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Kartoffel-Geschichte Furche 1.10. Die Kartoffel in Frankreich

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Die Kartoffel in Frankreich: Vive la pomme de terre:
https://web.archive.org/web/20120118185926/http://www.kartoffel-geschichte.de/Erste_Furche/Bei_den_Flamen/bei_den_flamen.html

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Die Kartoffel in Frankreich: "pomme de terre"


Wie alle andere Länder Europas wurde auch Frankreich regelmäßig von Hungersnöten betroffen.Braudel weist beispielhaft auf zwei Hungersnöte hin (in Blois 1662: »eine Not wie seit 500 Jahren nicht mehr« und in Burgund 1693 »eine große Zahl Menschen lebt von Gras wie das Vieh«).

Die Ernährung der Bevölkerung bestand aus Brei, Suppe oder Brot aus qualitativ schlechtem Mehl, das in etwa ein- bis zweimonatlichem Abstand gebacken wurde.

Die Produktivität der Landwirtschaft ist äußerst gering, so daß bereits ohne klimatisch bedingte schlechte Ernten die Ackererträge nicht ausreichend sind. Und wenn dies alles nicht ausreichte, die Bevölkerung in Not zu lassen, dann kam die Pest oder Typhus oder Diphtherie oder eine andere Epidemie. Skorbut oder Pellagra sind weitverbreitet.

Die immerwährende Nahrungsknappheit (nicht nur in Frankreich und nicht nur in jenen Jahr­hunderten) zwang die Menschen zur Suche nach neuen Nahrungsquellen (und Verwendung): Kräuter und Wurzel, Traubenkerne und Haselblüten, Farn­kraut und jede Art von Fleisch (und in besonders schlimmen Zeiten auch den Nachbarn).

Für die Ernährung ­eines einzigen Bürgers ­waren im Frankreich des 18. Jahrhundert etwa 1,5 Hektar Ackerland erforderlich (in England zwischen 1,2 und 1,6 Hektar). Doch diese Ackerfläche genügte nur, wenn die Ernte zumindest durchschnittlich aus­fiel.

 
Die ersten Kartoffel sollen nach Frankreich durch den Franziskaner Pierre Sornas gekommen sein, der 1540, also nur etwa fünf Jahre nach der erstmaligen Entdeckung der Kartoffel durch Euro­päer, als alter Mann aus Toledo in Spanien in sein Heimat­dorf in der Ardêche zurückkehrte. Hier, in dem Weiler Becuze, drei Meilen von Annonay entfernt, sollen die Kartoffeln erstmals als Feldfrucht auf die Äcker angepflanzt sein.

1585 waren in den Orten Annonay, Satil­lieu, Saint-Félicien, La Mastre, Le Cheylard und Tournon, kurz darauf wurden auch in Saint-Péray und Valence die Knollen angebaut.

Im 17. Jahrhundert war die Kartoffel dann auch in der Dauphiné, in le Forez, in le Velay, in einem Teil der Auvergne und in einigen anderen Provinzen Frankreichs angebaut. Abgeleitet von der italienischen Trüffel wurde die Knolle truffole oder trifola genannt. Die Kartoffelbauer erhielten sogar – nicht vergleichbar mit irgendwelchen anderen Anbaugegenden in Europa – eine eigene Bezeichnung – truffoliers.

 

Der Kartoffelanbau in Frankreich entwickelt sich nicht von den Hafenstädten oder – was ja aufgrund der frühen Einfuhrwege naheliegen würde – in den an Spanien oder Italien angrenzen­den Gebieten (aus­genommen in der Region um Lourdes in den deshalb später so genannten Püreenäen), sondern aus den Rheinregionen, von der Schweiz und über die Dauphiné her. Hier zeigten sich die Handelsströme, der Weg von Antwerpen und Amsterdam über die Schweiz in die norditalienischen »In­dustrieregionen« und um­gekehrt führen zum frühen Anbau der tartuffolo.

Ein zweiter Punkt war, daß die Bevölkerung in Lothringen, im Elsaß, im Moselgebiet und in der Franche-Comté stärker wuchs als es die Ernährung mit dem her­kömmlichen Getreide zu­gelassen ­hätte und Kartoffeln insofern ein »Hilfs­­­nahrungs­mittel« wurden oder umgekehrt, die Förde­rung der »ehelichen wercke« durch die Kartoffel das Bevölkerungswachstum begünstigte. Ähnliches ist für Irland festzustellen. Es ist müßig, der Frage nach­zugehen, ob der Kar­toffelverzehr zum Bevölke­rungs­anstieg führte oder ob das Be­völke­rungs­wachs­tum zum Anbau der Kartoffel nötigte. Beides hängt miteinander und untrennbar zusammen.

Wie in Deutschland entwickelte sich auch in Frankreich eine häusliche Textilproduktion – später »Heim«-Industrie genannt; wie in Deutschland wurde die Knolle Nahrungsmittel der Leinweber und anderer mit der Tuchfabrikation beschäftigten Menschen.

Vor 1700 gab es keinen nennenswerten Kar­toffelanbau in Frankreich. Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm in den Gebieten, in denen keine alter­nativen Pflanzungen möglich schienen (im Süden Oliven­bäume und der aus Portugal kom­mende­ Mais, im Norden Frankreichs Weinbau und Eß­kastanien), der Kartoffelanbau auf kleinen Parzellen stetig zu.

Nach Arthur Young, dem englischen Landwirt­schaftsfachmann, bestanden 1787 die Höfe Nordfrankreichs zu mehr als einem Drittel aus kleinen Besitzungen, kleinen Farmen, die denen gehörten, »die sie bebauen«. Nach Alexis Tocqueville (in »Ancien Régime«) wurde das Anwachsen des Klein­bauerntums zusätzlich befördert durch die Extravaganzen des Adels, die sich lieber in Paris und Versailles verlustierten und ständig in Geldnot waren und daher ihre Domänen in kleinen Parzellen an die Bauern verkauften.­ Ein weite­rer Grund für das Anwachsen des Kleinbauerntums war das Erbrecht (im Süden Frankreichs nach altem­ römischen Recht), das eine nahe­zu gleiche Teilung im Todesfall vorsah (Primo­geni­tur war nur üblich für die Ritterlehen). Kleine Landwirtschaftsflächen för­der­ten – wir wissen es aus anderen Gebieten – auch in Frankreich den Kartoffelanbau.

Etwa seit 1665 wächst eine rotschalige und weißblühende Kartoffelsorte im Pariser »Jardin Royal des Plantes médicinales« – nach Angaben von Guy de la Brosses, einem der Gründer dieses Kräutergartens. In dem »Botanicon Parisienne«, 1727 von Hermann Boerhaave in Leiden herausgegeben, steht, daß die Knolle um diese Zeit auch schon auf den Felder um Paris herum angebaut worden sein soll. Auch im 1749 in Paris von Dalibard heraus­gegebenem »Prodomos Florae Parisiensis« wird auf diesen frühen Kartoffelanbau hin­gewiesen.

 

Der Franzose Olivier de Serres aus Prudel bei Ville­neuve-de-Berg (in der französischen Ardêche) veröffentlicht 1600 die Schrift »Théâtre d’Agri­culture et Mesnages des Champs« und nennt (im 10. Kapi­tel des vierten Bandes)
    »Cest arbuste, dit Car­toufle, porte fruict (tuber­­cule) de mesme nom, semblable à truf­fes et par d’aucuns ainsi appelé. Il est venu de Suisse, en Dauphiné, depuis peu de temps en ça«.

    (Übersetzung: "Diese Schachtel da, meint Cartoufle, da sind Früchte drin (Knollen), und sie heissen auch so, sehen wie Trüffel aus, könnte man auch so bezeichnen. Der kam aus der Schweiz, Dauphiné, nach kurzer Zeit").

Dieser Strauch, cartoufle genannt, trägt Früchte gleichen Namens ... Im »Théâtre« weist de Serres daraufhin, daß die Bezeichnung cartoufle für die Kartoffel wie auch für die Trüffel verwendet werde.­

De Serres berichtet, daß die von ihm beschriebene Pflanze in der Dauphiné angebaut werde.­ Er spricht von einer Pflanze mit weißen Blüten, so daß davon auszugehen ist, daß er nicht den Topinambur meinte, denn dieser hat gelbe Blüten.

Ist es denkbar (und nicht viel wahrscheinlicher), daß der Setzer aus dem handgeschriebenen »Tar­touflé« die »Cartouflé« machte undde Serres diesen kleinen Fehler beim Korrekturlesen nicht bemerkte? Ein Fehler, der zu einer neuen Namen­gebung für den »Grüblingsbaum« in Deutschland führt? Der Unterschied zwischen einem Versal-»T« und einem Versal-»C« ist nur (zum Beispiel bei den nachstehenden Schriften) marginal (ein Strich da, ein Strich da nicht) und – in Anbetracht der schlechten Lichtverhältnisse in den damaligen Offizinen und dem für die Arbeit in der »Gasse« erforder­lichem und not­wendigem Bier mit Gagel-Zusatz –leicht zu verwechseln. 

Zugegeben: Die Verwechslung von »T« und »C« kann schon in der Schweiz erfolgt sein; man ­denke an die aus dem Piemont vertriebenen Walden­ser, die das Druckgewerbe und die Apotheken in Genf dominierten und einen eigenen Dialekt sprachen. Es scheint ja auch sicher zu sein, daß das Wort »Kartoffel« ursprünglich aus dem »tartifole«, der Bezeichnung für die Trüffel in einem piemon­tesischen Dialekt, herstammt und sich alle anderen Ab­leitungen hieraus entwickelt haben. Für diese Deutung spricht, daß die Kartoffel von Spanien kommend zuerst in Norditalien angebaut wurde und die Waldenser (im Piemont lebend) nicht im katho­lisch-apostolischen Glauben verhaftet waren und daher für Neuerungen aufgeschlossener waren.

Auch der schweizer Sprachwissenschaftler Rudolf Thurneysen (1857–1940) schließt 1905 (in »Die Etymologie«) die Möglichkeit eines schlichten Setzfehlersnicht aus:
    »Wenn das ital. Tartufolo sich im Deutschen zu Kartoffel hat um­gestalten können, so hängt es nicht etwa mit einer besonderen Neigung des Deutschen zusammen, t mit k zu ver­tauschen, sondern damit, daß die richtige Form, das im 18. Jh. daneben auftretende Tartuffel zu wenig bekannt war, als daß sie sich der zufällig ver­unstalteten kraftvoll entgegengesetzt hätte

Eine andere Theorie lautet, daß der produktive Anlaut karteine besondere Attraktivität besitze – wie es zum Beispiel im Wort Kartätschenachweisbar sei; vielleicht ist damit gemeint, daß man Kartoffeln auch in Kartätschen verwenden könne. ­Sicher ist, daß nach 1720 der Name Kartoffel in allen deutschen Landen üblich wird und die bisherigen Bezeichnungen verdrängt.

Die Meinung de Serres, die cartouflé sei von der Schweiz in die Dauphiné gekommen, kann – wie so vieles in der Kartoffelgeschichte – bezweifelt werden – Bauhin meint, die Knolle sei aus Deutschland in die Dauphiné gekommen, aber da muß sie doch auch erst ‘mal hingekommen sein von ....? Auch wird in der gelehrten Diskussion ein­gebracht, daß die Bezeichnung Kartofla in den Schweizer Kan­tonen Neuenburg, Waadt und Wallis aus Frank­­reich (und nicht umgekehrt) gekommen sei; an­sonsten würde in der Schweiz der Begriff Erd­äpfel oder Herdäpfel (Aussprache: Cherdäpfel mit Rachen­betonung) verwendet. C. Grégoire (im »Essai histo­rique sure l’état de agriculture en Europe au XVI. Siècle«) schreibt im Zusammenhang mit der Namens­gebung Cartouflé durch Oliver de Serres, daß
    »heutzutage in der Schweiz die Bezeichnung Tartuffel für die Pomme de terre verwendet werde, was doch sehr nahe an dem Namen cartoufle, den Oliver de Serres verwendet hätte, herankäme.«

Es mag natürlich auch sein (und klingt auch wissenschaftlicher), daß die wundersame Verwandlung der »Tartoffel« (da es auch der Trüffel hieß) in die »Kartoffel« ein normaler Prozeß war, den die Sprachwissenschaft »Dissimila­tion« nennt: Nachträglich kann natürlich für viele Vorgänge eine wissen­­schaft­liche Begründung gegeben werden, nachträglich kann die Theorie der Erfahrung an­geglichen werden, so daß zu einem noch späteren Zeitpunkt nur schwerlich festzustellen sein wird, ob das Ei oder die Henne zuerst da war.

Sicher ist, daß sich die Kartoffel mit »C« zuerst im südfranzösischen und dann in der Schweiz bzw. Süddeutschland durchsetzt. Die Bezeichnungen »Tartuffel« oder »Tartüffel« und ihre Varianten halten sich in Deutschland – neben den volkstüm­lichen Bezeichnungen wie Erdapfel, Erdbirne, Erd­schocken, Grund­­birne, Härdäppel usw. – bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.

De Serres weist daraufhin, daß die von ihm beschriebene Pflanze in der Dauphiné angebaut werde.­ Antoine Augustin Parmentier (über den später mehr gesagt wird) behauptet 1805, de Serres hätte die Jerusalemer Artischocke beschrieben,

Ernest Roze (1898 in »Histoire de la pomme de terre«) weist jedoch daraufhin, daß de Serres von einer Pflanze mit weißen Blüten spricht, wogegen der Topinam­bur gelbe Blüten habe; auch Salaman meint, Parmentier hätte sich geirrt, da der Topinam­bur nicht vor dem Jahr 1610 nach Europa gekommen sei. Sei’s drum. Ein abschließender Hinweis zur Namengebung: William von Occam (um 1285–1349), das ist der aus dem Rosengeheimnis von Umberto Eco, meinte, daß die zutreffende Erklärung für jedes Problem gewöhn­lich­ die ist, die von den vorhandenen Informationen den einfachsten Gebrauch macht. Occam’s razor.

 
In Burgund wurde zwischen 1610 und 1620 der Anbau der Kartoffel verboten, weil die Knolle (hier Indische Artischocke genannt) »Aussatz oder die Maltzey ver­ursache«; nicht verboten wurde der Trüffelpilz, den sich nur Adel und Klerus leisten konnten und auch den »ehelichen wercken« dient: Lust nur für die Reichen. Vielleicht wären die ­Preise zu sehr gestiegen, wenn sich jeder Landmann sein Essen mit der Trüffel hätte würzen dürfen.

Ernest Roze geht davon aus, daß es sich bei diesem Verbot nicht um unsere andigene Kartoffel handelte, sondern um die Jerusalemer Arti­schocke. In einem Ratsbeschluß in Besançon aus jener Zeit wird die Kartoffel als »bösartige Substanz« bezeichnet, deren Genuß die Lepra auslöse:
    »In Anbetracht, daß die sogenannten Erdäpfel eine schädliche Frucht sind und ihr Genuß den Aussatz hervorrufen kann, verbieten wir hiermit den Anbau in unserem Lande bei schwerer Strafe.«

Rund dreißig Jahre später steht in einem französischen Haushaltsbuch: »Bei zu häufigen Genuß ver­ursache sie [die Kartoffel] Lepra«.

Und außerdem steigere sie die fleischlichen Gelüste der Frauen (damit ist nicht der Appe­tit auf Rinder- oder Schweine­fleisch gemeint) und bewirke, daß sie Kinder mit zu großen Köpfen zur Welt bringen müßten. Friedrich Wollner schreibt 1970:
    »Verwechslungen mit der Topinam­bur brachten ihr den [diesen] Ruf ein ...«,

was ja wohl nichts anderes meint, als daß auch der Topinambur die Ge­lüste weckt.

Es liegt auf der Hand, daß die Getreidehändler am Anbau der Kartoffel nicht interessiert waren und Gerüchte wider den Kartoffelanbau verbreite­ten. Als die Lepraals angebliche Folge des Kar­toffelverzehrs verschwindet, treten die Skro­feln die Nachfolge an.

AuchAnne Robert Jacques Baron de l’Aulne Turgot (1727–1781), ab 1761 Vor­sitzender der Géné­ralité von Limoges, konnte diesen aber­gläubischen Volks­glauben nicht verändern in ­einer Zeit, in der harmlose alte Frauen und hübsche ­reiche Witwen noch als Hexen verbrannt wurden und Frauen allgemein als organum Satanae, als Instrument des Teufels, bezeichnet wurden.

Nach dem französischen Volksglauben konnten die Skrofeln durch die Be­rührung eines geweihten Königs geheilt werden. Aber wann verlief sich schon ein König in ein Dorf? Und wo gab es in dieser kartoffellosen Zeit noch geweihte Könige?

In einer Beschwerdeschrift aus dem Jahre 1612 wird andererseits dokumentiert, daß die Bauern gegen die Verpflichtung, die Kartoffel anzubauen, protestierten:
    »... gegen die willkürliche Bosheit der Fürnehmen Herren, dieses Schweine­­­­futter anzupflanzen, wiewohl man doch gemeiniglich weiß, daß die menschliche Nahrung aus Korn, Hülsenfrucht und Fleisch besteht.«

Am Sonnabend, dem 10. April 1694, so berichtet der protestantische Advokat Isaac Tournon, wur­den »les truffoles blanches« für »22 sols la quatre« auf dem Markt auf dem Place de la grenette in Annonay verkauft. Dieser Bericht ist das erste Dokument in Frankreich, das von einem Verkauf der Knollen auf einem öffentlichen Markt berichtet.

1749 berichtet Raoul de Combles in »L’école du jardin potager«, (»Lehrbuch der »Hausmannskost«) daß auf Pariser Märkten neben rot­schali­gen auch gelbschalige Knollen verkauft würden und letztere wegen ihres weniger herben Geschmacks bevorzugt würden. De Combles nennt hier Rezepte für die feine Küche, hält aber die Kartoffel insgesamt doch nur für ein Nahrungsmittel der »gens du bas état«, für die kleinen Leute. Die Kartoffel war zu diesem Zeitpunkt für seine Leser jedoch noch so ungewöhnlich, daß er ausschließlich den lateinischen Namen der Kartoffel und nicht das ­»pomme de terre« im heimischen Patois verwendet. Raoul de Combles über die Kartoffel:
    »Dies ist in aller Augen das abscheulichste Gemüse, doch das Volk, welches den größeren Teil der Menschheit ausmacht, ernährt sich davon«.

1762 schreibt der Pfarrer von Saint-Alban-d’Ay und Prior von Empurany und Pailhaès, Descourz de la Grange, in einer offiziellen Antwort auf eine Unter­suchung in den Pfarrgemeinden des Langue­doc an den Erzbischof von Vienne (Haut-Vivaries), scherzhaft von der Tradition der »Karpfen« in Saint-Alban; damit will der Prior auf das griechische carpos, Obst, hinweisen.

 
Im Frankreich des 17. und bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde ein anderes Produkt aus Amerika, das seit 1607 aus Brasilien eingeführt wurde, häufiger angebaut als die Kartoffel: die »gira­sole«. Sie war weniger anfällig für Krankheiten, winterhart und hatte einen vergleichsweise ­höhe­ren Ertrag. Diese Artischocke oder mit anderem Namen »Topinambur« (helianthus tuberosus), ein Ver­wandter der Sonnenblume (deshalb auch Sonnen­rose genannt), wurde anfänglich häufiger angebaut als die Kartoffel und trug wie diese die Bezeichnung Erdapfel, Erdartischocke, knollige Sonnen­­blume, Pferdekartoffel, Saukartof­fel, Erd­tüffeln, Tar­­tüffeln, Grundbirn oder Erdbirn. Kar­tof­fel wie Topinambur kamen etwa gleichzeitig in die Zier- und Lustgärten des Adels und den botanisch-­medi­zi­ni­schen Gärten von Ärzten und Gelehrten.

Der Topinambur wurde in England als Jerusa­lemer Arti­schocke bezeichnet, in Holland »Aard­peeren« genannt, in Italien auf »Battatas« getauft. Auf Madeira heißt der Topinambur heute »brasilianische Batate«, aber auch »batate ingleses«. Die Bezeichnung »Erdbirn« wurde für einen Kürbis, für (Citrul­lus)-Gurken, für Alpenveilchen (Cyclamen) und für Alraune (Mandragora officinalis) verwendet – und zwar schon vor Einführung der Kartoffel nach Europa. Die Bezeichnung erklärt sich durch die violette Farbe­ der Blüte. In England wurde der Topinambur als Jerusa­lemer Arti­schocke bezeichnet, in Holland »Aard­peeren« genannt, in Italien auf »Bat­tatas« getauft.

Der Topinambur – und das war ein besonderer Vorteil im schon damals holzarmen Südfrankreich – konnte roh gegessen werden. Er besitzt weitere Vorteile im Vergleich mit der Kartoffel: Die Pflanze ist er­giebiger als die Kartoffel, frost- bzw. winter­hart, und die Stengel sind als Viehfutter zu ver­wenden, da er keine giftigen Beeren trägt; die Ge­brauchs­möglich­keiten sind für ­beide Wurzelpflanzen fast gleich – von der Puder­herstellung für die fürst­lichen Zöpfe (Kartoffelpuder haftete nicht so gut in den Frisuren) bis zur Produktion von Fusel. Die beim Transport der Kartoffel unvermeid­liche Beschädigung der ­Knolle fällt beim Topinambur nicht so gravierend aus.

Was also war der Grund für die Verdrän­gung des Topi­namburs durch die Kartoffel in Europa? Bernhard Martin meint (über deutsche Verhältnisse), der süßliche, fade Geschmack des Topinamburs »lag unseren Bauern nicht, wie auch einige ältere Zeugnisse hervorheben«. Auch die übermäßige Fruchtbarkeit ließ die Bauern zurück­schrecken (ein einmal mit Topinam­bur bewachsenes Feld war nur schwer wieder davon zu befreien – wie es auch mit Brombeeren zumeist der Fall ist), und das ­hätte die übliche Drei-Felder-Wirtschaft erheblich be­einträchtigt.

 
Im Frühjahr 1613 verschlepptClaude Delany Seigneur de Razilly von der Insel Maranhaom (im Delta des Grajahu/Brasilien) Eingeborene vom Stamm der Tupi Guaranís; diese Guaranís waren unter ­frühen Entdeckern und Forschern auch als »Topinambá«, »Topinambous« (André Thevet), »Tuupinambáults« (Jean de Léry) oder »Tuppin Imba« (Theo­dore de Bry) bekannt. Die Europäer beschafften sich an Brasiliens Küste Rotholz (Brasilholz), das zum Färben (portugiesisch: pau brasil, von port. brasa = glühende Kohle) benutzt wurde und missionierten nebenbei die menschenfressenden Eingeborenen der Tupinambás und deren Feinde, die Margajas.

In Paris wurden sie ge­tauft und mußten zum Ärger des Klerus den französischen Hof mit Schau­tänzen unterhalten; während die angeblichen ­Kan­ni­balen tanzten, pflegte der Hofstaat zu speisen und fand es sehr lustig – so wird erzählt –, zu bemerken, daß sie jetzt »les tupinamburs« verspeisen würden. Die drei letzten Überlebenden dieser Tortur wurden vom König »angemes­sen« ver­heiratet. Satiriker wie François de Malherbe (1555–1628) bezeichneten daraufhin Absurditäten des ­Hofes und andere seltsame An­gelegen­heiten als »topi­nam­bous«. In dieser Zeit wurde der »Heli­anthus tube­rosum« von Champ­lain und Lescar­bot aus ­Kanada nach Frankreich exportiert, eine bizarre Frucht, etwas fremd für die Franzosen, also »topi­nambous«.

Jean de Léry, ein französischer Hugenotte, berichtet über seine Reise nach Brasilien 1556–1558, daß »unsere Amerikaner in ihrem Lande zwei Wurzeln« haben, die sie »Aypi« und »Manihot« nennen. Eine dritte Sorte würden die Eingeborenen »Hétisch« nennen. Alle diese Knollen sähen gleich aus,
    »doch beim Kochen stellt man fest, daß die einen violett wie hierzulande [in Frankreich] bestimmte Teigwaren, die anderen gelb wie Quitten und die dritten weißlich werden.«

Aus der Beschreibung de Lérys ergibt sich, daß es sich bei keiner dieser Pflanzen um die andine Knolle handelt.

Durch den Anbau dieser Pflanze lernten die französischen Bauern, »Jacques Bonhomme« von den Städtern genannt, das Bearbeiten einer Hack­feldfrucht (wie die Kartoffel) und den süßen Geschmack kennen. 1697, so François Misson in seinen »Erinnerungen und Beobachtungen«, sagen die Iren, daß die »Potatoes ein Erdapfel, eine Art Topinambur« sei. Anfänglich besaßen die in ­Europa angebauten Kartoffeln gleichfalls einen süßen Ge­schmack; es handelt sich also nicht unbedingt um die andigene Knolle.

Einer der vielen Steuer-Konflikte brach 1713 aus zwischen den Bauern und den Grundbesitzern in den Vogesen über den Zehnten, insbesondere über die Abgaben für die Topi­nambur und für die Kartoffel, beide »pomme de terre« genannt. Da die Knollen sich selbst vermehren, sei es unbillig, hierfür den Zehnten zu verlangen, argumentierten die Bauern. Im übrigen würden die Abgabe­ordnungen nur den Topinambur und nicht die Kartoffel nennen. Die Forderung auf den Zehnten mag auch dazu beigetragen haben, daß die Kartoffel im 18. Jahrhundert die Topinambur in Frank­reich verdrängte, obwohl bürgerliche Franzosen weder die eine noch die andere Knolle mochten oder gar auf ihren Eßtisch brachten.

In Saint Dié forderte der Pfarrer Louis Piot von seinen Schäfchen den Zehnten; Herzog Léopold von Lothringen ordnet deshalb 1715 – der wiederholten Streitereien überdrüssig und auch an seinen Geldbeutel denkend – an, daß der Zehnte auf Kartoffel und Topinambur zu entrichten sei. Aus diesem Befehl ist zu entnehmen, daß die Kartoffeln seit mehr als fünfzig Jahren – also etwa seit 1660 – im lothringischen Gebiet angebaut wurden.

Nach der Mitte des 18.Jahrhunderts – insbesondere in den Jahren 1750–1760 – werden zahlreiche Schriften vom »Bureau d’agriculture« publiziert, die den Kartoffelanbau empfehlen. Auch die Land­wirt­schaftsgesellschaft, 1761 ge­gründet von den französischen Ministern Turgot und Bertin, unterstützt ausdrücklich den Kartoffelanbau.

Braudel meint,
    »daß die Kartoffel selbst in dem in dieser Hinsicht besonders rückständigen Frankreich«

erfolgreich war und angebaut wurde: in der Dau­phiné (Gebiet zwischen Rhône und Durance), in den Vogesen, im Elsaß seit 1660 (hier wird die ­üppig wuchernde Kartoffel auch als »frech« bezeichnet), am Zentralmassiv, in Lothringen 1680, an den Nord­hängen der Pyrenäen, an der bretonischen Küste (Abfahrtsort der Amerika-­Schiffe).

Es gibt zu bedenken: In Gebieten mit frühem oder starkem Kartoffelanbau traten häufig auch christ­liche Erscheinungen oder Stigmatisierungen auf; hier seien nur auf einige wenige dieser Auswirkungen verwiesen:

    – Bernadette Soubirous in Lourdes an den Nordhängen der Pyrenäen,

    – Czenstochawa in Polen,

    – Therese Neumann (das »Heilandresl«) in der Würzburger Gegend (in Konners­reuth), die – oh Wunder – zwischen 1927 und ihrem Tode 1962 nicht einmal Kartoffelbrei) zu sich nahm,

    – im portugie­sischen Fatima oder

    – in Santiago de Com­postela im spanischen Galizien oder in Marpingen im Saarland.

Diese Visio­näre waren meist Frauen und Kinder aus der Unter­schicht, in der Kar­toffeln vielfach die einzige Nahrung waren. Entweder brachten Pilger die Kartoffel als Wegzehrung mit (und einige wurden auch angepflanzt, weil das Wunder einer Heilung wohl etwas länger dauern könnte) oder – so erklärt der Händler Gerhard Schröder aus Hamburg-Altona – die Kartoffeln wurden wegen der Pilger­ströme an­gepflanzt (Klostergärten hätten schließlich schon früher die Kartoffel gebaut).

Parallel dazu waren dies Gebiete, in denen insbesondere die Textilindustrie besonders stark wuchs. Dies findet eine Entsprechung – zum Beispiel – in der bereits früh ent­wickelten Verlagsarbeit in der Oberpfalz. Und nochmals: In Ge­bieten mit Kartoffelanbau stieg die Bevölkerung deutlich stärker an als in Provinzen ohne Kartoffel­pflan­zun­gen, was die Industrialisierung begünstigte, aber auch zu erheblichen Unruhen führte.

 
In Frankreich war die Kartoffel der hohen Geistlichkeit und dem Adel als Zierde bekannt: Die Porzellan-Manufakturen mußten ganze Services mit Kar­toffel­­­blüten bemalen. Königin Marie Antoinette (aber auch manch andere Précieuse der feinen Gesellschaft) besaß einen Morgenrock, der mit einem Kartoffelblütenmuster bestickt war; Kartoffel­­b­lü­ten im Haar und im Decol­leté sollen zeitweise der dernier cri am Hof von Versailles gewesen sein; Auch der Adel war pitto­resque. Die Herren trugen im Knopfloch ihres gerade »erfundenen« Fracks eine Kar­toffel­blüte, die die Nelke ablöste.

Doch nicht die schöne Kartoffelblüte wurde später Symbol der Arbeiter­bewegung, sondern die »abgelegte« Nelke des Adels; man wollte das tägliche Essen nicht auch als Protestsymbol verstanden haben.

Antoine Augustin­ Par­men­tier soll diese Kartoffel­blütenmode kreiert haben, als er wegen und für die neue Knolle beim französischen Königshaus anti­chambrierte.

Und neue Kar­toffelzubereitungen entstanden: pommes de terreá la duchesse (Herzoginkartoffeln, über­backene ge­spritzte Kartoffelpüree-Tupfen) oder pommes de terre château: (sehr kleine geschabte Salatkartof­feln wurden zu Schloßkartoffeln veradelt und in geklärter Butter gebraten) oder pommes de terre allu­mettes (fritierte Streichholzkartoffeln) oder pommes pailles (Stroh­kartoffeln: in noch feinere Streifen geschnitten und fritiert).

 
Die Hungersnot in Frankreich 177015 wegen der Getreidemißernte (die anhaltenden Regenfälle im August 1769 machten eine Aussaat der Winterung des Ge­treides unmöglich) ver­anlaßte die Akademie von Besançon einen Preis auszuloben für die ­beste Untersuchung zum Thema Nahrungs­mittel:
    »Indiquez les végéteaux qui pourraient supléer en cas de disette à ceux que l’on emploie commu­nément à la nourriture des hommes et quelle en devrait être la pré­paration«

Geben Sie die Pflanzen­ an, die im Falle einer Hungersnot die geeignetsten sind, die gewöhn­liche Nahrung zu er­setzen – da konnte doch die Antwort nur »Kartoffel« heißen.

Antoine Augustin Parmentier, ein Apotheker (und später General-Inspekteur des Militär-Medizinalwesens), der als Zwanzigjähriger im »Bayerischen Erb­folgekrieg«, dem Kartoffelkrieg, ­kämpfte und in Hannover in deutscher Kriegs­­gefangenschaft geriet und die Bedeutung der Kartoffel erkannte, gewann den Preis mit dem »Examen chymique des pommes de terres«; ob diese Geschichte wirk­lich so stimmt, kann füglich angezweifelt werden: Die Kartoffel war in Frank­reich bereits wohlbekannt, so daß es nicht eines Militär­einsatzes in deutschen Landen bedurfte, um die pomme de terre kennenzulernen.

Die Getreidemißernte 1770/1771machte erfinderisch: So wurde 1771 ein Rezept für Brot aus einer Mischung von zwei Drittel Kornmehl und einem Drittel Kartoffelmehl vorgestellt. Weitere Rezepte für die stärkere Verwendung der Knolle folgten, woraus zu folgern ist:
    Wenn Wasser blubbert, kocht es;

    kommt eine Kartoffel hinzu,

    dann kocht der Mensch.

Im »Bon jardinier« von 1785 ist zu lesen:
    »Es gibt kein Gemüse, über das so viel geschrieben wurde und das mit so viel Be­geisterung behandelt wurde. ... Der Arme muß sehr zufrieden über diese Nahrung sein.«

Wann immer die Kornernte mißriet, wurde den französischen Schweinen die Kartoffel weggenommen und vom Bauern selbst gegessen; hierbei ­waren die Franzosen mit dieser Praxis weder die ersten in Europa noch die einzigen, aber sie ­waren experimentierfreudiger und setzten die pomme de terre vielseitiger ein.

Parmentiers verhältnismäßig geringe Erfolge bei der Durchsetzung des Kartoffelanbaus ergeben sich vielleicht daraus, daß der Prophet und die Kartoffel im eigenen Lande nicht gilt und es daher geschickter für die Einführung der Knolle in ­Frankreich war, von einer preußischen Pflanze zu sprechen, denn das Preußen Friedrichs II. hatte damals ­einen »guten Ruf« (weil erfolgreich) in Frankreich. Louis XV. stellte ihm 50 Morgen Land (»Plaine des Sablons« bei Neuilly sur Seine) für seine Anbauversuche mit der Kartoffel zur Verfügung. Außerdem erhielt Parmen­tier den St.-­Michaels-Orden, und Louis erklärte, er würde Parmentiers Bücher vor allen anderen bevorzugen.

An­geb­lich sei Parmentier von den sans-culotten auf den Schultern durch Paris getragen worden wegen der Wohltaten, die er veranlaßte:
    »Was frommt es der menschlichen Gesellschaft zu wissen, in welcher Weise die Sterne ihre Bahnen ziehen, wenn sie darüber verhungert?«.

1775 oder erst 1776 gibt Parmentier eine große Gesellschaft, bei welcher er Kartoffeln in zwanzig verschiede­nen Zubereitungen reichen läßt, »même pour boisson«, an der Antoine Lavoisier (Begründer der modernen quantitativen Chemie), der schon erwähnte Arthur Young, Benjamin Franklin (damals amerikanischer Botschaf­ter in Frankreich) und Vilmorin teilnahmen.­

Jean Paul (Jean Paul Friedrich Richter; 1763–1825) schreibt im »Hesperus« 1795:
    »Unser literarisches Küchenpersonal weiß uns dasselbe goutée unter dem Scheine sechs verschiedner Schüsseln auf das Tischtuch und in den Mund zu spielen und belustigt uns zweimal im Jahr mit einer Nachahmung des berühmten Kartoffel-Gastmahls in Paris: anfangs kam bloß eine Kartoffelsuppe – dann schon mit anderer Zubereitung wieder Kartoffeln – das dritte Gericht hingegen bestand aus umgearbeiteten Kartoffeln – auch das vierte – als fünftes konnte man nun wieder Kartoffeln servieren, sobald man nur zum sechsten neu brillantierte Kartoffeln bestimmte – und so ging es durch 14 Gerichte­ hindurch, wobei man noch von Glück zu ­sagen hatte, daß wenigstens Brot, Konfekt und Likör den Magen aufrichteten und nicht aus Kartoffeln bestanden.«

Parmentier propagierte auf allen ihm zur Ver­fügung stehenden Wegen die Kartoffel und empfahl sie nicht nur in seiner Werbeschrift (1789) »Sur les Pommes de Terre« wegen ihrer stärkenden Wirkung. Dabei muß man berücksichtigen, daß Par­mentier als Ober-Apotheker im »L’Hôpital royale des Invalides« eine bedeutende Persönlichkeit im damaligen Frankreich war und sich hervortat auch als Agronom und – heute würde man sagen – als Lebens­mittel­techniker. Parmentier:
    »Meine Studien hatten keinen anderen Zweck als den Fortschritt der Kunst und des all­gemeinen Wohlbefindens. Die Nahrung des Volkes ist mein Anliegen, mein Wunsch, deren Qualität zu verbessern und den Preis zu senken. Ich habe geschrieben, um allen nützlich zu sein.«

Während der französischen Revolutionskriege verstärkte Parmentier seine Anstrengungen, die Kartoffel in ganz Frankreich heimisch zu machen; seine Be­mühungen wurden vom »revolutionären« Konvent, der Versammlung des Dritten Standes in Paris, ausdrücklich unterstützt. 1795 schreibt Parmentier über die Verarbeitung der Knolle:
    »Damit die Erdäpfel, ohne ihre Substanz zu verändern, eine für den Menschen taugliche Nahrung werden, ist es notwendig, sie zu kochen.

Aber diese Vorrichtung, welche gewöhnlich in vielem Wasser und ungedeckten Geschirr geschieht, verkehrt alles: sie benimmt den Wurzeln einen Teil ihres Geschmacks, so daß sie sowohl im Aussehen als auch im Ge­schmacke denjenigen, welche in Backöfen oder in der Asche gebraten werden, weit nachkommen; es sei denn, daß man sie, wie es bei den Engländern üblich ist, auf den Rost lege, um die überflüssige Feuchtigkeit herauszuziehen. Allein diese Arten, die Erd­äpfel zu kochen, sind allezeit mühsam. Die beste Art, sie in einem Hafen mit wenigem Wasser zu thun, welches zu Dünste wird, und alle Seiten der Erdäpfel erwärmet; es wäre noch besser, wenn die Dünste unmittelbar auf sie wirkten. Zu diesem Ziele gießet man in den Hafen ein wenig Wasser, und hängt in diesen einen mit Erdäpfeln angefüllten Durchschlag.

Der Hafen [eine frühere Bezeichnung für ­einen Topf] soll mit einem wohl schließenden Deckel geschlossen und an das Feuer gestellet werden. So bald das Wasser zu sieden anfängt, befinden sich die Erd­äpfel in einer brennenden Wolke, und werden auf alle Seiten erwärmet; ihre Bestandteile vereinigen sich nach, und werden weich und biegsam; woraus das, was man das Kochen heißt, entsteht; während der ganzen Zeit dünstet nur ein wenig Feuchtigkeit zu Vorteil des Geschmacks aus. So behalten sie den ganzen Geschmack, den das gewöhnliche Kochen herauszieht.«

Viele Zeit­genossen Parmentiers teilten seine An­sichten über die Kartoffel nicht; insbesondere die Getreidebauer, die Mühlen­besitzer, die Melbler und die Viehzüchter sahen ihr Einkommen schwinden und agierten entsprechend; François de Neuf­chateau schlug dennoch vor, die Kartoffel in Frankreich »parmentier« zu nennen: Erfolglos – wie wir Heutigen wissen.

Wo immer man auf einer Speisenkarte einen »Salade Parmentier« findet, hat es gewißlich mit Kartoffeln zu tun, mit »Erdäpfel-Salat«. Aber immer­hin,Parmentier bekam seiner Verdienste um die Kartoffel wegen ein Denkmal in Mondidier in Südfrankreich. Ein Bild zeigt Parmentier mit blühendem Kartoffelstrauß, den er Louis XVI. überreicht; gekochte Kartoffeln erinnerten die Bauern an ihre wirtschaftliche Situation: So wie König Louis XVI. ihnen das Fell über die Ohren zog, so verfuhren sie mit der »Pelle« der Knolle. Die sans-culotten, die Hosenlosen, bemerkten kritisch:
    »Er wird uns nur Kartoffel fressen lassen. Er hat sie schließlich erfunden.«

Parmentier ist auf dem Friedhof Père Lachaise (39. Ab­teilung, zwischen der Avenue Transversale Maronniers No 1 und dem Chemin Camille Jour­dan) in Paris beerdigt. An seinem Grab wachsen natürlich Kartoffeln.

Auch die Bohémiens hätten ein Denkmal in Frankreich verdient, brachten sie doch aus ihrer Heimat den Kartoffelknödel in der Krawatte nach Frankreich und machten ihn salonfähig, obwohl bekanntlich die Krawatte (die von anderen österreichischen Untertanen »erfunden« wurde) am ­Essen immer das teuerste ist.

Eine Briefmarke der französischen Post und ein Erst­tagsbrief vom 27. Oktober 1956 ist dem Par­mentier gewidmet. Parmentier gab 1788 eine ­seiner roten Kartoffeln an einen Leipziger Ökonomen, der sie noch im selben Jahr anpflanzte,
    »aber die Neuheit lockte Diebe an, der Stock wurde mir ausgezogen, und ich fand nur noch zwei kleine neue Früchte.«

Diese beiden Kartoffel wurden erneut an­gepflanzt und es ergab sich, daß sie ertragreicher waren als die »neuenglische oder Yambatate«. Man darf bei der Pflanzung der Kartoffel nicht sofort aufgeben; die erste Setzung von rotschaligen Kartoffeln in Hasloh bei Hamburg fielen – böswillig – einem polnischen Mäh-Mädchen zum Opfer.

Die Idee, einen Preis auszuloben (100.000 Francs) für ein Nahrungsmittel (»für ein Fett zum Braten und für den Brotaufstrich«), wird im 19. Jahrhundert von Kaiser Napoleon III. wiederholt und Hypolite Mège Mouriès bekam den Preis. Julia R. stellte rückblickend fest: »Dies war der Beginn eines modernen und gesunden Nahrungsmittels«.

 
Der Entwurf und die Herausgabeder »Grande Encyclopédie« (1751 bis 1780), dem Wissensrund, von Denis Diderot und an Le Rond Baptiste d’Alembert war das kulturell bedeutendste Ereignis in der Regierungs­zeit Louis XV., der das Manuskript der »Ency­clopédie« deshalb auch in der Bastille wegschloß und am liebsten dort hätte vermodern lassen. Die Veröffentlichung beginnt in einer Zeit, in der die Welt sich deutlich wandelt und die »Encyclopédie«, die sehr bald Nachahmer in Deutschland fand, befriedigte zwei Grundbedürfnisse einer Epoche im Umbruch: Sie bringt Ordnung in das Chaos und sie definiert und bewertet neu auftauchende Phänomene.

Der Inhalt war zensiert – nicht alles durfte schließlich gesagt und gedruckt werden – und manches war auch falsch: Die Kartoffel wurde als eine ägyptische Frucht (eine Anspielung auf Salo­mos Schatzkammer?!) bezeichnet, die sich mög­licher­weise in einigen Kolonien nutzbringend an­bauen ließe. Über die Kartoffel schreibt ­Gabriel-François Venel in der »Encyclopédie«:
    »Bei der Bevölkerung ..., allen voran bei den Bauern, ist die Wurzel dieser Pflanze zu ­einem Gutteil des Jahres das tägliche Nahrungsmittel. Sie kochen sie in Wasser, braten sie im Ofen, unter Asche & bereiten verschiedene deftige oder ländliche Eintöpfe damit zu. Wer wohlhabender ist, reicht sie mit Butter, ißt sie mit Fleisch oder bäckt sie in Fett schwimmend aus wie Krapfen &c. Egal wie man sie zubereitet, diese Wurzel schmeckt fad & mehlig. Sie sollte nicht zu den feinen Speisen gerechnet werden. Gleichwohl dient sie allen, denen es nur darum geht, sich zu ernähren, als sehr sättigendes & recht zuträgliches Lebensmittel. Zu Recht heißt es von der Kartoffel, sie erzeuge Winde – doch was sind schon Winde für die robusten Organe von Bauern & Handwerken?«

Schon Jacques Dubois (genannt Sylvius), Arzt aus Montpellier, schreibt zwischen 1542 und 1546 in seinen Ernährungshinweisen für die Armen (»Regime de sante pour les paures, facile à tenir«):
    »Die Armen haben ihre besondere Kost, die ohne Zweifel schwer und unverdaulich, aber ihrer Konstitution perfekt angepaßt ist.«

1791 fügt Neil dazu passend noch alle anderen möglichen gesundheitlichen Folgen des Kartoffelgenusses bei:
    »... die Kartoffeln geben eine grobe und blähende Nahrung. Sie sind ein Aliment, das wenig Nahrung in einem gewissen Umfang hat und man muß viel davon essen, wenn man gesättigt seyn will. Darum dehnen sie, wenn man sie täglich speiset, den Magen aus, erweitern die Gedärme und schwellen den Bauch auf. (...) Personen, die viel Kartoffeln essen, sind mehr als andere asthmatischen Zufällen unterworfen. Sie verstopfen die Eingeweide und vorzüglich das Gekröse, und geben zu allerhand Kinderkrankheiten, Dürr- und Bleichsuchten Gelegenheit.

Die Kinder gemeiner Leute, die viel Kartoffeln essen, verwachsen zu den sonder­barsten Carikaturen. Sie haben ­aufgetriebene Bäuche, wie die feisten Domherren, und sind dabei am ganzen übrigen Körper so mager, als ein schwindsüchtiger Magister.«

Dagegen schreibt Albrecht Thaer, der ein ­großer Förderer der Kartoffel war:
    »Manche haben gesagt: alles Unheil, welches Amerika durch sein Gold, durch seine Krankheiten, und vielleicht neuerdings durch seine Freyheits-Grundsätze, über Europa verbreitet habe, würde durch das Geschenk, welches es uns durch die Kartoffel gemacht, reichlich aufgewogen. Dagegen zählen ­Andre diese Frucht in der Reihe von Uebeln auf, die wir der Entdeckung Amerikas schuldig sind.

    Diese behaupten nämlich, daß eine Menge von Krankheiten, die in neueren Zeiten – oft freylich nur dem Nahmen nach – sich ungleich häufiger äußern, wie ehemals, als da sind Skrofeln und ein vermeintliches Skrophel­gift – ein Ding, was niemand kennt, niemand definirt hat, wogegen fast jede Büchse im modernen Arzney-Apparat empfohlen wird, aber eigentlich kein Mittel aus der Apotheke helfen will – Abzehrungen mancherley Art, Englische Krankheit, Hautausschläge, Würmer, Bleichsucht, Weisser­fluß, Krämpfe, Gicht, Rheumatismen, Brüche, Schleimfieber und Verschleimungen, allgemeine Trägheit und Erschlaffung, Neigung zur Selbstbefleckung – kurz fast alle Krankheiten und Uebel, wo­gegen die Essentia mira­culosa coronata in den Hamburger Zeitungen hilft – von dem häufigen Genusse der Kartoffeln herrühren. ...

    Der erste Verdacht, welchen die Ärzte auf die Kartoffeln waren, rührte wohl daher, daß sie nach ihrem botanischen Character zu einem Pflanzen-Geschlechte gehörten, welche mehrere Arten enthielt, die auf die Nerven des thierischen Körpers eine betäubende Wür­kung äussern.... Da nun noch niemand einen Schatten von giftiger, scharfer oder narkotischer Würkung auf den thierischen Körper an den Kartoffeln hat bemerken können, so läßt man diesen Vorwurf einer unehrlichen botanischen Verwandtschaft ziemlich fallen, ohne ihn jedoch ganz aufzugeben....

    Dagegen beschuldigt man sie um desto mehr ihres mehligten, kleisterartigen Bestands­theils wegen. Dieser soll nicht allein die Gedärme und die sich darin öfnenden einsaugenden Milchgefäße verkleistern, sondern selbst in andre Gefäße, Drüsen und Absonderungsorgane übergehen und solche verstopfen, dadurch dann jenes Heer von Krankheiten erzeugen. ...

    Aber die Erfahrung zeigt doch die nachteiligen Folgen des häufigen Kartoffelnessens nur zu deutlich. Man sieht dies, sagt man, be­sonders in solchen Städten, wo die gemeine Classe des Volks sich kümmerlich mit Manu­fakturarbeiten nährt, und die Hälfte des Jahres täglich Kartoffeln ißt. Jene Krankheiten nehmen daselbst, besonders unter den Kindern, so überhand, daß man wenig gesunde mehr sieht. Aber, liebe Collegen! Essen ­diese Leute nicht auch täglich Brod, trinken sie nicht Wasser? – Warum schiebt ihr es nicht so gut darauf, wie auf die Kartoffeln? ....

    Es ist schon gegen Analogie, daß der Instinct zu Nahrungsmitteln so trügen sollte. Fast jeder unverwöhnte Gaumen liebt dieses Gewächs vorzüglich, und besonders essen es Kinder und junge Leute, nicht ein oder anderes Mahl, sondern fast täglich, mit dem größten Vergnügen, und ziehen es, auf die Dauer, jeder anderen Speise vor.

    Man bemerket ferner von einem starken Ge­nusse der Kartoffeln, vorausgesetzt, daß sie gahr gekocht und nicht durch fehlerhafte Zu­mischungen unverdäulicher gemacht werden, durchaus keine unmittelbaren Folgen; man esse sie zum ersten oder zum tausendstenmahle. Die Natur warnt uns doch sonst bey allem, was uns auf die Folge schädlich werden kann, durch einige, unmittelbar darauf folgende Beschwerden. Vielmehr wird keine vege­tabilische Nahrung von schwächeren Ver­dauungskräften leichter und mit weniger Unbequemlichkeit bezwungen, als diese. Sie erregt weniger Gährung, Aufblähung und Säure, als irgend eine. ....

    Gesichert durch aufmerksame Beobachtung, gebe ich sogar Reconvalescenten Kartoffeln zu, wenn ihr Appetit darauf verfällt, wie dieses bey krankgewesenen Kindern häufig der Fall ist.«

Der Thüringer Schuhmachersohn Ror Wolf bewertet immer noch – ein paar Jahrhunderte danach – die »schwere, heiße, fast unverdauliche Kartoffel«.

Der Arzt Jacob Girard des Bergeries schreibt in seiner »Gouvernement de la santé«, erschienen 1672, das Brot aus Gerste, Hafer und Hülsenfrüchten ungesund und schwer verdaulich sein. Es solle für die Armen sein, die »nicht die Mittel besitzen, sich besseres zu kaufen und die andererseits sehr kräftig sind, viel arbeiten und von jeher diese Art von Brot gewohnt sind.« das deckt sich mit den Auffassungen in der »Encyclopédie« über die Kartoffel.

Die Winnebago in Wisconsin erzählen sich eine äußerst deftige Geschichte (ad non usum delphini) von einer Abführknolle und einer Figur namens Gauner, zu dem eine ­Knolle spricht:
    »›Der, der mich kaut, wird kacken; er muß kacken‹. Das sagte die Stimme. ›Also, warum redet diese Stimme so rüde?‹ fragte Gauner. ... Es war die Knolle, die sprach. So nahm er sie, steckte sie in den Mund, kaute sie und ver­schluckte sie schließlich. Genau das tat er und ging dann weiter. ›Tja, wo ist denn die geschwätzige Knolle verschwunden? Und warum sollte ich kacken? Wenn ich mich nach Kacken fühle, werde ich kacken, aber nicht eher. Wie könnte so ein Ding mich zum kacken bringen?‹ sagte Gauner. Noch während er sprach, begann er zu pupsen. ›Ah, das hat es wahrscheinlich zu bedeuten. Doch die Knolle­ hat gesagt, ich würde kacken, und ich lasse lediglich Blähungen entweichen. Ich bin jeden­falls ein großer Mann, auch wenn ich eine kleine Blähung habe.‹«

Na ja, die Knolle behält am Ende recht. Wer solche Geschichten weitererzählt, gehört sicherlich nicht zu den Kulturnationen europäischer Prägung, sondern unterdrückt!

 Die Ernährung entspricht der »Natur«, dem sozialen­ Rang – Eßgewohnheiten dokumentieren den gesellschaftlichen Status des Menschen und ergänzen­ das vermeintliche sonstige Verhalten. In der Ausgabe der »Encyclopédie« von 1777 wird die Kartoffel von dem Agrarwissenschaftler Samuel Engel wohlwollend(er) und als ein hervorragendes Mittel gegen Hungersnöte beschrieben.

Die frühere Einschätzung der Kartoffel ist verständlich: Die Kartoffel war weit verbreitet, aber gemocht wurde sie von den herrschenden Klassen in Frankreich nicht.

Duhamel du Monceau schreibt in »Traite de la Culture de Terres«, daß die Kartoffel als fruit vil et grossier ein hervorragendes Viehfutter sei und in Notzeiten auch für Menschen wertvoll sei; um diese­ Aussage zu bekräftigen, ergänzt er:
    »Nach kurzer Verwendung ähnelt der Geschmack der Kartoffel den Rüben, besonders wenn sie mit Schinken und gesalzenem Schweine­fleisch gekocht würden.«

Die Bevölkerung baute Kartoffeln an, ohne daß die beiden ersten Stände und die Städter die Kartoffel als menschliches Nahrungsmittel überhaupt bemerkten. An Adels­höfen und in Bürgerhäusern war sie als Nahrungsmittel jedenfalls nicht zu ­finden.

De Chancey aus Saint-Didier bei Lyon, Mitglied der königlichen Landwirt­schaftsgesellschaft, beschäftigt sich eingehend mit der richtigen Düngung und den Ansprüchen der Kartoffel an Klima und Bodenbeschaffen­heit, mit der zweck­mäßigen Auswahl des Saatgutes und anderen Kartoffel­problemen. Zu der Frage, ob es genüge, nur einzelne Augenstecklinge zu setzen, meint er »Malheur alors à ceux qui n’ont planté que des morceau pourvous seulement d’un ½uil«, man soll nicht nur einzelne Kartoffel-Augen pflanzen.

1767 werden von G. F. le Chevalier Mustel erste Untersuchungen über die Inhaltsstoffe der Kartoffel vorgenommen und an die »Royal Société Agri­culture« in Rouen berichtet; die Kartoffel, so der wesentliche Punkt des Berichts, sei her­vor­ragend als Mittel gegen Skorbut anzusehen.

Daniel­ Langhaus, ein damals sehr be­kannter Schweizer Arzt, weist 1768 daraufhin, daß Skorbut eine in der Schweiz allgemein ver­breitete Krankheit sei und nur in jenen Gebieten, in denen die Kartoffel an­gebaut und gegessen werde, diese Krankheit weniger stark auftrete.

Am 2. März 1771 ruft der Dekan der medizinischen Fakultät der Sorbonne seine Kollegen zu ­einer außerordentlichen Tagung nach der Messe­ (also um 10.00 Uhr) zusammen und bittet sie, sich zu einem Schreiben des Finanz­ministers Joseph Maria Terry zu äußern. Terry will in Anbetracht der Hungers­not wissen, ob die Kartoffel krankheitserregende Stoffe enthalte; die Profes­soren kommen nach eingehender Beratung zu dem Ergebnis »que la nourriture de Pommes de terres est bonne et saine«, nicht nur gut und gesund, keinesfalls gefährlich, sondern sogar sehr nützlich, »nullement dangereuse et quelle même très utile«. Klare Auskunft, eindeutige Empfehlung.

Auch Wegrand d’Aussy erklärte 1783 – sechs Jahre vor dem Sturm auf die Bastille (der historisch nachweisbar nicht stattfand) –, der Genuß von Kartoffeln, »eines eigentlich unverdaulichen Nahrungsmittels«, sei nur für die gemeineren Klassen anzuraten,­ da diese über die entsprechenden Ver­dauungsorgane ver­fügen würden.

Der italienische Arzt Filippo Baldini mischt Kartoffelsaft mit Veilchensirup und stellt fest, daß er mit dieser Mischung Blutserum zum Gerinnen bringen kann; bei Brustleiden und beim Auftreten­ von Eiterherden hätte die Kartoffel aufgrund ihrer balsamischen und stärkenden Wirkungen das All­­gemein­befinden seiner Patienten günstig beeinflußt.

Dagegen soll der Philosoph Proudhomme gesagt haben:
    »Ich mag keine Kartoffeln und bin froh darüber; wenn ich sie nämlich möchte, äße ich sie, und davon würde mir schlecht werden«.

Oder sprach Proudhomme vom Spinat: Philosophischer wird der Satz dann auch nicht, zumal (auch) dieses Gemüse – so stand es auch 1707 in der Berliner »Vos­si­schen Zeitung« – Blähungen und Kolik errege und wenig nährend sei (erst der Blubb veränderte dies).

Andererseits wird die Kartoffel 1787 als»gesunde Hauptnahrung« der Landbevölkerung erwähnt. Mitte des 19. Jahrhunderts äußerte der Pariser KochkünstlerJean Anthelme Brillat-Savarin die Tat­sache, daß Kartoffeln das beste Stärkemehl liefern würden.

 
Anne Robert Jacques Turgot, Finanzminister unter Louis XV. und einer der führenden Köpfe der physiokratischen Schule, ließ angeblich – wie ähnlich vorher der Preuße Friedrich II. – ostentativ an seiner Tafel in Paris Kartoffeln reichen und an die Mitglieder der königlichen Landwirt­schafts­gesell­schaft Saatkartoffeln verteilen. Am 25. August 1781 wurden Kartoffeln erstmals an der Tafel Ludwig XVI. gereicht.

Der Stellenwert der Landwirtschaft nahm durch den Einfluß der Physio­kraten stark zu und führte zu Exzessen: Jean Antoine Poisson, die als Maîtresse en titre des Louis le Bien-Aimé Marquise de Pompadour wird, läßt in Versailles Versuche an Saatkörnern und an Kartoffeln durchführen,Marie Antoinette füttert und melkt Kühe in Versailles, Joseph II. von Österreich ackert hinterm Pflug, George III. von England läßt sich als»Farmer George« aufs Feld hinab. Preußens Friedrich II. meint, das die Landwirtschaft zur ersten aller Künste gehöre und das, was die Erde hervorbringe, sei der wahre Reichtum. Die Physio­kratie («Herrschaft der Natur«) war eine von dem französischen Finanz­minister François Quesnay gegründete und von Anne Robert Jacques Turgot weiter­entwickelte Schule der Nationalökonomie im 18. Jahrhundert, die der Landwirt­schaft einen besonderen Rang ­einräumte und die vom Adel aufgrund ihrer einfach nachvollziehbaren Strukturen verstanden werden konnte. Fürsten, Ge­lehrte und Bauern nehmen teil an der Durchsetzung der agrikulturellen Fort­schritte. Neue Erkenntnisse führten dazu, daß schlechte Böden,»Grenz­­böden«, unter den Pflug genommen wurden, ein Anwachsen der Anbau­flächen für die Kartoffeln war die Folge.

In Burgund galten noch bis 1789 Kartoffeln als eine Art Trüffel (Flaubert: »Man enthalte sich derselben, wenn Madame unpäßlich ist«).

Der 1778 vonFriedrich II. angezettelte Krieg in Böhmen gegen Österreich (wegen des Aussterbens der bayerischen Wittelsbacher Linie und der damit­ offenen Nachfolgeregelung des Kurfürstentum Pfalz-Bayern) brachte keine entscheidende Schlacht, sondern erschöpfte sich in einer Vielzahl von kleinen Geplänkeln, ohne daß tödliche Schüsse fielen.­ Der strenge Winter führte zu Versorgungsengpäs­sen; da die Verpflegung der Soldaten zumeist aus Kartoffeln bestand, gingen diese Scharmützel um die Knollen. Dieser »Kartoffelkrieg« belegt, daß zu diesem Zeitpunkt die Knolle weit verbreitet gewesen sein muß: Die Kartoffel – Nahrung der Armen und der Armeen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß wegen der Kartoffel als Hauptgrund ­keine Kriege geführt wurden, wohl aber Kriege wegen Salpeter, Opium, Tee, Bananen, Hanf, Gummi oder wegen des Ergebnisses eines Fußball­spiels. Kriege wegen Gold und Silber gab es. Oder wegen Kohle, Stahl und Öl .

Bei der Belagerung von Paris 1870/71 halfen sich französische und deutsche Soldaten wechselseitig mit Kartoffeln aus, bis ein preußisch-deutsch-königlicher Befehl diese Fraternisierung verbot.

 
Königin Marie Antoinette hatte kurz vor dem Aus­bruch der Revolution in Frankreich 1789 im ­gleichen Geiste wie de Combles und d’Aussy dem Volk von Paris zugerufen, als dieses nach Brot schrie: »Warum essen’s die Leut denn nicht die Erdäpfel?«.

Natürlich könnte man jetzt einwenden, daß ein solcher Satz (»Qu’ils mangent de la brioche«) 1760 von Jean-Jacques Rousseau in seinen »Con­fessions« einer (vermutlich) toskanischen Fürstin in den Mund gelegt wurde, aber Marie Antoinette hat­ sicher­lich in ihrem österreichisch gefärbten Französisch so gedacht.

Die französischen Bauern aßen Roggen- oder Haferbrot, Weizenbrot konnte sich nur die Oberschicht leisten. Dennoch wurde mehr als die ­Hälfte der Einkommen der unteren Bevölkerungsschichten allein für Brot ausgegeben, 1789 – nach einem strengen Winter und mehrmaligen Getreidemißernten – sogar fast neunzig Prozent. Da kommt der »Sturm auf die Bastille« bei schönem Juliwetter gerade richtig.

In mehrmals (wohl) voneinander abgeschriebenen Berichten über diese Bürger­demonstration unter Führung des Bierbrauers und Brauereibesitzers Louis Santerre wandelt sich »pomme de terre« erst in »pomme de tarte«, einem Apfel­küchlein der Pariser Bäcker, dann nur noch in »tarte«, was aber nicht verwechselt werden darf mit den eng­lischen »tarts«, zu dem die Marine nicht nur in Port Limone geht. Die »Haude-Spener­sche Zeitung« in Berlin schreibt 1789 (in ­ihrer Nummer 125):
    »Betrunkene Weiber liefen durch die Straßen und schrien, der Maire Bailly habe ihnen ge­sagt, wenn ihr kein Brot habt, so könnt ihr Bohnen und Kartoffeln essen; das ist für euch gut genug. Doch hatte diese boshafte Verleumdung, die absichtlich erdichtet war, um die Unruhe zu vermehren, weiter keine ­üblen Folgen, als daß jedermann auf seiner Hut war.«
 
Im französischen Revolutionskalender, ein­geführt am 22.September 1792, erhielt der elfte Tag des ersten Monats (Vendemiaire = Herbsterich) eines jeden Jahres – nach dem gregorianischen Kalender der 2. oder 3. oder 4. Oktober – den Namen »pomme de terre«. Im Pariser Konvent forderte der Komödiant, Dichter, Maler und Musiker Fabre d’Egla­tine, eine »gescheiterte Existenz« aus Carcas­sonne, daß die »Heiligen aus dem Kalender hinaus« müßten:
    »Deswegen setzen wir bei jedem Tag die Körner, die Weiden, die Bäume, die Wurzeln, die Blume, die Früchte, welche die Natur gerade bietet«.

Louis Santerre, der Kommandant von Paris während der revolutionären Unruhen, forderte am 5. Februar 1793 in Anbetracht der Hungers­nöte,
    »1) Wenn die wohlhabenden Bürger, die für das allgemeine Wohl eingenommen sind, sich zwei Tage in der Woche des Brots enthielten, und sich statt dessen mit Erdäpfeln und Reis behülfen (welches den Armen, den Arbeitern und den Kindern nicht zuzumuten­ ist), so würden in diesen zwei Tagen bei­nahe 1500 Säcke Mehl erspart werden.«

Und zweitens fordert er, man solle die Hunde und Katzen von Paris totschlagen (Nahrung für 1500 Menschen, 10 Säcke Mehl täglich) und im »Jardin des Plantes« die fremden und seltsamen Pflanzen­ ausreißen und statt derer Kartoffeln ansetzen. ­Seine Forderung wurde nicht erfüllt.

Der Konvent legt in dem »Gesetz des Maximums oder des höchsten Preises für die notwendigen Lebens­bedürfnisse« vom 29. September 1793 zwar die Preise für ins­gesamt neununddreißig Gegen­stände (darunter Unschlittkerzen, Weinessig und süßes Öl) fest, nicht jedoch einen Preis für die Kartoffel; auch in den Nachträgen – im Oktober zum Beispiel alle Artikel für die Papier­herstellung (die Brüder Montgolfier konnten dadurch billiger einkaufen), im Januar 1794 ein Maxi­mum für Wein und im Februar 1794 ein völlig überarbeiteter Katalog – wird die pomme de terre nicht erwähnt.

Andererseits ist im Gefolge dieser Volks­armeen der Anbau der Kartoffel in den besetzten und besiegten Ländern deutlich an­gestiegen, obwohl die revolutionären Garden die Kartoffel nicht sonderlich gemocht haben sollen. Die Kartoffel hatte es schwer in Frank­reich, wenn man den breto­nischen Küstenstreifen, den Elsaß und Lothringen und das Zentral­massiv unberücksichtigt läßt. Erst in den letzten Dekaden des aus­gehenden 18. Jahr­hunderts verbreitete sich, nicht zuletzt durch eine Vielzahl von Schriften über Ackerbau und Viehzucht, der Kartoffelanbau über ganz Frank­reich. Andererseits mußte der Präfekt des »Départe­ments du Nord« noch 1800 anordnen, daß die »Mémoire sur la culture de pomme de terre et sur les avantages que l’on peut en tirer, tant pour de terre la nourriture de l’homme que pour celle des animaux« von ­allen Kanzeln verlesen werde.

Das französische »pomme« kommt von der römi­schen Pomona, Göttin der Früchte und des Obstbaus, von laut. pomum = Apfel oder Frucht. Bekanntlich ergab sich Pomona schließlich dem pene­tranten Liebeswerben des (verkleideten) Ver­tum­nus1, womit wir endlich wieder bei den »ehe­lichen wercken« sind: Das Geschenk ­eines Apfels gehörte im alten Rom zum traditionellen Repertoire ­einer Liebeswerbung; so schließt sich der Kreis zu den »ehelichen wercken« – ein alt­römischerusus wird auf die Kartoffel übertragen, auf den Apfel aus der Erde. In»pommes de terre«, eine Übersetzung aus der spanischen Be­zeich­nung »turma de tierra« hat sich über den holländischen »Aardappel« der ursprüng­liche Name »Erdapfel« erhalten.

Das erklärt auch die Herkunft der deutschen Bezeichnung für den »Erdapfel«: aus dem italieni­schen tartuffoli, die Verkleinerungsform von tartufo, weil sie dem in Italien verbreiteten Trüffelpilz (tuber aestivum) ähnelte; tartufo ist wiederum auf die arabische Bezeichnung Terfez zurückzuführen, die von den ­Römern aus Syrien und ­Nordafrika eingeführt wurden und die sie terrae tuber, Erd­knolle nannten.

 
Als der aus Irland stammende Divisionsgeneral und Konvent-Abgeordneter von Martinique Arthur (Graf von) Dillon am 5. März 1793 seinen Bekannten, darunter dreißig Männern vom radikalen Flügel des Konvents, in seinem Haus ein »splendides« Mahl reichte, wurde dies von dem Deputierten und Zeitungs­herausgeber Proud­homme, auf dessen Vorschlag im August 1793 auf den Pariser Straßen ein Bruder- und Bürgermahl stattfand, in seinen »Révolutions de Paris« als Verschwendung gerügt, dies sei kein sparta­nisches Mahl gewesen, »man habe mehr ge­nossen als Reis und Kartoffeln«.

Proudhomme forderte auch, die sonntägliche Hostiengabe in den vierzigtausend Kirchen und die Perückenpuderei (mit Kartoffelmehl) abzuschaffen, da Lebensmittel zu wertvoll seien für die Putzsucht der Pariserinnen. Bei solchen wirklich radikalen Forderungen ist diesseits der rheinischen Grenze dem Bauer die Grumbeere miß­fallen, dem braven Bürger das Blut in den Adern gefroren, dem Adligen, dem ­Klerus das Wachtel­brüstchen im Halse stecken­geblieben.

Seit jener Zeit, da die Köche der französischen Prinzen und Prin­zessinnen revolutions­bedingt ­arbeitslos wurden und deshalb die Bürger be­kochen mußten, rührt der Ruf der französische Küche her – nicht gut, nicht viel, nicht billig. Der französische Philosoph Michel de Mon­taigne 1580/1581 bei einem Reiseaufenthalt in Italien:
    »Die italienische Nation kennt nicht unsere [französische] Gewohnheit, viel Fleisch zu essen«. 
 
Die angebliche aphrodisische Wirkung der Kartoffel erlebte in Frankreich einen Aufschwung, als 1804 Napoleon die Witwe Josephine de Beau­harnais, eine Kreolin aus Martinique, ehelichte,­ die von Kindesbeinen an Knollen­nahrung gewohnt war. Josephine veranlaßte, daß in Malmaison und in Saint Cloud Kartoffeln angepflanzt wurden, die dann zu ihren gargantuesken Ban­ketten in der Rue Chanterine gereicht wurden. Unerfüllbare Hoffnungen braver Bürgersfrauen führen zum verstärkten Anbau der Kartoffel in den Gärten; Josephine hat mit ihrem Einsatz für Napoleon und die Kartoffel wohl mehr erreicht als Parmentier mit seinen Empfehlungen.

In einem Sprichwort hieß es bald von jungen, zielstrebigen Damen: »Elle re­tourne la pomme avec les doigts.« Bessere Pariser Restaurants nutzten in der napoleonischen Zeit die Knolle zur Garnierung, nicht als »Sättigungsbeilage«; offiziell ließ sich »tout Paris« von der Knolle nicht beeinflussen (welcher Mann bestätigt schon, daß er aphrodisische Mittel benötigt?).

 
Am 9. Thermidor, am 21. Juni 1815, wird von ­einem Mann gefordert, die Freiheit der Revolu­tion wiederherzustellen und Napoleon (nach seiner Rück­kehr von Elba) nicht gegen die Bourbonen (und dem Rest Europas) zu unter­stützen. Der Mann warMarie Joseph de Motier, Marquis de La Fayette, Held des amerikanischen Bürgerkriegs, von den Jakobinern verstoßen, von Napoleon nicht ge­würdigt und auf seinem Landgut in La Grange Wein ausbauend, Rosen pflanzend und dicke Kartoffeln setzend; Joseph Fouché, Herzog von Otranto, Polizei­­minister in der Revolution und bei Napo­leon, graue Eminenz, benutzt diesen begeisterten Revolutionär, den wiedergekommenen Kaiser endgültig zu stürzen.

Die Kar­toffeln der Josephine mögen das Liebesleben des Napoleon gewürzt ­haben, ein verärgerter und mißverstandener Kartoffelbauer versetzt ihm aber den entscheidenden Stoß nach St. ­Helena – und dort findet er einen seit 1659 be­stehenden Gemüse- und Kartoffelanbau vor; ansonsten hatte der Raubbau der »Vereenigde Oost­indische Com­panie« (VOC) die einst bestehende para­diesi­sche Fauna und Flora zerstört, Napoleon muß sich mit ein­geschleppten Ratten und ­Flöhen plagen und vergiftet sich an Arsen.

 
Vergeblich wird 1816 von einem französischen Konsul versucht, den Kartoffelanbau auf Sardinien einzuführen; er scheitert an der Rückständigkeit von Kirche und Feudalstruktur (nach der Revolution!); trotz der Nützlichkeit »dieser Knollenfrucht der Armen« läßt sich die Kartoffel nicht einbürgern. Die Versuche, die Kartoffel auf Sardinien anzupflanzen, werden von der orts­ansässigen Aristokratie lächerlich gemacht, ist es doch ein­facher und ehren­hafter, Geld durch die Entführung von Touristen zu erlangen.

Louis François Benoiston de Chateauneuf stellt andererseits ein Jahr später (1817) fest, daß nur in fünf von etwa achtzig Departements die Kartoffel nicht angebaut wird. In Paris seien Kartoffel sogar zumeist die einzige Nahrung bei den unteren Klassen. Der Verbrauch an Kartoffel betrage rund einhundert Pfund pro Kopf. Bis zu den 1840er Jahren sinkt jedoch der Verbrauch wieder ab, so daß nur noch 3,6 Prozent der Ackerbaufläche für die Kartoffel genutzt werde.

1843 werden in Frankreich rund zwölfeinhalb Millionen Kilogramm Kartoffel geerntet, die größte Kartoffelernte bis zum Krieg 1870/1871. In den späten 1840er Jahren entwickelt sich Frankreich vergleichbar der irischen Situation: Wirtschaftliche Krise, Mißernte der Kartoffel, Geldentwertung. Anders als in Irland brechen revolutionäre Un­ruhen aus, als die Preise für Getreide drastisch steigen. Wie in Irland sinkt die Heirats- und damit die Geburtenrate, steigt die Sterberate.

Aber es war in Frankreich auch die letzte große Hungers­not.



Anmerkungen

 

1 Charles de Gaulle, 1961: »Niemand kann ohne weiteres Einmütigkeit in einer Nation schaffen, die 265 verschiedene Käsesorten besitzt.«                  zurück

 

2 Die Realteilung hatte auch einen ganz praktischen Nutzen: Die Inquisition, bestehend aus akademisch geschulten Juristen, konnte nicht alles Land einer »ketzerischen« Familie einziehen und dem Kirchenvermögen zuschlagen.                  zurück

 

3 De Serres wird aufgrund dieses Leitfadens für Gutsbesitzer zum »Obergärtner« an den Hof Henri IV. berufen und beginnt, in Frankreich die Seidenraupenzucht einzuführen (sein Buch über die Seidenzucht »Seydenwurm. Von Art, Natur und Eigenschafft und grosser Nutzbarkeit dess edlen Seydenwurms« wird erstmals 1603 von Cellius in Tübin­gen in deutscher Sprache gedruckt). Unter dem Minister Sully erlebt die französische Landwirtschaft einen Aufschwung, in der Wälder wieder aufgeforstet und Sümpfe entwässert wurden.. Eine heraus­ragende Rolle beim Seidenbau in Frankreich spielten die Hugenotten, von denen fünfzig­tausend später nach England flohen und wegen der Kenntnisse in der Aufzucht der Seidenraupen von König Jacob I. aufgenommen wurden; Frankreich verlor damit seine kulturelle Elite.  

Auch in deut­schen Residenz­städten, in denen noch die Schweine über den Schloßplatz getrieben wurden, wurde die Seiden­zucht durch hugenottische Flüchtlinge eingeführt. Friedrich der Große versuchte, eine staatliche Seidenkultur ins Leben zu rufen. 1774 wurden in Magdeburg, Halberstadt, Brandenburg und Pommern sieben­tausend Pfund Seide ge­wonnen. Besonders erfolg­reich ist Friedrich nicht mit seiner Seidenzucht. Überall in der Umgebung Berlins entstanden jedoch nach und nach Seidenraupenkulturen, die alle nicht reüssierten.  

Grundsätzlich war es schon damals üblich, daß die Einwanderer eine ­bestimmte Qualifikation nachweisen mußten, um eine der begehrten »green cards« zu erhalten, zum Beispiel ein Einkommen von mehr als einhunderttausend Mark im Jahr – sonst galten und gelten sie nur als »Inder«.                zurück

 

4 Benjamin Franklin, gelernter Drucker, meinte über seine Kollegen, sie seien »great guzzlers on beer«, da sie schon zum Frühstück – zusammen mit Käse und Brot – Bier tranken. Franklin übersieht hierbei, daß Bier oder Wein die einzig preiswerten Getränke für die Arbeiter waren – Schokolade oder Kaffee war für den am Existenz­minimum lebenden Pariser Bürger unerschwinglich. 

Die Blätter des Gagelstrauchs, einer bis zu 1,70 Meter hohen Sumpfpflanze, waren wesentlicher Bestandteil der Grut, einem Gemisch aus verschiedenen Kräutern, das im Mittelalter das einzige Würzmittel für Bier war. Gagel trug auch den Namen »Porst«. Mit Gagel angereichertes Bier führte schnurstracks zur Trunkenheit und war gesund­heits­schädlich.                zurück

 

5 Bereits 1492 stellte der Würzburger Benediktiner-­Abt Trithemius fest, daß die gegossenen Lettern in der Buchdruckerei jedem einzelnen Buch-Exemplar unweigerlich auch die gleichen Irrtümer und Druck(Setz-)Fehler einprägten; am Beispiel der Kartoffel-Namengebung kann dies belegt werden.                 zurück

 

6 Jakob Fidelis Ackermann, ein Anatom, entdeckt Ende des 18. Jahrhunderts zwischen den Savoyer und den Walliser Alpen »Die Kretinen, eine besondere Menschenabart«              zurück

 

7 Unter Dissimilation versteht man in der Sprachwissenschaft das Bestreben, zwei gleiche oder ähnliche Laute in aufeinanderfolgenden Silben durch Ersatz einander unähnlicher, besser unterscheidbar und besser aussprechbar zu machen. Die Dissimi­lation betrifft stets ein Element, das allein steht (am Wortanfang oder zwischen Vokalen), niemals umgekehrt: Deshalb wandelt sich Tartoffel in Kartoffel und nicht Tartoffel in Tarkoffel.                 zurück

 

8 Aussatz wurde auch Misel- oder Maselsucht genannt und weil man dergleichen Leute von allem menschlichen Umgang ausschloß, so hießen sie Feldsieche und der Aussatz auch Feldsucht.                zurück

 

9 Butter wurde auch verdächtigt, Lepra oder Aussatz zu verursachen. Als der Kardinal von Aragon 1516 auf eine Reise nach Flandern ging, nahm er deshalb einen eigenen Koch und mehrere Fässer mit Olivenöl mit, um sich gegen diese Krankheiten zu schützen. Dieses Gerücht wurde wohl von den Herstellern und Händlern von Olivenöl verbreitet.                  zurück

 

10 Jean Noël Kapferer hat ein Buch über »Gerüchte« geschrieben: Danach ist das Gerücht ein Phänomen, »das durch seine (nicht-offizielle) Quelle, seinen Entwicklungsprozeß (Verbreitung als Kettenreaktion) und seinen Inhalt (aktueller Fakt)« definiert wird. Die Göttin Fama läßt nur eine schlechte Nachricht Karriere in der Gerüchteküche machen. Im übrigen gibt es den Klatsch (»on-dit«) und die politische Schmähung (»mauvais propos«).                zurück

 

11 Skrofel ist eine Erkrankung der Haut, der Schleimhäute und der Lymphknoten mit Nebenwirkungen wie eitrige Entzündungen. 

Die Krankheit war damals auch unter der Bezeichnung »Königsübel« (»mal du roi«, »King’s evil«) bekannt. Der englische König Charles II. nach der Rückkehr aus dem Exil heilte am Johannistag 1633 öffentlich über einhundert Kranke auf einen Schlag in der Königskapelle zu Holyrood (Edinburgh); insgesamt soll dieser König im Laufe seines Königsseins über 100.000 Erkrankte geheilt haben. Auch nach der »Glorreichen Revolution« war es üblich, erkrankte Kinder zum königlichen Hof zubringen, um durch Handauflegen des Monarchen die Heilung zu veranlassen.  

 Jeder franzö­sische König behauptete, Skrofeln heilen zu können (abgestammt und geerbt von Chlodwig, über Philipp I. und Ludwig IX. dem Frommen). Einmal jährlich nahm er diese heilige Hand­lungen vor. Die Maîtressen hatten sich kurzzeitig zu entfernen.  

Die Häuptlinge von Tonga können heute noch ihre Untertanen von dieser Art von Gebresten heilen.  

In der wissenschaftlichen Literatur jener Zeit wurde über diese Fähigkeit des englischen Monarchen als etwas Selbstverständliches und Wahres berichtet: »Der König von England heilet durch Berührung beyder Hände eine besondere Art der Krankheit, welche das Königsübel genennet wird, und soll diese Kraft den Englischen Monarchen seit den Zeiten des Heiligen [heilenden] Eduards beywohnen» schrieb der Göttinger Jurist und Historiker Gottfried Achenbach 1749. Der Encyclopädist Chevalier ­Louis de Jaucourt meinte dazu, daß es sich bei dem Glauben um die heilende Hände der englischen Könige lediglich um eine lächerliche Krankheit der Engländer selbst ­handele.  

Das »Journal of the American Medical Association« ver­­öffentlichte 1998 einen Bericht über »Therapeutic Touch«: Die selbsternannten Heilerinnen hatten kein »mensch­liches Energie­feld« spüren können, sogar statistisch war der Wirksamkeitsnachweis unter­durch­schnittlich.                zurück

 

12 Irgendjemand mit undeutlicher Aussprache erzählte den Engländern, daß diese Pflanze zu den Sonnenblumen, zu den »girasole«, gehört. Von girasole zu Jerusalem war es nicht mehr weit, und so bürgerte sich der Name ein.                 zurück

 

13 Von zwei weiteren Verschleppungen sei berichtet: Ähnlich Carl Friedrich Philip von Martius, der 1820 Brasilien besuchte und von dort acht Kinder (sechs starben bereits auf der Anreise) nach München verschleppte; beide Über­lebenden (Miranha und Juri) wurden mehrere Monate Opfer von Sensationslust und Ratlosigkeit der Münchner Schickeria, bis auch sie – die sich untereinander nicht verständigen konnten – starben, obwohl ihnen doch das Weihnachtsfest nahegebracht wurde.  

Und nicht zu vergessen: Carl Hagenbeck, der 1881/1882 elf Feuerländer ins Straußenhaus des Berliner Zoos ­verbrachte und die »Fütterungszeiten« dieser »Kannibalen« bekannt­geben ließ; sieben starben während ihres Europa-Aufenthaltes, einer davon angeblich an Schwindsucht – aber es war »nur« Syphilis.  

Feuerländer müssen der »Renner der Saison« gewesen sein, denn auch im Pariser »Jardin de Plantes« konnte man eine »Muster­sammlung« von vier Frauen, vier Männer und vier Kinder, besichtigen. Die Zoo-Pioniere verfolgten neben imperiali­sti­­schen auch die damaligen Ziele des liberalen Bürgertums: geistige Ver­vollkommnung, Weltoffenheit, Freiheits­liebe und Geselligkeit. Der Zoo­logische Garten der Protestan­ten in Köln war »gegen« den bischöflichen gerichtet, der Frankfurter eine Demonstration der jüdischen Finanzaristokratie. Ergänzt, vervollständigt, wurde der Zoo durch den Zirkus, der seinen Ursprung in königlich-fürst­lichen Reitschulen hatte und in dem neben Trapez- und Seilkunststücken hippologische Kriegsereignisse vorgeführt wurden (1825 wurde z.B. im »Royal Amphitheatre« Napo­leons Rußfeldzug unter dem Titel »The Burning of Moscow, Or Bonaparte’s Invasion of Russia« aufgeführt). Im übrigen: Zirkus ist wie Lungenhaschee – nicht öfter als einmal im Jahr. 

Der Zoologische Garten ist eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Die ersten Gärten der Neuzeit entstanden in Großbritannien, es folgen Belgien und die Niederlande und dann Frankreich. Deutschland ist das letzte Land, daß Zoologische Gärten einrichtet. Die Tradition dieser Zoos reicht aber bis in die Römerzeit zurück, wo sich die Wohlhabenden Menagerien einrichteten.                zurück

 

14 In St. Dié in den Vogesen wirkte Martin Waldseemüller (Hylacomylus), der 1507 bekanntlich den neuen Erdteil nach dem Amerigo (Emmerich) Vespucci benennt. Waldseemüller schafft es damit, die bisherigen Bezeichnungen »Ilha de Vera Cruz«, »Terra Sancta Crucis«, »Mundus Novus«, »Terra dos papagaios«, »Brazzil«, »Brasil«, »Verzin« oder »Indias Occidentales« zu verdrängen:
    »Nun sind aber die Erdteile umfassender erforscht, und ein anderer vierter Erdteil ist durch Americus Vespitius entdeckt worden. Ich wüßte nicht, warum jemand mit Recht etwas dagegen einwenden könnte, diesen Erdteil nach seinem Entdecker Americus, einem Mann von Einfallsreichtum und klugem Verstand, Amerige, nämlich Land des Americus, oder America zu nennen; denn auch Europa und Asia haben ihren Namennach Frauen genommen. Seine Lage und Gebräcuhe seines Volks sind aus den zweimal zwei Reisen des Americus leicht zu erfahren.« 

1513 veröffentlicht er eine neue Karte ohne »America«; da hatte er bereits gewußt, daß Amerigo den heutigen Erdteil »Emmerich« nicht entdeckt hatte. Wäre die Kartoffel bereits 1507 in St. Dié angebaut worden, hätte Waldseemüller wohl schon bei der ersten Auflage seiner Weltkarte den richtigen Namen für die Neue Welt ein­getragen.                zurück

 

15 Louis-Sébastien Mercier über den Hunger in Paris:
    »Soll ich dich, Leser, endlich in die zwielichtigen, ver­räucherten Garküchen der Vorstädte führen, wohin die Maurer gehen mit dem Brot unterm Arm, auf dem eine ebensolche Gipsschicht liegt wie auf ihnen selber, und das sie in einem zur Verfügung gestellten Kessel tauchen, was man ›die Suppe übers Brot gießen‹ nennt. Für dieses Eintunken bezahlen sie drei Sols. Welch ein Kessel! Was für eine Suppe!«                 zurück

 

16 Schon die ­alten Griechen bezeichneten jede ihnen unbekannte Frucht als Apfel und setzten zur Unterscheidung lediglich den Namen des Landes hinzu, den man als Her­kunfts­region vermutete: Apfel aus China.                zurück

 

17 Der Jesuit Pater La Chaise aus Aix besaß hier ein Privathaus, als er Beichtiger des Königs Ludwig XIV. wurde. Durch Zuwendungen seines Beichtkindes konnte das Privat­gelände erheblich erweitert werden und wurde zum Treffpunkt der Höflinge beim Comte la Chaise. 1763 ging das Gelände in private Hände über, 1771 wurde es städtisch und 1804 zum Ost-Friedhof umgewidmet. Pater La Chaise war ein großer Förderer der »italienischen Sitten« wie man die Homosexualität, die Sodomie, im Adel seinerzeit umschrieb. Vendôme und Sodom.                 zurück

 

18 Man darf wissen, daß sog. Ersttagsbriefe (FDC, »First Day ­Cover«) und Ersttagsblätter aus­schließlich einem vermehrten Einkommen der Briefmarken-Händler dienen; aber schön anzusehen sind sie manchmal schon.                zurück

 

19 Das Patent für diese perlende Masse von Miège-Mouriès, die den Namen »Margarine« erhielt, wurde später u.a. von den Holländern Jurgens und van den Bergh, von dem Engländer Lever und von dem Österreicher Schicht gekauft, die sich 1929 zu »Unilever« zusammenschlossen. Heute kommt weltweit jeder zweite Margarine-Becher von der niederländisch-britischen Uni­lever (Rama, Sanella, Lätta, Flora, Becel).              zurück

 

20 Bereits im 14. Jahrhundert hatte Giacomo Albini, Arzt bei den Fürsten von Savoyen, seine hohen Herren gewarnt, ­dicke Suppen und schwerverdauliche Innereien zu sich zu nehmen, und den armen Leuten riet er davon ab, erlesene Gerichte zu essen, weil »ihre derben Mägen« sie nicht verdauen könnten. Insofern bleibt die »Encyclopédie« konsequent bei der Unterteilung der Nahrung für hohes und niederes Volk.  

Über den Kakao heißt es in der »Encyclopédie«, daß er heiß macht – Diderot stand voll in der Tradition der Humoralpathologie, die schon Galenos im zweiten nachchristlichem Jahr­hundert propagierte und in dessen Lehren jede Nahrung einen festen Platz und Auswirkungen auf die Psyche hatte. Übrigens: Schokolade kommt von chokola’j, »das gemeinsame Kakaotrinken« 

Das Ende der 1950er Jahre herausgegebene »Chemische Koch- und Wirt­schafts­buch«, das sich an die deutsche Hausfrau wendet, zitiert den Arzt H. Klencke, der 1867 in »Chemi­sches Koch- und Wirtschaftsbuch oder die Naturwissenschaft im weib­lichen Berufe. Ein Lehrbuch.« herausgab: »Die ­Küche des Menschen ist der Spiegel seiner gröberen oder feineren Bildung.« Die »edleren Seelen« suchen »zartere Speisen«, »rohe Seelen« haben hingegen »einen Appetit nach rohen Nahrungs­stoffen und besitzen einen plumpen, mit tierischen Eigen­schaften ausgestatteten Körper«. Was hätte dieser Autor niedergeschrieben, wenn damals schon McDonald und Pizza Hut ihre Pforten und Pfannen ge­öffnet hätten.                 zurück

 

21 Als Bürgermeister von Paris ließ Turgot einen Kanal zur Ableitung der Abwässer bauen, doch der pestartige Gestank verblieb, da der Stadtmagistrat den Kanal später privatisierte; er wurde überdeckt und überbaut und alle Küchenabfälle und Latrinen wurden da hinein entleert. So ist das mit dem Privatisieren: Es fängt an zu stinken. 

Mit der Kartoffel hatte er sehr großen Erfolg; seine Behauptung, der beste Garant des Gemeinwohls sei das Eigen­interesse des einzelnen und von allen Menschenrechten sei das Recht auf Eigentum am meisten auf den Schutz durch die Gesellschaft angewiesen, hat dafür und leider einen größeren Erfolg gehabt: Ohne es noch zu nennen, setzt die F.D.P. ihre Ellbogen ein, um für ihre Klientel deren Eigentum zu schützen. Von der FDP (ohne Abkürzungs-Punkte) mit ­einem breiten bürgerlich-politischen Themen-Spektrum ver­kam die F.D.P. zu einer Drei-Punkte-Partei (araber-freundliche Außen­politik, Politik für ­Groß-Unternehmen, Vulgärliberalismus), um letztlich bei nur einem Punkt zu landen: Solidaritäts­zuschlag. In Ayemenem, in Indien und in Hindi würde man sagen: chhi-chhi poach. Von Karl-Hermann Flach zu Guido »18« Westerwelle. Welch Abstieg! Oder mit Fontane:»Gott, wie ist die Gegend herunter­gekommen!«                zurück

 

22 Bevor die Pompadour gegraft wird, nennt man sie Madame, ein Titel, den sonst nur noch die jeweilige Herzogin von Orléans trägt, deren Mann (der Bruder des franzö­sischen Königs) mit »Monsieur« angeredet werden muß. Trotz oder wegen fortwähren­des Einnehmen von Aphrodisiaka (und hierzu zählte die pomme de terre) starb die Pompadour bereits im Alter von dreiundvierzig Jahren. Sie und alle anderen Maîtressen hatten die Aufgabe, im Bett die königlichen Hoheiten aufzurichten: »Die Liebe eines­ Mannes wird im Bett gewonnen und bei Tisch er­halten. Auch ein König ist ein Mann.«.                  zurück

 

23 Am 30. Dezember 1777 stirbt der kinderlose Wittels­bacher Kurfürst Maximilian Joseph von Bayern. Der Habsburger-Kaiser Joseph II. von Österreich will dem aus einer Neben­linie stammenden Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz das bayerische Erbe nehmen, was nun wiederum den ­Preußen-König nicht ruhig schlafen läßt. Keine großen Schlach­ten, wenig Tote.Schlach­ten, wenig Tote. 

Prinz Heinrich reicht sein Entlassungsgesuch ein wegen der verpaßten Gelegenheiten. Die Höfe von Paris und St. Petersburg mischen sich ein. Ein Kompromiß wird schließlich gefunden, und in Teschen (einem Ort mit ­frühen Kartoffelanbau) wird der Friede geschlossen. Wie wäre Thomp­­son ohne seinen Kurfürst Karl Theodor mit seiner Suppe da­gestanden?                 zurück

 

24 Als der chinesische Bohea-Tee 1773 in den Bostoner ­Hafen fiel, wurde dies zum Anlaß für den amerikanischen Un­abhängigkeitskrieg genommen. Der Zugang über die Ostsee zum russischen Hanf war der Hauptgrund für den englisch-amerikanischen Krieg von 1812 bis 1814. 1838 gelang es England, China in den Krieg zu zwingen und zu besiegen, damit indisches Opium ungehindert nach China exportiert und der »duftende Hafen« englisch werden konnte.  

Als 1842 der Boxeraufstand durch den Frieden in Nanking beendet wurde und der Drachenthron im sog. Friedensvertrag gezwungen wird, seine Häfen für den Import von Opium und zugleich für die Einwanderung christlicher Missionare zu öffnen. Für die Chinesen war somit Opium und christliche Religion direkt verbunden.  

Im Salpeterkrieg gegen Chile (1879–1883) verliert Bolivien die Atacama und damit den Zugang zum Meer, und zwanzig Jahre später geht das roh­gummireiche Acre-Gebiet an Brasilien. 1954 half die CIA der United Fruit Company in Guatemala in ihrem Bürgerkrieg gegen die »linke« Regierung, damit die Ostdeutschen nach 1989 ihre Bananen erhalten (Gert von Paczenski zitiert einen Nazi-Spruch: »Deutscher bleib deutsch und laß dich gemahnen, Iß deutsches Obst und friß nicht Bananen«).  

Der Sieg Honduras über Salvador am 9. Juni 1969 (1:0) beim Kampf um die Teilnahme an der Welt­meister­schaft löste den Fußballkrieg aus; der sog. Fußballkrieg war jedoch die direkte Folge einer Agrarreform in Honduras, die wilde Siedler aus San Salvador unberücksichtigt ließ.  

Dreimal (1958, 1972 und 1974) setzte das an sich doch friedliche Island seine Kanonenboote unter Dampf, um den Kabeljau in seinen Fangrevieren zu verteidigen und setzte schließlich die 200-Meilen-Zone fest. 1990 wur­den die »sieben Schwestern« verärgert, als die Iraker ihnen das kuwai­tische Öl weg­nahmen und damit den »Desert Storm« auslösten.  

Und: Wenn Capt. William Bligh seinen Seeleuten statt Affenbrotfrüchte (die er auf Geheiß der britischen Admiralität in die Karibik bringen sollte) Kartoffeln ge­geben hätte, wäre Fletcher Christians Meuterei sicherlich schon im Brei erstickt worden.                 zurück

 

25 Der »Jardin des Plantes«, 1640 als »Jardin de Roi« unter Comte de Buffon eröffnet, rue Cuvier 57, besitzt noch heute eine außergewöhnliche Sammlung historischer Bäume. Hier befindet sich auch ein Alpiner Garten, ein Iris-Garten, ein Rosen­garten, Ge­wächs­häuser, ein Vivarium und ein Zoo. Gut, daß sich Santerre nicht hat durchsetzen können; wenn’s nach ihm gegangen wäre, würden dort nur Hopfen und Malz wachsen. Im Jahr 2001 hinterlassen etwa Pariser 200.000 ­Hunde (»clebs«, Köter) täglich etwa fünfzehn Tonnen Kötel auf den Gehwegen; deshalb wird die Stadt auch »crottes de chiens«, Hauptstadt der Hundekacke, genannt.                zurück

 

26 Eine wohlgestaltete Pomona ist vor dem Strand-­Museum in Skagen (da wo sich Nord- und Ostsee vermischen) zu sehen und macht Appetit auf mehr. Und unter den Orkneys gibt es eine Insel namens Pomona. Die römische Göttin des Gartenbaus und der Früchte wies den um sie werbenden Gott der Jahreszeiten, Vertumnus, schnöde ab. Dieser verwandelte sich (damals war so etwas noch möglich – meint Ovid in den »Metamorphosen«) in eine alte Frau, die beredt für den Gott sprach, so daß Pomona schließlich sich dem in seiner wahren und schönen Gestalt zurück­gekehrten Vertumnus »ergab« (wie es so heißt). Rubens hat »Vertum­nus und Pomona« für König Philipp IV. so schön gemalt, das dieser das Bild in seinem Schlafzimmer aufhängen ließ, denn Pomona in einem grau-grünen Gewand entblößt ihre Brüste, jedoch hält sie in der rechten Hand eine Sichel, was den Vertumnus an sich hätte vorsichtig werden lassen müßte.                 zurück

 

27 »Die meisten Europäer ziehen Fleischesnahrung vor, die zwar die Säfte öliger, aber die Haut schmutziger und die Ausdünstungen übelriechender macht. Weiber riechen daher, da sie wenig Fleisch essen und mehr Wasser als Wein und Bier oder gar Branntwein trinken, säuerlich wie Kinder und selbst Bauern; Franzosen, Russen und Juden ­riechen stärker als deutsche, Fischesser riechen wie Fische und Italie­ner wie Käse, Zwiebeln und Knoblauch. Neger und Wilde riecht man schon eine Viertelstunde weit, wie die Hirsche in der Brunst, und die Wilden riechen die Spanier noch weiter. Es gibt Nationalgerüche wie Geschlechtsgerüche und Nationalcharaktere. Fast alle rohen Völker lieben ­faulende animalische Nahrung, die ihnen das zu sein scheint, was uns Salz oder Senf ist. Wenn über eine solche Leckerei der Europäer ohnmächtig wird, so findet sie der Kamtschadale angenehm sauer, und Steller nimmt an, daß in Kamtschatka – durchaus nichts stinke.« Carl Julius Weber schildert ­diese geographisch-gastronomischen Charakter­bilder.                 zurück

 

28 Eine sprachliche Abschweifung. Auf Hawaii-Kreolisch heißt der Satz: »Wenn die Arbeit beendet ist, gehen die Männer in den Garten, um Kartoffeln anzubauen«
    »When work pau da guys they stay go make garden for plant potato«
und im Pidgin lautet die Übersetzung
    »No, the man, ah-pau work – they go, make garden, Plant this, ah potato, like that.«               zurück

 

29 Die Stadt Amsterdam war Hauptaktionärin der Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC) und ihrer Schwestergesellschaft Vereinigte Westindische Compagnie (WIC). Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatten sich holländische und seeländische Handelskonzerne zur VOC zusammengeschlossen; sie sollte Handel treiben östlich des Kaps der Guten Hoffnung. Hauptumschlagsplatz war Batavia (Jakarta); ein zweiter Handelsplatz war die künstliche Insel Decima vor Nagasaki, ein halbes Jahr Seereise lag zwischen Amsterdam und diesen Handelsplätzen. 

Die WIC besaß das Handelsmonopol für den Sklaven­handel. Auf der »driehoeksreis« wurde das Geld verdient: Von Amsterdam mit allen Waren, mit denen man Geld verdienen konnte, nach Westafrika; Sklaven aus Westafrika nach Amerika und in Para Maraibo entladen und verkauft an Plantagenherren, bezahlt wurde mit Zucker, der in Amsterdam marktgerecht verarbeitet wurde. 

Die Küsten Brasiliens waren zeitweilig in niederländischer Hand. Amsterdam gewährte ihren Gesellschaften besondere Privilegien: Das Recht, Handelsverträge zu schließen, eine eigene Rechtsprechung, das Recht Kolonien zu gründen und damit auch das Recht »een kriegsmacht to onder­houden«. Die »oorlogslasten« waren enorm, denn bevor man eine Kolonie ausbeuten konnte, mußte Krieg geführt werden, gegen die Eingeborenen, gegen die Spanier, gegen die Portugiesen, gegen Piraten. Erst danach begann das Scheffeln.                zurück

 

30 Der berühmte Astronom Halley reiste 1676 nach St. ­Helena, um den südlichen Sternenhimmel zu kartographieren; »es war der richtige Ort, aber die falsche Atmo­sphäre«, so daß der «Tycho des Südens« durch den Dunst über St. Helena nur 341 neue Sterne entdeckte. Die hohe Luftfeuchtig­keit war und ist für den Anbau der Kartoffel hervor­ragend geeignet. Napoleon konnte nur deshalb nach St. Helena verbracht werden, weil der (vierte königliche) Astronom Neville Maskelyne aus England erst 1761 die geographische Länge mit Hilfe der Monddistanzen bestimmen ­konnte. Bis dahin war das Anlaufen der Insel mehr oder weniger zufällig und vom Glück der Seefahrer ab­hängig.                 zurück


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