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Kartoffel-Geschichte Furche 1.6b. Aufklärung+Kartoffel im Vogtland, in Bayern, Sachsen und Thüringen

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Im Vogtland, in Bayern, Sachsen und Thüringen
https://web.archive.org/web/20120113121400/http://www.kartoffel-geschichte.de/Erste_Furche/Die_Aufklarungszeit/In_Bayern_und_Sachsen/in_bayern_und_sachsen.html

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Aufklärung+Kartoffel im Vogtland, in Bayern, Sachsen und Thüringen

In einem Ort namens Würschnitz im äuߟersten südwestlichen Zipfel des sächsischen Vogtland soll die Kartoffel 1647 als Feldfrucht angebaut wor­den sein; angeblich habe ein wandernder Zimmer­geselle namens Hans Löw Kummer oder Kummer­löw (aus Unterwürschnitz) die Knollenfrucht aus England oder Irland mit­gebracht. Dazu heiߟt es:

»nach und nach habe man gröߟere Plätze damit belegt, bis endlich das Dorf andere damit versehen konnte, von da es immer weiter und weiter bekannt wurde, und nach und nach von diesem Mittelpunkte, nämlich dem Dorfe Würschnitz aus, sich ringsum ausgebreitet habe.«

Eine andere Version lautet, daߟ ein Bauernsohn, der vorher in Cromwells Diensten in Irland (oder auch in Schottland) gekämpft habe, die Kartoffel als »Kriegs­beute« nach Böhmen mitgenommen habe; vielleicht, sicherlich, war der Zimmer­geselle Kum­mer­löw auch ein Bauernsohn!? Aber bei solchen Geschichten über die Einführung der ­Kartoffel in Deutschland muߟ man sich die damals üb­lichen Zeiten und Strapazen für eine Reise quer durch Europa vorstellen: Zehn, vielleicht fünfzehn ­Meilen pro Tag, mit einem Kartoffel­sack auf dem Rücken, zu Fuߟ wandernd, sich überall bettelnd durchschlagend, von Hofhunden ver­jagt, aber die köstliche, sättigende Nahrung auf dem Buckel nicht essend! Damit man sie Monate später auf eigenem Felde oder Pachtgrund anbauen konnte. »VZSZE«.

Da ist schon wahrscheinlicher, daߟ wandernde Händler die Knolle ins Land brachten. Oder der Rogler Hanns die Bataten auf dem Jahrmarkt in Nürnberg kaufte. Der Pilgramsreuther Max Wirsing schreibt:
    »Häufig ist mit Nachrichten über einen frühen Kartoffelanbau in Deutschland ein Stück Dichtung verbunden«,

weil er im Zusammenhang mit dem frühen Kar­toffel­anbau in seiner Heimatstadt Pilgrams­reuth feststellte, daߟ ein Ort namens Würschnitz in der an­gegebenen Gegend nicht nachzuweisen ist, wohl aber bei Dresden zu belegen ist.

1647 soll die Kartoffel in Pilgramsreuth in Oberfranken von dem Bauern Hanns Rogler erstmals (in Deutschland) feldmäߟig angepflanzt worden sein.

Jedenfalls ist dieser Ort und dieses Datum Stand der Kartoffelforschung. In einem Katalog des Histo­rischen Museums Frankfurt heiߟt es (in einem anderen Zusammenhang): »Ob es wirklich so gewesen ist, wissen wir nicht. Wir wissen aber sehr wohl, daߟ es so gewesen sein kann.«

 
Am Ende des 17. Jahrhunderts (1694) sind -€“ wie aus den Protokollen über Zehntstreitereien hervorgeht -€“ bereits auf mehr als fünfhundert Pilgrams­reuther Feldern Kartoffeln angebaut, die einen Ertrag von dreizehnhundert Zentnern jährlich erbracht haben soll. Rogler soll nach den Aussagen von Nachbarn die Kartoffel in Roߟbach, einem Ort im Grenzgebiet Sudetenland und Böhmen, bei einem­ Verwandtenbesuch kennengelernt und in seine Heimat mitgebracht haben; die Fama berichtet, daߟ er sie dort sah, sie ihm gekocht vorgesetzt wurden und ihm die neue Frucht schmeckte. Wieder­ zu Hause in Pilgramsreuth soll er sie ins Erdreich seines Gartens gedrückt haben.

Max Wirsing weist in diesem Zusammenhang daraufhin, daߟ die Knollen urkundlich erst viel später in Roߟbach erwähnt werden, so daߟ Roߟbach als möglicher Herkunftsort der Roglerschen Kartoffeln ausfallen müߟte.

Nach Roߟbach wiederum soll sie -€“ so Dr. Carl Putsche 1819 in seinem »Versuch einer Monographie der Kartoffel« -€“ ein niederländischer Offizier aus Brabant gebracht haben, der 1645 dort einquartiert worden war.

Im »Archiv für Geschichte und Althertumskunde von Ober­franken« schreibt dazu der Bayreuther Bürgermeister E. C. von Hagen 1862:
    »Der Sage nach hatte in Böhmen ein einquartierter niederländischer Offizier in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in einer dortigen Stadt von der Nützlichkeit des Baues der Kartoffel gesprochen, was man ihm jedoch nicht glauben wollte. Um die Richtigkeit seiner An­gabe darzuthun, lieߟ er deߟhalb aus seinem Vaterlande eine Partie Kar­tof­feln kommen und schenkte sie einem Edelmann in Böhmen, der sie auf seine Felder stecken lieߟ.«

Anton Jakob Ludwig schreibt 1770 unter Be­rufung auf ältere Doku­mente:
    »... ist diese frucht, ungefehr um das 1650. jahr aus Braband nach Vogtland gebracht, und von der zeit an gebauet.«

Diese »Sage« ist glaubhafter als die Geschichte des Kartoffelanbaus, die mit dem Cromwellschen Soldaten aus Irland verbunden ist.

Bei den Streitereien 1696 über den Zehnt erklärt der Bauer Hans Gries(s)­hammer aus Selb oder Pilgramsreuth vor der Landschreiberei in Hof, daߟ 1647, »als der Schwed« die Stadt Hof belagert habe, noch keine Erdäpfel angebaut worden seien.­ Aber,
    »er wisse gar wohl, daߟ Hanns Rogler, mit dem er ehedeߟ über ge­droschen, die ersten Erdäpfel von Roߟbach nach Pilgramsreuth ge­bracht«

habe. Nun, der Grieshammer wird sich schon bemüht haben, wahr zu berichten, denn ihm waren mit drei anderen
    »mit dem eyde belegten zeugen genaue fragen vorgelegt«

worden; Grieshammer war zum Zeitpunkt der Befragung 65 Jahre alt (in dem Alter legt man sich nicht mehr mit der Herrschaft an), und ob er und die anderen Zeugen (Nicol Seidel war 75, Nikol Wächter war 68, Georg Fischer war 62 Jahre alt) sich richtig erinnerten, darf bezweifelt werden, denn es war doch schon arg lange her, als der Hanns Rogler mit den Knollen anfing.

Andererseits sind Kartoffeln in Roߟbach zu jener Zeit wohl nicht angebaut worden; vielleicht hat der Gries­hammer ein wenig geflunkert, auch wenn er (wahrschein­lich richtigerweise) be­stätigt, daߟ nach dem Hanns Rogler auch die anderen ­Bauern in Pilgramsreuth angefangen hätten, die Erdäpfel anzubauen. Sie hätten erkannt, so 1696 Nicol Seidel, Klosteruntertan in der Hofer Altstadt, daߟ die Erdäpfel »gut thuen«. Es ist unter Berücksichtigung dieser Daten anzunehmen, daߟ Gries­hammer die historischen Anfänge des Kartoffelbaus in Pilgramsreuth gar nicht selbst erlebt hat, denn immerhin war es mindestens fünfzig Jahre nach dem gemeinsamen Drusch mit Rogler.

Trotzdem wird dem Hanns Rogler, einem (wenn auch hochlöblichem) »Gesetzesbrecher«, 1990 in Pilgramsreuth ein Denkmal gesetzt, und eine schmale Gasse wird nach ihm benannt.

1694 unterrichtet der Pfarrer des Ortes, Mat­thias Keppel seine Oberen in Hof
    »Sie haben sich einer allhier und anderwärts vor Jahren noch unbekannter Feldfrucht, die Erdäpfel genannt, bedienet, daߟ ein einziger Inwohner für sich fast 1/4 Tagwerk mit derselben bepflanzt, indem sie solche in die besten Felder pflanzen und zum besten alljährlich düngen.«

Am 3. Februar 1696 berichtet er:
    »Wie die Erdäpfel in Pilgramsreuth ihren An­fang genommen und wer sie hierher gebracht und wo solcher Bauer gewohnet, wissen die Beklagten zum Theil am besten, werden auch wohl das wissen, daߟ selbiges Bauern­ Nachbarn und andere Leute anfänglich solche Frucht verabscheuet und sich in deren Ge­nieߟung der abscheulichsten Krank­heiten be­sorget, auch da besagten Bauern ein Ochs umgefallen, alle Inwohner allhier ge­mut­maߟet haben es müߟte solches Vieh durch das Kraut der Erdäpfel, so man ihm zu fressen gegeben, vergiftet worden und des­wegen verrecket syn, wiewohl dieses -€ 'falso opinio' -€, als die Erfahrung bishero bezeuget, war. Indem nun diese Frucht Mensch und Vieh wohl angedeyhet wird den Getreydeäckern durch die Erd­äpfel ein ziemlich an Dungs ent­zogen.«

Wahrlich. Das Kraut nebst den (giftigen) Beeren: Fructus amarae, tuberosum dulces, bittere Früchte, süߟe Kartoffeln. Das haute den stärksten Ochsen um! In Frankreich wurde zu diesem Zeitpunkt nachgewiesen, daߟ die Verfütterung des Kar­toffelkrauts nicht zu einem Rückgang des Milch­ertrags führte.

Der Pfarrer baute 1795 die neue Frucht selbst an und erntete von einem Beet immerhin sechs Achtel, was ihm mehr als dreiߟig Groschen ein­brachte.­ Keppel weist in einem Schreiben an das Landgericht in Hof (1696) daraufhin:
    »Solche Feldfrucht Erdäpfel trifft man weder in Bayreuth, Kulmbach, noch im Unterland, auch in Hof nicht an.«

Nur in Pilgramsreuth wurde demnach die Kartoffeln (in Pilgramsreuth »Ehrdepfl« oder »Ehrpfl«, aber auch »Bopf« genannt) angebaut werden; es würde in den genannten Orten aber
    »eine andere Art, so man bey uns Erdbirn nennet, gar ein wenigs in den Gärten gefunden«.

Der Pfarrer stellt auch fest (aufgrund eigener Anbauversuche), daߟ sich durch den Verkauf der Kartoffeln höhere Gewinne als beim Getreideverkauf erzielen lassen. Max Wirsing weist darauf­hin, daߟ Pfarrer Keppel während seines Wirkens in Pilgramsreuth ein ­neues Schul­haus bauen lieߟ und das Schulwesen förderte. Darüber hinaus lieߟ er die Dorfkirche zu einer­ der schönsten Kirchen von Deutschland ausbauen,­ zu einem lutherischen Bauerndom. Da hätte man ihm doch wahrlich den Zehnten gönnen können. Im übrigen galt: »Solange der Bauer Weiber hat, braucht der Pfaffe nicht zu heiraten.«

Im Verzeichnis der zehntbaren Felder in der Pfarrei von Pilgramsreuth aus dem Jahr 1694 werden insgesamt 639 Beete an Kartoffeln, 1221/2 Beete mit Rüben, 1159 Beete mit Flachs und 971 Beete mit Kraut aufgeführt; all diese Beete, die insgesamt vierzig Tagewerke umfaߟten (wie der Pfarrer penibel notierte), waren zehntfrei. Das muߟte zu Streit führen, zumal Pfarrer Keppel ein Schul- und Kantoratsgebäude für die etwa siebzig schulfähigen Kinder errichten lieߟ; die Baumaߟnahmen überstiegen die Pfarrei-Einnahmen beträchtlich.

Der Leser möge bedenken: Vierzig Jahre werden in Pilgramsreuth die Erdäpfel angebaut, und Pfarrer Jeremias Schilling, der von 1653 bis 1689 Ortspfarrer in Pilgramsreuth war, läߟt in den ganzen 36 Jahren zu, daߟ ihm der Zehnt vorenthalten wird. Zwar hatte bereits der Pfarrer Conrad Gaisler 1587 einen Brief an »Brandenburgs wohlverordne­ten Herrn Oberhauptmann und Khammerrath uffm gebirg zum hoff« gerichtet:
    »Wollen doch die halsstarrig Bauren keines wegs willigen, sondern beharen darauff, ist auch dieses ihr einziger behelff und aus­flucht, daߟ weilen bishero dieser Zehend von keinem Pfarrer an Garben gesammelt ...«

1696 werden denn auch ernst­hafte Aus­einander­setzungen zwischen Ackers­leuten und dem Pfarrer protokolliert: Da die Kartoffel in den Vorschriften über die Zehnt-Abgabe nicht erwähnt worden sei, könne auch nicht verlangt werden, daߟ auf den Kartoffelertrag der Zehnte erhoben ­werde. Das war klein­lich von den Bauern gedacht, denn zu jener Zeit machte der Zehnte nur den »Dreiߟigsten« aus, und gefordert wurde er nur von den Früchten, die nicht in der sogenannten Schmalsaat angebaut wurden, also hauptsächlich von Ge­treide. Ähnliche Auseinandersetzungen über die Abgabepflicht auf Kartoffeln werden aus der Oberpfalz berichtet. In einem Vertrag zwischen den Bauern und dem Pfarrer wird erklärt:
    »Was die vor ungefähr 40 Jahren in hiesige Pfarr gekommenen Erdäpfel anbetrifft, so gestehet die ganze Pfarrgemeinde, daߟ einige­ von ihnen derselben zu viel aus­gemachtet, wo durch der Pfarr-Zehnt merklich abgegangen.«

Graf Gotthardt Quirin von Tettenbach ist ein weiterer Name, der im Zusammenhang mit dem frühen Anbau der Kartoffel in Oberfranken genannt wird; Tettenbach soll einen ersten Anbau 1668 in Selbitz bei Naila angeordnet haben, aber er kaufte das Rittergut Selbitz erst 1682 -€“ vielleicht ordnete er den Kartoffelbau also erst 1686 an. Für die gleiche Zeit wird auch der Anbau der Knolle auf Schloߟ Stockenroth bei Münch­berg durch den markgräflichen Amtmann Andreas Mösch genannt.

Es ist an dieser Stelle anzumerken: Die Menschen, die die neue Frucht anbauten, wuߟten wohl, daߟ das Nahrhafte unter der Erde wuchs (es war ebend nicht »WYSIWYG«). Kartoffel­anbau war (und ist) eine erklärungsbedürftige Angelegenheit; im Umkehrschluߟ ist daher festzuhalten, daߟ die Knolle als Saatkartoffel von Bauer zu Bauer weiter­gereicht wurde und -€“ ist doch logisch -€“ bei der Gelegenheit auch das Drumherum erklärt wurde.

Die Menschen im frühen 17. Jahrhundert konnten weder lesen noch schreiben (bei erforderlichen »Unterschriften« machten sie -€“ so der Pastor Ramdohr in Schön­hagen noch 1907 -€“ »drei ehr­liche ­Kreu­­­ze«), aber das darf nicht zu dem Schluߟ führen, sie hätten von ihrem Gewerbe -€“ Ackerbau und Vieh­zucht -€“ keine Ahnung gehabt. Die Geschichte der Kartoffel begann nicht damit, daߟ die Bauern nach dem Genuߟ der giftigen Beeren starben (und nur die Erben damit von der Giftigkeit wuߟten). Wohl wird das Vieh mit dem Grünzeug gefüttert worden sein -€“ das geschah doch mit allen Pflanzen, die nicht direkt für die mensch­liche Nahrung vorgesehen waren.

Das »Grosse Vollständige Universal-Lexikon« von Johann Heinrich Zedler aus dem Jahr 1744:
    »Sie (die Kartoffeln) können zwar durch den Saamen fortgepflanzet werden, aber besser und geschwinder durch die Knollen, welche im October ausgehoben, die gröߟten zur Speise­ behalten, die kleinen aber in den Kel­ler, und Sand geleget, und im Frühlinge bey vollem Monden­scheine in ein wohl zu­gerichtetes, etwas sandiges Erdreich, drey Zoll­ tief, und einen Spannen weit von einander ein­geleget werden.«

In dem Vertrag zwischen dem Ortspfarrer und seinen Schäfchen in Pilgramsreuth wurde auߟerdem festgelegt, daߟ den Haushalten höchstens nur zwei oder drei Beete zehntfrei gelassen werden sollten. Darum ging es in den vielen Streitereien um den Zehnt auf die Knolle -€“ um den ­»gerechten« Anteil für das Pfarramt. Spätestens 1717 ist der Vertrag aus den Unterlagen des Pfarramtes schon wieder verschwunden, weil die Bauern sich abermals der Zehnt-Abgabe entziehen wollten.

Erst 1741 kann der Pfarrer Johann David Opel einen er­neuten Ver­gleich mit den Bauern abschlieߟen, wonach Kar­toffeln nur noch auf brachliegenden Feldern angebaut werden dürfen. Es wird also mit diesem Vertrag nicht geregelt, daߟ der Zehnte auf die Kartoffel abzuliefern sei, vielmehr wird der Anbauort definiert: Brachliegende Felder, auf ­denen sowieso kein Zehntanspruch entstehen würde.

Auch im Kreis Schwiebus, zu jener Zeit noch polnisch-österreichisch in einer branden­burgischen Umgebung, führt Gottfried Sebastian Senft, von Beruf »Zehn­ter«, also Kirchensteuer-Eintreiber, Klage, weil die Bauersleute sich weigern würden, den Zehnten auf die Kartoffel zu zahlen.

1628 wird in Bayern ein Rezept vorgestellt, nach dem man Brot aus Kartoffeln herstellen kann. Im botanischen Garten der Universität Nürnberg wird die Kartoffel erstmals 1615 erwähnt. Die Kataloge der Universität Altdorf bei Nürnberg erwähnen die Kartoffel in den Jahren 1635, 1646, 1660 und 1667; bei den Beschreibungen in den Jahren 1660 und 1667 wird bereits unter­schieden zwischen einer rot- und einer weiߟ-blühenden Pflanze.

Der frühe Anbau der Knolle im Nürnberger Raum fördert den Erfindungs­geist der Einwohner:

    -€“ 1650 wird von dem Zirkelschmied Hautsch eine erste Feuerspritze mit kontinuier­lichem Wasserstrahl gebaut,

    -€“ 1671 entwickelt der Glasschneider Schwanhardt ein Verfahren zum Ä„tzen von Glas,

    -€“ der Flötenmacher Denner bringt 1690 die erste Klarinette zum Tönen,



    -€“ zwischen 1680 und 1690 wird die Wippe erfunden und ermöglicht den Heftlein­machern eine Verdopplung ihrer Produk­tion,

    -€“ schon vorher wurde in Nürnberg die »Jung­frau von Nürnberg« erfunden, besser bekannt unter dem Namen »Eiserne Jungfrau«, einem Folterinstrument.
Wir kommen später auf ähnliche Auswirkungen des Kartoffelanbaus und der Knolle zurück.

Bauern, die aus Vielitz bei Selb kamen, sollen die Kartoffeln nach Roߟbach (im Ascher Ländchen) in West-Böhmen gebracht haben; erste Belege für den Kartoffelanbau im sächsischen Vogtland sind um 1680 zu finden. Ein Streit zwischen Veit Wolfram und Michel Pickel aus Schönberg über die Lieferung von »Erdöpflen« wird zu diesem Zeitpunkt durch Gerichtsakten belegt. Hier im sächsischen Vogtland wurde die Kartoffel vorrangig als Nahrungsmittel für Menschen eingesetzt, denn aus einem Bericht aus dem Jahr 1700 geht hervor, daߟ
    »der alte Hofmann in Friedersreuth bei Roߟbach stets die besten Dienstboten hatte, weil sie alle Sonntage Erdäpfel bekamen«.

1691 stirbt der Bauer Johann Hofmann, der mit einer Rogler aus Nassengrub verheiratet war, und möglicherweise sind über diesen Weg die Knollen zu dem Hanns Rogler aus Pilgramsreuth bei Rehau gekommen.

Vom Vogtland wandert die Kartoffel ins sächsisch-thüringische Gebiet und in die böhmischen Dörfer des Habsburger Reiches, so daߟ für 1730 geschrieben wurde, daߟ eine »gewaltige Menge dieses Gewächses erbaut« worden war. Es heiߟt, daߟ bei vielen Häuslern in den sächsischen Gebirgs­zügen noch Mitte des 19. Jahrhunderts das Bild desFrancis Drake in der guten Stube gehangen habe, weil doch dieser die Knolle aus Amerika mit­gebracht habe. 1751 wird über die Kartoffel im Thüringer Wald berichtet:
    »Sonsten kochet der Bauer Klöߟe daraus, nimmt es zu den Pfann­kuchen, iߟet die­selben mit Salz und Pfeffer, kochet sie an Fleisch statt Gemüse, schonet dabei des Brotes. Es ist dies das Manna Thurin­gorum.«

Das Vogtland war dicht besiedelt, aber aufgrund der Bodenstruktur nahrungs­­arm; deshalb hat hier die Kartoffel erste Erfolge. Zuerst war es das dichtbesiedelte Auerbacher Waldrevier, denn von hier dringt die Kartoffel ins Erzgebirge (Annaberg 1712, Freiberg 1722), in die »arzgebirschen Kichl«, vor. Um 1730 ist eine kontinuierlich-groߟflächige Ausbreitung in den unfruchtbaren Gebieten des oberen­ Vogtlandes festzustellen. Auf dem fruchtbareren Hügel­land des Vogtlandes mit seinen gröߟeren Bauernhöfen werden Kartoffeln zu jener Zeit nur vereinzelt angebaut; erst um 1750 wird sie auch hier allgemein üblich.

Es ist nicht weit bis Weimar, wo Herzog Ernst August am 15. September 1739 Kartoffeln für die Prunst­plätze anbauen läߟt, wonach
    »ein jeder von unseren fürstlichen Pächtern auf einige der geringsten Aecker unserer fürst­lichen Cammer-Güther von denen ­groߟen Erd­tufeln eine Quantität pflantzen und jeder nach Proportion des Gutes alljährlich zwey oder drey Fuder derselben zum Behuf der Prunstplätze und Ankörnung derer wilden Schweine zu unserm Forst-Amte liefern solle; als wird denselben hierdurch der ­Befehl ertheilet, solchen bey Vermeidung höchster Ungnade gehorsamst nachzukommen und all­jährlich gegen den September die gesetzte Quantität Erdtufeln einzusenden.«

Da hat die Kartoffel in Weimar der Vermehrung der wilden Schweine zu dienen und somit nur indirekt dem Wohlgefallen der Menschen.

Alfred Schlögel vermutet in seiner bayerischen Agrargeschichte, daߟ die Kartoffel vom Sechsämtergebiet im östlichen Oberfranken in den Jahren 1650 bis 1750 in die Oberpfalz gekommen ist. Im süd­lichen Niederbayern, in Oberbayern und in Schwaben bleibt der Kartoffel­anbau gegenüber dem fränkischen stark zurück.

Nürnberg als zentraler Markt- und Handelsplatz der fränkischen Region war Umschlagsplatz für neue Ideen und Güter; es ist daher als sicher anzunehmen, daߟ von dort die Kartoffel nicht nur nach Württemberg, sondern auch in andere Gegenden Deutschlands gelangte (auch von hier kann der Rogler seine Kartoffeln herhaben). An den Han­dels­­straߟen entlang entwickelte sich der Kartoffel­anbau in nördlichen Bayern.

Florinus berichtet 1702, in der Gegend von Nürnberg würde eine rotschalige, purpurblühende Kartoffelsorte angebaut; wahrscheinlich sind Kartoffeln bereits vor dieser Zeit angebaut worden. Tat­sache ist, daߟ die Feldkartoffeln nach Nürnberg auf zwei Wegen gekommen sind: Einmal über Oberfranken (gegen 1730) und noch einmal (1774) aus französisch-schweizerischen (»welschen«) Regionen.

Dokumentiert werden zumeistdie Zehnt­streite­reien und Regelungen aus Anlaߟ von Hofübergaben. Genannt seien hier beispielsweise die Orte Bärendorf (Hofverkauf von Nicol Wunderlich an seinen Sohn) und Hohen­dorf bei Bram­bach am Kapellenberg (Verkauf des Deckerhofes), Schön­berg, die Gegend zwi­schen Zwickau und der heutigen­ deutsch-tschechischen Grenze, Crotten­dorf, Stüt­zen­grün. Der Kartoffelanbau war im säch­sischen Hügel­land vor 1800 so verbreitet, daߟ er bei Hofübergaben und den damit verbundenen Aus­zugs­leistungen inzwischen eine bedeutende Rolle spielt. Bei­spiel­haft seien genannt die Regelungen anläߟlich der Hofübergabe von Johann Christian Zeibig auf seinen Sohn: zeitlebens freie Wohnung für sich und seinem Eheweib, 2 Scheffel Korn, 1½ Scheffel Gerste,­ ½ Scheffel Weizen, 8 Kannen Butter, 1 Schef­fel Erd­birnen.

In einem späteren Pachtvertrag, 1783, zwischen Dr. Vincent Baumann und Johann Christian Fritzsche über das Rittergut Trebsen wird bestimmt:
    »Ferner bekommt der Pächter jährlich 2 ­Acker, 6 Beete Kraut, 16 Beete Rüben, welche ihm nach dem Striche zugewiesen werden sollen, 6 Graskörbe voll Möhren oder anstatt dessen soviel von Erdbirnen, von welchen ­allen aber der Pächter nichts verkaufen darf, sondern er ist schuldig, was nicht verspeist wird, in das Vieh zu füttern.«

Diese Pachtverträge werden zumeist zu Johannis (und bis Johannis -€“ 24. Juni) abgeschlossen und laufen meistens nur über ein, höchstens zwei Jahre,­ so daߟ die Pächter nach verhältnismäߟig kurzer Zeit wieder ohne Land waren oder sein konnten. Schon 1785 geht das Rittergut Trebsen an Gottfried ­Keller, der mehr, nämlich 6 Körbe an Möhren bzw. Erd­birnen, erhält.

Alexander Christian von Beulwitz, Kammerjunker in Schlettau, pflanzt 1715 Kartoffeln auf seinem Landgut Erlenbach, und von dort verbreitete sich die Knolle nach Etterlein, Grünhain und in die Stadt Zwönitz; von Beulwitz hatte sich Saatkartoffeln von seinen vogtländischen Gütern kommen lassen. War -€“ nochmals -€“ die Knolle erst einmal in einem Ort heimisch geworden, verbreitete sie sich sehr schnell in den anliegenden Gebieten.

Als »Vogtländische Knolle« kommt die Kartoffel auf sächsische Märkte. Aus dem Vogtland kommen aber auch Saatkartoffeln. In den »Oecono­mi­schen Nachrichten« aus Leipzig wird aus Gera berichtet:
    »Einige von unseren Freunden, welche aus dem Vogtland waren, lobeten die Erd-Birnen und Erd-Aepfel-Mastung über die Maasse.«

Streitereien zwischen den Rittergutsbesitzern und den kleinen Bauern beginnen und werden dokumentiert, da sich durch den Knollenbau Weiden und Brachfelder in Acker­land verwandeln und die traditionelle Drei-Felder-Wirtschaft benach­teiligt wird.

Anderer­seits lassen die Rittergutsbesitzer selbst die ­Knolle an­bauen; so spricht die Erwähnung eines Kartoffelgewölbes in den Guts-Akten für eine gröߟere zu­sammen­hängende Anbau­fläche der Knolle.

Während der Sachsenkurfürst Christian I. noch an der aphro­disische Wirkung der Kartoffel zweifelte, wird die Kartoffel nachweislich ab 1650 im seit 1569 sächsischen Vogtland groߟflächig angebaut; die Land­bevölkerung wuߟte um die kräftigende Wirkung der Kartoffel für das eheliche Beiwohnen, um die »Wallun­gen des Blutes«: Probatum est. Wohl nicht nur die Landbevölkerung: Uwe Timm schreibt, daߟ ein Botaniker (Junginger? Came­rarius?) aus Nürnberg 1634 seiner Köchin an die Schürze gegangen sein soll, nach dem er Brat­kartoffeln (»Aag­schiena« genannt -€“ jedenfalls im Ascher Land) ge­gessen ­habe.

Max Bamler aus Todtglüsing in der Nordheide er­innert sich, daߟ be­sonders Heidekartoffeln den ehelichen Werken dienlich waren; von seiner Ehefrau, aber auch von anderen Frauen, wird eine entsprechende Wirkung bestritten.

Erst Anfang der 18. Jahrhunderts spricht sich diese Heilkraft auch in anderen Gebieten herum, und die Kartoffel gelangt in den Norden Deutsch­lands.

Der Dreiߟigjährige Krieg, die Einfälle der Ungarn und die Totschlags-Mentali­tät der örtlichen Feudalherren »Gott wird die Seinigen schon erkennen«) führte zu einem Bevölkerungsrückgang in Stadt und Land; sechzig bis siebzig Prozent der Bevölkerung werden in den Kampf­gebieten (hauptsächlich Deutschland) getötet. Die Verwüstung und Ent­völke­rung war grenzenlos.

Die Menschen ­waren in die Wälder geflüchtet und lebten von dem, was sie ohne Anbau zur Nahrung verwenden konnten.

Als der Frieden kam, lag insbesondere Preuߟen hilflos, zertreten, blutend am Boden; elend aber war der Bauer dran, noch elender der Tagelöhner, die Instleute und wie die anderen landlosen ­Leute noch hieߟen. Der niedere Adel, der zur selben Zeit durch die Fürsten in seinen Rechten beschnitten wurde, nutzte diese Situa­tion, in dem er die ländlichen Verhältnisse so einrichtete, wie es zur Wieder­herstellung seiner zerrütteten Finanzen am passendsten war. Nicht nur wurden die ver­lasse­nen Bauernhöfe kurzerhand mit dem Herrenhof ver­einigt, auch das Bauern­legen kam in Mode.

Kartoffeln waren hinsichtlich der aphrodi­sischen Wirkungen die Alter­native zum Pfeffer; nachweislich stieg in den Gebieten, in denen die Kartoffel angebaut wurde, die Bevölkerung schneller wieder an. Die Bereitschaft, Kartoffeln an­zubauen, hing auch mit dem Wandel der Würz­gewohn­heiten und der allgemeinen Zusammensetzung der täg­lichen Nahrung zusammen.

Kaffee wurde etwa zur gleichen Zeit in Deutschland heimisch und fand schnell in allen Schich­ten Ver­wendung. Kaffee oder ein Getränk ­gleichen Namens veränderte die Nahrungs­gewohn­heiten: War es bis dahin üblich -€“ bis zu fünf Mahlzeiten am Tag zu sich zu nehmen, so wurde mit der Einführung der nachmittäglichen Kaffeepause (in Österreich: Jause) das Mittagessen und das frühe­ Abendbrot zusammengelegt. Das sparte Zeit und eine Mahl­zeit für das Gesinde. In Österreich will sich aber noch 1801 das Gesinde nicht »zu dem Genuߟ dieser wohltätigen Frucht be­quemen.«

Der Franzose Parmentier (über den wir später noch berichten werden) schreibt 1795
    »Noch eine nicht unbedeutende Ursache, welche die Bauern Deutschlands zur Auf­nahme der Erdäpfel bewegen sollte, ist die Gattung der Nahrung, die sie ihrem Gesinde geben; diese besteht meistentheils aus unverdaulichen Mehlspeisen, die wie es einem jeden bekannt ist, in dem Magen überlästige Blähungen verursachen, welche allen ­Eifer zur Handarbeit bei dem Gesinde erkälten.

    Der Erdapfel wäre meines Gedünkens ein sehr zweckmäߟiges Mittel, diesem Übel abzuhelfen, wie es ein jeder, der an die Erdäpfelspeisen gewöhnet ist, aus eigener Erfahrung weiߟ, verursacht er keine Blähungen wie an­dere Speisen.«

Noch vier Jahre vorher meinte Johann ­Christian Reil in seinem in Leipzig und Frankfurt am Main erschienenen »Diätetischen Hausarzt für meine Landleute«:
    »Die Kartoffeln geben eine grobe und blähende Nahrung. Sie sind ein Aliment, das wenig Nahrung in einem groߟen Umfang hat und man muߟ viel davon essen, wenn man gesättigt seyn will. Darum dehnen sie, wenn man sie täglich speiset, den Magen aus, erweitern die Gedärme und schwellen den Bauch auf. Personen, die viel Kartoffeln essen, sind mehr als andere asthmatischen Zufällen unterworfen. Sie verstopfen die Eingeweide und vorzüglich das Gekröse, und geben zu allerhand Kinderkrankheiten, Dürr- und Bleichsuchten Gelegenheit.

    Die Kinder gemeiner Leute, die viel Kartoffeln essen, verwachsen zu den sonderbarsten Carikaturen. Sie haben aufgetriebene Bäuche, wie die feisten Domherren, und sind dabei am ganzen übrigen Körper so mager, als ein schwindsüchtiger Magister

Die Kartoffel kommt auch als anregendes Getränk zu Ehren: 1860 meint der Landgerichtsarzt Riegel aus Auerbach in Bayern:
    »Die Fruchtbarkeit der Ehen ist vorzüglich in der Klasse der Arbeiter groߟ.«

Dies hänge, so Riegel, mit dem »ausdauern­den Kar­toffel­kaffee­genuߟ« zu­sammen«.

Kartoffel-Anbau und -verzehr war nicht nur eine Frage der Ernährung, sondern stellte zugleich einen­ Bruch mit althergebrachten Traditionen dar, geprägt durch die Bibel. Kartoffelessen wurde angesehen wie das Essen des verbotenen Apfels im Garten Eden. In Ruߟland richtete sich der Kampf der Ortho­doxie gegen Zucker, Tabak und die »blutschänderische« Kartoffel, weil diese nicht in der Bibel erwähnt wurden. Nicht nur in Ruߟland, nicht nur bei Katholen, auch im presbyterianischen Schottland, bei den Reformierten und bei den ­Juden war die Kartoffel tabuisiert. Der Engländer Thomas Dekker schreibt 1612, daߟ die »Kartoffel nicht von Gott sei, der Teufel sei in ihr.«

Pietro Andrea Mattioli veröffentlicht 1678 in Basel ein Kräuterbuch, in dem er die Kartoffel ausführlich beschreibt:
    »So jemand die beer der grossen Nachtschatten isset / machen sie den Menschen fast dol und unsinnig / als hätte ihn der Teufel besessen / ja sie bringen den Menschen gar umb das Leben. Matthiolus hat wahr­genommen / daߟ etliche Knaben / welche diese Beere für Wein­beer genossen / darvon gestorben sind / dann es haben diese Beer ein lustiges Ansehen / werden derohalben zu Venedig herba donna bella, das ist schöne­ Frau / genannt.«

Damit meinte Mattioli wohl (unrichtigerweise), daߟ nach dem Genuߟ von Kartoffeln jedeFrau eine »donna bella« wird. In diesem Kräuterbuch wird auch der Botaniker und Arzt Jacobi Bonti zitiert, der zu »diesen Indianischen grossen Nachtschatten« nicht nur auf den Geschmack, sondern auch auf die gesundheitlichen Auswirkungen verweist:
    »Über das sind die Früchte in diesem Land gar gut zu essen / und eines anmuthigen Geschmacks / wann sie mit Wein und Pfeffer gekocht werden / alߟdann haben sie ­einen Geschmack wie unsere Artischock. Ist eine gemeine Speiߟ bey den Indianern und den Unserigen allda / gleich wie bey uns die Rüben sind. Sie geben eine gute Nahrung / und weil sie den Harn befördern / sind sie in den Nieren-Kranckheiten und den Blasenstein nützlich.«

Ein Rezept von 1664 aus dem »Berliner Hof­küchenbuch« sieht vor, daߟ man die Kartoffeln erst im Wasser »mürbe sieden muߟ, wenn sie erkaltet, so zieht man ihnen die auswärtige Haut ab« und »viertens man schneidet Zwiebel und Essig dran und läߟt es also durchbraten.«

1682 schreibt der Brandenburger Hofarzt Johann Sigismund Elsholtz in seinem »Diaeteticon, das ist, newes tischbuch. Cölln a. d. Spree« über die Kartoffel, sie sei eine »nährende Speise« und:
    »Dieses ist gleichfalls in alten Kreuter­büchern nicht zu finden, sondern ein neues Gewechs aus Peru. ... Diese Wurzel wachsen von sich selbst in America und denen nahe daran belegenen Inseln. Diese anmuthige Wurtzeln kommen selten zu uns. ... Alsdan übergehn sie die liebligkeit der Castanien und der gemeine Zuckerwurz gar weit und wären werth, daߟ man sie auch bei uns zu ziehen ver­möchte.«
An der Anzahl der Kochrezepte in einem Kochbuch kann man auch ablesen, inwieweit die Kartoffel bereits zur allgemein üblichen Nahrung gehörte. Zu bedenken ist hierbei, daߟ die unteren Bevölkerungsschichten sicherlich nicht ins Kochbuch schauten, wenn es darum ging, die vielen »Mäuler zu stopfen«; die Kochbücher waren stets für die besser gestellten bürgerlichen Stände, damit diese ihrem Gesinde Ratschläge erteilen konnten, mit dem kargen Lohn aus­zukommen. Damals wie heute noch liegen die Nahrungsmittelausgaben in der schlechtest situierten Bevölkerungsgruppe bei nahezu einhundert Prozent, so daߟ selbst die damals aufkommenden kostenpflichtigen Leih­bibliotheken keinen Umsatz mit diesen Armen machen­ konnten. In der Mittelschicht liegen die Nahrungs­mittel­ausgaben zwischen fünfundzwan­zig­ und fünfzig Prozent.

Nun, heute könnte man ja neue Rezepte bei Fernsehköchen lernen. Ob jedoch Bioleks Küche wirklich Anregungen für den Haushalt der ärmeren Schichten gibt, mag nach dem Betrachten mehrerer dieser Fernseh-Kochvorführungen füglich bezweifelt werden.

Magister Elsholtz schreibt des weiteren (und deutet damit die Beziehung der Kartoffel zu den ehelichen wercken an):
    »Man isset aber diese Tartuffeln teils zur Lust und Veränderung, teils als eine anregende Speise.«

Im selben Jahr, 1682, beschreibt Wolf Helmhard von Hohberg den feld­mäߟigen Kartoffelanbau in der Nürnberger Gegend (in »Georgica curiosa aucta. Das iߟt: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht ....«); von Hohberg ist einer der Schriftsteller zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, die Bücher für den auf einem Landgut wohnenden patriarcha­lisch ausgerichteten »Hausvater« schrei­ben, in denen detailliert angemessenes Auftreten und richtiges Verhalten gegen­über Gesinde (nicht frech werden lassen), Frau (nicht öffentlich schlagen) und Kinder (immer erst Händewaschen) gelehrt wird. Er glaubt, daߟ die Kartoffel aus »Virginien« in Nordamerika kommt und schreibt:

    »Sie sind allhier so fruchtbar, und mehren sich so gern, dass man vor­gibt, in Canada selbst seyen itzt nicht so viel zu finden, als bey uns.«


Von Hohberg empfiehlt, die Tartoufles »in der Fasten mit dem Vollmond zween Zoll tief und vier weit von einander« in mürbes und sandiges Erdreich zu legen, damit »wachsen und vermehren sie sich«.

1683 sagt er zur Bereitung eines Kartoffel­salats:
    »Man kocht die indianischen Papas, schält sie und iߟt sie warm mit Öl, Essig, Pfeffer und Salz.«

Eines der ersten Rezepte für eine Kartoffel­suppe und für Kartoffelsalat in einem deutschen Kochbuch (für adlige Verhältnisse) ist in der »Georgica Curiosa oder Adeliches Feld- und Landleben« zu finden:
    »Lasset sauber gewaschene Erd-Aepffel im Wasser sieden, biߟ sie bald weich / und die Haut herab gehet / schählet solche ab / schneidets zu Plätzlein / lasset in Fleischbrüh mit Muscatenblüh / Pfeffer / Ingber und geröstem Mehl sieden/ daߟ die Brüh etwas dicklicht wird / werfft bey dem Anrichten ein Stück Butter hinein. Wer will / kann die Erd-Aepffel auch ganzt lassen / absonderlich / wann sie nicht zu groߟ seyn. Man pflegt solche­ auch kalt mit Oel / Eߟig / Pfeffer und Saltz / nachdem sie vorhero abgesotten zuzurichten und als einen Salat zu geniessen.«

Das älteste deutsche Kartoffelrezept soll von Marxen Rumpolt, Mitte des 16. Jahrhunderts »Churf. Meintzischer Mundt­koch« beim Erzbischof und Kurfürsten von Mainz (wahrscheinlich Markgraf Albrecht II. von Brandenburg), stammen:
    »Schel und schneidt sie klein, quell sie in wasser und druck es wol auߟ durch ein härin Tuch, hack sie klein und röߟt sie in Speck, der klein geschnitten ist, nimm ein wenig Milch darunter und laߟ darmit sieden, so wirt es gut und wolgeschmack.«
In Mainz hatte -€“ zur Erinnerung -€“ zwei Jahrhunderte zuvor ein Hennich Gensfleisch zur Laden­ zum Gutenberg den Druck mit beweglichen Lettern­ erfunden. Auf solchen Boden muߟte die Kartoffel­ erfolgreich sein. Neben dem gedruckten Brevier lagen die gebratenen Kartoffeln, während die »Legende«, das beim gemeinsamen Mahl im Refektorium Vorgelesene, erfolgte. Rumpolt soll die Kartoffel in Italien kennengelernt haben. In dem in Frankfurt bei Peter Fischer gedruckten Prunkkochbuch aus dem Jahr 1587 («Ein new Kochbuch« -€“ 1998 wird ein Erstdruck für 46.000 Mark verkauft) schildert er, was von einem »Mundtkoch« zu erwarten sei:
    »Darumb sol ein Mundtkoch ein fein ehr­licher ansehnlicher auf­richtiger trewer gesunder sauberer fleiߟiger freundtlicher / unnd im kochen ein wolerfahrner geschickter und geübter Mann seyn. Die Köche solen täglich mit saubern weiߟen Servietten Für- und Koch­tüchern und anderen reinen weiߟen Hand- und Absaubertüchern wol und genugsam ver­sehn seyn.«

Bemerkenswert ist an diesem Kochbuch, daߟ es ein Jahr vor dem Umzug von Clusius von Wien nach Frankfurt geschrieben wurde. Dabei wird immer davon ausgegangen, daߟ die ersten Kartoffeln in Frankfurt von Clusius angepflanzt wurden. Rum­polts Rezept könnte sich daher auch die Süߟkartof­fel beziehen.

In dem »Vollständigen Nürnberger Kochbuch« aus dem Jahre 1691 sind gleichfalls zwei Koch­rezepte zum »Erd-Aepffel« enthalten. Ein Rezept betrifft die Herstellung von Kartoffelsalat: »... man kann sie auch kalt in Essig und Oel, als einen Salat, ge­niessen.« Schon zu diesem Zeitpunkt sind die ­Unterschiede zwischen der süddeutschen (Essig und Öl) und der norddeutschen (Mayo) Kartoffelsalat-Zubereitung zu erkennen.

Der Chemiker und Arzt Johann Joachim Becher schreibt 1683:
    »Ich habe die Americanische Potatos oder Erd-Aepffel mit sehr gutem Success in Österreich gepflantzet, welche gutes Brodt, Wein und Branntwein geben.«

Bemerkenswert ist in diesem in Frankfurt (hieߟ im 17. Jahrhundert »Teutsch Athen«) veröffentlichten Reise-Bericht, daߟ hier erwähnt wird, aus der Kar­toffel sei auch Branntwein herzustellen, der um 1750 in der Pfalz schon produziert wurde.

Die Bewertung der Kartoffel hinsichtlich der »Reproduktionsrate« wird durch Zahlen im letzten Jahrhundert bestätigt: Sind Anfang der 1960er Jahre noch rund 130 kg je Kopf verzehrt worden, so beträgt der Verbrauch am Ende der 80er Jahre nur noch rund 40 kg. Die Geburtenentwick­lung betrug im Vergleichs­zeitraum 17,4 Lebend­geborene auf eintausend Einwohner (1960) zu nur noch 11,0 am Ende der 80er Jahre.

Der dramatische Rückgang des Geburten­überschusses von 325,7 (je 1000 Lebendgeborene) verwandelte sich in ­einen Überschuߟ von 16,2 der Sterbenden. Das häufig genannte und befürchtete »Aussterben« des deutschen Volkes ist direk­te ­Folge des verringerten Kar­toffel­genusses.

Zugleich verzehnfachte sich die Ausländeranzahl in Deutschland von gut fünfhundert­tausend auf über fünf Millionen; ein Groߟteil kam aus Ländern,­ in denen die Kartoffel als Nahrung der ­Armen weit verbreitet ist. Ähnliche Zahlen sind für Irland Anfang des 19. Jahrhunderts und später für die DDR und die Bundes­republik festzustellen. Es geht also nicht darum, einen Prozentsatz von unter oder über zwanzig für die deutsche Rentenversicherung fest­zulegen, sondern um eine bessere Verkaufs­strategie der Knolle und -€“ nota bene, Sozialpolitiker aller Parteien -€“ schon wären alle Finanzierungs-Probleme gelöst! Demnach ist nicht das Kindergeld in Deutschland zu erhöhen, um die Renten für die Alten zu sichern, sondern der Verzehr der ­Kartoffel ist zu fördern!

Markgraf Friedrich von Bayreuth, Schwager Fried­richs II., erlieߟ am 2. Mai 1746 eine Anordnung wegen des Kartoffelzehnts; in der Anordnung wird festgelegt, daߟ
    »Uns der Zehende an Erdäpfel in dem Maaߟe, wie Wir solche an Getreydt zu erholen haben,­ unweigerlich abgereicht werde und daߟ diejenigen, die sich hierunter widerspenstig ­zeigen, mit hinlänglichen Zwangsmitteln zu ihrer Schuldigkeit angehalten und zur Aus­machung von Erdäpfeln auf zehendbaren Feldern ganz und gar nicht zugelassen werden sollten.«
Und weiter heiߟt es in dieser Anordnung, daߟ
    »in unserem Lande die Cultur der Felder ... anderst als vorhin an­gerichtet, und eine sonst in Teutschland gar nicht oder doch ­wenig bekannt gewesene, die Erdäpfel genannt, zu hauen angefangen, auch seither in groߟen Mengen ausgemachet.«

 Im östlichen Oberfranken, im Sechsämtergebiet (seit 1504 Bezeichnung des Gebietes der sechs Gemeinden Wunsiedel, Selb, Weiߟenstadt, Kirchen­lamitz, Hohenberg und Thierstein), wurde die Kartoffel ebenfalls zu dieser Zeit -€“ in der Mitte des 17. Jahrhunderts -€“ eingeführt. Von dort soll sie 1710 in die be­nachbarte Oberpfalz gekommen sein. Die Oberpfälzer Ackerleute haben um 1680 die ­Kartoffel angebaut. 1682 wird vom feldmäߟigen Anbau in Nürnberg berichtet.

Etwa 1690 muߟ der Kartoffelanbau in der Oberpfalz begonnen haben; 1730 wird über einen Streit zwischen den Einwohnern des Kirchsprengels Falkenberg und dem örtlichen Kloster berichtet, da die Ackersleute sich seit vierzig Jahren weigern würden, den Zehnten für die Kartoffel abzuliefern; in Amberg wurde gegen die Bauern deshalb Klage erhoben:
    »Die Parochianen hatten nämlich beiläufig vierzig Jahre zuvor eine neue Frucht -€“ die Erdäpfel -€“ zu bauen angefangen, welche bis dahin unbekannt gewesen war. Als das Kloster­ keine Absicht zeigte, von dieser Frucht einen­ Zehnten zu erheben, bebauten die Parochia­nen von Jahr zu Jahr mehr mit derselben ihre Felder, so daߟ die anderen Früchte, von denen­ sie den Zehnten zu geben hatten, natürlich weni­ger wurden, und das Kloster offenbar in Nachtheil kam.«

Die Kurfürstliche Regierung in Amberg gab den Bauern recht. Das bischöf­liche Consistorium in Regensburg entschied dann gegen die Bauern, womit der Zehnte letztendlich doch abgeliefert werden muߟte.

Ähnliche Streitereien über die Zehnten für Kartoffeln werden aus Lochau und Pullenreuth (Anbau seit 1674 und Kartoffel-Zehnt seit 1702) berichtet. Der Pfarrer von Pullenberg be­merkte hierzu, daߟ »er die Erdäpfel täglich für seine­ Hausgenossen brauche«. Für den Pullenreuther Pfarrer erbringt der Zehnte in mittleren Jahren fünfhundert Säcke Kartoffeln. Daher die runden Bäckchen, die die Geistlichen aus­zeichneten. Kartoffeln waren Nahrung für die Hausgenossen, für das Gesinde, nicht für die niedere und schon gar nicht für die hohe Geistlichkeit.

In Falken­berg wurde den Bauern angedroht, sie in Arrest zu nehmen, falls sie den Kartoffelzehnten nicht abliefern­ würden. Die Prozesse zogen sich teilweise über fünfzig Jahre­ hin, am Ende (1807: Napoleon und die Revolution war in Deutschland -€“ ein neuer Geist wehte be­fristet durch die Amtsstuben) obsiegten die Bauern, nachdem sie 1790 durch die Münchner Hofrath­deputa­tion noch verurteilt waren, aber den Zehnten dennoch nicht ablieferten.

1790 wurden die »Renitenten« unter Androhung von erheblichen Geldstrafen, gar mit »25 Karbat­schenstreiche ad poste­riora« zur Zehnt­abgabe auch auf Kartoffeln gezwungen.

Im selben Jahr soll der Pfarrer von Perchting aus dem Fünf-Seen-Land südlich von München von der Kanzel festgestellt haben:
    »Wo ein Landstrich wie das obere Bayern edlere Früchte als es Erdäpfel seindt, hervor­zubringen vermöget, ist, warum will man dann Erdäpfel bauen. Muߟ denn die Oekono­mie der heutigen Modelaune unterworfen sein?«

Die Geistlichkeit hatte zwischenzeitlich erkannt, daߟ die Kartoffel eine schmackhafte Frucht ist, die auch dem Fleischgericht des Pfarrers beigelegt werden konnte. Jean Paul in »Hesperus«:
    »Es war von Sebastian ausgesonnen, daߟ für jeden Gast nur das Leibgericht besorgt wurde­ -€“ für den Pfarrer farcierte Krebse und Erd­äpfel­käse -€“ für Flamin Schinken -€“ für den Helden das Gemüse vom guten Heinrich. -€“ Jeder wollte jetzo das Leibgericht des andern, und jeder subhastierte seines. Sogar die ­Damen, die sonst wie die Fische essen und nicht essen, bissen an.«

Gerühmt wird der Stadtpfarrer von Amberg,Dr. Johann Heinrich Werner, der Anfang des 18. Jahrhunderts in Amberg und Umgebung die Kartoffel einführte und diese an seine Pfarrkinder verteilte. Werner stiftete auch ein Waisenhaus, auf dessen Speisezettel jedoch die Kartoffel fehlte (ein »Brotkantenhaus?«), da die finanzielle Ausstattung des Stifts, so Theodor Häuߟler, »wahrscheinlich zu gut war«. DemWerner wurde 1990 in Amberg wegen seiner Verdienste um die Kartoffel ein Brunnen-Denkmal errichtet; er war ein wahrer Fidei Tubero­sum Defensor -€“ ein Verteidiger im Glauben an die Kartoffel. Festzuhalten ist: Kartoffeln war nur Nahrung für die Unteren.
    »Die Armen sind arm, sie tun einem leid; aber so ist es nun einmal. Man soll nicht sentimental gegenüber den Armen sein.«

So­Mister Wilcox in »Howards End«.

Von Amberg gelangte die Kartoffel in den Landkreis Neumarkt, in dem ein Vetter des Johann Heinrich Werner, der Stadtkaplan Johann Georg Zinkel aus Deining, wirkte und er »allwo selbst mit seinem Beyspiel voranging«, Kartoffeln anzupflanzen.

Die kurfürstliche Regierung von Amberg unter dem Regierungskanzler Frei­herr Maximilian vonPistorini versucht 1725 mit Saatgut aus den Nieder­­landen, den Kartoffelanbau zu fördern, obwohl vielerorts Bedenken bestanden, der Kartoffelanbau nehme dem Getreide zu viel landwirtschaft­liche Fläche weg. Auch leide die Fleischqualität der Schweine durch eine einseitige Kartoffelmast.

In der Oberpfalz werden an weiteren Orten im frühen 18. Jahrhundert Kartoffeln angebaut. So wird 1729 in der Nähe von Altenstadt ein Vertrag zwischen Wolf Pöߟl und seiner Mutter über die Hofübergabe abgeschlossen, der die Versorgung der Mutter mit Kartoffeln sicherstellte. Auch bei der aber­maligen Weitergabe des Hofes an Georg Pöߟl wird der Anbau und die Abgabe von Kartoffeln schriftlich garantiert. Solche Bedingungen waren in anderen Gebieten »Deutschlands« ebenfalls üb­lich: 1791 zum Beispiel wird in einem Ehe-, Kauf- und Alimentationskontrakt auf dem Probsteiamt von Johannesberg bei Fulda festgelegt, daߟ »ein Kartoffelbeeth zu 1 Metzen Auzsaat« zur Ver­fügung stehen müsse

In Beidl wird der Kartoffelanbau 1738 ebenfalls durch eine Hofübergabe und durch Zehntstreite­reien nachgewiesen. In Waldsassen wird von 1787 bis 1790 ein Gerichtsverfahren zwischen dem dortigen Kloster und Bauern in Wiesau und Mitterteich durchgeführt. Kirchensteuer-Gezänk -€“ wegen der Kartoffel -€“ gab es 1797 in Neustadt an der Wald­naab, in den 1790er Jahren in Waldershof und 1804 in Darshofen. Wegen­ Kartoffeldiebstahl stand 1752 derGürtler Zieben­baumin Vohenstrauߟ und 1762 Franz Ludwig in Neunburg vorm Wald vor Gericht. In Mittendorf baut 1752 Catharina Prembin Kartoffeln an, und 1759 wird in Schwan­dorf die Knolle­ feldmäߟig angebaut.

Nach Würzburg und Umgebung soll Ende der 1740er Jahre die Kartoffel von dem Professor der bürgerlichen Rechte Philipp Adam Ulrich gebracht worden sein. 1818 wurde ihm -€“ wegen der Kar­tof­fel­förderung -€“ ein Denkmal in der Nähe von Würzburg gesetzt.

In den »Materialien zur Groߟenhayner Stadtchronik« (nördliches Sachsen) aus dem Jahre 1712 steht:
    »In diesem Jahr wurden die ersten Erd-­Birnen, eigentlich eine amerika­nische Frucht, hierher an den Ober-Gleits- und Accis-Commis­­sa­rius Lucius von guten Freunden aus dem Gebirge geschickt und waren da­mals so eine Rarität, daߟ sich gute Freunde darauf zu ­Gäste baten und für eine Leckerspeise gehalten wurde.«

1757 wird vom sächsischen Fürstenhaus (Von Gottes Gnaden Ernst August Constantin, Hertzog zu Sachߟen, Jülich ...) ein Kartoffelerlaߟ heraus­gegeben, in der die Kartoffel als nützliche Frucht be­zeichnet wird:
    »Nachdem der Durchlauchtigste Fürst und Herr Ernst August Constan­tin Herzog zu Sachsen, Unser gnädigster regierender Fürst und Herr das Säen und Erbauen der Tartuffeln als einer zum Lebens-Unterhalt und vielerlei anderen Gebrauch höchst nöthigen und nütz­lichen Frucht, in hiesigen Landen gewöhnlich zu machen wünschen, um an solchen, besonders bey damahliger und auch künftig noch öfters zu befürchtender Theue­rung derer Früchte ein annehmliches Surroga­tum zu haben, und höchstdieselben dann, um die Einwohner deste mehr zu Cultivie­rung dieser so gemeinnützigen Frucht aufzumuntern, vor das beste Mittel angesehen, auf die Erbauung derselben gewisse Prae­mien zu setzen, auch zu dem Ende, ohne erachtet in der General-Revisions-Instruction Cap: XV § 40. die Tartuffeln nicht mit unter die erlaubten Arten von Sömmerungen gerechnet werden, ihn jedoch in Gnaden gestattet, und nachgelassen seyn soll; als werden nach­gezeichnete fürstl. Beamte, adl. Gerichte und Staatsräthe hierdurch angewiesen, allen und jedem Unterthanen und Unter­­sassen hiesigen Fürsten­thums und dazugehörigen Landen be­kannt zu machen, daߟ dieselben nicht nur die Sömme­rung mit denen Tartuffeln hierdurch in Gnaden gestattet Und nachgelassen seyn soll, jedoch daߟ kein Unterthan über 1½ Acker auf die Hufe söm­mern, und daߟ solche Sömmerungen nicht zerstreut, sondern nach dem Inhalt der Re­visions-Ordnung cap. XV. § 40 so viel möglich nacheinander hin möge be­stellet werden, widrigenfalls keine herrschaftliche oder adl. Schäferin solche wider die Regel einzeln gesömmerte Stücke zu hegen schuldig seyn soll, sondern, auch daߟ, wer in dem gegenwärtigen Jahre die meisten Tartuffeln, besonders der weiߟen Arth, erbauen, und solches durch Attestata von seines Orts Obrigkeit dociren wird, eine Belohnung von vierzig Thalern, der nächst diesem folgende, dreiߟig, der dritte, zwanzig, und der 4te zehn Thaler pro praemio erhalten soll.

    Sigl: Weimar zu ... , den 11. Martii 1757.

    Fürstl. Sächsische Kanzlei daselbst«

Ein Jahr zuvor bezeichnete der »Dresdner Anzeiger« die Erdäpfel noch »als Frucht des Gebirges«. Im Erzgebirge seien gerade während (und wegen) des Krieges und in den darauffolgenden Notjahren die Anbaugebiete noch gesteigert worden; aber bis zu den Hungerjahren 1770/1771 drang der groߟflächige Anbau nicht das sächsische Hügel­land und die Tiefebene vor.

1766 wird aus Oberfranken berichtet, daߟ
    »Der Kartoffelanbau ... eine gröߟere Ausdehnung hat, als der Menschen­freund wünschen kann, denn er beweist theils die ein­förmige und weil ohne nahrhaften Zusatz unkräftige Ernährungsart der Einwohner, theils das Bedürfnis nach dem daraus herzustellenden Brannt­wein. Es ist wohl die gröߟere Hälfte der Fluren zum Anbau der Kartoffel ver­wendet, was zu dem wenig freundlichen Aus­sehen der Gegenden beiträgt, in dem nur kurze­ Zeit die grüne und nun noch die dunkle Farbe auftreten kann.«

In den deutschen Hungerjahren 1771/1772 traten die meisten Sterbefälle im Erzgebirge und im Vogtland auf, wobei sich die Sterbe­fälle häuften in den Orten mit einer vorwiegend aus Bergarbeitern, Köhlern, Hammerschmieden und Heimarbeitern bestehenden Bevölkerung, wäh­­­rend in den bäuerlichen Orten die Sterberate jene der normalen Jahre nicht übertraf.

Die Hungersnot von 1770 veranlaߟt Graf Christian Friedrich Karl Alexander am 14. September 1770 für Ansbach eine Anordnung zu erlassen, daߟ man sich wegen der »Getraid-Teuerung« die »in der Residenz als übrigen Städten und Orten des Fürstentums entbehrlichen groߟen und schäd­lichen Hunde ent­ledigt«, andernfalls werden sie totgeschlagen. Über seine Ansbacher Ver­wandten sagte König Friedrich Wilhelm I. von Preuߟen schon anno 1732: »Der Ans­bacher hat Ratzen im Kopp.«

Pfarrer Künneth aus Creuߟen schreibt in seiner Biographie, die 1786 in Bayreuth gedruckt wurde, daߟ man in Oberfranken
    »zuerst die kleinen Potacken anbaute, die man später mit Sieben von der Erde absondern muߟte.«
Später
    »seien die roten, bald darauf die schwarzen und fünf Jahre später die runden gelblichen Car­tof­feln«
aufgekommen. Das weist daraufhin, daߟ die ­»kleine Potacke« noch direkt aus Bolivien (papa negra) kommen; die »Vielfarbigkeit« der Knollen -€“ ein Kennzeichen jener Zeit -€“ verwundert im Vergleich mit den heutigen Supermarkt-Sparkartoffeln.

 
Anbau und Verbreitung der Kartoffel in Europa gingen sehr zögerlich vonstatten: Keine der vorher angebauten Nutzpflanzen wurde aus Knollen gezogen. Der Landmann muߟte umlernen, muߟte lernen, diese neue Frucht anzubauen. Es gilt: Die Knolle war erklärungsbedürftig. Der herkömmliche Flurzwang der Drei-Felder-Wirtschaft behinderte ebenfalls erheblich die geringe Verbreitung der Kar­toffel.

Es ist heute verständlich, daߟ Anbau und Verzehr behindert wurde, da man doch die Kartoffel als Verursacherin von Lepra, nicht nur in Burgund, hielt. Die Ein­schätzung der Kartoffel als Ver­ursacherin von Krankheiten stand im Wider­spruch zu den heilenden Kräften der Knolle, wie an anderen Orten verbreitet wurde. Die Ärzte des 17. und 18. Jahrhunderts, die die neue Frucht anpflanzten, untersuchten und beurteilten -€“ nach den ­alten Regeln ihrer »Zunft« und auch nach den alther­gebrachten Maߟstäben (zum Beispiel hinsichtlich der Nahrhaftigkeit wegen der Pflanzenhöhe oder des Fruchtwechsels) -€“ brachten vielfach ihre Vorurteile in Umlauf. Eine Verifizierung oder Falsi­fizierung, wie sie heute in der wissenschaftlichen Forschung üblich sein sollte, war unbekannt.

Der Hinweis von Clusius, in Burgund sei die Kartoffel (Artiscokos Indicos genannt -€“ so Clusius) wegen des Verdachts auf Lepra­verursachung verboten, wurde -€“ ohne jeg­liche Prüfung -€“ europaweit zitiert und half, die Ab­neigung der Bevölkerung gegen den Knollen-­An­bau, oder besser und richtiger, gegen jede Neuerung, zu verstärken.

Die Erkenntnis, daߟ die Kartoffel ein Nacht­schat­ten­­­gewächs sei, das bekanntermaߟen giftig und mit der Tollkirsche verwandt ist, verstärkte die Bedenken gegen den Knollenanbau. Die Kartoffel hatte anfänglich als Nahrungsmittel keine Förderer, keine Fürsprecher, keine besondere Überzeugungskraft -€“ da ist es nicht verwunderlich, wenn über sie geurteilt wurde,­ daߟ »nur die Elenden diese Wurzel essen würden«.
 
Der Verlagshandel, der sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auch in Deutschland immer stärker ausbreitete, zerschlägt die bisherige zünftige Arbeit und macht selbst den Zunftmeister, der auf Bestellung arbeitet, zu einem Abhängigen eines Kaufmanns, welcher die Rohware liefert und den ­Absatz organisiert; der mittelalterliche Zunftsozialismus verschwindet. Das Ver­lags­wesen, die »Hausmanu­faktur«, erfaߟt insbesondere die Herstellung von Texti­lien. Tucharbeit im Verlagshandel wird Arbeit der Frauen und für die Frauen. Kar­­toffeln werden die Nahrung, die zwischen einzelnen Aufträgen ge­pflanzt, gepflegt und geerntet werden. Ein deutscher Auswanderer, Her­­­mann Enters, schreibt im Zu­sammenhang mit der Verlagsarbeit seiner Eltern:
    »Die Kinder waren in ihren Augen bloߟ auf der Welt, daߟ sie den Eltern Geld ins Haus brachten und minderwertig dabei gefuttert wurden.«

Der Verdienst eines Webers betrug jährlich etwa sechzig Taler; wenn das Kind spulen konnte -€“ also etwa ab dem sechsten oder siebten Lebensjahr -€“ so erhielt es bei angestrengter Arbeit einen Verdienst von etwa sechs Taler jährlich, die für das Überleben der gesamten Familie dringend be­nötigt wurden; der Sizilianer A. Avolio schrieb gegen Ende des 19. Jahrhunderts: »Es gab keine Familie, die nicht ebenso viele Webstühle unterhielt, wie sie Töchter hatte, und die ganz kleinen spulten auf.« 1844 betrug der Weberlohn wöchent­lich zwanzig Silbergroschen, ein Viertel des Wochenlohnes von 1830, denn die Fabrikanten hatten als Antwort auf die maschinell gefertigten (und damit billigeren) englischen Textilprodukte nicht investiert, sondern die Löhne der von ihnen abhängigen Weber gedrückt. In Langenbielau mit seinen etwa 13.000 Einwohnern arbeiteten etwa zwei­tausend Weber, eintausend Spinner und eintausend ­Spuler für die einzige ortsansässige Firma Dierig; im Nachbarort Peterswaldau war es die Firma Zwanziger, die eine ähnlich beherrschende Bedeutung besaߟ. Der Textil­fabrikant Wagenknecht in Peters­waldau zahlte für eine Webe Kattun von 140 Ellen 32 Silbergroschen, aber der Zwanziger nur fünfzehn.

Ende Mai 1844 kam der Weber Karl Dobermann ins Comptoir des Fabrikanten Zwanziger und wollte wissen, wie er denn von diesem Hungerlohn Brot kaufen solle, wo es doch nicht einmal für ­Kartoffeln reiche. Nun, der Juniorchef Zwanziger ent­gegnete, daߟ die Weber auch dann noch für ihn arbeiten würden, wenn der Lohn nur für Quarkschnitten reichen würde. Ein Comptoir-Diener ohne richtige Klasse empfahl dem Dobermann: »Freߟt doch Gras. Das ist heuer reichlich und gut gewachsen.«

So ­etwas spricht sich herum, so etwas gibt böses Blut, so etwas führt zur Zusammenrottung, da singt man aufrührerische Lieder, das Lied vom »Blutgericht« etwa, das wiederum »pro­vo­­ziert« die preuߟische Staatsmacht, Soldaten, Schüsse in die Menge, es gibt Tote.

Die Weber von Peterswaldau und Langenbielau in Schlesien singen während des Weberaufstandes
    »Was kümmert-€™s euch, ob arme Leut

    Kartoffel kauen müssen,

    Wenn ihr nur könnt zu jeder Zeit

    Den besten Braten essen?«
Graf von Rittberg vom Oberlandesgericht Breslau stellt anschlieߟend fest, daߟ der Weberaufstand auf die Härte und die Provokation der Zwanziger zurück­zuführen sei; geändert hatte diese ­verspätete Einsicht aber nicht viel, da schon damals die »Globalisierung« (zwar nur innerhalb Europas) die Menschen auf die Straߟe warf.

Als Nahrungsmittel für den Eigenbedarfund für einen regional stark eingegrenzten Markt war die Kartoffel ideal in den Gebieten, in denen die Textilindustrie als Heimarbeit stark war und dies war zumeist auߟerhalb der Städte. Kleiner Landbesitz aufgrund der Erbteilungen und Bevöl­ke­rungs­überschuߟ war Nährboden für den Knollenanbau.

In den Dörfern mit Verlagsarbeit war es üblich, den (landlosen) Leinwebern Land zum Kartoffelanbau zu überlassen. Um den Bedarf einer Familie mit fünf Personen an Kartoffeln zu decken, war es nötig, etwa 750 Schritte Feld (in Beetbreite) zu bepflanzen, die zu etwa einem Drittel durch die Streu aus der Wohnung gedüngt wurden; für den Rest muߟte an den Verpächter gezahlt werden.

Das Kartoffelstecken, Hacken, Furcheln und Aus­machen wurden neben der Arbeit am Webstuhl von der Familie mit verrichtet. Das Saatgut muߟte nur einmal angeschafft werden. Über Thüringen wird berichtet, daߟ die Ernährung der Arbeiter dürftig sei und »Genüsse des Gaumens sind ihnen fremd«:
    »Morgens genieߟen sie zu ihrem Möhrenkaffee eitel Brod, zum zweiten Frühstück ein Fettbrod ... Mittags gibt es Suppe, Kartoffel- Mehl-, Linsen- Erbsen- oder Gemüsesuppe, aber Monate ... lang kein Fleisch. Zum Vesper wird ein eitel Brod gegessen, das durch ein Schnäpschen gemeidigt wird, und abends entweder Kartoffeln mit Mus oder Oel, oder wieder Möhrenkaffee mit Brod.«

Hauptmanns»Weber« singen ein Lied davon, aber auch die blauen Hände der Wäscherinnen in Nîmes und die Manufakturarbeiterinnen in ­Lyoner Seiden­­­­fabriken, zeugen von der parallelen Ent­wick­lung der textilen Heim­industrie und dem feldmäߟigen Anbau der Kartoffel. Das erklärt auch die Wanderung des Kartoffelanbaus von Westen in den Osten: Je ausgebeuteter die Bevölkerung, desto stärker wuchs der Kartoffelanbau; so ist zu er­klären, daߟ gerade in den osteuropäischen Staaten der Kartoffelanbau einen so groߟen Raum einnimmt, in dem vielfach vor-industrielle Produktionsbedingungen herrschen. Kartoffeln sind -€“ nochmals -€“ Nahrung des Armen.

Noch zum Ende des 18. Jahrhunderts bestand die Nahrung der Armen vor­wiegend aus Cerealien und Hülsenfrüchten, aber bis Mitte des 19. Jahrhunderts löste die Kartoffel alle anderen Nahrungsmittel ab. Wer sagte noch: Die Kartoffel ist Opium des Volkes (oder für das Volk). Ein Forstmeister aus Danzig, 1848:
    »Die Nahrung bestehe aus Sauerkohl, Rüben, Buchweizen, Erbsen, Kartoffeln und Kräutern, die man im Walde sammle, dazu noch Milch, Fleisch dagegen sei eine seltene Speise und komme zuweilen jahre­lang nicht auf den Tisch.«

Ganze Kartoffeln waren im Vogtland das häufigste Gericht des wöchent­lichen Speisezettels, denn ihre Zubereitung nahm die wenigste Zeit in An­spruch: »Aan Tog Erdepfel un Salz, -€˜n annern Tog Salz un Erdepfel.«

Die Ernährung der ärmeren Bevölkerungsschichten bestand aus der sog.»Armentrilogie«: Kartoffeln, Brot und Zichorienbrühe. Während die Frauen sich dem Zichorienkaffee («Weibergsöff« oder»Kafilötsch«) hingaben, verlangte es die Männer nach stärkerem, nach Kartoffelschnaps.

Der ansteigende Kartoffelverbrauch hatte Licht- und Schattenseiten: Es verschwand die jahr­tausendlange Abhängigkeit vom Getreide und damit von den früheren -€“ teilweise extremen Schwankungen -€“ der geernteten Körnermenge; die Volksnahrung bekam ein zweites Standbein. Bei Miߟernten konnte man -€“ theoretisch -€“ auf die Kartoffel ausweichen. Der Nahrungsspielraum wurde ausgeweitet. Die Kartoffel konnte sofort nach der Ernte zum Verzehr verwendet werden. Zu den Nachteilen der Kartoffeln gehörte, daߟ durch den Kartoffelanbau andere Nahrungspflanzen verdrängt wurden: Hirse (seit germanischen Zeiten in Deutschland bekannt), Buchweizen, Hafer, Rapunzel und Rüben.

Im Zürcher Oberland hieߟ der im gesamten deutschen Sprachraum ver­breitete Spruch:
    »Am Morge sur,

    z-€™Imbig i der Montur

    und z-€™Nacht geschwellt

    und angeschtellt«.
Jeremias Gotthelf schildert in den 1850er Jahren in »Barthli der Korber«
    »Der Vater wolle kein Fleisch kaufen und Brot so wenig als möglich; wenn es nicht zuweilen was von Eiern machen könnte, so hätten sie da Jahr ein, da Jahr aus nichts als Kaffee und Erdäpfel, und selb wär denn doch gar zu läntwylig.«
Die Kartoffel blieb wegen ihrer weiߟen und violetten Blüte an den fürst­lichen Höfen eine Erscheinung zum Ergötzen, eine Gartenkunst und Mode­richtung. Und wenn die Kartoffelblüten nicht gar so schön an­zusehen gewesen wären, der garten- oder feldmäߟige Anbau wäre sicherlich noch länger hinausgezögert worden. Die Gärtnergehilfen, davon ist auszugehen, werden jedoch die sättigenden Knollen nicht verschmäht haben.

Der Anbau der Kartoffel als Nahrungsmittel für die Armen und als Zier­pflanze in fürstlichen ­Gärten inspirierte Architekten, Maler, Musiker und Bild­­hauer zu neuen Gestaltungsformen. Das ­Wachsen aus der Erde mit den ver­deckten rundlichen Knollen und sichtbarer Blüte (und man kann aufgrund der überlieferten Abbildungen davon ausgehen, daߟ die damalige Kartoffelblüte nicht so mickrig ist wie sie sich heute auf den Feldern darbietet) löste einen Baustil aus, der dynamische Wirkung durch seinen Reichtum an malerischen und plastischen Schmuck der Knolle nachempfand; die kühne und leidenschaftliche Be­wegung des -€“ später so genannten -€“ Barocks (etwa 1600 bis etwa 1750) der neuen Herrenhäuser fand ihren Höhepunkt im Schloߟ von Versailles, das Vorbild für andere Schlösser wurde.

Die Barock-Gärten ­waren die groߟspurigsten Sym­bole eines hier­archisch-feudalen Welt- und Natur­verständ­nisses, Reiߟ­brett­gärten (in England »Bos­kett« genannt), in denen noch die Tulpen stramm­zustehen­ hatten (»wäh­rend die Buchs­bäume traurig darüber nachdenken, ob es ein Leben auߟerhalb des Frisier­­salons gibt«, sagt Jürgen Dahl in der »ZEIT«).

1773 schimpft der Philosoph Christian C. Hirschfeld, die Kunst sei nirgends »ekelhafter als da, wo sie natür­liche Gegenstände zu verkünsteln bestrebt, Bäume und Hecken verschneidet«. Die an vielen Orten entstehenden »Englischen Gärten« sind die Antwort auf die reglementierten französischen Gärten, die zur Unnatur ver­kommen waren: Franz von Anhalt-Dessau und seine Luise lieߟen sich das »Gartenreich von Dessau bis Wörlitz« anlegen und experimentierten auߟerhalb dieser Landschaft auch mit Kartoffeln.

Der gebärdenreiche Figurenstil der barocken Malerei fand seinen Höhepunkt bei den flämischen Malern, die schon lange auf einen tradi­tionellen Kartoffelanbau zurückblicken konnten. Anderer­seits läߟt der Dreiߟig­jährige Krieg am Anfang des Barocks und die folgenden Wirren das Schriftblei in den Setzkästen der überall sich gründenden Drucke­reien rar werden, so daߟ man nicht allzu üppig mit Schriften für die Druckkunst um­gehen kann.

Die geschlossene, rundliche Form der Kartoffel erinnert die Künstler an Muscheln; so entwickelte sich nach dem Barock wie von selbst ein Stil, der sich »Rocaille« nannte und in Deutschland durch die »Rokokok(r)oketten« (von der Kokotte zur Krokette) bekannt wurde. Die Leib- und Lustfeind­lichkeit des Mittelalters findet ein vorläufiges Ende.

Der sich verstärkende Feldanbau der Kartoffel führte zum Ende des Barocks, die Hungersnot von 1770/1772 beendete das Rokoko -€“ die Zeit der Spielereien war vorbei: 1780 wird ein durch Winckel­mann veranlaߟtes preuߟisches Dekret erlassen, das den Klassizismus besiegelt und in Preuߟen einen neuen Baustil vorschreibt. Und jetzt erst begann die Koevolution von Kartoffel und Preuߟe.


Der Dreiߟigjährige Krieg, die klimatischen Verhältnisse und die daraus folgenden wiederholten Hungersnöte verminderten die Bevölkerung Mittel­europas um rund ein Drittel. Eine Miߟernte an Ge­treide oder eine schlechte Heuernte reichte aus, um eine Kata­strophe auszulösen. Wegen fehlendem Fut­ter verendeten Pferde und Rinder. Dadurch wiederum konnte der Boden mit dem »flüssigen Gold« nicht ausreichend gedüngt werden und die Ernte des Folge­jahres war gleichfalls deutlich geringer. Eine einzige Miߟernte zog immer mehrere schlechte ­Jahre nach sich.

Erst zum Beginn des 18. Jahrhunderts stabilisiert sich die Bevölkerung wieder auf dem Niveau von Anfang des 17. Jahrhunderts. Für die Mitte des 18. Jahrhunderts ist zu beobachten, daߟ der Anstieg der Bevölkerung nicht mehr linear, sondern exponentiell erfolgt. Diese Entwicklung ist in ganz Europa fest­zustellen, mit unterschied­lichen Zuwachsraten und auch zeitlich verschoben. Die Bevölkerung wächst stärker als der Anstieg der bis dahin üblichen Nahrungs­mittel­produktion, so daߟ bei gering ausfallenden Ernteerträgen sofort die Hungersnot umging, verstärkt durch Viehseuchen.

Da kam die Sehnsucht nach dem Land, in dem Milch und Honig flossen (2. Mose 3, 7), wieder auf. Die Menschen verstanden diese Methapher. Milch bedeutete auch Schafe, Ziegen, Rinder und damit auch Landwirtschaft, Fleisch und aus­reichend Nahrung. Und Honig gab dem Einerlei der Nahrung Geschmack und steht zugleich als Botschaft für ein versüߟtes Leben ohne Sorgen und Existenzängste.

Christoph von Gund­lach sieht in den Nah­rungs­­­­mittel­krisen 1771, 1780 und 1790 einen direk­ten Zusammenhang zwischen Kartoffel­anbau (= höhere Lebens­mittel­qualität) und Fertilität fest:
    »A.Nimmt der Versorgungsspielraum ab, wird das Brotmehl zu­nehmend mit unkraut- und pilzbelastetem Getreide gestreckt. Folge ist eine leichte Geburtenabnahme und eine relative Zunahme der Mädchengeburten.

    B. Die Armenspeise besteht demgegenüber aus Hafer, Gerste und Hülsen­früchten. Sinkt die Population auf den Breistandard zurück, kann eine starke Geburtenabnahme be­obachtet werden, während die Geschlechterpropor­tion gleich bleibt

Die Hungerjahre bis zum 18. Jahrhundert (erst 1840 wird der Kunstdünger erfunden) sind fast ausschlieߟlich auf klimatisch bedingte Miߟernten zurück­zuführen; jetzt verschärfen sich die Hungersnöte durch die ansteigende Bevölkerung. Die Verschlechterung der Nahrungssituation wird deutlich an den auch in »guten« Erntejahren steigenden Preisen für Getreide für den durch­schnitt­lichen Bürger; dies gilt nicht nur für das deutschsprachige Gebiet, sondern ist für ganz West-Europa fest­zustellen. Während der Hungersnöte in Deutschland nach 1568 verdoppeln sich zum Beispiel die Getreidepreise in Augsburg.

Die staat­lich angeordneten Maߟnahmen wie das Verbot für Ausfuhren von Getreide sind nicht aus­reichend, zumal ein solches Exportverbot von ­allen Herrschenden erlassen wird. Auch das Anlegen gröߟerer Vorräte wird untersagt. Gehandelt werden darf nur noch auf ausdrücklich zugelassenen Märkten, es kommt zu verstärkten Preiskontrollen bei Müllern und Bäckern, auch bestimmte Festlichkeiten werden eingeschränkt und zeitweise verboten. Der Aufwand für private Feiern (nicht beim Adel) wird beschränkt. Der Hunger der armen Städter konnte dabei jedoch nur gemildert, nicht beseitigt werden.

Das System der Wirt­schafts­politik im Absolutismus des 16. bis 18. Jahrhundert, das Exporte förderte und Importe be­hinderte und später »Merkantilismus« genannt wurde, betraf nur die »industriell« hergestellten Güter und schloߟ Nahrungsmittel aus; auf diesem Sektor wurde der Import gefördert und der Export verboten oder zumindest behindert. Nicht nur Magdeburg ist ein Patent vom 18. Dezember 1799 bekannt, das die Ausfuhr von Hülsenfrüchten, Getreide und Kartoffeln ­verbietet.

Die Schaffung der stehenden Heeren erzwingt die Erhöhung und die Verstetigung von Steuer­einnahmen. Dies wiederum konnte nur gelingen, wenn die Bevölkerung nicht nur am Leben und im Staatsgebiet blieb, sondern darüber hinaus »Über­schüsse« erwirtschaftete, die »angemessen« besteuert werden konnten.

Manufakturen entstanden nicht nur im für seine Rekrutenwerbung verrufenem Preuߟen-Brandenburg vorrangig in Garnisonsorten, um die Soldaten auszustatten; ein gutes Beispiel ist Potsdam, das ein Zentrum der Manufaktur-­Industrie in ­Preuߟen wurde: Die Tuch­manufak­tu­ren Tamm und ­David Hirsch lieferten Uniformstoff, eine Band-Fabrique die Zopfbänder der Grenadiere,­ die Strumpf-Fabrique Rochebleau ent­stand und ferner Leinwand- und Damast- und Posemantierprodu­zenten, Tep­­pich­­­macher, Fayence­hersteller, eine Tabak­manu­faktur, die Gewehrmanu­fak­tur von David Splitgerber und Gottfried Adolph Damm.

Die Anzahl der nicht im agrarischen Bereich ­tätigen (im Prinzip für sich selbst sorgenden) Menschen wächst an, obwohl weiterhin rund siebzig bis achtzig Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten. Gleichzeitig nimmt innerhalb der Landwirtschaft die Gruppe der Landlosen (auch bedingt durch die vielerorts übliche Realteilung des Landbesitzes) überproportional zu. Das ist mit ein Grund für das Entstehen des Verlagswesens und der Heimindustrie.

Die von fast allen Fürsten betriebene Ansiedlungspolitik, die ja zugleich eine Abwanderung aus anderen (angestammten) Gebieten ist, mit gleichzeitiger Gewinnung neuen Ackerbodens bringt nur regional eine Entlastung; insgesamt ist in Europa die Ernährungssituation unzureichend. Die Kar­toffel kann unter gerade diesen Umständen zu ihrem Siegeszug ansetzen.


Eine lange Tradition im Kartoffelbau und im Verzehr einer Feldfrucht zeitigt auch besondere Gerichte. So werden der Dotsch (in der Schweiz gibt-€™s auch den Eiertätsch), die Schop­perln, die verschiedenen Kartoffelknödel und Kartoffelklöߟe und die Kartoffel­suppen (zumeist aus Vorjahreskartof­feln) als auߟergewöhn­liche Gaumen­freuden in der Oberpfalz bezeichnet.

In der Pfalz (nach Wolfgang Kleinschmidts Aufzählung) heiߟen Klöߟe auch
    Schnee­bällchen oder Schneeballen, Aus­geschöpfte oder Aus­gescheppte, ausgeschöpfte Knepp, Stampesknepp oder Fludde. Auch Schales und Struwwel, Schneiderläppchen, Herz­drücker oder Herzdrigger, Halbtags­knepp oder Bloemundagsknepp (am Blauen Montag gegessen), Hoorige Knepp, Stalltürzapfen (Stalldeerzappe), Spitzbuben und Spitzbuben­knepp, Rappknepp, geriebene Knepp (ge­rewene Knepp), Pelzknepp, grüne Klöߟ, Herz­keil, harte Knepp, Harwitzeknepp.

Der Karlsbader Arzt Dr. Johann Stefan Strobels­berger schreibt in einer Bade­instruktion (im Kapitel 13 über die Speisen) für die Kurgäste im Jahr 1729, daߟ der Genuߟ von »Erdöpffeln« zu meiden sei -€“ aber die armen Leute, die sich schon damals keine Kur erlauben konnten, scheinen sich nicht daran gehalten zu haben.

Robert Gernhardt in der FAZ -€“ dem Kartoffelfreund Heinrich Heine nachempfunden:
Zu Anfang des 18. Jahrhunderts soll sich der Superintendant Layritz (Lairitz) aus Wunsiedel, der wie andere Pfarrer von der Kanzel den Anbau der Kartoffel predigte und deshalb (wie andere) später den Beinamen »Knollenprediger« trug, um den feldmäߟigen Kartoffelanbau bemüht haben; Bürger­meister E. C. von Hagen schreibt:
    »Der Superintendent Layritz zu Wunsiedel erregte zuerst im gedachten Jahr (1715) bei einem Besuch zu Bayreuth durch seine Erzählung die Aufmerksamkeit auf den Bau der neuen Kartoffel, so daߟ man ihn um Mit­theilung einer kleinen Anzahl derselben ersuchte, die er auch bald darauf übersandte. Erst von dieser Zeit an breitete sich im Bay­reu­thischen der Kartoffelbau weiter aus.«

In der »Schilderung des Zustandes der Landwirtschaft auf dem Gebürge, besonders in der Gegend von Wunsiedel« aus dem Jahr 1805 heiߟt es zur Knolle
    »Aber wie würden die Gebürgs Bewohner bestehen können, wenn sie nicht statt der einen Brache, Kartoffeln ihr Haupt Nahrungsmittel und das was ihren Viehstand bey der auߟerdem dürftigen Fütterung erhält an­bauten. Diese allen Gegenden höchst schätzbare Frucht, welche nach dem Pfluge gelegt und mit ihm bearbeitet wird, ist ihnen ganz unentbehrlich, und ihr Miߟraten, ist ein gröߟe­res Unglück als wenn das Getreide miߟrät.«

Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, daߟ der frühe Kartoffelanbau durch Ärzte und Botaniker­ (in »Gärten«) und der feldmäߟige Anbau durch Ver­treter der Kirche (trotz der fehlenden Erwähnung in der Bibel) gefördert wurde.

Evangelische Prediger und Pastoren im Norden und katholische Land­pfarrer -€“ »geistliche luite« wie sie noch bezeichnet wurden -€“ im Süden Deutschlands waren die Geburts­helfer einer neuen Tisch- und Eߟkultur. Dorf- und Stadtpfarrer waren vielfach Leute aus den oberen Unterschichten, die auch nach Übernahme von Amt und Würden volksnah blieben; es war zu­­gleich eine Schicht von gebildeten Menschen, die von der Not ihrer Schäfchen wuߟten und zu handeln versuchten.

Auch in Österreich hatten die Pfarrer einen groߟen Anteil an der Verbreitung der Kartoffel:
    »Der erste Pfleger von Tamsweg Ferdinand von Pichl und der Pfarrherr Kröll haben den Anbau durch Belehrung und mehr noch durch Beispiel eingeführt und wurden dadurch ­allein schon die groߟen Wohltäter des Gaus, deren Namen besonders in Miߟjahren schon oft hochgepriesen wurde; denn der Erdäpfelbau ist nun allgemein eingeführet und bildet neben der Bohne den nächstwichtigsten Nahrungsartikel.«

Das Wirken der Pfarrer, insbesondere der evangelischen Beffchenträger, muߟte -€“ da es den an sich vorgegebenen Aufgaben­bereich verlieߟ -€“ doch mancherorts aufgefallen sein. In seiner »Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands« kritisiert Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff, auf Schloߟ Lubowitz bei Ratibor in Oberschlesien geboren und mit Privatunterricht durch den geist­lichen Haus­lehrer Bernhard Heinke gesegnet, im Jahr 1856:
    »Es wurde sofort Toleranz und Gewissensfreiheit proklamiert für Juden, Türken und Heiden, jeder aber, der noch des Christentums und dergleichen Aberglaubens verdächtig, fanatisch als Narr oder heim­licher Jesuit verketzert. Nebenher lief auch noch, von Sulzer her, eine Nützlichkeitstheorie durchs Land, ja sogar über die Kanzeln; nicht etwa von dem, was zum ewigen Leben, sondern was für des Leibes Notdurft nütz ist, von Sparsamkeit, Runkelrüben und Kartoffelbau. Mit Fleiߟ im täglichen Haushalt und etwas negativer Moral, die eben niemanden totschlägt oder bestiehlt, meinte man mit dem Jenseits, wenn es überhaupt eines gäbe, schon fertig zu werden; den Spruch: 'Trachtet nach dem Himmelreich, so wird euch das andere zugegeben' -€ gradezu umkehrend.«

 Der Regensburger Johann Wilhelm Weinmann ver­öffentlicht 1745, also nach den ersten preuߟischen Anordnungen für den Kartoffelanbau, das vierbändige Werk »Phytanthoza-iconographia«, in dem die Kartoffel ausführlich und richtig beschrieben wird. Weinmann schreibt:
    »Die Wurtzel ist am meisten zu bemercken, denn sie ist schwammigt, manchmal Faust groߟ, auch gröߟer oder kleiner, höckerigt oder mit gewissen Merckmalen bezeichnet, wo im folgenden Jahr wieder andere Stengel heraus wachsen werden. Sie sind mit ­einer braunen oder schwartz-rothen Haut über­zogen, und ihr innwendiges ist weiߟ und starck, obwohl manchmal auch gantz leer, weil gar gerne eine Verrottung an sie kommt, wenn der Stengel abgeschnitten wird. ... Bey uns werden sie in Asche gebraten, und mit Salz genossen. Man hält davor, dass sie eine antreibende Krafft bey sich führen, und den Beischlaf befördern, auch den Samen vermehren sollen«.

Das ist gut beobachtet! Da scheint persönliche Erfahrung durchzuschimmern, obwohl Weinmann bei Caspar Bauhin abgeschrieben hat, der schon 1619 schrieb:


    »Unsere Leute rösten sie in der Asche und essen sie geschält mit Pfeffer oder schneiden sie in Scheiben und gieߟen eine fette Sauce darüber, um sie zu verzehren und sich zu erregen. In Wein gekocht sind sie besonders gut und hilfreich für alle, die die Blüte ihrer Jahre überschritten haben.«

Der hier dargelegte doppelte Nutzen der ­Kartoffel, zum einen die Förderung der »ehelichen wercke« und zum anderen die Befreiung vom Hunger, ist das Thema von »Solanum tuberosum vitae«. Im übrigen enthält diese Beschreibung der Kartoffel auch einen frühen Hinweis auf eine Kartoffelkrankheit, auf Brand oder Mehltau.

Der Apotheker Weinmann empfiehlt die ­Knolle auch als Mittel gegen die Schwindsucht. Es kann füglich bezweifelt werden, daߟ Weinmann den direkten Zusammenhang von Unterernährung, schlechten Wohnverhältnissen und Krankheiten erkannte; aber recht hat er.


Nach dem Beginn des Kartoffelanbaus aߟ -€“ an­geblich -€“ der Bayer bis zu fünfmal am Tag saure Milch, Erdäpfel, Krapfen und Semmelschnitten; ein traditionelles Hochzeitsessen umfaߟte drei Gerichte mit drei bis vier Gängen; und wer-€™s nicht schaffte, lieߟ einen Familienangehörigen als »Nachigeher«einspringen. Die Bayern nehmen noch heute ihre Speisen am liebsten in geballter Form ein: als Knödel. Dieser Knödel besticht allein durch seine ­schiere Gröߟe. Kartoffeln in Bayern werden unterteilt -€“ so R. W. B. McCormack -€“ nach Vaterunserkartoffeln und Gegrüߟestseistdumariakartoffeln,

Welche Klöߟe bleiben oben minutenlang kleben? Schlag nach bei Ringelnatz: Himmelsklöߟe sind-€™s. Im übrigen: Der Kloߟ aus rohen oder gekochten Kartoffeln entstammt den oberfränkisch-oberpfälzischen Mittelgebirgen -€“ nicht den alten bayerischen Stammlanden. Klöߟe aus Getreide gab es nachweislich bereits im 17. Jahrhundert in Nord­ostbayern, als Mehlspeise gab es sie auߟerdem in anderen Gebieten Deutschlands. Weizenklöߟe -€“ zu, Beispiel im Vogtland -€“ galten als Festspeise. Wickelklöߟe wurden wie Kuchen aus feinem Weizenmehl mit Fett und Eiern geformt.

Erich Kästner über die möglichen Folgen des Verzehrs von Kartoffelklöߟen:
    »Der Peter war ein Renommist

    ...

    Als man einmal vom Essen sprach,

    da dachte Peter lange nach.

    Dann sagte er mit stiller Gröߟe:

    -€ 'Ich esse manchmal dreiߟig Klöߟe.' -€

    ...

    Kurts Eltern waren ausgegangen.

    So wurde schlieߟlich angefangen.

    Vom ersten bis zum fünften Kloߟ,

    da war noch nichts Besonderes los.

    ...

    Beim siebten und achten Stück

    Bemerkte Kurt: -€ 'Er wird schon dick.' -€

    Bei zehnten Kloߟ ward Peter weiߟ.

    ...

    Nach fünfzehn Klöߟen endlich sank

    er stöhnend auf die Küchenbank.

    ...

    Vier Klöߟe steckten noch im Schlund.

    das war natürlich ungesund.«

Gekochte Kartoffeln zu jeder Tageszeit war das übliche Essen der Bewohner der Wunsiedeler Gegend, dazu Branntwein und Bier »bei welchem sie ruhig und zufrieden leben.«:
    »Früher hat-€™s früh die Kartoffelsupp-€™n geb-€™n und abends die Kartoffel­supp-€™n, jeden Tag, mit Brod dazu, aweng Zwiebel nei wenn ma-€˜ g-€™habt hat ... Mittag hat-€™s eb-€™n Spoutz-€™n geb-€™n oder mal Salzerdäpfel oder mal ein-€˜ Dotsch oder n-€˜ Stampf ... mir hab-€™n a manchmal so kleine Spotzerler g-€™macht, die sin in d Pfanner nei kummer, na sin-€™ Eier verrührt word-€™n, die sin-€˜ da a mit drüber kommer, sind aber nochmal in-€™ d Reine nei­kummer sin-€˜ überback-€™n word-€™n, des war-€™n dann die Baucher­stercherler.«

1730 versucht der sächsische »Experimental-Ökonom« Johann Georg Leopold, auf einem gräflichen Rittergut in Niederschlesien Kartoffeln anzupflanzen, aber das Gesinde weigert sich, die Knollen zu essen oder dem Vieh vorzuschütten.

Erst 1737 erhält der Breslauer ArztJohann Christian Kundmann »aus London zur Cultivirung in Teutschland und sonderlich in Schlesien« Kartoffeln, die für ihn bis dahin unbekannt waren. Kundmann erhofft sich vom Anbau der Kartoffel eine Linderung bei den regelmäߟig wiederkehrenden Hungersnöten in Schlesien. Er schlägt vor, den »Mangel des Korns und Brodts durch eine andere Vegetabile« zu ersetzen und erwähnt, er zitiert Montanus, daߟ »Indianer« aus der Kartoffel »ein schmeckendes Geträncke« machen, »darinnen sie sich toll und voll sauffen«.


Sicher ist also, daߟ die Sachsen und die Bayern die Kartoffeln ­lange Zeit vor den Preuߟen er­hielten, obwohl die Einführung der Kartoffel in deutschen Landen immer Friedrich II. von Preuߟen zugeschrieben wird. Eine Tatsache, wenn dies auch vielfach von den Bayern vehement bestritten wird. Im süd­lichen Elbegebiet soll es noch 1781 keine Knechte und Diener gegeben haben, die Kartoffeln als Nahrung akzeptierten:
    »Lieber gehen sie auߟer Dienst«,
so wird berichtet, und die Kartoffel mache
    »ein derbes Fleisch, sowohl bey Mensch als auch bey Vieh«.
In »Daumerlings Wanderschaft«, einem von den Grimms gesammelten Märchen, geht ein Schneider lieber auߟer Dienst als bei einem »Kartoffelkönig« zu arbeiten:

    »Nun war das Schneiderlein drauߟen in der weiten Welt, zog umher, ging auch bei ­einem Meister in die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. -€ 'Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen gibt',-€ sagte Daumer­ling, - 'so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Haustüre: Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, adios, Herr Kartoffelkönig.' -€«

 


 

Anmerkungen

10           So hat es der russische Kartoffelhistoriker Lechnowitz aufgeschrieben, wobei er über­sehen haben muߟ, daߟ die Kartoffel in Schottland erst nach 1683 angebaut wurde.               zurück

 

11           Noch 1871 galt der Luise von François eine Reise von zwanzig oder dreiߟig Meilen als »ein halber Tod«, und ­Goethe brauchte 57 Tage von Karlsbad nach Rom (1786).                zurück

 

12           Die Erklärung hierfür ist im »Meer der Geschichten« nachzulesen.              zurück

 

13           Einquartierungen waren nicht gern gesehen, da der ­Bürger die fremden Soldaten ver­pflegen muߟte und diese auߟer­dem dem weiblichen Hauspersonal nachstellten. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Gefolge der napoleonischen Reformen war die Erhebung eines Ortes in den Rang einer Garnisonsstadt von besonderem Inter­esse für die Gemeindeväter: »Vom Sitz der Garnison hängt das Wohl der Stadt« ab hieߟ es in Burghausen, wie Rainer Braun in einer Untersuchung über »Garnisonswünsche 1815-€“1914« feststellte. Eine Garnison erhöhte -€“ siehe auch Potsdam unter Friedrich II. -€“ leicht die Anzahl der Konsumenten um fünfzig Prozent, und auch die Handwerker freuten sich.  

Die Proteste in der Eifel (Flugplatz Ramstein) oder in Schleswig-­Holstein, in Altenwalde bei Cuxhaven und anderswo wegen der Stillegung von Militärstützpunkten in der Folge der Beendigung des »Kalten Krieges« sind jetzt verständlich.                zurück

 

15           Im übrigen ist festgestellt worden, daߟ das »einfache Volk« zwar »illiterat« war, also ohne Bildung in latein und griechisch, aber nicht unbedingt lese- und schreibunkundig.               zurück

 

16           Schwiebus wechselte in verhältnismäߟig kurzer Zeit mehrmals den Besitzer. Als österreichischer Besitz lag es um­geben von Preuߟen. Es kam zu Zeiten des Groߟen ­Kurfürsten zu Preuߟen, wobei beim Besitzwechsel schon vereinbart war. Daߟ es nach dem Tod des Kurfürsten wieder an Österreich fallen würde (und so geschah es auch). Nach dem Ersten Schlesischen Krieg kam es endgültig zu Preuߟen. Aus Schwiebus kommen Vorfahren des Autors, die dort als »Zehnter« tätig waren, bevor sie dem Kirchendienst Valet sagten und Postbeamte wurden.              zurück

 

17           Der Delinquent wurde im Innern der »Jungfrau« ein­geschlossen und dort von Stacheln durchbohrt, die aber so konstruiert waren, daߟ sie keine lebenswichtigen Organe verletzten -€“ so dauerte der Todeskampf im Sarkophag bis zu drei Tagen. Im übrigen: Die Auswahl der Folterwerk­zeuge war im allgemeinen dem Henker überlassen.              zurück

 

18           Die Zeittafel zur Geschichte (in der »Vierten Furche« dieses Buches) zeigt die wuchernde Verbreitung in einzelnen Regionen.               zurück

  

23           In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird die Blechkaffeekanne Attribut des Industrieproletariats, später abgelöst von Thermoskanne und Henkelmann; kenn­zeichnend war, daߟ die noch nicht arbeitsfähigen Kinder zur Frühstücks- oder Mittags­pause ihrem Vater die Kanne in die »Fabrik« brachten, die vielfach im letzten Hof der »Mietskaserne« als Kleinbetrieb sich eingerichtet hatte oder innerhalb von zehn Minuten zu erreichen war.                zurück

 

24           Achim von Arnim in einem Brief vom 1. Juli 1806 an Clemens Brentano: »... wo ich einen neuen Pächter einsetzen half, mein Bruder hatte da englische Hauswirtschaft ein­geführt, die Leute waren sehr verwundert um 4 Mittag zu essen, mir war das lieb um die prächtige Entenjagd dort zu benutzen ...«              zurück

 

25           Aus dem Brockhaus von 1892: »In schweren Fällen nehmen die Stuhlentleerungen den jauchigen Charakter an.«               zurück

 

26           Kartoffelkaffee war eine Mischung aus Wasser, Rüben, Zichorien und Mandeln. In Berlin hieߟ dieses Getränk»café prussien« (weil Friedrich II. den Genuߟ echten Kaffees 1780 seinen Bürgern verboten hatte) oder»mocca faux« und -€“ später im Berliner Wortgebrauch»Muckefuck«.  

Der gelernte Buchdrucker Mark Twain beschreibt 1878:


    »Man nehme ein Faߟ voll Wasser und bringe es zum Kochen; reibe ein Stück Zichorie an einer Kaffeebohne und befördere dann erstes in das Wasser. Man setze das Kochen und Verdampfen fort, bis die Stärke des Geschmacks und das Aromas von Kaffee und Zichorie auf das richtige Maߟ verringert sind.«


 Dies über den schwäbischen Muckefuck -€“ das Berliner Gebräu schmeckt anders. Die Zichorie galt im Volksmund aber auch als ein probates Mittel, Haߟ in Liebe zu ver­wandeln; nicht umsonst hieߟ dieses Kaffee-Ersatzmittel, daߟ wir heutzutage als Chicorée kennen, auch»Verfluchte Jungfrau«.  

1781 schafft Friedrich II. einen neuen Beruf, den»Kaffee­riecher«, der durch die Häuser ging und nach frisch gemahlenem Kaffee forschte, denn die Einfuhr von Kaffee­bohnen war untersagt.  

Wenn der Kaffee nur dünn in der Tasse schwappt, so heiߟt er in Sachsen »Bliemchenkaffee« (weil man die Blumen auf den Boden der Meiߟner Tasse sehen kann) oder »Schwerterkaffee« (weil man sogar die Schwerter an der Unterseite erkennen kann). In einer Hildesheimer Verordnung im selben Jahr heiߟt es vom Bischof: »Wer sich unter­steht, Bohnen zu verkaufen, dem wird der ganze Vorrat konfisziert und wer sich wieder Saufgeschirr dazu anschafft, kommt in den Karren.« Da­gegen entsprach »Kahwa«, der »Wein des Islams«, im ­Orient der Vorstellung von einem gottgefälligen und alkohol­freien Getränk. 

Zichorienkaffee ist der älteste Kaffee-Ersatz, der sich insbesondere am Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland verbreitete. Die Zichorie (Cichorium Intybus L.) ist eine Komposite, die früher wild wuchs oder als Futterpflanze und der Wurzeln wegen angebaut wurde. Für den Zichorien­kaffee nimmt man die Wurzel, die unter Beigabe von Fett (ein bis zwei Prozent) geröstet werden; diese geröstete Wurzel muߟ sofort ge­mahlen werden. Der durch kochendes Wasser entstehende Aufguߟ ist gewöhnlich trübe und schmeckt bitterlich süߟ. 

Die Zichorie war nicht der einzige Kaffee-Ersatz und Zusatzstoff. Alles, was irgendwie gemahlen, verkleinert und geröstet werden konnte, diente dem braun-schwarzen Getränk: Mandeln, gebackene Pferdeleber, Berberitzen, Rote Beete, Brotkrusten, verbrannte Lumpen, Johannisbrot, Kichererbsen (aus denen in der DDR Marzipan hergestellt wurde), Preiselbeeren, Essiggurken, Lupinen, Malz, Rüben und Getreide aller Arten, Sägemehl und Ziegelstaub, Kastanien und Topinambur, Linsen und Lupinen, Johannis­kraut. 

Es wird behauptet, daߟ Kaffee-Ersatz aus Kartoffeln weit besser schmecke als ein Surrogat aus Möhren, Zichorien und anderen zu diesem Zweck vorgesehenen Wurzel­gemüse. Falls wieder schlechtere Zeiten kommen: Waschen Sie die Kartoffeln, schneiden Sie sie in Würfel, danach im Ofen (oder an der Luft) trocknen und dann in einer Kaffeetrommel (oder in der Pfanne) rösten. Die Röstkartoffel mahlen, mit »richtigem« Kaffee ver­mischen und mit ­heiߟem Wasser übergieߟen.              zurück

 

27           Galilei schrieb1641 im Zusammenhang mit dem Stillstand der Erde: »... vor allem nicht von uns Katholiken, die wir die unwiderlegliche Autorität der heiligen Schrift besitzen, ausgelegt von den gröߟten Meistern der Theologie.«               zurück

 

28           Elsholtz hatte in Padua und Leiden Medizin studiert und war später Leibarzt der kurfürst­lichen Familie und Regimentsarzt in Berlin. 1661 experimen­tiert Elsholtz mit Injektionsversuchen an einer Frauenleiche, später an lebenden Hunden und noch später an den Leibgardisten des Kurfürsten. 1663 erscheint sein Verzeichnis über die Pflanzen in Brandenburg und in den kurfürstlichen Gärten (»Flora marchica«), 1665 erscheint von ihm über die seit Jahrtausenden bekannten Behandlungsform des Klistierens die »Clysmatica nova oder Newe Clystier-Kunst«, worin er die intravenöse Injektion von Medikamenten beschreibt.               zurück

 

29           Im 18. Jahrhundert entstand bei Übersetzern und Literaten­ der Brauch, Vornamen dem Zeitgeschmack an­zupassen und/oder in den deutschen Vergleichsnamen zu über­setzen: Markus ist das frühere Marxen.               zurück

 

30           Neben dem Einfluߟ der Kartoffel auf das preuߟische Bildungswesen ist auch nach­zuweisen, daߟ früher Kartoffel­anbau und die »Schwarze Kunst« der Jünger Gutenbergs sich wechselseitig förderten. 

Mainz mit Gutenberg und dem Kartoffelkoch Rumpolt, die Brüder Bauhin einerseits und die Drucker Elzevier bzw. Plantin in den Niederlanden andererseits, Dürer und die rotschaligen Kartoffeln in Nürnberg, der Schriftkünstler Giambattista Bodoni und der Herzog von und in Parma, Leipzig als erste Buchstadt im Reich und das nahe Vogtland, die Pfalz und die nicht nur für »Windeldrucke« bedeutende Druckstadt ­Speyer mit Peter Drach und den Brüdern Wendelin, Basel usw. usw. Dieser Zusammenhang bedarf dringend weiterer Auf­klärung; einige Ansätze hierzu sind in der Zeittafel zu erkennen. 

Benjamin Franklin, ebenfalls ein gelernter Drucker, meinte über seine Kollegen, sie seien »great guzzlers on beer«, da sie schon zum Frühstück -€“ zusammen mit Käse und Brot -€“ Bier tranken. Franklin übersieht hierbei, daߟ Bier oder Wein die einzig preiswerten Getränke für die Arbeiter waren -€“ Schoko­lade oder Kaffee war für den am Existenz­minimum lebenden Pariser Bürger unerschwinglich.               zurück

 

31           Aber, schon 1542 schrieb der Engländer Andrew Boorde, daߟ Salat die Fleischeslust vertreibe. Vier Jahre später dagegen wird Salat als Amuletum Veneris, als Symbol für die weibliche Sexualität bezeichnet.              zurück

 

32           Verständlich die Anlässe, sich gegen Steuer- und/oder Zehntforderungen zu wehren: Es handelte sich stets um erhebliche obrigkeitliche Eingriffe in bäuerisches Leben und Wirtschaften; sie treffen die Bauern in Quantität und Qualität und bringen den bäuer­lichen Lebenszusammenhang durcheinander. Anders als Quacksalber und Rechts­verdreher (Zahnwälte genannt) können die Bauern ihre Batzen nicht nach Luxemburg oder in ein anderes Steuerparadies verbringen. Deshalb der Widerstand gegen Steuer­erhöhungen, denn der Ehrliche ist immer der Dumme.              zurück

 

33           Man sehe sich den einen oder anderen Abgeordneten im Landtag von Niedersachsen aus dem Pfarrersstand an.              zurück

 

34           Für niedere Vergehen verhängte die Obrigkeit Kar­batschen­streiche, Schläge mit einer Lederpeitsche.               zurück

 

35           Kunst entsteht nur dort (Brockhaus 1896) »wo nach Befriedigung der Lebensbedürfnisse noch geistige und physische Kraft genug zu ernstem Spiele übrig bleibt.«               zurück

 

36           Die Vorreiterrolle Englands in Europa (und später Norddeutschlands gegenüber dem Süden) bei der Industrialisierung soll auch damit zusammenhängen, daߟ sich dort kein Barockkatholizismus breitgemacht hat, der die knappen Ressourcen in Prachtbauten fehllenkte.               zurück

 

37           Zwingli schrieb 1522 »Von erkiesen und fryheit der spysen« gegen das Fastengebot der katholischen Kirche und ­forderte die Abschaffung alles biblisch nicht Begründbaren, nicht nur der schönen Dinge wie der liebgewordenen Verknüpfung kirchlicher Feste mit einer gewissen Völlerei und Unzucht. Eine Spätfolge dieser evangelisch-radikalen Auffassung war die Ablehnung der Kartoffel als Nahrungsmittel und die deutlich geringere Fröhlichkeit bei den Karne­vals­veranstaltungen im (vormals) evangelischen Norden Deutschlands. »Carne vale«, Fleisch, leb wohl, ist ersetzt worden durch »De zoch kütt«.               zurück

 

38           Nach den bisher bekannten Lagerstätten wird Phosphat in etwa einhundert Jahren erschöpft sein, wenn der Verbrauch im bisherigen Umfang weitergeht; aber vorher ist schon das Öl zur Neige gegangen -€“ was soll'€™s also?              zurück

 

39           Man kann davon ausgehen, daߟ das Gesinde auf den Schlössern und groߟen Höfen in der Regel besser genährt war als die kleinen Bauern und Pächter und diese wiederum besser als ihre Tagelöhner. Man kann auch davon ausgehen, daߟ der armen Landbevölkerung generell mehr Nahrungsmittel zur Verfügung standen als der armen Stadtbevölkerung. Diese Tatsache gilt nicht nur für vergangene Jahrhunderte, sondern war auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland zu beobachten. Die Bauern, auf ihren Nahrungsmitteln feist sitzend, nahmen im Tauschgeschäft den Städtern das sprichwörtliche letzte Hemd ab und legten ihre Kuhställe mit Persern aus: Manche Städter haben das nicht vergessen und zeigen eine klammheimliche Freude an gekürzten Landwirtschaftssubventionen.               zurück

 

40           Mit dem Hunger verbindet sich ein Sterben, welches teils unmittelbar durch den Hunger selbst, teils durch nachfolgende Seuchen eintritt. Die erzgebirgischen Bergstädte verlieren in dieser Zeit fast sieben Prozent ihrer Einwohner. In Augsburg steigt die Zahl der Sterbefälle 1572 um das Doppelte; in Stuttgart gar um das Dreifache des normalen Jahresdurchschnitts.

Dennoch treibt die Hoffnung auf Nahrung die verelendete Landbevölkerung in die wenigen Städte, die ihrerseits versuchen, mittels »Notstandsgesetzen« der Krise zu begegnen, indem sie den Lebensmittelverbrauch ­reglementieren.

Die meisten Städte schickten Verwaltungsbeamte aus, um Getreide einzukaufen. Die Bauern fielen als Lieferanten aus, da sie ihre Ernten bei ihrem Grundherrn abliefern müssen und zwar zu Preisen, die dieser festsetzt. Es bleiben also nur diese weltlichen oder geistlichen Grundherren. So erwirbt z.B. die Stadt Augsburg 1571 bei den Deutsch-Ordensmeistern in Frankfurt eine groߟe Menge an Roggen. Die erheblichen Kosten von 58.000 Gulden sind aber nur ein Teil der Augsburger finanziellen Lasten dieser Notjahre. Hinzu kommen Geldzuwendungen an die Ärmsten, Darlehen an Metzger, Erweiterungen der Verpflegungs- und Versorgungseinrichtungen sowie die Ausgabe verbilligten Getreides. Auߟerdem wird 25 Monate lang städtisches Brot gebacken und verteilt. Von dieser Zuwendung werden allerdings all jene ausgeschlossen, die eigene Häuser besitzen, die Gastwirte, die Bediensteten des Rates und wer sich in den letzten fünf Jahren verehelicht hat. Nur wer sich aus eigenen Kräften nicht mehr ernähren kann, erhält Brotzeichen, die zum Empfang des verbilligten Brotes berechtigen.

Ähnliches ist auch von Nürnberg dokumentiert. Hier existieren eine Reihe frommer Stiftungen, die sich in Not geratenen Menschen annehmen. Doch in Hungerszeiten reichen auch sie nicht aus. Das zeigt sich darin, daߟ auf dem Höhepunkt der Hungersnot 1572 der Rat der Stadt an einem einzigen Tag 10.400 Laib Brot austeilt. Dies läߟt auf dreizehn- bis fünfzehntausend Bedürftige schlieߟen, etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Dennoch zielen diese Anstrengungen zur Linderung der gröߟten Not nur auf ­einen engen Kreis von Menschen -€“ es sind die Bewohner der ­Städte, welche Schutz verlangen und erhalten.

Gegen die Flut von Bettlern, die vom Lande hereindrängen, wehren sich die Städte. So verfügt der Rat der Stadt Augsburg im Winter 1570/1571, daߟ die Torwärter bettelnde Kinder, Frauen und Männer abzuweisen hätten; andernfalls würden sie ihres Dienstes enthoben. Zudem sollen alle in der Stadt befindlichen fremden Bettler in ihre Heimatorte zurückgeführt werden. Den Betroffenen, die sich widersetzen, drohen schwere Strafen und ebenso denen, welche Bettler beherbergen. 

Ein Vergleich erlaubt? Die jetzige Ausgrenzung von Arbeitsplatzlosen durch die Arbeitsplatz-Besitzer und ihrer Organisationen (damit sind neben den Gewerkschaften auch die Unternehmer gemeint) und damit der Entzug von sozialen Teilhabemöglichkeiten ähnelt nicht dem Kampf der wandernden Bettler gegen die Städte, denn die Arbeitsplatzlosen wehren sich (noch) nicht.

 Armut wird empfunden, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Das Bewuߟtsein einer Gemeinschaft gleich­gesinnter, gleichgestellter und in gleichem Maߟe Leidender anzugehören, könnte das Gefühl deiner gemeinsamen Identität erzeugen. Allerdings differenzieren sich die verschiedenen Handlungsmotivationen einzelner Glieder ­einer Schicksalsgemeinschaft um so mehr, je gröߟer diese ­Gruppe wird. Allen gemeinsam ist in Notzeiten jedoch die Furcht. Ihr kann man entweder offensiv begegnen, wie dies im Fall der einzelnen Hungerrevolten zum Ausdruck kommt, oder man schöpft Hoffnung im Imaginären. Zu jener Zeit verbreiten sich die Geschichten vom Schlaraffenland.

»Wie aber andere Strafen und Plagen allein von Gott herkommen, also kommt auch Teuerung und Hunger von Gott. Lasst uns unsere Sünden bekennen, Gott um Verzeihung bitten und glauben, daߟ er uns gnädig sei.« So klingt es aus den Kirchen aller Konfessionen. In einem Mandat des Nürnberger Rates von 1571 heiߟt es, daߟ die ungünstigen Zeitverhältnisse als Strafe Gottes »umb unsere Sünden und Unbuߟfertigkeiten« zu sehen seien. 

Noch ein Vergleich erlaubt? Heute verweisen Politiker und Unternehmer und ihre jeweiligen »Fachleute« auf die angeblich unabwendbaren Folgen der Globalisierung. Das Heil, das Schlaraffenland, kommt -€“ zumindest in Deutschland -€“ von der Rentenreform mit der Riester-Rente und einem knappen Arbeitslosengeld II. Das schafft Arbeits­plätze und damit Brot! Bei solchem Schwachsinn kann man nur noch, sollte man, in eine Gegend ziehen, in der deutsche Tageszeitungen und deutsches Fernsehen unerreichbar sind -€“ zum Beispiel nach Växjö.               zurück

 

41           Potsdam, mit neuen Stadt­mauern und allein in den 1720er Jahren mehreren hundert neuen Häusern aus Backstein mit einer »Grenadierschicht« an den Fenstern, mit der Trocken­­legungen der Sümpfe (die 1715 noch eine Fleck­fieber­epidemie durch die schlechte Luft verursachten: »Malaria«), veränderte­ sein Gesicht; aus dem Fischerflecken an der Havel wurde eine Stadt, in der Handwerker (und sogar zwei Verlagshändler) ihr Auskommen fanden. Für die Grenadiere wurden Brauereien er­weitert und gegründet. Die Einwohnerzahl stieg von rund ein­tausend am Anfang des Jahrhunderts auf etwa sechzehntausend im Jahr 1740. Und um Potsdam herum pflanzten die Bauern Ge­treide, Rüben und später Kartoffeln.               zurück

 

42           Charles Sealsfield: »Karlsbad ist der Zufluchtsort aller Hypochonder, Milzsüchtigen, Menschenfeinde und Müߟiggänger. Dieser Ort scheint von der Natur dazu auserkoren zu sein, vor allem den seelisch Kranken zu heilen, die die Wunden vergessen möchten, die ihnen das gesellige Leben zugefügt hat.« Also: Ernst darf man daher die Meinung dieses Arztes nicht nehmen. Hypochondrie wurde auch wegen der spleenigen Engländer als »the English mala­dy« bezeichnet und kommt vom griechischen »hypo­chon­driakos« -€“ Beschwerden am Unterleib oder den Eingeweiden.               zurück

 

43           Wie mögen Kartoffel-Klöߟe in anderen Gegenden unseres Vaterlandes heiߟen? Email: potato_klaus@yahoo.com              zurück

 

44           In jenen Zeiten kümmerten sich die Geistlichen nicht nur um ihre Schäfchen, sondern waren auch als Entdecker und Erfinder tätig:


    -€“ Der Pfarrer Christian Gloxin aus Uchtdorf/Pommern baut um 1680 eine Papp-Orgel.

    -€“ In England erfindet der Geistliche Eduard Barlow 1695 die Zylinder­hemmung für Uhren.

    -€“ Der französische Augustiner Nicolas konstruiert 1716 eine Drehbrücke

    -€“ 1721 wird Pfarrer Johann Georg Leutmann Professor an der Peters­burger Akademie der Wissenschaften, die damals als»Paradies der Gelehrten« galt -€“ für seine Untersuchungen und Beschreibungen über Uhren, Holzspar-Ö–fen, Feuerspritzen, Meߟinstrumente und Gewehre.

    -€“ Pater Fery, ebenfalls in Frankreich, erstellt 1754 ­Pläne für zwei Walz-Pulvermühlen.

    -€“ 1760 erfindet Pfarrer Martin Planta aus Zisers in Graubünden einen Motor und eine Zugmaschine für schwere Geschütze

    -€“ Der Regensburger Theologe Jacob Christian Schäf­fern bastelt 1767 eine Waschmaschine, aber auch an Pump-, Dresch- und Elektrisier­maschinen übt er sich, und -€“ wichtig -€“ an einer Papierherstellung aus Kartoffeln

    -€“ Abbé Michael baut um 1780 sprechende Maschinen

    -€“ Edmund Cartwright erfindet 1784 den mechanischen Webstuhl, der aber nicht zum Einsatz kommt.

    -€“ Robert Stirling erfindet 1816 einen Motor, der später Stirling-Motor genannt wird. 


Vorreiterfunktionen nehmen Pfarrer ein beim Einsatz von Blitzableitern (zeit­gleich von Benjamin Franklin und dem Prämonstratenser-Mönch Prokop Divisch erfunden) und bei den Pockenschutzimpfungen (Pfarrer Johann Samuel Richter aus Anhalt/Ober­schlesien impfte vierhundert Personen, Johann Kahlbau aus Klinke in der Altmark sechshundert Kinder, Gustav Bergmann aus Rujen/Livland erfand eine neue Impf­methode und impfte über zehntausend Personen in seinem Sprengel). Die Motive der Pfarrer reichten vom Wunsch nach einer Verbesserung der eigenen Einkünfte über die Hoffnung auf Anerkennung durch ihre Obrigkeit und Beförderung bis hin zu dem Bestreben, ihren­ Pfarrkindern zu helfen.  

Schon die frühen Mönche haben­ nicht nur christianisiert, sondern auch zivilisiert, nicht nur gebetet, sondern auch gearbeitet. Wo sich Mönche nieder­lieߟen wurden Wälder gerodet, Sümpfe in Ackerfelder verwandelt, Wiesen be­rieselt und landwirtschaft­liche Fortschritte erzielt -€“ für den eigenen Bauch, aber eben auch für ihre Gemeinde. Mit­entscheidend war auch der umfassende Bildungsanspruch, der von der Geistlichkeit mitgetragen wurde. Die Kenntnis der Technik und der Funk­tion von Maschinen war für ­einen Akademiker des 19. Jahr­hunderts selbst­verständlich. Erst nach Napoleon werden die Theologen wieder zu reinen Geistlichen.  

Aber weder ins katholische noch ins evangelische Gesangsbuch haben es die Knollen geschafft.               zurück

 

45         Vortrag auf der 10. Internationalen Konferenz für ethnolo­gische Nahrungsforschung 1994. Im Vorwort zum Konferenzbericht heiߟt es: »Nahrung und Essen sind sowohl kulturbegründende Phänomene als auch Ausdrucksformen von Kultur.« Ja, so ist es.              zurück

 

46           Unter Ausschluߟ der Kindersterblichkeit (Verstorbene ­unter fünf Jahren) ergab sich, daߟ Bewohner von Kellerwohnungen eine Lebenserwartung von 37,15 Jahren ­hatten. 

Lungentuberkulose und Lungenentzündungen wie auch Diarrhöe traten bei Bewohnern der Kellerwohnungen nicht häufiger auf als in den besser situierten Kreisen, so daߟ die Ursache wohl in der Ernährungs- und Arbeitssituation liegt.  

Die Zustände in den Fabriken mit Lärm, Staub und schlechter Luft waren -€“ gemessen nicht nur am heutigen Standard -€“ schlecht; doch die engen, feuchten, unbeheizten Wohn-Werkstätten der Heimgewerbetreibenden waren nicht weniger gesundheitsschädlich. Württembergische Leineweber muߟten zum Beispiel in Kellern mit hohem Feuchtigkeitsgehalt arbeiten, damit das Garn die erforderliche Flexibilität und Biegsamkeit erhielt. 

Im Brockhaus (1892) stand: »Von eigentlichen Krankheiten werden nicht bloߟ die sog. Konstitutionskrankheiten wie Tuberkulose, Syphilis ..., sondern auch Geisteskrankheiten, .... Hypochondrie und Hysterie ... vererbt.« Also, mit Wohnverhältnissen und fehlender Kartoffelnahrung hat Tuberkulose danach nichts zu tun. Auch Rachitis galt als erbliche Krankheit, wenn auch zugestanden wird, daߟ die Krankheit durch »anhaltende Einwirkung einer naߟkalten, feuchten, nebligen Witterung oder ungesunder Wohnungen, vor allem aber durch unzweckmäߟige oder mangelhafte Ernährung« begünstigt wird. 

Über die Wohnverhältnisse in Berlin schreibt der Arzt Ludwig Formey im Jahr 1796:


    »Überhaupt trugen die elenden Wohnungen, ­welche der gemeine Mann in Berlin hat, zu den Krank­heiten dieser arbeitsamen Klasse unserer Mitbürger viel bei, und die vielen Bauten in Berlin sind ein wahres Unglück für sie. Jeder, der ein altes Haus, worinnen dergleichen Leute wohnen, niederreiߟt, erbaut an derselben Stelle ein Pracht­haus und richtet es zu groߟen Wohnungen für wohlhabende Leute ein. Der Arme findet kaum ein Obdach für sich und die Seinigen. Er schränkt sich daher immer mehr ein und behilft sich mit einem winzigen Zimmer, worin er nicht nur sein Handwerk treibt, sondern auch mit seiner ganzen Hausgemeinschaft wohnt und schläft. Bei dem hohen Preise des Brennmaterials versperrt er nun im Winter der äuߟeren Luft allen Zugang auf sorgfältigste ab, und so leben diese Menschen in einer Atmosphäre, die beim Eintritt in ein solches Zimmer jeden Fremden zu ersticken droht. Wenn diese Menschen eine verdorbene Luft nicht beständig einatmeten, so würden sie und ihre Kinder stärker sein und nicht so oft und dazu in gefährlicher Weise erkranken.« 


Über die Jahre 1872 bis 1875 veröffentlichte der Direktor des Statistischen Bureaus der Stadt Pest eine Untersuchung über die Sterblichkeitsrate in Korrelation mit den Wohnverhältnissen: 

Wohnungs- klasse

Anzahl Bewohner je Raum

Wohlstandsklasse

Durchschnittl. Lebensalter

Durchschnittl. Lebensdauer

1. Klasse

höchst. 2 Bewohner

reich

47,16 Jahre

50,8 Jahre

2. Klasse

3-5 Bewohner

wohlhabend

39,51 Jahre

44,8 Jahre

3. Klasse

6-10 Bewohner

arm

31,10 Jahre

41,3 Jahre

4. Klasse

mehr als 10 bewohner

notleidend

32,03 Jahre

40,1 Jahre



 

 

 

 

 

 

1. K la

Im übrigen: Die Beleuchtung in den Wohnungen der Armen­ bestand aus Kerosinlampen oder Kerzenlicht; Elektrizität war selbst bei den besseren Schichten nicht allgemein verbreitet. Ist-€™s vorstellbar, wie das Leben ohne Mutter Beimler und Bill Gates war?               zurück

 

47           Schwangeren ist nach dem siebten Monat abzuraten, bei einer Mahlzeit mehr als fünf Kartoffelklöߟe zu sich zu nehmen, da dies zu Frühgeburten führen kann.              zurück




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