Kolumbus 1492 - er
                  entdeckt die Ananas
                
                Jenes ferne Jahr 1492 ist von drei besonderen
                Ereignissen geprägt: Am 2. Januar fällt mit der
                Alhambra in Granada nach 700jähriger maurischer
                Herrschaft die letzte arabische Burg in Spanien: »Ein
                verhängnisvolles Ereignis« und »eine bewundernswerte
                Kultur ging verloren« sagt Federico García Lorca. 
                
                Der Maurenkönig Boabdil (Nasrid) mußte 
al-andalus,
                das Land der Vandalen, verlassen und das friedvolle
                Land den Blaublütigen überlassen. In ganz Europa begann
                erneut ein finsterer (kulturell und ökonomisch)
                Zeitabschnitt, der inländische Handel kommt zum
                Erliegen, der Kaufmann stirbt 
aus und
                das Gold verschwindet in den arabischen Körben für teuer
                zu bezahlende 
Gewürze. 
                
                Das zweite Ereignis war die Vertreibung der in die
                arabische Herrschaft integrierten Juden aus Spanien,
                weil die Spanier den »conversos«, den zum Christentum
                übergetretenen Juden, nicht vertrauten; später folgten
                die »Moriscos«, die zum katholischen Glauben
                übergetretenen Muslime
.
                
                Und drittens: Am 3. August ließ Kolumbus auf dem Rio
                Tinto im südwestlichen Zipfel Kastiliens 
losrudern, in Palos de la 
Frontera nach der letzten Messe in
                der Pfarrkirche San Jorge mit den Wasservorräten aus dem
                maurischen Brunnenhaus und geräucherten 
und gepökelten Schweinefleisch aus
                der Sierra de Aracena; seine Suche nach dem Seeweg nach
                Indien begann – go west, 
young man.
                Gilbert Hunt schrieb im »Historical Reader« über dieses
                Ereignis:
                
                
                   »... und es begab sich aber im
                  vierzehnhundertzweiundneunzigsten Jahr
                  christlicher Zeitrechnung, daß Kolumbus die Wasser
                  der mächtigen Tiefe überquerte.« 
                  
                
                Der Anblick war keineswegs bemerkens
wert,
                denn es handelte sich um die damals üblichen Schiffe
                mediterraner Bauart, zwei manövrierfähige und
                seetüchtige Karavellen und ein etwas größeres,
                bauchiges, plumperes 
Não; alle
                drei mehr oder weniger morsch, eins drohte schon bei den
                Kanarischen Inseln auszufallen. 
                
                Auf den Schiffen waren neben den Marineros,
                Zimmerleute, Kalfaterer, ein Küfer, ein
                Polizeioffizier; nicht dabei waren Mönche, Priester,
                Patres, Missionare oder andere Geistliche. Verwunderlich
                – war doch die vorgebliche Aufgabe des Kolumbus’ die
                Eroberung neuer Länder und die Überbringung des Heils.
                
                
                Vielleicht hing dies damit zusammen, daß in der
                christlichen Seefahrt Pastoren und Advokaten nicht gern
                an Bord gesehen wurden und andererseits diese nicht gern
                auf Seefahrt gingen, war doch bekannt, daß bei allzu
                rauher See vielfach ein Vertreter dieses Standes (oder
                der Bordhund) zur Besänftigung Neptuns, des
                Meeresgottes, über Bord geschubst wurde.    
                               
                               
                            
                
                Bereits um 1500 waren die Häfen am Rio Tinto versandet.
                Kolumbus und seine goldgierige Gefolgschaft ist gerade
                noch ‘mal davongekommen. Sevilla wurde deshalb die
                aufstrebende Stadt mit dem H
andelsmonopol
                für das Amerikageschäft; hier saß später der »Rat der
                indischen Länder
«, der Handel und Wandel mit
                Amerika kontrollierte und 
regulierte.
                
                Wie damals üblich in Europa trugen auch die Schiffe des
                späteren 
Capitan General de la Mar Oceano (»Admiral
                des ozeanischen Meeres«, der 
admirabile, der
                Bewundernswerte) Christoph Kolumbus’, keinen Namen am
                Heck, sondern liefern unter der Bezeichnung, die ihnen
                die Mannschaft gab: »Pinta« (von 
putadie
                Angemalte), »Nina« (kleines 
Mädchen)
                und »Maria Galanda« (flottes Mariechen, ursprünglich »La
                Gallega«, da es in Galizien ge
baut
                wurde, später als »Santa Maria« bezeichnet). Die Namen
                der Kolumbus-Schiffe sollten wohl die Besatzung daran
                erinnern, daß es noch andere erstrebenswerte Dinge als
                eine Fahrt nach »Indien« gab. Aber das versprochene
                Gold lockte den Seemann von seinem »Schatz« 
weg. 
                
                 
                
                Die Phantasie ist anzustrengen: Zu diesem Zeitpunkt
                konnte man auf See keine exakte Position (also Breiten-
                und Längengrad) errechnen. Üblicherweise wurde das
                Problem des Längengrades dadurch gelöst, daß man in
                Sichtweite einer Küste segelte und dann zur rechten Zeit
                auf einen Breitengrad schwenkte; das Problem der
                geographischen Länge wurde erst durch die Entwicklung
                des Chronometers von John Harrison gelöst. Die ganze
                Navigation beruhte auf Sonne, Mond und Sterne. Wenn man
                noch berücksichtigt, daß mit Sanduhren mit höchstens
                einer halben Stunde Laufzeit hantiert wurde, so mußten
                die Versprechungen und der Zwang der Behörden schon
                gewaltig sein, um die Seeleute zu einer solchen Rei
se zu bewegen. 
                
                Erst mehr als einhundert Jahre später wurde es üblich,
                auf Schiffen für 
Große Fahrt Köche mitzunehmen;
                ein neuer Berufszweig, der 
»Smutje«,
                entstand. Und erst noch später erhielten manche
                Mannschaften eine einheitliche Arbeitskleidung (die
                mit dem roten Faden) und mußten nicht mehr in ihren
                persönlichen, zerlumpten Fetzen »über die Planke«
                gehen. Übrigens: Latrinen an Bord gab es nicht. Man
                mußte hinaus auf die Reling treten, mit einer Hand den
                Rock lupfen und mit der anderen ein festgemachtes Tau
                ergreifen, was schon bei normalem Seegang nicht einfach
                war.
                
                Kolumbus hatte sich verpflichtet, für die langweilige
                europäische Küche neue eßbare Pflanzen («Spezereien«)
                mitzubringen, damit der Gaumen der Hidalgos sich auch
                wieder einmal erfreue: Die Entdeckung Amerikas wird ve
rschiedentlich als »Abfallprodukt der
                Pfeffersuche« bezeichnet, denn die Suche nach Gewürzen
                (Pfeffer, 
piper nigrum,
                war damals das schwarze Gold) und Arzneidrogen bildete
                noch vor der Gier nach dem rotgelben Gold das Hauptmotiv
                von Entdeckungsreisen. Pfeffer überdeckte den üblen
                Geschmack von verdorbenem Pökelfleisch, faulender Fisch
                (man denke an die Einhaltung der Fastengebote weit weg
                vom Meer) läßt sich mit starken Gewürzen noch
                »genießen«. Und: Pilger- und Kaufmannsreisen ließen
                immer neue Genüsse erleben. 
                
                Schon die römische Küche war wenig einfallsre
ich. Sie bestand im wesentlichen aus
                Zwiebeln (in mehreren 
Sorten).
                Schweinefleisch, Kohl, Feigen («Kartoffel der 
Antike«) und Hülsenfrüchten,
                vorwiegend die eine vorhandene Sorte Bohnen. Dann gab’s
                noch Gurken und Melonen, (Gemüse-) Portulak (heute nur
                noch als Schutt- und Wege»un«kraut bekannt) und
                Wasserlilien, Rauten und allerlei Grünzeug, Weizen als
                Hauptgetreide, wenig Roggen (weil es als
                »minderwertiges Getreide« 
galt). 
                
                Was an Geschmack und Raffi
nesse
                fehlte, wurde durch visuelle Reize ausgeglichen; Fleisch
                und Fisch wurden vielfach gestampft, was nicht nur an
                den schlechten Zähnen gelegen haben soll, sondern auch
                die Möglichkeit eröffnete, diesen Brei mit 
Safran gelb, mit Petersilie grün,
                mit Weichseln rot zu färben. 
                
                Im römischem wie im mittelalterlichem Adel, im
                aufkommenden Bürgertum, durften kostspielige Gewürze
                nicht fehlen: Ingwer (das aromatische Galgant aus dem
                fernen Asien), Zimt, Nelke, Anis, manchmal
                Kubebenpfeffer (fürs Harntreiben und zur
                Fliegenvernichtung), Kardamom, Zitwerwurzel (für die
                Wermutherstellung), Safran. Wichtig ist die fremdartige,
                herzhafte Würzung. 
                
                Wichtig ist die Phantasie, die mit dem Gewürz
                einherging: Zimt fand man nur im Nest des mystischen
                Vogel Phönix, um Pfeffer mußte man mit den
                feuerspuckenden Schlangen ringen, die den
                Pfefferstrauch verbrannten und so die Körner schwarz
                färbten. 
                
                Die Länder des Orients – so wußte man – grenzten direkt
                ans Paradies, Nil, Ganges, Euphrat und Tigris bezogen
                ihr Wasser aus Quellen im Paradies – von daher holte man
                sich die Gewürze. Es war ein Zeitalter, das sich
                vornehmlich an den Augensinn, weniger an Geschmacks- und
                Geruchsnerven wandte; der Umgang mit dem Volk – rauh,
                unsentimental, gewalttätig – fand seinen entsprechenden
                Widerklang im Essen. Mehr dazu bei »Maister Hannsen –
                des von Wirtenberg Koch«. Man unterschied die Gerichte
                mehr nach der Farbe und weniger nach ihren Zutaten
                
                Salman Rushdie: »Von Anfang an war es kristallklar, was
                die Welt von der verdammten Mutter Indien wollte. Sc
harfe Sachen wollten sie, genau wie
                ein Mann, der zu einer Hure geht.« Zu jener Zeit begann
                man, Kochbücher drucken zu 
lassen
                – auch ein Zeichen, daß Adel und reiche Bürgerschaft von
                den Hungersnöten stärker verschont blieben – und
                insbesondere über die Verwendung exotischer und teurer
                Produkte zu schreiben: Über Gewürze. 
                
                Die Ärzte stimmten überein, daß die »Wärme« der Gewürze
                die Nahrungsverdauung ihr »Kochen« im Magen fördere, so
                daß vielfach die Gewürze in Form von Dragees nach der
                Mahlzeit und vor dem Schlafengehen genommen wurden; eine
                gute Durchblutung förderte, fördert, die »ehelichen
                wercke«. 
                
                Nicht nur Salomos Gold und ferne Gewürze gaben Anlaß,
                den Seeweg nach Indien zu suchen. Es war auch die
                schlichte Not durch die regelmäßigen Hungersnöte, die
                die Menschen bereit machten, das Schlaraffenland suchen
                zu gehen. 
                
                Als es dann durch die Reisen nach Indien an »feinen
                Gewürzen« nicht mehr mangelte, verschwanden sie
                allmählich aus den Ernährungsgewohnheiten. An ihre
                Stellen traten besonders in der französischen Küche –
                tonangebend für West-Europa – wieder einheimische und
                »bäuerliche« Produkte; Gewürze werden ersetzt durch
                Schalotten, Pilze, Kapern, Sardinen: Bocuse läßt grüßen:
                »Du darfst«.
                
                Die gesteigerte Nachfrage nach Nahrungsmitteln führte
                dazu, daß schon lange bekannte Produkte wieder eine
n Aufschwung erlebten: Reis wurde bis
                dahin als exotisches Importprodukt in Apotheken und
                Gewürzhandlungen verkauft und als Zutat in 
Soßen verwendet. Jetzt gelangt Reis
                von Spanien aus in die spanischen Niederlande und wird
                dort ebenfalls angebaut. 
                
                Auch Buchweizen (aus dem Orient kommend) wird wieder
                entdeckt. Erst im 16. Jahrhundert verbreitet er sich
                weiträumig, wahrscheinlich von den Niederlanden aus nach
                Deutschland, Frankreich und Norditalien. Zum gelben
                Hirsebrei kommt nun ein grauer hinzu.
                
                 
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                Dieses Jahr 1492 ist noch aus anderen Gründen
                bemerkenswert: Es gliedert sich erstens der Beruf des
                bisherigen Drucker-Verlegers in den des Schriftgießers,
                des Setzers (über den Jean Paul sagt, daß man ihn
                Schrift(Lettern)steller nennen sollte), des Druckers und
                des Verlegers: Der Beginn des Taylorismus und des
                REFA; zweitens konstruiert Martin Behaim, ein Freund des
                Kolumbus’ aus gemeinsamen portugiesischen Tagen, im
                Auftrag der Stadt Nürnberg und in Zusammenarbe
it mit Hartmann Schedel – noch ohne
                Amerika und Australien – einen »Erdapfel«, den ersten
                Globus, der auf der Weltkarte des Florentiner Paolo
                Toscanelli des Jahres 1474 
beruht.
                Leonardo da Vinci zeichnet – drittens – eine
                Flugmaschine (die nicht fliegt) und eine ergonomisch
                ausgerichtete Druckpresse, die funktioniert. Und Herzog
                Eberhard im Bart »schafft« – viertens – in Stuttgart die
                Kehrwoche an, die erst fünfhundert Jahre später auf
                Antrag grüner Stadträte wieder aufgehoben wird, doch
                die Stuttgarter halten trotzdem an der traditionellen
                Reinlichkeit fest.
 
                
                Und fünftens vertreibt – wie eingangs erwähnt – der
                Groß-Inquisitor Tomás de Turrecremata (
Torquemada)
                fast einhunderttausend Juden aus Spanien, die sich der
                Zwangsbekehrung widersetzt 
haben.
                
                
                1492 gilt aus der Sicht des rückblickenden Besserwissers
                als das Jahr des Übergangs vom »Mittelalter« zur 
Neuzeit. 
                
                Tierra. Tierra.Der Ruf de
s Matrosen
                Juan Rodríguez Bermejo um zwei Uhr im Mondschein des 1.
                Oktober 
1492 und die anschließende
                Eroberung Amerikas war der Start für den Siegeszug der
                Kartoffel: Sie steht heute nach Weizen und Reis zusammen
                mit Mais an dritter Stelle aller Nahrungsmittel. Claude
                Lévi-Strauß schrieb in seinem ethnologischen
                Reisebericht »Traurige Tropen«: »Nie wieder werden uns
                die Reisen, Zaubertruhen voll traumhafter Versprechen,
                ihre Schätze unberührt enthüllen.« 
                
                Was Kolumbus und seine Zeitgenossen als »Kartoffel«
                ansahen und als »batate« oder mit der ur-amerikanischen
                Bezeichnung »papa« benannten, war jedoch nicht die
                damals nur in den Anden von Peru und in Nordchile
                beheimatete Kartoffelpflanze, sondern die Süßkartoffel,
                die 
patata, ein Windengewächs. 
                
                Die Engländer mit ihren »potatoes« verwechseln –
                zumindest im Namen – immer noch den andinischen Erdapfel
                mit
 der Süßkartoffel. Und der
                ehemalige US-Vizepräsident Don Quayle hatte bekanntlich
                die peinlichen Schwierigkeiten in einer Schule mit
                »potatoes« bzw. 
»potatos«. 
                
                Die Bewohner der von Kolumbus (Lichtenberg: »Der
                Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte
                eine böse Entdeckung«) auf seiner ersten Reise besuchten
                Inseln liefen zwar nackt herum – erfreulich für die
                entwöhnten Seeleute – waren jedoch nicht so rückständig,
                wie Kolumbus und die ihm folgenden Abenteurer sie
                beschrieben. 
                
                Bartolomeo de Las Casas: 
                
                  »Sie waren schlank, von herrlichem Wuchs, in ihren
                  Bewegungen frei und voller Anmut. Einige wenige trugen
                  ... einen Lendenschurz. Die Frauen hingegen waren ohne
                  Ausnahme unbekleidet.«
                  
                
                Und Christoph Kolumbus (auf Guanahani, heute El
                Salvador) notierte am 12. Oktober 1492: 
                
                  »Am Strand erblickten wir Eingeborene. ... Sie gehen
                  umher, wie Gott sie geschaffen hat, Männer sowohl als
                  Frauen, und bemalen ihre schöngeformten Körper mit
                  grellen Farben, vor allem das Gesicht, die Nase und
                  die Augengegend. Ihre Haut ist von rötlichgelber
                  Farbe, ihr Haar tiefschwarz und glatt.«
                  
                
                Ein Vorfahr des Abenteurers und Schriftstellers Giacomo
                Casanova, Juan Casanova, starb in der Erinnerung an die
                nackerten Menschen dieses Garten Eden hungrig aber
                glücklich auf der Rückfahrt der ersten Reise aus der
                Neuen Welt nach Spanien.
                
                Auf den Inseln bestand eine außerordentlich produktive
                und den Umweltbedingungen hervorragend angepaßte
                Agrarwirtschaft. Die Grundlage der Ernährung bildeten
                an erster Stelle die als 
conucos bezeichneten
                Felder in kniehoch angehäufelter Erde, auf denen neben
                Maniok (für die Fernreisenden unter den Lesern: in der
                Macosprache 
cahig, auch 
Elente
                genannt), Kürbisse und mehrere Sorten Bohnen
                angepflanzt wurden. Diese »Beete« wirkten der Erosion
                entgegen, die Knollenfrüchte erzeugten Mineralien
                und Kaliumkarbonat. Diese Form der Pflanzung war in fast
                jedem Gelände möglich, zeichnete sich durch hohe Erträge
                aus, erforderte nur zwei bis drei Stunden Arbeit in der
                Woche und ermöglichte jahrelanges, ununterbrochenes
                Ernten. 
                
                Die Hauptnahrung auf der Isla H
ispaniola
                (die Eingeborenen nannten 
ihre Insel Bohio)
                waren »battatas«. Christoph Kolumbus in seinem 
Tagebuch am Sonntag, dem 4. November
                1492, auf Cubaguas: 
                
                  »Am Abend lehren uns die Eingeborenen die Zubereitung
                  eines unscheinbaren Knollengewächses, an dem wir
                  bisher achtlos vorbeigingen. Ich werde einige dieser
                  seltsamen Äpfel, die wie Kastanien schmecken und von
                  den Indianern Batate genannt werden, nach Europa
                  mitnehmen.«
                  
                
                Diese Tagebuch-Eintragung belegt, daß Kolumbus die
                Süßkartoffel nach Europa brachte; ganz sicherlich ist
                sie auch in Spanien gepflanzt worden, denn ihre Blüte
                sieht freundlich aus und ihre Knolle wunderlich.
                
                
                Die Tainos und die Cibonays (Siboney), wie sich die
                Bewohner der Inseln Kuba und Haiti bezeichneten,
                betrieben außerdem eine Art Fernhandel mit Hängematten
                (hamaca) aus Agavefasern, die sie in canoas auf andere
                Inseln und zum Festland lieferten (Engländer nannten sie
                »brasilianische Betten«, Holländer machten im 17.
                Jahrhundert aus 
hamaca »hangmak«,
                und irgendwann wurde es dann »hangmat«, und dann kam die
                Zeit, wo sich die Deutschen in die »soziale Hängematte«
                
legten).
                
                Tainos und Cibonays lebten in kleinen überschaubaren
                Dörfern mit bis zu etwa fünfzehn Familien, die in einer
                Ratsversammlung unter einem erblichen »Kaseke«
                mitentscheiden konnten. Sie wohnten in sauberen,
                luftigen Hütten, wuschen sich regelmäßig (anders als die
                E
uropäer) und lebten nicht wie
                Spanier und andere Europäer in dunklen, rohen,
                schmutzigen 
Gebäuden. Die Menschen
                in Europa wohnten in Häusern, in denen zum Beispiel die
                Feuchtigkeit vielfach fast die der sie umgebenden Natur
                entsprach.
                
                Den Spaniern gelang es innerhalb kürzester Zeit, die von
                den Tainos praktizierte Landwirtschaft zu zerstören:
                Auf seiner zweiten Reise in die Neue Welt – zur Isla
                Hispaniola (heute: Haiti) – brachte Kolumbus große
                europäische Säugetiere mit (in der Karibik gab es vor
                den Spaniern nichts Vergleichbares – die größten Tiere
                waren kleine Hunde). Innerhalb weniger Jahre
                verzehnfachten sich die Rinder (1520 waren es bereits
                über achttausend), die Pferde vermehrten sich so stark,
                daß bereits 1507 der Import verboten wurde, die Anzahl
                der Schweine (ursprünglich vier Paare) war unendlich
                groß. 
                
                Mit den Rindern auf Hispaniola begann die Entwicklung
                einer Gesellschaft, die abhängig von rotem Fleisch
                wurde. Die von den Spaniern gebrachten Tiere verdrängten
                die einheimische Tierwelt. Die europäischen Viecher
                wurden einfach ausgesetzt und fraßen die einheimischen
                Gräser, verhärteten die Böden und damit ging die vor
                Erosion schützende Bodendecke verloren.
                
                Der Drucker und Verleger Theodore de Bry (1528–1598),
                Stiefvater der Maria Sibylla Merian (1647–1717),
                schreibt in dem reich bebilderten »Americae«:
                
                  »In den obgemeldten Inseln allen werden niergent kein
                  vierfüssige Thier gefunden weder etlich Küniglein /
                  die seynd den Hunden nicht fast vngleich. Sonst aber
                  seynd viel gifftige vnd schädlicher Thier vnd
                  Vngeziffer darinn / fürnemblich das gifftig Thierlein
                  Nigua.»
                  
                
                Die Zufuhr europäischer Tiere führte dazu, daß die in
                der Karibik verbreitete Menschenfresserei aufhören
                konnte, und das nicht nur, weil’s den Spaniern
                schauderte, sondern auch wegen des jetzt reichlich
                vorhandenem tierischem Protein. Auch in der Pflanzenwelt
                gab es drastische Veränderungen; einige aggressive
                Pflanzen wie Löwenzahn, das gemeine Gänseblümchen und
                Nesseln breiteten sich rapide aus und unterdrückten die
                einheimische Flora. 
                
                Das bereits bei Kolumbus eingeführte System des 
rancheros
                beruhte auf dem Prinzip des Privateigentums an Land und
                schuf eine Kaste von Grundbesitzern, die bis heute der
                ursprünglich einheimischen Bevölkerung das Recht auf
                Landbesitz abspricht; 1550 waren die Tainos ausgerottet.
                Schädlich waren nicht nur die neuen Pflanzen und die
                »Haustiere«, sondern auch die intensive europäische
                Nutzung – zum Beispiel durch Reihenpflanzungen –, die
                in der Karibik eingeführt wurde. 
                
                Die europäische Art, den Boden zu bearbeiten, zerstörte
                den Boden viel nachhaltiger als es die Hacke der
                Ureinwohner vermocht hätte. Der Anbau von Monokulturen,
                einhergehend mit der aus Europa mitgebrachten
                Brandrodung, führte zu weiterer Bodenerosion und damit
                auch zu einer Veränderung des Feuchtigkeitshaushalts der
                ganzen Region. Dies hatte weitere Auswirkungen auf die
                Pflanzen- und Tierwelt. Die vor den Spaniern mit
                Tropenwald überzogene Isla Hispaniola, aber auch Kuba,
                wurden entwaldet; die bereits im 16. Jahrhundert
                angelegten Zuckerplantagen schufen die bis heute
                bestehende Monokultur. Schon bei seiner zweiten Reise
                hatte Kolumbus auf Hispaniola Orangenplantagen anlegen
                lassen und wenige Jahrzehnte später waren alle
                Karibik-Inseln mit Orangenhainen bedeckt. Die Folgen
                der Entwaldung auf den karibischen Inseln machten sich
                binnen weniger Jahre bemerkbar: Sintflutartige
                Regenfälle und stürmische Winde – von den Tainos als 
hurricanes
                benannt, nach jenem einbeinigen Gott, der brüllend übers
                Meer stieg.
                
                Der spanische Jesuit Bartolomeo de Las Casas, später
                »Vater der Indios« genannt, schreibt 1550 in seinem
                »Kurzgefaßten Bericht über die Verwüstung der
                Westindischen Inseln«:
                
                  »Friedfertig lebten sie alle, und ich erinnere mich
                  nicht, davon gehört zu haben, daß die Dörfer oder die
                  Häuptlinge gegeneinander Krieg führten. Sie verfügten
                  über einen Überfluß an
                  Nahrungsmitteln und über alles Lebensnotwendige, und
                  sie besaßen eine große Zahl guter Äcker, von denen
                  sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können.« 
                  
                
                Das widersprach der Auffassung des Dominikanermönchs
                Francisco de Vitorio, Professor der Theologie an der
                Universität von Salamanca und einer der Begründer des
                europäisch geprägten Völkerrechts:
                
                  »Sie sind nicht einmal besser als Vieh und wilde
                  Tiere, denn sie nehmen weder feinere noch kaum bessere
                  Nahrung als diese zu sich.«
                  
                
                Vitorio bestritt in 
seinen
                »Relectiones de Indis« (Vorlesungen über die Indianer)
                von 1532 andererseits den Spaniern das Recht auf das
                Land der 
Ureinwohner. Das dem
                römischen Recht entnommene Argument, die neuentdeckten
                Länder seien bisher herrenlos (
res nullius)
                gewesen und gehörten daher dem, der sie nach den Regeln
                der römischen 
occupatio (Aneignung) als erster
                in Besitz genommen habe, sei unzutreffend. Vielmehr
                seien die »Indianer« gemäß dem von ihm aufgestellten
                Grundsatz des Naturrec
hts, obwohl
                sie Heiden waren, uneingeschränkt Eigentümer des Landes;
                auch Häretiker würden nicht ihr Eigentum 
verlieren. Das zwischen den Völkern
                geltende Naturrecht gäbe zwar den Spaniern das Recht
                auf Handel und völlige Bewegungsfreiheit, aber es gäbe
                ihnen nicht das Recht, die Indianer gegen ihren Willen
                zu berauben oder sie anzugreifen. Vitorios Unterstützung
                für die Rechte der Ureinwohner stützte sich in erster
                Linie auf Gerechtigkeit und Ethik. Weder auf den von
                Vito
rio ebenfalls abgelehnten
                Anspruch des Papstes auf das Recht, die neuen Länder
                zwischen Spanien und Portugal 
aufzuteilen
                noch auf seine im Naturrecht begründeten Auffassung
                hinsichtlich der Indianerbehandlung hörte jemand –
                dazu war der Goldrausch zu mächtig, um sich von einem
                kleinen Dominikaner die Rechte der Eroberten lehren zu
                lassen. 
                
                Anders als im asiatischen Indien durch portugiesische
                Jesuiten wurden die Riten der spanisch-katholisch
en Kirche nicht den religiösen
                Vorstellungen der Ur-Einwohner 
akkommodiert;
                mit Brachialgewalt wurden Menschen, Ideen und die
                Verwaltungsorganisation durch die spanischen
                Conquistadores, durch Engländer, Portugiesen,
                Franzosen, Holländer vernichtet.
                
                Neu angelegte Ortschaften der spanischen Eroberer
                (ängstlich wurde in jedem Ort zuerst eine Festung
                angelegt) entsprachen nicht der natürlichen Struktur
                der Landschaft: Ohn
e Rücksicht auf
                Umrisse und Formen des Geländes, auf Bäche oder Flüsse,
                Moore oder Wälder wurden mit Lineal und Kompaß
                rechtwinklige Straßenzeilen, wie es sie im spanischen
                Burgenland, in Kastilien, gab, 
festgelegt.
                
                
                Hinzu kam, daß die Einwanderer nicht bereit waren, die
                von den Ureinwohnern angebauten Pflanzen als
                menschliche Ernährung zu akzeptieren; die Spanier litten
                deshalb Hunger, die Ernährung war für die Kolonisten
                allgemein unzureichend. Vielfach lag dies daran, daß die
                eingeführten europäischen Pflanzen der amerikanischen
                Tropenzone nicht angepaßt waren. José de Acosta klagte
                im 16. Jahrhundert, auf den Karibikinseln 
                
                  »sprieße der Weizen schön aus dem Boden und beginnt
                  jetzt gerade zu grünen, aber er wächst so
                  ungleichmäßig, daß man ihn nicht ernten kann, denn bei
                  gleichzeitig ausgebrachter Saat sind die Halme
                  teilweise nur in die Höhe geschossen, andere haben
                  Ähren angesetzt, die einen werden nur zu Gras, die
                  anderen zu Korn.« 
                  
                
                Juden, Mauren, Zigeuner und Ketzer durften nicht nach
                Amerika; der Anteil der Frauen (»Unnerröck an Bord, dat
                gifft Malheur«) unter den Einwanderern betrug 1538 rund
                zehn Prozent und stieg in den folgenden Jahrzehnten auf
                etwa fünfundzwanzig Prozent, für die sich damit jedoch
                keine Befreiung verband, sondern nur ein Wechsel in
                der Abhängigkeit. Was sollten die Spanier auch mit ihren
                katholischen Weibern, wenn sie sich in Amerika die
                unchristlichen Eingeborenen zur Verfügung nehmen
                konnten. Die Anzahl weißer Familien blieb winzig im
                Vergleich mit den Millionen Indianern und der Anzahl d
er Mestizen, den Kindern aus
                Verbindungen von männlichen Weißen und weiblichen 
Ureinwohnerinnen. 
                
                Kassawa (Maniok), Süßkartoffeln, Paprika, Mais,
                Kürbisse (Cucurbita pepo), Erdnüsse usw. wurden von den
                Kolonisten verschmäht, obwohl durch die Regenfälle
                und die Feuchtigkeit die eigenen Vorräte verdarben; die
                Nahrung beschränkte sich auf Fisch und Maniok, aus
                deren Mehl das Kassawabrot hergestellt wird. 
                
                Theodore de Bry in »Schiffart in Brasilien in America
                ...« (1593 in Frankfurt gedruckt):
                
                  »Es haben die Wilden auch noch andere Wurtzelen uber
                  die Maniot unnd Aypi, darvon im neundten Capitel
                  gesagt, daß die wilden Weiber ihr Mehl auß denselbigen
                  machen / nemlich die Hetich nennen / dise sind in
                  Brasilien so gemein / wie in Soffoyen die weissen
                  Ruben / die Ruben daran sind zwo Feust dick / und
                  anderthalb Schuh lang / mehr oder weniger / wenn man
                  diese Wurtzelen oder Ruben außzeugt / scheint eine wie
                  die ander zu seyn.«
                  
                
                Kassawa ist eine wenig nahrhafte und schwer verdauliche
                Speise. Man muß sich an sie gewöhnen – aber 
die
                Spanier mochten ihren verwöhnten Geschmack nicht
                verletzen; Kassawa war für sie einfach dégoutant. Das
                Brot daraus war für sie wie Gift: Das trockene Mehl
                dieser Knolle quillt im Magen auf und betäubt den
                Hunger, ruiniert aber auch die Verdauung. Einige Sorten
                Kassawa enthalten giftige Blausäure, die sich aber
                durch Vergärung entfernen läßt. Die südamerikanischen
                Ur-Einwohner zerkleinerten die Kassawa, weichten sie in
                Wasser ein und ließen sie in der Sonne stehen, bis sie
                anfing zu vergären. Eine Mischung mit einem unangenehmen
                Gestank, aber eßbar. Wenn man diese Masse trocknete,
                verschwand auch der Geruch. Man muß die frühen Acker
bauer bewundern, die diese
                Nahrungsmittel mit einer hohen Leidensfähigkeit, aber
                auch unstillbarer Neugierde ausprobiert 
haben und dann die entsprechenden
                Pflanzen kultivierten. Man bedenke, daß wildwachsende
                Kartoffeln sehr bitter sind und zu giftig für den
                Verzehr. 
                
                Urtümliche Völker (wie es wohl die ersten
                Kartoffelanbauern in den Anden waren) vermischten
                bitter schmeckende, aber nährstoffreiche
                Pflanzenteile wie Eicheln und – natürlich –
                Wildkartoffeln mit ausgesuchten Erden, was die
                Wissenschaft als Geophagie bezeichnet. Viele Erden
                tragen negative Ladungen auf ihrer Oberfläche, die sie
                zu Kationenaustauschern machen. Stickstoffreiche
                Pflanzentoxine und Alkaloide sind im sauren Milieu des
                Magens zumeist positiv geladen und binden sich an
                solche Kationenaustauscher; dabei verdrängen sie
                Ionen von Alkali- und anderen Metallen. Die Nahrung
                wird verdaulich. 
                
                Das »moray«, Kartoffelmehl, wurde ebenfalls nicht
                geschätzt. Die europäischen Entdecker und Eroberer waren
                den neuen Pflanzen gegenüber mißtrauisch, sie verglichen
                sie mit den ihnen bekannten Gewächsen. Der Mais wird zu
                einem »Korn nach Art der Kichererbse«, das Kolben
                (spanisch »elote« von nahuatl »elotl«) trägt »wie die
                Kolbenhirse«. Tortillas werden als eine Art
                mediterranes Brot beschrieben, Paprika stellt eine Art
                Pfeffer dar und der Truthahn ist ein »großes Huhn
                gleich dem Pfau«, den man in manchen Gegenden
                Frankreichs auch »jésuit« nennt, weil ihn die
                Jesuitenmissionare erstmals dort einführten. 
                
                Wenn man dies berücksichtigt, so wird schon klar, daß
                der Mais sehr früh nach der Entdeckung Amerikas in
                Europa angebaut und dokumentiert wird (1525 in
                Andalusien angebaut, 1532 im Herbar von Cibo in Rom,
                1543 im Kräuterbuch von Leonhart Fuchs), während die
                Kartoffel, das minderwertig unter der Erde wachsende
                Knollengemüse, erst später zu Ehren kommt. Es war
                schlichtes Desinteresse an den neuen Früchten, die
                eine schnelle Einführung in ganz Europa behinderten,
                auch wenn regional und zeitlich manche Unterschiede
                bestanden. Erst die ungezählten Hungersnöte
                beschleunigten den Einführungsprozeß.
                
                 
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                Nicht nur in Amerika hielten die Europäer an ihren
                Ernährungsgewohnheiten fest; sie verzichteten auch in
                ihren Kolonien in Asien und Afrika weder auf Wein noch
                Schinken noch Weizen, der in die Kolonien oder an die
                Stätten ihren missionarischen Wirkens aus und von der
                Heimat geliefert werden mußte. Auf Brot aus hellem
                Getreide wollte der weiße Mann auch in Mittel- und
                Südamerika nicht verzichten und zettelte für dessen
                Erlangung sogar manche Revolte gegen die spanische
                Obrigkeit an; Kofi Annan 1999: »Sei nie klüger als die
                Eingeborenen!«
                
                Kolumbus fand auf den Inseln 
                
                  »viele Kräuter und Pflanzen, die man in Spanien sehr
                  zu schätzen wissen wird, um daraus Tinkturen zu
                  gewinnen, die man zu Heilzwecken oder als Gemüse
                  verwenden kann.« 
                  
                
                Die »Früchte« und »Kräuter« würden sich, so Kolumbus,
                von den europäischen Pflanzen unterscheiden »wie Tag
                und Nacht«. Die Europäer hätten nie vorher Früchte
                gesehen so süß wie die Ananas oder geschmackvoll wie
                Erdnüsse. 
                
                Bereits wenige Jahre nach der Entdeckung Amerikas wurden
                die ersten Bücher mit naturgetreuen Abbildungen dieser
                neuen Pflanzen veröffentlicht: Leonhart Fuchs mit »Primi
                de stirpium historia ...« (Basel 1545), der Frankfurter
                Stadtarzt Adam Lonicerus mit »Künstliche
                Conterfeytunge der Bäume, Stauden, Hecken, Kreuter,
                Getreyde, Gewürtze (Frankfurt am Main 1578), Willem
                Piso mit »De Indiae utriusque re naturali et medici
                libri XIV« (Amsterdam 1658) oder Pietro Andrea Mattioli
                mit »Neu vollkommenes Kräuter-Buch von allerhand
                Gewächsen der Bäume« (Basel 1678). 
                
                T
abak, »mit denen sich die
                Eingeborenen ihren Gebräuchen gemäß beräuchern« hielt
                Kolumbus für ein Kraut, das nicht zu vermarkten sein 
werde. In seinem Tagebuch vermerkt
                Kolumbus, daß er auf Hispaniola eine neue Getreideart,
                von ihm »mahiz« genannt, entdeckt habe; innerhalb
                weniger Jahre verbreitete sich der von ihm bereits bei
                seiner ersten Reise mitgebrachte Mais in Spanien,
                Portugal und den Mittelmeerländern. Aber Bataten aß der
                gute Mann nicht, obwohl er erkannte, daß die
                Süßkartoffel für die Ur-Einwohner eine wichtige
                Grundnahrungspflanze war.
                
                Schon am ersten Tag der Landung in der Neuen Welt, auf
                der Insel Guanahani, schreibt Kolumbus, er hätte bei den
                Eingeborenen Verletzungsspuren an deren Körpern gesehen
                und ihm sei durch Zeichen mitgeteilt worden, 
                
                »wie hierher Leute von anderen Inseln, die ringsherum
                lagen, kämen und sie einfangen wollten und sie sich
                wehrten.«
                
                Auf der Weiterfahrt zur späteren Isla Hispaniola warnen
                ihn an Bord befindliche Eingeborene vor den auf den
                Inseln lebenden 
Caniba. Las Casas schreibt nach
                dem Tagebuch des Kolumbus (11. Dezember 1492), daß 
                
                  »Caniba nichts anderes ist als das Volk des Gran Can,
                  der hier ganz nahe sein muß.« 
                  
                
                Das traf sich gut, denn so konnte Kolumbus die Insel dem
                Herrschergebiet des 
Gran Can, des großen
                (chinesischen) Khan zuordnen – und da wollte er ja
                schließlich hin. Am 17. Dezember erhält Kolumbus einige
                Pfeile der Caniba; den Spaniern wird von Eingeborene
                gezeigt, daß ihnen einige Fleischstücke aus ihrem Körper
                fehlten; die 
Canibas hätten diese Fleischstücke
                gegessen. Doch Kolumbus glaubte nicht an die
                Menschenfresserei; auch an die hundsköpfigen Bewohner,
                die auf anderen Inseln leben sollten, glaubte er nicht.
                Dennoch wurde ohne jeden wirklich stichhaltigen Beweis
                ein Teil 
der auf den Inseln lebenden
                Menschen, die 
Caniba oder 
Cariba, als
                Menschenfresser bezeichnet, deren Vernichtung
                gottgefällig 
war. 
                
                Den peruanischen Indianerstämme, denen Menschenopferei
                unterstellt wurde und deren Versklavung religiös
                begründet wurde. José de Acosta schreibt über eine
                ritualisierte Massenveranstaltung aus Anlaß des Todes
                von Inka Huayna Capac, daß »über tausend Menschen,
                darunter auch Kinder, getötet« wurden, aber er schreibt
                
nicht, daß es bei diesem Fest Kannibalismus
                gegeben habe; die Getöteten glaubten sich »vo
m Glück begünstigt« und starben »ganz
                und gar freiwillig« – die Alternative war die
                Versklavung durch die spanischen 
Eroberer.
                
                Die frühen Anthropologen und Entdecker Amerikas gingen
                von der These aus, daß sie in der N
euen
                Welt die Morgendämmerung Europas, wiederfinden würden
                und verglichen die Indianer-»Stämme«, die »Primitiven«,
                mit den alten Griechen; der Vorwurf der »Menschen
fresserei«
                war jedoch auch ein politisch motivierter 
Grund, die Ur-Einwohner wie (oder
                schlechter noch als) Tiere zu behandeln und die
                moralisch-theologische Begründung für die 
Sklavenhaltung in den
                Silberbergwerken Südamerikas. 
                
                Und noch ein Punkt: Wo immer Kolumbus hinkam,
                überfremdete er – und nach ihm die anderen Eroberer
                aller europäischen Länder – die alten
                einheimisch-indianischen Orts-
Bezeichnungen
                und ersetzte sie aus eigener Machtvollkommenheit durch
                spanische 
Namen, streng nach der
                theologischen und weltlichen Hierarchie: Die erste
                Insel San Salvador (Erlöser), die zweite Santa Maria, an
                dritter Stelle wurde dem König eine Insel (Fernandina)
                getauft, dann eine Insel für die Königin Isabel und das
                fünfte Eiland schließlich bekam die wahnsinnige
                Kronprinzessin Juana. Papst Alexander VI. bekam kein
e Insel gewidmet, aber ihm soll eine
                der von Kolumbus mitgebrachten Indianerinnen als
                Geschenk gereicht worden sein, bei der sich der Papst
                seiner 
Missionarsstellung bewußt
                wurde. Und der Inkubus (oder war’s der Succubus?) tat
                mit ihr, was er wollte. Selbst der niedere Klerus wurde
                nicht vergessen: Eine Insel wurde nach dem spanischen
                Kloster Montserrat benannt und konnte sich aus den
                Erträgen eine Druckerei leisten. So bekam jeder seinen
                Anteil, obwohl das Gold und die anderen Schätze
                interessanter waren. 
                
                Das, was Kolumbus, »Gouverneur von Indien«, und die vom
                ihm befehligten Spanier in der Karibik praktizierten,
                wurde einige Jahrzehnte später von den Engländern in
                Virginia wiederholt: Auch hier lehnten die Kolonisten in
                Jamestown die einheimische Süßkartoffel und den Mais ab
                und litten deshalb Hunger, auch hier wurde
                rücksichtslos die Na
tur zerstört,
                auch hier wurden Kolonien wegen der Unfähigkeit der
                Europäer, im Einklang mit der Natur zu leben, wieder 
aufgegeben. Henning Heske: 
                
                  »Ehe man sich versah, waren ungezählte Kulturen, Tier-
                  und Pflanzenarten vernichtet.«
                  
                
                Die spanischen Kolonisten in Mittel- und Südamerika
                orientierten sich anfangs ausschließlich an den in
                Mittel- und Südamerika vermuteten Gold- und
                Silberschätzen; Ackerbau und Viehzucht entwickelten
                sich nur dort, wo auch Bergwerke bestanden. 
                
                So wurde zum Beispiel am Fuße des Rico Cerro de Potosí,
                in den Anden (4000 Meter) die Verpflegung für die
                zeitweise einhundertsechzigtausend Einwohner (1650) aus
                dem gesamten südamerikanischen Raum herangeschafft und
                gab damit Anlaß zum Entstehen eines agrarischen
                Großraums. Auch an anderen Stellen in Mittel- und
                Südamerika entstanden großflächige Agrarräume, die
                Nahrung für die Bergwerke produzierten; achtzig Prozent
                des Grundbesitzes gehörten der Kirche, die
                siebzigtausend Kirchen und fünfhundert Klöster der
                verschiedensten Orden errichten ließ. 
                
                Für die in den Bergwerken, in Baumwoll- und Wollfabriken
                und auf den Landgütern der neuen Grundbesitzer, den
                »encomendores« (
encomienda: »Inobhutnahme« hieß
                das Zwangsarbeitersystem, in dem die spanische Krone die
                Tributleistungen der Indianer an einzelne Kolonisten
                abtrat), arbeitenden versklavten Ureinwohner – und nur
                für diese – griffen die Spanier auf die einheimische
                Kartoffel und auf chuños (in Quechua: charqui) zurück.
                Der Spanier Cieza de León beklagte, daß die chuños über
                die spanischen Zwischenhändler so teuer wurden, daß die
                »Erfinder« der Trocken-Kartoffel diese fast nicht mehr
                bezahlen konnten. Hans Sloane, Mitglied der Jesuiten
                (die eine positive Rolle spielten), berichtet 1693 nach
                seiner Rückkehr von einer Südamerikareise kritisch, daß
                diese doppelte Ausbeutung in allen Orten üblich war, an
                denen die Spanier Bergbau oder Landwirtschaft betrieben.
                
                
                 
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                Auf den westindischen Inseln (wie später auf dem
                südamerikanischen Festland) wurde die ortsansässige
                Bevölkerung vernichtet, von den Spaniern euphemistisch
                »pacificació
n« genannt.
                Gewalt-tätige Auseinandersetzungen (bis weit ins
                17. Jahrhundert), Die Zwangsarbeit auf den Plantagen und
                die eingeschleppten 
Seuchen4verminderten
                die Zahl der Ureinwohner: 506 Jahre – 1998 – nach dem
                ersten Betreten amerikanischen Bodens durch Spanier
                haben die Nachfahren honduranischer Ureinwohner in
                Tegucigalpa Kolumbus symbolisch zum Tode verurteilt. 
Mit Kolumbus habe – so heißt es in der
                Urteilsbegründung – das »Zeitalter der Völkermords,
                der Grausamkeit und der 
Sklaverei«
                begonnen. Die spanische Botschaft in Honduras (und in
                anderen Ländern) feiert jedoch weiterhin ungerührt und
                wie jedes Jahr den »Tag der Hispanität«, bis wohl die
                letzten Indianer in der Masse der eingefüh
rten
                Negersklaven verschwinden. 
                
                Afrikaner und 
»Indios« verbanden
                ihre animistischen Vorstellungen zum »Vodoun«, zum
                »Voodoo«, eine in sich schlüssige Erklärung der Welt und
                des Kosmos. Jean Jacques Rousseau behauptete rund zwei
                Jahrhunderte später, das Leben eines »Wilden« sei am
                wenigsten unglücklich, denn der Wilde kenne nicht die
                eleganten Vergnügungen der kultivierten Gesellschaft
                als Ausgleich für sein Mißgeschick, die Möglichkeiten
                an Unterhaltung in einem Indianerstamm seien kaum der
                Rede wert: So kann es formuliert werden. Oder: Das
                Fernsehprogramm ist auch nicht besser. 
                
                Da die »Indianer« »mit ungenügender Intelligenz und
                Vernunft begabt« waren, entgingen sie der formalen
                Inquisition (ursprünglich war nur eine »Untersuchung«
                gemeint), die 1610 in Mexiko begann und bis 1820
                ausgeübt wurde. Noch zweihundert Jahre später meinten
                holländische Missionare im Norden Amerikas, daß die
                Indianer »unkultiviert und dumm wie Zaunpfähle«
                seien.
                
                Aber es war auch nicht nötig, die südamerikanischen
                Ureinwohner der möglicherweise langwährenden
                Einzel-Inquisition zu unterwerfen, denn wirtschaftlich
                konnten sie ausgebeutet werden und militärisch waren sie
                keine Gefahr mehr. Die Beraubung der Menschen, des
                Kontinents und seiner Reichtümer war ohne das »Heilige
                Offizin« effizienter.
                 
                
                 
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                Anmerkungen
                
                 
                
                1 Die spanische Küche war noch bis weit ins 16.
                Jahrhundert arabisch geprägt, bis der französische
                Einfluß stärker wurde und andererseits die französische
                Küche spanisch beeinflußt wurde.     
                          
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                2 Hierzu ein passendes Zitat aus der »ZEIT«: »Wenn
                Männer Segel hissen für das Krieg oder Forschung
                genannte Leben, müssen Frauen manchmal nach dem
                Tränentuch greifen.« Cortés nach der Verbrennung seiner
                Schiffe: »Das ist es eben, was wir suchen, große Schätze
                und große Gefahren.«  
                
                Und noch ein Zitat: »Das Meer – unendliche Weiten. Wir
                schreiben das Jahr 1492. Dies sind die Abenteuer des
                Segelschiffs Santa Maria, das mit einer vierzig Mann
                starken Besatzung ein Jahr unterwegs ist, um neue Welten
                zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen.
                Viele Seemeilen von Spanien entfernt dringt die Santa
                Maria in Gebiete vor, die nie zuvor ein Mensch gesehen
                hat.« Als Trekkie wissen Sie, was hier zitiert wird.
                
                
                Und ein Gedicht von Durs Grünbein:
                
                  Ein Fisch, der fliegt – so fing Kolumbus’ Traum
                  
                  An einem Morgen an, mit einem Willkürakt.
                  
                  Ist da ein Indien, das westwärts liegt, 
                  
                  Sticht man von Spanien aus in See?
                  
                  Er sah, und traute seinen Augen kaum.
                  
                  Wie aus dem Wasser Fische steigen. Neptuns Vögel,
                  
                  Schrieb er in Tagebuch. In Wüsten Schnee
                  
                  Entdecken war gewöhnlicher als diese Tiere,
                  
                  Die aus den Wellen schnellten wie von Bögen
                  
                  Die Pfeile jener Wilden, die er nackt
                  
                  Am andern Ufer fand und Indios nannte.
                  
                  Was las er auf den Helmen seiner Kanoniere,
                  
                  Stumm nach der Landung? Dieses Unbekannte
                  
                  War ihm unheimlich wie ein Fisch, der fliegt. 
                               
                               
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                3 Heute ist Palos ein verschlafenes Städtchen (denn der
                Hafen ist versandet), das von der Erdbeerproduktion
                lebt. So hat sich doch durch diese amerikanische Frucht
                die Reise nach in die Neue Welt gelohnt.    
                               
                      
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                4 So hat’s Horace Greeley (1811–1872), ein
                amerikanischer Buchdrucker und Druckereibesitzer,
                gesagt. In einem Leitartikel in seiner »New York Daily
                Tribune« schrieb er im Juli 1843, die Fahrten in den
                Westen hätten »einen Beigeschmack von Wahnsinn. Unter
                diesen Menschen befindet sich wahrscheinlich kein
                Einziger, dessen Lebensumstände sich durch diese
                gefährliche Reise verbessern werden.« Greeley meinte
                hiermit mitnichten Indien (aber die Aussage träfe auch
                auf die Reise von Kolumbus zu), sondern nur die
                westlichen Bezirke von Illinois an der bereits
                besiedelten amerikanischen Ostküste beschrieb.  
                               
                               
                
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                5 Das Wort »Não« bedeutet Schiff; ein solches Não hatte
                ein oder zwei Masten und wurde mit Rahsegeln
                angetrieben. An der Wende ins 16. Jahrhundert war es
                zumeist ein Frachtschiff, später wurden Nãos auch als
                Kriegsschiffe eingesetzt.        
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                6 Sevilla besaß das Monopol für alle aus Neu-Spanien
                einkommenden Waren; der Reichtum der Stadt verhinderte
                jedoch nicht, daß etwa siebzig Prozent der Bevölkerung
                weiterhin arm blieb und von ihrem Tageslohn gerade das
                Nötigste bestreiten konnten. Spaniens Wohlstand
                versickerte im Kampf für die Inquisition und für das
                riesige stehende Heer. Über Sevilla hieß es: 
                
                
                  »Wer es nicht gesehen hat, hat keine Wunder gesehen.«
                  
                
                An dieser Stelle soll daran erinnert werden, daß die
                Spanier in den knapp einhundertfünfzig Jahren von 1503
                bis 1660 etwa 18.500 Tonnen Silber und zweihundert
                Tonnen Gold – nach heutigem Wert mehr als 3,5 Milliarden
                Mark – nach Europa verbracht haben (und damit eine
                Silber-Inflation von zweihundert bis fünfhundert
                Prozent in Europa auslösten und den Berufszweig der 
Kipper
                oder 
Wipper begründeten); in dem Jahrzehnt von
                1591 bis 1600 wurden zum Beispiel pro Jahr Produkte mit
                einem Wert von achthundert Millionen Marivedis nach
                Spanien importiert; das entsprach den Jahreseinkommen
                von rund achtzigtausend Handwerkern. Der
                Franziskaner-Pater Bernardino de Sahagún (1499–1590)
                über die Eroberer: »Wie Affen griffen sie nach Gold und
                befingerten es, sie wühlten wie hungrige Schweine nach
                Gold.« 
                
                 Spanien verließ sich auf das Gold aus seiner
                Kolonie und verzichtete auf eigene Arbeit und
                Produktion; es wurde und blieb arm, weil es im 16.
                Jahrhundert zuviel Geld hatte.
                
                 Der Agrarhistoriker Wilhelm Abel weist daraufhin,
                daß die Inflation im Durchschnitt jährlich nur 4,3
                Prozent ausmachte und diese Inflation bereits vor Beginn
                der Silber-Transporte einsetzte. Aus Balingen wird
                1601 berichtet, daß in den Teuerungsjahren »viele rauhe
                und felsige Böden ausgereutet und umgerissen« worden
                seien, was den späteren Anbau mit der genügsamen Knolle
                begünstigte.             
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                7 Der ursprüngliche Name der »Niña« war »Santa Clara«;
                Eigner des Schiffes war Juan Niño aus Mogúer in Huelva,
                Südspanien, der auf der ersten Fahrt nach Amerika als
                Schiffsmeister mitfuhr; später wird Kolumbus Miteigner
                der »Nina«. Die »Pinta« war Eigentum von Christóbal
                Quintero aus Palos, der das Schiff auf der ersten Reise
                Kolumbus begleitete (man will ja sehen, wo sein Geld
                bleibt, denn ein Schiff ist bekanntlich wie ein Faß ohne
                Boden). Eigner der »Santa Maria« war Juan de la Cosa,
                der als Schiffsherr mitfuhr; es war – wie man sieht –
                eine privat finanzierte (public-private partnership
                heißt so etwas heute) Entdeckungsreise. Der Historiker
                Hellmut Diwald bezeichnete die damalige Welt als »ein
                Objekt, das von iberischen Schiffskielen« beherrscht
                war.             
                               
                            
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                8 Martin Mosebach in »Der Nebelfürst« schildert die
                Situation wohl wie sie war: »Man sagt, Messer Cristóbal
                Colón habe die Mannschaft seiner Santa Maria in den
                andalusischen Gefängnissen werben müssen. Hidalgos, die
                Ehre und Vermögen im Spiel verloren hatten,
                Messerstecher, Duellhansel, Taschendiebe,
                Vergewaltiger, Pfaffen, die ihr Gelübde gebrochen
                hatten, hätten sein Schiff vollgemacht.«
                
                 Unter »erster Fahrt nach Amerika« ist hier zu
                verstehen die Kolumbus-Reise. Wir wissen ja, daß bereits
                um das Jahr 1000 herum Leif, Thorvald und Frejdis
                Eriksson (die Kinder von Erik dem Roten) bei den
                Indianern, den 
skr½lingar, waren, aber für eine
                dauerhafte Besiedlung des 
Straumfjörnr nicht
                lange genug lebten. Ein Jahrhundert später waren alle
                tot. Das 
vinland war für eine Besiedlung zu
                rauh. Noch kann man sich nur auf die »Eiríks saga rauna«
                stützen, aber vielleicht findet man noch die Reste ihres
                Schiffes 
Leifsbunir. Als – so die Saga von Erik
                – die Wikinger an Land gingen, stiegen Männer aus ihren
                Kanus und starrten sie an: »Sie waren dunkelhäutig und
                sehr häßlich, ihr Haupthaar war scheußlich; sie hatten
                große Augen und breite Wangen.« Die Europäer nannten sie
                
skr½lingar, Minderwertige. Im Jahr 1121 brach ein
                anderer Erik, Bischof von Grönland, auf, das 
vinland
                zu suchen. Bischof und Vinland gingen verloren.
 
                
                Unter »erster Fahrt nach Amerika« ist auch nicht zu
                verstehen, daß der chinesische Admiral Zheng He Schiffe
                aussandte, die mit schwangeren Konkubinen an Bord am 26.
                November 1421 auf der heutigen Insel Guadeloupe
                landeten, die Frischwasservorräte ergänzten und sodann
                vor den Kannibalen flüchteten, um etwas später in der
                Nähe von New Jersey ein Dorf zu gründen. Und angeblich
                hätten Chinesen in Mittelamerika Hühner gezüchtet und
                auf den Falkland-Inseln Sellerie gegessen. In etwa 6000
                Abhandlungen geistern weitere Amerika-Entdecker herum,
                wie z.B. der Pole Jan aus Kolno oder die »Zeni«Brüder
                aus Venedig.            
                               
                
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                9 1768 muß James Cook (1728–1779) erfolgreich
                protestieren, weil man ihm entsprechend den damaligen
                Sitten in der englischen Kriegsmarine einen Koch auf die
                Reise mit der »Endeavour« mitgeben wollte, der »hinkte
                und entstellt« war. Cook bekommt als Ersatz John
                Thomson, dem die rechte Hand fehlte. Das war die
                Einstellung zur Verpflegung der Mannschaften an Bord.
                und nicht die sechsprozentige Beschäftigungspflicht von
                Schwerbehinderten in Wirtschaft und Verwaltung. Unter
                diesen Umständen ist verständlich, daß Köche die
                »Schmutzigen« waren, die
 smutjes, da sie doch
                ihre vom Kartoffelschälen bestaubten Hände an der
                Kleidung abwischten und diese wiederum nicht wechselten.
                In einem »Amtsblatt der freien und Hansestadt Hamburg«
                des Jahres 1887 wird angeordnet: »Auf jedem Schiff muß
                mindestens ein erfahrener Koch für die
                Zwischendeck-Passagiere sich befinden«.   
                          
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                10 Piper nigrum ist ursprünglich eine südindische
                Pflanze, die wie Efeu auch hohe Bäume erklettert. Sie
                trägt beerenartige, würzig und scharf schmeckende
                Früchte.         
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                11 Der Römer Martial: »Ist die Gattin betagt und sind
                dir die Glieder erstorben, können die Zwiebeln dich nur
                sättigen, anderes nicht.«        
                              
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                12 Türken und Maghrebiner verehren noch heute die Feige
                als Symbol der Fruchtbarkeit und des Wohlbefindens. Als
                Daumen zwischen Mittelfinger und Zeigefingers geklemmt,
                penetrierte die römische »fica«-Geste Europa, bis dieser
                eindeutige sexuelle Antrag von den Missionaren als
                »obszön« verdammt wurde. Alles wie bei der Kartoffel
                oder so ähnlich. Was bedeutet der in vielen Haushalten
                wachsende »Benjamin« aus dem nächsten unmöglichen
                Kaufhaus? Mrs. Patrick Campbell, Schauspielerin und
                Vertraute von George Bernard Shaw stellte fest: »Es ist
                unwichtig, was man im Schlafzimmer treibt, solange man
                es nicht auf der Straße tut und die Pferde scheu macht«.
                          
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                13 Die Agrarlandschaft des Mittelalters und insofern das
                Nahrungsmittelangebot einer weithin auf Selbstversorgung
                beruhenden Dorf- und (Ackerbürger-)Stadtbevölkerung war
                auch in deutschen Landen eintönig. Roggenbau beherrschte
                die Flächen der Dreifelderwirtschaft. Gartenland nahm
                höchstens zwei bis drei Prozent des Ackerlandes ein. Man
                aß Schwarzbrot und Mehlspeisen, meist in Gestalt von
                Suppen, die man in einem großen Kesseln über der
                Feuerstelle kochte. Von Gemüsesorten und Obst in
                Deutschland wissen wir nichts vor dem 9. Jahrhundert
                (Gurken, Kohl, Lauch, Karotten, Portulak, Rettich,
                Kopfsalat, Sellerie bzw. Apfel, Aprikose, Birne, Walnuß,
                Pfirsich, Pflaume, Kirsche). Im 12./13. Jahrhundert
                traten dazu Feldsalat, Kohlrabi, Rote Rüben sowie
                Zwetschge und Stachelbeere, im 15. Jahrhundert der
                Spinat und die Rote Johannisbeere.     
                            
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                14 Welche Wege schon manche »normale« Gewürze hinter
                sich hatten, ist auch daraus zu erkennen, daß in
                Nordbayern Safran aus den Abruzzen und Südfrankreich
                geholt wurde. Pfeffer wurde in Lemberg beschafft.
                Nelken, Muskat, Zimt kamen über Lissabon nach
                Deutschland.            
                    
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                15 Bereits 1575 erschien in Italien ein Kochbuch des
                ersten Leiters der päpstlichen Bibliothek Bartholomeus
                Sacchi (genannt Platina di Cremona): »De honnesta
                voluptate et valitudine«, was heißen mag: »Von der
                ehrbaren Wollust und dem Wohlbefinden«. Sacchi war
                Geistlicher, Humanist und Historiker und mehrmals im
                päpstlichem Auftrag in Spanien gewesen. Sein Buch ist
                das erste gedruckte Werk, das sich mit kulinarischen
                Dingen befaßt, und da signalisiert gleich der Titel,
                worum es geht.           
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                16 Hauptbestandteil von Soßen war ein Saft aus Trauben
                oder Äpfeln, Wein, Essig. Die Säure wurde gemildert
                durch Süßstoffe wie Honig: Eine süß-saure
                Geschmacksrichtung war nördlich der Alpen vorherrschend
                – wie heutzutage Gericht Nr. 23 auf der Speisenkarte
                chinesischer Restaurants.        
                          
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                17 Erst 1510 ist auf dem Jagiellonischen Weltglobus der
                neue Erdteil Amerika berücksichtigt. Die Herstellung
                von Globen wurde Haupterwerbszweig der frühen
                Geographen, da es modisch wurde, im trauten Heim einen
                Erdapfel aufzustellen. Und für die junge Druckindustrie
                ward es auch ein Geschäft.
                
                 Der Geograph und Mathematiker Paolo dal Pozzo
                Toscanelli war der geistige Vater des Gedankens, einen
                direkten Seeweg nach Indien, ins westliche Gewürzland
                zu finden. Es wird angenommen, daß Kolumbus eine
                Abschrift eines Briefes von 1474 besaß, den Toscanelli
                an den portugiesischen Königshof geschrieben hatte. In
                diesem Brief wird über die Orientreisen Marco Polos und
                anderer Entdecker Bezug genommen und er enthält eine
                Beschreibung des Weges, wie man auf dem westlichen
                Seeweg nach Indien gelangen könne: Zuerst käme man ins
                mythische Antilia, dann nach Cipangu, und von da sei es
                nur eine kurze Wegstrecke zum asiatischen Festland, zu
                den Gewürzen und Edelsteinen. Dem Brief liegt auch eine
                Kopie einer Karte bei, auf die sich Kolumbus später
                häufig bezieht.  
                
                Auch das Buch des Bischofs d’Ailly »Imago Mundi«
                beeinflußte den Kolumbus, denn d’Ailly zitiert »Laut
                Aristoteles sind das Ende des bewohnten Landes im Osten
                und das Ende des bewohnten Landes im Westen einander
                ziemlich nah, und zwischen ihnen liegt ein kleines Meer,
                das man in wenigen Tagen durchqueren kann.«. Und das
                »Historia rerum ubique gestarum« von Enea Silvio
                Piccolomini, dem späteren Papst Pius II. (1405–1464) ,
                der sich schon über Gutenbergs Druckkunst bewundert
                geäußert hatte. Kolumbus berücksichtigt in seinen Plänen
                sogar »Antiquitates Judaica« von Flavius Josephus
                (37–100) – und der war immerhin schon rund 1400 Jahre
                tot.        
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                18 Tomás de Torquemada (1420–1498) war jüdischer
                Abstammung und gehörte zu den Conversos; er trug
                wesentlich zu dem Ausweisungsedikt der spanischen Könige
                bei. Torquemada war Mitbegründer des Klosters Santo
                Tomás in Ávila, nordwestlich von Madrid, dessen Bau zum
                Teil aus konfiszierten jüdischem Eigentum bestritten und
                schon 1493 beendet wurde. Er starb 1498 in diesem
                Kloster und wurde auf dem Klosterfriedhof beigesetzt,
                den zweihundert Jahre später ein Brand zerstörte: Der
                Organisator der Inquisition, der Tausende von Juden und
                Konvertiten auf den Scheiterhaufen zu Tode brachte,
                wurde nachträglich selbst ein Opfer der Flammen – Rache
                des historischen Zufalls.  
                
                Im Kloster Santo Tomás ging Teresa (de Jesús) von Ávila
                beichten, jene Frau, die in Ávila das Kloster San José
                gründete und von dort aus die Karmeliter reformierte:
                Besitzlosigkeit, Leben in Klausur, Gebet in der Zelle,
                ausgedehntes Fasten, Barfüßigkeit; es bildeten sich die
                »Unbeschuhten«, die wiederum die Kartoffel nach
                Nord-Italien brachten. Denn die Kartoffel, ohne Zutaten,
                spiegelt die Bedürfnislosigkeit wie keine andere
                Nahrungspflanze. So schließt sich der Kreis. 
                            
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                19 1481 ließ der Beichtvater Isabels etwa zwölftausend
                Juden als Glaubensakt (
actus fidei) öffentlich
                verbrennen, was Francisco Rizis zu seinem Bild »Auto de
                fe en la Plaza Mayor de Madrid« inspirierte. 1492 wurden
                auf Veranlassung von Kardinal Cisnero am Birrambla-Tor
                von Granada die Schriften des Islams und des Judentums
                und dann die Menschen verbrannt. Hier in Granada siegte
                das Abendland über den Islam. Zwei morgenländische
                Religionen verschwanden aus Spanien; nur das
                Christentum, die dritte aus dem Morgenland zu uns
                Europäern überkommene Religion, blieb bestehen. Walter
                Laufenberg in »TransAtlantik« 8/2001: »Man ist gar nicht
                auf den Gedanken gekommen. Verständlich: Die Leute waren
                ja splitternackt unter den christlichen
                Schafpelzen.« 
                
                Das Ausweisungsedikt von Isabel und Hernando war der
                Höhepunkt eines schon Jahrhunderte dauernden
                »Bekehrungskampfes« des spanischen Katholizismus.
                Die zwangsweise getauften (und damit bekehrten) Juden,
                »Anussim« (die »Gezwungenen«) oder »conversos« genannt,
                waren dennoch nicht vor christlicher Verfolgung
                geschützt, da man ihnen unterstellte, weiterhin am
                jüdischen Glauben festzuhalten. 
                
                 Die Vertriebenen flüchteten erst nach Portugal und
                dann ins Osmanische Reich (wo Sultan Bajazet II. ihnen
                religiöse Freiheit, rechtliche Sicherheit und
                wirtschaftliche Perspektiven bot), auch ins heutige
                Bosnien-Herzogewina. Sarajevo wurde »Yerusalayim chico«,
                Klein-Jerusalem, genannt. Natürlich durften die
                Flüchtlinge nur mitnehmen, was sie selber tragen
                durften. Mitnahmen sie aber auch die Sprache, die später
                als »Ladino«, als »Judeo-Español«, »Djudio«,
                »Spaniolisch«, »Ramance« oder »Gjudezmo« bezeichnet
                wurde und sich als Handelssprache aller Kaufleute
                entwickelte, die als Fernhändler am Mittelmeer Handel
                trieben. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde
                »Ladino« durch französisch allmählich abgelöst; heute
                erscheinen zwar noch Bücher in dieser Sprache (in
                Belgrad, Istanbul, Athen und Jerusalem und neuerdings
                auch in Valencia und Barcelona), aber – anders als
                früher – in lateinischen statt in hebräischen
                Buchstaben. Das heutige Ladino ist eigentlich keine
                Sprache mehr, sondern nur die Erinnerung an eine
                historische Epoche. Das Judentum des Balkans war bis zur
                Vertreibung der Türken aus Bosnien sephardisch, denn
                »Sefarad« bedeutete Spanien – wo die Juden seit der
                Zerstörung ihres Tempels im Jahre 70 n. Chr, durch die
                Römer bereits gesiedelt hatten. 
                
                Die Nationalbibliothek von Sarajevo bewahrte die
                Handschriften und frühen Drucke auf, die dazu beitrugen,
                daß West-Europa die Kultur des Islams kennenlernte;
                serbische Nationalisten schossen diese Bibliothek
                vorsätzlich in Brand und vernichteten über 600.000
                unersetzbare Bücher – 500 Jahre nach der Verbrennung der
                jüdischen Bücher am Birrambla-Tor in Granada (auf
                Anweisung Kardinals Cisnero). Heute wie damals sollte
                die Erinnerung an den Islam ausgelöscht werden.
                
                 Die Spanier nannten ihre jüdisch-gläubigen
                Mitbürger auch »Maranos«, Schweine; in deutscher
                Literatur wird bisweilen der Begriff »Marranen«
                verwendet: Gedankenlosigkeit oder Absicht? Ferdinand von
                Aragonien und Isabella von Kastilien vereinheitlichten
                ihr gemeinsames Reich durch die Instrumentalisierung
                religiöser und kirchlicher Angelegenheiten. Da störte
                die jüdische und muslimische Bevölkerung. Trotz Taufe
                wurden die christlichen Nachkommen von Juden in ihren
                sozialen und wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen durch
                die Regeln der »limpieza de sangre«, der Reinheit des
                Blutes, eingeschränkt. Der Maler Alonso Cano (1601 in
                Granada geboren) war derart judenfeindlich, daß er seine
                Jacke sofort auszog und nie wieder trug, wenn ihn auch
                nur ein getaufter Jude nur am Ärmel berührt hatte.
                
                 Die Nachkommen der Muslime, die Moriskos (bedeutet
                Fliegen), wurden nicht so stark kontrolliert, da sie
                sich auf der untersten Stufe der wirtschaftlichen
                Gesellschaft befanden. Die Inquisition beschränkte sich
                bald nicht mehr auf konvertierte Juden, sondern
                verfolgte auch getaufte Mauren, Abweichler aller Art,
                Protestanten, Hexen sowieso, Vagabunden, Zigeuner und
                alle – wie Goya später unter eines seiner »Caprichos«
                schrieb –, die ihre Zunge etwas anders bewegten.
                
                 Bis zum Ende des osmanischen Reiches 1923
                unterhielt Spanien besondere Beziehungen zu seinen
                ehemaligen Untertanen; sie galten als »Elite der
                jüdischen Rasse«, da sie durch ihren langen Aufenthalt
                in Spanien »veredelt« seien und im übrigen den
                spanischen Handelsinteressen nutzten. Sie galten als
                »Schutzgenossen«, waren der osmanischen Gerichtsbarkeit
                entzogen und der Hoheit des jeweiligen spanischen
                Konsulats unterstellt.  
                
                Nach 1923 (bis 1930) bot Spanien den Nachfahren seiner
                ehemaligen Bürger an, die spanische Staatsbürgerschaft
                anzunehmen. Während der Nazi-Zeit (Januar 1943) forderte
                die deutsche Regierung Spanien auf, die (etwa 175.000)
                sephardischen Juden »heimzuholen«, aber die spanische
                Bürokratie ermöglichte nur weniger als 5.000 Menschen
                die Rettung vor der Deportation in die Gaskammern. 
                
                 König Juan Carlos von Spanien wiederholte Ende der
                1990er Jahre also ein Angebot, als er veranlaßte, daß
                allen bosnischen Sepharden, die im Gefolge der
                Mordereien beim Zerfall Jugoslawiens nach Spanien
                möchten, die Einreise ermöglicht und ihnen, sofern sie
                es wünschten, die spanische Staatsbürgerschaft verliehen
                werde.              
                    
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                20 Das Mittelalter – so legte man fest – begann im Jahr
                375, dem Beginn der Völkerwanderung, oder vielleicht
                erst 476 mit der Absetzung des weströmischen Kaisers
                Romulus Augustulus durch Odoaker und endete 1492 oder
                auch erst mit der französischen Revolution 1789. Alfred
                Kerr meinte, in Großbritannien habe das Mittelalter erst
                mit dem Tod Oscar Wildes, 1900, geendet.   
                              
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                21 Kolumbus stand angeblich auf dem Achterkastell, will
                Land gesehen haben und notiert in sein Logbuch: »Es war
                wie eine kleine Kerze, die auf und niederstieg.«
                DaKolumbus die Entfernung zwischen Lissabon und Cipangu
                mit 5.000 km angab, mußte er zum Beispiel stets weniger
                Seemeilen ins Bordbuch eintragen als er tatsächlich an
                einem Tage gesegelt war. Als die Fahrt an der Südküste
                Kubas keinen Zweifel am Inselcharakter mehr erlaubte,
                ließ er die Mannschaft antreten und schwören, Kuba als
                einen Teil des asiatischen Festlandes identifiziert zu
                haben. Und so stand es denn auch im Tagebuch. Bei
                Kolumbus gilt vielfach: Logbuch – Lügenbuch. 
                              
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                22 Dan Quayle, US-Vizepräsident unter Bush senior,
                schrieb mal in einer Schulklasse »potato« als »potatoe«
                an die Tafel, was die amerikanischen Schüler sehr
                verwunderte und die wenigen Intellektuellen der USA zu
                hämischen Bemerkungen hinriß. Bush sprang seinem Vize
                sofort bei und erklärte, Quayle hätte beim Schreiben an
                der Schultafel an die alte englische Schreibweise
                erinnern wollen, denn bereits Chaucer hätte potato mit
                »e« geschrieben.  
                
                Darauf lachten die Intellektuellen noch mehr. Damit
                wollte Bush doch nur mitteilen, daß er nicht irgendein
                ungebildeter Öl-Millionär aus Texas war, sondern sich
                sogar in der alt-englischen Literatur auskannte. Nur:
                Geoffrey Chaucer wurde geboren um 1340 und starb 92
                Jahre vor der Entdeckung Amerikas. Das muß man aber
                nicht wissen.           
                        
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                23 Kolumbus nannte seine Aufschreibungen »Diurnal«,
                Tagebuch. Im allgemeinen wird dieses Buch als »Diario
                del Primer Viaje« bezeichnet – nicht jedoch von Kolumbus
                selbst, denn das hätte ja bedeutet, daß er schon bei der
                ersten Fahrt ins Unbekannte gewußt hätte, eine weitere
                durchführen zu wollen. Von diesem Tagebuch wurde eine
                Abschrift für das Königshaus angefertigt; Original und
                Abschrift sind bisher nicht aufgefunden.  
                
                Das, was als Tagebuch von Kolumbus bezeichnet wird, ist
                ein Auszug, den Bartolomeo de Las Casas angefertigt
                hatte. Las Casas, hatte als Vertrauter der Söhne
                Kolumbus’ Zugang zu den Papieren. Der Text von Las Casas
                wurde erstmals 1825 gedruckt und damit einer breiteren
                Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Las Casas hat diesen
                Auszug teilweise in der Ich-Form geschrieben, wohl als
                direktes Zitat aus dem bei den Söhnen liegendem Original
                des Tagebuches, teilweise aber auch referierend, in dem
                er Kolumbus mit der Dritten Person als »el Almirante«
                bezeichnet (dem Titel, den Kolumbus erst nach seiner
                ersten Reise zugesprochen bekam) bzw. in indirekter
                Rede. 
                
                 Las Casas (1474–1566) erwarb 1502 auf Hispaniola
                Land und profitierte von dem encomienda-System. Nach
                seiner Weihe zum Priester 1515 entließ er die Indianer,
                die für ihn gearbeitet hatten und setzte sich von da an
                am spanischen Königshof gegen diese Zwangsarbeit ein.
                Später wandte er sich auch gegen die Sklavenarbeit der
                Afrikaner, deren Einsatz er ursprünglich befürwortete,
                weil er hoffte, damit die Indianer vor Ausbeutung zu
                schützen.           
                      
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                24 Bis zur Einführung von Hängematten auf Schiffen
                mußten die Matrosen und anderen untere Dienstgrade
                irgendwo, irgendwie, auf dem Deck oder unter Deck (was
                auch nicht besser war) schlafen.     
                              
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                25 Wie heißt es doch im Volksmund seitdem so treffend:
                »Man kann zwar arm, aber man muß nicht dreckig sein.«
                               
                  
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                26 Über die Indianer an der Küste Venezuelas schreibt de
                Las Casas »daß sie an allem rochen: an den Booten, an
                uns, an unseren Waffen, Ihr Geruchssinn, nicht ihre
                Augen, nicht ihre Hände, schien ihnen der verläßlichste
                Ratgeber zu sein.« 
                
                 Der US-Amerikaner Stephen L. Carter bezeichnet in
                seinem Roman »Schachmatt« »Neger« als Mitglieder der
                »dunkelhäutige Nation« und nennt die Abkömmlinge der
                Europäer »Angehörige der weißhäutige Nation«.
                
                 Die Bezeichnung »Rothäute« wird auf die vorwiegend
                rote kriegerische Bemalung zurückgeführt, auch könne es
                eine Abwandlung der »gente colorado« sein, eine
                Bezeichnung der spanischen Missionare. Die
                nordamerikanischen Indianer, die sich nicht als
                »Rothäute« ansahen, betrachteten sich als aus roter Erde
                geschaffene Menschen. Brockhaus sah 1864 die Indianer
                mit einem schwach ausgeprägten Begriffsvermögen
                ausgestattet, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß
                sie ihr Land teilweise freiwillig hergaben und sich den
                Besitz von Land nicht vorstellen konnten. »Yankee« soll
                von »Jan Kaas« kommen.        
                    
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                27 Im 17. Jahrhundert wurden die Indianer auch als
                verlorengegangene Juden angesehen; in Ecuador soll ein
                Reisender auf Ureinwohner gestoßen sein, die in seinen
                Ohren aus dem zweiten Buch Moses zitierten. Anderswo
                seien beschnittene Indianer getroffen worden, in
                Massachusetts wurde vom auserwählten Volk (der Indianer)
                gesprochen. Nun hatten die frühen Siedler aus Europa
                alle noch in Erinnerung, daß man bei den Juden
                regelmäßig ein Pogrom veranstalten konnte, und diese
                Menschenverachtung wurde auf die Indianer
                übertragen.           
                            
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                28 In der FAZ vom 10. August 1998: 
                
                »Zu den größten Fehlern, die die Alte Welt je begangen
                hat, gehört, daß sie den Indianern die beiden Amerika
                weggenommen hat. Nicht, daß wir an den Mythos vom edlen
                Wilden glaubten, aber zumindest hätten uns die Rothäute
                mit Hollywood-Schnulzen, Fleischklopsen in Wattesemmeln
                und dem Internet-Explorer 4.01 verschont. Es mag zwar
                1620 ein kurzfristiger Vorteil gewesen sein, daß wir die
                Puritaner auf humane Weise losgeworden sind, aber dafür
                müssen wir jetzt jedes Jahr Tantiemen in Millionenhöhe
                an Michael Jackson überweisen. Auch das Gold der Inkas
                hat unserer einheimischen Wirtschaft mehr geschadet als
                genützt.« 
                
                 Prägnanter kann man die Auswirkungen der
                Entdeckung nicht formulieren, wenn auch der Hinweis auf
                die allgegenwärtigen und fettigen Pommes (rot-weiß)
                fehlt.    
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                29 Der portugalfreundliche Papst Nikolaus billigte den
                Portugiesen in einer Bulle 1455 zu, die Länder der
                Ungläubigen bis an die Küsten Guineas zu erobern. Sixtus
                IV. teilte die Welt 1481 in zwei Teile und alles, was
                südlich der Kanarischen Inseln lag, wurde in der Bulle
                »Aeterii Regis« dem Königreich Portugal zugesprochen. Am
                4. Mai 1493 wird in der Bulle »Inter caetara divinae«
                die Welt von Papst Alexander VI. abermals geteilt;
                diesmal erhält Portugal alle Länder westlich des 38.
                Meridians, aber im Vertrag von Tordesillas (1494) wird
                die Teilungslinie um eintausend Kilometer nach Westen
                verschoben, und deshalb sprechen die Brasilianer
                portugiesisch und nicht spanisch. 
                
                 Elisabeth I. von England protestierte daraufhin,
                da »der Papst kein Recht hat, die Welt aufzuteilen und
                Königreiche zu geben und zu nehmen, wie es ihm gefällt.«
                Der Protest war erfolglos, da der Papst ja wohl schlecht
                auf diese Protestantin hören konnte; aber dieser
                Protest gab den Engländern das von nun an behauptete
                Recht, zu rauben zu und kapern. Wo immer und wann immer
                es sei.
                
                 Das sahen die Päpste natürlich anders: Nach der 
papalistischen
                  Doktrin hatte der Papst als Stellvertreter Gottes
                auf Erden einen unbeschränkten Machtanspruch über alle
                Menschen, und eine rechtmäßige Gesellschaft sei nur die
                Gemeinschaft der Gläubigen. Deshalb habe der Papst das
                Recht, über jene Gebiete und Staaten, die nicht
                rechtmäßig seien (also von Heiden bewohnt), zu verfügen
                und die Herrschaft über sie an einen christlichen
                Fürsten zu delegieren. William von Occam bestreitet
                diese Anmaßung und wird deshalb zum Papstsitz in Avignon
                vorgeladen, was er aber nicht tut. 
                
                 Die vollständige Titulatur eines heutigen Papstes,
                »Seiner Heiligkeit«, lautet: »Bischof von Rom,
                Stellvertreter Jesu Christi, Nachfolger des
                Apostelfürsten, Höchster Brückenbauer (Wegebahner) der
                Allgemeinen Kirche, Patriarch des Westens, Primas von
                Italien, Erzbischof und Metropolit der römischen
                Kirchenprovinz, Souverän des Staates der Vatikanstadt,
                Knecht der Knechte Gottes«.        
                          
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                30 Dagegen spricht auch nicht, daß es von dem
                portugiesischen Maler Vasco Fernandes, Grão Vasco
                genannt, ein Tafelbild aus dem Jahr 1505 gibt, auf dem
                der Heilige König Kaspar als indianischer Krieger
                dargestellt wird.         
                    
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                31 Der italienische Baukünstler Leon Battista Alberti:
                »Innerhalb der Stadt soll die Straße nicht gerade,
                sondern ... in weicher Biegung gekrümmt sein. Und wie
                schön wird es sein, wenn sich einem beim Spazierengehen
                auf Schritt und Tritt allmählich immer neue
                Gebäudeansichten darbieten.« Merket auf, Ihr Mannheimer
                und Karlsruher.      
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                32 Das »Bertelsmann Volkslexikon« knüpft an die
                NS-Rasseideologie an, wenn es noch im Jahr 1965 unter
                dem Stichwort »Bastard« kundtut:
                
                »(Mischling, Hybride, grch.) (der), ein Individuum, das
                aus der Vereinigung ungleicherbiger Geschlechtszellen
                hervorgegangen ist; ist fortpflanzungsunfähig, z.B. 
Mulatten
                (Weiße u. Neger),
 Mestizen (weiße u.
                Indianer).            
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                33 Süß, salzig, bitter, sauer, umami: Keine Speise
                gelangt ungeprüft in den Magen. Bei einem
                »ungewöhnlichen« Geschmack wird der Schluckreflex
                unterbrochen, denn die Chemorezeptoren auf der Zunge,
                aber auch am Gaumen, registrieren die Genießbarkeit.
                Warme Speisen auf der Zungenspitze schmecken süßer,
                kalte Speisen saurer oder bitterer; dieser
                Temperaturgeschmack – wie auch andere Geschmacksnerven –
                ist nicht bei allen Menschen gleich ausgebildet.
                Amerikanische Forscher sind der Auffassung, daß es noch
                einen sechsten Geschmack gibt: »fett«; das hängt
                wahrscheinlich mit den chips zusammen, die in Olestra
                kross gebacken werden. In China gibt es als sechsten
                Geschmack »Ma«, pikant.
                
                 Die Geschmacksknospen von Rauchern sind durch
                Nikotin und Teer nicht »beschädigt«, sondern entsprechen
                denen der Nichtraucher. Schon nach etwa 20 Minuten nach
                dem Rauchgenuß erreichen die Geschmacksnerven wieder
                ihre volle Sensibilität. Tröstlich zu wissen.  
                              
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                34 Der Seemann Rodríguez aus Jerez, von Kolumbus auf
                Tobago ins Landesinnere geschickt, entdeckte in dem Ort
                Gibara als erster Europäer den Genuß von Tabak. Die
                »Schornsteinmänner« – so erzählte Rodríguez dem Kolumbus
                – würden ein braunes Rohr in der Hand tragen, das an
                einem Ende brannte. Das andere Ende würden sie in den
                Mund stecken, kurz daraus trinken, wonach viel Rauch aus
                dem halb geöffneten Mund und den Nasenlöchern
                entströmte. Rodríguez war wohl der erste Raucher in
                Europa. Zurückgekehrt in seine Heimat soll ihn die
                Inquisition, die einen Menschen, dem der Rauch aus Mund
                und Nase kam, nur als vom Teufel besessen betrachten
                konnte, für einige Jahre ins Gefängnis gesteckt zu haben
                – eine Bestrafung, die im heutigen Kalifornien für
                Raucher ernsthaft erörtert wird. Von den spanischen
                Missionaren wurde Tabak als »stinkendes, lasterhaftes
                Teufelsgift« verdammt. 
                
                 Religiöser Wahn auf diesem Niveau ist auch in
                Afghanistan anzutreffen, wenn den Menschen, die eine
                sog. Ponyfrisur tragen, unterstellt wird, darunter den
                Teufel zu verbergen (deshalb sollten christliche
                Politikerinnen wahrlich prüfen, ob sie mit einer solchen
                Frisur amtieren können).        
                      
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                35 Petrus Martyr de Angleria (Pedro Anghiera), ein
                Italiener, nennt sie später »Cannibali«. Andere Autoren
                nahmen diesen Begriff als Synonym für Menschenfresserei.
                Am 13. Januar 1493 landete Kolumbus auf Isla Hispanola
                und ließ dort eine Menge der dort wachsenden 
ajes,
                Süßkartoffeln, für die Verpflegung der Mannschaft holen.
                Jetzt sah Kolumbus erstmals einen dieser Caniba, »sehr
                sonderbar in seinem Aussehen ... das Gesicht ganz mit
                Kohle geschwärzt ... all seine Haare sehr lang und
                hinten zusammengezogen und gebunden ...so nackt wie die
                anderen.« Las Casas: »Der Admiral urteilte, daß er von
                den Caribes sein mußte, welche Menschen fressen.« Jetzt
                erklärte sich auch, warum Bewohner anderer Inseln auch
                eine Geschichte von einer Fraueninsel erzählten, wo
                doch diese Caniba ihre Haare lang trugen, »und daß es
                ein tollkühnes Volk sein muß, weil sie über alle diese
                Inseln hinziehen und die Leute fressen, die sie haben
                können.« 
                
                 Aufgrund der Bewaffnung der Caniba, Bogen und
                Pfeile ohne Metallspitzen, bestand kein Anlaß für die
                Spanier, diese zu fürchten. Ab dem 13. Januar 1493 geht
                Kolumbus davon aus, daß es in der Tat Menschenfresserei
                auf den Inseln geben müsse. Das paßte. Jetzt konnte man
                begründet gegen die Inselbewohner vorgehen, denn
                christlich war die Menschenfresserei wahrlich
                nicht.             
                      
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                36 Der amerikanische Ethnologe William Arens über den
                »Man-Eating Myth«: »Kannibalen existieren immer nur bei
                den unzivilisierten anderen Völkern.« Der Vorwurf der
                Menschenfresserei galt und gilt wechselseitig: Die
                Nootka in Nordwestkanada vermuteten diese Sitte bei den
                Europäern und beachteten bei Besuchen auf den Schiffen
                der Weißen deshalb stets besondere Schutzmaßnahmen.
                Ludwig Feuerbach: »Der Mensch ißt, was er ist.« (oder so
                ähnlich). James Joyce weist andererseits daraufhin, daß
                »der weiße Missionar zu salzig (war). Wie gepökeltes
                Schweinefleisch.«Schon Kolumbus schrieb in seinem
                Tagebuch (als er die Süßkartoffel kennenlernte), daß die
                Indianer von Cubaguas über die Einwohner der Insel Bohio
                berichteten: 
                
                »Diese hätten nur ein Auge und eine Hundeschnauze und
                nährten sich von Menschenfleisch.«
                
                 Die spanische Krone sicherte in der ersten Hälfte
                des 16. Jahrhunderts allen gutgesinnten, friedlichen
                Indianern den Schutz der Regierung zu und gibt nur die
                feindlichen, mit Giftpfeilen schießenden und
                menschenfressenden Caribes den Sklavenjägern preis. Und
                damit dies keine allzu große Einschränkung bei der Jagd
                auf Menschen wird, erklärt man die gesamte Karibenküste
                als von den Caribes bevölkert.
                
                Gefunden in der »Berliner Zeitung«: »Kann sich jemand
                vorstellen, wie es im Inneren eines Kannibalen
                ausschaut, wenn kein Bürger durchrutscht, sondern ein
                Burger?«        
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                37 Der italienische Mediziner und Astrologe Girolamo
                Manfredi am Ende des 15. Jahrhunderts: »Es gibt kein
                Ding noch Speise, die der Ernährung des Menschen
                zuträglicher wären denn das menschliche Fleisch, wenn
                da nicht der Abscheu wäre, den die Natur davor hat.« Und
                1587 schreibt Baldassar Pisanelli im »Trattato della
                natura de cibi e del bere«: »Denn bei den Dingen, die
                Übereinstimmung und (wie man sagt) Symbolwert haben, ist
                der Übergang und die Verwandlung leichter.« 
                
                 Darauf fußend wurden die britische Rindviecher am
                Ende des 20. Jahrhunderts mit Rindermehl gefüttert, was
                zwar der menschlichen Gesundheit ab-, dem Geldbeutel
                der Bauern in Europa aber zuträglich ist. Die daraus
                entstandene Rinderkrankheit BSE wäre jedoch nicht auf
                den Menschen übertragen worden, wäre unter der
                britischen Thatcher-Regierung nicht gleichzeitig aus
                Gewinn-Maximierungsgründen die Temperatur bei der
                Sterilisierung des Rindermehls heruntergesetzt.  
                              
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                38 Die ersten Sklaven in Amerika machte Hernán Cortés
                bei der Niederschlagung eines Aufstandes der Tepeaca (in
                Mexiko) im Sommer 1520. An Kaiser Karl V. schreibt er
                zur Begründung seines Feldzuges: »Abgesehen davon, daß
                sie ... sich gegen Eure Majestät aufgelehnt hatten,
                essen sie Menschenfleisch.« Die Sklaven wurden mit einem
                »G« für Guerra (Krieg) gebrandmarkt. Da diese
                Brandmarkung im Gesicht die schönsten Frauen
                verunstaltete, wurden anfänglich nur alte und häßliche
                Weiber gekennzeichnet.         
                        
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                39 Im Nachhinein kann man sagen, daß der »Diebstahl« der
                alten Sach-Namen wie auch die Umtaufung des
                persönlichen Namens zur psychologischen Kriegführung
                gehört; mit der Zuordnung eines neuen Namens wird die
                bisherige eigene Persönlichkeit »wertlos« (deshalb im
                alten Eherecht die Übernahme des Mannesnamen, deshalb
                die Numerierung der Panzerknacker und in Gefängnissen,
                deshalb – am schlimmsten – die Einführung von Sarah und
                Isaak für jüdische Bürger in der Nazi-Zeit). Mit Hilfe
                der Sprache wird Wirklichkeit konstruiert, mit Hilfe der
                Sprache wurde jüdischen Bürgern eine »totale Rolle«
                übergestülpt. Von einer »totalen Rolle« spricht man,
                wenn alles, was ein Mensch tut, auf 
eine
                Eigenschaft, hier Jude zu sein, zurückgeführt
                wird.             
                    
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                40 Der Ethnologe Robert J. Priest hat die Wortgeschichte
                der »Missionarsstellung« rekonstruiert. Erstmals genannt
                wurde die »anglo-amerikanische
                Mann-oben-Frau-unten-Stellung« in »The Sexual Behavior
                in the Human Male« von Alfred Kinsey (1948), der sich
                auf Bronislaw Malinowskis Buch von 1929 »The Sexual Life
                of Savages in North Western Melanesia« beruft. Richtig
                ist, daß sich Bewohner der Trobriand-Inseln
                (Papua-Neuguinea) über die »anglo-amerikanische«
                Stellung von Kolonialbeamten, Pflanzern und Händlern
                lustig gemacht hätten. Nie sei jedoch in diesem
                Zusammenhang der Missionar erwähnt worden. Kinsey
                benutzt diese Geschichte, um das Bild des sexuell
                behinderten Priesters darzustellen. Der Begriff der
                »Missionarsstellung« ersetzte die bisherige Bezeichnung
                »Ehestandsstellung«. Seit Alex Comforts »The Joy of sex«
                (1972) ist der Begriff in den normalen Sprachgebrauch
                (als antikirchlicher Kampfbegriff) übergegangen. 
                               
                
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                41 Andererseits findet man erste Einsichten in
                ökologische Zusammenhänge in Nordamerika bei Humphrey
                Gilbert, der 1583 nach Nordamerika kam, um im Gebiet
                des heutigen New England eine Kolonie zu gründen.
                Gilbert, ein Halbbruder von Walter Raleigh, unterbrach
                seine Reise in Neufundland, dem Heimathafen einer
                internationalen Fischereiflotte, um sich mit neuem
                Proviant zu versorgen. 
                
                 Die Gründung einer Kolonie im Landesinneren
                mißlang, da der dichte Wald ein Eindringen ins
                Landesinnere verhinderte. Obwohl Gilbert
                vorgeschlagen wurde, den Wald einfach abzubrennen,
                lehnte er dies mit der Begründung ab, er hätte gehört,
                daß in einem ähnlichen Fall nach Abbrennen eines
                Waldes der Fisch aus den umliegenden Gewässern
                verschwunden sei. Heute weiß man, dies liegt an dem
                Terpentin, einem Destillat von Baumharz, das ins Wasser
                floß und dieses bitter gemacht hätte. Trotzdem: Bereits
                1640 waren an den Küsten von Massachusetts und
                Delaware keine Biber mehr zu finden; den Laubwäldern an
                der Küste ging es nicht besser.     
                      
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                42 »Virgin-soil«-Epidemien (wie man ansteckende
                Krankheiten unter zuvor davon nicht betroffene
                Bevölkerungsgruppen nennt) führen dazu, daß sie für den
                einzelnen extrem gefährlich sind und fast jeder, der
                mit einem Erkrankten in Berührung kommt, gleichfalls
                erkrankt und deshalb sich die Anzahl der gesunden
                Menschen drastisch verringert und weder Krankenpflege
                noch Feldbestellung aufrechterhalten werden kann. 
                
                 Schon Kant meinte, daß epidemische Krankheiten
                sich mit der Geschwindigkeit der Reisenden verbreite.
                Deshalb sind heutzutage Infektionen im Fernen Osten
                binnen weniger Tage auf der ganzen Welt verbreitet. In
                Zeiten knapper Kassen wäre es daher nach dem
                Verursacherprinzip richtig, die Reise- und
                Luftfahrtgesellschaften für die Folgen haftbar zu
                machen.             
                
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                43 Der bayerische Diplomingenieur Hermann Sörgel
                schrieb 1951 (!) in einer Veröffentlichung über das
                »Kongomeer«, welches das Mittelmeer bei Gibraltar
                abriegeln und damit langfristig das Mittelmeer
                trockenlegen sollte: 
                
                
                  »Wenn die Weißen Afrika auf Dauer organisieren wollen
                  ... besteht ein Interesse, Gegenden zu vernichten, wo
                  nur der Schwarze allein leben kann. Die Eingeborenen
                  ... sind Pygmäen, primitive zwergwüchsige Völker, zum
                  Teil Menschenfresser.« 
                  
                
                 Nun, auch das ist einer der Hinweise, daß die
                nazistische Geopolitik nahtlos in die Geisteswelt der
                Bundesrepublik übernommen werden konnte.    
                        
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                44 Heute werden die »Indios« als »Indígenas« oder
                »Campesinos« bezeichnet. Politisch korrekt sei – so der
                Vizepräsident der Interessenvertretung der Indios (
Conaie),
                Ricardo Ulcuango – »indígenas« oder »nativos« oder auch
                »Jene-von-den-ursprünglichen-Völkern«. Wie immer man sie
                nennt: Sie leben dennoch am Rande der
                europäisch-spanisch geprägten Gesellschaften in
                Südamerika; nur langsam – wenn denn überhaupt –
                verändert sich ihr Leben zum Besseren. Auswanderung nach
                Spanien oder in den Norden des Kontinents – in die
                Vereinigten Staaten – ist das Ziel der Armen (wo sie als
                Illegale ausgebeutet werden können), aber auch der
                Gebildeten.       
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