Freundlichkeit.« So ist das also. Dagegen war der Tritt
                auf dem Fuß ein Zeichen der Besitzergreifung. Wie und
                woher sollte Kolumbus wissen, welche »Maja« am
                spanischen Königshof wem gerade ihre Huld und Gunst
                gewährte und den Pantoffel schwang? 
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                19 Der
Umfang der Erde und damit die Strecke zu
                den westlichen Gewürzinseln war von Eratosthenes
                (276–195 v.Chr.) mit 39.690 km trotz eines Rechenfehlers
                ziemlich nahe der Wahrheit errechnet worden. Der
                griechische Astronom Poseidonios (135 bis 51 v.Chr.)
                errechnete rund 30.000 km, also ein Viertel kleiner. Die
                Angaben von Poseidonios wurden dann – ohne nähere
                Prüfung von Claudius Ptolemäus (87 bis 150 n.Chr.)
                übernommen. Für die»Ökumene«, d.h. für die bewohnte
                Welt, griff Ptolemäus auf Hipparch aus Nicäa (180–125
                v.Chr.) zurück. Ptolemäus behandelte den um Asien,
                Europa und (Nord-)Afrika herumliegenden Welt-Ozean so,
                als ob er tatsächlich existierte, wie jede andere
                normale Wasserstraße und als einen weiteren Seeweg zur
                Erleichterung des Handels. 
                
                 Seit Aurelius Augustinus (354–430) glaubte man,
                auf der Rückseite der von Menschen bewohnten Scheibe
                wäre Wasser. Oder mit den Römern glaubte man, daß es auf
                der Rückseite Antipoden gäbe. Diese Gegenfüßler lebten
                nicht nur auf der falschen Seite der Erde, sondern waren
                auch wirklich anders: Die Füße zum Beispiel waren nach
                hinten gedreht. Aber, schrieb ein portugiesischer
                Kapitän in jener Entdeckungszeit: »Mit allem gebotenen
                Respekt vor dem berühmten Ptolemäus, wir fanden bei
                allen das Gegenteil dessen, was er geschrieben hat.«
                Bereits Krates aus Mollos hatte etwa 150 v.Chr.
                angenommen, daß die Erde eine Kugel sei, da die Erde als
                Schöpfungswerk der Götter von vollkommener, also von
                runder Gestalt sein müsse (nota bene: Rubens
                Kartoffel-Figuren). 
                
                 Der Araber Abu r-Raihan Muhammad ibn Ahmad
                al-Biruni (973–1048) schreibt von einem Streitgespräch
                zwischen einem christlichen Philosophen und einem
                muslimischen Theologen, in dem der Theologe darauf
                hinweist, daß die Kugelgestalt der Erde auch deshalb
                unmöglich sei, weil das flüssige Wasser bekanntlich
                immer nur die Form eines umgebenden festen Körpers
                annehme; das Wasser müsse also von der Erde
                herabtropfen, falls diese kugelförmig sei.   
                
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                 Damalige Mathematiker stellten fest, daß ein
                Stein, der vom Sternenhimmel fällt und in jeder Stunde
                100 Meilen durchquert, mindestens 65 Jahre benötigen
                würde, um die Erde zu erreichen (weil es sich um 170
                Millionen 803 Meilen handele). Archimedes (287–212 v.
                Chr.) meinte, alle Meeresoberfläche sei eben. 
                
                  Kolumbus stützte sich, auch weil’s ihm paßte, auf
                die Angaben von Behaim (etwa 1459–1507), der bei seinem
                Erdapfel wiederum auf Poseidonios und Beobachtungen
                bei eigenen Entdeckungsfahrten an den Küsten Afrikas
                zurückgriff. Behaims Globus war nicht nur wichtig wegen
                des Gezeigten, sondern auch wegen des Nichtgezeigten –
                Amerika. Bis zu diesem Zeitpunkt (und auch noch danach)
                lieferten die Kartographen keine präzisen Details über
                Größe von Ländern und Inseln und Entfernungen, sondern
                Bilder zur weltlichen und geistigen Erbauung des
                Betrachters. Die um die »Landkarte« herum drapierten
                Szenen vom biblischen Leben und zum Lobpreis Gottes
                waren das Entscheidende. 
                
                 Es wird angenommen, daß der Behaimsche Globus
                jene geographische Kenntnisse darstellte, die den
                Grundstein für die Indienfahrt von Kolumbus lieferten.
                In dieser Zeit forderte Kolumbus Schiffe für die Fahrt
                nach Indien, da wo der Pfeffer wächst und die Bewohner
                sich mittels ihrer riesiger Füße selbst vor der
                subtropischen Sonnenglut beschirmten. 
                
                 Oh, hätte Kolumbus doch gefordert, die Suche nach
                Vineta zu finanzieren, die Stadt der Händler, der
                Weltmeerfahrer, in der goldene Dächer die Häuser
                krönten, Kinder mit Silberlingen auf der Straße
                spielten, die Stadttore aus Erz waren (üblich war in
                Deutschland Holz) und Diamanten überall herumlagen – das
                hätte nicht gegen Jerusalem als Mittelpunkt der Welt
                verstoßen und trotzdem Reichtum gebracht. 
                
                 Zur Wende des 15. Jahrhunderts entstanden jedes
                Jahr neue Erdkarten, da auf den Entdeckungsschiffen
                auch Kartenzeichner mitfuhren, wie z. B. Juan de la
                Cosa, der Kolumbus auf seiner zweiten Reise begleitete.
                Nürnberg war schon lange vorher das europäische
                Zentrum der Kartenkunst (da mußten alle vorbei, die ins
                Heilige Land wollten: Richard Löwenherz hätte den
                Rhein-Main-Donau-Kanal genommen, denn nur Kreuzfahrer
                freuen sich ob dieses Bauwerks) und jeder Reisende
                berichtete über die von ihm gesehenen Landschaften –
                nicht immer wahrheitsgetreu und die Gefahren stets
                übertreibend. 
                
                 In den vierzehn Jahren von 1486 bis 1500 ist mehr
                von den Europäern entdeckt worden als in den vierzehn
                Jahrhunderten zuvor. Der Umbruch der Welt erfolgt. Denn
                bis dahin war das Ziel irdischen Strebens, sich auf die
                nächste Welt im Jenseits vorzubereiten – was
                interessierte da eine Gegend, wo die Kartoffel wuchs und
                die Bewohner Menschenopfer brachten und rötlich waren. 
                
                 Das ptolemäische Weltbild wurde endgültig (und
                stillschweigend) aufgegeben, als Magalhães (1480–1521)
                von seiner Erdumseglung 1522 nach Sevilla zurückkam,
                die geozentrische wird durch die heliozentrische Sicht
                abgelöst. Am 6. September 1522 kommt als einziges Schiff
                (von ursprünglich fünf) die »Victoria« mit nur noch
                achtzehn Seeleuten (ursprünglich 265) nach Spanien
                zurück. Zwischendurch mußte Magalhães zwei seiner
                Kapitäne wegen Meuterei hängen und zwei weitere Meuterer
                an der Küste von Südamerika aussetzen lassen; er selbst
                wird im April 1521 auf den Philippinen von Einheimischen
                getötet, denen die Spanier das Kreuz Christi bringen
                wollten. 
                
                 Der Dichter Pigafetta trat nach dieser Weltreise
                1524 in die Dienste des Sultans in Istanbul und brachte
                diesem eine Karte (wahrscheinlich von Pedro Reinel
                gezeichnet), auf der die südliche Hemisphäre
                eingetragen ist (»Hesta terra descobrio Fernando do
                Magalhães«). 
                
                 Aber noch in den 1980er Jahren (kein
                Schreibfehler!) vertrat Ibn Baz, oberster
                Rechtsgelehrter Saudi-Arabiens, die Auffassung, die
                Sonne kreise um die flache Erde und alles andere sei
                (islamische) Irrlehre. Es gibt hierfür auch einen
                biblischen Beweis: Als die Israeliten einmal nicht mit
                den Amoritern fertig wurden, ließ Gott die Sonne am
                Himmel still stehen, bis das Volk sich – so in Joshua
                10, 12–13 – an ihren Feinden gerächt hatte. Hätte Gott
                eine um die Sonne kreisende Erde angehalten, müßte
                Joshua auch von dem gewaltigen Ruck berichtet haben, den
                es gegeben hätte. 
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                 Zumindest teilweise herrscht die Scheibe heute
                vor; Jochen Hörisch (in »Der Sinn und die Sinne«)
                schreibt: »Ob Münzen oder Hostien, ob Schallplatten oder
                CD-Roms: Die Welt der Medientechnik hat nicht Kugel-
                sondern Scheibengestalt.« Solche augenfällige Beweise
                werden jedoch von den Ignoranten aus der
                »Kugel-Fraktion« nicht berücksichtigt. So ist der Stern
                Achernar im Sternbild Eridanus (»Al Nahir al Nhar«, »Am
                Ende des Flusses«), rund 145 Lichtjahre von der Erde
                entfernt, mit einem Verhältnis von 1 : 1,56 (Polumfang
                zu Äquatorumfang) ein außergewöhnlich »flacher« Stern,
                der im Laufe der nächsten Jahrtausende aufgrund seiner
                Rotationsgeschwindigkeit (225 km pro Sekunde) fast eine
                Scheibe oder vielleicht nur ein Ei werden wird. 
                
                 An der Westmauer (»Klagemauer«, arabisch: »hait
                al-mabka«) des im Jahr 70 von Titus zerstörten Tempels
                in Jerusalem schreiben fromme Juden ihre Wünsche auf
                Papier und stecken diese Wunschzettel in die Fugen. Die
                Araber nennen diesen Teil der Mauer auch »Hait
                Al-Buraq«, nach jenem menschenköpfigen geflügelten
                Fabelwesen, auf dem Mohammed in der Nacht seiner
                Himmelfahrt von Mekka nach Jerusalem durch die Lüfte
                ritt. Mohammed soll sein Reittier an dieser Mauer
                angebunden haben, bevor er in den Himmel aufstieg (aus
                dem heutigen Felsendom). 
                
                 Mit der Kartoffel wechselt das geozentrische
                Weltbild in ein 
pommezentrisches
                Gesamtkunstwerk. 
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                20 »Wo Herkules die Zeichen aufgerichtet / Damit die
                Menschen nicht mehr weiterführen«. Ein Strudel, bei
                Dante Alighieri (1265–1321), war dort von dem neuen Land
                gekommen. Hinter dem 
Kap Non, dem Kap
                Nichtweiter, sei Seefahrt nicht möglich. Dort beginne
                die »grüne See der Dunkelheit«, dickflüssig, ein »mare
                pigrum«. Die Glut der Sonne bringe das Wasser zum Kochen
                und die Schiffe zum Verbrennen und jeder Christenmensch,
                der in seiner Not das wüste Land dort betrete, würde
                sofort zum Neger. Und es leben dort die Amyktryten, die
                eine große Lippe haben und sich die Unterlippe über das
                Gesicht schlagen, wenn sie schlafen wollen. Dagegen
                hingen die Ohren der Panotier bis zu den Füßen herab, in
                die sie sich einwickelten zur Schlafenszeit. 
                
                 Kein Baum, kein Grashalm würde dort gedeihen. Im
                übrigen waren die kartographischen Darstellungen der
                Westeuropäer des Orients dem Paradies nahe. Gewürze,
                Überfluß an Nahrung, Glückseligkeit, immergrüne Bäume,
                bevölkert von über einhundert Jahre alten Menschen. Auf
                Gran Canaria wachsen die bis zu zehn Meter hoch
                werdenden Drachenbäume (
Dracaena draco), die so
                heißen, weil sie aus den Schuppen emporwuchsen, die den
                untröstbaren letzten Drachen abfielen, als sie nach dem
                Aussterben der meisten ihrer Art ins (westliche) Nichts
                flüchteten, um dort am Ende der Welt auf die Verirrten
                zu warten. Erst 1486 umrundet Bartolomé Diaz (1450–1500)
                das Kap Tormentosa, das Kap der Guten Hoffnung – der
                Weg um Afrika ist gefunden. 
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                21
Leviathan ist ein mythischer Drache im Alten
                Testament, ein »großer Mensch«. Der englische Philosoph
                Thomas Hobbes (1588–1679) nimmt den Leviathan als
                Titelkupfer seines Buches als Symbol des allmächtigen
                Staates. Caesar berichtet im »Gallischen Krieg« (De
                bello gallico) von dem Brauch der Gallier, lebende
                Menschen in ein riesiges Weidengeflecht in
                Menschengestalt (simulacra) einzusperren, ehe sie als
                Opfer verbrannt wurden. 
                
                 Dagegen ist der 
Behemoth ein harmloses
                »Riesentier«, im Alten Testament ein Name für das
                Nilpferd. 
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                22 Noch 1683 berichtet Eberhard Werner Happel in »Größte
                Denkwürdigkeiten der Welt oder sogenannte Relationes
                Curiosae«:     
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                  »Unter der großen Menge der Wunder dieser Welt ist
                  wohl der vornehmsten einer der erschreckliche Strudel
                  bei Norwegen, der da unter dem Namen Mahlstrom,
                  Seenabel und Moskoestrom nunmehro in der ganzen weiten
                  Welt bekannt ist, zumal man ansonsten nirgends
                  seinesgleichen finden wird. ... Kein Schiff, wie groß
                  es auch immer sein mag, kann seiner Gewalt, wann es
                  ihm zu nahe kommt, entgehen, es wird auf eine Meile
                  Wegs vom wirbelnden Strom ergriffen, etliche Male in
                  einem Circul herumgeschleudert und hernach in das
                  große Trichterloch gestürzt.«
                
                
                
                 Happel berichtet, daß König Christian von Dänemark
                IV. (1577–1648) höchstpersönlich eine Wassernymphe
                gesehen habe (»Die Brüste mit ihren Warzen stunden
                erhaben.«). Auch wenn’s nur eine Seekuh war: Christoph
                Kolumbus besaß ungeheuren Mut, ungeheuren Leichtsinn,
                ungeheuren Ehrgeiz. Und in der Neuen Welt war es nicht
                einfacher, »denn es heißt,« so schrieb Bernal Diaz, »es
                gebe dort Menschen mit großen, breiten Ohren und andere
                mit Hundeköpfen, auch festzustellen, wo die Amazonen
                wohnen, welche den Euch begleitenden Indianern zufolge
                dort in der Nähe leben.« 
                
                 Erst 1728 erfindet der englische Schreiner und
                Uhrmacher John Harrison einen exakten Chronometer zur
                Orientierung auf See. Auf manchen Schiffen kam das
                Chronometer erst am Ende des 19. Jahrhunderts zum
                Einsatz, weil diese Uhren sehr teuer waren und im
                übrigen die alten Methoden schließlich auch zielführend
                waren.  
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                23 Als Vasco da Gama 1497 nach Indien segelt, hat er an
                Bord auch zwölf zum Tode verurteilte Männer; man
                schickte solche Leute in Gegenden an Land, in denen man
                mit unfreundlichem Empfang rechnete (es war
                allgemeiner Brauch seinerzeit, für solche Zwecke
                verurteilte Verbrecher mit sich zu führen). Da Gama
                (Charles E. Nowell: »Ein Mann mit eiserner
                Körperverfassung und grober Gemütsart«) schickte bei
                seiner Ankunft in Indien einen dieser Strafgefangenen
                an Land, der angeblich begrüßt wurde mit: »Hol Dich der
                Teufel! Wer hat dich hierhergebracht?» Die Gewürze, die
                Vasco da Gama von dieser Reise mitbrachte, ergaben das
                60fache der Reisekosten. 
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                24 1507 taucht auf der Frankfurter Buchmesse ein Buch
                mit zweiundfünfzig Blättern auf: »Cosmographiae
                introductio ...«, »Einführung in die Kosmographie mit
                den nötigen Grundprinzipien der Geometrie und der
                Astronomie. Dazu die vier Reisen Amerigos Vespuccis,
                ferner eine Karte des Weltalls sowohl in flacher als in
                Globusform von all jenen Teilen, die Ptolemäus unbekannt
                gewesen und in jüngster Zeit entdeckt wurden«, mit einer
                Widmung von Matthias Ringmann an den Kaiser Maximilian
                (1459–1519) und einer Vorrede von Martin Waldseemüller,
                gedruckt in St. Dié, in dem Vespucci ausdrücklich als
                Entdecker des »quarta orbis pars«, der Neuen Welt,
                genannt wird. 
                
                 Falsch, aber bedeutsam, denn »da Americus ihn
                gefunden, [könnte man] die Erde des Americus oder
                America von heute an [so nennen].« Das war der
                »Taufschein« Amerikas, der 2001 für zehn Millionen
                Dollar von Fürst von Waldburg-Wolfegg an die
                Kongreßbibliothek in Washington verkauft wurde, obwohl
                es in Deutschland als ein nicht ins Ausland zu
                verkaufendes Kulturgut eingeordnet wurde. Amerika meint
                auf dieser Karte nur die brasilianische Nordküste, der
                Süden mit Argentinien heißt hier noch »Brasilia
                Inferior«. Wo die Tupinambàs wohnen und der Topinambur
                herkommt. 
                
                 Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde es üblich,
                die Neue Welt »Amerika« (Gerhard Mercator, 1512–1594,
                zeichnet 1538 die Neue Welt als einen Kontinent und
                stichelt daneben »AME« und »RICA«) zu nennen und
                Vespucci als Entdecker zu feiern; nur einer widerspricht
                in seiner »Historia general de las Indias« und hält den
                Kolumbus in Ehren: Bischof Bartolomeo de Las Casas. 
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                25 Die Spanier sind überzeugt, daß Christoph Kolumbus in
                der Kathedrale von Sevilla beerdigt ist; die
                Grabschatulle trägt die Aufschrift »Erster Admiral der
                neuen Welt«. Auch in der Dominikanischen Republik ist
                sich die Regierung sicher, daß Kolumbus auf ihrer Insel
                in der Kathedrale El Faro de Colón de Santo Domingo
                begraben wurde; dort wird eine Urne mit der Beschriftung
                »Entdecker Amerikas« aufbewahrt. Auf Weisung seines
                Sohnes wurde Kolumbus in Sevilla beerdigt, dann nach
                Santo Domingo aus symbolischen Gründen überführt. Als
                die Karibik-Insel in französische Hände fiel und
                Kolumbus somit nicht mehr in »spanischer Erde« ruhte,
                wurde er nach Kuba verlegt. Als nun Kuba für Spanien
                auch verlorenging, erfolgte (wahrscheinlich) eine
                Rückverlegung nach Sevilla.   
                
                 Nun, 2003, soll diese Frage durch eine DNA-Analyse
                zweifelsfrei geklärt werden. (S)ein Leichnam und der
                seines Sohnes Hernando werden exhumiert und durch
                Wissenschaftler der Universität von Granada untersucht.
                Mit der Untersuchung will man auch Aufschlüsse über die
                Herkunft Kolumbus’ erhalten. Historiker gehen nämlich
                bisher davon aus, daß Kolumbus aus Genua stammte und
                somit Italiener war – aber eine andere Theorie
                behauptet, Kolumbus sei ein illegitimer Sohn des Prinzen
                Carlos von Viana und damit reinblütiger Spanier. 
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