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Kartoffel-Geschichte Furche 1.5. Die Kartoffel kommt nach Europa

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Wann, wie und durch wen kam die Kartoffel nach Europa? http://www.toffi.net/kiss/geschichte/g_08.htm
aus: Klaus Henseler: Die Kartoffel kommt nach Europa: Gen Europa:
https://web.archive.org/web/20120118185936/http://www.kartoffel-geschichte.de/Erste_Furche/Gen_Europa/gen_europa.html

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Zusammenfassung: 8. Wann, wie und durch wen kam die Kartoffel nach Europa?

aus: http://www.toffi.net/kiss/geschichte/g_08.htm

Der eine Weg der Kartoffel (ssp. andigena) führte 1565 von Peru über den kolumbianischen Hafen Cartagena nach Sevilla (Spanien) und steht mit der Eroberung des Inkareiches (1531-1533) durch Franzisco P i z a r r o in direktem Zusammenhang (s. Frage 10). Der andere Weg wird mit dem "Piraten der englischen Königin", Francis D r a k e (1540-96), in Verbindung gebracht. Der englische Gelehrte Thomas H a r r i o t (1560-1621) kehrte 1586 von seiner langen Forschungsreise durch das nordamerikanische Virginia auf einem Schiff der Flotte Drakes, das von der Karibikküste des heutigen Kolumbien, aus dem Hafen von Cartagena, kam, nach England zurück. Das Schiff war vollbeladen mit Pflanzensammlungen aus Süd- und Nordamerika. So entstand die Legende, Drake habe die Kartoffel in Virginia entdeckt. Englische Auswanderer haben später einige dieser offenbar aus den peruanischen Anden stammenden Kartoffelknollen von England auf die Bermuda-Inseln mitgenommen. Von dort gelangte die Kartoffel nach Virginia, wie überhaupt erst über diesen Umweg nach Nordamerika.

Die hellbraunen Knollen, die Harriot aus Virginia mitbrachte, waren Süßkartoffeln (Batate, Ipomoea batatas)! Durch diesen Irrtum wurde Drake zum Begründer des europäischen Kartoffelanbaus erklärt, dem man Gedichte und Lieder widmete und Denkmäler setzte (s. Kap. 9: Kunst, Frage 157). Erst Redcliff Salaman stellte 1949 in seinem Buch "Geschichte der Kartoffel" diesen Irrtum richtig. Mit Hinweis auf die Erkenntnisse der Pflanzengeographie belegte er, dass die Heimat der Kartoffel im heutigen Peru lag, von wo aus die Knollen zum Schiffsproviant der Seefahrer wurden, die vor den südamerikanischen Küsten segelten. Auf diese Weise sind sie wohl auch mehr zufällig nach England gekommen.

Der Pflanzengeograph Hans Brücher hat 1975 nachgewiesen, dass der englische Sklavenhändler John Hawkins, mit dem Drake befreundet war, 1586 weißfleischige gelbschalige Kartoffeln (ssp. andigena) mit weißen und violetten Blüten aus Santa Fé im östlichen Venezuela von der Karibikküste nach England gebracht hat. Man nahm die Kartoffeln von dort als Schiffsproviant für die Rückreise mit, und Drake, der sein havariertes Schiff in Südamerika zurücklassen musste, segelte auf Hawkins Sklavenschiff mit. Hier wird er die Kartoffel als Knolle dann wohl kennengelernt haben. Man kann aber nicht sagen, dass er die Kartoffel nach Europa gebracht hat, denn der Verzehr von Knollen auf dem Sklavenschiff blieb ohne Folgen und die angebliche Einführung der "Virginia potatoes" erwies sich als Irrtum (s. oben).

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelangten auch chilenische Kartoffeln (ssp. tuberosum) nach Europa, die aufgrund des höheren südlichen Breitengrades ihrer Herkunft besser an die europäische Tageslänge angepasst waren (s. Frage 12). Erst diese frühreife und auch schmackhaftere Kartoffel aus Chile wurde das Hunger stillende Nahrungsmittel für das Volk. Sie war "für den gemeinen Mann Brot, Fleisch und Gemüse zugleich".

Chile und hier die im Süden der südamerikanischen Küste vorgelagerte Insel Chiloé sind aber kein primäres Genzentrum der Kartoffel. Seit der spanischen Kolonisation im 16. Jahrhundert gab es enge Handelsbeziehungen zwischen Chiloé und der peruanischen Hafenstadt Callao mehr als 3000 km nördlich. Die Spanier beuteten den Holzreichtum der Insel für den Schiffsbau aus. Die peruanischen Holzfäller brachten mit ihren Nahrungsmitteln auch Andenkartoffeln mit. Infolgedessen entwickelte sich auf Chiloé ein kleines "sekundäres Mannigfaltigkeitsgebiet". Im Laufe der Zeit selektierten die einheimischen Indios und die Nachfahren der spanischen Holzfäller besser an den Langtag der Südhalbkugel angepasste Formen, aus denen offenbar auch die ssp. tuberosum hervorgegangen ist.


Details

Die Kartoffel kommt nach Europa
 
aus: https://web.archive.org/web/20120118185936/http://www.kartoffel-geschichte.de/Erste_Furche/Gen_Europa/gen_europa.html

Für die Verbreitung der Kartoffel in Europa gab es zwei Wege: Zum einen der Weg von England (Walter Ra­leighu.a.) bzw. Irland (wo brandenburgische Soldaten des Oraniers Wilhelm III. die Kartoffel kennenlernten) nach Flandern, Burgund, Deutschland und Nord-Italien und zum anderen von Spa­nien gen Italien, in die Schweiz, auch nach Burgund und anschließend nach Norden, nach Deutsch­land (von Se­villa in das regennasse Baskenland, über­ Genua bzw. Norditalien, Basel, ins Vogtland und ins Erz­gebirge, nach Böhmen, in die Kurpfalz). Der Weg von Nord war der Weg der Süß­kartoffel (ipomoea batatas) aus Virginia (später holländische Kartoffel oder Zuckerkartoffel genannt) als Wegbereiter der Kartoffel solanum tuberosum esc.

Der spanische Weg führte zur Verbreitung der aus Peru und aus Nord-Chile stammenden Knollenfrucht, die wir heute als »Kartoffel« bezeichnen. Wegbereiter waren zum einen­ die Fürsten, die die Kartoffel als Zierpflanze weiterreichten, zum zweiten Apotheker, Ärzte und Botaniker und botanisierende Bürger, welche die Kartoffel als Heilpflanze untersuchten und an Kollegen weitergaben und zum dritten Söldner, die die Kartoffel irgendwo kennenlernten und aßen, mitnahmen oder »Saatgut« kauften und dann selbst anbauten. So soll 1697 die Kartoffel durch den in Dublin unter ­König William dienenden Glarner Söld­ner Jakob Straub (oder Strupp) von Schwanden in die Schweiz gekommen sein – aber so einfach wird es wohl nicht gewesen sein. Rheinaufwärts war die Reise aber einfacher als in das Vogtland. Wie mit einer »invis­ible hand« verbreitete sich die Kartoffel auf den europäischen Bauernmärkten – ohne die heutigen allnotwendigen Brüsseler Markt­interven­tions­hilfs­gelder.

Europas Geschichte ist verbunden mit immer wieder­kehrenden Hungers­nöten, aber auch durch die Kartoffel – und andere süd­amerika­nische Pflanzen – mit einer Umstellung der Küche und der Ernährungs­gewohnheiten. Es verringerten sich die Anzahl und die Auswirkungen der Hunger­jahre. Der bayerische Agrarhistoriker Heinz Haushofer schreibt:


«Die Kartoffel kann, zusammen mit Kaffee und Branntwein1, als prägende Innovation, ja sogar als kulturelle Leitnorm beim Ent­stehen unseres modernen Speisen- und Mahl­zeitensystems im späten 18. Jahrhundert betrachtet werden. Die Rezeption der ­Kartoffel bedeutet nicht nur eine übliche Be­reicherung des Speisezettels, sondern weit darüber hinausreichend eine strukturelle Ver­änderung des Nahrungs­verhaltens mit tief­greifenden Konsequenzen in den damit zu­sammen­hängenden Daseinsbereichen.«

Der österreichische Historiker Eugen von Ro­diczky meint am Ende des 19. Jahrhunderts unter Berücksichtigung der dreihundertjährigen Ge­schichte der Knolle in Europa:
    »Alle Bemühungen ihrer Verehrer und drakonische Maßnahmen ihrer Förderer schienen unwirksam zu sein, ihr allseitig An­­erkennung zu verschaffen, bis es zweien ihrer­ Bundesgenossen, dem Elend und der Mode, gelang, sie einerseits unter den Großen ­salon­fähig zu machen, andererseits in die Hütten der Noth, als letzten Freund und Erhalter, einzuführen.«

Blitzableiter2, Kuhpockenimpfung und Kartoffel­anbau zählen zu den großen Segnungen des Zeitalters der Aufklärung. Auf die ablehnende Haltung in Sachen Kartoffelbau wird noch hingewiesen; gegen die Kuhpockenimpfung sprach sich sogar Immanuel Kant aus – wer sich freiwillig impfen lasse, bringe sich in Todesgefahr. Außerdem wurde­ behauptet, daß durch die Beseitigung der Pocken Scharlach und Masern und andere Übel heftiger werden würden3.

 
Würde man die europäische Geschichte ein­teilen nach der Art des Hauptnahrungsmittels, so ist die Zeit bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts als eine Zeit des Fladen, des Mus, des Breis und des Sterz aus Hirse, Gerste, Roggen, Hafer und anderem Getreide­ zu bezeichnen, am Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt die Kartoffelzeit und etwa ab den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts die Zeit des Fleisches, die sich jetzt dem Ende zuneigt, denn Gülle und Methan, Rinderwahnsinn, Schweinepest und Sal­­mo­­nellen-Eier und der ungeheure, unverhältnismäßige Aufwand zur Erzeugung eines Stück Fleisches­ in Relation zum hierfür benötigten Getreide zwingen zu neuen Nahrungs­gewohnheiten.

Durch die Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts und die Ausdehnung des Getreidebaus im 18. Jahrhundert sank der Fleischkonsum dann wieder drastisch ab. Nach 1800 lag der Durchschnitt wieder unter zwanzig Kilo je Person und Jahr. Gleichzeitig drängten nun aber, mit je eigenen Innovationswegen, die Nutzpflanzen des neuentdeckten Amerika auf die Fluren Europas. Bohnen und Kürbis wurden selbstverständlich – und nicht nur in den Bauerngärten, sondern auch auf dem Feld. Der Anbau von Paprika blieb auf das wärmere Ungarn beschränkt; das Burgenland im Osten Österreichs trennt Würzen mit Paprika vom wesentlich geläufigeren Pfeffern westlich von dieser Grenze. Den Mais erwähnen deutsche Kräuterbücher zwar schon um 1518/1540; als Lieferant für Maismehl kam er aber erst im 18. Jahrhundert über Ungarn-Österreich bzw. Italien-Schweiz ins Rheintal auf die Felder (heute sieht man nur noch Maisfelder!). Reisbrei etablierte sich bis etwa 1880 bei den sog. Hochfesten.

Der Agrar­histo­riker Wilhelm Abel sieht die Stufen­­leiter der Ernährung (vor dem 20. Jahr­hundert) eindeutig abwärts ge­richtet: Vom hohen Fleischverbrauch4 im Spätmittel­alter (etwa 20 bis 40 Kilogramm pro Person und Jahr bis zu 100 Kilogramm im 16. Jahrhundert in Deutschland) über den Ge­treide­standard der frühen Neuzeit zum Kar­toffel­standard während der In­dustria­­li­sie­rungszeit. Und jetzt zu Fertiggerichten aus gentechnisch veränderten Pflanzen – zu »Frankenstein-Food«.

Es wird wohl wieder eine mehr vegetarische Zeit werden, denn auch die Änderungen des bundesdeutschen Gesundheits­wesens in den 1990er Jahren werden viele Menschen zwingen, sich zu entscheiden zwischen Brei oder einem Zahn­ersatz5. Die schmalen Einkünfte für viele Menschen werden zu einem Gebiß führten, wie es sonst nur noch die Ferengi aufweisen oder wie sie Robert Burton beschreibt: ­
    »gelbe Biberzähne, oder schwarz und schief und durcheinander wie ein alter Judenfriedhof.«

Der Brei, auch Mus oder Brod genannt, war das Haupt­nahrungsmittel, mehr noch als heute Nudeln, Kartoffeln und Brot aus Getreide gemeinsam. Brei war eine hoch­begehrte Speise, das Volk verband mit ihm Satt­sein und Wohl­befinden, und zum»Schlaraf­­fen­­land« (»drei Meilen hinter Weihnachten«) mußte man sich – wie Hans Sachs schrieb – »durch einen Berg von Hirsebrei essen«6 und »da sein alle Häuser gedeckt mit eitel Eierfladen.«7

Je größer die Hungersnot, desto un­erschöpf­licher waren die Speisen im Schlaraffenland, das für die Hungernden verständlicher war als das ferne Paradies. Leonhard Wächter, der in einer Satire die Freßlust von Mönchen lächerlich macht, schreibt 1793 in seinen »Holz­schnitten«:
    »Und es träumte ihm, er befände sich auf einem großen Eier­fladenanger, durchschnitten von Mandelmilchbächen, Bierflüssen und Weinseen. Die Bäume trügen statt der Blätter Wecken, statt der Früchte Schüsseln voll gedämpfter Erdäpfel, gesottener Föhren mit verlorenen Eiern, Kappen in Gallrey, gedeckter Pfauenbrein, gerösteter Reiher­schenkel und gebackenen Fischrogens.«8 

In allen Ländern Europas bilden sich mit der Abkühlung des Klimas Bilder und Geschichten von einem Land, in dem ausreichend Nahrung maulbereit (fliegende gebratene Tauben) ist. Und außer­dem fehlt in diesen utopischen Schilderungen nie eine Darstellung einer freien und glücklichen Sexualität9 und eine ewige Jugend.10

Der Hunger war eine Erfahrung der Armen, aber eine ständige Angst der privilegierten Reichen, die in schlechten Zeiten aber nur ihren gewohnten hohen Nahrungsstandard und nicht ihr Leben verloren.

Der Klein- und Mittel­bauer und die Landarmen aßen neben dem Brei oft Pflanzen, die wild wuchsen und welche die Kinder sammeln konnten: Wurzel­gemüse wie Möhren und Steckrüben, Wildpflanzen wie Brennessel, Hederich, Ackersenf und Sauer­ampfer, dazu Obst und Beeren. Auf den Brei­standard aus gemischten Pflanzen fiel die Bevölkerung bei jeder Hun­gers­not, bei jeder Getreidemißernte zurück11.

Christian­ Friedrich Hebbel beklagt über seine Jugendzeit, daß er als Botengänger und Schreiber bei dem Kirchspielvogt Mohr in Wesselburen nicht nur dessen abgetragenen Kleider auftragen, sondern sich auch »mit Stallknecht und Tagelöhnern an den Milch- und Breitisch« setzen mußte. Hering (und Kabel­jau, der zeitweilig etwa sechzig Prozent des Fischverzehrs in Europa aus­machte) aus der Nord­see spielte für die Ernährung eine große Rolle. Die Masse der Bauern, Häusler und Büdner lebte ärmlich, aber sie wurden vom Herrn aus­reichend und ordent­lich ernährt »genau wie die Ochsen«, damit sie nicht abwanderten. Erst in der Renaissance wird Brei12 und Eintopf – bei Adel, Klerus und besseren Bürgern – ergänzt durch raffiniertere und gewürzte­ Speisen.

Hugo von Hofmannsthal über den gefangenen Schiffskoch, über Gewürze und Kartoffeln:
    »Stille Tiere muß ich schlachten,

    schöne Früchte muß ich schälen.

    Und für die, die mich verachten,

    Feurige Gewürze wählen.«13 

Mais- und Kartoffel-Anbau in Europa führte zwangsläufig auch zu neuen Anbautechniken und – nicht zu unterschätzen – zu neuen technologischen Verfahren und Erfindungen. Beispielhaft sei die Metallurgie (Agricola 1556) und die Uhrmacherei (Pendel 1675) genannt; neue Techniken erfordern neue Aus­bildungs­formen: In Paris wird 1743 die »École des Ponts et Chaussées« und 1783 die »École des Mines« gegründet. Fernand Braudel weist daraufhin, daß 1598 in Paris neun­zig verschiedene Gewerbe be­stünden, in der Mitte des 18. Jahrhunderts aber zwei­hundert­­fünfzig und im London des Jahres 1826 sind es 846 Berufe – was ungefähr der Anzahl ­Lehr­berufe in der Schlußzeit der DDR entsprach.

OhneColumbus gäbe es kein Rauchverbot in New Yorker Büros und keine kokain­beeinflußte Psycho­analyse des Dr. Sigmund Freud, kein un­gesundes Zusam­men­­spiel von Pökelsalz (das 1385 von einem zeeländischen Fischer erfunden wurde) mit Nitraten auf einem gebräunten »Toast Hawaii«14.OhneColumbus keine Läuse im Weinberg (auch aus Amerika), keine Dyspepsie nach dem »Genuß« holländischer Tomaten. Ohne Columbus keine Be­freiung der Europäer vom Getreide und dessen Wetterabhängigkeit, keine Bratkartoffeln (angeblich von ihr erfunden, sagte die erfolgreiche Koch­buchautorin Henriette Davidis).

 
Die ersten Europäer, die mit der Kartoffel Bekanntschaft machten, waren die Conquistadores, die Eroberer, des ehemaligen Schweinehirten und MüllerburschenFran­cisco Pi­zarros, der mit einhundertachtzig Mann, siebenundzwanzig Kanonen und zwei ­Pferden in Tumbes (im heutigen Golf von Guaya­quil) an der peruanischen Küste an Land ging und in den Jahren 1531 bis 1536 das Inka-Reich von Huascar und Atahualpa eroberte. 1533 erreicht er, ge­trieben von unersättlicher Gier nach »El Dorado«15, dem vergoldeten König, Cuzco im Hochland von Peru, aber nach dem Goldland wird noch heute gesucht.

Petrus Martyr de Angleria schreibt in seinem Buch »De rebus Oceanicis et orbe«, 1533 in Basel gedruckt, daß die Bewohner von Darien (das heutige Panama und Kolumbien) Wurzeln essen, die sie Batatas nennen:
    »effodiunt etiam e tellure suapte nature nascientes radices, quas ut vidi indigenae batatas appellant«
 
Zwei Jahre nach Pizarro (1535) dringt Diego de Almagro von Peru aus nach Chile vor und trifft dort auf ausgedehnte Kartoffelkulturen.

Gonzalo Jiménez de Quesada beginnt 1536 auf dem Rio Magdalena gleichfalls die Suche nach dem»El Dorado«. Sein Ziel ist die Hauptstadt der Musis­cas, die neben den Sinú und Tairona berühmte Hersteller von Gold- und Edelsteinschmuck waren. Jiménez de Quesada , »Rechts­anwalt« und berufs­mäßiger Konquistador16, soll der Entdecker der andinischen Kartoffel sein, als er nach Bogotá vordrang. Im Frühjahr 1537 soll er im Musisca-Dorf Soro­cotá (7° N), einem Ort in der Nähe der spä­te­ren spanischen Ortschaft Vélez, Kartoffeln angebaut vorgefunden haben. Bei den Plünderungen ent­decken sie in den verlassenen Häusern der geflüchteten Inkas getrocknete Kartoffeln, die sie für eine Trüffel­art halten.

Hier in Sorocotá wird ihm die »krautige Dauerpflanze« von den Einwohnern vor­gelegt; es war schon ein erheblicher Unterschied zu den Perlen, die sich dieser Räuber erwartet hatte. Aber es spielte keine große Rolle: Alles, was ein Wert hatte oder haben könnte, wurde mitgenommen.Bei diesem Raubzug verloren zwei Drittel seiner Leute­ das Leben, aber die Überlebenden gewannen eine runde Tonne Gold und eine anständige Menge Smaragde.

Alexander von Humboldt17 startete 1801 eine Expedition von Cartagena aus auf dem Rio Magda­lena bis nach Honda, um gemeinsam mitdem Franzosen Aimé Bonpland das Hochland von Quito bis Kolumbien zu erforschen; er wollte nach Bogotá18, um die damals größte Sammlung südamerika­ni­scher Pflanzen bei José Celestino Muti zu besichtigen. Wegen der Erkrankung Bonplands blieb er zwei Monate in Bogotá und ging dann erst nach Quito. Das Reisen war damals schon recht ­mühsam. Über die Strecke von Facatativá nach Fonti­bión, dem letzten Ort vor Bogotá, schreibt er in seinem Tage­buch:
    »Der Weg geht immer weiter durch die baumlose Ebene voll Kartoffeln, Weizen und Hafer.«

Der Spanier Juan de Castellanos schreibt 1601 in der »Historia del Nuevo Reino de Granada« (1886 erstmals publiziert), daß er in diesem peruanischen Dorf vorfand:
    »Die Häuser (der Indianer) waren angefüllt mit Mais, Bohnen und Trüffles, ­kugelförmige Wurzeln, die nach Aussaat einen Stamm mit Ästen und Blättern und einigen Blüten, obgleich wenigen von blaßvioletter Färbung brachten; und zu den Wurzeln dieser gleichen Pflanze, die ungefähr 3 Palms (etwa 60 cm) hoch ist, sie sind unter der Erde be­festigt und mehr oder weniger die Größe eines Eies haben, einige rund und einige länglich, sie sind weiß und rot und gelb, mehlige Wurzeln von gutem Geschmack, eine Köstlichkeit für die Indios und ebenfalls ein delikates Gericht, sogar für Spanier.«

Juan de Castellanos berichtet über die Kartoffeln nicht aus eigener Anschauung, sondern hat Berichte von Soldaten zusammengefaßt. Anders Pedro de Cieza de León, der 1534 als Vierzehnjähriger in die Neue Welt, »Mundus Novus«, kam und 1538 als Soldat in der Armee von Sébastian de Belacazar an der Raub-Expedition im Distrikt Popo­yán (im heutigen Ekuador) teilnahm; anschließend marschierte er unter dem Kommando von Aldana vom kolumbianischen Hochland bis nach Cali in Kolumbien. Mindestens sieben Mal erwähnt Cieza de León die Kartoffel, so über Funde in Popayan. Cieza de León nannte die Kartoffel später »papas peruanorum«, brachte die Knolle (eines der wenigen unstrittigen Daten in der Frühgeschichte der Kartoffel in Europa) um die Mitte des 16. Jahrhundert nach Spa­nien und beschrieb die »Erd­nüsse« in einem offiziellen Bericht (»Cro­nica del Peru«), der 1550 in Sevilla gedruckt wurde:­
    »In einem Ort nahe Quito haben die Einwohner, neben Mais, zwei weitere Pflanzen, welche ihnen ihren Lebensunterhalt ermöglichen: Die papas, eine Wurzel ähnlich den Trüffeln. Sie trocknen sie an der Sonne und bewahren sie von einer Ernte zur anderen auf. Sie heißen dann chuno.«

Cieza de León beschreibt die von ihm vorgefundenen Kartoffeln als eine
    »Art Erdnüsse, die durch Kochen weich werden wie eine Kastanie und eine Haut wie Trüffeln haben.«
Francisco López de Gómara berichtet von der Kartoffel in seiner »Historia General de las Indias«, 1552 gedruckt, die er im oberen Caucatal im heutigen Kolumbien, auf dem südlichen Hochland von Callao in Peru und um Quito in Ekuador gefunden hatte.

Andere Spanier meinten, die Kartoffel »sei ein sehr gutes Nahrungsmittel« oder daß »gemahlene Kartoffeln einen guten Geschmack hätten«. Andererseits meinte Bernabe Cobo, die Peruaner würden alles essen, solange sie davon keinen Schaden davontrügen, einschließlich »tausend verschiedene Arten von abstoßenden Ungeziefern«. Kartoffeln seien eines der »sehr gewöhnlichen« Nahrungsmittel, die Brot ersetzen würden. Spanische Frauen könnten jedoch aus den Kartoffeln »die köstlichsten Krapfen« herstellen.

In seiner »Historia General de las Cosas de Nueva España« (1537–1557) berichtet Francisco Fernández de Sahagún, daß er Kartoffeln – »papas silvestres« – auf dem Markt von Tenochtitlán ­(heute Mexiko-Stadt) gesehen habe; es handelt sich bei diesem Bericht unzweideutig um die andinische Knolle und nicht um die Süßkartoffel.

1552 veröffentlicht Francisco Lopez de Gómara seine »Allgemeine Geschichte Indiens« und schreibt über das Gebiet um Calla in Peru:
    »Die Menschen leben seit Hunderten von Jahren in diesen Tälern und essen Mais und Wurzeln, ähnlich den Trüffeln, die sie papas nennen.«

Ein anderer Plünderer war Nikolaus Feder­mann aus Ulm, der im Auftrag des Augsburger Handelshauses Welser dessen»Klein-Venedig« (Venezuela19) ab 1529 mit spanischen Siedlern und deut­schen Bergleuten kolonisierte20. Federmann unternahm in den Jahren 1536 bis 1539 eine (zweite) Erkundungsreise in das Innere Südamerikas. Im Frühjahr 1538 hatte diese Expedition das Stromgebiet des oberen Meta erreicht. Federmann schreibt:
    »Ich zog voraus, bis ich in das Revier des mächtigen Meta-Stromes kam, wo ich wegen des vielen Himmelswassers und des Steigens der Ströme warten mußte. Nur für drei Monate reichten die Lebensmittel in der fast unbevölkerten Gegend. Ich zog daher weiter, aber Proviant bot sich nicht; an vielen Tagen fehlte das Bort, Wurzeln der Erde und Früchte der Bäume bildeten unsere Nahrung.«

Federmann beschrieb in seinem 1557 in Ha­ge­nau (nach seinem Tod) gedruckten Bericht »Indianische Historia« die Nahrungsmittel der Einwohner und erwähnt eine Knollenfrucht, bei der es sich wahrscheinlich um die batate gehandelt hat. Auch der Schatz­meister von Peru,Agustin de Zarate, berichtet 1544 über den Anbau der Kartoffeln und bezeichnet sie als eine wichtige und eßbare Frucht. Federmann ist wohl der erste Deutsche, der eine Kartoffel sah und aß.

Viele der Pflanzen aus der Neuen Welt gelangten auf die kanarischen Inseln – letzter Stützpunkt auf der Fahrt nach Amerika und ebenso sehr auch erster Anlaufpunkt bei der Rückkehr –, bevor sie das europäische Festland, Spanien oder England, erreichten. Pedro Agustín del Castillo weist 1737 in einer Liste nach, daß manche der frühen Autoren­ die Kartoffel auf den kanarischen Inseln »papas«, aber auch »patatas« nannte, während »batatas« eindeutig für die Süßkartoffel bestimmt war. Nur hier werde auch die Bezeichnung »papa« neben der Bezeichnung »patatas« gleichrangig verwendet. Thomas Nichols 1583 in »A Pleasant Description of the fortunate Islandes called Islands of Canary«:
    «Diese Inseln haben einen außergewöhnlich guten Wein, insbesondere in der Stadt Telde, und verschiedene Sorten guter Früchte wie batata, Melonen, Birnen, Äpfel, Orangen, Lemonen, Granatäpfel, Feigen, mehrere Sorten Pfirsiche und viele andere Arten.«
 
1555 gelangen nachweisbar die ersten rot­schaligen Kartoffeln nach Spanien. In einer ande­ren­ Quelle steht, daß dies erst 1558 durch einen Seemann erfolgt sein soll, der die Kartoffeln dann nach England brachte; dort wurden sie – wie in ihrer virginischen Heimat»Ratsta« genannt und erst später (durch Raleigh) in»Potato« umgetauft. Beide Daten können richtig sein: Es kann sich um die andinische Knolle, aber auch um die Süßkartof­­fel gehandelt haben. An einer Stelle stand geschrieben, daß Pizarro die Kartoffel bereits 1526 nach Spanien gebracht haben soll. Diese Behauptung ist unrichtig, denn Pizarro entdeckt Peru erst 1528: es mag wohl sein, daß Soldaten, die mit Pi­zarro plünderten, die batate, die Süßkartoffel, als Marsch- und später als Schiffsverpflegung mit­gebracht und die übriggebliebenen augenhaften Knollen in ihren Heimat­dörfern gepflanzt haben.

Einige Inselbewohner Gran Canarias begleiteten schon Columbus bei seinen Reisen, und später gab es in der Neuen Welt Eroberungsexpeditionen mit starker Be­teiligung von Soldaten der Kanarischen Inseln. Bewohner der Kanarischen Inseln übernahmen in der Verwaltung Amerikas wichtige Ämter; einige neue Städte und Orte (Matanzas auf Kuba, Monte­video, San Antonio in Texas) wurden von Kana­riern gegründet; es gab also sehr enge persönliche und wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Neuen Welt und den Kanarischen Inseln.

Die Handelsbeziehungen waren so eng, daß zum Beispiel für je einhundert Tonnen von den Kanarischen Inseln exportierter Güter auch (ab 1678) fünf Fami­lien nach Amerika auswandern mußten; sämtliche Exporte und Importe mußten nach 1502 vom »Casa de la Contratación«21 in Sevilla genehmigt werden. Von Beginn an wurden diese Vorschriften nicht eingehalten, obwohl mehrmals die Organisation geändert wurde.

Lorenzo Palenzuela schreibt am 28. November 1567 in den »Protocolos Notariales del Archivo Histórico de las Palmas de Gran Canaria« von dem Export von drei mittelgroßen Fässern mit Kartoffeln, grünen Limonen und Feigen, welche Juan de Molina an seinen Bruder Luis de Quesada in Antwerpen verschiffen läßt. Zu dieser Zeit wohnte auch Clusius in Antwerpen; es hat sich bisher nicht feststellen lassen, ob Clusius die Kartoffel zu diesem Zeitpunkt kennen­lernte. Sicher ist nur, daß er über die Knolle weder 1567 noch 1568 berichtet. Nur wenige andere Städte nördlich der Alpen hatten so enge Verbindungen auf die iberische Halbinsel und damit nach Amerika.

1574 wird von dem Notar Luis de Balbao dokumentiert, daß »zwei Fässer mit Kartoffeln und acht Fässer mit Branntwein von Teneriffa durch Juan de Molina an Hernando Quintana« ins französische Rouen geschickt wurden.

Erste Kartoffelfelder wurden schon vor 1570 in Spanien angelegt. 1586 schreibt Diego Davilla Bri­cegno, der mehr als fünfundvierzig Jahre in Peru verbrachte, einen Bericht (»Descripción y Relación de la Provincia de los Yauyos«) und stellt fest,
    «wenn die Kartoffel in Spanien ebenso wie hier angebaut werden würde, könnte sie eine bedeutende Stütze in den Jahren der Hun­gers­­not sein.«

Es ist strittig, ob Bri­cegno die Betonung auf das »wenn« oder auf »ebenso wie hier« liegt. Bei »wenn« würde es bedeuten, die Kartoffel in Spanien überhaupt an­zubauen, bei »ebenso wie hier« geht es nur um die Menge der schon angebauten Kartoffeln22. Da aber die Kartoffel zweifelsfrei bereits um diese Zeit in Spanien angebaut wurde, kann es nur um eine Mengen­bestimmung gehen. Das Saatgut für diese ersten Pflanzungen stammte zumeist aus der Region um Lima herum.

Verbürgt ist, daß 1573 von Mönchen im »Hospital de la Sangre« im südspanischen Sevilla, Knollen­ gekauft und bezahlt. 1576 gehörte die Kartoffel bereits zur normalen Haus­manns­­kost im Kloster. Salaman schluß­folgert aus diesen beiden Daten, daß die Kartof­feln demnach spätestens 1569 aus Amerika nach Spanien kam und folglich spätestens 1570 erstmals in der Region Sevilla angebaut wurden.

Während der Prior des »Hospital de la Sangre« noch im Früh­jahr 1584 die Kartoffeln nur pfund­weise kaufte – zum Dessert, als Delikatesse oder als Aphro­di­siakum (von griechisch »zum Liebes­genuß gehörend«) für die Brüder –, erwarb er sie im Herbst desselben Jahres schon in einer Menge von fünfundzwanzig Pfund, was darauf hinweist, daß die Kartoffel in Spanien wuchs und geerntet wurde und diese in andere Orte verschickt wurde, zum Beispiel in die spanisch-habs­burgi­schen Nieder­lande. Aber es kann auch darauf verweisen, daß die Mönche aus dem »Indien-Handel« soviel Gold abbekamen, daß sie sich die Kartoffel häufiger ­leisten konnten.

Die Quittungen des »Hospital de la Sangre« in Sevilla gehören zu den frühesten Belegen für den Anbau der Knollen in Europa. Nach neuesten Forschungen ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild: Zum einen ist in keinem anderen Hospital oder in anderer Weise in Sevilla ein Beleg für den Handel mit Kartoffeln zu finden und zweitens – entscheidender: Die Knollen des »Hospitals de la Sangre« waren wohl Süßkartoffeln.

Es gibt möglicherweise einen weiteren frühen Beleg: 1517 zeichnet Albrecht Dürer in Nürnberg die»Drei Bauern im Gespräch«, die einen Korb mit Früchten bei sich haben. Man sehe sich den Inhalt dieses Korbes genau an. Das sind keine Eier, keine Äpfel, keine Birnen, keine Pflaumen oder Rüben. Alles zu»unrund«, zu ungleichmäßig, zu groß oder zu klein – das können nur Bataten sein. Nicht zu­lässig ­diese Schluß­folgerung? Zur Erinnerung: Dürer war 1490 bis 1494 nach Colmar, Straßburg und Basel­ gewandert, 1495 in Italien, 1505–1506 ein weiteres­ Mal; da ist er von der Kaufmanns­stadt Venedig nach dem mit Spanien in enger Verbindung stehen­den Bologna gegangen, um dort die »heim­lichen Per­spektiven« zu erlernen.

Und ist es nicht be­merkenswert, daß im Raum Erlangen und Nürn­berg die Bezeichnung »Pata­ke«, ab­geleitet von »Ba­tate« – vor der heutigen Ver­wendung des Aus­drucks Erd­apfel – benutzt ­wurde: Spricht das für eine frühe Kenntnis einer Knolle aus der Neuen Welt im Nürnberger Raum? Im deutschen Sprach­gebiet kommt eine Ableitung von Batate sonst nur in den an Nieder­lande bzw. Belgien­ angrenzenden Gebieten (einschließlich westfriesischer Gebiete) vor.

Die»Neue Welt« war das »Jahr­hundert«-Ereignis, die Schät­ze aus»Indien« wurden durch ganz Europa gereicht – da hat ein wißbegieriger, auf Wander­schaft sich befindender Künstler wie ­Dürer doch davon erfahren, das sieht man sich doch an – gerade als Künstler, der lernen will –, da versucht man doch Impulse für die eigene Arbeit zu erhalten! Die Marktbauern sind zwar in Nürn­berg gezeichnet worden, aber kann es sich nicht um eine Adaption, um eine Anpassung an den fränkischen Geschmack handeln?! Ein Mann wie Dürer, der sich als erster an das Aktzeichen wagt, der als erster einen »Hasen«, also ein niederes Tier, zeichnet, soll von der batate nichts gehört haben? Er könnte doch auch eine »niedere« Pflanze, eine Wurzel, gezeichnet haben?

Das »Albrecht-Dürer-Haus« in Nürnberg teilte auf Anfrage des Autors wegen des Inhalts des Korbes am 21. August 1996 mit:
    »Bei den Objekten im Korb der Bauern handelt es sich um Eier. In keinem Fall kön­nen es Kartoffeln sein, da diese erst sehr viel später­ (im 17. Jahrhundert) in Europa ein­geführt wurden.«
»Im 17. Jahrhundert«! Diese Antwort ist so nicht richtig! Auf die deshalb erfolgte zweite Anfrage teilte das Museum mit, ein Dürer-Experte sei zu dem Schluß gekommen, daß es sich um Eier im Korb handelt. Von der an der Pegnitz ansässi­gen »For­schungs­stelle Huhn und Ei« war noch keine Stellung­nahme zu erhalten; doch: in den letzten fünfhundert Jahren haben sich die Hühnereier ganz schön verändert!

Und noch ein Punkt: Martin Luther23. beginnt seine Bibelübersetzung 1521, Mitte Februar 1522 war die erste Fassung der Pentateuch-Übersetzung ab­geschlossen, etwa Mitte 1523 erfolgt der Druck in Wittenberg. Martin Luther, der wegen einer besse­ren Verständlichkeit in einer einfachen volks­tüm­lichen Ausdrucksweise und mit allgemein bekannten bildhaften Begriffen die Bibel aus dem He­bräi­schen (nicht für das ganze Deutschland, sondern für den näheren-weiteren Umkreis seiner Heimat – er konnte doch da noch nicht wissen, daß er einen »Bestseller« geschrieben hatte) übersetzte, verzichtet darauf, in Mose 1, 30. Kapitel, Vers 14 bis 16, den Begriff Dudaim in die deutsche Sprache zu übertragen und vermerkt als Glosse:
    »Frage du selbst was Dudaim sind. Es sollen Lilien/Es sollen Beer sein/vnd niemand weis/was es sein sollen. Es heissens etliche Jüden Kirschen/die in der Weitzenernd reiff sind etc.«

Jetzt kommt sein Zeitgenosse und anfängliche Mitstreiter wider die römische Kirche Huldrych Zwingli (von Luther verunglimpfend auch Zwingel genannt) ins Spiel: Die Züricher Bibelübersetzung (auf ihn zurückzuführen) und später Martin Buber übersetzen dudaim mit »Liebesäpfel«. In der»Biblia Hebraica Stuttgartia« steht geschrieben du(o)daim = Liebesäpfel; übersetzt werden diese Liebesäpfelin der deutschen Einheits­übersetzung mit»Alraune«, Aber: Die Alraune (Mandragora offi­ci­narum) gehört zu den Nachtschattengewächsen (wie die Kartoffel) und ist vom Mittelmeer­gebiet bis zum Himalaja verbreitet; da die »Echte Alraune« nur in Südeuropa wächst, konnte sie nicht auf einem Feld bei Eisenach oder Wittenberg zufällig gefunden werden.

In der Bibel der»Preußischen Haupt-Bibel­gesell­schaft« von 1905 steht an dieser Stelle das hebräische du(o)daim, während in der Ausgabe von 1931»Liebesapfel« steht. In der»Biblia Hebraica« wird zusätzlich darauf verwiesen, daß auch im Hohelied 7. Kapitel, Vers 12, das hebräische»du(o)daim« verwendet wird, was in der Luther-Ausgabe von 1931 mit»Liebes­apfel«, in der Ausgabe von 1905 mit»Granatäpfel« übersetzt wird. Liebesäpfel, Granatäpfel, Alraune oder doch die Tomate?

Das kann bedeuten: Zwingli könnte die aus Amerika gekommene Tomate gekannt haben24, und dieser»Liebesapfel« müßte auch dem»ein­fachen Volk« in der Züricher Umgebung bekannt ge­wesen sein; es darf nicht vergessen werden, daß die Pie­monteser Waldenser in die Schweiz flüchten ­mußten.

Daran schließt sich zwangs­läufig die Frage an: War die Batate zu diesem Zeitpunkt in der Zü­richer Gegend wohlbekannt, gar angebaut worden? Hat Luther mit der Nicht-Über­setzung von dudaim ebend nicht die Tomate bezeichnen wollen­ (weil im alten Israel nicht bekannt und nur verwirrend für das Eisenacher Volk)? Diese historische Möglichkeit führt zu Weiterungen.

Denn immer­hin: Der Mecklen­burger Johann Colerus erwähnt in seinem Haus­haltungs­buch, 1602 in Witten­berg erschienen, die Kartoffel; es gibt jedoch noch keinen Beleg für ­einen Anbau der Kartoffel in Wittenberg zu diesem Zeitpunkt.

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß der Weg von dem»internationalen« Handelsort Nürn­berg nach Nor­den, nach Leipzig an Eisenach – über die alte Via Imperii – vorbeiführen kann. Wenn Dürer die batate kannte und zeichnete (und wegen des Bilder­reizes Bekanntes mit weniger Bekanntem zusammen­führte), dann ist es nicht aus­­geschlossen, daß auch Luther von den Knollen gehört haben kann und von ihrer Be­deutung für die »ehe­lichen wercke« angetan war: »Das Haar einer Frau ist stärker als ein Glockenseil.«

Nur nicht bataten, Tomaten und Liebes­äpfel in der »Biblia« (begnadet mit Kurfürstlicher zu Sachsen Frei­heit) durch­einander­bringen – nicht die klare,­ reine, eindeutige ­Sprache ver­wirren. Luther war verständlich, begrifflich, be­greifbar für die Bauern­ und Bür­ger. Da mußte ­Luther sein Testament nicht von anderen Dolmetschern klügeln lassen, da bestand Luther durch ein gutes Werk, da konnte Luther auf eine Recht­fertigung verzichten. Er weicht ja auch an anderen Stellen von der hebräischen Vorlage ab – da war kein Tarantara, kein tuttet odder tattet, kuckelt odder kakellt.

Einer Übersetzung des dudaim mit»Alraune« hätten die Bürger in Witten­berg nicht viel ab­gewinnen können, des­halb auch die bis 1526 bei­gegebenen Wörter­verzeichnisse zum Neuen Testament, als Lesehilfe beigebunden.

 

Aber es kamen auch– im Auftrage der Reyes Católicos, der »Aller-Katholischen Majestäten« Her­nando II. und ­Isabel – nie gesehene Tiere und unbekannte Pflanzen25. Eleonore Schmitt nennt neben der Kartoffel: Paprika (Chili, nicht aus Ungarn, auch »penis pepper« genannt) und Peperoni. Garten­bohne, Mais (Popcorn ist eine fünf­tausend Jahre alte Erfindung der amerikanischen Ur-Einwohner), Maniok, eine neue Kürbisart, Kapuzinerkresse, Wildreis, Ananas (aus Hawai’i? nein), Avo­cado, Kürbis, Vanille26, Tabak (»Herba Reginae«), Erdbeere27 (die kleinere Wald-Erdbeere gab es schon in Europa), Feigenkaktus, Sonnenblume, Erdnuß (nicht aus Plains in Georgia und als »Peanuts« nicht aus der Deutschen Bank)28, Kakao29, Cashew, Chinin30 und Pa­paya stammen wie die Trut­henne am»Thanks-Giving-Day« eben­falls aus Südamerika. Und es kommt – wie schon erwähnt – die Tomate31.

Einige der Neo­phyten – so nennen Botaniker Pflanzen, die erst nach dem Beginn der Neuzeit nach Europa ein­geführt wurden32 – neigen zu starker Ausbreitung. Drei Fünftel aller heute­ in der Welt angebauten Feld­früchte sind den Ureinwohnern Amerikas zu verdanken.

Was fängen italienische Köche­ an ohne Broccoli, Tomaten (die über Mexiko zuerst nach Italien kamen) und Zucchini? Wie schmeckt Cappuccino ohne den von Cortés mitgebrachten Kakao? Die Baum­woll­felder und die Kultivierung der Kartoffel führen zur ersten industriellen Revolution und – später – zum gesellschaft­lichen Umsturz. Auch das deutsche Wohnzimmer wird von der Entdeckung Amerikas beeinflußt: Weihnachtsstern und Amaryllis, Anthurie und Dieffen­bachie, Fuchsie und Gloxinie, Passions­blume und Petunie, Pantoffel­blume und Schönranke, Kapuzinerkresse,­ Dah­lien (hat Alexander von Humboldt mitgebracht) und Zinnien, Goldruten und Sonnenhut und mehr.

Was ist die Welt ohne Tabak?

Ohne amerikanischen Indigo bzw. Koschenille wäre der Alltag der vor­chemischen Gesellschaft der Alten Welt farblos gewesen33. Die in Südamerika gezüchteten Meerschweinchen sind nicht nur ein gefährliches Spielzeug für Kinder (Meningitis), sondern waren (und sind) eine Delikatesse, die in Europa leider nicht mehr geschätzt wird34.

Jean Anthelme Brillat-Savarin stellt 1826 in seiner »Physiologie des Ge­schmacks« für Friands (Feinschmecker), Gourmets (ursprünglich Wein­einkäufer bzw. -verkoster in französischen Häfen) und Gourmands (vielfressende Schlemmer) und Sy­­ba­­riten (»verweichlichte« Schlemmer aus ­Unter­­italien) fest:
    »Man entdeckte dort außerdem die Kartoffel, den Indigo, die Vanille, die Chinarinde, den Kakao, das sind die wahren Schätze.«

Ähnlich schriebGeorg Christoph Lichtenberg Jahr­zehnte zuvor über Amerika in den »Sudel­büchern«: »Es ist das wahre Kartoffel-Ophir35 der Welt.«.

Um­gekehrt kamen in die Neue Welt Kaffee, Reis, Weizen und Zuckerrohr. Amerikas Küsten­gewässer wurden darüber hinaus zu Fischfanggebieten der ­Euro­päer; Dorsch und Waltran waren die haupt­säch­lichsten Handelsgüter, die nach Europa kamen.­ Zeitweilig sollen bis zu zehn­tausend Seeleute und etwa gleichviel Hafenarbeiter durch den Fisch­fang vor Neufundland, Neu-England und dem Sankt-Lorenz-Strom be­schäftigt gewesen sein. Schon damals wurde Raubbau getrieben.


Neben ungünstigeren klimatischen Bedingungen behinderte bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts dieser erraubte Reichtum in Spanien einen feldmäßigen Anbau der neuen Knollenpflanze. Die Unteil­barkeit des Landbesitzes bzw. das Verbot der Realteilung (durch die Gesetze von Toro, 1505) ver­festigte die klerikal-aristokratische Struktur und förderte gleichzeitig eine vermehrte Viehzucht (Schafe)­ und die Produktion markt­gängiger Produkte wie Oliven und Wein; die mesta, die Vereinigung der Vieh­züchter, war mit ihrem starken Einfluß mehr an einem offenen Land ohne Einfriedungen gegen­ die Schafe interessiert als an der Umwandlung von Weide­land in Ackerland. Fehlende Anbau­flächen für Nahrungsmittel, die Vertreibung der etwa drei­hundert­­tausend Morus­ken (zumeist Bauern),­ Mißernten, die Pest, Aus­wan­derung in die Neue Welt (im Laufe des 16. Jahrhundert rund ein­hundert­tau­send Spanier und Portugiesen) und allgemeine Landflucht führten zu einem Bevölkerungsrückgang im Spanien um mehr als zehn Prozent.

Nahrungsmittel waren so knapp, daß es den spanischen Königen ohne Mühe gelang, die verarmten, aber angeblich stolzen kastilischen Adligen als Infante­risten für die Truppe zu gewinnen36, denn wegen des Fehlens von Tierfutter konnte die Kavallerie keine bedeutende Stellung bei der »recon­quista« ein­nehmen. Die »Spanier gehen lieber in den Krieg oder nach Indien, um auf solche Weise Reichtum zu erwerben«, schrieb ein Be­obachter.

Andererseits: Ein »Ver­lust« von vier­hundert­tausend Menschen in jener Zeit und gleichzeitig unzureichende Nahrung für die Verbliebenen. Ohne Sklavenfängerei in Afri­ka37 und ihre Verschiffung nach Amerika hätte Europa mit dem riesigen Neuland nicht viel anfangen können. Der afrikanische Sklavenhandel, so der amerikanische Historiker Du Bois, war der erste globale Wirtschaftsaus­tausch.

Theodor de Bry titelt 1593 einen Kupferstich:
    »Die Ni­grit­ten werden auß Moh­­renlandt in die newe Insel zum Bergwerck geschickt. Nach­dem die Ein­woner der Insel Hispaniolæ, wegen gros­ser und schwerer Arbeit / dermassen sämerlich waren vmb­kommen / also daß auch sehr wenig auß jhnen vberblieben / haben sich die Spanier / Nothhalben mit andern leibeigenen Knechten mussen ver­sehen / das Bergwerck fur­baß mit jhnen zu be­­stellen.«38

Brau­del zitiert einen Bericht von Navagero aus dem Jahr 1563:
    »So viele Men­­schen sind nach West­indien aufgebrochen, daß Sevilla gering bevölkert ist und fast unter dem Regiment der Weiber steht«

Mehr aber als Gold, Silber, Perlen, Smaragdeund Ge­würze trug die Kar­tof­fel­staude und trugen die anderen Pflanzen zum Wohl­stand bei. Gemessen an der Weltproduktion eines Jahres ist die Kartoffel heute dreimal so wertvoll wie das gesamte Gold und Silber, das die Spanier aus der Neuen Welt nach Spanien ver­schleppten – 10.635 Schiffe der spanischen Silberflotte waren im Einsatz, von ­denen zwischen 1503 und 1660 rund drei­tausend auf den Meeresgrund versanken.

Gold und Silber erlaubten es der spanischen Krone, das stehende Heer von 30.000 auf über 200.000 Mann auszudehnen – die größte europäische Armee, die bis zu diesem Zeitpunkt bekannt war. Ein Heer, das in dieser Größe nie benötigt wurde und nur der Beschäftigung des Adels diente, da­mit diese nicht auf die Idee kamen, gegen das verlotterte Königshaus zu putschen. Dieses Heer fraß den indianischen Reichtum auf, ließ das Land verarmen und führte in ganz Europa zur Inflation. Die aus der amerikanischen Kolonie bezogenen Profite wurden weitgehend verschlungen durch die Kosten für die Verwaltung.

In der europäischen Kunst verschwand die übliche Grisaille-Technik und wurde ersetzt durch ameri­kanisches Gold (Auraille), denn an Grau-Braun konnte man sich nun bei der Kartoffel satt sehen39. Zugleich werden die ersten Zensurbestimmungen erlassen, denn mit dem Auf­kommen­ der Buchdruckerkunst stirbt das ­jeweilige Herrscherhaus als alleiniger Auftraggeber von Kunst ab – der massenhaften Reproduktion konnte nicht mehr durch förderndes Eingreifen seiner Durch­laucht begegnet werden.

Anderer­seits sind die Einführung von Kartoffel, Mais und Tomate und das –- aus europäischer Sicht –»freie« Land eindeutig als Sicher­heits­ventil für das explodierende Bevölkerungs­wachstum (nach dem erheblichen Rückgang durch die Pest und den damaligen europäischen »Groß-Kriegen«) anzusehen.

Carl Julius Weber aus dem württembergischen Langenburg und nach dem juristischem ­Studium Hofmeister in der französischen Schweiz, schreibt in seinem Hauptwerk »Demokritos, oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philo­sophen«:
    »Mit Amerikas Entdeckung verdrängte nach und nach die Kartoffel fast das Brot, diese wahre Ananas Troglodytes des Volks; seitdem sterben mehrere an Asthma, die aber vielleicht verhungert wären, oder be­kommen solche weiten Bäuche, daß sie kaum zu sättigen sind. Jede Kartoffel ist eine Portion Mehl, von Mutter Natur in das wohlfeilste Säckchen gehüllt, das geröstet sich mitessen läßt, und ein Mehl, das wie das Manna der Kinder Israel jeden Geschmack annimmt, den man sich dabei einbildet.«

Der Arzt und Verleger Johann Georg Krünitz40 schreibt in seiner in mehreren Lieferun­gen von 1773 bis 1785 in Leipzig herausgegebenen »Oeco­no­misch-tech­no­lo­gischen Ency­clo­pä­die, oder all­gemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirtschaft in alphabetischer Ordnung«,
    »daß die Entdeckung von Amerika, durch die Verbreitung dieser Frucht, der Nachwelt wichtiger geworden ist, als durch die reichen Gold­minen.«

In seiner umfassenden Darstellung der Knolle weist Krünitz auch auf die»reinigende Wirkung« der Kartoffel als Vorfrucht für nachfolgende Früchte hin:­
    »Ein Feld, das mit Kartoffeln bestellt gewesen, und darauf im Herbste umgepflüget und mit Röcken oder Weizen bestellt worden ist, gibt ganz vortreffliche Frucht; und man hat angemerkt, daß die Kartoffeln ein Mittel seyn, den so schädlichen Huflattich zu vertilgen.«

Aber Krünitz schreibt auch,
    »man hat sie beschuldigt, daß sie durch die angeführten Bestandtheile die Kräfte der Verdauung sehr schwäche, zuviel erdige Be­standtheile in die Säfte bringe, und nach und nach alle Übel hervorbringe.«

Krünitz zitiert hier nur die damals behaupteten ­Folgen einer Knollennahrung. Doch mit der Kartoffel kam, nicht zu unterschätzen, eine sprung­hafte Weiterentwicklung in den Natur- und Geistes­wissenschaften. Dazu mehr an anderer Stelle.

Zu den Streitereien über den Zehnten gibt Krü­nitz wieder:
    »Wenn die Kartoffel auf den Felde gezogen sind, dessen Früchte sonst gewöhnlich ver­zehntet worden sind, so muß auch der Kar­toffelzehnt davon gegeben werden.«
 
Nach Amerika fuhren hauptsächlich Spanier und Engländer: Die Spanier nach Mittel- und Südamerika, die Engländer an die Ostküste Nord-Amerikas – wenn sie nicht auf Kaperfahrt im Süden und im Trüben fischten.

Die Besatzungen der spanischen und englischen Schiffe nahmen auf der Heimreise nach Europa getrocknete Kartoffeln als Schiffs­proviant an Bord, um die eintönige und einseitige Schiffskost zu verbessern. Die Verpflegung bestand üblicherweise aus Schiffszwieback (kleine harte Brötchen, die nach Madenbefall nur im Dunkeln und mit viel Alkohol zu genießen waren), zähem Pökel­fleisch und Salz-Fisch, Knoblauch – um den fauligen Geschmack zu überdecken – Olivenöl und gekochten Eiern. Federvieh war den Offiziere vor­behalten.

Stefan Zweig schildert in »Magellan«:
    »Kein Licht des Nachts, kein Trank als das brackige und laue Wasser der Fässer und das aufgefangene des Regens, keine andere Speise als den verkrusteten Zwieback und den gepökelten ranzigen Speck und selbst dies Kärglichste der Nahrung oft Tage und Tage entbehrend.«41

Schiffs­ratten waren eine nicht un­übliche Frisch­fleischbei­gabe. Ausnahmsweise ein Rezept von ­einem möglicher­weise schon selbst probiertem Gericht:
    »China Stir-fried Rats«: Man brate zunächst Stücke von Ratten­fleisch scharf an, dann fritiere sie man in Öl mit typisch chinesischen Zutaten: Ingwer, Knoblauch, Sojasauce, grünen Zwiebeln, Tofu und getrockneten, gesalzenen Bohnen. Dazu reiche man die im jeweiligen Lande übliche Sättigungsbeilage.«

Ein ebenfalls schöner Hinweis für die Verarbeitung von Ratten ist bei Harry Schraemli zu finden:
    »sollten aber wider Erwarten noch ­irgendwo Teigwaren aufzutreiben sein, so werfe man die fertige Rattenfilets zum Fenster hinaus.«

Zum geschmack­lichen Überdecken der Nahrung auf den Schiffen war zum Beispiel in der schwedischen ­Flotte zu Anfang des 17. Jahrhunderts drei Liter Bier pro Tag (auf See) vorgesehen. Seeleute und Soldaten mußten sich selbst verpflegen, wenn sie in einem Hafen lagen; es ist anzunehmen, daß sie sich an Land gesünder, also auch mit Kartoffeln, verpflegten. Wer heutzutage wirklich in die Verlegen­heit kommen sollte, Ratten essen zu müssen, der merke­ sich, daß die Nagetiere abgezogen werden müssen wie Hasen und dann zubereitet wie Rindfleisch mit einer großen Anzahl verschiedener Gewürze; und dazu gibt es Salzkartoffeln42, da diese das einzige sein werden, was in solchen Zeiten noch zu bekommen sein wird.

Es hört sich so ungewöhnlich an. Während der häufigen Hungersnöte ergab sich die Fleischration der kleinen Bürger aus Katzen und Hunden – und wenn es noch arger wurde – aus mühselig gefangenen Feldmäusen. Fisch wurde­ hauptsächlich am Freitag und Sonnabend, zur Be­achtung der Fasten­vor­schriften, gegessen. Gleich­zeitig­ wurden das Jagen und Fischen durch obrig­keitliche Vorschriften eingeschränkt oder sogar verboten.

Ein besonderes Problem war die Ernährung der Offiziere und der Mannschaften auf den Amerika-Seglern. In einer Kombüse unter Deck benutzte der Schiffskoch riesige Kessel,­ um das gepökelte Fleisch zu kochen. Die Mann­schaftskost bestand zumeist aus Hartbrot, gesalzenem Ochsen- und Schweinefleisch, Erbsen, Hafermehl, Zucker, Butter, Käse und Bier. Das aus diesen Rohstoffen hergestellte Essen war schauderhaft und die Rationen streng begrenzt. Es soll so hart gewesen sein, daß man mit dem darauf glitzernden Salzkristallen Schmuckstücke daraus ­hätte schnitzen können. Das Wasser war brackig, das Bier besser, am besten der Rum – so war die Verpflegung auf allen europäischen Schiffen43.

Bei kartoffelverpflegten Mannschaften blieb Scharbock44 (Skorbut), die Krank­heit aller Seefahrer, aus; selbst Kapitäne wie Vitus Bering, Entdecker der Straße zwischen Asien und Amerika, starben noch Mitte des 18. Jahrhunderts an Skorbut, eine Erkrankung wegen Vitamin-C-Mangel mit Zahn­fleisch-, Magen- und Darmbluten, in schweren Fällen auch Blutungen der Haut, Appetitlosigkeit und Blutarmut. Der Siegeszug der Kartoffel befreite Europa endgültig vom Skorbut.

Es verschwand auch auf euro­päischen Schiffen das durch einseitige Reiskost verursachte Beri Beri. Beri Beri ist gekennzeichnet durch zu­nehmende Lähmung der Bein­muskeln, Wassersucht und Herzschwäche durch Reis­genuß, dem durch Polieren das in den Schalen befindliche Vita­min B entzogen ist. Auch die erst mit Amerikas Entdeckung entstandene Pellagra, eine durch aus­schließ­liche Mais-Ernährung­ verursachte Krankheit45, ist nicht mehr anzutreffen, wenn die Menschen sich mit Kartoffeln verpflegen.

­Der berühmte Kapitän James Cook nahm auf seiner Reise in die Südsee46 neben Sauer­kraut, ­einer »portable soup«, einem Malzgetränk und Zitronen wohl auch Kartoffeln zur Verpflegung der Mannschaft an Bord; nur wenige Männer seines Schiffes»Resolution« starben an Skorbut – in einer Zeit, in der hundert Skorbut-Tote auf einem Ostindien-Segler keine Seltenheit waren.

Der französische Arzt Roussel de Bauzinem, der 1834 an Bord eines Walfängers fuhr, schreibt:
    »Auf das Verdeck wurde eine Butte mit ­rohen Kartoffeln gestellt, wovon die Leute jederzeit nehmen konnten. Ich selbst fand den Geschmack dieser Knollen angenehm er­frischend für den Mund und zuckerartig. Nach einigen Tagen bemerkte ich, daß sich die Gesichtsfarbe der Leute besserte, das Zahnfleisch wurde rein, das Atmen freier und ­Kräfte und Heiterkeit kehrten zurück. Der Skorbut war schon im Keimen unterdrückt worden. Die Butte wurde jeden Morgen gefüllt und war jeden Abend leer, bis wir in vollkommener Gesundheit in Havre ankamen, nachdem wir zehn Monate hindurch, ohne Pro­viant einzunehmen, in der See gewesen waren.«
Cooks Mannschaft war im übrigen geplagt von Stürmen und Eis und nur der Tausch Eisennägel gegen Schwester und Töchter der Eingeborenen auf Tahiti und das dortige Klima entschädigten für die Unbill der mehrjährigen Reise. Für die Verpflegung der Mann­schaft mit Sauer­krautmit dessen ge­gore­nen vege­tabi­lischen ­Säure erhielt Cook eine Goldmedaille der Londoner »Royal Society«. Neben etwa siebzig Fässern mit Frischwasser lagerte eine ebenso ­große Anzahl Fässer mit Sauerkraut. Aber weil Captain Cook seinen Matro­sen auch Zitronensaft gegen Skor­but verabreichte,­ erhielten die eng­lischen Seeleute den Spitznamen »Limey« (der noch heute besteht).

Die auf allen Meeren gefürchteten und freie Beute suchenden Piraten mit dem wehenden »Jolly Roger« hatten vielfach Kartoffeln und Sauerkraut (Ludwig Uhland: »Ein Deutscher hat’s zuerst gebaut, Drum ist’s ein deutsches Essen«) an Bord, so daß auf diesen Schiffen der lebensbedrohende Skorbut seltener auftrat. Leicht erklärlich: ­Seeleute waren zumeist Menschen aus den Unter­schichten, bei den Piraten herrschte zwar ein strenges Regiment (siehe John Silver), aber in Nahrungsfragen ging es wohl»demokratischer« zu (»Lieke­deeler«); die analphabetischen Unterschichten scheuten sich nicht, Kartoffeln zu essen – anders als auf den von herunter­gekom­menen, landlosen, zumeist un­gebildeten Adligen befehligten Schiffen, die dem Getreide treu blieben47.

Über die Reise des angeblich letzten ­Piraten der englischen Krone, Cap­tain George Anson, wird berichtet, daß schon bei der Überfahrt nach Amerika die Männer auf den durchnäßten, luftlosen Unterdecks an Mangel­­ernährung starben, von Un­geziefer bedeckt, die übrigen so schwach, daß sie die ­Leichen ihrer Kame­­raden nicht über Bord werfen konnten. Aber kurz vor der Rückkehr gelingt es ihnen, die Acapulco-Galeone, gefüllt mit peruanischem Silber, zu ­kapern und diesen Schatz nach England zu bringen.

Nicht nur in Nahrungs­fragen ging es demokratischer zu: Der unter west­indische Piraten verschlagene Arzt Alexandre Olivier Exque­melin beschreibt detailliert die Auf­teilung der Beute und die zusätz­lichen Entschädigungen bei den vielen »Kriegs­­verletzun­gen«; gerade hierüber ist er verwundert, denn er hätte nie erlebt, daß in Frankreich oder Eng­land ein »hoher Herr« eine Entschädigung gezahlt hätte, wenn einer seiner Diener zu Schaden gekommen war.

Auf seiner Reise nach Indien (um Afrika herum) notiert Vasco da Gama:
    »Es wurden uns dort viele Leute krank, Hände­ und Füße schwollen ihnen an, und das Zahnfleisch wucherte ihnen so über die Zähne, daß sie nichts mehr essen konnten.«

Es ist anzunehmen, daß in manchen Heimat­orten dieser Schiffs­besatzungen gleichfalls Kartoffeln, zumindest Batate, angebaut wurden (ein­deutige Zeug­nisse hierüber fehlen noch), um Kartoffeln auch auf der Fahrt nach Amerika der üb­lichen Schiffsverpflegung beizugeben (nur auf italienischen Schiffen wurde der venezianische Schiffs­­zwieback, der als der beste galt, als Proviant verteilt; weil dieser stärker als deutscher krümelt, ­lesen nur 44 Prozent der römischen im Bett gegenüber 77 Prozent der Berliner Schüler).

Salaman verweist auf einen Kapitän Patten, der mit seiner Mannschaft 1791 rund sieben Monate auf Tristan da Cunha lebte und Gemüse anbaute.

­Zwischen 1810 und 1815 wurde erneut ein Versuch unter­nommen, die Kartoffel und andere Gemüse auf Tristan da Cunha heimisch zu machen und dieses an vorbei­fahrende Clipper zu verkaufen. Ab 1816 ließ sich William Glass nebst Frau und Kindern dauer­haft auf der Insel nieder und versorgte mit Kartoffeln Amerika-Segler und Wal­fänger. Seit etwa 1810 beherrscht der Kartoffelanbau die Wirt­schaft des Eilandes.

Die schon bei den Nor­mannen bekannte Vorbeugungsmethode gegen Skor­but, der Verzehr von Zwiebeln48 war vergessen worden. Erst die Kennt­nis­ eines Verfahrens, Gemüse und Obst in Flaschen zu erhitzen (Anfang des 19. Jahrhunderts durch den Franzosen François Appert) und damit halt­barer zu machen, und erst mit der Erfindung der Konser­ven­­­büchse durch Bryan Don­kin (1812) und John Jall wurde die Schiffs­verpfle­gung und die Versorgung in den Armeen besser und ab­wechs­lungs­reicher, aber – ­wegen der mög­lichen Nebenwirkungen – auch ge­fähr­licher49. Bis in die 1920er Jahre waren neben der mög­lichen Vergiftung durch blei­haltige50 Kon­­serven­dosen die bakteriologischen und hygienischen Ver­hält­nisse in den Schlachthäusern von Chicago, dem Gateway to the West, ein Dschungel, wie Upton Sinclair schrieb; im übrigen habe er – so Sinclair – nicht die Herzen,­ sondern nur den Bauch der Bürger getroffen.

 

Die Kartoffel, ursprünglich nur für die Ziergärten der Granden und hidalgos vorgesehen, die sie einer­seits im Geschmack mit den Kastanien51 und Trüffeln (tartufo bianco – weißer Trüffel) ver­glichen und andererseits als klebrig und unverdaulich ansahen, wandelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte­ zu einem Nahrungsmittel der Seefahrer­familien und anderer unterer Schichten. Dennoch: Der Geschmack der Höfe steckt an, wird nachgemacht und nachgeahmt von den unteren Schichten. Obwohl die Kartoffel durch die Be­richte aus Amerika den Gebildeten bekannt ge­wesen sein dürfte, blieb der Anbau aus Ernährungsgründen auf wenige Orte, zumeist Hafenstädte, beschränkt.

Anderer­seits: Da sie angeblich nicht ­schmeckte, errang die Kartoffel den Ruf, aphrodisisch-paradiesische Wir­kungen her­vor­­zurufen und wurde daher vom Adel teuer bezahlt.

Der Bericht von Acosta wurde ins Italienische, Französische, Englische und Niederländische übersetzt, so daß die Kartoffel bekannt wurde. Acosta nennt die Kartoffel»Papa« und erklärt, daß die »Indianer« ­diese­ anstelle Brot äßen.

In Spanien verlagerte sich der Kartoffelanbau bald nach Galizien – noch heute eine der strukturschwächsten (d.h. ärmsten) Regionen Spaniens –, nach Andalusien, an die Sierra Nevada und nach Alt-Kastilien; von dort gelangte sie nach Genua. 1557 meinte der italienische Arzt, Mathematiker und Astrologe Gero­nimo Cardano (Hieronymus Cardanus) über die Kartoffel in »De rerum Varie­tate«:
    »Sie ist eine Art Trüffel, die man anstelle von Brot essen kann.«

Cardano berichtet über die Kartoffel, ohne daß er sie selbst gesehen hat, sie sei Brotersatz bei den »Indianern« der Neuen Welt.

Kartoffeln waren die ideale Nahrung für die Armen. Johann Georg Leopoldt schreibt 1759:
    »Tartuffeln sind den Armen, welchen das Brot zu schaffen schwer fällt, eine gute sättigende Speise; sie brauchen weder Brot noch Butter, wenn sie nur Tartuffeln zu kochen haben, doch Salz muß zum Ein­streuen seyn.«

Der Agrarhistoriker Heinz Haushofer beschreibt die Kartoffelgeschichte als
    »ein langsames Einsickern über die botanischen Gärten in die Bürger­gärten und end­lich­ in die Hausgärten und -änger der Bauern.«­


Eine Ergänzung zu den Gärten der Bauern und Botaniker: Der Garten des Bauern war ein reiner Nutz­garten, denn die Rodung von Wald für Anbau­zwecke war ein so mühsames Geschäft, daß man die gewonnenen Flächen nicht für Blumen verschwendete. Der Garten als Nutzgarten stand schon früh (zum Beispiel durch die Lex Bajuva­riorum aus dem Jahr 745) unter besonderem Schutz; Obst- oder Gemüsediebstahl wurde hart bestraft.

Die ersten Gärten (nach dem Untergang Roms) entstanden innerhalb der Kloster­mauern, denn bene­diktinischer Vorschrift gemäß mußten sich die Brüder selbst mit allem Notwendigen versorgen. Dazu gehörten die drei klassischen Formen des Gartens im Mittelalter (und bis weit ins 19. Jahrhundert) ein Gemüsegarten (hortus), ein medizinischer Kräutergarten (herbu­larius) und ein Baum- und Obstgarten (pomarius).

Diese grundsätzliche Einteilung einer Garten­an­lage wurde von den in Städten wohnenden Bota­nikern und Ärzten übernommen. Zu den angebauten Gemüsepflanzen gehörten Zwiebeln, Lauch, Rettich, Rüben, Pastinak und Kohl, zu den Kräuter- und Gewürz-Beeten (mit Sellerie, Koriander, Mohn52, Dill, Kerbel und Petersilie) kam bei den Archiatern der Heilkräutergarten (wurzgarte).

Bauern- wie Medizinergarten waren symmetrisch gegliedert, vielfach unter Beachtung der allgemein üblichen Zahlensymbolik (drei Beete für den Dreieinigen Gott, vier »Quartiere« wie im Para­dies, sieben wegen der Stufenanzahl zum Tempel Salomons, neun Beete wegen der Engelhier­archie). Abbildungen zeigen, daß diese Gärten umzäunt waren, so daß man ungesehen die Kartoffel anpflanzen konnte, aber auch Hanf, Tollkirche und andere Pflanzen, die die Lust erhöhten und die »ehe­lichen wercke« erleichterten.

 
Die anfänglich als Nahrungsmittelverachtete Kartoffel (Uwe Timm fälsch­lich:»Der Prolet unter den Gemüsen«), kommt gewaschen und gepellt von den blanken Tischen der Armen auf die damaste­nen Tischdecken53 der «edeln und bieder«54 Bürger, von den »tumpen« Bauern zu den gesitteten Städtern, von dem – so Heinrich Heine –»gewöhnlichen zinnern Pöbel« zum »halb Dutzend silbernen Löffel«, vom Park aufs Parkett. Sie ist das einzige Nahrungsmittel, das vom Ge­sinde und den Tage­löhnern her­kommend die Tische der Reichen erobert.

Zu Anfang also eine »Blume« der Mon­archen, der Hochwohlgeborenen und der reichen Handelsleute, in Gärten gehütet. Die Kartoffel ist eine wahrhaft demokratische Frucht, die praktisch überall wächst und im Stich gelassen – durch ihre vegetative Vermehrung – auch für die eigene Ver­vielfachung sorgt.

Den gegenteiligen Weg hat die Ananas gemacht: Der »Aristokrat« unter den Früchten kommt von den Tischen der Könige zum Volk und wurde »demo­kra­tisiert«. Hans Christian Andersen: »Es schadet nichts, in einem Entenhof ge­boren zu sein, wenn man nur in einem Schwanen­ei ge­legen hat.« So war das mit der Kartoffel.

Nach Arthur Schopenhauer, dem Erfinder vom »Reliefpfeiler«, durch­läuft jedes Problem bis zu seiner Anerkennung drei Stufen: Erst wird es kaum beachtet oder lächerlich gemacht. Als nächstes wird es bekämpft. Und zuletzt gilt es als selbstverständlich. Das ist übertragbar auf die Knolle.
    »Ewig sey von mir verflucht,

    du verhaßte Pöbelfrucht!

    Dich gebar der Schooss der Erde

    Für den Schlund der Borstenheerde

    Doch der Menschen Sparsucht hat

    Aus des Mastviehs dunklen Koben

    Dich an seinen Tisch erhoben,

    und nun essen Dorf und Stadt

    ohne Schaam an dir sich satt.

    Pfui, o pfui! Ist das zu loben?
 
Der Aufstieg der Kar­toffelwurde begünstigt durch die ungewöhnlich breite Zu­bereitungsskala, die es ermöglichte, daß der Bürger sich weiterhin vom ­Armen unterscheiden konnte. Der Wohlsituierte formte sich Kartoffelklöße mit Speck, ließ sich ­einen Kar­toffel­auflauf machen oder aß – wie Preußens Friedrich II. – »Macaire-Kartoffeln«, während sich die Unterschicht an Pell- oder Bratkartoffeln satt aß.

Der Ernährungshistoriker Uwe Spiekermann von der Universität Göttingen meint, daß es neben ökonomischen auch andere Gründe gibt, die die Speisenwahl bestimmen: Der erwartete Genuß oder die symbolische Qualität, die sich im 20. Jahrhundert auch gegen Maßnahmen staatlicher Ernährungspolitik behauptet hätten. Mittels Ernährung gäbe es auch ein Bedürfnis (und die Möglichkeit), den sozialen Status zu beweisen. Das führt wieder zur Kartoffel, denn rational kann man die Ablehnung des frühen Bürgertums gegen die Kartoffel nicht erklären. Abgelehnt wurde eine Pflanze, die ernährungsphysiologisch und gesund war und mit der ökonomisch zu wirtschaften ist.

Die Kartoffel machte »den Unterschied aus, ein Kind aufziehen zu können oder fünf«. Bessere Ernährung bedeutete geringere Kindersterblichkeit, was wieder­­um (wegen der Realteilung) zur Stadtflucht zwang, wo die Menschen sich in den entstehenden Manu­fak­turen und Fabri­ken, in der Schiffahrt oder in der Armee verdingen konnten und mußten.

1828 schreibt Sir John Sinclair:
    »There is no species of human food that can be consumed in a greater variety of modes than the potato.«

 
Philipp II., König von Spanien, von Neapel, von England und von Portugal (nicht alles immer gleichzeitig)55, ließ sich 1565 aus Peru (Cuzco, dem »Nabel« in der Quechua-Sprache) einige Knollen (in einer Musterkiste mit Produkten aus der Neuen Welt) mitbringen, von denen er einige nach Rom an Papst Pius IV. zur Stärkung der Gesundheit gesandt haben soll; berichtet wird, daß die weich­gekochten Kartoffeln dem Papst insbesondere wegen seines Zahnwehs wohl­taten56. Sala­man, der bei den Archivaren des Vatikan nachforschte, konnte keinen Beleg für diese Sendung erhalten, aber es ist dies eine der Geschichten über die Kartoffel, die immer wieder erzählt wird und deshalb soll sie hier nicht verschwiegen werden.

Philipp II. hatte sicherlich auch andere Sorgen als Kartoffeln an den Papst zu schicken. Aber: An­geb­lich sind über diesen spanischen Weg die Knollen an einen in den spanischen Niederlanden lebenden Kardinal weiter­gereicht wor­den, der seiner­seits »zwei Knollen und eine Frucht«, »Papas Perua­norum Petri Ciecae«, dem Präfekten von Mons in Flandern (im Hennegau), Philippe de Sivry, gab. Dieser hieß seine Gärtner, die Knollen in seinem Garten pflanzen; in einem anderen Bericht wird gesagt, der Kardinal hätte die Knolle an einen­ Ver­wandten in Bel­gien weitergegeben und de Sivry von diesem die Knollenpflanze erhalten. De Sivry wiederum schickte zwei Knollen nach Wien, wo der damals schon berühmte­ französische Botaniker Carolus Clusius lebte.

Carolus Clusius Atrebatis (Charles de l’Écluse d’Arras Seigneur de Watènes) war in den Jahren 1573 bis 1587 Vor­steher aller Gärten von Kaiser Maximilian II. bzw. ab 1576 von dessen Nach­folger Rudolf II.57 Marie de Brime, Princesse de Chimay, sagte über Clusius, er wäre »Le père de tous les beaux jardins de ce pays«. Der Pflanzenaustausch und die damit verbundene wissenschaftliche Dis­kussion­ in der Gelehrtenwelt – nicht nur zwischen Botani­kern­ – ­führte zum Bekanntwerden der Kartoffel.

Clusius fertigte eine Aquarell-Zeichnung der ihm zugeschickten Pflanze und datierte sie mit »Wien, den 26. Januar 1588« (heute im Plantin-More­tus-Museum in Antwerpen aufbewahrt) und nennt die Knolle hier »taratouffli«, also mit einem der ­frühen italienischen Namen.

Clusius war – wie viele Gelehrte seiner Zeit – ein weitgereister Mann, hatte in Padua studiert und von 1552 bis 1564 in Spanien gelebt, »um die ­neuen Pflanzen zu studieren«. Der aus dem nordfranzösischen Arras stammende Clusius hatte schon 1587 auf ­einem hinter der Uni­versi­tät von Leiden, dem »Athen Batavias«, ge­legenem Terrain den ersten botanischen Garten angelegt, um seine Medizin­studenten mit Heilkräutern­ – mit heiligen Kräutern – vertraut zu machen. Aus dieser Ein­richtung entwickelte sich ein Forschungszentrum, die Errichtung von Gewächs­häusern ermöglichte den An­bau tropischer Pflanzen. Die heutigen Gewächs­häusern dienten also ursprünglich der Forschung und nicht der Herstellung von Tulpen, Nelken und Narzissen und von sogenannten Tomaten.

Es kann sein, daß Clusius bereits während seines Aufenthalts in Spanien in den 1560er Jahren von der Kartoffel erfuhr (ohne sie jedoch gesehen zu haben), obwohl er sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht erwähnt; Clusius als gewissenhafter Botaniker beschrieb nur die Pflanzen, die er selbst ge­sehen hatte.

Zwei Knollen soll Clusius von Acosta erhalten haben. Die auf dem Wiener Aquarell abgebildete Kartoffel, die an Gelehrte in Italien, in der Schweiz, in Frankreich, Österreich und in den spanischen Niederlande weitergereicht wurden, waren spät reifende, rot­schalige Knollen.

In der Ausgabe des »Plantarum« von 1601 benennt Clusius einen Abschnitt »Arachidna Theoph forte Papas Peruanorum«. Es sei erstaun­lich, so Clu­sius, daß die Knolle bisher noch nicht in Italien beschrieben worden war, ob­wohl sie
    »wie man sagt, in einigen Orten Italiens so gemein und häufig ist, daß ihre Knollen mit Hammelfleisch gleich wie Rüben und Pasti­nak­­wurzeln gegessen werden, ja, daß man sogar die Schweine damit füttert.«

Aus Unterlagen im Botanischen Archiv der Universität Padua geht zweifels­frei hervor, daß bereits 1597 die Knolle im Garten der Universität vorhanden war. Möglicherweise haben die Freunde Clu­sius‘ am Lehrstuhl geklebt und sind nicht mehr in ihre eigenen Gärten gegangen. Clusius verweist darauf, daß er in Frankfurt von Jacobus Geratus jun. ein Bild von einer Kartoffelpflanze erhalten hätte, aber er – Clusius – hätte sich zwei Holzschnitte­ nach einer »lebenden« Pflanze erstellt, das eine zeige die Blüte und die Früchte, das andere die Wurzeln und die Knollen.

Nach dem Bericht »Cenni storici sulla intro­duzione di varie plante nell’agricoltura di Toscana« von Targioni-Tozetti, Florenz 1853, soll die Kar­toffel aber am Ende des 16. Jahrhunderts in Italien noch selten gewesen sein.

 
Die Kartoffel galt als giftig, und sie war es auch unter bestimmten Umständen; das reizte die damaligen»Hobbygärtner«, denn was giftig war, ist auch gut für die »ehelichen wercke« wie sie von der Tollkirsche wußten. Botaniker, Ärzte und Adel bauten sie – neben der Tomate – in ihren Gärten als Zierpflanze an, nicht als zusätzliches Nahrungsmittel. Gegessen wurde weiterhin Gemüse wie Erbsen (kommen gelbe Erbsen aus China?), Bohnen, Weißkohl, Karotten, Kohl­rüben, Rote Rüben und Gurken – sie bildeten mit Milch­produk­ten und Eiern (in Holland wurde gesagt: »Ein gebratenes Ei ist der Trost der Armen«) die Grundlage für die Ernährung des Volkes; Fluß- und (an den Küsten) Meeresfische vervollständigten die einfache Kost. Fleisch als Nahrung für die Massen war nach der Mitte des 16. Jahr­hundert (bis etwa 1850), in den Städten und auf dem Lande, selten, obwohl der Preis relativ niedrig war58; da die Kosten für Getreides übertrieben stiegen, fehlte grundsätzlich das Geld für den Kauf von Überflüssigen.

Die Menschen mußten ihre beschränkten Mittel für die sattmachenden voluminösen Pflanzenprodukte (»nicht gut, aber viel«) einsetzen, für Getreide und Hülsenfrüchte, für Kraut und Rüben und auch schon für die Kartoffel. Zukost zum Brot war – aber nur für die ländlichen Selbsterzeuger – Käse, Quark (in Ostpreußen: Glumse), Molke, Buttermilch. Dabei muß man wissen, daß Käse an Verwesung erinnerte. Käse war seit Jahr­hunderten mit unerfreulichen Assoziationen verbunden; in Abhandlungen bis zur Renais­sance galt Käse als unverdaulich und gesundheitsschädlich. Auf den Bildern hollän­discher Maler mit Käse-Motiven waren häufig (realistisch) Maden und Würmer zu sehen. Da wird’s verständlich, daß es Menschen gibt, die ein Produkt aus Drüsenfett ablehnen. Andererseits: Käse bedeutet Vieh­haltung, was wiederum Fleisch als Nahrung impliziert, andererseits war Käse die einzige Möglichkeit, Milch haltbar zu machen und in Käseform besser zu transportieren.

Dazu gab es vielfach noch Kofent, ein billiges, aus dem zweiten Aufguß gebrautes Schwachbier59. Getreide- und Gemüsebreie bilde­ten das Haupt­gericht jeder Mahlzeit, außerdem Klöße, die bis zur Einführung der Kartoffel aus (zumeist) Gerstenmehl bestanden. Da Butter und Eier Handels­objekte waren, standen sie im Regelfall nicht auf dem Tisch. Wenn Fleisch von den ärmeren Schichten überhaupt gekauft wurde, dann»Abfall-« und Kleinfleisch, das billig abgegeben wurde; für 1731 wird aus Schöneck im Vogtland berichtet, daß viele Familien ein ganzes Jahr lang kein Fleisch gegessen hatten.

Theodore Ziolkowski zitiert einen Beobachter am Ende des 18. Jahr­hunderts aus Jena:
    »Sind auch die Hauptingredienzien der Schüssel eßbar, so schwimmt gewiß das Rindfleisch in einer widerwärtigen Sauce von Zucker und Mehl und Rosinen, oder die kaltgewordene Butter stinkt aus der Suppe und dergleichen.«

Sofern in der Frühzeit des Kartoffelanbaus die Tartüffeln als Nahrung auf die Tische gelangten, galten sie als teure Delikatesse, da sie in europäischen Breiten erst sehr spät im Herbst Knollen ansetzten und nur einen geringen Ertrag erbrachten, und sie waren in aller Regel pro Stück wesentlich kleiner als die heutige Durchschnittsware – daher auch der Vergleich mit der Trüffel. Ansonsten ­waren sie – so auchClusius fälschlicherweise über die ­Kartoffel in Nord-Italien – Futter für die Schweine (Wilhelm Busch: »Der Güter höchstes ist das Schwein – man muß es haben oder sein.«)

Alles Neue schien nur für die Schweine zu sein: Über die Schokolade schreibt Girolamo Benzoni in seiner 1575 veröffentlichten Schrift »Storia del Mondo Nuovo«, daß diese »eher ein Getränk für Schweine zu sein [schien] als für die Menschheit«. Der Wider­spruch zwischen Delikatesse einerseits und Schweine­futter andererseits löst sich auf, wenn bedacht wird, daß die Bewertung der Knolle (und anderer unbekannter Nahrungsmittel) in verschiedenen Regionen oder Zeiten schwankte; sicher ist nur, daß die Kartoffel bei Reich und Arm Zusatz­kost war.

Johann Heinrich Herwart, Ratsherr und Patri­zier in Augsburg, ein Sammler exotischer Pflanzen, züchtet 1559 nicht nur die erste Tulpe auf deutschem Boden, sondern auch Kartoffeln in seinem Garten. Jeder Bürger trachtete danach, zuerst in seinem Garten eine neue Pflanze zum Blühen zu bringen.

1596 beschreibt der Arzt Dr. Martin Chmielecius eine weiß­schalige Kartoffel, die in seinem Garten wächst.

Eine Ergänzung: Der Garten war stets ein zum Haus gehöriger Bereich; er unterlag keinerlei Flurzwang, der um­zäunte Garten unterlag nach altem deutschen Recht einem »Gartenfrieden«, in dem man sogar eindringendes Vieh und Menschen ­töten durfte. Der Garten – erst später vom Wohnhaus getrennt – bereitete den Bürgern unabhängig von ihrem Stand ­Freude (wie im 20. Jahrhundert die »Datsche«) und gab ihnen besondere Nahrung. Im Garten konnte man – durch keinerlei Flur­vorschriften bedrängt – Experimente mit ­neuen Pflanzen und mit neuen Anbaumethoden (Dünger von der nahen Hoftoilette) durchführen und fest­stellen, welche Pflanzen sich auf engem Raum mit anderen Pflanzen vertrugen und welche man besser getrennt hielt. Die sog. Bauerngärten in heutigen Gartenanlagen zeigen noch die Vielfalt der angebauten Kräuter und Gewürze.

 
Gartenarchitektur war in allen europäischen Län­der eine Modetorheit für Adel und reichem Bürger. In Erfurt gründete zum Beispiel 1525 Henri­cus Cordus einen Garten; die Gärten der Fugger in Augsburg waren so groß, daß die Bürger Klage führ­ten, es stünde kein Raum für Hausbau innerhalb der Stadt zur Ver­fügung und die Wohnstätten würden dadurch beengt.

1560 bis 1564 reiste Clusius mit dem Augsburger Hans Fugger, einem der Erben des Grafen ­Anton Fugger, durch ­Spanien, um neue Pflanzen für diesen Garten zu beschaffen.

In Breslau ließ sich 1585 Laurentius Scholz von Rose­­nau, der in Bologna und Padua ­Me­di­zin studiert hatte, nieder, und mit seinem Ver­mögen wuchs auch sein Garten. Der Garten von Scholz war wie allgemein gebräuchlich quadratisch mit Wegen, so daß vier Quadrate oder Abteilungen ent­standen. Das Haupttor zu diesem Garten trug die Inschrift: »zum Lob und Preis dem allmächtigen Gotte, zum Ruhm der Vaterstadt, zur Benutzung für Freunde und Studierende der Botanik, endlich sich selbst zur Erholung, habe er diesen von altersher verwahrlosten Garten auf eigene Kosten neu eingerichtet und mit einheimischen und ausländischen Pflanzen ausgestattet.«

Nach der Sitte der Zeit ließ er seinen Garten von einem Breslauer Maler naturgetreu nachbilden; in dem »Ca­ta­l­ogus arborum, fructicum ac plan­tarum« aus dem Jahr 1594 wird ein in natür­liches Farben gehaltenes Bild der Kartoffel ab­gebildet; dieses Bild ging auch an Gaspard Bauhin in Basel. Über den medi­zinischen Teil des Gartens von Scholz heißt es:
    »Hier werden 385 Sorten, unter ihnen auch viele ausländische Pflanzen, die sich der Doktor durch seine weiten Verbindungen aus Spanien, Italien und Österreich verschafft hat, auf zierlichen Beeten gepflegt, auch hier gibt es für jede Pflanze ein besonderes. Neben den medi­zinischen Kräutern ... wachsen hier die Gewürzkräuter italie­ni­scher Gärten, wie Basilikum, Majoran, Melisse, Ysop, Rosmarin, Raute und Diptam. Dann aber ­blühen hier Neuheiten, die erste unlängst portugiesische Seefahrer aus Indien brachten, wie Canna und Balsa­mine, und vor allem das bis­her unbekannte Kraut der Kartoffel.«

Kartoffeln waren exotische Zier- und Heilpflanzen in den Gärten geistlicher und weltlicher Herrscher, wuchsen in medizinischen Gärten der Uni­ver­sitäten und auch in den Küchengärten der ­Klöster und wohlhabender Patrizier. Der Wert ­eines Garten wurde nicht nur wegen seiner Anlage, sondern auch nach der Anzahl der in ihm wachsenden exotischen Pflanzen gemessen. Die Knollenpflanze wurde von Fürsten­­hof zu Fürstenhof weiter­­gereicht, nicht nur als Zierpflanze, sondern auch, weil man ihr zuschrieb, zur»Stärkung der ehe­lichen wercke« beizutragen.

Pietro Andrea Mat­tioli 1578:
    »Die Engelländer aber bereiten sie zu mit Oel / Essig und Pfeffer: also sollen sie die ehe­lichen Werck befördern / den Samen mehren / und den Schwindsüchtigen nutzlich seyn.«

Der Nürnberger Arzt und Dekan des »Collegium medicum« Joachim Camera­rius60, der einen der berühmtesten Gärten in Europa besaß, soll nach 1588 in seinem Garten Kartoffeln gezogen haben und diese 1590 oder 1591 an den Bamberger »Archiater« (Leib­­­arzt) Sigismund Schnitzer ge­schickt haben. Es wird angenommen, daß Camera­rius die Kartoffeln auch an an­dere Ärzte geschickt habe, da er als Archiater an regem Gedankenaustausch mit sei­nen Schülern und Kollegen interessiert ge­wesen ist. Die Ärzte waren seiner­zeit immer auf der Suche nach ­neuen, unbekannten Pflanzen als Heil­mittel und nicht nach dem Krankenschein für das nächste Quartal.

Die Berichte der Spanier über die Verwendung der Kartoffel als Heilpflanze bei den Inkas hatten sich in Medizinerkreisen verbreitet, ohne daß eine »Rote Liste« aufgestellt worden war oder die Pharma-Industrie Lizenzgebühren für Genererika verlangen konnte.

Eine der ersten Abbildungen der Kartoffel ­wurde in dem »Neuw voll­kommentlich Kreuter­buch« des Jakob Theodor Bergzabern (Taber­nae­montanus) im Elsaß 1588 veröffentlicht; Berg­zabern nennt die von ihm beschriebene ­Pflanze »Sisa­rum Peruvianum, Indianische Zuckerwurzel«:
    »Dieses kraut ist aus der insel Virginien in Enge­land, von dannen in Frankreich und anderswohin gebracht worden; etlich wollen, es seye aus Spanien erstlich, demnach in Italien gebracht worden. Ist jetz­malen bey den Deutschen, Engeländern, Franzosen, Ita­liä­nern und Spa­niern gar gemein, und wird durch die wur­zel leichtlich gemehrt, darum dann gemeiniglich gegen den winter die wurzeln ausgegraben, und im frühlinge wieder gesezt werden. Die Burgunder pflegen die äste zu biegen, mit erdreich zu deken, und also mehr Grübling zu bekommen.«

Das »Kreuter­buch« umfaßt 1600 Seiten. Berg­zabern hatte alle von ihm aufgeführten und beschriebenen Pflanzen auf ihre Zwecke in der Medi­zin untersucht. Bereits im 10. Jahrhundert schrieb der Araber Ibn al-Awwam:
    »Die Existenz der Arzneikunde wird immer wichtiger, je mehr sich die zum Brotbacken verwendete Pflanze von den geeigneten botanischen Bedingungen entfernt, daraus eine Kulturpflanze zu machen.«

1590 erhielten die in Basel lebenden Schweizer Brüder Jean und Gaspard Bauhin einige Kartoffelpflanzen, die entweder über Spanien direkt aus Peru stammten oder von Camerarius in Nürn­berg, der einen der berühmtesten Gärten Deutschlands hatte. 1592 kultivierten sie die Pflanze unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten in ihrem ­Garten:
    »Ich empfing Samen dieser Pflanze, die man spanische oder richtiger indianische pappas nennt. In unserem Garten ausgesät, wuchs sie und bildete eine Art verzweigtes Bäumchen.«

Im »Phytopinax seu enumeratio plantarum ab herbariis nostro seculo descriptum, cum earum differencis«, einem botanischen Werk mit Be­schreibun­gen von über 2700 damals bekannten Pflanzen, wird von Gaspard Bauhin 1596 eine weitere Beschreibung der »Pappas Hispanorum ali­quan­do et Indorum nomine« gegeben; erst 1620 nennt er sie
    »Solanum tuberosum esculentum: Das ist Nacht­schatten mit knorrechtigen Wurtzeln«

(escu­lutum: eßbar) oder India­ni­sche (bei Mattioli: »Indische«) Papas. Im »Phytopinax« schreibt ­Bauhin:
    »Wir beschlossen, die Pflanze solanum zu nennen, weil ihre Blätter denen der Tomate ähnlich sehen und ihre Blüten wie die der Auber­ginen aussehen und auch so riechen. Ich bekam einige Setzlinge dieser Pflanze, die in Spanien papas genannt wird. Der be­kannte Dr. Lauren­tius Scholtz, ein Arzt aus Breslau, in dessen Garten die Pflanze wächst, schickte mir einige Ableger derselben als Freundschafts­beweis. Sie trugen aber bei mir keine Früchte oder Knollen.«

»Solanum« ist eine alte lateinische Bezeichnung (von solanem, ruhig, geruhsam am Abend) für die Pflanzen dieser Gattung, »tuberosum« bedeutet knollig.

Falsch sei, so Bauhin, diese Pflanze als»Grüb­lingsbaum«61 zu bezeichnen, da es sich nicht um ­einen Baum, sondern um eine Wurzelpflanze handele. Im Wörterbuch der deutschen Sprache der Gebrüder Grimm steht, daß Bauhin die Staude mit Grüblingsbaum oder Knollenbaum ­übersetzte. Bauhin selbst hat mit seiner Beschreibung der Kartoffel den sonst un­verständlichen Namen »Grüb­­lings-Baum« hervorgerufen. Gaspard Bauhin schreibt weiter:
    »Diese Pflanze namens Cartoufle trägt Früchte gleichen Namens, wie es die Trüffel tut, weshalb manche sie so nennen. Sie ­gelangte vor nicht allzu langer Zeit aus Deutschland in die Dauphiné.«

Bauhin erwähnt auch im »Phytopinax«, daß sich diese Pflanze im Garten des Baseler Professors Dr. Martin Chmielecius (Chmieleck) befunden habe.

Es gibt zwar in vielen besseren Restaurants »pommes dauphine«, aber keine – zum Beispiel – »Erdäpfel nach deutscher Art«. Selbst die Knödel haben eher den Zusatz »böhmisch« (Houskovy knedlik) denn deutsch.

Baloun in Ha¨eks »Abenteuer des Soldaten Schwejk«:
    »So ein hübsch gebratenes Stück ausn Salzwasser, mit Erdäpfelknödeln, mit Grieben bestreut ... «

 

1596 veröffentlicht der Londoner John Gerard, Hofbotaniker bei Königin Elisabeth I., ­einen Bericht über die in seinem Garten kultivierten Pflanzen62. Eine Abbildung der Kartoffel in dem »The Herball or Generall History of Plants« Gerards ­folgte 1597; das Titelbild zeigt Gerard mit einer Kartoffelblüte in der Hand. Gerard, Obergärtner im»Cecil House« (gelegen am»Strand«, dem ursprünglichen Ufer der Themse, eine Straße zwischen Trafalgar Square und Fleet Street) bei Lord Burghley, dem Schatz­kanzler von Elisabeth I., soll die Kartoffel von Walter Raleighoder – un­wahrschein­licher – von Francis Drake erhalten haben. In verschiedenen Aus­gaben des »Herball« nennt Gerard die Kartoffel »Papas orbiculatus«, »Batata virginiana sive Virginianorum et Pappas« und »Potatoes of Virginia«; seine Geschichte der Kartoffel ist für mehr als dreihundert Jahre die ausführlichste Darstellung. Es ist bis heute unklar, warum Gerard die Kartoffel »Virginiana« nennt – weil er glaubte, sie käme aus der Kolonie Virginia oder zu Ehren der »jungfräulichen« Herrscherin (Elisabeth) Englands.

In einer weiteren Ausgabe des »Herball« durch Thomas Johnson (1633) wird eine Illustration der Kartoffel wiedergegeben, die der von Bauhins Zeichnung in der »Historia« entspricht; das war auch notwendig, denn in der ersten Ausgabe von 1597 war die Kartoffel noch in Form eines Baumes abgebildet – ähnlich wie auch bei Parkinson war die Kartoffel nur vom Hören­sagen bekannt. Gerard (er war Bader und Wundarzt und kein ausgebildeter Botaniker), der in Holborn nahe London Kartoffeln selbst anbaute, erklärt im »Herball«, daß die Knollen der eßbare Teil seien, und die Blätter würden denen der ­Kresse geschmacklich ähneln. Gut, daß die normale Be­vö­lkerung diese Bücher nicht ­lesen konnte.

Gerard, der die neue Pflanze »Potatoes of Virginia, Battata Virginiana sive Virginianorum vel pap­pas« nannte, schickte die Kartoffel anClusius, der zu jener Zeit in Leiden lebte; dieser beschrieb seinerseits in einem 1605 veröffentlichten »Exotico­rum libri decem« die Kartoffel und auch weiter nach Burgund verschickt haben; von da kamen die Kartoffeln in deutsche Lande, ins öst­liche Frankreich und auch wieder nach (Nord-)Italien; reiche Patri­zier aus Venedig63 ließen 1765»fabrik­mäßig« (so Braudel, der damit eine hohe Arbeitsteilung mit Spezialisierung und mit befristet beschäftigten Lohn­­arbeitern meint) die Kartoffel auf ­ihren Ländereien anbauen – Venedig wird zum Träger ­einer auf Fischzucht, Fleischerzeugung und Landwirtschaft aus­gerichteten Agrarrevolution. Neben Kartoffeln (nachweislich seit 1765 in dem Anguillara bei Rovigo an der Etsch) wird auf diesen Gütern Mais, Weizen, Obst und Hanf an­gebaut. Die Venezianer wechseln vom reinen (und riskanten) Handelsgeschäft auf Ackerbau und Viehzucht über.

 
Ab 1588 betreute Clusius die von dem Nürnberger Camerarius an­gelegten Lustgärten des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel. Johannes Royer ver­schönerte seit 1648 als Obergärtner die Zier- und Lustgärten im Hessi­schen mit den Kartoffelblüten. Clusius soll 1589 die Kartoffel als Ziersträucher zur Ein­fassung von Beeten in seinem Haus in Frankfurt angepflanzt haben, und er soll in diesem Garten64 (an der heutigen Taunusanlage) während der Jahre 1588 bis 1593 die seltensten Pflanzen Europas und auch Tulpenzwiebeln, gegärtnert haben; mit den Tulpen hat er sich an der insbesondere in Holland und England grassierenden wirren Tulpen-Spekulation mit Wucherpreisen beteiligt.65

Das Frühjahr 1589 gilt demnach als einer der Zeitpunkte, in dem die Kartoffel erstmals auf deutschen Boden wuchs.

Im Kräuterbuch von Pietro Andrea Mattioli wird 1678 eine auf Gaspard Bauhin zurückgeführte Beschreibung des »Grübling Baum«, wie dieser die Kartoffel in dem Kräuterbuch von Bergzabern (in dem 2. Teil der 3. Sektion im 51. Kapitel) nannte, gegeben:
    »Der Nachtschatten mit knorrechtigen Wurtzeln / oder Indische Papas, hat einen dicken / Eckechten / Gestreiften und etwas hakrechten stengel / welcher zwo oder drey ellen hoch / selten aber in Manshöhe herfür kombt. ... Und wird diese Wurtzel wie die Grübling in der Speiß gebrauchet, unter den Aeschen gebraten, geschölt, und mit Pfeffer genossen.«

Angeblich sei der Name»Grüblingsbaum« darauf zurückzuführen, daß die Stengel»zwei bis sechs Ellen« lang gewesen seien und man sie deshalb wie Weinreben an Stöcken gezogen habe. »Grüb­ling« war aber auch ein deutscher Name für die Trüffel. Und aus Trüffel wurde später eine norddeutsche Bezeichnung für Pantoffel – da soll sich einer noch auskennen.

Etwa 1612/1613 zeichnet Jean Bauhin eine Kar­toffelpflanze, die aber erst 1650–1651 in der von seinem Schwiegersohn Johann Cherler heraus­gegebenen »Historiae plantarum universalis« veröffentlicht wird. Weitere frühe Abbildun­gen (Holz­schnitte) der Kartoffel sind im »Prodromos Theatri Botanici« des Gaspard Bauhin (1620 in Frankfurt/Main gedruckt), in John Gerards »Paradisi in Sole Paradisus terrestris« (1629 in London und in Jean Bauhins, 1651 in Yverdon in der Schweiz von Domi­­nicus Chabraeus (Chabrey) heraus­gegebenen »Histo­ria Plantarum Universalis« zu finden.

Chabraeus veröffentlicht 1666/1667 in Genf sein »Stirpian Incones et Sciaraphia« und nennt die Kartoffel »Papas Americanum Pycocono­nium«, »Openauk Insulae Virginae radix« und chuño – also alles ein wenig durcheinander und verwechselnd ver­wirrend. Die damals in den Wäldern Nord­amerikas geerntete wild­wachsende Openauk (Gly­cine apios), eine knollentragende ­Leguminose, wurde in ­einer deutschen Über­setzung von Hariots Bericht wie folgt beschrieben.
    »Openawk seynd rund Wurtzeln / etliche ­einer Baumnuß groß / etliche wohl größer. / Sie wachsen an feuchten und pfützigen ­Orten / ihrer viel hangen an einander / als wanns mit einem Schnürlein durchzogen wären. / In Wasser oder anderst gesotten geben eyn gute Speiß«.

Theodor de Bry, Großvater der Maria Sibylla Merian, druckt Anfang des 17. Jahrhunderts das bereits 1565 erstmals herausgegebene »Neuwe vnnd gründtliche Historien ...« von Girolamo Benzoni66, in dem die »Winde« erwähnt werden. Es ergibt sich ganz zweifelsfrei, daß Benzoni nicht die Kartoffel meint:
    »Sie pflantzen noch zwey andere Geschlecht von Wurtzeln bey jhnen / die eine heissen sie Batatas, die andere Haias, seynd einander gantz gleychförmig vnd ähnlich / weder allein das die Haias etwas kleiners vnd wol­geschmackters ist / weder die ander. Man pflanzet sie mit sonderm fleiß / vnnd tragen sie im sechsten Monat Frucht / welche etwas süßlecht vnnd safftiges seynd / aber settigen bald / vnd macht denen so sie essen viel Wind vnd Bläst im leib. Sie pflegen diese Frucht gemeinlich vnter Quetschgen zu kochen / da sie dann am besten ist. Es seint etliche die schreiben das solches Brodt su aß dieser Frucht gebacken wirdt / schmäcket gleich Marzapan / oder wie Kesten so in Zucker eingemacht. Aber nach meinem Verstand vnd nach meinem Magen / duncket mich daß die vneingemachten Kessen besser seind / dann diese Frucht.«

Da kommt also die berühmte Geschichte mit den bäuerlichen Winden her (!), wie sie Diderot später in der «Encyclopédie« erwähnt (der Wanderer ­Peter Hensel aus Lohr am Main: »Keiner wollte hinten geh’n, denn hinten war die Luft nicht schön.«)

1669 schreibt der Schweizer Daniel Rhagorius aus Basel in seinem»Erneuerter Pflantz-Garten oder Grundlicher Bericht, Obst- Kraut- und Wein­gärten mit Lust und Nutz anzustellen«:
    »3.Vom Cartoffel

    Ob vol die Cartoffel vor langem im Schweitzerland gemein gewesen, daß sie da dannen in andere Länder, und sonderlich nach Franck­reich kommen, so wird doch jetz und allda weniger als an anderen Orten darauff gehalten, weil sie mit ihrem überflüssigen Auß­breiten und groben hohen Stängeln zu zeiten mehr beschwärlich als angenehm also daß man sie nicht wol kommlich in Gärten pflantzen kann, sondern etwa an neben Orten, weil sie nicht mehr sol zu vertreiben, da sie einmahl recht eingewurtzelt und sich vermehret.«

Rhagorius nennt hier die Frucht Kartoffel; sein Hinweis auf die»Un­ausrottbarkeit« spricht aber dafür, daß es sich nicht um die Kartoffel, sondern um den Topinambur handelt.

Der schwedische BotanikerCarl von Linné67 über­nimmt die von Gaspard Bauhin festgelegte lateinische Bezeichnung der Kartoffel (ohne »esculen­tum«), als er 1735 auf elf Seiten im Folio-Format die »Systema Naturae« (eine Ordnung der Gegenstände der »drei Reiche der Natur«, eine revolutionäre Methodik der Klassifizierung von Pflan­zen, veröffentlicht und damit »ad majorem Dei gloriam« ein dauerhaft brauchbares Pflanzen­bestimmungs-System erstellt68. Auch in seinem be­deutend­stem Werk, der »Species plan­tarum«, ­einer Beschreibung von rund sechs­tausend Pflanzen, be­hält er die schon verwendete Benennung bei.

Linné war während seiner Studienreise nach Amsterdam gekommen und 1735 bei dem Engländer George Clifford, einem der ­Gouverneure der »Vereenig­de Oostindische Companie«69 und Bürgermeister von Amster­­dam, als»botanicus« an­gestellt worden; 1737 richtet er in Leiden für den Profes­sor der Medizin und der Bota­nik Adrian van Royen (Royenius) den»Hor­tum Leydensem«, ­einen botanischen Garten, ein. An bei­den Orten kam ihm die Kartoffel unter, denn in Leiden nennt er die Ard­appels »Solanum caule inermi herbaceo, foliis pin­natis interrimis«.

Kartoffelanbau in den Niederlande hat also nach­­gewiesenermaßen eine lange Tradi­tion; im Laufe der Jahrhunderte entfernte sich die vonClusius angebaute Süß­kartoffel jedoch immer mehr von dem ursprünglichen Geschmack und ent­wickelte sich zur»bintje«70; das (unparteiische?, deutsche) Bundessortenamt bewertet diese holländische Knolle im Ge­schmackstest mit der zweitschlechtesten Note – aber mit rund zweihunderttausend Tonnen liegt sie in den 1990er Jahren in Deutschland an dritter Stelle des Absatzes. Intensive Werbung, so ist auch hier festzustellen, hilft über weniger wertvolle Produkte leicht hinweg.

 
Der Erzbischof von Magdeburg erbittet vom Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel (regierte 1567–1592) »Alraun Wurzeln«, und im Jahr 1585 kann der Landgraf diesen Wunsch auch erfüllen:
    »drechtt ein sehr schönen Apffell aber gahr gifftig, dermaßen das wenn einer der Epffel einenn hatt liggen inn der Cammer darin es schlefft, große beschwerung unndt auch wohl gar doll im Kopffe machtt.«

Das genau war’s ja, was der Erzbischof wollte – eine richtige Dröhnung (und das sogar im Schlafzimmer!) würde man heute sagen.

Georg I. von Hessen-Darmstadt erbittet von seinem Bruder, dem Land­grafen Wilhelm IV., von Hessen-Kassel am 12. Februar 1591
    »eine wunder­liche Art Nüsse, welche Erd­nüsse genannt werden«,

und der schickt ihm am sechs Tage später einige Ableger der Kartoffel, die er selbst wahrscheinlich aus der Toskana erhalten hatte. In dem Begleitbrief schreibt er, daß er die »begehrte Erdtnuß« nicht in seinem Garten habe, aber:
    »Wir schicken E. L.71 hiernebenn einn Schachtelnn voll einer anderenn Art ge­wechße oder Erdtnuß, so man Tarathopholi nennett, tragenn feinne Rotte blumen und seindt auch gar gutter Artt.«

Die nicht gelieferten Erdnüsse (Carum Bulbo­castanum Koch) verspricht der Landgraf nach­zuschicken:
    »es wachsen aber deroselben den Sommer über gar viell umb Gun­dens­­berkg hero im Felde«,

Bei dem gelieferten Geschenk handelte es sich um die Kartoffel, die nach diesem Begleitschreiben von Wilhelm IV. in seinem Garten angebaut wurde; der Landgraf wird sie wohl auch an seiner Tafel – als Dessert – gereicht ­haben.

Im selben Jahr erbittet Kurfürst Christian I. von Sachsen72 vom hessisch-casse­li­schen Landgrafen
    »allerley Sahmen, schöne artige Blumen und andere schöne seltsame gewechse«

zur Anpflanzung in seinem Dresdner Garten – im Pomeranzenhaus –, denn Wilhelm sei»damit nach aller nothdurfft versehen«. Der Garten, angelegt vom Hausmarschall Hans von Kitzscher und dem Zeug­meister Paul Buchner, wurde 1591 begonnen und im Jahr darauf fertiggestellt; er entstand aus der Zusammenlegung des Garten von Meister ­Georg und des Kammerherrn von Wolfersdorf. Ursprünglich für die Herzogin Sophie bestimmt trug er den Namen »Kurfürst­licher Pomeranzengarten«, »kurfürstlich-sächsi­scher grosser Garten vor dem Wils­druffer Thore«, »kurfürstlicher Lustgarten und wel­scher Garten« und noch später »Herzogin Garten«.

 Nachweisbar ist, daß Wilhelm IV. Kartoffelpflanzen, die er als einzige im Begleitbrief ausdrücklich aufführt, mitgegeben hat. Außerdem werden von Gärtner Joachim Ghill mitgeschickt: »Granaht Beume, Zittronen Beume, Pome­­ran­zen Beume, Leymonien Beume, Mirttys Beume, Ambroduleis«. In diesem Brief vom 10. März 159173 heißt es über die Knolle:
    »Wir überschicken auch E.L. under anderm einn gewechse, so wir Vor wenig Jahren auss Italia becommen, Und Taratouphli genandt wirdt, dasselbige wechst in der erdenn Undt hat schöne blumen guttes geruchs. Und Undenn ahn der wurzelnn hatt es Viele tubera henkenn, dieselbige wenn sie gekocht werden, seindt sie gar anmutig zu essenn, Mann muss sie aber erstlich in wasser uff­sieden lassenn, so gehenn die obersten scha­lens ab, darnach thutt mann die bruhe dar­vonn, Und seudt sie in butter Vollendes gahr.«

Europaweit kaufte Wilhelm IV. von Hessen-Kassel Pflanzen und Sämereien für seine Gärten ein, wobei er seinen Agenten häufig vorschrieb, ­welche Pflanzen aus welchen Orten zu kaufen seien; von ihm mit Sti­pen­dien unterstützte deutsche Studen­ten im Ausland waren beauftragt, Samen ­neuer ­Pflanzen für ihn ein­zukaufen und ihm zu­zuschicken.

Wilhelm IV. schenkte dem Carolus Clusius 1576 einen goldenen Becher für seine Verdienste um den fürstlichen Garten,
    »weil er ihm schon etzlichen malen aus bevehll der Kayserlichen Majestät nicht aller­ley gutte Samen zur Zierung seines Garttenn, Sondern auch ein fein eigentlich Register­leinn Wie derselbigen Samen eine jede artt zu seiner Rechten Zeitt geseet werden wollen, zu­geschickt habe.«

Die Nachfolger Wilhelms versuchten, ihre Unter­tanen von Wohlgeschmack und Wirtschaft­lichkeit der neuen Knolle zu überzeugen; so soll Landgraf Karl von Hessen-Kassel 1728 die Schwäl­mer ­Bauern zu einem Salat- und Kar­toffel­essen geladen haben, woran die »Salatkirmes«, die jedes Jahr in Ziegenhain gefeiert wird, erinnert. Die»Policey-­ und Commer­cien­zeitung« in Kassel propagierte die Verwendung von»Düngesalz«, um die Ertragskraft der neuen Knolle zu erhöhen.

 
Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel(regierte 1760–1785) bekam beim Anpflanzen der Kartoffel als Nahrungsmittel Ärger mit den Müllern, die befürchteten, durch die neue »Frucht« arbeitslos zu werden. Da war doch ‘mal ‘was los in den Schlössern! Denn das Hofleben für einen Fürsten hieß zu jener Zeit: Dinieren, spielen, paradieren und warten, bis jemand empfangen werden ­wollte. Sein Sohn (Landgraf Wilhelm IX. 1802–1806, später Kurfürst Wilhelm I. von Hessen 1813–1821) schrieb in seinem Tagebuch:
    »Dieser Win­ter verlief wie die vorherigen; viel Verdruß und wenig Erquickliches, statt des­sen Widerspruch und Widrigkeiten auf Schritt und Tritt.«

Das hieß der»ennui«74 mit allen Mitteln zu entkommen versuchen, und wenn’s ein Streit mit den Untertanen war. Gleichzeitig verbot dieser zweite Friedrich Kaffee- und Tabak­genuß sowie Tragen von Samt und Seide, ließ das Merino-Schaf einführen, führte Lotterie und Feuerversicherung zum Nutzen des Landes ein und ließ die erste deutsche Zuchtrose »Perle von Weißenstein« züchten. Kartoffeln sind dem Landgrafen als Sättigungsbeilage nicht auf den Tisch gekommen, wie Rezepten aus seiner Küche zu ent­nehmen ist.

1789 klagen denn auch die hessischen Müller beim Landgrafen Wilhelm IX.75, daß die Kartoffeln fast nie miß­raten würden
    »und gerade in den nassen Jahren, die unserm Ge­treidebau so ge­fähr­lich sind, steigt ihre Fruchtbarkeit bis zum Bewunderungs­würdigen«.

Im nördlicher gelegenen Braunschweig wurde 1759 zugunsten der Müller entschieden: »Kartoffel­mehl darf nicht verbacken werden.«

Die Müller klagten berechtigt. Ein ganzer Berufsstand geriet durch die neue Massen­nahrung in Not, denn der feldmäßige Anbau der Knolle mußte zwangs­läufig die Getreide­felder ver­ringern, in allen deutschen Landen wurden die kleinen Mühlen obsolet und hörten auf zu klappern. Die»Hochfürstliche hessen-casselische Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste« stellt 1782 in den »Hessischen Beyträgen zur Gelehrsamkeit und Kunst« die mit zehn Louis­dor zu belohnende Preisfrage
    »Ist der Vorwurf begründet, dasz der übermäßige Kartoffelbau den Verfall des Ackerbaues und den Ruin der Mühlen nach sich ziehe?«

Von den dreiundzwanzig Antworten wurden zwei für so preiswürdig gehalten, daß sie 1784 in den »Beyträgen« der Gesellschaft ver­öffentlicht wurden.

Einer der Preisträger (der andere war der chur­sächsische Kammer­sekretär Ludwig Schneider aus Merseburg, einem frühen Anbaugebiet, in dem die »Merseburger Zaubersprüche« durch die Kartoffel ersetzt wurden), der Pfarrer Ludwig (J. A. Th.) Varn­hagen aus Wetter­burg bei Waldeck, schreibt:
    »Man hat mithin dem Kartoffelpflanzen billig seinen Lauf zu lassen; niemahls wird es zu stark betrieben wer­den können; nie­mahls wird es des Verfalls des Ackerbaus, wenn man diesen außerdem gehörig in Acht nimmt, bewirken, und nie­mahls wird es den Ruin der Mühlen nach sich ziehen, wenn nur dieser nicht zu viele werden, die Mühlen­pacht nicht zu hoch steigt und die Müller dem überall einreissenden Luxus sich nicht er­geben.«

Das Murren der hessischen Getreidebauern ­wurde als»menschenfeindliche Gesinnung« bezeichnet. 1801 schreibt ein Stockmar aus Jena:
    »Wie man den Kartoffelbau im Groszen äuszerst vorteilhaft ohne viel Arbeit und Kosten, selbst ohne Nachtheil des Getreidebaues betreiben könne, nach vieljährigen eigenen Erfahrungen.«

 
Auch die Grundherren stan­den anfänglich überall der neuen Frucht ablehnend gegenüber, da die ­Bauern ihre Zehntverpflichtungen entweder damit minderten oder gar ganz einstellten. Die Gegner des Kartoffelanbaus schreiben:
    »Das Gewächs ist nur mit Nutzen zu bauen, wo die Winterfrüchte wegen der waldigen und winterhaften Gegend nicht fortkommen und die Sommerfrüchte infolge des späten Frühlings und baldigen Herbstes nicht gebaut werden können, oder wo das Rotwild an­dere Feldfrüchte nicht aufkommen läßt. Auch ist der Anbau allenfalls zulässig, wo man wegen Unzugänglichkeit des Ackers den­selben nicht mit dem Pflug, sondern nur mit der Hacke bearbeiten und den Dünger auf den Rücken herbeitragen muß. ... Der Nutzen, den sie gewährten, ist ein sehr geringer: die Stärke daraus nutzt zu nichts als Steifmachen der Wäsche, zum ­Puder gar nicht, die Schweine fressen sie nur, wenn sie wohl zugerichtet und mit Klei vermischt sind, so daß die Suppe höher als das Gericht kommt. ... Kurz, bei einem ­Landwirte, wo sonst genug Arbeit und gute Wirtschaft sich be­findet, darf dieses Gewächs nicht geduldet werden.«

 
Im bayerischen wie im sächsischen Vogtland ist der Anbau der Kartoffel nach­­weis­lich bäuerlicher ­Eigen­initiative, weniger administrativem Druck – wie spä­ter in Preußen – zu verdanken, wenn auch in anderen Gegenden Deutschlands vereinzelt ­Bauern die Kartoffeln aus den Gärten auf die Felder holten, ohne daß der regierende Hof diesbezüg­liche Anordnungen erließ.

Johann Christian The­mel schreibt 1756 in seiner »Sammlung kleiner un­gedruckter erz­gebir­gi­scher Schriften«:
    »Es dürfe dann anhero wohl kein grosser Herr zu verdenken sein, wenn er die Pflanzung derer Frucht in seinem Lande aufs schärfste anbeföhle und dadurch der allzu grossen Teurerung der Früchte vor­beuge.«

Auf den königlich-sächsischen Kammergütern begann der Anbau erst nach der Hungersnot 1770/1771; vom Gut Gorbitz wird berichtet, daß bis 1820 die Kartoffeln nur in kleinen Mengen angebaut wur­den. Erst mit dem Beginn der Spiritusfabrika­tion weitete man die Anbaufläche deutlich aus. Selbst 1833 war man auf Gut Gorbitz noch dem althergebrachten 12jährigen Fruchtwechsel verhaftet (aber immerhin mit einem Jahr Erdbirnen und Kraut).

Carl Julius Weber im »Demokritos ...« (geschrieben 1832–1836):
    »Wer die Lebensknollen nach Deutschland brachte, ist so unbekannt als andere Wohltäter der Menschheit. Sie retteten 1772/73 Deutsche vom Hungertode, und im Hungerjahre 1817, wo sie mißrieten, hatten wir bessere Polizei76und Rumfordsche Suppen. Dieser Nachtschatten (wozu man noch die weit schmackhafteren Bataten fügen könnte) vertritt jetzt bei Millionen, neben Branntwein, die Stelle des Fleisches und des Brotes.«

Bei den kleinbäuer­lichen Betrieben in den Mittel­gebirgen konnte die Kartoffel sehr frühe Erfolge verzeichnen; die­ kleinen­ Gehöfte mit geringen Ackerland waren für Getreide­anbau weniger geeignet. 1759 belegt Johann ­Georg Leopoldt den frühen Kartoffelanbau im Vogtland und im Erzgebirge:
    »Denn weil sie nicht so viel Land haben, als wir auf dem platten Lande besitzen; so müssen sich nur ihrer viele mit gar kleinen Stückchen, welche noch sehr beschwerlich wegen der großen Berganhöhen zu besteigen sind, behelfen.«

Die hügelige Bodenbeschaffenheit bzw. die Mög­lichkeit, schon auf kleinen und kleinsten Flächen den Kartoffelanbau zu betreiben, begünstigte die neue Frucht auch in anderen Gegenden im Vergleich zu Getreide. Der Anstieg der Bevölkerung führte dazu, daß Ackergebiete»von der allerbösesten und geringsten Länderei« (so im hessischen Frankenberg 1570) (wieder) kultiviert wurden – und auf diesen Böden wuchs Getreide nur schlecht, aber die genügsame Kartoffel kam damit aus.

 
Ein paar Worte zur Drei-Felder-Wirtschaft: Die Drei-Felder-Wirtschaft, wenn auch hinderlich für den Anbau der neuen Knolle, war gegenüber der ursprünglichen Urwechselwirtschaft (wenige Jahre Ackerland und dann Verwilderung und Neurodung) und der Feldgraswirtschaft (zwei/drei Jahre Anbau von Roggen, Dinkel, Hafer, dann mehrere Jahre Benutzung als Weideland mit anschließendem Umbruch der Grasnarbe und Wiederbenutzung als Acker­land) ein deutlicher Fortschritt. Die flurzwanggebundene Drei-Felder-Wirtschaft verbürgte in dieser chemiedünger-losen Zeit eine geregelte und damit verhältnismäßig ­ertragssichere Folge der wichtigsten Getreidearten, ein für den Anbau günstiges regelmäßiges Ein­schalten einer einjährigen Brache und durch Stoppel- und Brachweide eine zusätz­liche Futterbasis für das Vieh. Auf der Grundlage der Ertragssteigerungen durch die Drei-Felder-Wirtschaft konnten sich Stadtwirtschaft und städtische Kultur, aber auch die Feudalherrschaft entwickeln. Drei-Felder-Wirtschaft be­deutete der jährliche Wechsel von Winterung, Sommerung und Brache. Auf Fyn und anderswo in Dänemark gab es eine Sieben-Felder-Wirtschaft:

    1. Jahr: Brache, mehrmals gepflügt und ge­eggt, um ihn von Unkraut zu reinigen; im Herbst wird der Boden mit Stalldung gedüngt und Wintersaat (Roggen oder Weizen) ausgesät.

    2. Jahr: Wintersaat

    3. Jahr: Säen und Ernten von Gerste

    4. Jahr: Einsäen von Hafer und Kleemischung; Hafer wird geerntet, Klee wird abgegrast

    5. bis 7. Jahr: Heuanbau und Weide.


Auf der Paderborner und Briloner Hochfläche gab es um 1820 noch eine Vier- bzw. Fünf-Felder-Wirtschaft, die im 2. Jahr den Anbau der Kartoffel vorsah. Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich durch, die bisherige Brache mit Kartoffeln oder Klee zu bewirtschaften; zugleich nimmt die Viehwirtschaft ab. In den Gebieten mit größerer, systematischer Vieh­haltung wie zum Beispiel in Mittel­franken wurde der Kartoffelanbau durch die weiterbestehende Brach­wirt­schaft als Futterreservoir für das Vieh genutzt.

 
Vorteilhaft für den Anbau der Kartoffel in der Oberpfalz, in Franken und im Vogtland war auch, daß die Viehwirtschaft im nördlichen Bayern ­keine besondere Rolle spielte; ein Abweichen von der üb­lichen Drei-Felder-Wirtschaft war daher eher möglich und stieß nicht auf einen Widerstand der vieh­halten­den Grundherren. In Bayern waren während der dominierenden Drei-Felder-Wirtschaft zwei Drittel mit Getreide bepflanzt, während das rest­liche Drittel entweder brachlag (für die Viehwirt­schaft) oder mit Hanf (»Indischer Träumer«), Klee, dem blau blühendem Flachs und Zucker­rüben bebaut war – und mit Kartoffeln. Flachs – so stellten die Bauern bald fest – war die optimale Folgefrucht nach Kartoffeln.

1762 wird ein Mann vor dem Ackergeschwo­re­nenamt verklagt, weil er Kartoffeln auf einem Feld gesetzt hatte, auf dem die Metzger das Hute­recht hatten. Der Hutezwang bedeutete näm­lich die Entfernung aller Zäune und bedingte, daß die Zeit der Aussaat wie der Ernte nicht dem einzelnen überlassen, sondern in der Drei-Felder-Wirtschaft für alle gemeinsam fest­gesetzt war.

In Schwabach, im 18. Jahrhundert Zentrum des bayerischen Tabakanbaus, wurde vielfach auf der Brache neben der Kartoffel Tabak an­gebaut. Das Knob­lauchland, nördlich von Nürn­berg, ist ebenfalls ein gutes Beispiel für die Nutzung der Brache für Tabak und Kartoffel. Der nunmehr hoheitlich geförderte Tabakanbau trug erheblich dazu bei, die alt­her­gebrachte Landwirtschaft aufzugeben, so daß sich hier zwei Interessenten trafen: Rauschgift für die königlich-fürst­liche­ »General­tabacks­­­-administra­­­zion« und Nahrung für die Armen. Eine Parallele findet man in Nordbaden und der Pfalz, das noch bis weit in die 1950er Jahre Tabak und Kartoffeln gleichzeitig anbaute, bis die rote Hand und die gehäufelten Spargelbeete die Kar­toffel ablösten. Fontane sah »Unterm Birnbaum«:
    »Ein paar Möhrenbeete, die sich samt einem schmalen mit Kartoffeln besetzten Ackerstreifen an eben dieser Stelle durch eine Spargelanlage hinzogen.«

 
Noch im Jahr 1833 (nach der Vertreibung der Türken), als der Bayer König Otto I. von Griechenland in Athen seinen feier­lichen Einzug hielt, wurde seiner Köni­gin Amalia (einer olden­bur­gischen Prinzessin) von weißgekleideten Ehrenjungfrauen ein Strauß mit Kartoffelblüten mit dem ausdrücklichen Hinweis über­reicht, das sei die schöne ­Blüte einer seltenen und köstlichen Frucht, die in der Heimat der ­neuen Königin wohl unbekannt wäre. Nun, ob ihr Kartoffeln wegen der Fruchtbarkeit77 oder wegen der Schönheit überreicht wurde, ist nicht überliefert. Dabei muß man wissen, daß die Kartoffel erst nach dem Wegzug der Türken aufgrund des russisch-türkischen Frie­densschlusses­ von Adrianopel, 1829, auf den Pelo­ponnes gekommen ist. Otto wollte wohl nicht auf seine geliebten Knödel aus ein­heimischer ­Ernte verzichten.

Heinrich Heine muß diese Affaire gekannt ­haben, denn in einer Fabel gibt ein König eine Audienz:
    »Der König frug ferner: ›Sind dieses Jahr

    Die Knödel in Schwaben geraten?‹

    ›Ich danke der Nachfrag’‹, antwortet der Schwab’,

    ›Sie sind sehr gut geraten.‹«

Ursprünglich meinte »Knödel« den Mehl­­kloß. Das Wort »Kloß« bedeutete schon in althochdeutscher Zeit so etwas wie Kugel, Ball, Knäuel, ­Knolle, Klumpen, Schwertknauf. Die Mehrzahl heißt »die Kleeß«.

Wie die Klöße – zumindest die Thüringer – entstanden, sagt das Hüteslied:
    Am Schwabenberg im Schank zur Gans,
    Der Lieblingsschenke unsrer Alten.
    Dort thät Frau Holle Einkehr halten.
    That sie recht herzhaft einen Schluck.
    Doch wie der Strom zu Thale lief,
    Zog sich ihr Mund bedenklich schief.
    Ihr war, als ob die Kehle kratze
    Der Hassfurt allerwildste Katze.
    Es hat der Frost in einer Nacht
    Die Reben alle umgebracht.

    »Ihr armen Leute dauert mich.
    Noch habt ihr leider nicht entdeckt,
    Was hinter der Kartoffel steckt,
    Und was die kund’ge Hand für Werke
    kann schaffen kann aus Kartoffelstärke.«

    Am Herde fand er stehn Frau Holle.
    Und der geschwärzten Casserolle,
    entstieg soeben riesengross
    Ein dampfender Kartoffelkloss.

    »Ihr Leute lasst das Klagen sein.
    Und jammert nicht um euren Wein.
    Der ist auf allezeit dahin,
    Allein es ist nicht schad’ um ihn.

    Was Besseres weiss ich zu geben.
    Da nehmt und pflanzt das statt der Reben.«
    Und aus der Schürze zog Frau Holle
    Die mehlige Kartoffelknolle.

    Du aber, Haupt des Magistrates,
    Du leuchtend Licht des weisen Rathes,
    Du Sohn uralten Stadtgeblühtes,
    Hier hast du das Receptum. – Hütes!

    Viel Wasser Werra-abwärts wallte,
    Seitdem Frau Holle Klösse ballte,
    Die heut in Stadt und Land zumeist
    Der Mund des Volkes »Hütes« heisst.

In Japan sterben an jedem Neujahrstag in beträchtlicher Zahl insbesondere ältere Menschen, weil sie am »mochi« ersticken. Das ist eine ­klebrige Paste aus gekochtem Reis, die in Brocken der traditionelle zôni-Suppe bei­gegeben wird. Würden die Japaner anstelle der »mochi« Kartoffelklöße zum Neujahrstag zu sich nehmen, wäre sicherlich allen geholfen.

Es dauerte dann noch vierzig Jahre, bis auch das Osmanische Reich, die heutige Türkei, als wohl letztes euro­­päi­sches (?) Gebiet die Kartoffel – ohne den üblichen Umweg über die botanisch-medizinischen Gärten oder Küchengärten – feldmäßig anbaute (der Mais wurde schon 1574 in der Türkei und am oberen Euphrat angebaut!). Aus Ruß­land (über den Kaukasus) brachten siedelnde Tscherkessen diese ersten türki­schen Kartoffeln in den 1870er Jahren (jedenfalls nicht vor 1865) nach Anato­lien. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wird diese russische Knolle ergänzt durch Import von Saatgut aus Südeuropa.

Eine weitere Anbau­gegend in der Türkei war Akava (weiße Ebene) bei Ada­pazari, in der seit etwa 1869/1870 Kartoffeln an­gebaut wurden, gefördert von dem Osmanen-Kalif­ Abdulaziz. 1895 unter­suchte der deutsche Wissenschaftler Dr. Hermann die Möglichkeiten des Kar­toffel­anbaus mit neun verschiedenen Sorten in Eskisehir, Kütahya und an­de­ren Orten. Prof. Dr. Neset Arslan teilte dem Autor am 17. Februar 1992 mit, daß auch heute noch vorwiegend Saatgut von deutschen und holländischen Kartoffeln angebaut werden.

 
In Italien, besonders in der Gegend um Vallem­brosa in der Toskana, wurde die Knolle schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts in größerem Umfang an­gebaut78. Da wird sie wohl auch Albrecht Dürer kennengelernt haben, auch wenn das Dürer-Museum dies nicht wahrhaben will. Der Groß­herzog von Parma, ver­wandt mit spanischen Granden, ließ Kartoffeln, die er aus Spanien erhalten hatte, in seinem Garten pflanzen; hierbei soll er durch Francesco Redi (Mit­arbeiter der »Accade­mia del Cimento« in Florenz79 und einer der ersten Anhänger des Kartoffelanbaus in Ita­lien) beeinflußt worden sein. Redi schrieb an den Botaniker Pierto Nati in Pisa einen Brief, in dem er sich gegen die Behauptung Clusius’ verwahrte, die Kartoffel ver­ursache Blähungen:
    »Mir schien es nicht so, als ob sie diesen ­Mangel hätten, aber es kann sein, daß sie ihn dann haben, wenn man sie in Übermaß genießt.«80 

Nach einer anderen Lesart hätten»Barfüßer« die Kartoffel nach Norditalien gebracht und an­gepflanzt (so 1623 Pater Magazini); auch Clusius erhält die Ehre, als erster Kartoffeln nach Italien gebracht zu haben. Dann gibt es noch die Erzählung, daß die Heilige Theresia von Avila mit ihren »Unbeschuhten Karmeliterinnen« die Kartoffel als Nahrungsmittel von Spanien kommend nach Ita­lien brachte. Angeblich habe auch Cardano die Kartoffel nach Italien eingeführt. Nichts Genaues81 weiß man nicht – ­alles wird zutreffen. 

Sicher ist, daß die Kartoffel bereits 1588 in Norditalien ein»etabliertes« Gemüse ist und demnach bereits vor diesem Zeitpunkt in Spanien wohlbekannt war. In ­Italien wird die Kartoffel anstelle von Möhren zu einem Eintopf zusammengekocht; außerdem werden die Knollen als Schweine­futter verwendet: Was für die Schweine geeignet war, ist auch für italienische Landarbeiter gut. Soweit die Kartoffel nicht als Aphrodisiakum eingesetzt wurde, ließ das »popolo grasso«, das »fette Volk«, wie die Florentiner die reichen Bürger nannten, diese Nahrung aus Amerika nicht auf ihre Tische kommen. Der gebildete Bürger zitiert den römischen Komödiendichter Titus Maccius Plautus:

    »Auf langes Leben dürfen die nicht hoffen,

    die solches Zeug in ihre Bäuche stopfen;

    gräßlich zu sagen (und nicht mehr zu essen):

    Der Mensch vertilgt, was nicht die Tiere essen.«


Robert Burton in seiner »Anatomie der Melancholie« ergänzt:
    »Solche Kost macht Winde, und kein Mensch sollte sie daher in rohem Zustand zu sich nehmen, nicht einmal dann, wenn sie mit Öl genießbarer gemacht wurde, sondern nur in Suppen oder ähnliche Zubereitung.«
 
Die Kartoffel verursachte in Europa – nebenbei – eine »Kultur«-Revolu­tion: Den Beginn der gregorianischen Ära. Eine Reform des Julia­ni­schen Kalen­ders82 wurde erstmals im achten Jahrhundert vor­­geschlagen. Der Franziskanermönch Roger Bacon legte Papst Clemens IV. einen Vorschlag vor; 1414 beschloß das Konzil in Konstanz die Reform. 1474 wurde ein neuer Anlauf unter Papst Sixtus IV. unter­nommen. Gregor XIII. setzte ein Jahrhundert später erneut eine Kom­mis­sion (Luigi Lilio, Astronom aus Italien, und Christoph Clavius, Mathe­ma­ticus aus Bamberg) ein. Aber eine wirtschaft­liche Not­wendig­­keit für eine grundlegende Reform bestand erst mit der Verbreitung von Mais und Kartoffel in Europa: Saat- und Erntezeiten dieser ­unbekannten Pflanzen mußten definiert werden; ein Kalender, der sich wie der Nil von Jahr zu Jahr verschob, war hierfür nicht hilfreich83.

In der Oberpfalz zum Beispiel wurde Ende des 18. Jahrhunderts am Michaelstag (Ende September) mit der Kartoffelernte be­gonnen, der aber ohne die Kalenderreform zwei Wochen früher gewesen wäre und somit einen zu geringen Ertrag erbracht hätte.

In den asiatischen Ländern, aber auch in den vom Islam beherrschten Gebieten blieb es bei den alt­hergebrachten Kalendersystemen: Hier war die Kartoffel zu jener Zeit noch weit­gehend un­bekannt oder ­wurde – weil im»Alten Testament« un­erwähnt – nicht angebaut.

Damit die Arbeiten in der Landwirtschaft gelingen, muß der Wechsel der Jahreszeiten beobachtet werden und müssen sich die Tätigkeiten dem Kreislauf der Natur anpassen. Wie sollte die römische Kurie Klarheit erhalten über Fastenzeit und Osterdatum, wenn ein Sonnenstrahl am 21. März 1582 den Meridian im vatikanischen Turm der Winde um fast siebzehn Zentimeter verfehlt? Wie sollte das Landvolk Klarheit erhalten über den Beginn einer Aussaat und den Ernte-Termin von Kartoffel, Tabak, Mais oder die alten europäischen Pflanzen wie Getreide, Kohl und Rüben, wenn der Beginn eines Jahres so stark diver­gierte, wenn das kalendarische Frühjahr nicht dem natür­lichen Lenz entsprach, wenn die Birkenblätter nicht im»Herbst« fallen und zusammen­geharkt, in blaue Säcke ge­tütet und zur Kompoststelle der Gemeinde gebracht werden müssen?

 


Anmerkungen


 

1 Als Getränke bekamen Wasser, Wein und Bier ab dem 17. Jahrhundert Konkurrenz durch Kaffee, Kakao und Limonaden. Damit erschienen, nachdem z.B. Nürnberg um 1500 außer einheimischen Lagen auch schon Importweine aus Südtirol, Friaul, Veltlin und dem Elsaß kannte, nun globa­lisierend ebenso Arabien und Amerika auf den deutschen Tisch. Sie veränderten das Mahlzeitensystem und erweiterten den Hausrat u.a. um Kaffeemühlen, Kaffeetassen, Kaffeelöffel. Erste öffentliche Kaffeehäuser im Abendland entstanden nicht, wie allgemein behauptet, 1683 in Wien im Zusammenhang mit den Türkenkriegen, sondern küstenständig 1650 in Oxford, 1652 in London, 1671 in Marseille, 1672 in Amsterdam und Paris, 1677 in Hamburg. Regensburg, Nürnberg, Würzburg wurden donauaufwärts 1686 bzw. 1696/97 erreicht, Köln und Leipzig 1687/1694.                   zurück

 

2 Trotz der Erfindung des Blitzableiters verschwand die »Brontophobie«, die Gewitter­furcht, nicht. Lichtenberg beschreibt schon in dem »Göttinger Taschenkalender für 1795» die Irrationalität der Angst vor Gewitter, die doch weit weniger Opfer forderten als Krieg und Epidemien und Straßen­verkehr. Im übrigen war man der Meinung, daß Blitzableiter in die Rechte Gottes eingriffen – schon Thor warf mit Blitzen um sich, wie man in Bayreuth feststellen könnte.­                   zurück

 

3 In Baden-Württemberg wehrte sich das Landvolk besonders heftig gegen die Ein­führung der Schutzimpfung: Die Pietisten (Impfung ist Ein- und Vorgriff in Gottes Wege) stärker als Katholiken und Lutheraner, die unterbürger­lichen Schichten stärker als das Bürgertum (die Impfung kostete bis zu einen Tageslohn), die Städter weniger als die Bauern mit ihrer Realteilung und der daraus resultierenden Zwergwirtschaft (so Fried­rich List).

 Vor dem Zeitalter der Empfängnisverhütung waren die ­Pocken ein auf dem Lande verbreitetes und akzeptiertes Mittel der Familien­planung. Die 1874 mit dem Reichs­impfgesetz eingeführte doppelte Vakzination und damit lebenslange Immunität wurde in diesen Kreisen nicht begrüßt.

Die 1721 aus dem Orient nach England eingeführte Form der Impfung mit menschlichen Viren, die sogenannte Inokulation oder Variolation, war zunächst wenig wirksam. Oft löste sie die Krankheit in ihrer schweren Form erst eigentlich aus. Auf Grund dieser schlechten Erfahrungen und aus religiösen Motiven setzte sich der Eingriff auch in seiner effizienteren Form, der 1755 eingeführten Sutton­schen Methode, nicht überall durch. Weil geimpfte Kinder meist nicht isoliert wurden und dadurch als Ansteckungsherde wirkten, wurde die Variolation 1777 in den Städten in der Schweiz verboten und auf dem Lande auf die Frühjahrs- und Herbstmonate beschränkt. Nach der Epidemie von 1804 wurde dann die 1796 von Jenner entdeckte Kuh- oder Schutzpockenimpfung (Vakzination«) mit Erregern eingeführt, die vom Euter von Kühen stammten und im Gegensatz zu den inokulierten Pocken von den geimpften Personen nicht mehr weiter verbreitet wurden.                    zurück

 

4 Eine frühe Form der Globalisierung setzte im 15. Jahrhundert ein. Die Kost war bis dahin immer fleischärmer geworden. Der Zutrieb von Lebendschlachtvieh aus Polen und Ungarn brachte einen Gegentrend. Von Verbraucherzentren wie Frankfurt, Leipzig, Köln lagen die dortigen Aufzuchtgebiete, der vierte »Ring« im System des Agrarwissenschaft­lers Johann Heinrich von Thünen, 1000 bis 1500 km entfernt. Organisiert wurde dieser Ochsenhandel vornehmlich durch Nürnberger Kaufleute. Hauptverteilerstation war aber nicht Nürnberg selbst, sondern das kleine Buttstädt in Thüringen. Dort zählte man auf den Johannis-, Michaelis- und Allerheiligenmärkten oft rund zwanzigtausend Tiere. Selbst Handwerksgesellen und Arbeiter verzehrten in dieser Ära um 1500 täglich mehrere Pfund Fleisch! Herebachs »De re rustica« kennt allein für Schweinefleisch fünfzig verschiedene Rezepte.                   zurück

 

5 Jean Paul: »Seine Zähne gehören nicht mehr zu seinen unbeweglichen Gütern.« Noch vor hundert Jahren war man froh, wenn Gebisse einigermaßen festsaßen und nicht durch Hustenstöße aus dem Mund herausgeschleudert wurden. Das Gebiß von George Washington (1732–1799) bestand teils aus natürlichen Kuhzähnen, teils aus elfen­beinernen Kunstzähnen, die in einer Bleilegierung eingefaßt waren. Unter- und Ober­teil hingen an einem Gelenk und wurden mit Metallfedern gegen die Kiefer ge­drückt. Washington schrieb seinem Arzt, John Greenwood, daß diese Zahnprothese das Kauen beschwerlich mache und Schmerzen verursache.

Die Anthropologin Bettina Jungklaus von der Freien Universität Berlin stellte in einer Knochen­studie fest, daß die Menschen in der kartoffellosen Zeit des Spätmittel­alter verhältnismäßig selten an ­Karies gelitten hätten. Sie führt das darauf zurück, daß die ländliche Bevölkerung hauptsächlich von Getreide gelebt habe, das auf Stein gemahlen wurde; das Mehl sei mit Steinstaub versetzt gewesen, der beim Kauen die Zähne sauber­schmirgelte. Im Laufe der Zeit schliffen sich die Zähne durch den Steinstaub ab; bei ­einem Mann über dreißig waren sie deshalb deutlich verkürzt. 

Untersuchungen (vom La Florida Bioarchaeology Project) auf der Ostern 1513 von Juan Ponce de Léon entdeckten Halbinsel Florida zeigen, daß der Wandel der Ernährung der Ur-Einwohner die Gesundheit der Zähne untergrub: Vor dem Eintreffen der Spanier ernährten sich die dort wohnenden Guale von Fischen und Meeresfrüchten und von Landfrüchten. Nach der Christianisierung durch die Franziskaner gab’s nur noch den eingeführten und in Florida angebauten Mais und ungewohnte schwere Arbeit auf dem Feld (Zugtiere wurden erst am Anfang des nächsten Jahrhunderts eingeführt). Die einseitige Ernährung mit Mais hemmte das Wachstum und die Entwicklung, weil sie zu wenig Kalzium und Vitamin B3 liefert. Außerdem versorgt Mais nicht im erforderlichen Maße mit Proteinen (drei der acht für den Menschen nötigen Aminosäuren sind überhaupt nicht vorhanden). Die Missions-Indianer wiesen darüber hinaus erhebliche Schäden an den Zähnen auf: Die weiche Mais-Brei-Nahrung (wie bei der Kartoffel) trug dazu bei, daß Zahnbeläge schneller entstehen.                   zurück

 

6 Heinrich Seidel über ein opulentes Abendmahl:


    »... schlampampten wir und tranken Tee dazu.«                  zurück


 

7 Im Gilgamesch-Epos heißt es: »Am Morgen wird er den Himmel zusammenbrauen, und es wird Bier und Schwarzbrot regnen und am Abend scheffelweise Korn hageln.«                  zurück

 

8 Weil das alles mit diesen Bezeichnungen nur noch selten auf den Tisch kommt: Föhren sind Forellen, Kappen in Gallrey sind kastrierte, gemästete Hähne (Kapp­hahn, Kapaun) in Gallert, in Gelee, und Pfauenbrein meint Pfauenpastete.                 zurück

 

9 Wenn man bedenkt, daß zu manchen Zeiten männlichen Leichname nicht neben­ weib­lichen beerdigt werden durften, der Beischlaf in den vierzig Tagen vor Weih­nachten, den vierzig Tagen vor Ostern und der Woche nach ­Pfingsten, ebenso am Vorabend hoher Festtage, sonntags, mittwochs und freitags, dreißig Tage nach der Geburt eines Jungen, vierzig Tage nach der Geburt eines Mädchens (war un­reiner!) und fünf Tage vor dem Abendmahl ver­boten war, dann ver­steht man die schlaraffische Sehn­sucht. Wenn sich die Christen an diese Gebote oder Verbote gehalten hätten, wäre Europa zwischen­zeitlich ausgestorben. Da kann man’s nur mit Egon Friedell halten, der die Frage, ob er homo­sexuell sei, verneint haben soll mit der Bemerkung, daß doch das »normale« schon schrecklich genug sei. 

In der ältesten christlichen Kirchenordnung steht: »Eure Fasttage sollen nicht mit den Heuchlern gemeinsam sein! Sie fasten nämlich am Montag und Donnerstag; ihr aber sollt am Mittwoch und Freitag fasten.« Montag und Donnerstag sind jüdische Fastentage – so setzten sich die jüdischen Christen von den jüdisch Gebliebenen ab.                zurück

 

10 Florida wurde entdeckt, weil man die Quelle der ewigen Jugend sucht. Fernández de Ovieda schrieb: »Damals wurde die Sage von einer Quelle verbreitet, welche alte Leute die Jugend wiedergewinnen lasse. Das war im Jahr 1512. So eindringlich wurde die Sage von den Indianern dort verbreitet und bezeugt, daß Kapitän Juan Ponce mit seinen Leuten und Karavellen sechs Monate lang verschollen war, dieweil er jene Quelle suchte. Es war närrisch von den Indianern, von solcher Quelle zu erzählen, aber noch viel törichter von den Christen, daran zu glauben und ihre Zeit mit Suchen zu verschwenden.                  zurück

 

11 In China gibt es eine Begrüßungsfloskel »Hast Du heute schon gegessen?«, ein Gedenken an Jahrhunderte der Hungersnöte (schreibt Uwe Schmitt).                   zurück

 

12 Über die Beibehaltung des Brei-Standards in Afrika schreibt Laurence van der Post in »Wie Afrika ißt«:


    »Funge ist Afrikas Ersatz für Brot, ein alter Freund, dem ich von der Sahara bis zur Kalahari begegnet bin; es ist die kongo­lesische­ Version von Kassawa oder anderem Mehlbrei in West­afrika, von Poscho in Ostafrika oder dem Mealie, dem Maismehl, in Zululand. Funge ist ein dicker Brei, den man mit den Fingern essen kann, und wird aus Maismehl, Maniok­ oder Hirse gekocht. ... Ubwali wird aus grob gemahlenem Mehl gemacht, meist aus Hirse, auch aus Mais oder Kassawa. Das wird in kochendes Wasser geschüttet, gerührt, bis die ­Mischung fest ist, und dann mit einem kräftigen Holzlöffel geknetet und geschlagen. Es wird in offenen Eßkörben serviert, in braunen runden Stücken. Das heiße Wasser und das Mehl werden im Verhältnis von 3:2 gemischt, so daß eine feste Masse entsteht, die etwa die Konsistenz von Kaugummi hat und ganz anders ist als das, was wir Porridge nennen. Ubwali wird in Brocken ­gegessen, die mit der Hand abgerissen werden, zu Bällchen gerollt, in Sauce getaucht und ganz hinuntergeschlungen.«                  zurück


 

13 Aus dem Kontext dieses sehr schönen Gedichtes ergibt sich, daß Hugo von Hofmannstahl bei den »Früchten« die Kar­­­toffel meint.                  zurück

 

14 Nitrat wird im menschlichen Körper durch Bakterien in Nitrit umgewandelt. Nitrit ist giftig und behindert den Sauerstofftransport der roten Blutzellen. Hohe Nitratgehalte in Nahrungsmitteln können demnach die Gesundheit gefährden – insbesondere bei Klein­kindern. Der Nitratgehalt in Kartoffeln ist abhängig von der Menge der Stickstoff­düngung und von der Witterung. Ist es während der Wachstumsperiode trocken, so wird im Boden weniger Stickstoff freigesetzt, und die Kartoffeln lagern weniger Nitrat­stickstoff im Speicher­gewebe ab.  

Ein erhöhter Nitratgehalt bei Speise­­kartoffeln be­einflußt den Stärkegehalt, die Haltbarkeit und die Kocheigenschaften negativ. Ein Land­mann wird schon dafür sorgen, daß solche Kartoffeln nicht auf seinen Tisch kom­men (und andere Tische interessieren ihn nicht). Das Werbeargument »Kontrollierter Anbau« sagt nichts, absolut nichts, über die Boden­beschaffenheit: Bei einer Unter­suchung des Kieler Vereins »Eltern für un­belastete Nahrung« 1996 wurde festgestellt, daß unter elf Proben aus ökologischem Anbau den zweithöchsten Wert an Nitraten mit 330 mg/kg eine holländische Kartoffel »aus kontrol­liertem Anbau« hatte.  

Im übrigen ist jetzt (öffentlich) nachgewiesen worden, daß in den auf den Feldern ausgebrachten Exkrementen der Stalltiere sämtliche Medikamente und Antibiotika wieder aufzufinden sind; sie gehen entweder ins Grundwasser oder direkt in die Nahrungskette, an derem Ende bekanntlich der Mensch steht. Die Gen-Veränderungen an Mais und Kartoffeln sind dagegen gemessen fast als harmlos zu bezeichnen.                   zurück

 

15 Dabei war »El Dorado« nur die phantasiereiche Erfindung des spanischen Seemannes Juan Martinez, der nach der ihm zugeschriebenen Explosion eines Pulverturms in ein Kanu ohne Vorräte an der Nordostküste Südamerikas ausgesetzt wurde. Sein Kanu sei nach Guyana getrieben worden, wo er von Indianern (mit verbundenen Augen) zu einer prächtigen Stadt voller Paläste gebracht wurde. Nach sieben Monaten hätten sie ihn mit Gold beladen und wieder mit verbundenen Augen fortgeführt, so daß er – in Trinidad angekommen – bedauerlicherweise nicht den Weg nach El Dorado zeigen könne. Auch hätte er bei einer Flußquerung das ihm mitgegebene Gold leider verloren und nur das nackte Leben retten können.  

Er hätte beobachtet, daß bei der Übernahme der Herrschaft ein neuer Fürst in einer goldenen Sänfte getragen wurde. Am Ufer des (eines) Sees, sei der Herrscher aus der Sänfte ausgestiegen und hätte sich nackt ausgezogen. Priester hätten seinen Körper mit duftendem Harz eingerieben und ihn gänzlich mit Goldstaub bestreut. Der in Gold gehüllte Herrscher hätte dann mit den Priestern ein Floß bestiegen und sei bis in die Mitte des Sees gefahren, wo sie goldene Kleinodien, Diademe, Halsketten und Ringe in den heiligen See geworfen hätten. Zum Schluß sei der König ins Wasser gesprungen und hätte den Goldstaub abgewaschen. Das hörte sich doch alles sehr glaubhaft an. 

In der Tat gibt es in Guyana einen Ort »El Dorado«, ein Kaff. Raleigh schrieb über dieses Gebiet:


    »Kein Land bietet seinen Bewohnern mehr Annehmlichkeiten als Guyana, sowohl was die üblichen Freuden der Jagd, Falknerei, des Fischens und Vogelfangs anlangt als auch alles Übrige. ... Schöne Städte und mehr mit goldenen Bildnissen geschmückte Tempel, mehr mit Schätzen gefüllte Gräber als Cortés in Mexiko oder Pizarro in Peru«


würden die Eng­länder dort finden. Hörte sich an wie ein Werbeprospekt für eine dot.com-Firma des neuen deutschen Marktes.                   zurück

 

16 Die Konquistadoren zogen in die Neue Welt, um sich eine neue Heimat zu schaffen – mit der Lanze. Sie waren in einer Überlieferung großgeworden, die das Erobern als selbstverständlich ansah, im ständigen Kampf (und schließlich dem Sieg) mit den Mauren. Es sei ein ungeschriebenes Gesetz gewesen, daß ein Hidalgo für seinen Unterhalt, für seine Familie und sein Vermögen kämpfte. Arbeit war nicht unehrenhaft, Handwerker waren in Spanien gut bezahlt. Doch ein Herr, der auf sich hielt, der arbeitete und nicht kämpfte, zeigte, daß ihm der Mut fehlte, Unterhalt und Vermögen auf gefährlichere Weise zu erringen. Die Konquistadoren, Nachfahren von zwanzig kampferprobten Generationen, sahen es als ihre Pflicht an, die Neue Welt zu erobern. Und außerdem mußten die Heiden in die Herde Christi aufgenommen werden – tot oder lebendig.

Goethe 1786 in Brief an Charlotte von Stein: »Denn ich sage immer, wer sich mit der Administration abgiebt, ohne regierender Herr zu seyn, der muß entweder ein Philister oder ein Schelm oder ein Narr seyn.«                   zurück

 

17 1799 schiffte sich Alexander von Humboldt mit seinem Freund, dem Arzt und Botaniker Aimé Bonpland, in La Coruna auf der spanischen Korvette »Pizarro« ein, um seine­ Amerikareise zu beginnen. Sie führte über Teneriffa nach Venezuela, Kuba, Kolumbien, Peru, Ekuador und Mexiko und endete fünf Jahre später in Bordeaux. Insgesamt hatten von Humboldt und Bonpland in vier Jahren 9650 km zurückgelegt. Die wissenschaft­lichen Erkenntnisse wurden von 1807 bis 1838 in einem auf insgesamt 34 Bände an­gewachsenem Werk »Voyage aux régions équinoxiales du nouveau continent, fait en 1799–1804« bei verschiedenen Verlegern und – wie damals üblich – in mehreren Lieferungen veröffentlicht. Es ist angebracht, darauf hinzuweisen, daß Alexander von­ Humboldt eine wesentlich andere Natur­betrachtung betrieb als die damals vorherrschende, von Linné geprägte Floristik.  

Während Linné die in einem Gebiet vorkommende Flo­ristik nur katalogi­sierte, ging von Humboldt von einer ganzheitlichen Auffassung der Botanik aus, in der die Beziehungen der Pflanzen untereinander an einem Standort nach­­-­ge­zeichnet und mit den Umwelt­bedingungen in Verbindung gebracht werden. Humboldt zeigt in einer im »Essai sur la geógraphie des plantes« veröffentlichten Tafel, wo welche Tiere und Pflanzen leben, auf welchen Höhen bestimmte Vegetationstypen anfangen bzw. enden; erfaßt wurden auch die Landwirtschaftsmethoden, geologische Struk­­tu­ren, meteo­ro­lo­gische und physi­ka­lische Daten. Das war wesentlich weit­gehender als Linnés Namens­gebung und Zuordnung zu Pflanzenfamilien.                  zurück

 

18 NachAlexander von Humboldt hieß das heu­tige Bogotá ursprünglich»Bacata«, d.h. »Äußerstes der bebauten­ Felder«; Bacata war bis zur Eroberung durch die Spanier die Hauptstadt der Chibcha.Die Chibcha errangen in der Region eine besondere Stellung, weil sie die besten Salzhersteller (vor den Spaniern) waren; zweimal im Jahr wurden die Götter durch sexuelle Enthaltsamkeit und Salzverzicht geehrt. Das gewonnene Salz gehörte dem Herrscher, dem zipa, der seine Macht auch durch die Zuteilung von Salz ausübte; die Spanier übernahmen die Solquellen und untergruben somit die Macht der zipa.                  zurück

 

19 Venezuela wurde als Klein-Venedig bezeichnet, weil die dort lebenden Eingeborenen ihre Häuser im Maracaibo-See auf Pfählen gebaut hatten. Die den Welsern vom spanischen Königshof zugesprochene Kolonie wurde in spanischen Dokumenten als »provincia de venezuela y cabo de la vela« bezeichnet.                  zurück

 

20 Nikolaus Federmann war ursprünglich wohl Kaufmann wie sein aus Memmingen 1500 nach Ulm eingewanderter stammender Vater. 1529 wurde er von Welsern (Augsburg) zum Feldhauptmann bestellt und sollte in dieser Funktion einen Nachschubtransport von 123 Spanien und 24 deutschen Bergknappen nach Venezuela begleiten:


    »Er ist das Muster eines Germanen. Blond, blauäugig, mit wehendem, rotem Vollbart, er singt schmetternd und falsch und erzählt oft schlechte Witze, er ist hochgewachsen mit breiten, aus­ladenden Schultern.«


Federmann wurde in Caro, dem Hauptsitz der Welser in Südamerika, Stellvertreter des Statthalters und dann Feldhauptmann bzw. Generalkapitän. 1530 zog er mit 114 Fußsoldaten und 16 Pferden in Richtung Landesinneren, wobei ihm diese eigenmächtig unternommene Expedition 70.000 Dukaten einbrachte. Bei seiner zweiten Expedition, die eine unglaubliche Leistung darstellte und von ihm in seinem Tagebuch sorgsam dokumentiert wurde, gelangte er bis auf die Hochebene in der Nähe von Bogotá, in das Reich der Chibcha, die sich selbst als Musisca bezeichnet (was von den Spaniern zu »Mosca«, Fliegen, umgewandelt wurde):


    »Die Einwohner kamen ihnen freundlich entgegen, alle waren mit Mützen und langen Überwürfen bekleidet, viele trugen schwere Goldplatten auf der Brust, die Frauen waren mit Häubchen aus feinstem Goldgespinst geschmückt«.  


Aus einem einzigen Tempel ließ Federmann Gold im Wert von 40.000 Pesos und eine unerhörte Menge an Smaragden abtransportieren.  

Auf dieser Hochebene stieß Federmann auf Jiminez de Quesada und einem dritten Konquistador, Sebastian de Benalcazar. Bevor sie sich gegenseitig totschlagen konnten, gelang es Quesada, einen Waffenstillstand herzustellen und den spanischen Hof als Schiedsrichter einzuschalten. Der entschied zugunsten Quesadas; nur dieser erhielt das Recht, auf der Hochebene plündern zu dürfen. Federmann, Quesada und Benalcazar gründeten am 6. August 1539 gemeinsam die Stadt Santa Fé de Bogotá, die heutige Hauptstadt Kolumbiens, in unmittelbarer Nähe der alten Chibchen-Hauptstadt Bacata. Auch weil Federmann nicht als erster die Hochebene erreicht hatte, wurde er 1539 von den Welsern nach seiner Rückkehr nach Europa der Unterschlagung beschuldigt und in Schuldhaft genommen; es gelang Federmann, den Streit vor den »Indienrat« in ­Sevilla zu bringen und seinerseits die Welser bei Kaiser Karl V. zu verklagen. 1541 einigte man sich, und Federmann konnte einen Großteil seines Vermögen behalten. Ende desselben Jahres oder Anfang 1542 verstarb Nikolaus Federmann in Valladolid. Der vollständige Titel seines Berichts lautet: »Indianische Historia. Ein schöne kurtzweilige Historia Nicolaus Federmanns des Jüngeren von Ulm erster raise so er von Hispania und Andolosia auß in Indias des Oceani­schen Mörs gethan hat / und was ihm allda ist begegnet biß auff sein wiederkunfft inn Hispania, / auf kurtzest beschrieben / gantz lustig zu lesen.« MDLVII (Hagenaw). 

Bereits vor Federmann war Ambrosius Ehinger (auch: Talfinger) im Auftrag der Welser in Venezuela auf Goldsuche. Er gründete den Ort Maracaibo (nach einem Kaziken, der dort lebte); Am Südende des Maracaibo-Sees entdeckte Ehinger einen Indianerstamm, die einen umfangreichen Ackerbau betrieben und weite Flächen mit Maniok be­stellten. 

Der zweite Deutsche, der wahrscheinlich die Kartoffel gesehen hatte und dessen Name überliefert wird, ist Ulrich von Hutten, der mit dem Welser-Beauftragten Georg Hoher­muth von Speyer eine Expedition von Venezuela zu den Kordilleren unternahm.                   zurück

 

21 Die »Casa de la Contratación« war ein vom König errichte­tes Handelshaus, über das der gesamte Handel abgewickelt werden mußte. In der Casa, auch Indiahaus (domus indica) oder »Casa del Oceano« genannt, wurden alle Akten und Schriftstücke, alle Berichte der Seefahrer und Kaufleute gesammelt und aufbewahrt. Die Casa maß sich das Recht an, Schiffe aufzubringen und die Fracht zu beschlagnahmen, deren Besitzer irgendwelche Schulden beim König hatten und förderte so in erheblichem Maße das um sich greifende Piratenwesen im 16. Jahrhundert. Die Casa wurde 1717 nach Cádiz verlegt. Damit war’s aus für die Herrlichkeit von Sevilla.                  zurück

 

22 »Durch diese hohle Gasse muß er kommen!« »Durch ­diese hohle Gasse muß er kommen« »Durch diese hohle Gasse muß er kommen.« Durch diese hohle Gasse muß er kommen.« »Durch diese hohle Gasse muß er kommen.« Geßler.                  zurück

 

23 Keiner will’s gesehen haben, als Luther am Vorabend von Allerseelen 1517 seine 95 Thesen angeblich an die Tür nagelte; er selbst spricht nie von dieser heroischen Tat. Wohl, weil’s nicht war, weil’s nicht sein konnte. Melanch­thon erfindet diese Ge­schichte später. Der interessierte Leser möge in die Lutherstadt Wittenberg fahren und sich die dort (in Metall geprägten) 95 Thesen ansehen und dann noch die Tür zur Schloßkirche. Erstens geht’s schon nicht aus Platz­gründen, zweitens, so großes Papier gab’s damals gar nicht. Also konnte er die Thesen nicht an der Schloßtür befestigen, zumal dies völlig ungewöhnlich war, eine Meinungs­­äußerung (und mehr war’s ja nicht zu diesem Zeitpunkt) in dieser Form zu disputieren.                 zurück

 

24 Man bedenke, daß Zwingli 1522 in seiner Predigt »Von Fryheit der spysen« gegen die Fastengebote polemisiert, also sich mit Essen und Nahrungsmitteln auseinander­setzte.                  zurück

 

25 Interessant ist auch die sprachliche Seite bei der Einführung und Anpflanzung neuer Pflanzen: Teilweise übernahm man mit der fremden Sache auch das fremde Wort, z.B. aus dem Arabischen die Kapern, die Sultaninen, den Zucker, den Spinat. Pfirsich (lat. prunus persica), Zwetschge (Pflaume aus Damaskus), Apfelsine (China-Apfel) und »türkischer Weizen« oder »Welschkorn« für den Mais, spiegelten die geographische, die richtige oder die vermeintliche, Herkunft. Nur bei der Kartoffel bildeten sich sehr rasch und überall eigene Bezeichnungen, die in vielen Gebieten nicht nur eine Übersetzung eines irgendwo erstmals verwendeten Namen, sondern häufig originäre Neuschöpfungen sind. Die »papa« der Inka wurde an keinem Ort dauerhaft übernommen.                   zurück

 

26 Die »kleine Schote« wurde zum Verfeinern des Kakao­trunks verwendet. Der Mann der Friseuse: »Der Tod ist zitronengelb und riecht nach Vanille«                  zurück

 

27 Die heutige Garten-Erdbeere entstand später aus einer Kreuzung zwischen der Scharlach­-Erdbeere und einer chile­nischen Sorte; das erste Anbauzentrum gab es um 1840 im Schwarzwald. Daher die roten Bommeln auf dem Trachtenhut und wegen der rotschaligen Kartoffeln. 1620 beschreibt ein englischer Reisender seinen Ritt durch die nordamerikanische Prärie, die »so dicht mit Erdbeeren besät waren, daß die Fesseln der Pferde in Blut getaucht schienen.«                   zurück

 

28 Erdnüsse – so Bernardino de Sahagún in seiner »All­gemeinen Geschichte über die Dinge in Neu-Spanien« – wurden bei den Azteken von den »Apothekern« und den Ärzten verkauft, da sie gemahlen und mit Wasser vermischt als Mittel gegen Fieber verwendet wurden.                   zurück

 

29 Kakao weitet die Lungenäderchen, damit die Tabaksucht und die Tabak­industrie besser gedeiht: Linné: »Götterbaum«, Columbus: »bestenfalls ein kraftvoller, bitterer Schock für den Gaumen». 1609 erscheint in Mexiko das erste der Schokolade gewidmete Buch: »Libro en el cual se tarta del Chocolate«, in dem Rezepturen für den flüssigen Genuß mit Piment, Ingwer, Safran, Kardamon, Wein und Bier und Anweisungen für die Her­stel­lung kakaohaltiger Kuchen genannt werden. Das aztekische Wort hieß für das Kakao­wasser »cacahuatl«, Schoko­lade entstand wahrscheinlich aus dem Maya-Wort »chocol« (heiß) und dem azteki­schen »atl« (Wasser). ­Kakao enthält über 500 Aroma­stoffe und soll glücklich machen, was nicht am Phenyl­ethylamin liegt, wie 1997 festgestellt wird. Deshalb enthalten fast alle Zigaretten neben manchmal rund 250 anderen Inhaltsstoffen auch Kakao. 

Der in Irland geborene Hans Sloane, ein Arzt, Natur­forscher und Sammler, war der erste, der in Europa die Idee hatte, Kakao mit Milch zu mischen. Sloane hatte als Begleiter des Gouverneur von Jamaica beobachtet, daß die Einheimischen die gekochten Kakaobohnen mit Muttermilch ihren Kindern gaben, da dies Getränk eine therapeutische Wirkung haben sollte. In England führte er als Präsident des Royal College of Physicians das Rezept in Apotheken ein. Als die Firma Cadbury’s im 19. Jahrhundert Milchschokolade herstellte, gab sie diesem Produkt seinen Namen.                 zurück

 

30 Der Name Chinarinde wird zurückgeführt auf die Gräfin Chinchon, Gemahlin des Vizekönigs von Peru, die sich 1636 durch den Gebrauch der Chinarinde von der ennui und anderen Gebresten heilen ließ; später hieß die ­pulverisierte Borke der Chinchona (einem Rötegewächs) »Gräfinpulver« und kam durch die Jesuiten nach Spanien, durch Talbot 1671 in England eingeführt und durch Kardinal Juan de Lugo in Italien, weshalb es dort »Kardinalspulver« genannt wurde. Quinaquina war der peruanische Name. Die hoffnungsvolle Karriere der Chinarinde endete 1899, als die Acetylsalicylsäure in Deutschland eingeführt wurde.                  zurück

 

31 Die Tomate wurde von den Inkas als tumatl gesammelt und gezüchtet. In Italien wird sie 1544 erstmals als Goldapfel, mela aurea, beschrieben – die Urform soll der gelben Kirschtomate geähnelt haben. Als Paradies- und Liebes­apfel regte sie zwar die Phantasie, anfangs aber nicht die Kochkunst an. 1743 züchteten Sizilianer bereits ver­schiedene Sorten.  

1812 kommt die amerika­nische Tomate zurück nach Amerika; noch 1860 wird amerikanischen Haus­frauen geraten, Tomaten mindestens drei Stunden zu ­kochen, um die Nacht­schatten-Gifte abzubauen. In Deutschland fand sie erst Anfang des 20. Jahr­hunderts Verbreitung, in Holland (so steht’s im FAZ-Magazin) ihre Bestimmung. Der Name Paradeiser – wie die Tomate in Österreich genannt wird – ist wahrscheinlich auf die schon 1519 beschriebenen sehr früh reifenden englisch-rotbäckigen Kantäpfel zurück­zuführen, die in der Schweiz Paradisepfel oder Paradisli genannt wurden. Eine ausführliche Geschichte der Tomate ist bisher noch nicht geschrieben worden.                 zurück

 

32 1492 wurde von Biologen und Botanikern als Stichtag gewählt, weil nach diesem Zeit­punkt die Vernetzung der einzelnen Kontinente begann; eingeschleppte Tiere werden Neozoen genannt. Neophyten und Neozoen gelten nur dann als schädlich, wenn sie un­absichtlich eingeschleppt wurden und wild bzw. nicht domestiziert leben.

In Australien und Nordamerika beginnt am Ende des 20. Jahrhunderts ein Kampf gegen diese Einwanderer, da sie vielfach die heimische Tier- und Pflanzenwelt verdrängen. In Norden Amerikas wurden insgesamt 7.300 Arten ein­geschleppt, davon etwa 5.000 Pflanzen (29 Prozent aller nordamerikanischen Pflanzenarten). Die Bekämpfung bestimmter Pflanzenschädlinge durch eingeführte natürliche ­Feinde ist zumeist vergeblich oder kehrt sich ins Gegenteil. Sieben Jahre versuchte man in den USA die auf Getreide ­lebende »Russische Weizenlaus« durch feindliche Insekten vergeblich zu vernichten. Dafür leben jetzt neunundzwanzig neue aus Europa eingeführte Blattlausfresser und parasitische Insekten – unter ihnen der Siebenpunkt-Marienkäfer, der verdächtigt wird, die nordamerikanisch-heimischen Marien­­­käfer zu verdrängen. Die zufällige Einschleppung des amerikanischen Flußkrebses nach Europa ist für die fast vollständige Vernichtung heimischer Krebsarten verantwortlich.  

Ragnar Kinzelbach von der Universität Rostock meint, daß sich Fauna und Flora in Deutschland zunehmend ver­ändern; mehr als 1300 neue Tierarten seien bereits registriert. In Schleswig-Holstein forderte 1998 der grüne Umweltminister, unter anderem, Douglasien zu verbannen, da sie kein heimisches Nadelgewächs sei.                 zurück

 

33 Farbpflanzen wie Waid (Isatis tinctoria, »Deutscher In­digo«, blau), Krapp (Rubia tinc­torum, Färberröte), Wau (Resedaceae luteola, Färber-Resede, gelb) wurden mühsam heimisch angebaut, die braune Farbe kam von Zwiebel­schalen, Ginster und Kreuz­beeren lieferten auch Gelb, Kirschen, Saflor oder wilder Safran brachten Rot, Rotviolett kam aus der Orseille-Flechte und allesamt wurden in ­Safran und Urin getränkt. Seltene und besonders teure Farben­ waren Standespersonen vorbehalten. Purpur wie auch andere satte und dunkle Farben waren schwer herzustellen und genossen deshalb hohes gesellschaftliches Ansehen. 

Farben besitzen Symbolkraft, verweisen auf Ränge, werden als Metapher eingesetzt. Wenn in der DDR (wie auch anderswo) die Kenntnis über die alten Färbemethoden nicht der industriellen Revolution zum Opfer gefallen worden wären,­ hätte das ZK der SED sicherlich die Farbgestaltung ihrer Waren dem »lebens­frohen Auf­blühen der sozialistischen Gesellschaft« angepaßt und den Trabi nicht Grau-in-Grau produzieren lassen.                  zurück

 

34 Nur Menschen, Affen und Meerschweinchen müssen Vitamin C mit der Nah­rung aufnehmen (alle anderen Lebe­wesen können den Stoff selbst produzieren). Da Meerschweinchen inzwischen wieder als Schlachtvieh angesehen werden (wie Kaninchen), sollen nach den Willen der Brüsseler Kommis­sion jetzt Caviiden-Pässe (analog den einheitlichen Equiden-Pässen) eingeführt werden.                  zurück

 

35 Ophir ist im Alten Testament das Land, aus dem König Salomo Gold holen ließ (1.Könige 9, 26: »Und sie kamen gen Ophir und holten daselbst vierhundertzwanzig Zentner Gold und brachten’s dem König Salomo«). Die Königin von Saba soll hier im 10. Jahrhundert v.Chr. regiert haben; ins Königreich ihrer Nachfolger, Aksum, wollte man zumindest, doch das christliche und wohlhabende Königreich Aksum im Osten Äthiopiens an der Küsten des Roten Meeres gelegen, war schon im 7. Jahrhundert zerfallen, als der Islam sich ausbreitete.                   zurück

 

36 Ein gigantisches Arbeitslosenbeschäftigungs-Programm, das schief ging, weil dieses Heer nur konsumtiv wirkte und nichts produzierte.        

Die Kriegsschulden Spaniens unter Philipp IV. waren so enorm und die Wirtschaft so heruntergekommen, daß sich der Königshof nicht einmal italienische Maler leisten ­konnte, sondern sich mit spanischen Künstlern begnügen ­mußte.                  zurück

 

37 Die Portugiesen setzten afrikanische Sklaven auf ihren Schiffen auch als Seeleute ein, die ggf. auch als Handels­ware verwendet werden konnten. Wie praktisch.                 zurück

 

38 Christian Georg Andreas Oldendorf, ein Missionar der Herrenhuter Brüdergemeinde, bereiste 1767 und 1768 die Karibik und schreibt über die Zustände:


    »Sonst sind die gewöhnliche Strafen der Neger, welche rebellieren, daß man sie henkt, köpft, spießet, schleift, rädert, mit glühenden Kohlen zwickt, verbrennt, in eisernen Käfige tothungern läßt, ihnen Hände und Füße abhauet, ihre Köpfe auf Pfähle steckt Das schwarze Sklavenvolk in Westindien ist wohl das elendste der ganzen Welt. Man kann sie mit Recht das zerrissene und zertretene Volk nennen, die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden, die der König in dieser letzten Zeit mit mächtigem Schalle zum großen Abendmahl einladen läßt.« 


Kant glaubte zu wissen, daß der Mohr »weiß geboren« werde (bis auf die von Anfang an schwarzen Zeugungsglieder) und wegen seiner dickeren Haut nicht mit Ruten, sondern nur mit gespaltenen Röhren gepeitscht werden darf. Der Philosoph aus Königsberg stellte 1800 auch fest (in der »Physischen Geographie«), daß die roten Sklaven nur für die häuslichen Arbeiten eingesetzt werden, »weil sie zur Feldarbeit zu schwach sind, als wozu man Neger braucht.« Der Brockhaus 1808, der auf der Höhe seiner Zeit war, ergänzte: »Die Farbe des Negers hängt von einem zwischen den Oberhäutchen und der eigentlichen Haut befindlichem ­Schleime ab, der der malphigitische genannt wird.« Darunter sei auch der Neger weiß – wie alle Menschen.                  zurück

 

39 Andere meinen, die Veränderung in der Malerei hänge damit zusammen, daß die etliche Jahrzehnte vorher erfundene Perspektive es erübrigte, den Hintergrund irgendwie zu färben.                   zurück

 

40 Johann Georg Krünitz kam mit den ersten 75 von insgesamt 242 Bänden nur bis zum Buchstaben »L«, wo er beim Stichwort »Leiche« selbst zu selbigen wurde. Friedrich Schiller benutzte dieses Lexikon für die Arbeit am »Lied von der Glocke«.                zurück

 

41 Einhundertfünfzig Jahre früher ließ König Peter IV. von Aragon in den »Ordina­cions« festlegen, daß »auf Unserem Teller Platz für die Speisen von acht Personen ist.«  

Essen für sechs Personen sollte auf den Tellern der könig­lichen Prinzen, der Erz­bischöfe und Bischöfe sein, und Prälaten und Ritter sollten immerhin noch Essen für vier Personen bekommen.  

Bis ins 19. Jahrhundert wurde serviert à la française, d.h. es wurden mehrere Gerichte gleichzeitig aufgetragen (wie ­heute beim Büfett), bis es abgelöst wurde von dem noch heute üblichen Servieren à la russe, was meint, daß die Hauptgerichte nacheinander aufgetragen werden.  

Für ein Essen mit sechs bis acht Gedecken sah der Nouveau Cuisinier royal et bourgeois ein Menü von sieben Gerichten pro Gang vor, was bei einem Essen mit drei Gängen einundzwanzig Gerichte ergab; ein Essen mit drei Gängen waren in vornehmen Häusern das Minimum.                   zurück

 

42 Salz im Wasser erhöht den Siedepunkt. Dadurch verdampft das Wasser erst jenseits von 100 °C. Und in dieser größeren Hitze werden die Kartoffeln schneller gar.                   zurück

 

43 Da hatten es die Seehelden, wenn sie denn Admiräle waren deutlich besser: Ho­ra­tio Nelson hatte an Bord sei­nen eigenen Koch, seinen eigenen Steward und sein eigenes Tafelsilber. Für ­seine Leute galt, daß sie mit ihrem eigenen Messer (immer dabei), einen Löffel, eine irdene Schüssel und einen flachen Teller an Bord ihre Ration verzehrten.                  zurück

 

44 Scharbockkraut, Ranunculus acris L., gehört zu den hahnenfußgewächsen. Linné führt den Namen auf rana, Frosch, zurück. Aber weil die Pflanze auch hand- bzw. vogelfußförmige Blätter aufweist heißt sie im Volksmund auch Hahnenfuß. Der Beiname acris weist auf den scharfen Geschmack hin.                  zurück

 

45 Pellagra (ital. »Hautschärfe«) wird durch einen Mangel an Vitamin B hervorgerufen. Sie beginnt mit Magen- und Darmerkrankungen, Hautrötung im Gesicht und an Händen und führt zu Krämpfen und Muskelschwäche. Die Krankheit kann bis zu 15 Jahren dauern. Der süßliche Geschmack des Maismehls führte zu einer schnellen Durch­drin­gung der Eßgewohnheiten. 

Die »Polenta« ist gegenüber Eiweißmangel intolerant und legt die Bevölkerung bei geringem Fleischkonsum auf eine Fehlernährung fest, da das Maismehl mit den Kulturtechniken des bis dahin üblichen Mehls aus Weizen usw. verarbeitet wird; die Entwicklung einer der »Tortilla« entsprechenden Zubereitungs­form unter­blieb. Im afrikanischen Süden wird die Krankheit auch »Kwaschiorkor«: »Erkrankung des Kindes bei Geburt des folgenden« genannt. 

Die Maya und Azteken wußten, daß Mais in Kalkwasser eingeweicht und mit Asche oder Muschelschalen gekocht werden mußte. Nur so wird das Niacin freigesetzt, das der menschliche Körper sonst nicht verarbeiten kann, und auch Lysin ist besser verwertbar. Ein weiteres Mittel gegen den durch einseitige Maiskost hervorgerufenen Vitamin­mangel ist die Zukost von Bohnen.                  zurück

 

46 Die Expedition hatte den Auftrag, den in der südlichen Hemisphäre vermuteten Kontinent zu suchen. Spekulationen über dieses unbekannte Land hatte es schon seit 50 v.Chr. gegeben. Der »Typus Orbis Terrarum» von Abraham Ortelius aus dem Jahr 1587 zeigte »hanc continetum Austra­lem«, den zwar keiner gesehen hatte, aber an dessen ­Existenz man fest glaubte: Um die nördlichen Landmassen auszu­balancieren und den rotierenden Erdball im Gleichgewicht zu halten, mußte auf der Südseite eine entsprechend große Landmasse liegen, »terra australis«. James Cook betritt die­sen Kontinent (erst seit der Umseglung durch Kapitän Flinders 1803 wird das Land der »Aborigines« Australien genannt) als erster Europäer am 28. April 1770 in der Botany Bay. 

Die »portable soup« war wahrscheinlich ein Vorläufer der Suppenwürfel. Das Schiff »Endeavour« von James Cook war 35 Meter lang, seine Höhe betrug 6,50 Meter und der Tiefgang betrug 4 Meter. Zur Mannschaft gehörten 71 Offiziere und Matrosen, dazu kamen noch zwölf Marinesoldaten; an Bord waren außerdem elf Wissenschaftler und ihre Begleitung. Von diesen insgesamt 94 Personen starben – erst auf der Rückreise – 23 Mann an Durchfallerkrankungen (­wegen schlechten Wassers, das auf Princess Island aufgenommen wurde), sieben an zahllosen Krankheiten in Batavia (dem ungesündesten aller damaligen Häfen), vier durch Unfälle auf Tahiti und einer durch Selbstmord. Den insgesamt guten Zustand von Mannschaft und Passagieren führte Cook auf die Verpflegung zurück.  

Unter den Wissenschaftlern waren Joseph Banks, später Präsident der Royal Society, und Dr. Daniel Solander, ein Schwede und Lieblingsschüler Linnés; die Zeichner Alexander Buchan und Sydney Parkinson waren beauftragt, die auf der Reise gefundenen Pflanzen zu zeichnen. Von der Reise mitgebracht wurden 30.382 Exemplare von Pflanzen, die zu 3.607 Arten gehörten und mehr als 900 Pflanzendarstellungen.                   zurück

 

47 Sogar ein Fall von Kannibalismus erfolgte aufgrund der Unfähigkeit adliger Schiffskommandanten – im Zusammenhang mit dem Untergang der »La Méduse«. Im Juli 1816 lief die Fregatte, Mitglied einer französischen Flotte von ins­gesamt vier Seglern unter einem unfähigen Befehlshaber, auf der Fahrt nach Senegal auf eine Sandbank auf; der royalistisch gesinnte Kapitän hatte die Hinweise bonapar­tistischer See­leute ignoriert und das Schiff in einer Mischung aus Rechthaberei und Machtdemonstration auflaufen ­lassen. Zwar führt es heute nicht mehr unbedingt zur Menschenfresserei, aber der Führungsstil des Kapitäns kommt bekannt vor.                

Der Kommandant des Verbandes, Graf de Chamareix, seit mehr als fünfundzwanzig Jahren nicht mehr zu See ge­fahren, brachte sich und et­liche Passagiere in vier Rettungsbooten in Sicherheit. Für einhundertneunundvierzig Menschen wurde ein Floß gezimmert und ins Schlepp der Rettungsboote genommen; die Schleppleinen wurden sehr rasch von den Offizieren in den Rettungsbooten gekappt, um schneller voranzukom­men. Mit ein wenig Proviant und Wasser trieben die Menschen auf die­sem Floß aufs Meer hinaus. Matrosen und Seeleute meuterten, hunger­ten, wurden krank und kämpften, wobei die Schwächsten getötet und aufgegessen wurden. Nur fünfzehn Mann (von denen sechs bald an Land an den Folgen der Katastrophe starben) überlebten, die nach zwei Wo­chen von der französischen Brigg »Argue« gerettet werden konnten.                 zurück

 

48 Die Bewohner Bambergs werden auch als »Zwiebeltreter« bezeichnet, weil sie die aus der Erde kommenden Stengel von Lauch und Zwiebeln (und früher auch der Kartoffeln!) niedertraten, damit die in der Erde wachsende Knolle mehr Kraft und Größe gewinnt.                   zurück

 

49 Erbsen und Bohnen wurden bei der Herstellung von Büchsenkonserven zur Grün­färbung mit Kupfer behandelt. Das geschah entweder durch Blanchieren in Kupfer­kesseln unter Zusatz von Essig, Zitronensäure oder Salz oder durch den direkten Zusatz von Kupfersulfat bzw. -vitriol. 1887 wurde in Deutschland die Grünfärbung mit Kupfer aus Gesundheitsgründen ver­boten. Französische Importe ­waren weiterhin »gegrünt« und beim Konsu­men­­ten erfolgreich, so daß von der Braunschweiger Handelskammer gefordert wurde, die ausländische Konkurrenz nicht durch deutsche Gesetzgebung zu be­günstigen. 1896 wurde deshalb (wahrscheinlich wurde von den Herstellern mit Arbeitsplatz-­Abbau gedroht) in ­Preußen und anderswo die Kupfer­grünung wieder zugelassen.                  zurück

 

50 Durch die Bleirohre, durch die das römische Wasser ­floß, wurde der Untergang dieses Weltreiches befördert. Wahnsinn und sinkende Geburtenrate in vielen Patrizier­familien können wahrscheinlich direkt auf die Bleivergiftungen zurückgeführt wer­den. Ge­plagt wurde das SPQR mit Blut­armut, Darmkoliken, Verstopfung, Nerven­schmerzen, Depressionen und andere psychiatrische Erkrankungen.                   zurück

 

51 In Italien wurde die Kastanie »albero del pane« , Baum des Brotes, genannt. In vielen Regionen wurde die Kastanie anstelle der alten Eichenwälder angepflanzt. Aus den Kasta­nien konnte Mehl und damit Brot hergestellt werden, so daß sie für die Ernährung eine Bedeutung wie Getreide bekamen. Da die Kastanien schön gediehen, hätten auch die Mädchen »très joyeux«, schrieb 1586 ein Grundbesitzer im Languedoc. Durch die vermehrte Anpflanzung von Kastanien anstelle von Eichen kam es zu einer Verringerung des Fleischkonsums, da die Schweine freilaufend in Eichenwäldern sich von den Eicheln ernährten.                  zurück

 

52 Jack London: »Das Treppenhaus der Geschichte hallt ­wider vom Aufstieg der Holz­schuhe und vom Abstieg der ­Stiefel.«                   zurück

 

53 »Mohn macht doof«, sagte Großmutter immer. Berechtigt, wie wir wissen. Doof kommt von »taub« Auch der Speisemohn, mit dem unser Brötchen versehen ist, enthält Spuren von Opiaten. Der Opiatgehalt bei Speisemohn wird nicht kontrolliert; es gibt auch keine Grenzwerte. Zwischen 2 und 251 Mikrogramm Morphium (das bekanntlich aus Schlafmohn gewonnen wird) enthält ein Gramm Mohn. Wenn man von einem mittleren Gehalt von 60 Mikrogramm Morphium pro Gramm ausgeht, so müßte ein fünfjähriges Kind 30 g Mohn essen, um eine »therapeutische« Dosis zu sich zu nehmen. Das entspricht vier bis sechs Mohnbrötchen von Bäcker Martens. Der Speisemohn im 19. Jahrhundert, der so schön auf den Felder zwischen den Korn­blumen wuchs, war wesentlich gehaltvoller und führte wirklich manchmal zu einem »doofen« Gefühl im Kopf – denn da wirkt das Opiat.   zurück

 

54 Das ist nach Christoph Martin Wieland ein »Gentleman« oder ein »Galant-Homme« oder ein »Honnête-Homme«, aber nicht unbedingt ein Bieder- oder Edelmann.                   zurück

 

55 Philipp II., »El Hermoso«, änderte die Gesetzgebung zugunsten der Ureinwohner Ameri­kas und verbot alle weiteren Eroberungen. In seiner Bibliothek im Escorial sammelte er von der Inquisition ver­botene Bücher, damit sie der gelehrten Aus­einander­­­setzung nicht verlorengingen. Die Beschlüsse des Trienter Konzils zur Er­neuerung der Kirche nahm er zum Leidwesen des Klerus zu ernst. Er verkehrte in seinem Reich in freund­licher Umgänglichkeit mit pro­testan­tischen Fürsten, sofern sie gute Manieren hatten. Das aus Burgund eingeführte spanische Hofzeremoniell mochte er nicht besonders. Erzogen wurde er durch die »Instrucciones« seines Vaters Kaiser Karl V. – viermal verhei­ratet war er, aber er trug auch sechs seiner acht Kinder zu Grabe. 

Man bedenke auch: Die Erde als unbewegtes Zentrum der Welt war eine Binsen­weisheit. Wenn die Erde tatsächlich rotierte (wie der Protestant Kepler behauptete) und sich auf einer Kreisbahn um die Sonne bewegte, dann würde ein in die Luft geworfener Ball niemals in die Hände des Werfers zurückkehren, sondern Hun­derte von Metern ent­fernt landen, Vögel würden nicht zu ihrem »weitergewandertem« Nest zurück­finden, fliegende Fische auf dem Strand verenden, die Menschen litten wie bei einer Karussell­fahrt unter Schwindel­gefühle. Die Herbstblätter wurden als Beweis heran­gezogen, denn diese würden bei einer sich drehenden Erdkugel alle nach Westen von den Bäumen stieben. Und hatte nicht Josua der Sonne befohlen, stillzustehen! Und: Nicht Rom, nicht der Kaiser wäre das Zentrum der Welt – jeder Hanswurst könnte es sein!                   zurück

 

56 Dieser Papst mochte auch gebackene Froschschenkel, die mit Knoblauch, Petersilie und Pfeffer gewürzt waren. Eine Erinnerung an seinen Aufenthalt in Ungarn. Es wird behauptet, daß sich unter dem Patronat der römischen ­Päpste über­legtere Zubereitungsweisen des Essens besserer ­Stände ­ent­­wickel­­ten.                    zurück

 

57 Clusius hatte auch noch Zeit, in Güssing ein wissenschaftliches Werk über die pannonische Flora anzufertigen. Auf Clusius wird Zucht und Verbreitung von Kaiserkronen, Iris, Hyazinthen, Anemonen, Hahnenfuß, Narzissen und Lilien zurückgeführt.                   zurück

 

58 Zwischen 1350 und 1550 erlebte Europa eine Periode individuellen Wohlstands; nie waren die Reallöhne so hoch wie in jener Zeit, was mit der Entvölkerung durch die Pest zusammenhängt. In den Städten führt der Reichtum der glücklichen Erben zu einer starken Nachfrage nach Luxusgütern, aber auch unter den Handwerkern hatte die Pest gewütet, so daß Preise und Löhne stiegen und damit Macht und Einfluß der Zünfte.  

Anfang des 21. Jahrhunderts werden in Deutschland etliche Billionen Mark vererbt, an­gesammelt in einer Periode des Friedens – welche Auswirkungen wird dies auf Kunst und Kultur haben? Noch mehr heavy metal? noch mehr Pierc­ing? mehr Schickimicki? Weniger Lust auf Unternehmertum wie DER SPIEGEL prognostiziert?                  zurück

 

59 Kofent, das Nachbier, »bekamen die Konventalen oder Klosterbrüder zu trinken, während die Herren Patres das Paterbier tranken«, schreibt Campe. Der Tag begann mit einer Biersuppe (Friedrich II. sei »Höchst Selbst in Dero Jugend mit Bier-Suppe erzogen« worden), was die große Anzahl von Brauereien selbst in Klein­städten und den häufigen Streit um die Brau­gerechtsame erklärt (in vielen ­Orten gehörten die ­Brauer zur vornehmsten Gilde). Die Biersuppe wurde im 18. Jahrhundert abgelöst durch den Kaffee (oder einem Ersatz), was einerseits dazu führte, daß der Bürger die Wirklichkeit klarer sah, aber andererseits auch ­mindere Steuer­einnahmen der Herrschenden ergab.  

Der Adel trank heiße Schoko­lade statt Kaffee und schonte so seinen Blutdruck. Man nimmt an, daß noch zum Ende des 17. Jahrhunderts die Bevölkerung mehr oder wenig im Rausch dahinlebte; erst als das Wasser aufgekocht wurde, um es für Tee oder Kaffee bzw. Kaffee-Ersatz zu verwenden, wurde die alkoholische Gärung zum Abtöten der Keime entbehrlich. 

Über Jean Pauls Alkoholkonsum heißt es bei Therese Huber: »Früh arbeitet er stets bei zwei bis drei Bouteillen Burgunder, bei Tisch trinkt er mäßig, nach Tisch Bier, zwei bis vier Krüge, beim Tee vier bis fünf Tassen, halb Arrak, und abends, was Gott gibt.«                  zurück

 

60 Camerarius ließ Anfang der 1590er Jahre (wahrscheinlich 1592) ein Blumenbuch, ein Florilegium, anlegen, in dem einhundertzwölf Pflanzen (darunter allein dreißig Tulpen) abgebildet sind.  

Die berühmte Maria Sibylla Merian lebte in Nürnberg zeitweilig von der Herstellung solcher Blumenbilder.                  zurück

 

61 »Ach schüttel mich, schüttel mich, wir Erdäpfel sind alle miteinander reif!« heißt es bei Frau Knolle.                  zurück

 

62 Aus diesem Garten habe ein englischer König dem Julius von Hessen-Kassel zu jener Zeit fünf Kartoffeln als generöses Geschenk überreichen lassen.                  zurück

 

63 Eine Abschweifung übers Wasser. Gondeln gibt es seit etwa 900 Jahren. Sie haben heute eine spezielle Bauform, die 1860 erstmals probiert wurde. Der Gondelbauer Tramentin suchte nach einer Konstruktion, mit der man die Boote leichter und zwar von nur einem Mann steuern konnte (den vorderen Ruderer hatten die venezianischen Familien wegratio­nalisiert). Tramentin baute ein asymmetrisches Boot, dessen rechte Seite in der Mitte 24 Zentimeter schmaler als die linke ist. Dadurch hat das Boot Schlagseite nach links, will also eine Rechtskurve beschreiben – und diesen Drall gleicht der Ruderer aus. 

Wer erstmals nach Venedig fährt, sollte sich nicht von aqua alta und dem abschreckend hohen Preis für eine etwa halbstündige Gondelfahrt ab dem Ponte della Marina unter der Rialtobrücke hindurch und zurück durch schmuddlige Kanäle abhalten. Man kann ja auf die in Ostasien hergestellten »echten« venezianischen Masken verzichten, um die »Gondola«-Kosten wieder einzusparen. Oder sich keinen  Caffe latte auf dem taubenbedreckten Marcusplatz, serviert von einem unfreundlichen Kellner, leisten.                   zurück

 

64 Frankfurt am Main war eine sehr wohlhabende Stadt. Erfolgreiche Bürger zeigten ihren Reichtum auch durch das Anlegen von Gärten. Clusius konnte sich in Messezeiten vielfach nicht vor Besuchern retten, für die er – so klagte er – den ganzen Tag über Führungen machen müßte. Und dabei knickten diese ungehobelten Gäste auch noch vielfach die Blüten seiner Kostbarkeiten ab und steckten sie ein. Der berühmteste Garten in Frankfurt war der des Gewürzhändlers Schwind in der Nähe des Eschenheimer Turms. Viele machte der Blumenhandel reich, für seltene Blumen wurden enorme Preise gezahlt.                   zurück

 

65 Der flämische Edelmann und kaiserliche Gesandte Augier Ghis­lain de Busbecq brachte die Tulpe (von tülbent = Turban) vom Hof Suleimans des Prächtigen in Istanbul nach Westeuropa. Konrad Gesner, der eine Sammlung der in Deutschland wachsenden Pflanzen in seinem Werk »De hortis Germaniae« zusammenstellte, fuhr sofort hin und ließ einen Holzschnitt von dieser Tulpe anfertigen. Gesner nennt die Tulpe »Tulipa Turcarum« und damit war die Herkunft festgeschrieben, obwohl das Osmanische Reich nur einen schwunghaften Zwischenhandel betrieb, denn die frühblühenden Tulpen kamen von der Krim, die spätblühenden aus Mazedonien.  

Clu­sius schilderte 1576 während seiner Wiener Zeit die ver­schiedenen Spielarten der Turban­blume. In seinem Frankfurter Garten pflanzte Clusius, der am 22. April 1589 das Stadtrecht erhielt und damit wirtschaftlich tätig werden durfte, aus Wien mitgebrachte Tulpenzwiebeln und begann mit seinen »Wuchergeschäften« im Tulpenhandel. Es ist nicht auszuschließen, daß Clusius der Veranlasser der holländischen Tulpen-Manie war. Der Bestand von Tulpen läßt sich nur ganz allmählich durch Brutzwiebeln aufstocken. 

Es galt als Zeichen schlechten Geschmacks, wenn in Holland ein Mann von einigem Wohlstand nicht eine Kollek­tion von Tulpenzwiebeln aufweisen konnte. Eine Tulpen­zwiebel der raren Sorte »Viceroy«, sie war halb so teuer wie die »Semper Augustus« (wovon es nur zwölf oder dreizehn Stück gab – und diese fast alle im Garten des Direktors der Ostindischen Compagnie Dr. Adriaen Pauw), kostete auf dem Höhepunkt der Spekula­tion rund zwei­tausend­fünf­hundert Gulden (sechshundert Liter Bier kosteten nur zwei­und­dreißig Gulden, sechs Tonnen Weizen 448 Gulden); in Naturalien wurden für eine dieser Zwiebeln gezahlt: 2 Fuder Weizen, 4 Fuder Roggen, 4 fette Ochsen, 8 fette Schweine, 12 fette Schafe, 2 Fäßchen Wein, 4 Tonnen gutes Bier und 1.000 Pfund Käse und ein Bett, ein Anzug und ein Silberpokal. So entstehen und verlieren Bürger Vermögen. New Economy im alten Europa. 

Besonders ­teuer waren alle Tulpen mit gebrochenen Färbungen; die Gärtner pflanzten weiße Tulpen und bestreuten die Beeten mit allerlei farbigen Pülverchen (aber auch mit Taubenkot und Mörtelstaub), um diese gebrochenen Färbungen zu züchten; dabei ist es ein Virus, Myzus persicae, die »Blattlaus des Pfirsichs, der die Tulpen befällt und dadurch die wunderschönen Farben verursacht. Pfirsich­bäume gehörten damals zur Grundausstattung eines holländischen Gartens, doch nicht überall war der Virus. Die Pfirsichlaus ist neben dem Coloradokäfer einer der größten Schädlinge der Kartoffel. 

Die Tulpenspekulation war schlimmer als die »Liebe zum Trunk« – die »allgemeine niederländische Krankheit«. Nun, vielleicht verständlich: Ein flaches Land, eine strenge Religion, wenig Schmuck, kurzum: eintönig und langweilig. Da kam die Tulpe grad recht, um Farbe in den grauen Calvi­nisten-Alltag zu bringen.  

Die holländische Wirtschaft erlitt durch diese völlig maßlose Speku­lation einen Schock, von der sie sich erst zwanzig Jahre später erholte. Die Tulpen­spekulation ist eine Ver­mögens­umverteilung riesigen Ausmaßes gewesen. Der Calvinist sah hierin vielleicht auch eine Art von Wiedergutmachung wegen seines schändlich erworbenen Reichtums. Mammon im Tausch mit der Schönheit einer Tulpe. Auch in England und in Frankreich herrschte, nicht ganz so ausartend, das Tulpenfieber. Die Tulpe »Tulipe brasserie« trägt ihren Namen, weil ein begeisterter Blumenliebhaber seine Brauerei für eine Zwiebel hergab. Für die »Mère brune« trennte sich ein 1608 ein französischer Müller von seiner ­Mühle. 

Als im Zweiten Weltkrieg die Nahrung knapp wurde, sollen die Holländerinnen begonnen haben, ihre Tulpenzwiebeln zu essen. Dadurch veränderte sich bei vielen Frauen die Regelblutung, und ihr Eisprung blieb aus. Die Tulpenesserinnen waren – vorübergehend – unfruchtbar geworden. Der weibliche Zyklus wird übrigens auch durch Kartoffeln beeinflußt.  

Heutzutage kann man sein Geld in den japanischen Zierkarpfen »Koi« (bis über ein Meter lang und bis zu 25 kg schwer) anlegen, der bis zu 60.000 Mark Anschaffungs­kosten verlangt, und der notwendige Gartenteich nebst Filter- und Sauerstoffanreicherungsanlage verlangt Investitionen wie für Ein-Familien-Haus – und dann treibt das Tier mit dem Bauch nach oben, weil es an Herzverfettung starb, was bei Kartoffelnahrung nicht passiert wäre. Vergleichbar ist nur noch eine Investition in ein den Neuen Markt, in eine der dot.com-Firmen.                  zurück

 

66 »Der neuwen Welt neuwe und gründtliche Histori. Erst­lich von Hiernoymium Bentzon von Meilandt in welscher Spraach wahrhafft beschrieben. Erst jetz mit sonderem Fleiß / allen Liebhabern der Historien und frembter Sitten zu nutz in das Teutsche gebracht / durch Nicolaum Höniger von Tauber-Königshofen, Oppenheim 1620.«                   zurück

 

67 Nach einer Linde am Bauernhof benannte sich der aus einer Bauernfamilie in den Pfarrerstand übergewechselte Vater­ Linnés, als ihm gestattet wurde, seinen Namen zu latinisieren: Linnaeus. Der Petersburger Botanikprofessor und Zeitgenosse Reinhold Forster nennt den Pfarrerssohn »Kommandeur der Armee Florae«, Linné selbst bezeichnet sich überheblich als »zweiter Adam« – so erringt man Aufmerksamkeit! 

Linnés Sexualleben spiegelt sich in seiner Methodik ­wider: Er schrieb nicht über »Be­stäubung«, sondern »Nuptia Plantarum« – Pflanzenhochzeit, »andria« und »gynia« (Mann und Frau) gaben dem Staubgefäß die Namen: »Die Blütenblätter dienen lediglich als Hochzeitsbetten, die der große Schöpfer so herrlich hergerichtet und mit so süßen Düften versehen hat, damit das Paar dort seine Hochzeit mit einer erhöhten Feier­lichkeit begehen kann.«, sofern sie nicht wie Farne, Algen und Pilze »kryptogam« waren. Linné: »Wir betrachten die Genitalien der Pflanzen mit Entzücken, die der Tiere mit Abscheu und unsere eigenen mit seltsamen Gedanken.«

Reinhold Forster schreibt 1737 zu Linnés Pflanzenhochzeit: »Wer möchte glauben, daß von Gott solche verabscheuungs­würde Unzucht im Reich der Pflanzen eingerichtet worden ist?« 

Einem Bonmot zufolge hat Gott die Welt erschaffen, und Linné hat Ordnung in sie gebracht. Und er hatte richtig erkannt, daß die niedrigere Ordnung die weibliche ist? Ein Sexualstraftäter? Der in Tübingen lehrende Rudolf Jacob Camerarius (Camerarius wählte als Wappen einen drastisch zurück­geschnittenen Pflaumenbaum) hatte noch vor Linné die bisexuelle Vermehrung der Blüten­pflanzen bewiesen. Linné bekämpfte gleichzeitig die Idee einer Evolution; er behauptete noch 1751 in seiner»Philosophia Botanica«, daß alle Spezies separat erschaffen wurden, seit der Schöpfung keine neue Lebewesen entstanden und keine aus­gestorben sind.

In der »Philosophia botanica« vervollständigte Linné die in seiner Schrift »Pan Svecicus« (1749) erstmals praktizierte Methode, alle Pflanzen mit mehr oder weniger willkürlichen lateinischen Namen zu belegen; dabei ging’s nur darum, importiertes Viehfutter durch heimische Pflanzen zu ersetzen. Vorher hatte er die Pflanzen bei der erstmaligen Beschreibung durchnumeriert und sich in späteren Publikationen auf den Namen des Buches und die Nummer darin bezogen (was aber selbst für ihn zu unbequem wurde). Nach seiner Lappländischen Reise (1732) kleidete er sich bei Vorträgen in ein Phantasie-Kostüm, das er als ­Nationaltracht der Lappen ausgab.  

Linné glaubte nicht an die Konkurrenzvorteile durch Spezialisierung, die Adam Smith für die Wohlfahrt der Nationen für unerläßlich hielt. Vielmehr wollte Linné alle Naturschätze der Welt auf den schwedischen Boden bringen und somit die Welt im Kleinen reproduzieren – preußischer Kameralismus sollte auch im schwedischen Reich ein­ziehen. Einem Kameralisten (und sparsamem Haushälter) schmerzt es, wenn er sieht, daß der mühsam angehäufelte Gold- und Silberreichtum das Land verläßt, damit mit Gewürzen, chinesischem Porzellan und anderem Tand be­ladene Schiffe zurückkehren können. Linnés Reisen innerhalb Schwedens dienten insbesondere dazu, die Naturschätze zu erkunden und nutzbar zu machen, so daß sich der Import von Gewürzen und anderen nur außerhalb Schwedens wachsenden Pflanzen erübrigen sollte. Maulbeerbäume, Kaffee und Tee mußten dementsprechend nur angepaßt werden. Reis, Kakao, Olivenbäume und Pistazien wurde von Linné in Uppsala gepflanzt und sollten in einem langwierigen Prozeß dem schwedischen Klima angepaßt werden.  

Da seine Versuche nicht erfolgreich waren, beschränkte sich Linné auf die Anpflanzung alpiner Pflanzen, die es zwar in Lappland schon gab, aber nicht in der europäischen Vielfalt.  

Dieser Teil der Geschichte Linnés ist Ur­sache für die Praxis vieler betrieblicher Vorgesetzter in großen Unternehmen, ihre Mitarbeiter nicht zu gut auszubilden und unter sich stets Leute zu beschäftigen, die ihnen intellektuell unterlegen sind. Ein Schüler Linnés, Per Löfling, wies jedoch 1749 (nach dem Tod von Linné!) nach, daß die Linnésche Akklimatisierungstheorie nicht an­gewendet werden ­könne, da den tropischen Bäumen und Sträuchern die Knospen fehlen würden.  

Die Schüler Linnés brachen den Kontakt zu ihrem Professor ab, sobald sie ihre eigene Profession hatten oder aus anderen Gründen von ihm nicht mehr abhängig waren; denn er soll ein professoraler Wichtigtuer gewesen sein, der – so der Sekretär der Schwedischen Akademie der Wissenschaften 1764 – von niemandem geliebt wurde. Die FAZ in einer Buchbesprechung: »Sein holländischer Doktor­titel war ungefähr so wertvoll wie die Dinge, die man ­heutzutage in einer Schachtel Knusperflocken findet.« Die Bedeutung der Kartoffel verkannte Linné; er wollte aus der Knolle Brot backen, denn eine andere Verwendung konnte er sich nicht vorstellen. So geht der Ruhm, die Kartoffel in Schweden eingeführt zu haben, an Almströmer. 

Linné sollte nach seinem Studium ein Angebot als ­Professor in Göttingen erhalten, das ihn aber wegen eines säumigen Boten nicht erreichte. Deshalb eröffnete er eine Arztpraxis in Stockholm. Als die Patienten ausblieben, besuchte­ er Speisehäuser, in denen Soldaten und Veteranen ­verkehrten und versprach ihnen, sie innerhalb von vierzehn Tagen von Syphilis und Gonorrhöe zu heilen (Patientenwerbung dieser Art soll schon der heilige Hippokrates verboten ­haben, weil es gegen die Standesehre verstößt).  

Auf An­raten des süd­französischen Arztes Sauvages aus Montpellier soll er aus ge­quetschten Kartoffeln eine Paste entwickelt haben, die er bei der Heilung von der »Frantzosen­-Krank­heit«, auch beim schwedischen Adel weit verbreitet, ver­wendete, wenn der aus der Pflanze Copaifera gewonnene Kopaiva­balsam nicht mehr half; außerdem empfahl er »Gold­schläger­­häutchen« von Schaf und Ochs; »Goldschlägerhäutchen« sind Därme, deren Oberfläche von fleißigen ­Frauen abgeschabt wurde und wovon später 750.000 für die Umhüllung eines Zeppelins gebraucht wurden. Die jungen Kavaliere, die in castris Veneris verwundet waren, ­verhalfen ihm zu seinen ersten Einnahmen. Im übrigen war davon jeder mehr oder weniger­ befallen, wie Flaubert meinte, und »Immer so tun, als ob man nicht wüßte, was das ist«. Auch Flaubert.                 zurück

 

68 Taxonomische Systeme für die Klassifizierung von Fauna­ und Flora erlebten im 17. und 18. Jahrhundert eine neue Blütezeit, nachdem schon zwei Jahrhunderte vorher erste Versuche unternommen wurden, eine hierarchisch-graduelle Anordnung der großen »Kette von Lebewesen« zu schaffen (mit dem Menschen als Primaten ganz oben). Linné war also nicht der Erfinder der binären Nomenklatur, aber er hat sie konsequent eingeführt und etabliert. Das war Renaissance der Antike, der »scala naturae« des ­Aristoteles.  

Seit Linné folgt in der Nomenklaturregel auf die Gattungs- und Artbezeichnung einer Pflanze der Name desjenigen Botanikers, der ihr den wissenschaftlichen Namen gegeben hat. Wird ein Gattungsname neu bestimmt, wird die Artbezeichnung beibehalten und der frühere Autor in Klammern gesetzt. Die Namensgebung wurde auch zur Ehrung oder Verunglimpfung eingesetzt. So ehrte Linné ein südamerikanisches Nachtschattengewächs nach dem schwedischen Bischof Johan Browall (Browallia), weil dieser sein sexistisches »Systema naturae« verteidigte; andererseits erhielt ein fahlfarbiges Irisgewächs den Namen Morea tristis nach seinem Schwiegervater, der zwar seine Promotion finanzierte, aber damit auch eine unglückliche Ehe stiftete.                   zurück

 

69 Die »Vereenigde Oostindische Compagnie« war Anfang des 17. Jahrhunderts von holländischen und seeländischen Handelskontoren gegründet worden. Ihre Aufgabe (und ihr Ziel) war es, Handel mit den Ländern östlich des Kaps der Guten Hoffnung zu treiben. Ihre asiatischen Zentren waren Batavia (heute Djakarta) und eine künstlich aufgeschüttete Insel, Decima, von dem japanischen Nagasaki. Die Handelsrechte der VOC waren blutig erkämpft worden. Nicht unübliche Praxis der VOC war es, bei reichen Ernten einen Teil zu verbrennen, um die Preise hoch zu halten, zu »stabilisieren«, eine Handelspraxis, die sich bis ins 20. Jahrhundert herein gerettet hat.  

Es gab eine Schwestergesellschaft, die »Westindische Com­pagnie. Die WIC besaß im niederländischen Macht­bereich das Sklavenhandelsmonopol. Schiffe der WIC fuhren routinemäßig im Dreieck, als »driehoeksreis«: Amsterdam – Westafrika – Südamerika – Amsterdam. In West­afrika wurden die Sklaven an Bord genommen, was noch lebte, wurde in Paramaribo auf dem Sklavenmarkt verkauft, dort Zucker gekauft, und in Amsterdam wurde diese Ladung gelöscht und mit hohem Gewinn verkauft.  

Die WIC war verpflichtet, Sklaven in die niederländischen südamerikanischen Kolonien zu transportieren, 2500 Menschen sollten es mindestens im Jahr sein, insgesamt waren es dann mehr als 250.000 Sklaven. 550.000 Sklaven ver­hökerten die Niederländer insgesamt. 600 bis 700 Sklaven auf einem Schiff, auf einem Dreißig-Meter-Schiff. Mit dem so erworbenen Reichtum können sich die Niederländer heute als Moralapostel präsentieren. 

Auch Preußen, der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm I., beteiligte sich am Sklavenhandel. Die Brandenburgisch-Afrikanische Kompanie wurde am 1. Januar 1683 gegründet. Im heutigen Ghana wurde die Festung Großfriedrichsburg gegründet. 1685 mieteten die Brandenburger von Däne­mark einen Handelsstützpunkt in der Karibik, die Antilleninsel St. Thomas. Auf der kurfürstlichen Werft in Havelberg wurden Schiffe für den einträglichen Sklaventransport gebaut, doch als man immer stärker in das heimische Heer ausbaute, fehlte bald das Geld, weitere Schiffe zu bauen; ohne Sklavenhandel lohnte sich jedoch die Kolonie nicht. Ein Afrikaner, der in Ghana 45 Gulden kostete, konnte in Amerika für 210 Gulden verkauft werden.  

Bis zum Jahr 1696 machte die Kompanie einen Gewinn von jährlich rund 150 Prozent. »Ein jeder weiß, daß der Sklaven­handel die Sonne des Reichtums ist«, schrieb ein kurfürstlicher Berater. Insgesamt verschleppten deutsche Kauf­leute etwa 30.000 Afrikaner. Die Brandenburgisch-Afrikanische Kompanie ging 1706 bankrott. Elf Jahre später wurde ­unsere preußische Kolonie Großfriedrichsburg für 7.200 Dukaten und »zwölf Negerknaben« an die Niederländer verkauft. Das war fast so billig wie der Verkauf Alaskas durch die Russen an die Amerikaner. Oder der tausch Helgolands gegen Sansibar. Wir haben die Börteboote immer noch, die Engländer haben nix!                   zurück

 

70 Johann Heinrich Voss empfiehlt 1798 in seiner »Kartoffel­ernte«: »Schöne Saat­kartoffeln kaufen, grad aus Holland, wenn ihr wollt!« Einen solchen Ratschlag gäbe heute keiner mehr.                  zurück

 

71 Alle Fürsten, die sich über die Grafen erhoben, hatten Anspruch auf diese Anrede – und nur sie! Ihr Stil war der Plural der Majestät, mit dem fromm-stolzen Vorsatz »Von Gottes Gnaden«; allen kam die Distinktion »Hochgeboren« und außerdem die Anrede »Euer Liebden« (E. L., Ew. Liebden), Euer Fürstliche Gnaden oder beides. Auch »Durch­lauchtigkeit« wurde gern gesehen. Für den Kaiser des «Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« war jeder Fürst »Unser Oheim«. Der wirklich alte Adel benutzte auch die Anrede »Herr und Freund«.  

Im Barock begann auch der Wandel des bis dahin üblichen »Duzens« in das »Siezen« von unten nach oben. Bis weit in die Neuzeit hinein redeten die Untergeordneten ihre Oberen mit »Ihr« an und bekamen das »Du« zurück (sog. »Gutsherren-Deutsch«). Im »Ihr« blieb das »Du« erhalten – allerdings verschoben in den Plural; er signalisierte – so Paul Listen in »The Emer­gency of German Polite Sie« – eine Ehrerbietung, die auf einer metaphorischen Übertragung beruht: Soziale Macht wird gleichgesetzt mit physischer Größe und mit Vielzahl – auch geäußert in der Großschreibung des ersten Buch­stabens und in einem Fall auch des zweiten Buchstabens: GOtt. 

Dummerweise wurde es unter den Tagelöhnern im 17. Jahrhundert üblich, sich ebenfalls mit »Ihr« anzureden, so daß der Adel in kompliziertere Wendungen flüchten muß­ten:­ Gerade bei weiblichen Standes­personen war es ­wichtig und richtig, die korrekte Anrede zu wählen, es wäre völlig falsch gewesen, einer Dame von Stand zu sagen »Ich habe Sie gesehen«, denn nur die Formulierung »Ich habe Ihnen ge­sehen« zeigte dieser Dame die standesgemäße Wert­schätzung. Unter Gewerk­schaftern, zwischen Sozialdemokraten, unter Kollegen im »Arbeiterstand« und neuer­dings im Management­nachwuchs größerer Unternehmen hat sich ein­gebürgert, das »Du« als Standard-Anrede zu verwenden und damit (fast) jede (manchmal) gebotene Distanz auf­zugeben.                   zurück

 

72 Des Sachsenkurfürsts Anrede in diesem Brief lautete: »Dem Hochgeborenen Fürsten Herrn Christiano Herzogen zu Sachsen, des heiligen Römischen Reiches Erz­marschal­ken und Churfürsten, Landgrafen im Du­rin­gen, Marggraffen zu Meißen und Burggraffen zu Magde­burgk, Unserm freundlichen Lieben Vettern Schwagern Brüdern Sohn mit Ge­vattern, Zu s. L. Hand.«                 zurück

 

73 Da von diesem Brief mehrere Fassungen in der Literatur zitiert werden, wird hier die Quelle angegeben: Curt Dietrich in seiner Dissertation von 1919 über die »Entwicklung des Kartoffelfeldbaues in Sachsen«.                   zurück

 

74 Noch im 19. Jahrhundert galt Langeweile als Gemütskrankheit, die den Arbeitswillen erheblich schwächte. Dem »Seelenschnupfen« – besonders bei den mit einem Arbeits­verbot belegten bürgerlichen Frauen – versuchten die Ratgeber der Hausväter-Literatur durch den Rückzug auf die kirchliche Moral beizukommen. Effi Briest, Großmutter von Manfred von Ardenne, schrieb einen Roman ab, um der ennui und dem »horror vacui« zu entkommen. Verbreitet war auch die Hypochondrie und die Melancholie. Baudelaire meinte, daß aus der ennui sich der »Spleen« entwickelt habe, ein Mangel an geregelter Beschäftigung, eine Übersättigung an allen Lebensgenüssen.  

Während die Bauern schufteten und sich mühten, ihren Acker zu bestellen und den Zehnten abzuliefern, amüsierte sich der Adel bei Kartenspiel und Billard. Der Kammermohr im Essener Reichsstift Ignatius Fortuna belustigte die adlige Gesellschaft mit allerlei Maskeraden, Tanzvergnügen und sonstigen Festen: Blinde Kuh spielte man und Plumpsack, Rate- und Pfänderspiele und die Gäste waren amused,und die Jesuitenschüler der Stadt führten das eine oder andere erbauliche Schauspiel auf –das war schon anders als wenn heutzutage homo­sexuelle Butler einander vergewaltigten und dies dann auch in der Boulevard-Presse des Vereinigten Königreichs berichten lassen. 

Während früher nur dem Engländer, zumal wenn er sich im Ausland befand, ein spleeniges Verhalten unterstellt wurde, ist die Übersättigung an allen Lebensgenüssen ­heute auch auf die Deutschen zu übertragen; wie sonst kann man die Begeisterung für die Spaß-FDP erklären?                   zurück

 

75 Das ist jener Landgraf und Kurfürst, der rund 18.000 Landsleute für rund tausend Taler pro Kopf an die Engländer verkauft hatte, von denen etwa fünftausend in Amerika sterben konnten. Wilhelm hatte die »Seelen­verkäuferei« bereits als Erbprinz in Hanno­ver kennen und (im wahrsten Sinne des Wortes) schätzen gelernt und betrieb diesen Sklaven­handel noch bis in die 1790er Jahre. In seinem Brief an den englischen König Georg III. heißt es:


    »Belebt von den Gefühlen, welche meine unterwürfige Ach­tung und un­erschütterliche Anhänglichkeit an Ihre Person mir vorschreibt, flehe ich Ew. Ma­jestät an, geneigt gestatten zu wollen, daß ich diesen Augenblick, da Sie deutsche Truppen zu wünschen scheinen, wage, Ihnen ohne die mindeste Bedingung mein Infanterie-Regi­ment zur Verfügung zu stellen.«  


Besser hätte es der frühere Verteidigungs­minister Rühe an die Amerikaner während des Golfkrieges und Gerhard Schröder mit seiner »uneingeschränkten Solidarität« auch nicht formulieren können. Mit dem Geld baute Wilhelm III. Schloß Wilhelmshöhe. 1780/1781 mischt auch Goethe (mit erheblichen Bedenken) für seinen Weimarer Herrn in diesem Geschäft mit, in dem er vier Häftlinge den preußischen Werbern verkauft zur »Recrutirung nach America«. An­sonsten stand in diesem Herzogtum die Freiwilligkeit voran, die auch für »lüderliche, entloffene und dienstlose« Per­sonen galt.                  zurück

 

76 Mit »Polizei« ist die staatliche Verwaltung in den damaligen Herrschaftsgebieten gemeint.                   zurück

 

77 Griechenland: Da hat schon Persephone, Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, die Äpfel geliebt. Die Liebes­göttin Aphrodite soll in Zypern Äpfel gepflanzt haben – so wurde das Fruchtbarkeitssymbol auch zu einem Symbol des Eros. Von den roten Granatäpfeln kam es auf die roten Kartoffeln.                  zurück

 

78 Die italienischen Hauptnahrungsmittel Pasta und Pizza haben zu jener Zeit keine Rolle gespielt. In den diversen Kleinstaaten des damaligen Italien hatte sich über Jahr­hunderte eine eigene Sprache, eine regionale Kultur und damit auch eine regionale Küche bewahrt. »Italien« aß damals keineswegs einheitlich Pasta: Die Sizilianer des 12. Jahrhunderts waren die ersten, die von den Arabern die Technik lernten, aus einem bestimmten Getreidemehl, dem Hartweizen­gries, Teigwaren herzustellen, die man durch Trocknung fast unbegrenzt aufbewahren kann. Erst dreihundert Jahre später findet die Pasta ihren Weg nach Neapel. Die Erfindung von schnellen Knetmaschinen führt zu einer Kostensenkung im Herstellungsprozeß und damit rasch zur preis­werten Volksnahrung. Pasta löst die Hülsen­früchte und den Spitznamen »Caca­fagiole« für die Toskaner ab, andererseits beginnen die Franzosen (Cavour) mit dem verächtlich­gemeinten Ausdruck »le macaroni« die Italiener zu bezeichnen.  

Winckelmann, der es weniger mit den Italienerinnen hielt, meinte dennoch, diese seien schön. Doch die Hitze, die vegetabilische Nahrung und die vom männlichen Nichtstun von den Frauen zu erledigende Arbeit richten die Schönheit »schon vor ihrer vollen Entwicklung zugrunde.« 

Max Christian Graeff weist daraufhin, daß die heutigen Supermarkt-Tortellini einer quasi fabrikationeller Zensur unterlägen:


    »Diese kleinen ge­füllten Teighütchen, welche in der Gegend von Bologna in Bouillon serviert wurden, [hatten] ein Loch in ihrer Mitte. Diese Form entstand angeblich, als ein antiker Gastwirt die nackte Venus durch ein Schlüsselloch beobachtete und sich dabei so gehörig an ihrem Nabel (?) entzückte, daß er ihn in Teig nachbildete.«  


Die Pizza mit Tomate, Mozzarella und Basilikum (»Pizza Margherita« nach der savoyischen Köni­gin und Ehefrau Umbertos I. benannt) beginnt erst nach 1860 ihren Siegeszug in Italien. Ursprünglich war die Pizza ein kleines, ­flaches Stück Teig, das die Bäcker mit in den Ofen schuben und mit­backten, um festzustellen, ob das Brot durchgebacken war. Irgendwann kam ein Bäcker auf die Idee, dieses ge­backene Teigstück mit Tomate und Käse und Oregano zu verfeinern und schließlich war das Teigstück ein ausgewachsener Fladen, der ein Eigenleben entwickelte und heute von der deutschen Tafel nicht mehr wegzudenken ist. Es ist nicht auszuschließen, daß die Pizza in Italien den gleichen Weg geht, den der Döner in der Türkei ging, der dort als »deutsches Gericht« gilt.                   zurück

 

79 Im »Palazzo Pitti«, wo der bekannte Wachtmeister Guarnaccia wohnt und dient.                  zurück

 

80 »A me pero non eparuto, che abbiano questo difetto, ma puo essere, que lo abbiano, se siano mangiato sover­chiamente.« Also, Kartoffeln können doch Blähungen verursachen.                   zurück

 

81 Egon Friedell 1936: »Wie es aber wirklich gewesen, wer vermöchte das zu ent­scheiden? Es ist alles, was man über alle wichtigen und fragenswürdigen Fragen sagen kann, immer nur Bruchstück, roher Baustein oder Torso; Konjektur, die nur so lange wahr ist, bis ein neues Denkglied auftaucht; kurzlebige Geburt der Zeit.«                 zurück

 

82 Marcus Tullius Cicero an seinen Freund Hortensius: »Populum atque civitatem in Aprilim inmisit« – er, Caesar, hat Volk und Staat in den April geschickt, weil dieser bei seiner Kalender­reform siebenundvierzig Kalender­tage wegließ. Da kommt der »Judas-Tag« her.                   zurück

 

83 Ein weiterer Grund für die Einführung der neuen(Kalender-)Ära war die Streiterei zwischen den Klerikalen Roms und Konstantinopels über das (bewegliche) Osterfest; der neue Kalender sollte zugleich die Überlegenheit des römischen Christen­tums fest­zurren: Chrono­logie als Macht­instrument. Am 4. Oktober wurde durch Über­gang auf den 15. Oktober 1582 in den katholischen Ländern Italien (mit Ausnahmen), Spanien, Portugal und Polen die neue Zeit­rechnung in Kraft gesetzt, nachdem am 24. Februar in der Bulle Inter gravissimas die Einzelheiten festgelegt worden waren.  

Zehn Tage verschwanden, nachdem schon auf dem Konzil von Nicäa drei Tage gestrichen worden waren (21. statt 24. März wurde als Frühlingspunkt festgelegt). Innerhalb weniger Jahre war es für die Franzosen die zweite Kalender­reform, nachdem Charles IX. beschlossen hatte, das Jahr 1566 auf achteinhalb Monate zu verkürzen und nach 1567 das Jahr mit dem 1. Januar beginnen zu lassen (statt wie vorher mit dem Osterfest); Weihnach­ten fiel aus. 

Bemerkenswert: In den katholischen deutschen Landen erfolgte die Um­stellung ein Jahr später (was aber im Rahmen der päpstlichen Vorgabe zulässig war). Das Herzog­tum Preußen folgte 1612. In den Ländern, in denen die Kartoffel weiter verbreitet war als in den von Rom abtrünnigen protestantischen Provinzen erfolgte die Kalender­umstellung zuerst; in den meisten protestantischen Ländern wurde erst ab dem Jahr 1700 mit dem neuen Kalender datiert (die Protestanten bezeichneten ihre Zeitrechnung als sog.»Verbesserten Kalender« – er entsprach mit Ausnahme des Ostertermins dem katholischen Kalender). 1778 veranlaßte König Friedrich II. von Preußen, daß der Reichstag ein einheitliches Datum des Osterfestes von Katholen und Protestanten herbeiführte. Die Bauern klagten 1584:


    »Wir wissen nicht mehr, wann wir ackern und säen sollen; denn du, Papst, hast uns durch deinen Kalender alle Lostage verkehrt. Die Pfaffen wollen uns zwingen, das Obst unreif abzunehmen.« 


Für Rußland verordnete erst die Kerenski-Regierung im Februar 1917 die Einführung des Gregorianischen Kalenders, Rumänien folgte 1924 und die Türkei 1926. Als Kuriosum sei angemerkt, daß die Sowjetunion den gregorianischen Kalender 1926 durch einen Kalender mit 72 Wochen à fünf Tage ablöste; nach vier Arbeitstagen erhielten die Arbeiter einen freien Tag (könnte ein Beispiel für die IG Metall im Voll-Konti-Betrieb sein). 1940 wurde dieser Kalender wegen des Kriegsbeginns wieder abgeschafft.  

Erst etwa mit der Kalenderreform endeten auch die verschiedenen Jahresanfänge in den deut­schen Landen (25. Dezem­ber oder 1.Januar – das Jahrtausend begann mancher­orts erst 1033), in Italien galt in Pisa und Lodi bis 1749 weiterhin der 25. März als Jahresanfang, und die päpst­lichen Kanzlisten hatten bis 1621 noch den 25. Dezember (noch heute Weihnachts-Geschenke-Tag»Boxing Day«) in England und auf den Shetland-Inseln) als Jahresanfang ge­schrieben.  

Das ist die offizielle Erklärung für die Kalender­umstellung. Es kann natürlich auch »nur« das Interesse der Druckereibesitzer gewesen sein, die mit der Herstellung der Kalender viele Gulden und Taler verdienten und schon damals ihren Gehülfen, Pachul­ken und Schweizer Degen ein überdurchschnitt­liches »Durch­kommen« zahlten. Sicher­ ist, daß die junge Druckkunst von kirch­lichen Auf­trägen sehr gut lebte: Das Ablaß-Unwesen konnte erst richtig auf­blühen, als die Ablaß-Zettel gedruckt wurden und ört­lichen Gegeben­­heiten leicht an­zupassen waren. Ein besonders schöner­ Auftrag für viele Druckereien war der St. Peters-Ablaß aus dem Jahr 1515, gegen den sich Luthers an­geb­licher »Thesen­anschlag« gerichtet hatte. 

Im übrigen: Jahrhundert-Wechsel oder Jahrtausend-Wechsel hat die Leute damals nicht inter­essiert; die örtliche Zählung der Jahre richtete sich nach irgendwelchen wichtigen Begebenheiten (»vor drei Jahren, als Prince Charles vom Pferd fiel« oder »in dem Jahr, als die Ernte so schlecht ausfiel und Vetter Franz geboren wurde«). 

Da haben es die Eskimos, die Inuit, mit ihrer Chronologie einfacher: Es gibt eine »Vierer-Jahreszeit« (weil man im Winter mit Fäustlingen nur bis vier zählen kann), eine »Zehner­-Jahreszeit« (weil man in Frühling und Herbst die Handschuhe auszog und folglich an den Fingern zählte) und schließlich die »Zwanziger-Jahres­zeit«, in der man barfuß gehen konnte.                   zurück


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