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Kartoffel-Geschichte Furche 1.8. Kartoffelsünder

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Kartoffelsünder: "Die Kartoffel ist aus dem Körper der Sünderin":
https://web.archive.org/web/20130609223846/http://www.kartoffel-geschichte.de/Erste_Furche/Kartoffelsunder/kartoffelsunder.html

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Kartoffelsünder

Zar Peter I. der Grosse von Rußland lernte bei seiner Reise nach Westeuropa neben Schiffbau auch die Kartoffel kennen. Er warb für das ­rück­ständige Reich Handwerker, Schiffbauer und Facharbeiter an – insbesondere aus Holland – und diese brachten die Kartoffel mit, die dann in der Gegend um Peters­burgangebaut wurde. Es war ein Teil seiner Be­mühungen, Rußland zu modernisieren, das Volk aus seinem dumpfen Glauben an ein gottgegebenes Schicksal herauszuholen (natürlich nicht zu weit!) – zum Wohl des Zarenreiches, also zu seinem Wohl. Er setzte dabei listigerweise auf den Einfluß der Frauen. Schon während seiner ersten Reise ins Ausland (9. März 1697 bis 25. August 1698) ­schickte er aus Holland einen Sack Kartoffeln an seinen Feld­marschall Boris Sche­­re­­met­jev, aber der Verbleib dieser Kartoffeln ist nicht bekannt.


Der Versuch des Zaren, die Kartoffel, die JAPRNTFKZ, im ganzen Reich heimisch werden zu lassen, verzögerte sich um mehrere Jahrzehnte, weil die Einführung zu­fälliger­­weise mit einer Pest-­Epidemie zusammenfiel und dies vom feudalen Bojarenadel (dessen Macht und Reichtum sich auf den Anbau von Getreide und Hanf stützte)­ und dem mit ihm verbündeten griechisch-orthodoxen Patri­archat der Kartoffel zugeschrie­ben ­wurde.

Die Altgläubigen waren der Kartoffel nicht wohlgesonnen: Die Kartoffel sei
    »die verbotene Frucht, welche die beiden ersten Menschen aßen; jeder, der die Kartof­feln ißt, ist Gott nicht gehorsam, verstößt gegen die Heilige Schrift und komme niemals in das königliche Himmelsreichs.«

Auch sei die Kartoffel aus dem Körper der Sünderin und aus der Spucke des Teufels entstanden. Deshalb sei es allen Christen verboten, die Kartoffel zu essen. So sei es!

 
Unter Kaiserin Anna Ivanovabeginnt in der Zeit von 1730 bis 1740 der Kartoffelanbau sich auf die Güter um St. Petersburg herum aus­zudeh­nen. Für 1736 liegt ein Beleg über die Kartoffel in Rußland vor und zwar im Katalog des Peters­bur­ger Arznei­mittelgartens.

1741 werden bei einem Festessen am kaiser­lichen Hof in St. Petersburg auch gereicht; da die Kartoffel hier nur in Mengen von ¼ bis 1¼ Pfund gereicht ­wurde, ist davon auszugehen, daß die Kartoffel noch verhältnis­mäßig unbekannt war. In einer Ver­brauchsliste des kaiser­lichen Hofes aus demselben Jahr werden für den Monat Juni sechs Pfund Kartoffel aufgeführt; es muß sich um Frühkartoffeln gehandelt haben.

Die Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst, die sich als KaiserinKatha­rina II. nannte, siedelte nach 1762 deutsche Bauern an der unteren Wolga und auf der Krim an und ließ – fortschrittlicher als Preußens Friedrich – Volks­schulen und Gymnasienerrichten. Mit den deutschen Bauern kamen auch die Kartoffeln wieder, obwohl diese Einwanderer für den Getreide­anbau vor­gesehen waren.

1764 wird über die Knolle berichtet, daß sie in den Gemüsegärten von Kiew wachse. Ihr Anbau in Livland und Estland (Kurland) war weit verbreitet, in den Bezirken von Nowgorod, Pskow, Twer (in der Nähe von Königsberg/Kaliningrad) und anderen wurde sie aber weiterhin nur als Arznei­mittel und der aphrodisischen Wirkung wegen­ angebaut. Dafür spricht auch, daß der Gouverneur von Irkutsk, Frauendorf, die Kartoffel nur für sich anbauen ließ.

1765 ordnet der russische Senat an, daß in ganz Ruß­­land die Kartoffel anzubauen sei; zu diesem Senatserlaß
    »über den Anbau und die Ver­wendung der Erdäpfel, die in England Potetes und andernorts Erdbirnen,Tartuffeln oder Kartuffeln genannt werden«

wird eine eingehende Instruktion über Anbau und Lagerung der Kartoffel mitgeliefert. Das Pflanzgut wurde im Ausland aufgekauft; W. S. Lechno­witsch, ein russischer Kartoffelhistoriker, konnte die Herkunft dieser Saat­knollen feststellen: 180 kg vom Hofgärtner Eckleben, 5615 kg aus England, 384 kg aus Lübeck, 144 kg aus dem Proviantvorrat eines englischen Schiffes, das zufälligerweise im Hafen von Kronstadt lag, 1440 kg aus Riga und etwa 100 kg aus Preußen.

In numerierten Fässern wurden diese ins Landes­­innere ver­schickt, aber wie so etwas manchmal passiert: Das medizinische Kolle­giu­m­, das für Import und innerrussische Verschickung zuständig war, hielt die Knolle für frost-immun. Trotz Verpackung in Stroh und Heu erfroren die meisten Kartoffeln auf dem Transport, so daß die ganze Aktion ein Jahr später wieder­holt wurde. Jetzt gelangen auch die ersten Kartoffeln nach Sibirien und von da nach Jakutsk und Kamtschatka; noch heute­ ist ein Kartoffel-Reis-Salat eine sibirische Spezialität. In einer Auflage von mehr als zehntausend Exemplaren wurde den Kartoffeln eine Anweisung zum Anbau und zur Lagerung beigegeben. In der mittelrussischen Waldsteppe entwickelte sich eine Fruchtfolge, die aus Hanf–Kartoffeln–Hanf–Ackerbohnenbestand.

Bis zu ihrer Vertreibung aus dem östlichen Raum der Ostsee im »Nordischen Krieg« am Anfang des 18. Jahrhunderts gehörte Karelien und Ingerien zum schwedischen Einflußbereich. Nach Ingerien wurden die Kartoffeln gleichzeitig wie in den heutigen finnischen Raum erstmals angebaut.

 Im »Siebenjährigen Krieg« lernen russische Sol­daten­ die Kartoffeln in Preußen kennen und brachten sie in verschiedene Gegenden des russischen Reiches, ohne daß aber ein wirtschaftlich bedeutender Anbau erfolgte. In den ersten Jahren nach dieser Anbauphase hieß die Knolle »Tar­tuf­feln«, was deutlich auf ihre Deutsch­stämmigkeit hinweist.

In Rußland verbreitete sich die Kartoffel besonders schnell in Weißrußland und im Grenzgebiet zu Polen, wo der Einfluß der russisch-orthodoxen Kirche geringer war. Im weißrussischem Gebiet von Grodno wurde die Kartoffel sogar als »Grodno« bezeichnet.

Im Süden Rußlands wurde die Kartoffel auch Mandeburke bzw. Mandiburck genannt, was auf eine Ableitung von Brandenburg verweist. In der Ukraine nannte man die Kartoffel auch Baraboli und Barabolje. Die Juden in Rußland bezeichneten die Kartoffel als Bulbe und die Leute, die mit der Kartoffel handelten, wurden Bulbeniks genannt. Karin Vaneker (Amsterdam, 2003) erwähnt in einem Aufsatz über die Kartoffel in der jüdischen Küche, daß im stetl die Bulbenitzes auch mit den Japke handelten; die Kartoffel sei das Manna der modernen jüdischen Geschichte (was wohl für Armenküche aller Religionen gilt). Salaman meint zu der in Osteuropa weit verbreiteten Bezeichnung »Bulbes«, daß sie aus dem griechischen »Bulbos«, geschwollene Wurzel oder Knolle, herrühre.

In der Schweiz schreibt später (1840) Jeremias Gotthelf in dem Entwicklungsroman »Wie Uli der Knecht glücklich wird«:
    »Mit so Tüfelsdreck von Erdöpfeln wolle es sich sein Mänteli nicht verderben lassen.«

 Schon 1790 versuchten nicht nur einzelne Grundherren in Rußland, sondern auch Leute aus den Unterschichten die Kartoffel heimisch zu machen. 1790 wird aber nur noch in der Umgebung von St. Petersburg durch ehemalige deutsche Bauern die Kartoffel angebaut. Doch gegen Ende des Jahrhundert hatte die Kartoffel in der Mehrzahl der Rayons (Be­zirken) den Rübenanbau verdrängt.

1776 und 1768 wurden von dem Bojarensohn Andrej Beresovsky in Illimsk (Ostsibirien) Kartoffeln aus Samen gezogen und damit die ersten sibirischen Sorten entwickelt. 1783 werden Kartoffeln nachweislich in Kamtschatka feldmäßig angebaut, nachdem bereits vorher die Knolle in den Gemüse­gärten heimisch geworden war.

1802 wachsen Kartoffeln in der Nähe von Perm in den Dörfern um die Hauptstadt:
    «Die Bauern essen sie gebacken, gekocht und zu Haferschleim; aus Kartoffelmehl stellen sie Kuchen undSharangi her; in den Städten werden ferner Kartoffelsuppen gekocht, sie werden gebraten und aus dem Kartoffelmehl werden Kisel hergestellt.«

Bis etwa 1820 kamen die Knollen für die Saat vorwiegend aus Deutschland; danach begann – zuerst auf den kaiserlichen Gütern in Bykow – die Züchtung neuer Sorten. Und sogleich entstehen die ersten Gedichte, wie sie auch in deutschen Landen zum Lob der Kartoffel entstanden:
    »Kartoschka, kartoschka,    

    Kakaja tebe best.   

    Kaby ne bylo kartoschki,     

    bego by stali fest?«


      Kartoffel, Kartoffel

      dir gebührt große Ehre

      Wenn es keine Kartoffel gäbe,

      was würden wir dann essen?

Die Getreidemißernte des Jahres 1839 führte jedoch nun zu einem strikten Anbaugebot. Die »kartofel’nye bunty« – die Aufstände der Bauern gegen das Anbaugebot – wurden nach russischer Art, blutig und mit Einsatz des Militärs, niedergeschlagen. Aber immerhin: Danach versuchte man, mit Prämien den Kartoffelanbau zu fördern und hatte mit dieser Maßnahme auch größeren Erfolg. Im Erntejahr 1843 hatte sich gegenüber 1840 der Anbau verfünffacht. Und Kartoffelgerichte lösten­ in den folgenden zwanzig Jahren die Grütze­ (kascha) und Rübengerichte (repa) ab.

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In den 1840er Jahren pflanzt jeder Pächter, sofern er neben seinem Haus noch ein ausreichend großes Stück Land hat, Bohnen, Rüben, Möhren und Kartoffeln an. Gemüse und Obst wurden nicht in riesigen Mengen gegessen, aber spielten auch in Rußland eine bedeutende Rolle bei der Vitaminversorgung. Falls ausreichend Kartoffeln geerntet werden konnten, erzielten die Bauern für ein chet­verik zehn Silberkopeken auf dem städtischen Markt.

Es bleibt jedoch festzuhalten, daß zwanzig ­Jahre später Kartoffeln immer noch nicht zu den üb­lichen Nahrungs­mitteln gehören.

Zu diesem Zeitpunkt waren nicht mehr als etwa eine Million Hektar Ackerland mit Kartoffeln bepflanzt, mit Schwerpunkten in den Gebieten um Moskau, Orel, Tula und Pskov und einige wenigen Provinzen an der Wolga und in Nordrußland. In den 1840er Jahren beginnt mit staatlicher Unter­stützung der Kartoffelanbau anzuwachsen, was insbesondere durch die schlechten Ernten 1839 und 1840 unterstützt wurde. Im August 1840 wird durch einen Ukas vorgeschrieben, daß die Pächter auf den staatseigenen Ländereien Kartoffeln anzubauen hätten; die Kartoffel wird in diesem Zaren­befehl beschrieben als
    »ein gesundes und nahrhaftes Gemüse, das in Zeiten dürftiger Ernte Getreide als ge­wöhnliches Nahrungsmittel ersetzen und auch als Viehfutter für die Haustiere verwendet werden kann.«

Jetzt wurde auch die Heilige Synode verpflichtet, ihren Widerstand auf­zugeben und die (ört­lichen) Priester entsprechend zu instruieren und auf den Nutzen des Kartoffel hinzuweisen. Die ablehnende Haltung der Bauern wurde nicht beachtet; es kam zu örtlichem Widerstand gegen die Ver­pflichtung, Kartoffeln anzubauen – zumeist in den europäischen Teilen Ruß­lands (zum Beispiel in Perm, Orenburg, Kazan, Saratov, Riazan, Moskau).

1840 bis 1842 kam es in der Gegend um Vladimir und Vjatka zu Unruhen; die Proteste der Bauern richteten sich gegen den von der Regierung erzwungenen Kartoffelanbau – basierend auf einen Befehl aus dem Jahr 1834, der aber noch 1840 nicht um­gesetzt wurde.

In Bykovskii zerstörten 1842 die Bauern die Kartoffelfelder und pflanzten statt dessen Hafer an. Insbesondere in den Gebieten, in denen die Leib­eigen­schaft nicht so ausgeprägt war, glaubten die Bauern, die Anordnung, Kartoffeln anzubauen,­ sei ein erster Schritt zur Leibeigenschaft und zur Auf­drängung einer neuen Religion. Bei diesen Kar­toffelunruhen bewaffneten sich die Bauern mit Piken, Äxten und Sensen, so daß zur Niederschlagung dieser Unruhen das Militär eingesetzt werden mußte. Die Kartoffel war nur noch der Aus­löser für die schon vorher bestehende Unzufrieden­heit mit den Lebens­verhältnissen – über einhunderttausend Bauern beteiligten sich an diesen Aufstände: »Mno wetnada, nitschewo na witdje«: nichts zu sehen in der großen Armut.

 
Dennoch: In den Jahren von 1840 bis 1845 verfünffachte sich in Rußland die Anbau­fläche für Kartoffeln und 1860 ist die Knolle als Feldfrucht eingeführt, obwohl gleich­zeitig festgestellt werden kann, daß südlich von Moskau die meisten Bauern­ nicht viel Gemüse gegessen haben sollen, da sie keine ent­sprechen­den Gärten gehabt hätten. Auch Kartoffeln seien hier nicht allgemein ver­breitet gewesen; in der Hauptsache sei es Kohl (als Sauer­kraut und als Suppe), der gegessen werde.

In der Region um Moskau wurden in den 1870er Jahren in den Gärten hauptsächlich Kartoffeln, Steck­rüben, Rettich und Zwiebeln angebaut. In Weiß­rußland verdrängte die Kartoffel den Kohl und die Roten Beete, und in der Ukraine über­nahmen die Roten Beete häufig die Stelle des Kohls, denn auf »Borschtsch« wollte man nicht verzichten. Auch für Rußland gilt, daß die Kartoffeln als minderwertig gegenüber Getreide angesehen wurde­ und insofern als ein Arme-Leute-Essen starteten.                   nach oben

Rußland bzw. nach 1917 die »Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts nach Deutschland, Polen und Frankreich zu den vier größten Anbauländern der Kartoffel. Sein Anteil an der Weltproduktion betrug 1910 mit 20,2 Mio. Tonnen etwa dreizehn Prozent und verdoppelte sich bis 1929 auf angebliche 45,6 Mio. Tonnen mit einem Weltmarktanteil von rund 22 Prozent.

Die Kollektivierung der »Kulaken« (Ausbeuter, wörtlich Faust, wurde der reiche Bauer genannt) durchStalin, am Anfang der 1930er Jahre, einhergehend mit einem­ überzogenen Fünf-Jahres-Plan, führte auch im Kartoffelanbau zu einem drastischen Rückgang.

 Lew Kopelew, der als junger Aktivist an den Eintreibungen in der Ukraine teilgenommen hatte, berichtet:
    »Im schrecklichen Frühling 1933 sah ich Kinder und Frauen mit aufgeblähten Bäuchen, die blau angelaufen waren, noch atmend, aber mit roten Augen. Und Leichen in zerlumpten Schaffellmänteln mit billigen Filzstiefeln, Leichen im schmelzenden Schnee.«

Auch von Kannibalismus in dieser Zeit ist berichtet worden.

 
In den 1980er Jahren betrug die Kartoffel­erzeugung in der Sowjet-Union durchschnittlich (angeblich) 92,6 Mil­lionen Tonnen, während in der deutschen Bundes­republik, dem sog. klassischen Kartoffelesserland, weniger als zehn Millionen Tonnen aus­gebuddelt wurden.

Lenin sagte 1920 in einer Rede an die Jugend­verbände: »Kommunismus ist Elektrifizierung plus Sowjetmacht«. 1924 soll die Witwe Lenins, Na­djeschda Konstantinowna Krupskaja, im Zusammenhang mit der »Neuen Ökonomischen Politik« hinzugesetzt haben: »und Kartoffelanbau«.

 Und ein weiteres Mal wird die Kartoffel in der Sowjetunion auf »höchster Ebene« behandelt: Auf dem XXI. Parteitag wirft Nikita Chruschtschew seinem partei-internen Gegner Wjatsches­law Molo­tow vor, weil dieser jedem Rayon die Selbstversorgung mit Kartoffeln vorschreiben wollte – eine wahrlich »parteifeindliche Haltung der spalte­rischen Gruppe«.

 
Jan III. Sobieski, der polnische Nationalheld, ließ sich 1673 nach seinen Kämpfen gegen die Türken die Knollen aus Wien schicken, Die polnischen Edelleute hatten mehr Mut zum Genuß, denn bereits 1676 kamen die Kartoffeln auf dem Tisch.

Noch Mitte des 18. Jahrhunderts gelang der Anbau der Kartoffel in Polen nicht so recht; ein Beamter des polnisch-sächsischen Königs Friedrich August III. (1733–1763) klagte:
    »Ich wollte, ich könnte den Anbau der Kartoffel einführen, die fast un­bekannt ist.«

Während der sächsischen Herrschaft in Polen (Friedrich August II. von Sachsen ab 1697 bis Friedrich August III. 1813 und wieder von 1807 bis 1813 unter Friedrich August König von Sachsen und Herzog von Warschau) wuchsen die bulwy, die »Erd­linge«,die der Gemüsehändler £uba von 1697 bis 1733 anbaute.in einem Garten nahe Nowolipki (bei Warschau), £uba soll dabei reich geworden sein, denn die Kartoffel diente nicht der Fütterung von Vieh, sondern dem Adel als besondere Delikatesse.

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Am 27. Juli 1748 schreibt König Friedrich II. von Preußen, daß preußische Bauern von litauischen Bauern lernen sollten, wie man Kartoffeln anbaue. Die friderizianischen Kartoffeledikte und der daraus folgenden verstärkte Kartoffelanbau führte um­gekehrt zu einem starken Anwachsen des Knollenanbaus im Westen und Süden Litauens.

In einem Handbuch aus dem Jahr 1795 über die polnische Wirtschaft wird die Kartoffel erwähnt und der Nutzen beschrieben. 1805 wird in der »Gazeta Wieyska«, einer Dorfzeitung, berichtet, daß der Unternehmer Jablonny aus London ­gelbe, helle und andere Kartoffeln importierte, die als »Eng­lische« bezeichnet werden.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchsen die Knollen auch auf den Feldern im Herzogtum Warschau. Nach der Hungersnot 1816/1817 verbreitete sich die Kartoffel sehr schnell auch in anderen Teilen Polens. 1819 wird in der »Gazeta Wieyska« über Fragen wie der Auslese von Setzlingen, über die Notwendigkeit des separaten Setzens verschiedener Sorten, über die Auswahl des richtigen Ackerbodens, über die Verwendung von Pflügen beim Kartoffelanbau und über den Einsatz von Dünger berichtet. Außerdem schreibt die »Gazeta« über die Folgen des zu ­frühen Abschneidens des Kartoffelkrauts, über Sorten­veränderung durch Okulieren und – besonders wichtig – über die Herstellung von Stärke und Alkohol aus Kartoffeln.

1825 schreibt Oczapowski in seiner Schrift »Vom Acker, seinem Bau und der Pflanzenpflege« und 1826 in »Landwirtschaft«, dem zweiten Band über Geschichte und Anbau der Knolle:
    »Die Kartoffeln in unserem Land waren während der Herrschaft von König Stanislaw (August Poniatowski, 1764–1795) noch eine Seltenheit, aber jetzt werden sie bald nicht einmal von den Mäusen gegessen.«

Oczapowski unterscheidet zwischen frühen und späten Arten und gibt ihre Eigenschaften an. 1895 schreibt Kowalski in seiner »Landwirtschaftlichen Enzyklopädie«, daß nach 1817 der Kartoffelanbau auf allen möglichen Wegen popularisiert wurde:
    »Wer weiß, welches Ausmaß er genommen hätte, wenn nicht im Jahr 1844 eine Seuche, die sich in ein paar Jahren über ganz Europa ausgebreitet hätte, fast alle Sorten vernichtet hätte«.


Zum Zeitpunkt der Seuche hätte der Anteil der Kartoffelanbaufläche fast ein Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Polens betragen. Wie in Irland führt die Braunfäule zu einer Auswanderungswelle nach Amerika7. Anfang der 1840er Jahre war die Kartoffel zur Hauptnahrungsquelle für die polnischen Manufaktur- und Fabrikarbeiter geworden – auch hier eine Parallele zu den westeuropäischen Ländern.

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Anmerkungen

 

1 Die Geschichte der Stadt beginnt am Dreifaltigkeitstag 1703 (16. Mai ), als Peter der Große entscheidet, an der Mündung der Newa eine Festung zu bauen. Der ursprüngliche Name »Sankt Piters Burch« wurde binnen kurzem eingedeutscht – »Sankt Peterburg«. Die russischen Geistlichen bezogen sich auf den ursprünglichen Namen und nannten die Stadt kirchenslawisch »Grad svjatago Petta«, die Stadt des Heiligen Petrus, denn nach diesem wurde dieser Ort benannt und nicht nach dem Zaren Peter; Petersburg sollte ein Gegen­gewicht zu Rom werden, das »neue Jerusalem«. In der Umgangssprache wurde »Piter« gesagt, die Gelehrten sprachen von »Petropolis«.  

Der kaiserliche Resident Otto Pleyer schrieb aus Moskau:
    »alle Teutsche und russische Matrosen, und schiffers aus dem ganzen reich zusammen berueffen, wie dann auch fast alle anderen russischen Handwerker und Arbeitsleut dahin entbothen werde. Auch wird aller Butter, Korn, Knobloch, Zwiffel und andere Victua­lien mehr und mehr aus Moscau dahin verschaffet, wodurch eine solche Teurung hier einreiset, dass man fast auf lenge kaum wird seine notdurfft zu leben erkaufen und bekommen dürfen.« 

Peter der Große ordnet 1712 auch an, daß »dass dero truppen nicht länger Moscowiter, sondern Russen genennet werden.«                   zurück

 

2 Bis zu Peter I. besaß die russische Frau kein Recht auf Müßiggang; an hohen kirch­lichen Feiertagen war den Frauen­ immerhin verboten, zu waschen oder ihre Zöpfe zu flechten, aber sie hatten sich zum Singen (im »Terem«, einem fraueneigenen Gebäude­teil) zu versammeln, um dabei zu spinnen und zu stricken. Der »Domostroj«, das Moral- und Anstandsbuch, forderte, daß die Herrin des Hauses, sofern sie gesund sei, nicht untätig herumsitzen dürfe, »damit ­allein schon bei ihrem Anblick die Knechte und Mägde die Lust zum Arbeiten packt.«  

Dieser Grundsatz wird ­heutzutage im Manage­ment großer Unternehmen beachtet – nur handelt es sich hier um die Büroräume der Geschäftsleitung: rex sacrorum.                  zurück

 

3 Der russische Hanf war weltweit die am besten für die Schiffahrt geeignete Faser; aus russischem Hanf bestand etwa 70 Prozent des Segel- und Tauwerks der britischen Marine. Bis 1883 wurden zwischen 75 und 90 Prozent des weltweit produzierten Papiers aus Hanf hergestellt.  

Eine Anmerkung: Auf Betreiben der Burenregierung in ­Südafrika kommt Hanf 1925 auf die internationale Verbotsliste, weil sich die hanf-rauchende einheimische Bevölkerung einer geordneten Ausbeutung widersetzt. Außerdem kamen die ersten chemische Rohstoffe für Textilien auf (für die ein Markt von der US-Firma DuPont geschaffen werden ­mußte), und die Alkohol-Prohibition in den Vereinigten Staaten wurde beendet, so daß die Gefahr arbeitsloser Polizisten aus dem Drogen-Verfolgungsapparat und Mafia-Angehörigen bestand (nur unter den Bedingungen des illegalen Marktes konnte der Mob existieren). 

Das Bayerische Oberste Landgericht beschloß 1969 fest­zustellen, daß das Genuß-Verbot von Cannabis mit dem Grundgesetz vereinbar sei und zitierte hierbei amtliche Quellen: »Der Konsum durch Jugendliche erscheint vielen Beobachtern als ein Symbol der Revolte gegen die be­stehende Ordnung der Dinge. ... Bei dieser Sachlage kann ­keine Rede davon sein, daß die Ungefährlichkeit von Haschisch erwiesen« sei.                   zurück

 

4 Die Altgläubigen, eine Absplitterung von der russisch-orthodoxen Staatskirche, waren auch aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen gegen die Kartoffel. Im Rahmen seiner Modernisierungs­bemühungen erließ Peter I. eine Bartverordnung, wonach sich die Russen den Bart ab­schneiden mußten. Altgläubige, die sich den Bart nicht abschnitten, mußten eine Bartsteuer von fünfzig Rubel zahlen; da zogen einige doch lieber mit Weib und Kind ans Schwarze Meer.  

Peter I. zog auch bei einer anderen Gelegenheit an den ­Haaren: Nach seinem Herrschaftsantritt hat er seine Halbschwester Sofija (die für ihn vorher die Regentschaft geführt hatte) die Haare scheren und ins Kloster bringen ­lassen. 

Möglichweise ging es den Altgläubigen ­­– wie auch den Ortho­doxen in anderen Religionsgemeinschaften ­­– nur um die Ikonographie, um die publikumswirksame Darstellung des Paradieses. Zugegeben, ein rotbäckiger Apfel macht sich besser auf einem Bild als eine erdige dunkelbräunliche Knolle.                    zurück

 

5 Den Einwanderern wurde Reisegeld, Berufs- und Religions­freiheit, Steuerfreiheit auf dreißig Jahre, Befreiung vom Wehrdienst auf ewige Zeiten, zinslose Kredite und noch mehr versprochen. Tatsächlich landeten sie in der Wildnis von Saratow, lebten in Erdhütten, verschuldeten sich auf Jahrzehnte, um ein Kalmückenpferd zu kaufen oder wegen einer Kuh, eines Hakenpflugs oder Wagenräder. Die in Sibi­rien siedelnden Mennoniten dagegen waren um 1870 herum die Musterlandwirte des Zarenreiches; nicht nur im Glauben eher konservativ, waren sie – wie die aus Württemberg, dem Musterländle, kommenden Mennoniten – allen technischen Neuerungen gegenüber auf­geschlossen. 

In der preußischen Propaganda während und nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) wurde behauptet, daß die Auswanderer aus der Provinz Preußen von den Russen, damals noch Moskowiter genannt, verschleppt wurden, »um die öden Provinzen einer barbarischen Nation zu bevölkern.« Friedrich II. erließ sogar ein Auswanderungsverbot, denn die Kalmücken, Kosaken und Tataren, die als Verbündete Österreichs nach Preußen gekommen waren, hätten das Land mit Feuer und Schwert zerstört, »und zwar auf eine Art, die seit den Zeiten der Hunnen nicht in Europa erlebt worden war. Die Unmenschen mordeten oder verstümmelten unbewaffnete Leute aus satanischer Lust.«  

Und es seien sogar Menschenfresser gewesen; so habe man auf dem Schlachtfeld von Groß-Jägersdorf einen Russen gefunden, »der tödlich verwundet auf einem sterbenden Preußen lag, und ihn mit seinen Zähnen zerfleischte.«. »Menschen gesitteter Völker haben diesen Krieg geführt, aber es haben sich auch Teufel in Menschengstalt eingefunden, die die Hölle zur Grausamkeit entzündet hatte.«, schrieb der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim. So kann es kommen, wenn man einen Präventiv-Krieg gegen die Österreicher anfängt. 

Deutsche Landesherren ver­schärften aufgrund dieser Auswanderung die Emigrationsgesetze, da die Auswanderungslust zu einem Mangel an Knechten und Mägden­ führte. Als 1874 in Rußland die Befreiung vom Militärdienst auf­gehoben wurde, wanderten die Deutschen aus nach Nord- und Südamerika. 

Am Ende des 20. Jahrhunderts kamen die russischen Nachkommen dieser katharinischen Einwanderer nach Deutschland (»zurück«), wobei nur diejenigen aufgenommen werden sollten, die noch in der »deutschen Kultur« verhaftet waren oder zumindest deutsch sprachen (gemeint war »deutsch denken«) oder zumindest einen Deutschen Schäferhund ihr eigen nennen durften. Das war bereits vor jener Zeit, als Deutschland noch kein Einwandererland war und führte zum Erstarken rechtsradikaler Parteien.                    zurück

 

6 Ingerien, Ingermanland, ist eine historische Landschaft im Nordwesten Rußlands, zwischen Finnischem Meer­busen, Narwa, Ladogasee und Newa; nach dem westfinnischen Stamm der Ingern benannt; gehörte im Mittelalter zu Nowgorod, kam 1478 zum Großfürstentum Moskau, 1617 an Schweden und 1721 an Rußland. Bei der Auf­lösung der Sowjetunion 1992 haben die Einwohner ver­gessen, sich selbständig zu machen (siehe auch die Erläuterung zur Briefmarke).                   zurück

 

7 Karin Vaneker meint, es sei wahrscheinlich, daß Juden die Kartoffel schon bei ihren erstem Bekanntwerden als koscher betrachteten. Grundsätzlich seien Juden aufgrund ihrer sonst sehr strengen Vorschriften nicht beschränkt beim Verzehr von Pflanzen. Die vielen internationalen Kontakte, die jüdische Gemeinden im 17. Jahrhundert hatten, brachten sie in Kontakt zu Nahrungsmitteln anderer Länder (z.B. Olivenöl, Mandeln, ungesäuertes Brot). Strittig war es unter den Rabbinern, ob die Kartoffel zu den Gemüsen gehöre, denn während der Passahzeit waren Erbsen und Bohnen und deren verwandte Pflanzen verboten; der Rabbi von Wilna bezweifelte die Zugehörigkeit der Kartoffel zu den Gemüsen.  

Entscheidend für den Durchbruch als Nahrungsmittel auch in der Passahzeit war schließlich die Herkunft der Knolle aus Amerika, denn somit konnte sie nicht verboten worden sein. Am Vorabend des Passahfestes wurde die Kartoffel sogar benutzt anstelle der traditionellen Selleriewurzel: Die Knolle wurde in salzigem Wasser oder Essig eingetaucht und symbolisierte die Tränen und den Schweiß der Juden während der ägyptischen Sklaverei. 

Wir haben hier auf die internationalen Kontakte der jüdischen Gemeinde verwiesen und deren Auswirkungen auf die jüdische Küche. Eine Parallele findet sich, wie an anderer Stelle aufgeführt, bei den Waldensern.                   zurück

 

8 In Kisel schwingt Kiechl mit, es klingt nach Mehlklößen, nach Kartoffelknödel – aus Bayern.                      zurück




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