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Kartoffel-Geschichte Furche 1.1. Vorgeschichte: Europa 1200 bis 1492

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Die Anfänge und die Ursachen der Kartoffel in Europa:
https://web.archive.org/web/20070704150458/http://www.kartoffel-geschichte.de/Erste_Furche/Die_Anfange/die_anfange.html

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Vorgeschichte: Europa 1200 bis 1492

Um die europäische Entwicklung der Kartoffel zu verstehen, ist es geboten, einen kurzen Abriß über eine Ursache der Entdeckung Amerikas, der Heimat der Kartoffel, zu geben.

Es schien etwas Wahres an den Gerüchten zu sein, die aus Küche und Hof in die caminati der Weiber hinüberschwappten. Nach dem ­endgültigen Verlust Jerusalems im Jahr 1244 kamen immer mehr Leute aus Iskandarija, dem ägyptischen Alexandria, mit der damals größten Bibliothek der Welt (mehrere hunderttausend Rollen und Papyri), aus Akkon und Palästina, Damaskus, Antiocheis, Seleukara und weiter nördlich nach Konstantinopel. Jedes Jahr ein wenig mehr. Es schien, als wenn eilig alle Giaurs die Heiligen Stätten verlassen wollten. Und aus Konstantinopel zogen die Leute weiter westwärts.

Es war lang, beschwerlich der Weg nach Norditalien, nach Venedig, nach Genua, ins Süddeutsche und weiter nach Frankreich, es dauerte Jahr­zehnte, insgesamt fast zwei Jahrhunderte. Aber die Herrschaft des Islams über Palästina unter dem ägyptischen Sultan festigte sich; es sah nicht danach aus, als ob das »Heilige Land« je wieder unter­ christliche Herrschaft käme und man die Genüsse des Orients und die verwirrend vielfältigen sexuel­len Angebote (in Alexandria soll es fünf Geschlechter gegeben haben!) wieder genießen könne.

Die Eroberungszüge der nach Westen ziehenden Mongolen, die die Wander­ratten und damit die Pest mitbringen, führen endgültig zur Beendigung der christlichen Herrschaft über das östliche Mittelmeergebiet.

1258 wird von den Mongolen aus der Tatarei das sunnitische Bagdad erobert, und damit ver­lieren die Araber ihre Herrschaft über Asien. Der genuesische, der venezianische Han­del werden eingeschränkt; Seide aus Trapezunt und Ge­würze kommen zwar immer noch nach Europa, aber alles ist hoch zu verzollen; dafür steigt der Ex­port von Wein, denn auch die Mongolen wissen­ einen­ guten Tropfen zu schätzen.

Das antike Byzanz, das »Zweite Rom«, das »Nova Roma«, verlor nach dem Sieg des römischen Bischofs über die Ostkirche nun auch noch die wirtschaft­liche Basis, nachdem schon unter Karl dem Großen der ­Einfluß auf Westeuropa verloren gegangen war. Damit war das griechisch-christliche Konstantinopel endgültig dem Unter­gang geweiht: Sultan Mehmet II. (1430–1481) erstürmt am 28. Mai 1453 Kon­stan­tin­­opel. Die im europäischen Teil ­gelegene zen­trale Kirche »Hagia Sophia« (türkisch »aya­sofya«), seit dem Bau von 532 bis 537 unter Kaiser Justinian (482–565) eine Christenstätte, wird in ­einen Ort des Nieder­werfens, eine Moschee (masdschid),umgewandelt; von nun an heißt die Stadt am Bosporus Istanbul und wird Hauptstadt des osmanischen Reiches. Jahrhundertelange Be­­mühun­gen (mit zweiundzwanzig Millionen Toten durch die heiligen Kreuzzüge), den Landweg nach Asien und damit zu den profitablen Gewürzen zu sichern, nehmen ihr Ende. Nicht zu Ende waren die Kriege, die im Namen des Kreuzes geführt wurden. Hans Woll­­schläger sagt: »Der Aposto­­lische Stuhl steht auf einem Massengrab«. Von ihren­ Raubreisen brachten die Kreuzritter Buch­weizen (ein Knöte­richgewächs, das wie Getreide verwendet werden konnte bzw. wurde), Reis, Pfeffer, Zitro­nen und Aprikosen, Seide­ aus China, mit. In besseren Kreisen kam kurz­fristig das türkische Bad auf, Spielkarten lockerten die dunklen Abende in der Kemenate auf.

Die Eroberung Konstantinopels wirft Europa auch nahrungs-technisch und geschmacklich um Jahrhunderte zurück, denn im Okzident gab es im Winter kaum Frischfleisch; Trockenfleisch (Pem­mikan) ohne Gewürze ­schmeckte nicht einmal den ewig hungrigen und genügsamen Euro­päern. Ge­würze wurden schon von den prähistorischen ­Köchen der Suppe im Erd­ofen beigefügt – und nun war‘s aus mit den verfeinernden Zutaten. Jedes Kind in Europa wußte: Mit den Produkten aus Gegenden, die vielleicht Marco Polo (1254–1323) gesehen ­hatte, war man reich, wurde man reich. Nur durch den Fernhandel konnte sich Venedig die Paläste der Dogen und die Glockentürme der Kirchen bauen und politisch-militärische Macht ausüben. zur Startseite Erste Furche

 Die Flüchtlinge nahmen wenig mit – die Banker und Kaufleute ihre Schuld­bücher, die Ärzte ihre ­Klistiere, die Handwerker ihr Werkzeug, die Gelehrten ihre Papyrus-Rollen (Franciscus Philelphus nahm sich 1427 alle griechischen Manuskripte, als er nach Florenz ging) und Papyri und Pergamente aus Alexan­dria (die die Schändung durch Caesar, dem Bischof Theophilus, dem Kalifen Omar und schließlich der Türken überstanden hatten), die Landwirte Maul­beer­bäume und Seidenraupen – das Wissen Ara­biens und Asiens kam nach Europa, nicht umsonst kam der Spruch ex oriente lux wieder zur Geltung. Denn die Moslems (und damit die mit ihnen zu­sammen­wohnenden Christen) besaßen zu jener Zeit bereits große Krankenhäuser mit Fachärzten, kannten das Papier, be­wahrten die Kenntnisse der Griechen und Perser und hatten Kontakt mit ­Indien und China. Der Ruhm von Universität und Moschee Azhar in ­Kairo, mitbegründet von Jacob Ibn Killis, einem zum ­Islam konvertierten Juden, reicht bis in ­unsere Zeit.

Die Araber verwendeten Ambra und Amu­lette, mixten Elixiere und schwitzten mit Bor­retsch, genossen den haram (konnte sich in Europa nicht durchsetzen) und das hasis(wurde ver­boten), benutzten Kampfer und lagerten schon auf der Otto­mane als die Christen morgens noch Stroh aus den Kleidern schüttelten. Die Menschen im Osten der bekannten Welt verwendeten in ihrer Küche Knoblauch, Dill, Korian­der, Zwiebel, Lauch, Kümmel, Feigensaft und Essig,­ Nüsse und Mandeln machten die Suppen knackiger und interessanter. Sie verwendeten aufgrund der Holzknappheit einen Doppeltopf (wie es die Chinesen tun): Unten köchelte eine Mischung aus (hauptsächlich) Ge­müse und in dem darübergesetzten Aufsatz mit durch­­löcherten ­Boden wurde­ im Dampf der Couscous gar. Und sie warteten fata­listisch – »mit niemals knicken­der Rute« – auf die houris im Paradies, »auf die großäugigen Schönen, die zuvor noch kein Mensch oder Dschinn berührt hatte«, begrüßt von einem riesigen Hahn, dessen Kamm bis zur Grenze des zweiten Himmels reicht. »Ne plus ultra«, bis hierher und nicht weiter, lautete die Inschrift der mythischen Säulen des Herkules, die das eine Ende der Welt markierten. Und obwohl man aus dem doch ferneren Indien Pfeffer und andere Gewürze kaufte, endete im Osten seit den alten Griechen die Welt beim Fluß Phasis (im Kaukasus).

Stefan Zweig schildert in »Amerigo« die Kultur, die Menschen im Orient:
    »Diese Heiden, die man von ferne verachtet, haben glatte, weiche, kühle Stoffe aus indischer Seide, die dichten und funkelnden Teppiche von Buchara, sie haben Gewürze und Kräuter und Düfte, welche die Sinne erregen und beschwingen. ... Sie haben Karten und Tafeln, auf denen alles geschrieben und verzeichnet ist.«

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts trafen die ersten Gruppen in Norditalien ein und siedelten sich in den Hafenstädten und in Orten mit wohlhabender Kundschaft an. Wo die Bankiers wohnen, siedeln sich die Künstler an, so der französische Historiker Fernand Braudel, und Robert Burton sagt: »Die Theologen hängen sich gleichfalls an die Wohlbemittelten, die Juristen an die Betuchten, die Gebildeten an die Geldigen, die Künstler an die Groß­zügigen«. Und die Wissenschaftler fanden neue Mäzene bei reichgeworde­nen Patriziern und wohlhabender Nobilität. In Italien­ wird nach Ein­treffen der ersten Flüchtlinge die partita doppia, die doppelte Buchführung, nochmals »erfunden«.

Die Flüchtlinge brachten die im Zwei-Strom-Land von Juden und Arabern entwickelten Instrumente »modernen« Geldtransfers (Schuldbriefe, Wechsel, Kreditbriefe) mit; die »banco rotta« – der »zer­brochene Tisch« – wird zuerst in Venedig für ­manche Kauf­leute eine unangenehme Sache. Auch – wichtig für die Geschichte der Kartoffel – die Wieder­geburt der Kartographie erfolgt in diesen Zeiten. Ex oriente lux – aus dem Osten kommt das Licht.

Das Wissen der Flüchtlinge war gewiß nicht gering, es glich jedoch »einer nach allen Seiten ab­gedunkelten Laterne, deren Strahlen sich in einem winzig kleinen Kreis verloren«. Denn die Papyrus­rollen aus der Bibliothek von Alexan­dria oder die handgeschriebenen Texte des Mittelalters waren Kostbarkeiten und nur wenigen bekannt und von diesen eifersüchtig gehütet. Erst der Buch­druck, die Vervielfältigung des geschriebenen Wortes, das »künstliche Schrei­ben«, machte die Ent­deckung Amerikas möglich. Linné: »Man kann nicht leug­nen, daß Amerika die größte Erfindung ist, die jemals ist gemacht worden«. Und der Schriftsteller Francisco López de Gómara schrieb in der »Historia general de las Indias y conquista de México«: »Das größte Ereignis seit der Erschaffung der Welt (mit Ausnahme der Menschwerdung und des Todes des Herrn) war die Entdeckung Amerikas.« Dagegen meinte ein venezianischer Bankier zu der Nachricht von der Ent­deckung Amerikas:
    »Ob auch viele nicht sehen wollen, was da kommt, so bedeutet doch diese Nachricht mehr als der ganze Türkenkrieg und ist die schlimmste, die man nach dem Verlust der Freiheit selbst hören kann.«     zur Startseite Erste Furche

Ame­rika ermöglichte die Reformation und damit die Umgestaltung des Welt­bildes.

Es kamen mit den Flüchtlingen neue Fertig­keiten in Gebrauch, die Kinder wurden über das Wissen des Orients unterrichtet, das sich in manchen Dingen von denen des inquisitorischen Euro­pas unter­schied. Später wurde diese Zeit fälsch­licherweise »Renaissance« (etwa 1400 bis etwa 1600) genannt, die – wie Dürer 1523 formulierte »itzigen Wieder­erwachsung« –, die Wieder­geburt (längst bekannter) Kenntnisse, obwohl doch dem Orpheus von den Göttern verboten wurde, zurückzublicken.

 Jeder Umbruch der Kultur fordert das Einverständnis der Beteiligten; die Identifikation mit den innova­tiven Kräften war Bedingung für die Realisie­rung der aus dem Osten drängenden Möglichkeiten. Dafür war der Nährboden in Europa vorhanden: Die Leute hatten einfach genug vom Trübsal des täglichen Lebens, von den ewigen Ver­sprechungen auf ein besseres Jenseits. Und das dokumentierte sich auch in der Ausgestaltung der täglichen Speisen. Gewürze wie Safran, Zimt, Muskat, Nelke und natürlich Pfeffer und Zucker erhöhten den Geschmack und das Ansehen des Hausherrn, wenn denn sein Koch damit umzugehen verstand. Herzhaft, kräftig, deutlich mußte man’s schmecken.

Italien, Spanien, Frankreich und Süddeutschland verwandeln sich durch jene Zuwanderer von einem tristen Flecken Erde in vor Lebenslust, Ener­gie­ und Optimismus überschäumende (multikulturelle) Gebiete. Ein jeder, der in dieser Zeit etwas auf sich hält, spricht Griechisch oder Latein und wer schreibt und druckt, tut es in einer Schrift, die später »Antiqua« genannt wird. Im 16. Jahrhundert wird das lange»s«, das runde »s« und die Ligatur »ß«, erfunden,und das Abendland wird gespalten, weil die Druckkunst den Streit der Theologen in die Städte und Dörfer trägt.

Stefan Zweig in »Magellan«:
    »Ein geistiges Fieber nach Wissen und Wissenschaft entsteht aus der plötzlichen Durchblutung des europäischen Organismus mit neuem Weltstoff, der Rhythmus beschleunigt sich. Entwicklungen, die in gemächlichem Übergang sich befanden, bekommen von diesem Fieber einen hitzigen Ablauf. Die vom Mittelalter ererbten Ordnungen schichten sich um, manche steigen, manche versinken; die Ritterschaft geht zugrunde, die Städte streben auf, der Bauernstand verarmt.«  

Die Zuwanderer verbreiteten Wissen. So erfuhr auch der abenteuer­lustige Sohn eines italienischen Woll­webers, Cristoforo Colombo, davon, daß es wegen der Kugel­form der Erde doch möglich sein müßte, »andersrum«, über den Ozean im Westen Europas, nach Indien zu kommen – nicht über das von »Heiden«, von Sunniten und Schiiten, besetzte Gebiet vor dem Schwarzen Meer oder im heutigen Libanon, sondern quasi von hinten, wo die Otto­manen den »Rumis«, den Ungläubigen, den Weg nicht sperrten. Doch, so der Kirchen­lehrer Lac­tan­tius:
    »Ist es möglich, daß Menschen so sinnlos sein können zu glauben, daß Saaten und Bäume auf der anderen Seite der Erde herabhängen und daß die Menschen ihre Füße höher haben als den Kopf?«

Das war wahrlich keine Einzelmeinung, denn die gesamte Natur­wissen­schaft fußte auf Aristoteles, der 335 vor Chr. eine (erste) systematische Zusammen­stellung aller Tierarten erstellte und das Wissen seiner Zeit zusammentrug. Etwa 400 Jahre später bringt Plinius der Ältere seine »Historia natu­ralis« heraus, »neben solidem zoologischem Wissen tauchen jetzt auch hübsche Meerjungfrauen auf, und geflügelte Pferde galoppieren über die Seiten.«

Ein Buch von John Mandeville, der dagegen behauptete, man »vermöchte ohne weiteres um die ganze Welt fahren« war Grundlage der Überlegungen von Kolumbus und wurde von ihm vor dem Rat von Salamanca als Bestätigung für die Durchführbarkeit einer westlichen Route nach Indien benutzt.

Kolumbus ging mit seinem jüngeren Bruder Barto­lomeo von Genua nach Madeira, ­machte ­einen hübschen Gewinn im Handel mit Zucker (im Auftrag der Familien Centruione und Di Negro) und zurück aufs Festland, nach Portugal, zu König Dom João II. (später der »Aller christlichste König« be­titelt – Papst Alexander VI. verlieh solche Titel an Fürsten, die ihm nützlich sein konnten: Der französische König Charles VIII. konnte sich zum Beispiel an »Fils aine de L’Eglise«, »Erstgeborener Sohn der Kirche«, erfreuen).

Die Forderungen dieses her­gelaufenen Colón (nomen est omen: Christoforus, Christusträger und Neu­besiedler, aber auch nahe an colomba symbolisch die weiße Taube, Friedens­bote, Ölzweigträger und Unschuldsengel – alles für alle, nur nicht für die Ureinwohner des neuen Kon­ti­nents) waren so aus­verschämt, daß das Königs­haus eine für Portugal bedauerliche Fehlentscheidung traf: Es lehnte seine Forderungen ab. Da kommt die saudade, die lusitanische Form des Weltschmerzes und die sehnsüchtige Erinnerung an die Vergangen­heit, aber auch der Fado her, der inzwischen zum Touristengaudi verkommen ist.   zur Startseite Erste Furche

João de Barros, Chronist am portugiesischen Königs­hof, meinte – sein Königshaus entschuldigend – über Kolumbus, er habe den Eindruck ­»eines geschwätzigen und prahlerischen Menschen« gemacht. Nun, Kolumbus vertraute auch weniger auf die Vernunft als auf Berechnungen von Kardinal Pierre d’Ailly, wonach »noch etwa 155 Jahre fehlen,­ bis die 7000 voll sind, nach denen das Weltende kommt«.

Kolumbus begriff ­seine Reise auch als Etappe auf den Weg ins endzeit­liche Paradies, ins (altiranische) »pairi-dae’za«, in die »Umwallung« oder (übersetzt) in den Lust­garten oder Wonnegarten, den Parks der persischen Könige und Adligen und einem »beschützten Garten«. Das Ziel: Der Garten Eden und frei von der Erbsünde mit immerwähren­der Gesundheit, Sorg­losigkeit und Glück. Ein kleiner Unterschied zur islamischen Heilsauffassung würde ihn als Christen erwarten: Statt jauchzende »houris« würden Harfenklang und Posaunenschall die himmlische Ruhe stören.

Seine Idee besessen verfolgend ging Kolumbus zum Königspaar von Aragón-Kastilien, zur schönen Isabel und Hernando, wo er sich fortan wieder Colombo, (nach herrschender Mode latinisiert Kolumbus) nannte. Vorsichtiger anti­cham­brierte er, vorsichtiger äußerte er seine Forderungen. Das hatte er inzwischen gelernt: Von Höflingen und Bitt­stellern wird Ehr­erbietung erwartet (und er­halten).

Salman Rushdie in »Osten, Westen«, Gerhard Prause in »Niemand hat Kolumbus ausgelacht« und Alejo Carpentier in »Die Harfe und der Schatten« beschreiben die Situation des Kolumbus am spanischen Königshof: Er soll ein eitler, larmoyanter und devoter Buhler gewesen sein, der hinter den Gutachtern des Königshofes scharwenzelte. Dreist soll er gewesen sein, die höfische Courtoisie nur mangelhaft beherrschend, brüsk gegen den Königshof, alle vor den Kopf stoßend.

Fast sieben Jahre betrieb Kolumbus in der Obhut der Mönche des Franziskanerklosters Santa María de la Rábida seine Bittstellerei; der Prior, Antonio de Marchena, wird sein Freund und vermittelte Kontakte an den Königshof. In diesem Kloster gab es auch – wie in anderen Mönchsstätten – noch Landkarten der Araber.

Noch lehrte die Heilige Kirche (offiziell), die Land­masse von Europa Asien und Nordafrika – die »Erde« – wäre eine von Ozeanen umgebene ­Scheibe. Noch konnte es gefährlich sein, eine diesbezüglich andere Meinung kundzutun. Im Mittelalter interessierten sich die Menschen im übrigen wenig­ für die wahre Gestalt der Erde; die Kirche paßte die Gestalt der Erde ihren eigenen mystischen Vorstellungen an, und die frühen Kartographen faßten ihre Auftragswerke eher künstlerisch auf. Das Weltbild blieb auch unerschüttert von den glaubwürdigen Berichten von Ordensbrüdern, die diese von ihren weiten Missionsreisen zurückbrachten. Statt der Lehren von Aristoteles (384–um 322 v. Chr.) und Claudius Ptole­mäus (um 140 v. Chr) herrscht die christliche Topographie, wie sie auf den Weltkarten des byzantinischen Mönchs Kosmas Indicopleutus aus dem sechsten Jahrhundert – mit Jerusalem, dem jüdischen Yerushalayim, dem arabischen al-Quds (wo Mohammed in den Himmel auffuhr), als Mittelpunkt der Welt – überliefert war.

Die Kartographen jener Zeit zeichneten an die Stelle der unbekannten Welt lieber riesige Un­geheuer, denn »jenseits dieser Stelle werden ­Drachen sein«, werden Behemoths und Levia­thane lauern. Aber es war auch eine Zeit, in der Vieles neu oder wieder kam, und Überkommenes in Frage gestellt wurde und werden durfte. Einen der stärksten Einflüsse auf ein neues Weltbild hatte der Kompaß, die Kenntnis von Wind­richtungen und Meeres­strömungen.

 In dieser Zeit forderte Kolumbus Schiffe für die Fahrt nach Indien, da wo der Pfeffer wächst, für die Wiederentdeckung von Zipa(n)gu (Japan) und Catheis (China). Oder zumindest bis nach Äthio­pien, wo das Gold der Kandake zu erwarten war. Oder nach Punt, in das »Land des Dufts«, um Weihrauch zu holen und die Kirchen mit seinem Geruch zu erfüllen. Oder nach Ägypten – zurück zu den Fleisch­töpfen: Die alten Ägypter nannten Gold das »Fleisch der Götter« – und das ist es heute noch in diesen gottlosen Zeiten. Man glaubte: Im christlichen Äthiopien war das Reich des »Presbytero Joanniimperatori Athio­pum«, der an der »Quelle des Goldes« saß. Aber vielleicht liegt nur eine Verwechslung vor, denn schon bei den Römern wurden »Inder« und »Äthiopier« synonym benutzt.

Andererseits nahm Ende des 17. und An­fang des 18. Jahrhunderts das Inter­esse der gebildeten Stände an Äthiopien zu: Es er­schienen zum Beispiel mehrere dickleibige Folianten über die koptische Sprache und Chronologie und über die ­antike Geographie dieses ost­afrikani­schen Ge­bietes (viel­leicht war das dort vermutete Erbe Salo­mos (972–932 v. Chr.)und das »Brot« der Königin von Saba ein Grund für die italienische Invasionsarmee von 1935: Abessinien als un­erschöpfliche Schatzkammer des Duces). Denn schon König Salo­mo soll dort, in Punt, seine Schätze­ gehäufelt haben. Auch das, was Marco Polo über seine Reise ins »Reich der Mitte« (oder wo immer er war, bevor er im Gefängnis in Genua landete) und den Palast des Groß-Khans berichtete, war dazu an­getan, Begierden zu wecken:
    »Zwei Finger dick ist die Goldschicht in jedem Zimmer. Die Decken, Wände, Fensterrahmen, kurz: Alles ist mit Gold überzogen.«

»Östlich von China«, so schrieb der Venezianer, läge »eine sehr große Insel«, auf der »die Goldvorkommen unbeschreiblich reich sind« und man »unendlich viele Perlen findet ... rot, groß und schön rund.« Das lockte, das weckte die Begierden. Über das arabisch-islamisch besetzte Nord-Afrika konnte man die er­warteten Goldschätze nicht nach Rom transportieren (»Niemand wage nach Syrien und Ägyp­ten zu reisen« wird aus Rom und Konstantin­opel gedroht),

 Die Umschif­fung Afrikas, die Kaproute, war andererseits durch den Vertrag von Alca­covas seit 1479 den Portugiesen vorbehalten; die Spanier mußten einen an­de­ren Weg finden, woll­ten Königshaus und Hidalgos (frei übersetzt: ein Her­gelau­fe­ner) nicht »ver­armen«; die Vertreibung von »Mauren« und der 120.000 bis 150.000 Juden aus Spa­­nien war zwar im Sinne der Kirche erfolgreich, wirtschaftlich war es ein Desaster.  zur Startseite Erste Furche

Die Dürre im Spanien des 15. Jahrhunderts und die deshalb notwendigen »Wassertribunale« ­waren weitere Anlässe für die Umwälzungen, die in dieser Zeit geschehen.

 Wir wissen: Irgendwann hatte Kolumbus mit seiner Bittstellerei Erfolg und bekam in einem Vertrag mit Kastilien vom 17. April 1492 alle seine Ansprüche gewährt. Portugal hatte ihn abgelehnt, Englands Henry VII. (1457–1509) hörte ihn bzw. seinen Bruder Bartolomeo nicht an, der Franzosenkönig lehnte ab. Der Gewinner, Kastilien, bekam Alles.

Als Kolumbus 1506 nach seiner vierten Reise starb, war er noch immer der Auffassung, einen neuen Seeweg nach Indien gefunden zu haben. Selbst die Benutzung der Seeroute nach dem wahren Indien (um Afrika herum) durch den Portugiesen Vasco da Gama mit dickbäuchigen Schif­fen und dessen nach­weisliche Landung in Calikut. (Kalkutta, wenige Jahren wieder Calikut und jetzt Kol­kata), erschütterte ihn nicht in seinem Glauben. Nun, er fuhr in einer geraden Linie über das große Wasser, immer den Breitengrad der Kanarischen Inseln entlang, und mit seiner Methode hätte es auch klappen können, nach Indien zu kommen, wenn bloß nicht Amerika dazwischen gekommen wäre.

Ein un­belehrbarer Kerl. Es geschieht ihm recht, wenn der vom ihm wiederentdeckte Erdteil nach einem Herings­händler aus Sevilla, nach Amerigo Vespucci (1451–1512), der es »nur« zum »piloto mayor« brachte,­ getauft wurde.

Eine Schlußbemerkung zu diesem Kapitel: Kolumbus wurde beerdigt in Valladolid (der damaligen Residenz der spanischen Könige), 1513 ­umgebettet in die Krypta der Klosterkapelle Santa María de las Cuevas bei Sevilla und 1540, seinem Wunsch entsprechend, in der Kathedrale von Santo Domingo auf der Isla Hispaniola, dem heutigen Haiti, bei­gesetzt. Francis Drake (um 1540–1596), der dem Kolumbus so viel zu verdanken hatte (ohne Kolumbus keine Piraterie und kein Entern spanischer Gold­schiffe und keine Erhebung in den Adels­stand), zer­störte dieses Grab 1586 bei der Plünderung des Zentrums der spanischen Kolonial­verwaltung in der Neuen Welt. 1697 wird der angebliche Sarg Kolumbus’ nach Ha­vanna (damals Puerto de Care­nas) überführt, aber es liegt wohl nur der Enkel Luis darinnen.

Denis Diderot (1713–1782) und Guillaume Ray­nal in der »Geschichte beider Indien«:

»Das war das Ende dieses seltenen Mannes, der Europa in Erstaunen dadurch gesetzt ­hatte, daß er einen vierten Teil der Welt oder vielmehr eine Hälfte zu diesem so lange ver­heerten und so wenig bekannten Erdball hinzu­fügte. Die allgemeine Erkenntlichkeit hätte dieser neuen Halbkugel den Namen des kühnen Schiffers geben sollen, der zuerst hin­gelangt.«



Anmerkungen

 

1 1347 erreicht die Pest, das »große Sterben«, die »mortalega grande«, von Caffa (ein genuesischer Außenhandelsposten, heute Feodosija) an der Südküste der Krim kommend, Messina auf Sizilien und Südfrankreich, 1348 Venedig, Mailand, Bordeaux, Toulouse. Lyon, Saragossa, Calais und Bristol. 1349 Schottland. Dänemark und Norwegen.

 Der Pestbazillus Pasteurella pestis wurde erst 1894 gleich­zeitig von dem Schweizer Tropenarzt Yersin und dem japanischen Bakteriologen Kitasako entdeckt. Der Haus­ratten­floh Xenopsylla cheopsis (in dem der Pestbazillus Yersinia pestis reist)bespringt nach dem Tod seiner Ratte am liebsten eine andere; erst wenn er keine findet, sucht er beim Menschen Unterschlupf und wurde (besonders unter den hygienischen Ver­hältnissen des Mittelalters) bzw. wird dann auch von Menschenflöhen weitergetragen.

 In Zedlers Lexikon von 1741 steht unter dem Stichwort »Pest«: »Ob gottlose Leute durch böse Künste die Luft anstecken können, ist eine Sache, welche so gar unmöglich nicht erscheint.«

 Als 1645 in Edinburgh die Pest ausbrach, wurde der vermeintliche Herd des Schwarzen Todes in der Mary Kings Close entdeckt; die Stadtväter mauerten die Gasse an beiden Enden zu – einschließlich der darin lebenden Menschen. Gordon McCulloch: »Das wurde in jenen Zeiten so gemacht.«   zur Startseite Erste Furche

 Man nimmt an, daß erst auf den kaltfeuchten Böden der »kleinen Eiszeit« die Pest – der»schwarze Tod« – gedeihen konnte. Es ist bis heute rätselhaft, unter welchen Umständen die Pest von Europa Besitz ergriff. Unter den Arabern erreichte die angeblich aus ­China kommende Pest nicht jene furchtbaren Ausmaße, die unter den europäischen Christen zu beobachten war; das mag neben den klima­tischen Verhältnissen auch mit der größeren Hygiene der Araber zu tun haben. Anderer­seits akzeptierte man die Pest als Allahs Wille und versuchte nicht, ihr zu entfliehen oder sie mit meist wirkungslosen Heilmitteln zu bekämpfen. Wer an der Pest starb, kam direkt ins Paradies. Die Christen meinten, der Blick eines Kranken verbreite die Pest, weshalb Ärzte und Priester den Patienten auf­forderten, die Augen zu schließen.

 Zeitgenossen machten die Konstellation der Gestirne, Kometen, die all­gemeine Sündhaftigkeit, die Unkeuschheit der Priester und, natür­lich, die Juden verantwortlich, die zu An­fang ­wegen ihrer größeren Hygiene und besserer ­Ärzte von dem »großen Sterben« verschont worden ­waren. Ärzte und Theologen waren der Ansicht, daß man die Seuche bekämpfen müsse, obwohl ihr Ursprung zweifelsfrei in Gottes Willen zu suchen sei –, aber einmal auf Erden entlassen, folge die Pest den Gesetzen der Natur.

 1. Samuel, Vers 5: »Aber die Hand des Herrn lag schwer auf den Leuten von Asdod, und er brachte Verderben über sie und schlug sie mit bösen Beulen, Asdod und sein Gebiet.« Einen guten Einstieg in die Ratten- und Pest-Problematik bietet Heide Platen: »Das Rattenbuch«.

 Ratten übertragen etwa dreißig Krankheiten; dazu gehören Typhus, Trichinose, Leptospirose, Buschfleckfieber, Tollwut, Mäusetyphus, Lassafieber, Tularämie und Salmonellen. Und sie bringen die Beulenpest durch den Floh, der sich im Fell von Hausratten festsetzt und den Wirt wechselt. Wenn also in einer Phase geringerer Hygiene die Rattenpopulation anwächst und dann irgendwann das »große Saubermachen« beginnt, besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr, daß der Rattenfloh den Wirt wechselt. Man ver­mutet, daß die Pest ursprünglich bei Murmeltieren endemisch war.

 Eine Mutation eines Gens auf dem Chromosom 3 kann die Ursache dafür sein, daß manche Menschen von der Pest verschont wurden. Vor etwa 28 Generationen (d.h. im 14. Jahr­hundert) stieg die Häufigkeit dieser Mutation in der europäischen Bevölkerung sprung­haft an; es ist denkbar, daß diese Mutation auch vor dem HI-Virus schützt. Die Mutation zeigt – wie Stephen J. O’Brien vom »National Cancer Institute« im US-amerikanischen Frederick herausfand – ein deutliches Nord-Süd-Gefälle­ (von 14 Prozent in Schweden über 10,8 Prozent in Deutschland auf 4,4 Prozent in Ita­lien). zurück

 

2 Die »Tatarei« ist wie »Abendland« kein präziser geo­graphischer Begriff; zeitweise umfaßte der Name alle Länder außerhalb der »Großen Mauer« vom Kaspischen Meer bis Korea. Die Tataren kamen direkt aus dem Tartaros, der Hölle. Legenden besagten, daß Alexander der Große die »apokalyptischen« Völker hinter den fernen Bergen ein­geschlossen hatte, damit sie sich erst zum Ende der Zeiten würden befreien können. zurück

 

3 Angeblich bedeutet Bagdad »Garten des (christlichen Einsiedlers) Dad«, dessen Zelle ursprünglich die einzige Behausung auf diesem Platz war. Hier residierte Harun (Aaron) al Raschid (der Gerechte), der bekanntlich verkleidet durch die Straßen seiner Residenzstadt schlich, um zu hören, was denn das Volk denke (heute würde die allgegenwärtigen Personenschützer verhindern, daß man eine Currywurst unerkannt essen könnte). Er war Bundesgenosse von Karl dem Großen und ein großer Kriegsherr, der seinen Gegnern versuchte klarzumachen, daß ein Jahr Tributzahlungen weniger koste als ein Monat Plünderung.  zurück

 

4 Die phönizische Königstochter Europa, die der griechische Göttervater Zeus in Gestalt eines Stiers mit eindeutigen Absichten an den Strand von Kreta entführte – crime and sex –, soll Namenspatronin dieses Erdteils sein. Jedenfalls ist diese Interpretation romantischer als die mögliche andere Herkunft der Bezeichnung: Eine Ableitung von dem semitischen »ereb«, was so viel wie düster und finster bedeutet (und für die Menschen am Mittelmeer ist Europa nördlich der Alpen wahrlich düster und finster und sowieso nur von barbarischen Völkern bewohnt – damals). Erstaunlich, daß die Frauenbewegung die humanistisch gedeutete Version noch nicht zu einem Geschlechterk(r)ampf gemacht hat.

 Die Bezeichnung »Barbar« machte im Laufe der rund 1500 Jahre »Antike« etliche Bedeutungswandel durch. Zur Zeit Homers waren die Barbaren jene Völker, die kein Griechisch sprechen konnten und deren Grammatik mangelhaft gewesen sein soll. Erst etwa ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. (Herodot, 485–425 v. Chr.) wird mit dem Begriff ein kultureller Überlegenheitsanspruch der Griechen verbunden, der sogar die Römer einschloß. Immer dann, wenn benachbarte Völker den Eindruck erweckten, es sei mit ihnen kulturell und zivilisatorisch auf einer Stufe oder doch nahe – Kleidung, Waffen, Rechtsordnung, Staatsbildung – wandten die Griechen diesen Begriff auf sie an und schufen so ein (ihr) Feindbild. »Barbaren« waren also gerade nicht Völker, die von menschenfressenden Monstern beherrscht wurden. Die Römer verwendeten die Bezeichnung »Barbar« für alle Völker jenseits ihrer Reichsgrenzen. Später wurden nur die »Berber« in Nordafrika als Barbaren bezeichnet, die wie Edward Gibbons (1737–1794) meint, mit Recht an der Küste der Barbaren leben. Da könnte man direkt auf die Idee kommen (wegen Libyen), von der »Achse der Barbaren« zu sprechen, zumal auch die Germanen im alten Europa schon so bezeichnet wurden. zurück

 

5 Griechische Flüchtlinge, die auf den Weg vom Heiligen Land nach Westen von den Türken gefangen wurden, sagten, sie wollten »eis ten polin«, »in die Stadt«, und meinten damit Konstantinopel, und deshalb benennt der Sultan Mehmed die von ihm eroberte Hauptstadt des byzanti­nischen Reiches dementsprechend: Istanbul. Es war bereits die zweite Fluchtwelle, denn schon 1204 stürmten christliche Raubritter die Stadt und zer­schlugen das byzantinische Kaiserreich und »raubten, was sie vorfanden und bedrängten die Besitzer, ihnen versteckte Wert­sachen anzugeben, indem sie einige schlugen, vielen auch schöntaten, alle aber bedrohten.«   zur Startseite Erste Furche

 An der Eroberung der Stadt mit rund 40.000 Einwohnern 1453 nahmen auf Seiten der »Türken« (insgesamt 80.000 Mann) auch sog. Baschi-Bazuks teil, Söldner – zum Teil Christen – aus aller Herren Länder der Um­gebung und Europas. 15.000 griechische, venezianische, genuesische, katalanische und türkische Soldaten (darunter sogar ein Onkel des Sultans, Orhan Beg) sollten die Stadt verteidigen. Der Waffenmeisters des Sultans war der Ungar Urban, der seine Dienste vorher dem christlichen Kaiser angeboten hatte, aber dieser konnte ihn nicht bezahlen. So baute Urban die »Mutter aller Kanonen«, ein Ungetüm mit einem 40 Spannen (8,13 Meter) langen Kanonenrohr und einer Dicke von 20,3 Zentimetern; der Umfang betrug hinten 81 Zentimeter (wo das Schwarzpulver eingeführt wurde) und vorn (wo die Kugeln eingelegt wurden), 2,50 Meter. Die Kugeln wogen 600 Kilogramm, flogen 1500 Meter weit und sprangen beim Aufprall wie Streubomben in tausend Stücke. Nur siebenmal am Tag konnte die Kanone abgefeuert werden.

 Die Niederlage der Christen in Konstantinopel führt, man ist ja schließlich Geschäftsmann, zu der Entsendung eines Botschafters aus Venedig, der dem Sultan 1200 Dukaten überbringt; die byzantinischen Besitztümer in Venedig werden konfisziert, um ausstehende Schulden zu begleichen. Im Todesjahr von Mehmed, 1481, hat sich die Bevölkerungsanzahl der Stadt vervierfacht – sie ist jetzt eine multikulturelle Metropole mit Menschen aller Religionen und aus allen Teilen des osmanischen Reiches: Eine orientalische Stadt im Abendland, eine abendländische Stadt im Orient.

 Es ist falsch, wenn der gleichfalls erschlagene byzantinische Kaiser Konstantin XI. Palaiologos als der letzte oströmische Kaiser bezeichnet wird, denn Sultan Mehmet nannte sich auch »Kayser-i Rum« – Kaiser von Rom. Sultan Mehmet II. übernahm als Zwölfjähriger die Regierungs­geschäfte von seinem Vater Murad II., der zu seinen Gunsten abdankte, muß aber zwischendurch in die Verbannung gehen, um dann mit dem Tod Murads 1451 endgültig die Macht zu erhalten. Das Osmanische Reich war eine Großmacht, die im Nordwesten über den halben Balkan und im Nordosten bis auf die Krim reicht. Da störte das christliche Konstantinopel. Seine Hauptstadt war in Adrianopel (Edirne) – auf dem europäischem Kontinent.

 Nationalistische Türken sprechen von der »Eroberung« der Stadt, uns Abendländer ist »Fall« sympathischer; der »Zusammenbruch« des Deutsches Reiches 1945 ist ja auch schöner als »Niederlage« und »bedingungslose Kapitulation«. zurück

 

6 »Pemmikan« – so stand‘s in der FAZ – »ist das Glaubensbekenntnis der Polarfahrer. Kon­zen­trierter kann ein Lebens­mittel kaum sein: Zu gleichen Teilen werden ge­riebe­nes mageres Fleisch und ausgelassener Speck miteinander vermengt, dazu kommen Rosinen, Zucker und Salz, Suppengemüse und Obst, Weizenkeimkleie, Leinsamen und Soja, durchaus auch Flomen und Pastinaken, wenn sie zur Hand sind. Das macht den Pemmikan zu einer Nahrung, die so warm hält wie eine Daunenjacke«. zurück

 

7 Die Medizin der Araber war auch deshalb weitergehender als die der Lateiner (Westeuropa ) und der Römer (Byzanz), weil sie wegen ihrer ständigen Kriegszüge zwischen den verschiedenen Richtungen des Islams bzw. gegen die Christen der Heilkraft der Arzneikunde und den Wundarzneien mehr Aufmerksamkeit widmen mußten. zurück

 

8 Das Paradies, der muslimische »Dschana« (Garten) ist in den heiligen Schriften des Islams (wie zum Beispiel in der Auslegungsschrift »Hadith«) als Ort irdischer Freuden beschrieben. Die Flüssen spenden Wasser, Milch und Honig; selbst Wein – im Diesseits verboten – wird den Seligen in güldenen Krügen gereicht. Kostbare Gewänder kleiden die Gläubigen, sie ruhen auf golddurchwirkten mit Brokat gefütterten Liegestätten. Und – wie schon geschrieben – die wunderbaren Paradiesmädels warten im ewigen Leben: »Wann immer ihr Gatte sich ihnen nähert, findet er sie jungfräulich vor«. Für Frauen ist das alles (umgekehrt) im Islam nicht vorgesehen, für diese bleibt wohl die dienende wäschewaschende Rolle.

 Doch gemach: Christoph Luxenberg, ein Pseudonym, übersetzt (un­zulässigerweise, denn der Koran gilt als das un­geschaffene, direkte Wort des arabisch sprechenden Gottes) in den Suren 44 und 52 erwähnten Paradiesjungfrauen anders. Danach wurde aus dem Adjektiv »hur«, das syro-aramäisch »weiße Wein­trauben« bezeichnet, sogenannte »huris« oder Paradies­jungfrauen, aus dem metaphorisch gemeinten syro-aramäischen Wort »in« (wörtlich: Augen, übertragen: perlengleich) wurden »Großäugige«. Aus »Erstlingsfrüchten«, auf denen die Seligen »behaglich« liegen, wurden »(ewige) Jungfrauen«. Abraham a Santa Clara, Wiener Hofprediger, unter dem Eindruck der Bedrängnis durch die Türken (1683): Der Koran sei voll von »phantastische Gedicht und grundloser Lugen-Zeug«, eine »gemischte Speiss«, durch den »der Pöbel verblendet« sei.

 An anderer Stelle, so übersetzt Luxenberg, stehe im Koran, daß die Märtyrer mit ihren irdischen Frauen zusammengeführt werden, um mit ihnen »im Schatten auf Teppichen« zu lagern. Was sollten da die »huris«? Ein solcher Ort kann wohl nicht als »Paradies« bezeichnet werden, sondern nur als Ort des sexuellen Stresses für Mann, Frau und Gespielinnen.   zur Startseite Erste Furche

 Das »Damen-Conversations-Lexikon« – ja, so etwas gab es 1835 – beschreibt die Araberinnen: »Schön wie die Engel des Paradieses sind sie poetisch, voll der tiefsten Empfindung, voll des edelsten Stolzes und doch kindlich naiv, tändelnd mit der anmuthigen Gazelle, mit dem Spiegel, unschuldig und rein, die Liebe und ihre süße Gewalt kaum ahnend, bis sie in ihnen aufblüht in aller Seligkeit und mit aller Gluth, welche das Land der Palmenhaine und des ewig heiteren Himmels erweckt.« Wenn dem so ist, wird es schwerlich erklärbar, warum man nicht hienieden das Paradies sucht, sondern sich erst in Ramallah in die Luft sprengen muß, um als »Märtyrer« zu sterben? zurück

 

9 Die Wiedergeburt, die »rinascità«, meinte zunächst nur den Umstand, daß man wieder eine so gute Kunst wie in der Antike besaß; der Kunststil hieß zunächst »maniera« und erst nach 1820 wurde­ der Stilbegriff in der französischen Form »Renaissance« genannt. Und in Deutschland sprach man in der Baukunst zuerst von der »welschen Mode«. Man behauptet, die Renaissance wurde von Künstlern begonnen, die aus Konstantinopel geflohen waren. zurück

 En passant: Um 1820 wurde­ auch erst­mals vom romanischen Baustil als »Romanik« gesprochen. Seit der Mitte des 18. Jahr­hunderts wurde die Welt noch unübersichtlicher, und deshalb kam die große Katalo­gisierung aller Dinge. Und noch eine Bemerkung: Die Renaissance hatte ihre ­Ursache insbesondere im wirtschaftlichen Umbruch jener Zeit, so wie auch andere Stil­richtun­gen zum Durchbruch kommen, weil die wirtschaftlichen Bedingungen sich deutlich ändern. Der Münster-Bau zu Ulm wurde eingestellt, da die im Amerika-Geschäft groß beteiligten Augsburger Fugger und Welser die Stadt an der Donau relativ verarmen ließen und auch die Kölner Dombaumeister mußten eine Pause einlegen, da der Amerika-Handel an ihnen nicht vorbei ging.

 DieRenaissancegärten dokumentierten mit ihren zu geometrischen Formen zurecht­geschnittenen Stauden und Bäumen, mit den gestutzten Hecken und den sorgsam arrangier­ten Blumenbeeten in einheitlichen Formen und Mustern deutlich, daß der Mensch – wie schon in der Bibel (1. Mose, Kapitel 1, Vers 26) geschrieben – die Erde sich untertan gemacht hatte (Flaubert: »Die Grundlage des Christentums ist der Erdapfel.«).

 In der Renaissance wurde die Begegnung mit wirklichen Menschen des Schwarzen Erdteils auch in der Kunst ver­arbeitet. Der Reformator Bullinger trank aus einem Glas, das einen Mohrenkopf zum Stiel hatte und die Damen trugen Schmuckanhänger mit Mohrenkameen; fürstliche Sammler fügten ihren Kunstkammern (damals entstanden die ersten, noch privaten, Museen) gern Erotica in Gestalt einer »Negervenus« hinzu. Heutzutage entspricht es nicht der »correctness«, »Negerköpfe« als solche zu bezeichnen: »Dickmann« heißen die geliebten mit Kakao überzogenen Schaumdinger.

 Auch heute wird dokumentiert, daß die Erde dem Men­schen untertan ist: Mit schnurgeraden Auto­bahnen,­­ mit begradigten Flüssen, mit den Reihenpflanzun­gen an Straßen, mit der Nivellierung von kleinen Boden­erhebun­gen für den Straßenbau. Die Topographie hat sich nach den vorgeblichen Bedürfnissen des aut­o­­mo­bilisier­ten Bürgers zu richten, die Bäume mußten weichen, weil der ADAC es ­wollte.

 

10 Die Kultur des Safrans ist so alt, daß heutzutage nur sicher­ ist, daß er aus mediterra­nen Gegenden kommen muß. Drei dünne Fäden gewinnt man aus jeder Blüte des Crocus sativus – daher der hohe Preis für dieses Gewürz. zurück

 

11 Weil es immer wieder falsch gemacht wird (und Computer­schriften fast immer nur eine Form kennen): Das lange »s« steht immer nur am Anfang eines Wortes oder einer Silbe (und bei »schn« »sp« und »st«), das ­runde » s« steht immer nur am Ende ­eines Wortes oder einer Silbe: »Fest­spiel­haus­friseursmaus«! Im deutschen »Neuschreib« kann man im übrigen sowieso schreiben wie einem die Tinte aus der Feder fließt, denn es ist kein Gesetz. Man muß nur die sog. Rechtschreibprüfung [F7] ausschalten. zurück

 

12 Der Seemanns-Gang: Torkelnd von rechts nach links, weil die Erde doch rund ist. zurück

 

13 Deshalb liegen noch heute die »west-indischen« Inseln in der Karibik. Hegel meinte, der Drang nach Indien sei »ein wesentliches Moment der ganzen Geschichte. Seit den ältesten­ Zeiten haben alle Völker ihre Wünsche und Ge­lüste dahin gerichtet, einen Zugang zu den Schätzen dieses Wunderlandes zu finden.« zurück

 

14 Das »Ei des Kolumbus« wurde erstmals von dem Italiener Girolamo Benzoni 1565 in seiner »Historia del mondi nuo­vo« (bei einem Bankett des Kardinals Mendoza 1493 wurde ein Ei an der Spitze angeknickt und blieb somit ­stehen) erwähnt und 1672 erstmals im deutschen Sprachraum verwendet.       zur Startseite Erste Furche

 »Die Welt ... geht an solchen Binsenwahr­heiten manchmal wie blind vorbei und ist auf das ­höchste erstaunt, wenn plötzlich jemand entdeckt, was doch alle wissen müßten. Es liegen die Eier des Kolumbus zu Hunderttausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben seltener zu treffen.« Von den »Eiern der Kolumbusse«· schrieb Hitler (Fedor Stepun ­meinte noch 1932: ein »ganz gewöhnliches Friseurgesicht«) im Kapitel »Volk und Rassen« von »Mein Kampf«. zurück

 

15 Das Buch von Mandeville war eine geschickte Zu­sammenfassung antiker und zeit­genössischer Quellen; es war eines der größten Bucherfolge des 14. und 15. Jahrhun­derts, denn nirgends sonst wurden seltsame Ländern und wunderliche Völkern so farbig geschildert. zurück

 

16 Vielleicht hatte Papst Alexander dabei an einen anderen erstgeborenen Sohn gedacht, an den Sohn Isaaks, Esau, der sein Erstgeborenenrecht an seinen Bruder Jakob verlor. zurück

 

17 1479 heiratet Kolumbus’ Felipa Moniz Perestrello, deren Vater die atlantischen Inseln kolonisiert hatte. Kolumbus wird durch diese Heirat Mitglied des portugiesischen Adels und erhält Zugang zum Königshof. Und: Er erhält von der Witwe des verstorbenen Schwiegervaters Seekarten und Dokumenten von dessen Atlantikreisen. zurück

 

18 Adel definierte sich nicht nur durch Herkommen, sondern auch durch Rituale, die der Sohn eines Wollwebers nie gelernt hatte. Nach den sprachlichen Regelungen des Mittelalters definierte sich Adel nach Abstammung von ­einem alten Geschlecht, Herrschaft über das Handeln anderer, materieller Reichtum (zumindest so tun, als hätte man) sowie Ehre als Grundlage der Standeskultur. Und ordentlich gekleidet mußte man sein: In Holland würde man ­sagen mit jasje en dasje.

 Noch zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im deutsch-preußischem Heer Rituale gepflegt, die wohl schon damals außerhalb des Adels als »topinam­bous« anmuteten. In reinen Adelsregimentern tanzten die Offiziere miteinander – die »Damen« durch ein Armband gekennzeichnet. Der Chef des Militärkabinetts brachte seinem Kaiser gar eine Balletteinlage im Tutu dar.

In einem aristokratischen Erziehungsbuches des 16. Jahrhunderts steht: »Zeigt ein großer Herr sein Glied in Gegenwart eines Menschen geringeren Standes, dann beweist er nicht Hoffart, sondern Liebe und Freundlichkeit.« So ist das also. Dagegen war der Tritt auf dem Fuß ein Zeichen der Besitzergreifung. Wie und woher sollte Kolumbus wissen, welche »Maja« am spanischen Königshof wem gerade ihre Huld und Gunst gewährte und den Pantoffel schwang? zurück

 

19 DerUmfang der Erde und damit die Strecke zu den westlichen Gewürzinseln war von Eratosthenes (276–195 v.Chr.) mit 39.690 km trotz eines Rechenfehlers ziemlich nahe der Wahrheit errechnet worden. Der griechische Astronom Poseidonios (135 bis 51 v.Chr.) errechnete rund 30.000 km, also ein Viertel kleiner. Die Angaben von Poseido­nios wurden dann – ohne nähere Prüfung von Claudius Ptole­mäus (87 bis 150 n.Chr.) übernommen. Für die»Ökumene«,­ d.h. für die bewohnte Welt, griff Ptolemäus auf Hipparch aus Nicäa (180–125 v.Chr.) zurück. Ptolemäus behandelte den um Asien, Europa und (Nord-)Afrika herumliegenden Welt-Ozean so, als ob er tatsächlich existierte, wie jede andere normale Wasserstraße und als einen weiteren Seeweg zur Erleichterung des Handels.

 Seit Aurelius Augustinus (354–430) glaubte man, auf der Rückseite der von Menschen bewohnten Scheibe wäre Wasser. Oder mit den Römern glaubte man, daß es auf der Rückseite Antipoden gäbe. Diese Gegenfüßler lebten nicht nur auf der falschen Seite der Erde, sondern waren auch wirklich anders: Die Füße zum Beispiel waren nach hinten gedreht. Aber, schrieb ein portugiesischer Kapitän in jener Entdeckungszeit: »Mit allem gebotenen Respekt vor dem berühmten Ptolemäus, wir fanden bei allen das Gegenteil dessen, was er geschrieben hat.« Bereits Krates aus Mollos hatte etwa 150 v.Chr. angenommen, daß die Erde eine Kugel sei, da die Erde als Schöpfungswerk der Götter von voll­kom­mener, also von runder Gestalt sein müsse (nota bene: Rubens Kartoffel-Figuren).

 Der Araber Abu r-Raihan Muhammad ibn Ahmad al-Biruni (973–1048) schreibt von einem Streitgespräch zwischen ­einem christlichen Philosophen und einem muslimischen Theologen, in dem der Theologe darauf hinweist, daß die Kugelgestalt der Erde auch deshalb unmöglich sei, weil das flüssige Wasser bekanntlich immer nur die Form eines umgebenden festen Körpers annehme; das Wasser müsse also von der Erde herabtropfen, falls diese kugelförmig sei.    zur Startseite Erste Furche

 Damalige Mathematiker stellten fest, daß ein Stein, der vom Sternenhimmel fällt und in jeder Stunde 100 Meilen durchquert, mindestens 65 Jahre benötigen würde, um die Erde zu erreichen (weil es sich um 170 Millionen 803 Meilen handele). Archimedes ­(287–212 v. Chr.) meinte, alle Meeresober­fläche sei eben.

  Kolumbus stützte sich, auch weil’s ihm paßte, auf die An­gaben von Behaim (etwa 1459–1507), der bei seinem Erd­apfel wiederum auf Poseidonios und Be­obachtungen bei eigenen Entdeckungs­fahrten an den Küsten Afrikas zurückgriff. Behaims Globus war nicht nur wichtig wegen des Gezeigten, sondern auch wegen des Nichtgezeigten – ­Amerika. Bis zu diesem Zeitpunkt (und auch noch danach) lieferten die Kartographen keine präzisen Details über Größe von Ländern und Inseln und Entfernungen, sondern Bilder zur weltlichen und geistigen Erbauung des Betrachters. Die um die »Landkarte« herum drapierten Szenen vom biblischen Leben und zum Lobpreis Gottes waren das Entscheidende.

 Es wird an­genom­men, daß der Behaimsche Globus jene geographische Kenntnisse darstellte, die den Grund­stein für die Indienfahrt von Kolumbus lieferten. In dieser Zeit forderte Kolumbus Schiffe für die Fahrt nach Indien, da wo der Pfeffer wächst und die Bewohner sich mittels ihrer riesiger Füße selbst vor der subtropischen Sonnenglut beschirmten.

 Oh, hätte Kolumbus doch ge­fordert, die Suche nach Vineta zu finanzieren, die Stadt der Händler, der Weltmeerfahrer, in der goldene Dächer die Häuser krönten, Kinder mit Silber­lingen auf der Straße spielten, die Stadttore aus Erz waren (üblich war in Deutschland Holz) und Diamanten überall herumlagen – das hätte nicht gegen Jerusalem als Mittelpunkt der Welt verstoßen und trotzdem Reichtum gebracht.

 Zur Wende des 15. Jahrhun­derts ent­standen­ jedes Jahr neue Erd­karten, da auf den Ent­deckungs­schiffen auch Karten­zeichner mitfuhren, wie z. B. Juan de la Cosa, der Kolumbus auf seiner zweiten Reise begleitete. Nürnberg war schon lange vorher das euro­päische­ Zentrum der Karten­kunst (da mußten alle vorbei, die ins Heilige Land wollten: Richard Löwen­herz hätte den Rhein-Main-Donau-Kanal ge­nommen, denn nur Kreuzfahrer­ freuen­ sich ob dieses Bauwerks) und jeder Reisende berichtete über die von ihm gesehenen Landschaften – nicht immer wahrheitsgetreu und die Gefahren stets übertreibend.

 In den vierzehn Jahren von 1486 bis 1500 ist mehr von den Europäern entdeckt worden als in den vierzehn Jahrhunderten zuvor. Der Umbruch der Welt erfolgt. Denn bis dahin war das Ziel irdischen Strebens, sich auf die nächste Welt im Jenseits vorzubereiten – was interessierte da eine Gegend, wo die Kartoffel wuchs und die Bewohner Menschenopfer brachten und rötlich waren.

 Das ptolemäische Weltbild wurde endgültig (und still­schweigend) aufgegeben, als Magal­hães (1480–1521) von seiner Erd­umseglung 1522 nach Sevilla zurückkam, die geozentrische wird durch die heliozentrische Sicht abgelöst. Am 6. September 1522 kommt als einziges Schiff (von ursprünglich fünf) die »Victoria« mit nur noch achtzehn Seeleuten (ursprünglich 265) nach Spanien zurück. Zwischen­durch mußte Magalhães zwei seiner Kapitäne wegen Meuterei hängen und zwei weitere Meuterer an der Küste von Südamerika aussetzen lassen; er selbst wird im April 1521 auf den Philippinen von Einheimischen getötet, denen die Spanier das Kreuz Christi bringen wollten.

 Der Dichter Pigafetta trat nach dieser Weltreise 1524 in die Dienste des Sultans in Istanbul und brachte diesem eine Karte (wahrscheinlich von Pedro Reinel gezeichnet), auf der die süd­liche Hemisphäre eingetragen ist (»Hesta terra desco­brio Fernando do Magalhães«).

 Aber noch in den 1980er Jahren (kein Schreib­fehler!) vertrat Ibn Baz, oberster Rechtsgelehrter Saudi-Arabiens, die Auffassung, die Sonne kreise um die flache Erde und alles andere sei (islamische) Irrlehre. Es gibt hierfür auch einen biblischen Beweis: Als die Israeliten einmal nicht mit den Amoritern fertig wurden, ließ Gott die Sonne am Himmel still stehen, bis das Volk sich – so in Joshua 10, 12–13 – an ihren Feinden gerächt hatte. Hätte Gott eine um die Sonne kreisende Erde angehalten, müßte Joshua auch von dem gewaltigen Ruck berichtet haben, den es gegeben ­hätte. zur Startseite Erste Furche

 Zumindest teilweise herrscht die Scheibe heute vor; Jochen Hörisch (in »Der Sinn und die Sinne«) schreibt: »Ob Münzen oder Hostien, ob Schallplatten oder CD-Roms: Die Welt der Medientechnik hat nicht Kugel- sondern Scheibengestalt.« Solche augenfällige Beweise werden jedoch von den Ignoranten aus der »Kugel-Fraktion« nicht berücksichtigt. So ist der Stern Achernar im Sternbild Eridanus (»Al Nahir al Nhar«, »Am Ende des Flusses«), rund 145 Lichtjahre von der Erde entfernt, mit einem Verhältnis von 1 : 1,56 (Polumfang zu Äquatorumfang) ein außergewöhnlich »flacher« Stern, der im Laufe der nächsten Jahrtausende aufgrund seiner Rotationsgeschwindigkeit (225 km pro Se­kunde) fast eine Scheibe oder vielleicht nur ein Ei werden wird.

 An der Westmauer (»Klagemauer«, arabisch: »hait al-mabka«) des im Jahr 70 von Titus zerstörten Tempels in Jerusalem schreiben fromme Juden ihre Wünsche auf Papier und stecken diese Wunschzettel in die Fugen. Die Araber nennen diesen Teil der Mauer auch »Hait Al-Buraq«, nach jenem menschen­köpfigen geflügelten Fabelwesen, auf dem Mohammed in der Nacht seiner Himmelfahrt von Mekka nach Jerusalem durch die Lüfte ritt. Mohammed soll sein Reittier an dieser Mauer angebunden haben, bevor er in den Himmel aufstieg (aus dem heutigen Felsendom).

 Mit der Kartoffel wechselt das geozentrische Weltbild in ein pommezentrisches Gesamtkunstwerk. zurück

 

20 »Wo Herkules die Zeichen aufgerichtet / Damit die Menschen nicht mehr weiter­führen«. Ein Strudel, bei Dante Alighieri (1265–1321), war dort von dem neuen Land gekommen. Hinter dem Kap Non, dem Kap Nichtweiter, sei Seefahrt nicht möglich. Dort beginne die »grüne See der Dunkelheit«, dickflüssig, ein »mare pigrum«. Die Glut der Sonne bringe das Wasser zum Kochen und die Schiffe zum Verbrennen und jeder Christenmensch, der in seiner Not das wüste Land dort betrete, würde sofort zum Neger. Und es leben dort die Amyktryten, die eine große Lippe haben und sich die Unterlippe über das Gesicht schlagen, wenn sie schlafen wollen. Dagegen hingen die Ohren der Panotier bis zu den Füßen herab, in die sie sich einwickelten zur Schlafenszeit.

 Kein Baum, kein Grashalm würde dort gedeihen. Im übrigen waren die kartographischen Darstellungen der Westeuropäer des Orients dem Paradies nahe. Gewürze, Überfluß an Nahrung, Glückseligkeit, immergrüne Bäume, bevölkert von über einhundert Jahre alten Menschen. Auf Gran Canaria wachsen die bis zu zehn Meter hoch werdenden Drachenbäume (Dracaena draco), die so heißen, weil sie aus den Schuppen emporwuchsen, die den untröstbaren letzten Drachen abfielen, als sie nach dem Aussterben der meisten ihrer Art ins (westliche) Nichts flüchteten, um dort am Ende der Welt auf die Verirrten zu warten. Erst 1486 umrundet Bartolomé Diaz (1450–1500) das Kap Tormen­tosa, das Kap der Guten Hoffnung – der Weg um Afrika ist gefunden. zurück

 

21Leviathan ist ein mythischer Drache im Alten Testament, ein »großer Mensch«. Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588–1679) nimmt den Leviathan als Titelkupfer seines Buches als Symbol des allmächtigen Staates. Caesar berichtet im »Gallischen Krieg« (De bello gallico) von dem Brauch der Gallier, lebende Menschen in ein riesiges Weidengeflecht in Menschengestalt (simulacra) einzusperren, ehe sie als Opfer verbrannt wurden.

 Dagegen ist der Behe­moth ein harmloses »Riesentier«, im Alten Testament ein Name für das Nilpferd. zurück

 

22 Noch 1683 berichtet Eberhard Werner Happel in »Größte Denkwürdigkeiten der Welt oder sogenannte Relationes Curiosae«:     zur Startseite Erste Furche


    »Unter der großen Menge der Wunder dieser Welt ist wohl der vornehmsten einer der erschreckliche Strudel bei Norwegen, der da unter dem Namen Mahlstrom, Seenabel und Moskoestrom nunmehro in der ganzen weiten Welt bekannt ist, zumal man ansonsten nirgends seinesgleichen finden wird. ... Kein Schiff, wie groß es auch immer sein mag, kann seiner Gewalt, wann es ihm zu nahe kommt, entgehen, es wird auf eine Meile Wegs vom wirbelnden Strom ergriffen, etliche Male in einem Circul herumgeschleudert und hernach in das große Trichterloch gestürzt.«


 Happel berichtet, daß König Christian von Dänemark IV. (1577–1648) höchstpersönlich eine Wassernymphe ge­sehen habe (»Die Brüste mit ihren Warzen stunden er­haben.«). Auch wenn’s nur eine Seekuh war: Christoph Kolumbus besaß ungeheuren Mut, ungeheuren Leichtsinn, ungeheuren Ehrgeiz. Und in der Neuen Welt war es nicht einfacher, »denn es heißt,« so schrieb Bernal Diaz, »es gebe dort Menschen mit großen, breiten Ohren und andere mit Hundeköpfen, auch festzustellen, wo die Amazonen wohnen, welche den Euch begleitenden Indianern zufolge dort in der Nähe leben.«

 Erst 1728 erfindet der englische Schrei­ner und Uhr­macher John Harrison einen exakten Chronometer zur Orientierung auf See. Auf manchen Schiffen kam das Chronometer erst am Ende des 19. Jahrhunderts zum Einsatz, weil diese Uhren sehr teuer waren und im übrigen die alten Methoden schließlich auch zielführend waren.  zurück

 

23 Als Vasco da Gama 1497 nach Indien segelt, hat er an Bord auch zwölf zum Tode ver­urteilte Männer; man schickte solche­ Leute in Gegenden an Land, in denen man mit un­­freund­lichem Empfang rechnete (es war allgemeiner Brauch seinerzeit, für solche Zwecke verurteilte Ver­brecher mit sich zu führen). Da Gama (Charles E. Nowell: »Ein Mann mit eiserner Körperverfassung und grober Gemütsart«) schickte bei seiner An­kunft in Indien einen dieser Straf­­gefangenen an Land, der angeblich be­grüßt wurde mit: »Hol Dich der Teufel! Wer hat dich hierhergebracht?» Die Gewürze, die Vasco da Gama von dieser Reise mit­brachte, ergaben das 60fache der Reisekosten. zurück

 

24 1507 taucht auf der Frankfurter Buchmesse ein Buch mit zweiundfünfzig Blättern auf: »Cosmographiae introductio ...«, »Einführung in die Kosmographie mit den nötigen Grundprinzipien der Geometrie und der Astronomie. Dazu die vier Reisen Amerigos Vespuccis, ferner eine Karte des Weltalls sowohl in flacher als in Globusform von all jenen Teilen, die Ptolemäus unbekannt gewesen und in jüngster Zeit entdeckt wurden«, mit einer Widmung von Matthias Ringmann an den Kaiser Maximilian (1459–1519) und ­einer Vorrede von Martin Waldseemüller, gedruckt in St. Dié, in dem Vespucci ausdrücklich als Entdecker des »quarta orbis pars«, der Neuen Welt, genannt wird.

 Falsch, aber bedeutsam, denn »da Americus ihn gefunden, [könnte man] die Erde des Americus oder America von heute an [so nennen].« Das war der »Taufschein« Amerikas, der 2001 für zehn Millionen Dollar von Fürst von Waldburg-Wolfegg an die Kongreßbibliothek in Washington verkauft wurde, obwohl es in Deutschland als ein nicht ins Ausland zu verkaufendes Kultur­gut eingeordnet wurde. Amerika meint auf dieser Karte nur die brasilianische Nordküste, der Süden mit Argentinien heißt hier noch »Brasilia Inferior«. Wo die Tupinambàs wohnen und der Topinambur herkommt.

 Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde es üblich, die Neue Welt »Amerika« (Gerhard Mercator, 1512–1594, zeichnet 1538 die Neue Welt als einen Kontinent und stichelt daneben »AME« und »RICA«) zu nennen und Vespucci als Entdecker zu feiern; nur einer widerspricht in seiner »Historia general de las Indias« und hält den Kolumbus in Ehren: Bischof Bartolomeo de Las Casas. zurück

 

25 Die Spanier sind überzeugt, daß Christoph Kolumbus in der Kathedrale von Sevilla beerdigt ist; die Grabschatulle trägt die Aufschrift »Erster Admiral der neuen Welt«. Auch in der Dominikanischen Republik ist sich die Regierung sicher, daß Kolumbus auf ihrer Insel in der Kathedrale El Faro de Colón de Santo Domingo begraben wurde; dort wird eine Urne mit der Beschriftung »Entdecker Amerikas« aufbewahrt. Auf Weisung seines Sohnes wurde Kolumbus in Sevilla beerdigt, dann nach Santo Domingo aus symbolischen Gründen überführt. Als die Karibik-Insel in französische Hände fiel und Kolumbus somit nicht mehr in »spanischer Erde« ruhte, wurde er nach Kuba verlegt. Als nun Kuba für Spanien auch verlorenging, erfolgte (wahrscheinlich) eine Rückverlegung nach Sevilla.  

 Nun, 2003, soll diese Frage durch eine DNA-Analyse zweifelsfrei geklärt werden. (S)ein Leichnam und der seines Sohnes Hernando werden exhumiert und durch Wissenschaftler der Universität von Granada untersucht. Mit der Untersuchung will man auch Aufschlüsse über die Herkunft Kolumbus’ erhalten. Historiker gehen nämlich bisher davon aus, daß Kolumbus aus Genua stammte und somit Italiener war – aber eine andere Theorie behauptet, Kolumbus sei ein illegitimer Sohn des Prinzen Carlos von Viana und damit reinblütiger Spanier. zurück

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