Kartoffelsünder
Zar Peter I. der Grosse von Rußland lernte bei seiner
Reise nach Westeuropa neben Schiffbau
auch die Kartoffel kennen. Er warb für das
rückständige Reich Handwerker, Schiffbauer und
Facharbeiter an – insbesondere aus Holland – und diese
brachten die Kartoffel mit, die dann in der Gegend um
Petersburgangebaut wurde. Es war
ein Teil seiner Bemühungen, Rußland zu modernisieren,
das Volk aus seinem dumpfen Glauben an ein
gottgegebenes Schicksal herauszuholen
(natürlich nicht zu weit!) – zum Wohl des
Zarenreiches, also zu seinem Wohl. Er setzte dabei
listigerweise auf den Einfluß der Frauen.
Schon während seiner ersten Reise ins Ausland (9. März
1697 bis 25. August 1698) schickte er aus Holland
einen Sack Kartoffeln an seinen Feldmarschall Boris
Scheremetjev, aber der Verbleib dieser Kartoffeln
ist nicht bekannt.
Der Versuch des Zaren, die Kartoffel, die JAPRNTFKZ, im
ganzen Reich heimisch werden zu lassen, verzögerte sich
um mehrere Jahrzehnte, weil die Einführung zufälliger
weise mit einer Pest-Epidemie
zusammenfiel und dies vom feudalen Bojarenadel (dessen
Macht und Reichtum sich auf den Anbau von Getreide und
Hanf stützte) und dem mit ihm
verbündeten griechisch-orthodoxen Patriarchat der
Kartoffel zugeschrieben wurde.
Die
Altgläubigen waren der
Kartoffel nicht wohlgesonnen: Die Kartoffel sei
»die verbotene Frucht, welche die beiden ersten
Menschen aßen; jeder, der die Kartoffeln ißt, ist
Gott nicht gehorsam, verstößt gegen die Heilige
Schrift und komme niemals in das königliche
Himmelsreichs.«
Auch sei die Kartoffel aus dem Körper der Sünderin und
aus der Spucke des Teufels entstanden. Deshalb sei es
allen Christen verboten, die Kartoffel zu essen. So sei
es!
Unter Kaiserin Anna Ivanovabeginnt in der Zeit von 1730
bis 1740 der Kartoffelanbau sich auf die Güter um St.
Petersburg herum auszudehnen. Für 1736 liegt ein Beleg
über die Kartoffel in Rußland vor und zwar im Katalog
des Petersburger Arzneimittelgartens.
1741 werden bei einem Festessen am kaiserlichen Hof in
St. Petersburg auch gereicht; da die Kartoffel hier nur
in Mengen von ¼ bis 1¼ Pfund gereicht wurde, ist davon
auszugehen, daß die Kartoffel noch verhältnismäßig
unbekannt war. In einer Verbrauchsliste des
kaiserlichen Hofes aus demselben Jahr werden für den
Monat Juni sechs Pfund Kartoffel aufgeführt; es muß sich
um Frühkartoffeln gehandelt haben.
Die Prinzessin Sophie Fri
ederike
Auguste von Anhalt-Zerbst
, die sich als
KaiserinKatharina II. nannte, siedelte nach 1762
deutsche Bauern an der unteren Wolga und auf der
Krim an und ließ – fortschrittlicher
als Preußens Friedrich – Volksschulen und
Gymnasienerrichten. Mit den deutschen Bauern kamen auch
die Kartoffeln wieder, obwohl diese Einwanderer für den
Getreideanbau vorgesehen waren.
1764 wird über die Knolle berichtet, daß sie in den
Gemüsegärten von Kiew wachse. Ihr Anbau in Livland und
Estland (Kurland) war weit verbreitet, in den Bezirken
von Nowgorod, Pskow, Twer (in der Nähe von
Königsberg/Kaliningrad) und anderen wurde sie aber
weiterhin nur als Arzneimittel und der aphrodisischen
Wirkung wegen angebaut. Dafür spricht auch, daß der
Gouverneur von Irkutsk, Frauendorf, die Kartoffel nur
für sich anbauen ließ.
1765 ordnet der russische Senat an, daß in ganz
Rußland die Kartoffel anzubauen sei; zu diesem
Senatserlaß
»über den Anbau und die Verwendung der Erdäpfel, die
in England Potetes und andernorts Erdbirnen,Tartuffeln
oder Kartuffeln genannt werden«
wird eine eingehende Instruktion über Anbau und Lagerung
der Kartoffel mitgeliefert. Das Pflanzgut wurde im
Ausland aufgekauft; W. S. Lechnowitsch, ein russischer
Kartoffelhistoriker, konnte die Herkunft dieser
Saatknollen feststellen: 180 kg vom Hofgärtner
Eckleben, 5615 kg aus England, 384 kg aus Lübeck, 144 kg
aus dem Proviantvorrat eines englischen Schiffes, das
zufälligerweise im Hafen von Kronstadt lag, 1440 kg aus
Riga und etwa 100 kg aus Preußen.
In numerierten Fässern wurden diese ins Landesinnere
verschickt, aber wie so etwas manchmal passiert: Das
medizinische Kollegium, das für Import und
innerrussische Verschickung zuständig war, hielt die
Knolle für frost-immun. Trotz Verpackung in Stroh und
Heu erfroren die meisten Kartoffeln auf dem Transport,
so daß die ganze Aktion ein Jahr später wiederholt
wurde. Jetzt gelangen auch die ersten Kartoffeln nach
Sibirien und von da nach Jakutsk und Kamtschatka; noch
heute ist ein Kartoffel-Reis-Salat eine sibirische
Spezialität. In einer Auflage von mehr als zehntausend
Exemplaren wurde den Kartoffeln eine Anweisung zum Anbau
und zur Lagerung beigegeben. In der mittelrussischen
Waldsteppe entwickelte sich eine Fruchtfolge, die aus
Hanf–Kartoffeln–Hanf–Ackerbohnenbestand.
Bis zu ihrer Vertreibung aus dem
östlichen
Raum der Ostsee im »Nordischen Krieg« am Anfang des 18.
Jahrhunderts gehörte Karelien und Ingerien zum
schwedischen Einflußbereich. Nach
Ingerien
wurden die Kartoffeln gleichzeitig wie in den heutigen
finnischen Raum erstmals angebaut.
Im »Siebenjährigen Krieg« lernen russische
Soldaten die Kartoffeln in Preußen kennen und brachten
sie in verschiedene Gegenden des russischen Reiches,
ohne daß aber ein wirtschaftlich bedeutender Anbau
erfolgte. In den ersten Jahren nach dieser Anbauphase
hieß die Knolle »Tartuffeln«, was deutlich auf ihre
Deutschstämmigkeit hinweist.
In Rußland verbreitete sich die Kartoffel besonders
schnell in Weißrußland und im Grenzgebiet zu Polen, wo
der Einfluß der russisch-orthodoxen Kirche geringer war.
Im weißrussischem Gebiet von Grodno wurde die Kartoffel
sogar als »Grodno« bezeichnet.
Im Süden Rußlands wurde die Kartoffel auch Mandeburke
bzw. Mandiburck genannt, was auf eine Ableitung von
Brandenburg verweist. In der Ukraine nannte man die
Kartoffel auch Baraboli und Barabolje. Die Juden in
Rußland bezeichneten die Kartoffel als Bulbe und die
Leute, die mit der Kartoffel handelten, wurden Bulbeniks
genannt. Karin Vaneker (Amsterdam, 2003) erwähnt in
einem Aufsatz über die Kartoffel in der jüdischen Küche,
daß im
stetl die
Bulbenitzes
auch mit den
Japke handelten; die Kartoffel sei
das Manna der modernen jüdischen Geschichte (was wohl
für Armenküche aller
Religionen
gilt). Salaman meint zu der in Osteuropa weit
verbreiteten Bezeichnung »Bulbes«, daß sie aus dem
griechischen »Bulbos«, geschwollene Wurzel oder Knolle,
herrühre.
In der Schweiz schreibt später (1840) Jeremias Gotthelf
in dem Entwicklungsroman »Wie Uli der Knecht glücklich
wird«:
»Mit so Tüfelsdreck von Erdöpfeln wolle es sich sein
Mänteli nicht verderben lassen.«
Schon 1790 versuchten nicht nur einzelne
Grundherren in Rußland, sondern auch Leute aus den
Unterschichten die Kartoffel heimisch zu machen. 1790
wird aber nur noch in der Umgebung von St. Petersburg
durch ehemalige deutsche Bauern die Kartoffel angebaut.
Doch gegen Ende des Jahrhundert hatte die Kartoffel in
der Mehrzahl der Rayons (Bezirken) den Rübenanbau
verdrängt.
1776 und 1768 wurden von dem Bojarensohn Andrej
Beresovsky in Illimsk (Ostsibirien) Kartoffeln aus Samen
gezogen und damit die ersten sibirischen Sorten
entwickelt. 1783 werden Kartoffeln nachweislich in
Kamtschatka feldmäßig angebaut, nachdem bereits vorher
die Knolle in den Gemüsegärten heimisch geworden war.
1802 wachsen Kartoffeln in der Nähe von Perm in den
Dörfern um die Hauptstadt:
«Die Bauern essen sie gebacken, gekocht und zu
Haferschleim; aus Kartoffelmehl stellen sie Kuchen undSharangi her; in den
Städten werden ferner Kartoffelsuppen gekocht, sie
werden gebraten und aus dem Kartoffelmehl werden Kisel hergestellt.«
Bis etwa 1820 kamen die Knollen für die Saat vorwiegend
aus Deutschland; danach begann – zuerst auf den
kaiserlichen Gütern in Bykow – die Züchtung neuer
Sorten. Und sogleich entstehen die ersten Gedichte, wie
sie auch in deutschen Landen zum Lob der Kartoffel
entstanden:
»Kartoschka, kartoschka,
Kakaja tebe best.
Kaby ne bylo kartoschki,
bego by stali fest?«
Kartoffel, Kartoffel
dir gebührt große Ehre
Wenn es keine Kartoffel gäbe,
was würden wir dann essen?
Die Getreidemißernte des Jahres 1839 führte jedoch nun
zu einem strikten Anbaugebot. Die »kartofel’nye bunty« –
die Aufstände der Bauern gegen das Anbaugebot – wurden
nach russischer Art, blutig und mit Einsatz des
Militärs, niedergeschlagen. Aber immerhin: Danach
versuchte man, mit Prämien den Kartoffelanbau zu fördern
und hatte mit dieser Maßnahme auch größeren Erfolg. Im
Erntejahr 1843 hatte sich gegenüber 1840 der Anbau
verfünffacht. Und Kartoffelgerichte lösten in den
folgenden zwanzig Jahren die Grütze (kascha) und
Rübengerichte (repa) ab.
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In den 1840er Jahren pflanzt jeder Pächter, sofern er
neben seinem Haus noch ein ausreichend großes Stück Land
hat, Bohnen, Rüben, Möhren und Kartoffeln an. Gemüse und
Obst wurden nicht in riesigen Mengen gegessen, aber
spielten auch in Rußland eine bedeutende Rolle bei der
Vitaminversorgung. Falls ausreichend Kartoffeln geerntet
werden konnten, erzielten die Bauern für ein
chetverik
zehn Silberkopeken auf dem städtischen Markt.
Es bleibt jedoch festzuhalten, daß zwanzig Jahre später
Kartoffeln immer noch nicht zu den üblichen
Nahrungsmitteln gehören.
Zu diesem Zeitpunkt waren nicht mehr als etwa eine
Million Hektar Ackerland mit Kartoffeln bepflanzt, mit
Schwerpunkten in den Gebieten um Moskau, Orel, Tula und
Pskov und einige wenigen Provinzen an der Wolga und in
Nordrußland. In den 1840er Jahren beginnt mit
staatlicher Unterstützung der Kartoffelanbau
anzuwachsen, was insbesondere durch die schlechten
Ernten 1839 und 1840 unterstützt wurde. Im August 1840
wird durch einen Ukas vorgeschrieben, daß die Pächter
auf den staatseigenen Ländereien Kartoffeln anzubauen
hätten; die Kartoffel wird in diesem Zarenbefehl
beschrieben als
»ein gesundes und nahrhaftes Gemüse, das in Zeiten
dürftiger Ernte Getreide als gewöhnliches
Nahrungsmittel ersetzen und auch als Viehfutter für
die Haustiere verwendet werden kann.«
Jetzt wurde auch die Heilige Synode verpflichtet, ihren
Widerstand aufzugeben und die (örtlichen) Priester
entsprechend zu instruieren und auf den Nutzen des
Kartoffel hinzuweisen. Die ablehnende Haltung der Bauern
wurde nicht beachtet; es kam zu örtlichem Widerstand
gegen die Verpflichtung, Kartoffeln anzubauen – zumeist
in den europäischen Teilen Rußlands (zum Beispiel in
Perm, Orenburg, Kazan, Saratov, Riazan, Moskau).
1840 bis 1842 kam es in der Gegend um Vladimir und
Vjatka zu Unruhen; die Proteste der Bauern richteten
sich gegen den von der Regierung erzwungenen
Kartoffelanbau – basierend auf einen Befehl aus dem Jahr
1834, der aber noch 1840 nicht umgesetzt wurde.
In Bykovskii zerstörten 1842 die Bauern die
Kartoffelfelder und pflanzten statt dessen Hafer an.
Insbesondere in den Gebieten, in denen die
Leibeigenschaft nicht so ausgeprägt war, glaubten die
Bauern, die Anordnung, Kartoffeln anzubauen, sei ein
erster Schritt zur Leibeigenschaft und zur Aufdrängung
einer neuen Religion. Bei diesen Kartoffelunruhen
bewaffneten sich die Bauern mit Piken, Äxten und Sensen,
so daß zur Niederschlagung dieser Unruhen das Militär
eingesetzt werden mußte. Die Kartoffel war nur noch der
Auslöser für die schon vorher bestehende
Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen – über
einhunderttausend Bauern beteiligten sich an diesen
Aufstände: »Mno wetnada, nitschewo na witdje«: nichts zu
sehen in der großen Armut.
Dennoch: In den Jahren von 1840 bis 1845 verfünffachte
sich in Rußland die Anbaufläche für Kartoffeln und 1860
ist die Knolle als Feldfrucht eingeführt, obwohl
gleichzeitig festgestellt werden kann, daß südlich von
Moskau die meisten Bauern nicht viel Gemüse gegessen
haben sollen, da sie keine entsprechenden Gärten
gehabt hätten. Auch Kartoffeln seien hier nicht
allgemein verbreitet gewesen; in der Hauptsache sei es
Kohl (als Sauerkraut und als Suppe), der gegessen
werde.
In der Region um Moskau wurden in den 1870er Jahren in
den Gärten hauptsächlich Kartoffeln, Steckrüben,
Rettich und Zwiebeln angebaut. In Weißrußland
verdrängte die Kartoffel den Kohl und die Roten Beete,
und in der Ukraine übernahmen die Roten Beete häufig
die Stelle des Kohls, denn auf »Borschtsch« wollte man
nicht verzichten. Auch für Rußland gilt, daß die
Kartoffeln als minderwertig gegenüber Getreide angesehen
wurde und insofern als ein Arme-Leute-Essen
starteten.
nach oben
Rußland bzw. nach 1917 die »Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken« gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts
nach Deutschland, Polen und Frankreich zu den vier
größten Anbauländern der Kartoffel. Sein Anteil an der
Weltproduktion betrug 1910 mit 20,2 Mio. Tonnen etwa
dreizehn Prozent und verdoppelte sich bis 1929 auf
angebliche 45,6 Mio. Tonnen mit einem Weltmarktanteil
von rund 22 Prozent.
Die Kollektivierung der »Kulaken« (Ausbeuter, wörtlich
Faust, wurde der reiche Bauer genannt) durchStalin, am
Anfang der 1930er Jahre, einhergehend mit einem
überzogenen Fünf-Jahres-Plan, führte auch im
Kartoffelanbau zu einem drastischen Rückgang.
Lew Kopelew, der als junger Aktivist an den
Eintreibungen in der Ukraine teilgenommen hatte,
berichtet:
»Im schrecklichen Frühling 1933 sah ich Kinder und
Frauen mit aufgeblähten Bäuchen, die blau angelaufen
waren, noch atmend, aber mit roten Augen. Und Leichen
in zerlumpten Schaffellmänteln mit billigen
Filzstiefeln, Leichen im schmelzenden Schnee.«
Auch von Kannibalismus in dieser Zeit ist berichtet
worden.
In den 1980er Jahren betrug die Kartoffelerzeugung in
der Sowjet-Union durchschnittlich (angeblich) 92,6
Millionen Tonnen, während in der deutschen
Bundesrepublik, dem sog. klassischen
Kartoffelesserland, weniger als zehn Millionen Tonnen
ausgebuddelt wurden.
Lenin sagte 1920 in einer Rede an die Jugendverbände:
»Kommunismus ist Elektrifizierung plus Sowjetmacht«.
1924 soll die Witwe Lenins, Nadjeschda Konstantinowna
Krupskaja, im Zusammenhang mit der »Neuen Ökonomischen
Politik« hinzugesetzt haben: »und Kartoffelanbau«.
Und ein weiteres Mal wird die Kartoffel in der
Sowjetunion auf »höchster Ebene« behandelt: Auf dem XXI.
Parteitag wirft Nikita Chruschtschew seinem
partei-internen Gegner Wjatscheslaw Molotow vor, weil
dieser jedem Rayon die Selbstversorgung mit Kartoffeln
vorschreiben wollte – eine wahrlich »parteifeindliche
Haltung der spalterischen Gruppe«.
Jan III. Sobieski, der polnische Nationalheld, ließ sich
1673 nach seinen Kämpfen gegen die Türken die Knollen
aus Wien schicken, Die polnischen Edelleute hatten mehr
Mut zum Genuß, denn bereits 1676 kamen die Kartoffeln
auf dem Tisch.
Noch Mitte des 18. Jahrhunderts gelang der Anbau der
Kartoffel in Polen nicht so recht; ein Beamter des
polnisch-sächsischen Königs Friedrich August III.
(1733–1763) klagte:
»Ich wollte, ich könnte den Anbau der Kartoffel
einführen, die fast unbekannt ist.«
Während der sächsischen Herrschaft in Polen (Friedrich
August II. von Sachsen ab 1697 bis Friedrich August III.
1813 und wieder von 1807 bis 1813 unter Friedrich August
König von Sachsen und Herzog von Warschau) wuchsen die
bulwy,
die »Erdlinge«,die der Gemüsehändler £uba von 1697
bis 1733 anbaute.in einem Garten nahe Nowolipki (bei
Warschau), £uba soll dabei reich geworden sein, denn die
Kartoffel diente nicht der Fütterung von Vieh, sondern
dem Adel als besondere Delikatesse.
nach oben
Am 27. Juli 1748 schreibt König Friedrich II. von
Preußen, daß preußische Bauern von litauischen Bauern
lernen sollten, wie man Kartoffeln anbaue. Die
friderizianischen Kartoffeledikte und der daraus
folgenden verstärkte Kartoffelanbau führte umgekehrt zu
einem starken Anwachsen des Knollenanbaus im Westen und
Süden Litauens.
In einem Handbuch aus dem Jahr 1795 über die polnische
Wirtschaft wird die Kartoffel erwähnt und der Nutzen
beschrieben. 1805 wird in der »Gazeta Wieyska«, einer
Dorfzeitung, berichtet, daß der Unternehmer Jablonny aus
London gelbe, helle und andere Kartoffeln importierte,
die als »Englische« bezeichnet werden.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchsen die Knollen auch
auf den Feldern im Herzogtum Warschau. Nach der
Hungersnot 1816/1817 verbreitete sich die Kartoffel sehr
schnell auch in anderen Teilen Polens. 1819 wird in der
»Gazeta Wieyska« über Fragen wie der Auslese von
Setzlingen, über die Notwendigkeit des separaten Setzens
verschiedener Sorten, über die Auswahl des richtigen
Ackerbodens, über die Verwendung von Pflügen beim
Kartoffelanbau und über den Einsatz von Dünger
berichtet. Außerdem schreibt die »Gazeta« über die
Folgen des zu frühen Abschneidens des Kartoffelkrauts,
über Sortenveränderung durch Okulieren und – besonders
wichtig – über die Herstellung von Stärke und Alkohol
aus Kartoffeln.
1825 schreibt Oczapowski in seiner Schrift »Vom Acker,
seinem Bau und der Pflanzenpflege« und 1826 in
»Landwirtschaft«, dem zweiten Band über Geschichte und
Anbau der Knolle:
»Die Kartoffeln in unserem Land waren während der
Herrschaft von König Stanislaw (August Poniatowski,
1764–1795) noch eine Seltenheit, aber jetzt werden sie
bald nicht einmal von den Mäusen gegessen.«
Oczapowski unterscheidet zwischen frühen und späten
Arten und gibt ihre Eigenschaften an. 1895 schreibt
Kowalski in seiner »Landwirtschaftlichen Enzyklopädie«,
daß nach 1817 der Kartoffelanbau auf allen möglichen
Wegen popularisiert wurde:
»Wer weiß, welches Ausmaß er genommen hätte, wenn
nicht im Jahr 1844 eine Seuche, die sich in ein paar
Jahren über ganz Europa ausgebreitet hätte, fast alle
Sorten vernichtet hätte«.
Zum Zeitpunkt der Seuche hätte der Anteil der
Kartoffelanbaufläche fast ein Drittel der gesamten
landwirtschaftlichen Nutzfläche Polens betragen. Wie in
Irland führt die Braunfäule zu einer Auswanderungswelle
nach Amerika7. Anfang der 1840er Jahre war die Kartoffel
zur Hauptnahrungsquelle für die polnischen Manufaktur-
und Fabrikarbeiter geworden – auch hier eine Parallele
zu den westeuropäischen Ländern.
nach oben
Anmerkungen
1 Die Geschichte der Stadt beginnt am
Dreifaltigkeitstag 1703 (16. Mai ), als Peter der Große
entscheidet, an der Mündung der Newa eine Festung zu
bauen. Der ursprüngliche Name »Sankt Piters Burch« wurde
binnen kurzem eingedeutscht – »Sankt Peterburg«. Die
russischen Geistlichen bezogen sich auf den
ursprünglichen Namen und nannten die Stadt
kirchenslawisch »Grad svjatago Petta«, die Stadt des
Heiligen Petrus, denn nach diesem wurde dieser Ort
benannt und nicht nach dem Zaren Peter; Petersburg
sollte ein Gegengewicht zu Rom werden, das »neue
Jerusalem«. In der Umgangssprache wurde »Piter« gesagt,
die Gelehrten sprachen von »Petropolis«.
Der kaiserliche Resident Otto Pleyer schrieb aus Moskau:
»alle Teutsche und russische Matrosen, und schiffers
aus dem ganzen reich zusammen berueffen, wie dann auch
fast alle anderen russischen Handwerker und
Arbeitsleut dahin entbothen werde. Auch wird aller
Butter, Korn, Knobloch, Zwiffel und andere Victualien
mehr und mehr aus Moscau dahin verschaffet, wodurch
eine solche Teurung hier einreiset, dass man fast auf
lenge kaum wird seine notdurfft zu leben erkaufen und
bekommen dürfen.«
Peter der Große ordnet 1712 auch an, daß »dass dero
truppen nicht länger Moscowiter, sondern Russen genennet
werden.«
zurück
2 Bis zu Peter I. besaß die russische Frau kein Recht
auf Müßiggang; an hohen kirchlichen Feiertagen war den
Frauen immerhin verboten, zu waschen oder ihre Zöpfe zu
flechten, aber sie hatten sich zum Singen (im »Terem«,
einem fraueneigenen Gebäudeteil) zu versammeln, um
dabei zu spinnen und zu stricken. Der »Domostroj«, das
Moral- und Anstandsbuch, forderte, daß die Herrin des
Hauses, sofern sie gesund sei, nicht untätig herumsitzen
dürfe, »damit allein schon bei ihrem Anblick die
Knechte und Mägde die Lust zum Arbeiten packt.«
Dieser Grundsatz wird heutzutage im Management großer
Unternehmen beachtet – nur handelt es sich hier um die
Büroräume der Geschäftsleitung: rex sacrorum.
zurück
3 Der russische Hanf war weltweit die am besten für die
Schiffahrt geeignete Faser; aus russischem Hanf bestand
etwa 70 Prozent des Segel- und Tauwerks der britischen
Marine. Bis 1883 wurden zwischen 75 und 90 Prozent des
weltweit produzierten Papiers aus Hanf hergestellt.
Eine Anmerkung: Auf Betreiben der Burenregierung in
Südafrika kommt Hanf 1925 auf die internationale
Verbotsliste, weil sich die hanf-rauchende einheimische
Bevölkerung einer geordneten Ausbeutung widersetzt.
Außerdem kamen die ersten chemische Rohstoffe für
Textilien auf (für die ein Markt von der US-Firma DuPont
geschaffen werden mußte), und die Alkohol-Prohibition
in den Vereinigten Staaten wurde beendet, so daß die
Gefahr arbeitsloser Polizisten aus dem
Drogen-Verfolgungsapparat und Mafia-Angehörigen bestand
(nur unter den Bedingungen des illegalen Marktes konnte
der Mob existieren).
Das Bayerische Oberste Landgericht beschloß 1969
festzustellen, daß das Genuß-Verbot von Cannabis mit
dem Grundgesetz vereinbar sei und zitierte hierbei
amtliche Quellen: »Der Konsum durch Jugendliche
erscheint vielen Beobachtern als ein Symbol der Revolte
gegen die bestehende Ordnung der Dinge. ... Bei dieser
Sachlage kann keine Rede davon sein, daß die
Ungefährlichkeit von Haschisch erwiesen« sei.
zurück
4 Die Altgläubigen, eine Absplitterung von der
russisch-orthodoxen Staatskirche, waren auch aus an den
Haaren herbeigezogenen Gründen gegen die Kartoffel. Im
Rahmen seiner Modernisierungsbemühungen erließ Peter I.
eine Bartverordnung, wonach sich die Russen den Bart
abschneiden mußten. Altgläubige, die sich den Bart
nicht abschnitten, mußten eine Bartsteuer von fünfzig
Rubel zahlen; da zogen einige doch lieber mit Weib und
Kind ans Schwarze Meer.
Peter I. zog auch bei einer anderen Gelegenheit an den
Haaren: Nach seinem Herrschaftsantritt hat er seine
Halbschwester Sofija (die für ihn vorher die
Regentschaft geführt hatte) die Haare scheren und ins
Kloster bringen lassen.
Möglichweise ging es den Altgläubigen – wie auch den
Orthodoxen in anderen Religionsgemeinschaften – nur
um die Ikonographie, um die publikumswirksame
Darstellung des Paradieses. Zugegeben, ein rotbäckiger
Apfel macht sich besser auf einem Bild als eine erdige
dunkelbräunliche Knolle.
zurück
5 Den Einwanderern wurde Reisegeld, Berufs- und
Religionsfreiheit, Steuerfreiheit auf dreißig Jahre,
Befreiung vom Wehrdienst auf ewige Zeiten, zinslose
Kredite und noch mehr versprochen. Tatsächlich landeten
sie in der Wildnis von Saratow, lebten in Erdhütten,
verschuldeten sich auf Jahrzehnte, um ein Kalmückenpferd
zu kaufen oder wegen einer Kuh, eines Hakenpflugs oder
Wagenräder. Die in Sibirien siedelnden Mennoniten
dagegen waren um 1870 herum die Musterlandwirte des
Zarenreiches; nicht nur im Glauben eher konservativ,
waren sie – wie die aus Württemberg, dem Musterländle,
kommenden Mennoniten – allen technischen Neuerungen
gegenüber aufgeschlossen.
In der preußischen Propaganda während und nach dem
Siebenjährigen Krieg (1756–1763) wurde behauptet, daß
die Auswanderer aus der Provinz Preußen von den Russen,
damals noch Moskowiter genannt, verschleppt wurden, »um
die öden Provinzen einer barbarischen Nation zu
bevölkern.« Friedrich II. erließ sogar ein
Auswanderungsverbot, denn die Kalmücken, Kosaken und
Tataren, die als Verbündete Österreichs nach Preußen
gekommen waren, hätten das Land mit Feuer und Schwert
zerstört, »und zwar auf eine Art, die seit den Zeiten
der Hunnen nicht in Europa erlebt worden war. Die
Unmenschen mordeten oder verstümmelten unbewaffnete
Leute aus satanischer Lust.«
Und es seien sogar Menschenfresser gewesen; so habe man
auf dem Schlachtfeld von Groß-Jägersdorf einen Russen
gefunden, »der tödlich verwundet auf einem sterbenden
Preußen lag, und ihn mit seinen Zähnen zerfleischte.«.
»Menschen gesitteter Völker haben diesen Krieg geführt,
aber es haben sich auch Teufel in Menschengstalt
eingefunden, die die Hölle zur Grausamkeit entzündet
hatte.«, schrieb der Dichter Johann Wilhelm Ludwig
Gleim. So kann es kommen, wenn man einen Präventiv-Krieg
gegen die Österreicher anfängt.
Deutsche Landesherren verschärften aufgrund dieser
Auswanderung die Emigrationsgesetze, da die
Auswanderungslust zu einem Mangel an Knechten und
Mägden führte. Als 1874 in Rußland die Befreiung vom
Militärdienst aufgehoben wurde, wanderten die Deutschen
aus nach Nord- und Südamerika.
Am Ende des 20. Jahrhunderts kamen die russischen
Nachkommen dieser katharinischen Einwanderer nach
Deutschland (»zurück«), wobei nur diejenigen aufgenommen
werden sollten, die noch in der »deutschen Kultur«
verhaftet waren oder zumindest deutsch sprachen (gemeint
war »deutsch denken«) oder zumindest einen Deutschen
Schäferhund ihr eigen nennen durften. Das war bereits
vor jener Zeit, als Deutschland noch kein
Einwandererland war und führte zum Erstarken
rechtsradikaler Parteien.
zurück
6 Ingerien, Ingermanland, ist eine historische
Landschaft im Nordwesten Rußlands, zwischen Finnischem
Meerbusen, Narwa, Ladogasee und Newa; nach dem
westfinnischen Stamm der Ingern benannt; gehörte im
Mittelalter zu Nowgorod, kam 1478 zum Großfürstentum
Moskau, 1617 an Schweden und 1721 an Rußland. Bei der
Auflösung der Sowjetunion 1992 haben die Einwohner
vergessen, sich selbständig zu machen (siehe auch die
Erläuterung zur Briefmarke).
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7 Karin Vaneker meint, es sei wahrscheinlich, daß Juden
die Kartoffel schon bei ihren erstem Bekanntwerden als
koscher betrachteten. Grundsätzlich seien Juden aufgrund
ihrer sonst sehr strengen Vorschriften nicht beschränkt
beim Verzehr von Pflanzen. Die vielen internationalen
Kontakte, die jüdische Gemeinden im 17. Jahrhundert
hatten, brachten sie in Kontakt zu Nahrungsmitteln
anderer Länder (z.B. Olivenöl, Mandeln, ungesäuertes
Brot). Strittig war es unter den Rabbinern, ob die
Kartoffel zu den Gemüsen gehöre, denn während der
Passahzeit waren Erbsen und Bohnen und deren verwandte
Pflanzen verboten; der Rabbi von Wilna bezweifelte die
Zugehörigkeit der Kartoffel zu den Gemüsen.
Entscheidend für den Durchbruch als Nahrungsmittel auch
in der Passahzeit war schließlich die Herkunft der
Knolle aus Amerika, denn somit konnte sie nicht verboten
worden sein. Am Vorabend des Passahfestes wurde die
Kartoffel sogar benutzt anstelle der traditionellen
Selleriewurzel: Die Knolle wurde in salzigem Wasser oder
Essig eingetaucht und symbolisierte die Tränen und den
Schweiß der Juden während der ägyptischen
Sklaverei.
Wir haben hier auf die internationalen Kontakte der
jüdischen Gemeinde verwiesen und deren Auswirkungen auf
die jüdische Küche. Eine Parallele findet sich, wie an
anderer Stelle aufgeführt, bei den Waldensern.
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8 In Kisel schwingt Kiechl mit, es
klingt nach Mehlklößen, nach Kartoffelknödel – aus
Bayern.
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