Die Kartoffel in Frankreich: "pomme de
                  terre"
                
                
                Wie alle andere Länder Europas wurde auch 
Frankreich regelmäßig von
                Hungersnöten betroffen.Braudel weist beispielhaft auf
                zwei Hungersnöte hin (in Blois 1662: »eine Not wie seit
                500 Jahren nicht mehr« und in Burgund 1693 »eine große
                Zahl Menschen lebt von Gras wie das Vieh«). 
                
                Die Ernährung der Bevölkerung bestand aus Brei, Suppe
                oder Brot aus qualitativ schlechtem Mehl, das in etwa
                ein- bis zweimonatlichem Abstand gebacken wurde. 
                
                Die Produktivität der Landwirtschaft ist äußerst gering,
                so daß bereits ohne klimatisch bedingte schlechte Ernten
                die Ackererträge nicht ausreichend sind. Und wenn dies
                alles nicht ausreichte, die Bevölkerung in Not zu
                lassen, dann kam die Pest oder Typhus oder Diphtherie
                oder eine andere Epidemie. Skorbut oder Pellagra sind
                weitverbreitet. 
                
                Die immerwährende Nahrungsknappheit (nicht nur in
                Frankreich und nicht nur in jenen Jahrhunderten) zwang
                die Menschen zur Suche nach neuen Nahrungsquellen (und
                Verwendung): Kräuter und Wurzel, Traubenkerne und
                Haselblüten, Farnkraut und jede Art von Fleisch (und in
                besonders schlimmen Zeiten auch den Nachbarn). 
                
                Für die Ernährung eines einzigen Bürgers waren im
                Frankreich des 18. Jahrhundert etwa 1,5 Hektar Ackerland
                erforderlich (in England zwischen 1,2 und 1,6 Hektar).
                Doch diese Ackerfläche genügte nur, wenn die Ernte
                zumindest durchschnittlich ausfiel. 
                
                 
                Die ersten Kartoffel sollen nach Frankreich durch den
                Franziskaner Pierre Sornas gekommen sein, der 1540, also
                nur etwa fünf Jahre nach der erstmaligen Entdeckung der
                Kartoffel durch Europäer, als alter Mann aus Toledo in
                Spanien in sein Heimatdorf in der Ardêche zurückkehrte.
                Hier, in dem Weiler Becuze, drei Meilen von Annonay
                entfernt, sollen die Kartoffeln erstmals als Feldfrucht
                auf die Äcker angepflanzt sein. 
                
                1585 waren in den Orten Annonay, Satillieu,
                Saint-Félicien, La Mastre, Le Cheylard und Tournon, kurz
                darauf wurden auch in Saint-Péray und Valence die
                Knollen angebaut. 
                
                Im 17. Jahrhundert war die Kartoffel dann auch in der
                Dauphiné, in le Forez, in le Velay, in einem Teil der
                Auvergne und in einigen anderen Provinzen Frankreichs
                angebaut. Abgeleitet von der italienischen Trüffel wurde
                die Knolle 
truffole oder 
trifola
                genannt. Die Kartoffelbauer erhielten sogar – nicht
                vergleichbar mit irgendwelchen anderen Anbaugegenden in
                Europa – eine eigene Bezeichnung 
– truffoliers.
                
                
                  
                
                Der Kartoffelanbau in Frankreich entwickelt sich nicht
                von den Hafenstädten oder – was ja aufgrund der frühen
                Einfuhrwege naheliegen würde – in den an Spanien oder
                Italien angrenzenden Gebieten (ausgenommen in der
                Region um Lourdes in den deshalb später so genannten 
Püreenäen),
                sondern aus den Rheinregionen, von der Schweiz und über
                die Dauphiné her. Hier zeigten sich die Handelsströme,
                der Weg von Antwerpen und Amsterdam über die Schweiz in
                die norditalienischen »Industrieregionen« und
                umgekehrt führen zum frühen Anbau der tartuffolo. 
                
                Ein zweiter Punkt war, daß die Bevölkerung in
                Lothringen, im Elsaß, im Moselgebiet und in der
                Franche-Comté stärker wuchs als es die Ernährung mit dem
                herkömmlichen Getreide zugelassen hätte und
                Kartoffeln insofern ein »Hilfsnahrungsmittel« wurden
                oder umgekehrt, die Förderung der »ehelichen wercke«
                durch die Kartoffel das Bevölkerungswachstum
                begünstigte. Ähnliches ist für Irland festzustellen. Es
                ist müßig, der Frage nachzugehen, ob der
                Kartoffelverzehr zum Bevölkerungsanstieg führte oder
                ob das Bevölkerungswachstum zum Anbau der Kartoffel
                nötigte. Beides hängt miteinander und untrennbar
                zusammen. 
                
                Wie in Deutschland entwickelte sich auch in Frankreich
                eine häusliche Textilproduktion – später
                »Heim«-Industrie genannt; wie in Deutschland wurde die
                Knolle Nahrungsmittel der Leinweber und anderer mit der
                Tuchfabrikation beschäftigten Menschen. 
                
                Vor 1700 gab es keinen nennenswerten Kartoffelanbau in
                Frankreich. Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm in den
                Gebieten, in denen keine alternativen Pflanzungen
                möglich schienen (im Süden Olivenbäume und der aus
                Portugal kommende Mais, im Norden Frankreichs Weinbau
                und Eßkastanien), der Kartoffelanbau auf kleinen
                Parzellen stetig zu. 
                
                Nach Arthur Young, dem englischen
                Landwirtschaftsfachmann, bestanden 1787 die Höfe
                Nordfrankreichs zu mehr als einem Drittel aus kleinen
                Besitzungen, kleinen Farmen, die denen gehörten, »die
                sie bebauen«. Nach Alexis Tocqueville (in »Ancien
                Régime«) wurde das Anwachsen des Kleinbauerntums
                zusätzlich befördert durch die Extravaganzen des Adels,
                die sich lieber in Paris und Versailles verlustierten
                und ständig in Geldnot waren und daher ihre Domänen in
                kleinen Parzellen an die Bauern verkauften
.
                Ein weiterer Grund für das Anwachsen des
                Kleinbauerntums war das Erbrecht (im Süden Frankreichs
                nach altem römischen Recht), das eine nahezu gleiche
                Teilung im Todesfall vorsah (Primogenitur war nur
                üblich für die 
Ritterlehen). Kleine
                Landwirtschaftsflächen förderten – wir wissen es aus
                anderen Gebieten – auch in Frankreich den
                Kartoffelanbau. 
                
                Etwa seit 1665 wächst eine rotschalige und weißblühende
                Kartoffelsorte im Pariser »Jardin Royal des Plantes
                médicinales« – nach Angaben von Guy de la Brosses, einem
                der Gründer dieses Kräutergartens. In dem »Botanicon
                Parisienne«, 1727 von Hermann Boerhaave in Leiden
                herausgegeben, steht, daß die Knolle um diese Zeit auch
                schon auf den Felder um Paris herum angebaut worden sein
                soll. Auch im 1749 in Paris von Dalibard
                herausgegebenem »Prodomos Florae Parisiensis« wird auf
                diesen frühen Kartoffelanbau hingewiesen. 
                
                 
 
                
                Der Franzose Olivier de Serres aus Prudel bei
                Villeneuve-de-Berg (in der französischen Ardêche)
                veröffentlicht 1600 die Schrift »Théâtre d’Agriculture
                et 
Mesnages des Champs« und nennt
                (im 10. Kapitel des vierten Bandes)
                
                  »Cest arbuste, dit Cartoufle, porte fruict
                  (tubercule) de mesme nom, semblable à truffes et
                  par d’aucuns ainsi appelé. Il est venu de Suisse, en
                  Dauphiné, depuis peu de temps en ça«. 
                  
                  (Übersetzung: "Diese Schachtel da, meint Cartoufle, da
                  sind Früchte drin (Knollen), und sie heissen auch so,
                  sehen wie Trüffel aus, könnte man auch so bezeichnen.
                  Der kam aus der Schweiz, Dauphiné, nach kurzer Zeit").
                  
                
                Dieser Strauch, cartoufle genannt, trägt Früchte
                gleichen Namens ... Im »Théâtre« weist de Serres
                daraufhin, daß die Bezeichnung 
cartoufle für
                die Kartoffel wie auch für die Trüffel verwendet werde.
                
                
                De Serres berichtet, daß die von ihm beschriebene
                Pflanze in der Dauphiné angebaut werde. Er spricht von
                einer Pflanze mit weißen Blüten, so daß davon auszugehen
                ist, daß er nicht den Topinambur meinte, denn dieser hat
                gelbe Blüten. 
                
                Ist es denkbar (und nicht viel wahrscheinlicher), daß
                der Setzer aus dem handgeschriebenen »Tartouflé« die
                »Cartouflé« machte undde Serres diesen kleinen Fehler
                beim Korrekturlesen nicht bemerkte? Ein Fehler, der zu
                einer neuen Namengebung für den »Grüblingsbaum« in
                Deutschland führt? Der Unterschied zwischen einem
                Versal-»T« und einem Versal-»C« ist nur (zum Beispiel
                bei den nachste
henden Schriften)
                marginal (ein Strich da, ein Strich da nicht) und – in
                Anbetracht der schlechten Lichtverhältnisse in den
                damaligen Offizinen und dem für die Arbeit in der
                »Gasse« erforderlichem und notwendigem Bier mit 
Gagel-Zusatz –leicht zu
                verwechseln.  
                
                Zugegeben: Die Verwechslung von »T« und »C« kann schon
                in der Schweiz erfolgt sein; man denke an die aus dem
                Piemont vertriebenen Waldenser, die das Druckgewerbe
                und die Apotheken in Genf dominierten und einen eigenen
                Dialekt sprachen. Es scheint ja auch sicher zu sein, daß
                das Wort »Kartoffel« ursprünglich aus dem »tartifole«,
                der Bezeichnung für die Trüffel in einem
                piemontesischen Dialekt, herstammt und sich alle
                anderen Ableitungen hieraus entwickelt haben. Für diese
                Deutung spricht, daß die Kartoffel von Spanien kommend
                zuerst in Norditalien angebaut wurde und die Waldenser
                (im Piemont lebend) nicht im katholisch-apostolischen
                Glauben verhaftet waren und daher für Neuerungen
                aufgeschlossener waren. 
                
                Auch der schweizer Sprachwissenschaftler Rudolf
                Thurneysen (1857–1940) schließt 1905 (in »Die
                Etymologie«) die Möglichkeit eines schlichten
                Setzfehlersnicht aus:
                
                  »Wenn das ital. Tartufolo sich im Deutschen zu
                  Kartoffel hat umgestalten können, so hängt es nicht
                  etwa mit einer besonderen Neigung des Deutschen
                  zusammen, t mit k zu vertauschen,
                  sondern damit, daß die richtige Form, das im 18. Jh.
                  daneben auftretende Tartuffel zu wenig bekannt war,
                  als daß sie sich der zufällig verunstalteten
                  kraftvoll entgegengesetzt hätte.«
                
                
                Eine andere Theorie lautet, daß der produktive Anlaut 
karteine
                besondere Attraktivität besitze – wie es zum Beispiel im
                Wort 
Kartätschenachweisbar sei; vielleicht ist
                damit gemeint, daß man Kartoffeln auch in Kartätschen
                verwenden könne. Sicher ist, daß nach 1720 der Name
                Kartoffel in allen deutschen Landen üblich wird und die
                bisherigen Bezeichnungen verdrängt. 
                
                Die Meinung de Serres, die 
cartouflé sei von der
                Schweiz in die Dauphiné gekommen, kann – wie so vieles
                in der Kartoffelgeschichte – bezweifelt werden – Bauhin
                meint, die Knolle sei aus Deutschland in die Dauphiné
                gekommen, aber da muß sie doch auch erst ‘mal hinge
kommen sein von ....? Auch wird in der
                gelehrten Diskussion eingebracht, daß die Bezeichnung 
Kartofla
                in den Schweizer Kantonen Neuenburg, Waadt und 
Wallis aus Frankreich (und nicht
                umgekehrt) gekommen sei; ansonsten würde in der Schweiz
                der Begriff Erdäpfel oder Herdäpfel (Aussprache: 
Cherdäpfel
                mit Rachenbetonung) verwendet. C. Grégoire (im »Essai
                historique sure l’état de agriculture en Europe au XVI.
                Siècle«) schreibt im Zusammenhang mit der Namensgebung
                
Cartouflé durch Oliver de Serres, daß
                
                  »heutzutage in der Schweiz die Bezeichnung Tartuffel
                  für die Pomme de terre verwendet werde, was doch sehr
                  nahe an dem Namen cartoufle, den Oliver de Serres
                  verwendet hätte, herankäme.«
                
                
                Es mag natürlich auch sei
n (und klingt
                auch wissenschaftlicher), daß die wundersame Verwandlung
                der »
Tartoffel« (da es auch 
der
                Trüffel hieß) in die »
Kartoffel« ein
                normaler Prozeß war, den die Sprachwissenschaft »
Dissimilation« nennt: Nachträglich
                kann natürlich für viele Vorgänge eine
                wissenschaftliche Begründung gegeben werden,
                nachträglich kann die Theorie der Erfahrung angeglichen
                werden, so daß zu einem noch späteren Zeitpunkt nur
                schwerlich festzustellen sein wird, ob das Ei oder die
                Henne zuerst da war. 
                
                Sicher ist, daß sich die Kartoffel mit »C« zuerst im
                südfranzösischen und dann in der Schweiz bzw.
                Süddeutschland durchsetzt. Die Bezeichnungen »Tartuffel«
                oder »Tartüffel« und ihre Varianten halten sich in
                Deutschland – neben den volkstümlichen Bezeichnungen
                wie Erdapfel, Erdbirne, Erdschocken, Grundbirne,
                Härdäppel usw. – bis in die zweite Hälfte des 18.
                Jahrhunderts. 
                
                De Serres weist daraufhin, daß die von ihm beschriebene
                Pflanze in der Dauphiné angebaut werde. Antoine
                Augustin Parmentier (über den später mehr gesagt wird)
                behauptet 1805, de Serres hätte die Jerusalemer
                Artischocke beschrieben, 
                
                Ernest Roze (1898 in »Histoire de la pomme de terre«)
                weist jedoch daraufhin, daß de Serres von einer Pflanze
                mit weißen Blüten spricht, wogegen der Topinambur gelbe
                Blüten habe; auch Salaman meint, Parmentier hätte sich
                geirrt, da der Topinambur nicht vor dem Jahr 1610 nach
                Europa gekommen sei. Sei’s drum. Ein abschließender
                Hinweis zur Namengebung: William von Occam (um
                1285–1349), das ist der aus dem Rosengeheimnis von
                Umberto Eco, meinte, daß die zutreffende Erklärung für
                jedes Problem gewöhnlich die ist, die von den
                vorhandenen Informationen den einfachsten Gebrauch
                macht. 
Occam’s razor. 
                
                 
                In Burgund wurde zwischen 1610 und 1620 der Anbau der
                Kartoffel verboten, weil die Knolle (hier Indische
                Artischocke genannt) »
Aussatz oder
                die Maltzey verursache«; nicht verboten wurde der
                Trüffelpilz, den sich nur Adel und Klerus leisten
                konnten und auch den »ehelichen wercken« dient: Lust nur
                für die Reichen. Vielleicht wären die Preise zu sehr
                gestiegen, wenn sich jeder Landmann sein Essen mit der
                Trüffel hätte würzen dürfen. 
                
                Ernest Roze geht davon aus, daß es sich bei diesem
                Verbot nicht um unsere andigene Kartoffel handelte,
                sondern um die Jerusalemer Artischocke. In einem
                Ratsbeschluß in Besançon aus jener Zeit wird die
                Kartoffel als »bösartige Substanz« bezeichnet, deren
                Genuß die Lepra auslöse:
                
                  »In Anbetracht, daß die sogenannten Erdäpfel eine
                  schädliche Frucht sind und ihr Genuß den Aussatz
                  hervorrufen kann, verbieten wir hiermit den Anbau in
                  unserem Lande bei schwerer Strafe.«
                
                
                Rund dr
eißig Jahre später steht in
                einem französischen Haushaltsbuch: »Bei zu häufigen
                Genuß verursache sie [die Kartoffel] 
Lepra«.
                
                
                Und außerdem steigere sie die fleischlichen Gelüste der
                Frauen (damit ist nicht der Appetit auf Rinder- oder
                Schweinefleisch gemeint) und bewirke, daß sie Kinder
                mit zu großen Köpfen zur Welt bringen müßten. Friedrich
                Wollner schreibt 1970:
                
                  »Verwechslungen mit der Topinambur brachten ihr den
                  [diesen] Ruf ein ...«,
                
                
                was ja wohl nichts anderes meint, als daß auch der
                Topinambur die Gelüste weckt. 
                
                Es liegt auf der 
Hand, daß die
                Getreidehändler am Anbau der Kartoffel nicht
                interessiert waren und 
Gerüchte
                wider den Kartoffelanbau verbreiteten. Als die Lepraals
                angebliche Folge des Kartoffelverzehrs verschwindet,
                treten die 
Skrofeln die Nachfolge
                an. 
                
                AuchAnne Robert Jacques Baron de l’Aulne Turgot
                (1727–1781), ab 1761 Vorsitzender der Généralité von
                Limoges, konnte diesen abergläubischen Volksglauben
                nicht verändern in einer Zeit, in der harmlose alte
                Frauen und hübsche reiche Witwen noch als Hexen
                verbrannt wurden und Frauen allgemein als 
organum
                  Satanae, als Instrument des Teufels, bezeichnet
                wurden. 
                
                Nach dem französischen Volksglauben konnten die Skrofeln
                durch die Berührung eines geweihten Königs geheilt
                werden. Aber wann verlief sich schon ein König in ein
                Dorf? Und wo gab es in dieser kartoffellosen Zeit noch
                geweihte Könige? 
                
                In einer Beschwerdeschrift aus dem Jahre 1612 wird
                andererseits dokumentiert, daß die Bauern gegen die
                Verpflichtung, die Kartoffel anzubauen, protestierten:
                
                  »... gegen die willkürliche Bosheit der Fürnehmen
                  Herren, dieses Schweinefutter anzupflanzen,
                  wiewohl man doch gemeiniglich weiß, daß die
                  menschliche Nahrung aus Korn, Hülsenfrucht und Fleisch
                  besteht.«
                
                
                Am Sonnabend, dem 10. April 1694, so berichtet der
                protestantische Advokat Isaac Tournon, wurden »les
                truffoles blanches« für »22 sols la quatre« auf dem
                Markt auf dem Place de la grenette in Annonay verkauft.
                Dieser Bericht ist das erste Dokument in Frankreich, das
                von einem Verkauf der Knollen auf einem öffentlichen
                Markt berichtet. 
                
                1749 berichtet Raoul de Combles in »L’école du jardin
                potager«, (»Lehrbuch der »Hausmannskost«) daß auf
                Pariser Märkten neben rotschaligen auch gelbschalige
                Knollen verkauft würden und letztere wegen ihres weniger
                herben Geschmacks bevorzugt würden. De Combles nennt
                hier Rezepte für die feine Küche, hält aber die
                Kartoffel insgesamt doch nur für ein Nahrungsmittel der
                »gens du bas état«, für die kleinen Leute. Die Kartoffel
                war zu diesem Zeitpunkt für seine Leser jedoch noch so
                ungewöhnlich, daß er ausschließlich den lateinischen
                Namen der Kartoffel und nicht das »pomme de terre« im
                heimischen Patois verwendet. Raoul de Combles über die
                Kartoffel:
                
                  »Dies ist in aller Augen das abscheulichste Gemüse,
                  doch das Volk, welches den größeren Teil der
                  Menschheit ausmacht, ernährt sich davon«.
                
                
                1762 schreibt der Pfarrer von Saint-Alban-d’Ay und Prior
                von Empurany und Pailhaès, Descourz de la Grange, in
                einer offiziellen Antwort auf eine Untersuchung in den
                Pfarrgemeinden des Languedoc an den Erzbischof von
                Vienne (Haut-Vivaries), scherzhaft von der Tradition der
                »Karpfen« in Saint-Alban; damit will der Prior auf das
                griechische 
carpos, Obst, hinweisen. 
                
                 
                Im Frankreich des 17. und bis zur Mitte des 18.
                Jahrhunderts wurde ein anderes Produkt aus Amerika, das
                seit 1607 aus Brasilien eingeführt wurde, häufiger
                angebaut als die Kartoffel: die »girasole«. Sie war
                weniger anfällig für Krankheiten, winterhart und hatte
                einen vergleichsweise höheren Ertrag. Diese
                Artischocke oder mit anderem Namen »Topinambur« (
helianthus
                  tuberosus), ein Verwandter der Sonnenblume
                (deshalb auch Sonnenrose genannt), wurde anfänglich
                häufiger angebaut als die Kartoffel und trug wie diese
                die Bezeichnung Erdapfel, Erdartischocke, knollige
                Sonnenblume, Pferdekartoffel, Saukartoffel,
                Erdtüffeln, Tartüffeln, Grundbirn oder Erdbirn.
                Kartoffel wie Topinambur kamen etwa gleichzeitig in
                die Zier- und Lustgärten des Adels und den
                botanisch-medizinischen Gärten von Ärzten und
                Gelehrten.
 
                
                Der Topinambur wurde in England als 
Jerusalemer
                  Artischocke bezeichnet, in Holland »Aardpeeren«
                genannt, in Italien auf »Battatas« getauft. Auf Madeira
                heißt der Topinambur heute »brasilianische Batate«, aber
                auch »batate ingleses«. Die Bezeichnung »Erdbirn« wurde
                für einen Kürbis, für (Citrullus)-Gurken, für
                Alpenveilchen (Cyclamen) und für Alraune (Mandragora
                officinalis) verwendet – und zwar schon vor Einführung
                der Kartoffel nach Europa. Die Bezeichnung erklärt sich
                durch die violette Farbe der Blüte. In England wurde
                der Topinambur als Jerusalemer Artischocke bezeichnet,
                in Holland »Aardpeeren« genannt, in Italien auf
                »Battatas« getauft. 
                
                Der Topinambur – und das war ein besonderer Vorteil im
                schon damals holzarmen Südfrankreich – konnte roh
                gegessen werden. Er besitzt weitere Vorteile im
                Vergleich mit der Kartoffel: Die Pflanze ist ergiebiger
                als die Kartoffel, frost- bzw. winterhart, und die
                Stengel sind als Viehfutter zu verwenden, da er keine
                giftigen Beeren trägt; die Gebrauchsmöglichkeiten
                sind für beide Wurzelpflanzen fast gleich – von der
                Puderherstellung für die fürstlichen Zöpfe
                (Kartoffelpuder haftete nicht so gut in den Frisuren)
                bis zur Produktion von Fusel. Die beim Transport der
                Kartoffel unvermeidliche Beschädigung der Knolle fällt
                beim Topinambur nicht so gravierend aus. 
                
                Was also war der Grund für die Verdrängung des
                Topinamburs durch die Kartoffel in Europa? Bernhard
                Martin meint (über deutsche Verhältnisse), der süßliche,
                fade Geschmack des Topinamburs »lag unseren Bauern
                nicht, wie auch einige ältere Zeugnisse hervorheben«.
                Auch die übermäßige Fruchtbarkeit ließ die Bauern
                zurückschrecken (ein einmal mit Topinambur bewachsenes
                Feld war nur schwer wieder davon zu befreien – wie es
                auch mit Brombeeren zumeist der Fall ist), und das
                hätte die übliche Drei-Felder-Wirtschaft erheblich
                beeinträchtigt. 
                
                 
                Im Früh
jahr 1613 verschlepptClaude
                Delany Seigneur de Razilly von der Insel Maranhaom (im
                Delta des Grajahu/Brasilien) Eingeborene vom Stamm der
                Tupi 
Guaranís; diese Guaranís
                waren unter frühen Entdeckern und Forschern auch als
                »Topinambá«, »Topinambous« (André Thevet),
                »Tuupinambáults« (Jean de Léry) oder »Tuppin Imba«
                (Theodore de Bry) bekannt. Die Europäer beschafften
                sich an Brasiliens Küste Rotholz (Brasilholz), das zum
                Färben (portugiesisch: 
pau brasil, von port. 
brasa
                = glühende Kohle) benutzt wurde und missionierten
                nebenbei die menschenfressenden Eingeborenen der
                Tupinambás und deren Feinde, die Margajas. 
                
                In Paris wurden sie getauft und mußten zum Ärger des
                Klerus den französischen Hof mit Schautänzen
                unterhalten; während die angeblichen Kannibalen
                tanzten, pflegte der Hofstaat zu speisen und fand es
                sehr lustig – so wird erzählt –, zu bemerken, daß sie
                jetzt »les tupinamburs« verspeisen würden. Die drei
                letzten Überlebenden dieser Tortur wurden vom König
                »angemessen« verheiratet. Satiriker wie François de
                Malherbe (1555–1628) bezeichneten daraufhin Absurditäten
                des Hofes und andere seltsame Angelegenheiten als
                »topinambous«. In dieser Zeit wurde der »Helianthus
                tuberosum« von Champlain und Lescarbot aus Kanada
                nach Frankreich exportiert, eine bizarre Frucht, etwas
                fremd für die Franzosen, also »topinambous«. 
                
                Jean de Léry, ein französischer Hugenotte, berichtet
                über seine Reise nach Brasilien 1556–1558, daß »unsere
                Amerikaner in ihrem Lande zwei Wurzeln« haben, die sie
                »Aypi« und »Manihot« nennen. Eine dritte Sorte würden
                die Eingeborenen »Hétisch« nennen. Alle diese Knollen
                sähen gleich aus,
                
                  »doch beim Kochen stellt man fest, daß die einen
                  violett wie hierzulande [in Frankreich] bestimmte
                  Teigwaren, die anderen gelb wie Quitten und die
                  dritten weißlich werden.«
                
                
                Aus der Beschreibung de Lérys ergibt sich, daß es sich
                bei keiner dieser Pflanzen um die andine Knolle handelt.
                
                
                Durch den Anbau dieser Pflanze lernten die französischen
                Bauern, »Jacques Bonhomme« von den Städtern genannt, das
                Bearbeiten einer Hackfeldfrucht (wie die Kartoffel) und
                den süßen Geschmack kennen. 1697, so François Misson in
                seinen »Erinnerungen und Beobachtungen«, sagen die Iren,
                daß die »Potatoes ein Erdapfel, eine Art Topinambur«
                sei. Anfänglich besaßen die in Europa angebauten
                Kartoffeln gleichfalls einen süßen Geschmack; es
                handelt sich also nicht unbedingt um die andigene
                Knolle. 
                
                Einer der vielen Steuer-Konflikte brach 1713 aus
                zwischen den Bauern und den Grundbesitzern in den
                Vogesen über den Zehnten, insbesondere über die Abgaben
                für die Topinambur und für die Kartoffel, beide »pomme
                de terre« genannt. Da die Knollen sich selbst vermehren,
                sei es unbillig, hierfür den Zehnten zu verlangen,
                argumentierten die Bauern. Im übrigen würden die
                Abgabeordnungen nur den Topinambur und nicht die
                Kartoffel nennen. Die Forderung auf den Zehnten mag auch
                dazu beigetragen haben, daß die Kartoffel im 18.
                Jahrhundert die Topinambur in Frankreich verdrängte,
                obwohl bürgerliche Franzosen weder die eine noch die
                andere Knolle mochten 
oder gar auf
                ihren Eßtisch brachten. 
                
                In 
Saint Dié forderte der Pfarrer
                Louis Piot von seinen Schäfchen den Zehnten; Herzog
                Léopold von Lothringen ordnet deshalb 1715 – der
                wiederholten Streitereien überdrüssig und auch an seinen
                Geldbeutel denkend – an, daß der Zehnte auf Kartoffel 
und
                Topinambur zu entrichten sei. Aus diesem Befehl ist zu
                entnehmen, daß die Kartoffeln seit mehr als fünfzig
                Jahren – also etwa seit 1660 – im lothringischen Gebiet
                angebaut wurden. 
                
                Nach der Mitte des 18.Jahrhunderts – insbesondere in den
                Jahren 1750–1760 – werden zahlreiche Schriften vom
                »Bureau d’agriculture« publiziert, die den
                Kartoffelanbau empfehlen. Auch die
                Landwirtschaftsgesellschaft, 1761 gegründet von den
                französischen Ministern Turgot und Bertin, unterstützt
                ausdrücklich den Kartoffelanbau. 
                
                Braudel meint,
                
                  »daß die Kartoffel selbst in dem in dieser Hinsicht
                  besonders rückständigen Frankreich«
                
                
                erfolgreich war und angebaut wurde: in der Dauphiné
                (Gebiet zwischen Rhône und Durance), in den Vogesen, im
                Elsaß seit 1660 (hier wird die üppig wuchernde
                Kartoffel auch als »frech« bezeichnet), am
                Zentralmassiv, in Lothringen 1680, an den Nordhängen
                der Pyrenäen, an der bretonischen Küste (Abfahrtsort der
                Amerika-Schiffe). 
                
                Es gibt zu bedenken: In Gebieten mit frühem oder starkem
                Kartoffelanbau traten häufig auch christliche
                Erscheinungen oder Stigmatisierungen auf; hier seien nur
                auf einige wenige dieser Auswirkungen verwiesen:
                
                  – Bernadette Soubirous in Lourdes an den Nordhängen
                    der Pyrenäen, 
                  – Czenstochawa in Polen, 
                  
                  – Therese Neumann (das »Heilandresl«) in der
                  Würzburger Gegend (in Konnersreuth), die – oh Wunder
                  – zwischen 1927 und ihrem Tode 1962 nicht einmal
                  Kartoffelbrei) zu sich nahm, 
                  
                  – im portugiesischen Fatima oder 
                  
                  – in Santiago de Compostela im spanischen Galizien
                  oder in Marpingen im Saarland.
                
                
                Diese Visionäre waren meist Frauen und Kinder aus der
                Unterschicht, in der Kartoffeln vielfach die einzige
                Nahrung waren. Entweder brachten Pilger die Kartoffel
                als Wegzehrung mit (und einige wurden auch angepflanzt,
                weil das Wunder einer Heilung wohl etwas länger dauern
                könnte) oder – so erklärt der Händler Gerhard Schröder
                aus Hamburg-Altona – die Kartoffeln wurden wegen der
                Pilgerströme angepflanzt (Klostergärten hätten
                schließlich schon früher die Kartoffel gebaut). 
                
                Parallel dazu waren dies Gebiete, in denen insbesondere
                die Textilindustrie besonders stark wuchs. Dies findet
                eine Entsprechung – zum Beispiel – in der bereits früh
                entwickelten Verlagsarbeit in der Oberpfalz. Und
                nochmals: In Gebieten mit Kartoffelanbau stieg die
                Bevölkerung deutlich stärker an als in Provinzen ohne
                Kartoffelpflanzungen, was die Industrialisierung
                begünstigte, aber auch zu erheblichen Unruhen führte. 
                
                 
                In Frankreich war die Kartoffel der hohen Geistlichkeit
                und dem Adel als Zierde bekannt: Die
                Porzellan-Manufakturen mußten ganze Services mit
                Kartoffelblüten bemalen. Königin Marie Antoinette
                (aber auch manch andere 
Précieuse der feinen
                Gesellschaft) besaß einen Morgenrock, der mit einem
                Kartoffelblütenmuster bestickt war; Kartoffelblüten
                im Haar und im Decolleté sollen zeitweise der 
dernier
                  cri am Hof von Versailles gewesen sein; Auch der
                Adel war pittoresque. Die Herren trugen im Knopfloch
                ihres gerade »erfundenen« Fracks eine Kartoffelblüte,
                die die Nelke ablöste. 
                
                Doch nicht die schöne Kartoffelblüte wurde später Symbol
                der Arbeiterbewegung, sondern die »abgelegte« Nelke des
                Adels; man wollte das tägliche Essen nicht auch als
                Protestsymbol verstanden haben. 
                
                Antoine Augustin Parmentier soll diese
                Kartoffelblütenmode kreiert haben, als er wegen und für
                die neue Knolle beim französischen Königshaus
                antichambrierte. 
                
                Und neue Kartoffelzubereitungen entstanden: 
pommes
                  de terreá la duchesse (Herzoginkartoffeln,
                überbackene gespritzte Kartoffelpüree-Tupfen) oder 
pommes
                  de terre château: (sehr kleine geschabte
                Salatkartoffeln wurden zu Schloßkartoffeln veradelt und
                in geklärter Butter gebraten) oder 
pommes de terre
                  allumettes (fritierte Streichholzkartoffeln) oder
                
pommes pailles (Strohkartoffeln: in noch feinere
                Streifen geschnitten und fritiert). 
                
                 
                Die Hungersnot in Frankreich 177015 wegen der
                Getreidemißernte (die anhaltenden Regenfälle im August
                1769 machten eine Aussaat der Winterung des Getreides
                unmöglich) veranlaßte die Akademie von Besançon einen
                Preis auszuloben für die beste Untersuchung zum Thema
                Nahrungsmittel:
                
                  »Indiquez les végéteaux qui pourraient supléer en cas
                  de disette à ceux que l’on emploie communément à la
                  nourriture des hommes et quelle en devrait être la
                  préparation«
                
                
                Geben Sie die Pflanzen an, die im Falle einer
                Hungersnot die geeignetsten sind, die gewöhnliche
                Nahrung zu ersetzen – da konnte doch die Antwort nur
                »Kartoffel« heißen. 
                
                Antoine Augustin Parmentier, ein Apotheker (und später
                General-Inspekteur des Militär-Medizinalwesens), der als
                Zwanzigjähriger im »Bayerischen Erbfolgekrieg«, dem 
Kartoffelkrieg,
                kämpfte und in Hannover in deutscher
                Kriegsgefangenschaft geriet und die Bedeutung der
                Kartoffel erkannte, gewann den Preis mit dem »Examen
                chymique des pommes de terres«; ob diese Geschichte
                wirklich so stimmt, kann füglich angezweifelt werden:
                Die Kartoffel war in Frankreich bereits wohlbekannt, so
                daß es nicht eines Militäreinsatzes in deutschen Landen
                bedurfte, um die pomme de terre kennenzulernen. 
                
                Die Getreidemißernte 1770/1771machte erfinderisch: So
                wurde 1771 ein Rezept für Brot aus einer Mischung von
                zwei Drittel Kornmehl und einem Drittel Kartoffelmehl
                vorgestellt. Weitere Rezepte für die stärkere Verwendung
                der Knolle folgten, woraus zu folgern ist:
                
                  Wenn Wasser blubbert, kocht es; 
                  
                  kommt eine Kartoffel hinzu, 
                  
                  dann kocht der Mensch.
                
                
                Im »Bon jardinier« von 1785 ist zu lesen:
                
                  »Es gibt kein Gemüse, über das so viel geschrieben
                  wurde und das mit so viel Begeisterung behandelt
                  wurde. ... Der Arme muß sehr zufrieden über diese
                  Nahrung sein.«
                
                
                Wann immer die Kornernte mißriet, wurde den
                französischen Schweinen die Kartoffel weggenommen und
                vom Bauern selbst gegessen; hierbei waren die Franzosen
                mit dieser Praxis weder die ersten in Europa noch die
                einzigen, aber sie waren experimentierfreudiger und
                setzten die pomme de terre vielseitiger ein. 
                
                Parmentiers verhältnismäßig geringe Erfolge bei der
                Durchsetzung des Kartoffelanbaus ergeben sich vielleicht
                daraus, daß der Prophet und die Kartoffel im eigenen
                Lande nicht gilt und es daher geschickter für die
                Einführung der Knolle in Frankreich war, von einer
                preußischen Pflanze zu sprechen, denn das Preußen
                Friedrichs II. hatte damals einen »guten Ruf« (weil
                erfolgreich) in Frankreich. Louis XV. stellte ihm 50
                Morgen Land (»Plaine des Sablons« bei Neuilly sur Seine)
                für seine Anbauversuche mit der Kartoffel zur Verfügung.
                Außerdem erhielt Parmentier den St.-Michaels-Orden,
                und Louis erklärte, er würde Parmentiers Bücher vor
                allen anderen bevorzugen. 
                
                Angeblich sei Parmentier von den 
sans-culotten
                auf den Schultern durch Paris getragen worden wegen der
                Wohltaten, die er veranlaßte:
                
                  »Was frommt es der menschlichen Gesellschaft zu
                  wissen, in welcher Weise die Sterne ihre Bahnen
                  ziehen, wenn sie darüber verhungert?«.
                
                
                1775 oder erst 1776 gibt Parmentier eine große
                Gesellschaft, bei welcher er Kartoffeln in zwanzig
                verschiedenen Zubereitungen reichen läßt, »même pour
                boisson«, an der Antoine Lavoisier (Begründer der
                modernen quantitativen Chemie), der schon erwähnte
                Arthur Young, Benjamin Franklin (damals amerikanischer
                Botschafter in Frankreich) und Vilmorin teilnahmen. 
                
                Jean Paul (Jean Paul Friedrich Richter; 1763–1825)
                schreibt im »Hesperus« 1795:
                
                  »Unser literarisches Küchenpersonal weiß uns dasselbe
                  goutée unter dem Scheine sechs verschiedner Schüsseln
                  auf das Tischtuch und in den Mund zu spielen und
                  belustigt uns zweimal im Jahr mit einer Nachahmung des
                  berühmten Kartoffel-Gastmahls in Paris: anfangs kam
                  bloß eine Kartoffelsuppe – dann schon mit anderer
                  Zubereitung wieder Kartoffeln – das dritte Gericht
                  hingegen bestand aus umgearbeiteten Kartoffeln – auch
                  das vierte – als fünftes konnte man nun wieder
                  Kartoffeln servieren, sobald man nur zum sechsten neu
                  brillantierte Kartoffeln bestimmte – und so ging es
                  durch 14 Gerichte hindurch, wobei man noch von Glück
                  zu sagen hatte, daß wenigstens Brot, Konfekt und
                  Likör den Magen aufrichteten und nicht aus Kartoffeln
                  bestanden.«
                
                
                Parmentier propagierte auf allen ihm zur 
Verfügung
                stehenden Wegen die Kartoffel und empfahl sie nicht nur
                in seiner Werbeschrift (1789) »Sur les 
Pommes
                de Terre« wegen ihrer stärkenden Wirkung. Dabei muß man
                berücksichtigen, daß Parmentier als Ober-Apotheker im
                »L’Hôpital royale des Invalides« eine bedeutende
                Persönlichkeit im damaligen Frankreich war und sich
                hervortat auch als Agronom und – heute würde man sagen –
                als Lebensmitteltechniker. Parmentier:
                
                  »Meine Studien hatten keinen anderen Zweck als den
                  Fortschritt der Kunst und des allgemeinen
                  Wohlbefindens. Die Nahrung des Volkes ist mein
                  Anliegen, mein Wunsch, deren Qualität zu verbessern
                  und den Preis zu senken. Ich habe geschrieben, um
                  allen nützlich zu sein.«
                
                
                Während der französischen Revolutionskriege verstärkte
                Parmentier seine Anstrengungen, die Kartoffel in ganz
                Frankreich heimisch zu machen; seine Bemühungen wurden
                vom »revolutionären« Konvent, der Versammlung des
                Dritten Standes in Paris, ausdrücklich unterstützt. 1795
                schreibt Parmentier über die Verarbeitung der Knolle:
                
                  »Damit die Erdäpfel, ohne ihre Substanz zu verändern,
                  eine für den Menschen taugliche Nahrung werden, ist es
                  notwendig, sie zu kochen.
                
                
                Aber diese Vorrichtung, welche gewöhnlich in vielem
                Wasser und ungedeckten Geschirr geschieht, verkehrt
                alles: sie benimmt den Wurzeln einen Teil ihres
                Geschmacks, so daß sie sowohl im Aussehen als auch im
                Geschmacke denjenigen, welche in Backöfen oder in der
                Asche gebraten werden, weit nachkommen; es sei denn, daß
                man sie, wie es bei den Engländern üblich ist, auf den
                Rost lege, um die überflüssige Feuchtigkeit
                herauszuziehen. Allein diese Arten, die Erdäpfel zu
                kochen, sind allezeit mühsam. Die beste Art, sie in
                einem Hafen mit wenigem Wasser zu thun, welches zu
                Dünste wird, und alle Seiten der Erdäpfel erwärmet; es
                wäre noch besser, wenn die Dünste unmittelbar auf sie
                wirkten. Zu diesem Ziele gießet man in den Hafen ein
                wenig Wasser, und hängt in diesen einen mit Erdäpfeln
                angefüllten Durchschlag. 
                
                Der Hafen [eine frühere Bezeichnung für einen Topf]
                soll mit einem wohl schließenden Deckel geschlossen und
                an das Feuer gestellet werden. So bald das Wasser zu
                sieden anfängt, befinden sich die Erdäpfel in einer
                brennenden Wolke, und werden auf alle Seiten erwärmet;
                ihre Bestandteile vereinigen sich nach, und werden weich
                und biegsam; woraus das, was man das Kochen heißt,
                entsteht; während der ganzen Zeit dünstet nur ein wenig
                Feuchtigkeit zu Vorteil des Geschmacks aus. So behalten
                sie den ganzen Geschmack, den das gewöhnliche Kochen
                herauszieht.« 
                
                Viele Zeitgenossen Parmentiers teilten seine Ansichten
                über die Kartoffel nicht; insbesondere die
                Getreidebauer, die Mühlenbesitzer, die Melbler und die
                Viehzüchter sahen ihr Einkommen schwinden und agierten
                entsprechend; François de Neufchateau schlug dennoch
                vor, die Kartoffel in Frankreich »parmentier« zu nennen:
                Erfolglos – wie wir Heutigen wissen. 
                
                Wo immer man auf einer Speisenkarte einen »Salade
                Parmentier« findet, hat es gewißlich mit Kartoffeln zu
                tun, mit »Erdäpfel-Salat«. Aber immerhin,Parmentier
                bekam seiner Verdienste um die Kartoffel wegen ein
                Denkmal in Mondidier in Südfrankreich. Ein Bild zeigt
                Parmentier mit blühendem Kartoffelstrauß, den er Louis
                XVI. überreicht; gekochte Kartoffeln erinnerten die
                Bauern an ihre wirtschaftliche Situation: So wie König
                Louis XVI. ihnen das Fell über die Ohren zog, so
                verfuhren sie mit der »Pelle« der Knolle. Die
                sans-culotten, die Hosenlosen, bemerkten kritisch:
                
                  »Er wird uns nur Kartoffel fressen
                  lassen. Er hat sie schließlich erfunden.«
                
                
                Parmentier ist auf dem 
Friedhof Père
                  Lachaise (39. Abteilung, zwischen der Avenue
                Transversale Maronniers No 1 und dem Chemin Camille
                Jourdan) in Paris beerdigt. An seinem Grab wachsen
                natürlich Kartoffeln. 
                
                Auch die Bohémiens hätten ein Denkmal in Frankreich
                verdient, brachten sie doch aus ihrer Heimat den
                Kartoffelknödel in der Krawatte nach Frankreich und
                machten ihn salonfähig, obwohl bekanntlich die Krawatte
                (die von anderen österreichischen Untertanen »erfunden«
 wurde) am Essen immer das teuerste
                ist. 
                
                Eine Briefmarke der französischen Post und ein 
Ersttagsbrief vom 27. Oktober 1956
                ist dem Parmentier gewidmet. Parmentier gab 1788 eine
                seiner roten Kartoffeln an einen Leipziger Ökonomen,
                der sie noch im selben Jahr anpflanzte,
                
                  »aber die Neuheit lockte Diebe an, der Stock wurde mir
                  ausgezogen, und ich fand nur noch zwei kleine neue
                  Früchte.«
                
                
                Diese beiden Kartoffel wurden erneut angepflanzt und es
                ergab sich, daß sie ertragreicher waren als die
                »neuenglische oder Yambatate«. Man darf bei der
                Pflanzung der Kartoffel nicht sofort aufgeben; die erste
                Setzung von rotschaligen Kartoffeln in Hasloh bei
                Hamburg fielen – böswillig – einem polnischen
                Mäh-Mädchen zum Opfer. 
                
                Die Idee, einen Preis auszuloben (1
00.000
                Francs) für ein Nahrungsmittel (»für ein Fett zum Braten
                und für den Brotaufstrich«), wird im 19. Jahrhundert von
                Kaiser Napoleon III. wiederholt und 
Hypolite
                  Mège Mouriès bekam den Preis. Julia R. stellte
                rückblickend fest: »Dies war der Beginn eines modernen
                und gesunden Nahrungsmittels«. 
                
                 
                Der Entwurf und die Herausgabeder »Grande Encyclopédie«
                (1751 bis 1780), dem 
Wissensrund, von Denis
                Diderot und an Le Rond Baptiste d’Alembert war das
                kulturell bedeutendste Ereignis in der Regierungszeit
                Louis XV., der das Manuskript der »Encyclopédie«
                deshalb auch in der Bastille wegschloß und am liebsten
                dort hätte vermodern lassen. Die Veröffentlichung
                beginnt in einer Zeit, in der die Welt sich deutlich
                wandelt und die »Encyclopédie«, die sehr bald Nachahmer
                in Deutschland fand, befriedigte zwei Grundbedürfnisse
                einer Epoche im Umbruch: Sie bringt Ordnung in das Chaos
                und sie definiert und bewertet neu auftauchende
                Phänomene. 
                
                Der Inhalt war zensiert – nicht alles durfte schließlich
                gesagt und gedruckt werden – und manches war auch
                falsch: Die Kartoffel wurde als eine ägyptische Frucht
                (eine Anspielung auf Salomos Schatzkammer?!)
                bezeichnet, die sich möglicherweise in einigen
                Kolonien nutzbringend anbauen ließe. Über die Kartoffel
                schreibt Gabriel-François Venel in der »Encyclopédie«:
                
                  »Bei der Bevölkerung ..., allen voran bei den Bauern,
                  ist die Wurzel dieser Pflanze zu einem Gutteil des
                  Jahres das tägliche Nahrungsmittel. Sie kochen sie in
                  Wasser, braten sie im Ofen, unter Asche & bereiten
                  verschiedene deftige oder ländliche Eintöpfe damit zu.
                  Wer wohlhabender ist, reicht sie mit Butter, ißt sie
                  mit Fleisch oder bäckt sie in Fett schwimmend aus wie
                  Krapfen &c. Egal wie man sie zubereitet, diese
                  Wurzel schmeckt fad & mehlig. Sie sollte nicht zu
                  den feinen Speisen gerechnet werden. Gleichwohl dient
                  sie allen, denen es nur darum geht, sich zu ernähren,
                  als sehr sättigendes & recht
                  zuträgliches Lebensmittel. Zu Recht heißt es von der
                  Kartoffel, sie erzeuge Winde – doch was sind schon Winde für die robusten Organe von
                  Bauern & Handwerken?«
                
                
                Schon Jacques Dubois (genannt Sylvius), Arzt aus
                Montpellier, schreibt zwischen 1542 und 1546 in seinen
                Ernährungshinweisen für die Armen (»Regime de sante pour
                les paures, facile à tenir«):
                
                  »Die Armen haben ihre besondere Kost, die ohne Zweifel
                  schwer und unverdaulich, aber ihrer Konstitution
                  perfekt angepaßt ist.«
                
                
                1791 fügt Neil dazu passend noch alle anderen möglichen
                gesundheitlichen Folgen des Kartoffelgenusses bei:
                
                  »... die Kartoffeln geben eine grobe und blähende
                  Nahrung. Sie sind ein Aliment, das wenig Nahrung in
                  einem gewissen Umfang hat und man muß viel davon
                  essen, wenn man gesättigt seyn will. Darum dehnen sie,
                  wenn man sie täglich speiset, den Magen aus, erweitern
                  die Gedärme und schwellen den Bauch auf. (...)
                  Personen, die viel Kartoffeln essen, sind mehr als
                  andere asthmatischen Zufällen unterworfen. Sie
                  verstopfen die Eingeweide und vorzüglich das Gekröse,
                  und geben zu allerhand Kinderkrankheiten, Dürr- und
                  Bleichsuchten Gelegenheit.
                
                
                Die Kinder gemeiner Leute, die viel Kartoffeln essen,
                verwachsen zu den sonderbarsten Carikaturen. Sie haben
                aufgetriebene Bäuche, wie die feisten Domherren, und
                sind dabei am ganzen übrigen Körper so mager, als ein
                schwindsüchtiger Magister.« 
                
                Dagegen schreibt Albrecht Thaer, der ein großer
                Förderer der Kartoffel war:
                
                  »Manche haben gesagt: alles Unheil, welches Amerika
                  durch sein Gold, durch seine Krankheiten, und
                  vielleicht neuerdings durch seine
                  Freyheits-Grundsätze, über Europa verbreitet habe,
                  würde durch das Geschenk, welches es uns durch die
                  Kartoffel gemacht, reichlich aufgewogen. Dagegen
                  zählen Andre diese Frucht in der Reihe von Uebeln
                  auf, die wir der Entdeckung Amerikas schuldig sind. 
                  
                  Diese behaupten nämlich, daß eine Menge von
                  Krankheiten, die in neueren Zeiten – oft freylich nur
                  dem Nahmen nach – sich ungleich häufiger äußern, wie
                  ehemals, als da sind Skrofeln und ein vermeintliches
                  Skrophelgift – ein Ding, was niemand kennt, niemand
                  definirt hat, wogegen fast jede Büchse im modernen
                  Arzney-Apparat empfohlen wird, aber eigentlich kein
                  Mittel aus der Apotheke helfen will – Abzehrungen
                  mancherley Art, Englische Krankheit, Hautausschläge,
                  Würmer, Bleichsucht, Weisserfluß, Krämpfe, Gicht,
                  Rheumatismen, Brüche, Schleimfieber und
                  Verschleimungen, allgemeine Trägheit und Erschlaffung,
                  Neigung zur Selbstbefleckung – kurz fast alle
                  Krankheiten und Uebel, wogegen die Essentia
                    miraculosa coronata in den Hamburger Zeitungen
                  hilft – von dem häufigen Genusse der Kartoffeln
                  herrühren. ... 
                  
                  Der erste Verdacht, welchen die Ärzte auf die
                  Kartoffeln waren, rührte wohl daher, daß sie nach
                  ihrem botanischen Character zu einem
                  Pflanzen-Geschlechte gehörten, welche mehrere Arten
                  enthielt, die auf die Nerven des thierischen Körpers
                  eine betäubende Würkung äussern.... Da nun noch
                  niemand einen Schatten von giftiger, scharfer oder
                  narkotischer Würkung auf den thierischen Körper an den
                  Kartoffeln hat bemerken können, so läßt man diesen
                  Vorwurf einer unehrlichen botanischen Verwandtschaft
                  ziemlich fallen, ohne ihn jedoch ganz aufzugeben.... 
                  
                  Dagegen beschuldigt man sie um desto mehr ihres
                  mehligten, kleisterartigen Bestandstheils wegen.
                  Dieser soll nicht allein die Gedärme und die sich
                  darin öfnenden einsaugenden Milchgefäße verkleistern,
                  sondern selbst in andre Gefäße, Drüsen und
                  Absonderungsorgane übergehen und solche verstopfen,
                  dadurch dann jenes Heer von Krankheiten erzeugen. ...
                  
                  
                  Aber die Erfahrung zeigt doch die nachteiligen Folgen
                  des häufigen Kartoffelnessens nur zu deutlich. Man
                  sieht dies, sagt man, besonders in solchen Städten,
                  wo die gemeine Classe des Volks sich kümmerlich mit
                  Manufakturarbeiten nährt, und die Hälfte des Jahres
                  täglich Kartoffeln ißt. Jene Krankheiten nehmen
                  daselbst, besonders unter den Kindern, so überhand,
                  daß man wenig gesunde mehr sieht. Aber, liebe
                  Collegen! Essen diese Leute nicht auch täglich Brod,
                  trinken sie nicht Wasser? – Warum schiebt ihr es nicht
                  so gut darauf, wie auf die Kartoffeln? .... 
                  
                  Es ist schon gegen Analogie, daß der Instinct zu
                  Nahrungsmitteln so trügen sollte. Fast jeder
                  unverwöhnte Gaumen liebt dieses Gewächs vorzüglich,
                  und besonders essen es Kinder und junge Leute, nicht
                  ein oder anderes Mahl, sondern fast täglich, mit dem
                  größten Vergnügen, und ziehen es, auf die Dauer, jeder
                  anderen Speise vor. 
                  
                  Man bemerket ferner von einem starken Genusse der
                  Kartoffeln, vorausgesetzt, daß sie gahr gekocht und
                  nicht durch fehlerhafte Zumischungen unverdäulicher
                  gemacht werden, durchaus keine unmittelbaren Folgen;
                  man esse sie zum ersten oder zum tausendstenmahle. Die
                  Natur warnt uns doch sonst bey allem, was uns auf die
                  Folge schädlich werden kann, durch einige, unmittelbar
                  darauf folgende Beschwerden. Vielmehr wird keine
                  vegetabilische Nahrung von schwächeren
                  Verdauungskräften leichter und mit weniger
                  Unbequemlichkeit bezwungen, als diese. Sie erregt
                  weniger Gährung, Aufblähung und Säure, als irgend
                  eine. .... 
                  
                  Gesichert durch aufmerksame Beobachtung, gebe ich
                  sogar Reconvalescenten Kartoffeln zu, wenn ihr Appetit
                  darauf verfällt, wie dieses bey krankgewesenen Kindern
                  häufig der Fall ist.«
                
                
                Der Thüringer Schuhmachersohn Ror Wolf bewertet immer
                noch – ein paar Jahrhunderte danach – die »schwere,
                heiße, fast unverdauliche Kartoffel«. 
                
                Der Arzt Jacob Girard des Bergeries schreibt in seiner
                »Gouvernement de la santé«, erschienen 1672, das Brot
                aus Gerste, Hafer und Hülsenfrüchten ungesund und schwer
                verdaulich sein. Es solle für die Armen sein, die »nicht
                die Mittel besitzen, sich besseres zu kaufen und die
                andererseits sehr kräftig sind, viel arbeiten und von
                jeher diese Art von Brot gewohnt sind.« das deckt sich
                mit den Auffassungen in der »Encyclopédie« über die
                Kartoffel. 
                
                Die Winnebago in Wisconsin erzählen sich eine äußerst
                deftige Geschichte (
ad non usum delphini) von
                einer Abführknolle und einer Figur namens 
Gauner,
                zu dem eine Knolle spricht:
                
                  »›Der, der mich kaut, wird kacken; er muß kacken‹. Das
                  sagte die Stimme. ›Also, warum redet diese Stimme so
                  rüde?‹ fragte Gauner. ... Es war die Knolle, die
                  sprach. So nahm er sie, steckte sie in den Mund, kaute
                  sie und verschluckte sie schließlich. Genau das tat
                  er und ging dann weiter. ›Tja, wo ist denn die
                  geschwätzige Knolle verschwunden? Und warum sollte ich
                  kacken? Wenn ich mich nach Kacken fühle, werde ich
                  kacken, aber nicht eher. Wie könnte so ein Ding mich
                  zum kacken bringen?‹ sagte Gauner. Noch
                  während er sprach, begann er zu pupsen. ›Ah, das hat
                  es wahrscheinlich zu bedeuten. Doch die Knolle hat
                  gesagt, ich würde kacken, und ich lasse lediglich
                  Blähungen entweichen. Ich bin jedenfalls ein großer
                  Mann, auch wenn ich eine kleine Blähung habe.‹«
                
                
                Na ja, die Knolle behält am Ende recht. Wer solche
                Geschichten weitererzählt, gehört sicherlich nicht zu
                den Kulturnationen europäischer Prägung, sondern
                unterdrückt! 
                
                 Die Ernährung entspricht der »Natur«, dem
                sozialen Rang – Eßgewohnheiten dokumentieren den
                gesellschaftlichen Status des Menschen und ergänzen das
                vermeintliche sonstige Verhalten. In der Ausgabe der
                »Encyclopédie« von 1777 wird die Kartoffel von dem
                Agrarwissenschaftler Samuel Engel wohlwollend(er) und
                als ein hervorragendes Mittel gegen Hungersnöte
                beschrieben. 
                
                Die frühere Einschätzung der Kartoffel ist verständlich:
                Die Kartoffel war weit verbreitet, aber gemocht wurde
                sie von den herrschenden Klassen in Frankreich nicht. 
                
                Duhamel du Monceau schreibt in »Traite de la Culture de
                Terres«, daß die Kartoffel als
 fruit vil et grossier
                ein hervorragendes Viehfutter sei und in Notzeiten auch
                für Menschen wertvoll sei; um diese Aussage zu
                bekräftigen, ergänzt er:
                
                  »Nach kurzer Verwendung ähnelt der Geschmack der
                  Kartoffel den Rüben, besonders wenn sie mit Schinken
                  und gesalzenem Schweinefleisch gekocht würden.«
                
                
                Die Bevölkerung baute Kartoffeln an, ohne daß die beiden
                ersten Stände und die Städter die Kartoffel als
                menschliches Nahrungsmittel überhaupt bemerkten. An
                Adelshöfen und in Bürgerhäusern war sie als
                Nahrungsmittel jedenfalls nicht zu finden. 
                
                De Chancey aus Saint-Didier bei Lyon, Mitglied der
                königlichen Landwirtschaftsgesellschaft, beschäftigt
                sich eingehend mit der richtigen Düngung und den
                Ansprüchen der Kartoffel an Klima und
                Bodenbeschaffenheit, mit der zweckmäßigen Auswahl des
                Saatgutes und anderen Kartoffelproblemen. Zu der Frage,
                ob es genüge, nur einzelne Augenstecklinge zu setzen,
                meint er »Malheur alors à ceux qui n’ont planté que des
                morceau pourvous seulement d’un ½uil«, man soll nicht
                nur einzelne Kartoffel-Augen pflanzen. 
                
                1767 werden von G. F. le Chevalier Mustel erste
                Untersuchungen über die Inhaltsstoffe der Kartoffel
                vorgenommen und an die »Royal Société Agriculture« in
                Rouen berichtet; die Kartoffel, so der wesentliche Punkt
                des Berichts, sei hervorragend als Mittel gegen
                Skorbut anzusehen. 
                
                Daniel Langhaus, ein damals sehr bekannter Schweizer
                Arzt, weist 1768 daraufhin, daß Skorbut eine in der
                Schweiz allgemein verbreitete Krankheit sei und nur in
                jenen Gebieten, in denen die Kartoffel angebaut und
                gegessen werde, diese Krankheit weniger stark auftrete.
                
                
                Am 2. März 1771 ruft der Dekan der medizinischen
                Fakultät der Sorbonne seine Kollegen zu einer
                außerordentlichen Tagung nach der Messe (also um 10.00
                Uhr) zusammen und bittet sie, sich zu einem Schreiben
                des Finanzministers Joseph Maria Terry zu äußern. Terry
                will in Anbetracht der Hungersnot wissen, ob die
                Kartoffel krankheitserregende Stoffe enthalte; die
                Professoren kommen nach eingehender Beratung zu dem
                Ergebnis »que la nourriture de Pommes de terres est
                bonne et saine«, nicht nur gut und gesund, keinesfalls
                gefährlich, sondern sogar sehr nützlich, »nullement
                dangereuse et quelle même très utile«. Klare Auskunft,
                eindeutige Empfehlung. 
                
                Auch Wegrand d’Aussy erklärte 1783 – sechs Jahre vor dem
                Sturm auf die Bastille (der historisch nachweisbar nicht
                stattfand) –, der Genuß von Kartoffeln, »eines
                eigentlich unverdaulichen Nahrungsmittels«, sei nur für
                die gemeineren Klassen anzuraten, da diese über die
                entsprechenden Verdauungsorgane verfügen würden. 
                
                Der italienische Arzt Filippo Baldini mischt
                Kartoffelsaft mit Veilchensirup und stellt fest, daß er
                mit dieser Mischung Blutserum zum Gerinnen bringen kann;
                bei Brustleiden und beim Auftreten von Eiterherden
                hätte die Kartoffel aufgrund ihrer balsamischen und
                stärkenden Wirkungen das Allgemeinbefinden seiner
                Patienten günstig beeinflußt. 
                
                Dagegen soll der Philosoph Proudhomme gesagt haben:
                
                  »Ich mag keine Kartoffeln und bin froh darüber; wenn
                  ich sie nämlich möchte, äße ich sie, und davon würde
                  mir schlecht werden«.
                
                
                Oder sprach Proudhomme vom Spinat: Philosophischer wird
                der Satz dann auch nicht, zumal (auch) dieses Gemüse –
                so stand es auch 1707 in der Berliner »Vossischen
                Zeitung« – Blähungen und Kolik errege und wenig nährend
                sei (erst der 
Blubb veränderte dies). 
                
                Andererseits wird die Kartoffel 1787 als»gesunde
                Hauptnahrung« der Landbevölkerung erwähnt. Mitte des 19.
                Jahrhunderts äußerte der Pariser KochkünstlerJean
                Anthelme Brillat-Savarin die Tatsache, daß Kartoffeln
                das beste Stärkemehl liefern würden. 
                
                 
                Anne Robert Jacques Turg
ot,
                Finanzminister unter Louis XV. und einer der führenden
                Köpfe der physiokratischen Schule, ließ angeblich – wie
                ähnlich vorher der Preuße Friedrich II. – ostentativ an
                seiner Tafel in Paris Kartoffeln reichen und an die
                Mitglieder der königlichen
                Landwirtschaftsgesellschaft 
Saatkartoffeln
                  verteilen. Am 25. August 1781 wurden Kartoffeln
                erstmals an der Tafel Ludwig XVI. gereicht. 
                
                Der Stellenwert der Landw
irtschaft
                nahm durch den Einfluß der Physiokraten stark zu und
                führte zu Exzessen: Jean Antoine Poisson, die als 
Maîtresse
                  en titre des 
Louis le Bien-Aimé Marquise de Pompadour wird, läßt in
                Versailles Versuche an Saatkörnern und an Kartoffeln
                durchführen,Marie Antoinette füttert und melkt Kühe in
                Versailles, Joseph II. von Österreich ackert hinterm
                Pflug, George III. von England läßt sich als»Farmer
                George« aufs Feld hinab. Preußens Friedrich II. meint,
                das die Landwirtschaft zur ersten aller Künste gehöre
                und das, was die Erde hervorbringe, sei der wahre
                Reichtum. Die Physiokratie («Herrschaft der Natur«) war
                eine von dem französischen Finanzminister François
                Quesnay gegründete und von Anne Robert Jacques Turgot
                weiterentwickelte Schule der Nationalökonomie im 18.
                Jahrhundert, die der Landwirtschaft einen besonderen
                Rang einräumte und die vom Adel aufgrund ihrer einfach
                nachvollziehbaren Strukturen verstanden werden konnte.
                Fürsten, Gelehrte und Bauern nehmen teil an der
                Durchsetzung der agrikulturellen Fortschritte. Neue
                Erkenntnisse führten dazu, daß schlechte
                Böden,»Grenzböden«, unter den Pflug genommen wurden,
                ein Anwachsen der Anbauflächen für die Kartoffeln war
                die Folge. 
                
                In Burgund galten noch bis 1789 Kartoffeln als eine Art
                Trüffel (Flaubert
: »Man enthalte sich derselben,
                wenn Madame unpäßlich ist«). 
 
                
                Der 1778 vonFriedrich II
. angezettelte Krieg in
                Böhmen gegen Österreich (wegen des Aussterbens der
                bayerischen Wittelsbacher Linie und der damit offenen
                Nachfolgeregelung des Kurfürstentum 
Pfalz-Bayern)
                brachte keine entscheidende Schlacht, sondern erschöpfte
                sich in einer Vielzahl von kleinen Geplänkeln, ohne daß
                tödliche Schüsse fielen. Der strenge Winter führte zu
                Versorgungsengpässen; da die Verpflegung der Soldaten
                zumeist aus Kartoffeln bestand, gingen diese Scharmützel
                um die Knollen. Dieser »Kartoffelkrieg« belegt, daß zu
                diesem Zeitpunkt die Knolle weit verbreitet gewesen sein
                muß: Die Kartoffel – Nahrung der Armen und der Armeen. 
                
                In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, d
aß wegen der Kartoffel als Hauptgrund
                keine Kriege geführt wurden, wohl aber Kriege wegen
                Salpeter, Opium, Tee, Bananen, Hanf, Gummi oder wegen
                des Ergebnisses eines Fußballspiels. 
Kriege
                wegen Gold und Silber gab es. Oder wegen Kohle,
                Stahl und Öl . 
                
                Bei der Belagerung von Paris 1870/71 halfen sich
                französische und deutsche Soldaten wechselseitig mit
                Kartoffeln aus, bis ein preußisch-deutsch-königlicher
                Befehl diese Fraternisierung verbot. 
                
                 
                Königin Marie Antoinette hatte kurz vor dem Ausbruch
                der Revolution in Frankreich 1789 im gleichen Geiste
                wie de Combles und d’Aussy dem Volk von Paris zugerufen,
                als dieses nach Brot schrie: »Warum essen’s die Leut
                denn nicht die Erdäpfel?«. 
                
                Natürlich könnte man jetzt einwenden, daß ein solcher
                Satz (»Qu’ils mangent de la brioche«) 1760 von
                Jean-Jacques Rousseau in seinen »Confessions« einer
                (vermutlich) toskanischen Fürstin in den Mund gelegt
                wurde, aber Marie Antoinette hat sicherlich in ihrem
                österreichisch gefärbten Französisch so gedacht. 
                
                Die französischen Bauern aßen Roggen- oder Haferbrot,
                Weizenbrot konnte sich nur die Oberschicht leisten.
                Dennoch wurde mehr als die Hälfte der Einkommen der
                unteren Bevölkerungsschichten allein für Brot
                ausgegeben, 1789 – nach einem strengen Winter und
                mehrmaligen Getreidemißernten – sogar fast neunzig
                Prozent. Da kommt der »Sturm auf die Bastille« bei
                schönem Juliwetter gerade richtig. 
                
                In mehrmals (wohl) voneinander abgeschriebenen Berichten
                über diese Bürgerdemonstration unter Führung des
                Bierbrauers und Brauereibesitzers Louis Santerre wandelt
                sich »pomme de terre« erst in »pomme de tarte«, einem
                Apfelküchlein der Pariser Bäcker, dann nur noch in
                »tarte«, was aber nicht verwechselt werden darf mit den
                englischen »tarts«, zu dem die Marine nicht nur in Port
                Limone geht. Die »Haude-Spenersche Zeitung« in Berlin
                schreibt 1789 (in ihrer Nummer 125):
                
                  »Betrunkene Weiber liefen durch die Straßen und
                  schrien, der Maire Bailly habe ihnen gesagt, wenn ihr
                  kein Brot habt, so könnt ihr Bohnen und Kartoffeln
                  essen; das ist für euch gut genug. Doch hatte diese
                  boshafte Verleumdung, die absichtlich erdichtet war,
                  um die Unruhe zu vermehren, weiter keine üblen
                  Folgen, als daß jedermann auf seiner Hut war.«
                
                  
                Im französischen Revolutionskalender, eingeführt am
                22.September 1792, erhielt der elfte Tag des ersten
                Monats (Vendemiaire = Herbsterich) eines jeden Jahres –
                nach dem gregorianischen Kalender der 2. oder 3. oder 4.
                Oktober – den Namen »pomme de terre«. Im Pariser Konvent
                forderte der Komödiant, Dichter, Maler und Musiker Fabre
                d’Eglatine, eine »gescheiterte Existenz« aus
                Carcassonne, daß die »Heiligen aus dem Kalender hinaus«
                müßten:
                
                  »Deswegen setzen wir bei jedem Tag die Körner, die
                  Weiden, die Bäume, die Wurzeln, die Blume, die
                  Früchte, welche die Natur gerade bietet«.
                
                
                Louis Santerre, der Kommandant von Paris während der
                revolutionären Unruhen, forderte am 5. Februar 1793 in
                Anbetracht der Hungersnöte,
                
                  »1) Wenn die wohlhabenden Bürger, die für das
                  allgemeine Wohl eingenommen sind, sich zwei Tage in
                  der Woche des Brots enthielten, und sich statt dessen
                  mit Erdäpfeln und Reis behülfen (welches den Armen,
                  den Arbeitern und den Kindern nicht zuzumuten ist),
                  so würden in diesen zwei Tagen beinahe 1500 Säcke
                  Mehl erspart werden.«
                
                
                Und zweitens fordert er, man solle die Hunde und Katzen
                von Paris totschlagen (Nahrung für 1500 Menschen, 10
                Säcke Mehl täglich) und im »
Jardin
                  des Plantes« die fremden und seltsamen Pflanzen
                ausreißen und statt derer Kartoffeln ansetzen. Seine
                Forderung wurde nicht erfüllt. 
                
                Der Konvent legt in dem »Gesetz des Maximums oder des
                höchsten Preises für die notwendigen Lebensbedürfnisse«
                vom 29. September 1793 zwar die Preise für insgesamt
                neununddreißig Gegenstände (darunter Unschlittkerzen,
                Weinessig und süßes Öl) fest, nicht jedoch einen Preis
                für die Kartoffel; auch in den Nachträgen – im Oktober
                zum Beispiel alle Artikel für die Papierherstellung
                (die Brüder Montgolfier konnten dadurch billiger
                einkaufen), im Januar 1794 ein Maximum für Wein und im
                Februar 1794 ein völlig überarbeiteter Katalog – wird
                die pomme de terre nicht erwähnt. 
                
                Andererseits ist im Gefolge dieser Volksarmeen der
                Anbau der Kartoffel in den besetzten und besiegten
                Ländern deutlich angestiegen, obwohl die revolutionären
                Garden die Kartoffel nicht sonderlich gemocht haben
                sollen. Die Kartoffel hatte es schwer in Frankreich,
                wenn man den bretonischen Küstenstreifen, den Elsaß und
                Lothringen und das Zentralmassiv unberücksichtigt läßt.
                Erst in den letzten Dekaden des ausgehenden 18.
                Jahrhunderts verbreitete sich, nicht zuletzt durch eine
                Vielzahl von Schriften über Ackerbau und Viehzucht, der
                Kartoffelanbau über ganz Frankreich. Andererseits mußte
                der Präfekt des »Départements du Nord« noch 1800
                anordnen, daß die »Mémoire sur la culture de pomme de
                terre et sur les avantages que l’on peut en tirer, tant
                pour de terre la nourriture de l’homme que pour celle
                des animaux« von allen Kanzeln verlesen werde. 
                
                Das französisc
he »pomme« kommt von
                der römischen Pomona, Göttin der Früchte und des
                Obstbaus, von laut. pomum = Apfel oder Frucht.
                Bekanntlich ergab sich 
Pomona
                schließlich dem penetranten Liebeswerben des
                (verkleideten) Vertumnus1, womit wir endlich wieder
                bei den »ehelichen wercken« sind: Das Geschenk eines
                Apfels gehörte im alten Rom zum traditionellen
                Repertoire einer Liebeswerbung; so schließt sich der
                Kreis zu den »ehelichen wercken« – ein altrömischer
usus
                wird auf die Kartoffel übertragen, auf den Apfel aus der
                Erde. In»pommes de terre«, eine Übersetzung aus der
                spanischen Bezeichnung »turma de tierra« hat sich über
                den holländischen »Aardappel« der ursprüngliche Name
                »Erdapfel« erhalten. 
                
                Das erklärt auch die Herkunft der deutschen Bezeichnung
                für den »Erdapfel«: aus dem italienischen 
tartuffoli,
                die Verkleinerungsform von 
tartufo, weil sie dem
                in Italien verbreiteten Trüffelpilz (
tuber aestivum)
                ähnelte; 
tartufo ist wiederum auf die arabische
                Bezeichnung 
Terfez zurückzuführen, die von den
                Römern aus Syrien und Nordafrika eingeführt wurden und
                die sie 
terrae tuber, Erdknolle nannten. 
                
                 
                Als der aus Irland stammende Divisionsgeneral und
                Konvent-Abgeordneter von Martinique Arthur (Graf von)
                Dillon am 5. März 1793 seinen Bekannten, darunter
                dreißig Männern vom radikalen Flügel des Konvents, in
                seinem Haus ein »splendides« Mahl reichte, wurde dies
                von dem Deputierten und Zeitungsherausgeber
                Proudhomme, auf dessen Vorschlag im August 1793 auf den
                Pariser Straßen ein Bruder- und Bürgermahl stattfand, in
                seinen »Révolutions de Paris« als Verschwendung gerügt,
                dies sei kein spartanisches Mahl gewesen, »man habe
                mehr genossen als Reis und Kartoffeln«. 
                
                Proudhomme forderte auch, die sonntägliche Hostiengabe
                in den vierzigtausend Kirchen und die Perückenpuderei
                (mit Kartoffelmehl) abzuschaffen, da Lebensmittel zu
                wertvoll seien für die Putzsucht der Pariserinnen. Bei
                solchen wirklich radikalen Forderungen ist diesseits der
                rheinischen Grenze dem Bauer die Grumbeere mißfallen,
                dem braven Bürger das Blut in den Adern gefroren, dem
                Adligen, dem Klerus das Wachtelbrüstchen im Halse
                steckengeblieben. 
                
                Seit jener Zeit, da die Köche der französischen Prinzen
                und Prinzessinnen revolutionsbedingt arbeitslos
                wurden und deshalb die Bürger bekochen mußten, rührt
                der Ruf der französische Küche her – nicht gut, nicht
                viel, nicht billig. Der französische Philosoph Michel de
                Montaigne 1580/1581 bei einem Reiseaufenthalt in
                Italien: 
                
                  »Die italienische Nation kennt nicht unsere
                  [französische] Gewohnheit, viel Fleisch
                    zu essen«. 
                
                  
                Die angebliche aphrodisische Wirkung der Kartoffel
                erlebte in Frankreich einen Aufschwung, als 1804
                Napoleon die Witwe Josephine de Beauharnais, eine
                Kreolin aus Martinique, ehelichte, die von Kindesbeinen
                an Knollennahrung gewohnt war. Josephine veranlaßte,
                daß in Malmaison und in Saint Cloud Kartoffeln
                angepflanzt wurden, die dann zu ihren gargantuesken
                Banketten in der Rue Chanterine gereicht wurden.
                Unerfüllbare Hoffnungen braver Bürgersfrauen führen zum
                verstärkten Anbau der Kartoffel in den Gärten; Josephine
                hat mit ihrem Einsatz für Napoleon und die Kartoffel
                wohl mehr erreicht als Parmentier mit seinen
                Empfehlungen. 
                
                In einem Sprichwort hieß es bald von jungen,
                zielstrebigen Damen: »Elle retourne la pomme avec les
                doigts.« Bessere Pariser Restaurants nutzten in der
                napoleonischen Zeit die Knolle zur Garnierung, nicht als
                »Sättigungsbeilage«; offiziell ließ sich »tout Paris«
                von der Knolle nicht beeinflussen (welcher Mann
                bestätigt schon, daß er aphrodisische Mittel benötigt?).
                
                
                 
                Am 9. Thermidor, am 21. Juni 1815, wird von einem Mann
                gefordert, die Freiheit der Revolution
                wiederherzustellen und Napoleon (nach seiner Rückkehr
                von Elba) nicht gegen die Bourbonen (und dem Rest
                Europas) zu unterstützen. Der Mann warMarie Joseph de
                Motier, Marquis de La Fayette, Held des amerikanischen
                Bürgerkriegs, von den Jakobinern verstoßen, von Napoleon
                nicht gewürdigt und auf seinem Landgut in La Grange
                Wein ausbauend, Rosen pflanzend und dicke Kartoffeln
                setzend; Joseph Fouché, Herzog von Otranto,
                Polizeiminister in der Revolution und bei Napoleon,
                graue Eminenz, benutzt diesen begeisterten Revolutionär,
                den wiedergekommenen Kaiser endgültig zu stürzen. 
                
                Die Kartoffeln der Josephine mög
en
                das Liebesleben des Napoleon gewürzt haben, ein
                verärgerter und mißverstandener Kartoffelbauer versetzt
                ihm aber den entscheidenden Stoß nach St. Helena – und
                dort findet er einen seit 1659 bestehenden Gemüse- und
                
Kartoffelanbau vor; ansonsten hatte
                der Raubbau der »Vereenigde Oostindische Companie«
                (VOC) die einst bestehende paradiesische Fauna und
                Flora zerstört, Napoleon muß sich mit eingeschleppten
                Ratten und Flöhen plagen und vergiftet sich an 
Arsen. 
                
                 
                Vergeblich wird 1816 von einem französischen Konsul
                versucht, den Kartoffelanbau auf Sardinien einzuführen;
                er scheitert an der Rückständigkeit von Kirche und
                Feudalstruktur (nach der Revolution!); trotz der
                Nützlichkeit »dieser Knollenfrucht der Armen« läßt sich
                die Kartoffel nicht einbürgern. Die Versuche, die
                Kartoffel auf Sardinien anzupflanzen, werden von der
                ortsansässigen Aristokratie lächerlich gemacht, ist es
                doch einfacher und ehrenhafter, Geld durch die
                Entführung von Touristen zu erlangen. 
                
                Louis François Benoiston de Chateauneuf stellt
                andererseits ein Jahr später (1817) fest, daß nur in
                fünf von etwa achtzig Departements die Kartoffel 
nicht
                angebaut wird. In Paris seien Kartoffel sogar
                zumeist die einzige Nahrung bei den unteren Klassen. Der
                Verbrauch an Kartoffel betrage rund einhundert Pfund pro
                Kopf. Bis zu den 1840er Jahren sinkt jedoch der
                Verbrauch wieder ab, so daß nur noch 3,6 Prozent der
                Ackerbaufläche für die Kartoffel genutzt werde. 
                
                1843 werden in Frankreich rund zwölfeinhalb Millionen
                Kilogramm Kartoffel geerntet, die größte Kartoffelernte
                bis zum Krieg 1870/1871. In den späten 1840er Jahren
                entwickelt sich Frankreich vergleichbar der irischen
                Situation: Wirtschaftliche Krise, Mißernte der
                Kartoffel, Geldentwertung. Anders als in Irland brechen
                revolutionäre Unruhen aus, als die Preise für Getreide
                drastisch steigen. Wie in Irland sinkt die Heirats- und
                damit die Geburtenrate, steigt die Sterberate. 
                
                Aber es war in Frankreich auch die letzte große
                Hungersnot. 
                
                
                Anmerkungen
                
                  
                
                1 Charles de Gaulle, 1961: »Niemand kann ohne weiteres
                Einmütigkeit in einer Nation schaffen, die 265
                verschiedene Käsesorten besitzt.«     
                            
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                2 Die Realteilung hatte auch einen ganz praktischen
                Nutzen: Die Inquisition, bestehend aus akademisch
                geschulten Juristen, konnte nicht alles Land einer
                »ketzerischen« Familie einziehen und dem Kirchenvermögen
                zuschlagen.           
                      
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                3 De Serres wird aufgrund dieses Leitfadens für
                Gutsbesitzer zum »Obergärtner« an den Hof Henri IV.
                berufen und beginnt, in Frankreich die Seidenraupenzucht
                einzuführen (sein Buch über die Seidenzucht »Seydenwurm.
                Von Art, Natur und Eigenschafft und grosser Nutzbarkeit
                dess edlen Seydenwurms« wird erstmals 1603 von Cellius
                in Tübingen in deutscher Sprache gedruckt). Unter dem
                Minister Sully erlebt die französische Landwirtschaft
                einen Aufschwung, in der Wälder wieder aufgeforstet und
                Sümpfe entwässert wurden.. Eine herausragende Rolle
                beim Seidenbau in Frankreich spielten die Hugenotten,
                von denen fünfzigtausend später nach England flohen und
                wegen der Kenntnisse in der Aufzucht der Seidenraupen
                von König Jacob I. aufgenommen wurden; Frankreich verlor
                damit seine kulturelle Elite.   
                
                Auch in deutschen Residenzstädten, in denen noch die
                Schweine über den Schloßplatz getrieben wurden, wurde
                die Seidenzucht durch hugenottische Flüchtlinge
                eingeführt. Friedrich der Große versuchte, eine
                staatliche Seidenkultur ins Leben zu rufen. 1774 wurden
                in Magdeburg, Halberstadt, Brandenburg und Pommern
                siebentausend Pfund Seide gewonnen. Besonders
                erfolgreich ist Friedrich nicht mit seiner Seidenzucht.
                Überall in der Umgebung Berlins entstanden jedoch nach
                und nach Seidenraupenkulturen, die alle nicht
                reüssierten.   
                
                Grundsätzlich war es schon damals üblich, daß die
                Einwanderer eine bestimmte Qualifikation nachweisen
                mußten, um eine der begehrten »green cards« zu erhalten,
                zum Beispiel ein Einkommen von mehr als
                einhunderttausend Mark im Jahr – sonst galten und gelten
                sie nur als »Inder«.         
                      
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                4 Benjamin Franklin, gelernter Drucker, meinte über
                seine Kollegen, sie seien »great guzzlers on beer«, da
                sie schon zum Frühstück – zusammen mit Käse und Brot –
                Bier tranken. Franklin übersieht hierbei, daß Bier oder
                Wein die einzig preiswerten Getränke für die Arbeiter
                waren – Schokolade oder Kaffee war für den am
                Existenzminimum lebenden Pariser Bürger
                unerschwinglich.  
                
                Die Blätter des Gagelstrauchs, einer bis zu 1,70 Meter
                hohen Sumpfpflanze, waren wesentlicher Bestandteil der
                Grut, einem Gemisch aus verschiedenen Kräutern, das im
                Mittelalter das einzige Würzmittel für Bier war. Gagel
                trug auch den Namen »Porst«. Mit Gagel angereichertes
                Bier führte schnurstracks zur Trunkenheit und war
                gesundheitsschädlich.       
                        
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                5 Bereits 1492 stellte der Würzburger Benediktiner-Abt
                Trithemius fest, daß die gegossenen Lettern in der
                Buchdruckerei jedem einzelnen Buch-Exemplar unweigerlich
                auch die gleichen Irrtümer und Druck(Setz-)Fehler
                einprägten; am Beispiel der Kartoffel-Namengebung kann
                dies belegt werden.          
                      
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                6 Jakob Fidelis Ackermann, ein Anatom, entdeckt Ende des
                18. Jahrhunderts zwischen den Savoyer und den Walliser
                Alpen »Die Kretinen, eine besondere Menschenabart« 
                            
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                7 Unter Dissimilation versteht man in der
                Sprachwissenschaft das Bestreben, zwei gleiche oder
                ähnliche Laute in aufeinanderfolgenden Silben durch
                Ersatz einander unähnlicher, besser unterscheidbar und
                besser aussprechbar zu machen. Die Dissimilation
                betrifft stets ein Element, das allein steht (am
                Wortanfang oder zwischen Vokalen), niemals umgekehrt:
                Deshalb wandelt sich 
Tartoffel in
 Kartoffel
                und nicht
 Tartoffel in Tar
koffel.  
                              
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                8 Aussatz wurde auch Misel- oder Maselsucht genannt und
                weil man dergleichen Leute von allem menschlichen Umgang
                ausschloß, so hießen sie Feldsieche und der Aussatz auch
                Feldsucht.           
                    z
urück
                
                
                  
                
                9 Butter wurde auch verdächtigt, Lepra oder Aussatz zu
                verursachen. Als der Kardinal von Aragon 1516 auf eine
                Reise nach Flandern ging, nahm er deshalb einen eigenen
                Koch und mehrere Fässer mit Olivenöl mit, um sich gegen
                diese Krankheiten zu schützen. Dieses Gerücht wurde wohl
                von den Herstellern und Händlern von Olivenöl
                verbreitet.           
                      
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                10 Jean Noël Kapferer hat ein Buch über »Gerüchte«
                geschrieben: Danach ist das Gerücht ein Phänomen, »das
                durch seine (nicht-offizielle) Quelle, seinen
                Entwicklungsprozeß (Verbreitung als Kettenreaktion) und
                seinen Inhalt (aktueller Fakt)« definiert wird. Die
                Göttin Fama läßt nur eine schlechte Nachricht Karriere
                in der Gerüchteküche machen. Im übrigen gibt es den
                Klatsch (»on-dit«) und die politische Schmähung
                (»mauvais propos«).         
                      
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                11 Skrofel ist eine Erkrankung der Haut, der
                Schleimhäute und der Lymphknoten mit Nebenwirkungen wie
                eitrige Entzündungen.  
                
                Die Krankheit war damals auch unter der Bezeichnung
                »Königsübel« (»mal du roi«, »King’s evil«) bekannt. Der
                englische König Charles II. nach der Rückkehr aus dem
                Exil heilte am Johannistag 1633 öffentlich über
                einhundert Kranke auf einen Schlag in der Königskapelle
                zu Holyrood (Edinburgh); insgesamt soll dieser König im
                Laufe seines Königsseins über 100.000 Erkrankte geheilt
                haben. Auch nach der »Glorreichen Revolution« war es
                üblich, erkrankte Kinder zum königlichen Hof zubringen,
                um durch Handauflegen des Monarchen die Heilung zu
                veranlassen.   
                
                 Jeder französische König behauptete, Skrofeln
                heilen zu können (abgestammt und geerbt von Chlodwig,
                über Philipp I. und Ludwig IX. dem Frommen). Einmal
                jährlich nahm er diese heilige Handlungen vor. Die
                Maîtressen hatten sich kurzzeitig zu entfernen.   
                
                Die Häuptlinge von Tonga können heute noch ihre
                Untertanen von dieser Art von Gebresten heilen.   
                
                In der wissenschaftlichen Literatur jener Zeit wurde
                über diese Fähigkeit des englischen Monarchen als etwas
                Selbstverständliches und Wahres berichtet: »Der König
                von England heilet durch Berührung beyder Hände eine
                besondere Art der Krankheit, welche das Königsübel
                genennet wird, und soll diese Kraft den Englischen
                Monarchen seit den Zeiten des Heiligen [heilenden]
                Eduards beywohnen» schrieb der Göttinger Jurist und
                Historiker Gottfried Achenbach 1749. Der Encyclopädist
                Chevalier Louis de Jaucourt meinte dazu, daß es sich
                bei dem Glauben um die heilende Hände der englischen
                Könige lediglich um eine lächerliche Krankheit der
                Engländer selbst handele.   
                
                Das »Journal of the American Medical Association«
                veröffentlichte 1998 einen Bericht über »Therapeutic
                Touch«: Die selbsternannten Heilerinnen hatten kein
                »menschliches Energiefeld« spüren können, sogar
                statistisch war der Wirksamkeitsnachweis
                unterdurchschnittlich.       
                        
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                12 Irgendjemand mit undeutlicher Aussprache erzählte den
                Engländern, daß diese Pflanze zu den Sonnenblumen, zu
                den »girasole«, gehört. Von girasole zu Jerusalem war es
                nicht mehr weit, und so bürgerte sich der Name ein.
                               
                
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                13 Von zwei weiteren Verschleppungen sei berichtet:
                Ähnlich Carl Friedrich Philip von Martius, der 1820
                Brasilien besuchte und von dort acht Kinder (sechs
                starben bereits auf der Anreise) nach München
                verschleppte; beide Überlebenden (Miranha und Juri)
                wurden mehrere Monate Opfer von Sensationslust und
                Ratlosigkeit der Münchner Schickeria, bis auch sie – die
                sich untereinander nicht verständigen konnten – starben,
                obwohl ihnen doch das Weihnachtsfest nahegebracht wurde.
                  
                
                Und nicht zu vergessen: Carl Hagenbeck, der 1881/1882
                elf Feuerländer ins Straußenhaus des Berliner Zoos
                verbrachte und die »Fütterungszeiten« dieser
                »Kannibalen« bekanntgeben ließ; sieben starben während
                ihres Europa-Aufenthaltes, einer davon angeblich an
                Schwindsucht – aber es war »nur« Syphilis.   
                
                Feuerländer müssen der »Renner der Saison« gewesen sein,
                denn auch im Pariser »Jardin de Plantes« konnte man eine
                »Mustersammlung« von vier Frauen, vier Männer und vier
                Kinder, besichtigen. Die Zoo-Pioniere verfolgten neben
                imperialistischen auch die damaligen Ziele des
                liberalen Bürgertums: geistige Vervollkommnung,
                Weltoffenheit, Freiheitsliebe und Geselligkeit. Der
                Zoologische Garten der Protestanten in Köln war
                »gegen« den bischöflichen gerichtet, der Frankfurter
                eine Demonstration der jüdischen Finanzaristokratie.
                Ergänzt, vervollständigt, wurde der Zoo durch den
                Zirkus, der seinen Ursprung in königlich-fürstlichen
                Reitschulen hatte und in dem neben Trapez- und
                Seilkunststücken hippologische Kriegsereignisse
                vorgeführt wurden (1825 wurde z.B. im »Royal
                Amphitheatre« Napoleons Rußfeldzug unter dem Titel »The
                Burning of Moscow, Or Bonaparte’s Invasion of Russia«
                aufgeführt). Im übrigen: Zirkus ist wie Lungenhaschee –
                nicht öfter als einmal im Jahr.  
                
                Der Zoologische Garten ist eine Erscheinung des 19.
                Jahrhunderts. Die ersten Gärten der Neuzeit entstanden
                in Großbritannien, es folgen Belgien und die Niederlande
                und dann Frankreich. Deutschland ist das letzte Land,
                daß Zoologische Gärten einrichtet. Die Tradition dieser
                Zoos reicht aber bis in die Römerzeit zurück, wo sich
                die Wohlhabenden Menagerien einrichteten.   
                            
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                14 In St. Dié in den Vogesen wirkte Martin Waldseemüller
                (Hylacomylus), der 1507 bekanntlich den neuen Erdteil
                nach dem Amerigo (Emmerich) Vespucci benennt.
                Waldseemüller schafft es damit, die bisherigen
                Bezeichnungen »Ilha de Vera Cruz«, »Terra Sancta
                Crucis«, »Mundus Novus«, »Terra dos papagaios«,
                »Brazzil«, »Brasil«, »Verzin« oder »Indias Occidentales«
                zu verdrängen:
                
                  »Nun sind aber die Erdteile umfassender erforscht, und
                  ein anderer vierter Erdteil ist durch Americus
                  Vespitius entdeckt worden. Ich wüßte nicht, warum
                  jemand mit Recht etwas dagegen einwenden könnte,
                  diesen Erdteil nach seinem Entdecker Americus, einem
                  Mann von Einfallsreichtum und klugem Verstand,
                  Amerige, nämlich Land des Americus, oder America zu
                  nennen; denn auch Europa und Asia haben ihren
                  Namennach Frauen genommen. Seine Lage und Gebräcuhe
                  seines Volks sind aus den zweimal zwei Reisen des
                  Americus leicht zu erfahren.« 
                
                
                1513 veröffentlicht er eine neue Karte ohne »America«;
                da hatte er bereits gewußt, daß Amerigo den heutigen
                Erdteil »Emmerich« nicht entdeckt hatte. Wäre die
                Kartoffel bereits 1507 in St. Dié angebaut worden, hätte
                Waldseemüller wohl schon bei der ersten Auflage seiner
                Weltkarte den richtigen Namen für die Neue Welt
                eingetragen.           
                    
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                15 Louis-Sébastien Mercier über den Hunger in Paris:
                
                  »Soll ich dich, Leser, endlich in die zwielichtigen,
                  verräucherten Garküchen der Vorstädte führen, wohin
                  die Maurer gehen mit dem Brot unterm Arm, auf dem eine
                  ebensolche Gipsschicht liegt wie auf ihnen selber, und
                  das sie in einem zur Verfügung gestellten Kessel
                  tauchen, was man ›die Suppe übers Brot gießen‹ nennt.
                  Für dieses Eintunken bezahlen sie drei Sols. Welch ein
                  Kessel! Was für eine Suppe!«      
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                16 Schon die alten Griechen bezeichneten jede ihnen
                unbekannte Frucht als Apfel und setzten zur
                Unterscheidung lediglich den Namen des Landes hinzu, den
                man als Herkunftsregion vermutete: Apfel aus
                China.             
                  
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                17 Der Jesuit Pater La Chaise aus Aix besaß hier ein
                Privathaus, als er Beichtiger des Königs Ludwig XIV.
                wurde. Durch Zuwendungen seines Beichtkindes konnte das
                Privatgelände erheblich erweitert werden und wurde zum
                Treffpunkt der Höflinge beim Comte la Chaise. 1763 ging
                das Gelände in private Hände über, 1771 wurde es
                städtisch und 1804 zum Ost-Friedhof umgewidmet. Pater La
                Chaise war ein großer Förderer der »italienischen
                Sitten« wie man die Homosexualität, die Sodomie, im Adel
                seinerzeit umschrieb. Vendôme und Sodom.    
                            
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                18 Man darf wissen, daß sog. Ersttagsbriefe (FDC, »First
                Day Cover«) und Ersttagsblätter ausschließlich einem
                vermehrten Einkommen der Briefmarken-Händler dienen;
                aber schön anzusehen sind sie manchmal schon. 
                              
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                19 Das Patent für diese perlende Masse von
                Miège-Mouriès, die den Namen »Margarine« erhielt, wurde
                später u.a. von den Holländern Jurgens und van den
                Bergh, von dem Engländer Lever und von dem Österreicher
                Schicht gekauft, die sich 1929 zu »Unilever«
                zusammenschlossen. Heute kommt weltweit jeder zweite
                Margarine-Becher von der niederländisch-britischen
                Unilever (Rama, Sanella, Lätta, Flora, Becel). 
                            
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                20 Bereits im 14. Jahrhundert hatte Giacomo Albini, Arzt
                bei den Fürsten von Savoyen, seine hohen Herren gewarnt,
                dicke Suppen und schwerverdauliche Innereien zu sich zu
                nehmen, und den armen Leuten riet er davon ab, erlesene
                Gerichte zu essen, weil »ihre derben Mägen« sie nicht
                verdauen könnten. Insofern bleibt die »Encyclopédie«
                konsequent bei der Unterteilung der Nahrung für hohes
                und niederes Volk.   
                
                Über den Kakao heißt es in der »Encyclopédie«, daß er
                heiß macht – Diderot stand voll in der Tradition der
                Humoralpathologie, die schon Galenos im zweiten
                nachchristlichem Jahrhundert propagierte und in dessen
                Lehren jede Nahrung einen festen Platz und Auswirkungen
                auf die Psyche hatte. Übrigens: S
chokolade kommt
                von 
chokola’j, »das gemeinsame
                Kakaotrinken«  
                
                Das Ende der 1950er Jahre herausgegebene »Chemische
                Koch- und Wirtschaftsbuch«, das sich an die deutsche
                Hausfrau wendet, zitiert den Arzt H. Klencke, der 1867
                in »Chemisches Koch- und Wirtschaftsbuch oder die
                Naturwissenschaft im weiblichen Berufe. Ein Lehrbuch.«
                herausgab: »Die Küche des Menschen ist der Spiegel
                seiner gröberen oder feineren Bildung.« Die »edleren
                Seelen« suchen »zartere Speisen«, »rohe Seelen« haben
                hingegen »einen Appetit nach rohen Nahrungsstoffen und
                besitzen einen plumpen, mit tierischen Eigenschaften
                ausgestatteten Körper«. Was hätte dieser Autor
                niedergeschrieben, wenn damals schon 
McDonald
                und 
Pizza Hut ihre Pforten und Pfannen
                geöffnet hätten.          
                      
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                21 Als Bürgermeister von Paris ließ Turgot einen Kanal
                zur Ableitung der Abwässer bauen, doch der pestartige
                Gestank verblieb, da der Stadtmagistrat den Kanal später
                privatisierte; er wurde überdeckt und überbaut und alle
                Küchenabfälle und Latrinen wurden da hinein entleert. So
                ist das mit dem Privatisieren: Es fängt an zu
                stinken.  
                
                Mit der Kartoffel hatte er sehr großen Erfolg; seine
                Behauptung, der beste Garant des Gemeinwohls sei das
                Eigeninteresse des einzelnen und von allen
                Menschenrechten sei das Recht auf Eigentum am meisten
                auf den Schutz durch die Gesellschaft angewiesen, hat
                dafür und leider einen größeren Erfolg gehabt: Ohne es
                noch zu nennen, setzt die F.D.P. ihre Ellbogen ein, um
                für ihre Klientel deren Eigentum zu schützen. Von der
                FDP (ohne Abkürzungs-Punkte) mit einem breiten
                bürgerlich-politischen Themen-Spektrum verkam die
                F.D.P. zu einer Drei-Punkte-Partei (araber-freundliche
                Außenpolitik, Politik für Groß-Unternehmen,
                Vulgärliberalismus), um letztlich bei nur einem Punkt zu
                landen: Solidaritätszuschlag. In Ayemenem, in Indien
                und in Hindi würde man sagen: 
chhi-chhi poach.
                Von Karl-Hermann Flach zu Guido »18« Westerwelle. Welch
                Abstieg! Oder mit Fontane:»Gott, wie ist die Gegend
                heruntergekommen!«         
                      
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                22 Bevor die Pompadour gegraft wird, nennt man sie
                Madame, ein Titel, den sonst nur noch die jeweilige
                Herzogin von Orléans trägt, deren Mann (der Bruder des
                französischen Königs) mit »Monsieur« angeredet werden
                muß. Trotz oder wegen fortwährendes Einnehmen von
                Aphrodisiaka (und hierzu zählte die 
pomme de
                terre) starb die 
Pompadour bereits im Alter von
                dreiundvierzig Jahren. Sie und alle anderen Maîtressen
                hatten die Aufgabe, im Bett die königlichen Hoheiten
                aufzurichten: »Die Liebe eines Mannes wird im Bett
                gewonnen und bei Tisch erhalten. Auch ein König ist ein
                Mann.«.             
                    z
urück 
                
                  
                
                23 Am 30. Dezember 1777 stirbt der kinderlose
                Wittelsbacher Kurfürst Maximilian Joseph von Bayern.
                Der Habsburger-Kaiser Joseph II. von Österreich will dem
                aus einer Nebenlinie stammenden Kurfürsten Karl Theodor
                von der Pfalz das bayerische Erbe nehmen, was nun
                wiederum den Preußen-König nicht ruhig schlafen läßt.
                Keine großen Schlachten, wenig Tote.Schlachten, wenig
                Tote.  
                
                Prinz Heinrich reicht sein Entlassungsgesuch ein wegen
                der verpaßten Gelegenheiten. Die Höfe von Paris und St.
                Petersburg mischen sich ein. Ein Kompromiß wird
                schließlich gefunden, und in Teschen (einem Ort mit
                frühen Kartoffelanbau) wird der Friede geschlossen. Wie
                wäre Thompson ohne seinen Kurfürst Karl Theodor mit
                seiner Suppe dagestanden?        
                        
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                24 Als der chinesische Bohea-Tee 1773 in den Bostoner
                Hafen fiel, wurde dies zum Anlaß für den amerikanischen
                Unabhängigkeitskrieg genommen. Der Zugang über die
                Ostsee zum russischen Hanf war der Hauptgrund für den
                englisch-amerikanischen Krieg von 1812 bis 1814. 1838
                gelang es England, China in den Krieg zu zwingen und zu
                besiegen, damit indisches Opium ungehindert nach China
                exportiert und der »duftende Hafen« englisch werden
                konnte.   
                
                Als 1842 der Boxeraufstand durch den Frieden in Nanking
                beendet wurde und der Drachenthron im sog.
                Friedensvertrag gezwungen wird, seine Häfen für den
                Import von Opium und zugleich für die Einwanderung
                christlicher Missionare zu öffnen. Für die Chinesen war
                somit Opium und christliche Religion direkt verbunden.
                  
                
                Im Salpeterkrieg gegen Chile (1879–1883) verliert
                Bolivien die Atacama und damit den Zugang zum Meer, und
                zwanzig Jahre später geht das rohgummireiche
                Acre-Gebiet an Brasilien. 1954 half die CIA der 
United
                  Fruit Company in Guatemala in ihrem Bürgerkrieg
                gegen die »linke« Regierung, damit die Ostdeutschen nach
                1989 ihre Bananen erhalten (Gert von Paczenski zitiert
                einen Nazi-Spruch: »Deutscher bleib deutsch und laß dich
                gemahnen, Iß deutsches Obst und friß nicht Bananen«).
                  
                
                Der Sieg Honduras über Salvador am 9. Juni 1969 (1:0)
                beim Kampf um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft
                löste den Fußballkrieg aus; der sog. Fußballkrieg war
                jedoch die direkte Folge einer Agrarreform in Honduras,
                die wilde Siedler aus San Salvador unberücksichtigt
                ließ.   
                
                Dreimal (1958, 1972 und 1974) setzte das an sich doch
                friedliche Island seine Kanonenboote unter Dampf, um den
                Kabeljau in seinen Fangrevieren zu verteidigen und
                setzte schließlich die 200-Meilen-Zone fest. 1990
                wurden die »sieben Schwestern« verärgert, als die
                Iraker ihnen das kuwaitische Öl wegnahmen und damit
                den »Desert Storm« auslösten.   
                
                Und: Wenn Capt. William Bligh seinen Seeleuten statt
                Affenbrotfrüchte (die er auf Geheiß der britischen
                Admiralität in die Karibik bringen sollte) Kartoffeln
                gegeben hätte, wäre Fletcher Christians Meuterei
                sicherlich schon im Brei erstickt worden.    
                            
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                25 Der »Jardin des Plantes«, 1640 als »Jardin de Roi«
                unter Comte de Buffon eröffnet, rue Cuvier 57, besitzt
                noch heute eine außergewöhnliche Sammlung historischer
                Bäume. Hier befindet sich auch ein Alpiner Garten, ein
                Iris-Garten, ein Rosengarten, Gewächshäuser, ein
                Vivarium und ein Zoo. Gut, daß sich Santerre nicht hat
                durchsetzen können; wenn’s nach ihm gegangen wäre,
                würden dort nur Hopfen und Malz wachsen. Im Jahr 2001
                hinterlassen etwa Pariser 200.000 Hunde (»clebs«,
                Köter) täglich etwa fünfzehn Tonnen Kötel auf den
                Gehwegen; deshalb wird die Stadt auch »crottes de
                chiens«, Hauptstadt der Hundekacke, genannt. 
                              
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                26 Eine wohlgestaltete Pomona ist vor dem Strand-Museum
                in Skagen (da wo sich Nord- und Ostsee vermischen) zu
                sehen und macht Appetit auf mehr. Und unter den Orkneys
                gibt es eine Insel namens Pomona. Die römische Göttin
                des Gartenbaus und der Früchte wies den um sie werbenden
                Gott der Jahreszeiten, Vertumnus, schnöde ab. Dieser
                verwandelte sich (damals war so etwas noch möglich –
                meint Ovid in den »Metamorphosen«) in eine alte Frau,
                die beredt für den Gott sprach, so daß Pomona
                schließlich sich dem in seiner wahren und schönen
                Gestalt zurückgekehrten Vertumnus »ergab« (wie es so
                heißt). Rubens hat »Vertumnus und Pomona« für König
                Philipp IV. so schön gemalt, das dieser das Bild in
                seinem Schlafzimmer aufhängen ließ, denn Pomona in einem
                grau-grünen Gewand entblößt ihre Brüste, jedoch hält sie
                in der rechten Hand eine Sichel, was den Vertumnus an
                sich hätte vorsichtig werden lassen müßte.    
                            
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                27 »Die meisten Europäer ziehen Fleischesnahrung vor,
                die zwar die Säfte öliger, aber die Haut schmutziger und
                die Ausdünstungen übelriechender macht. Weiber riechen
                daher, da sie wenig Fleisch essen und mehr Wasser als
                Wein und Bier oder gar Branntwein trinken, säuerlich wie
                Kinder und selbst Bauern; Franzosen, Russen und Juden
                riechen stärker als deutsche, Fischesser riechen wie
                Fische und Italiener wie Käse, Zwiebeln und Knoblauch.
                Neger und Wilde riecht man schon eine Viertelstunde
                weit, wie die Hirsche in der Brunst, und die Wilden
                riechen die Spanier noch weiter. Es gibt Nationalgerüche
                wie Geschlechtsgerüche und Nationalcharaktere. Fast alle
                rohen Völker lieben faulende animalische Nahrung, die
                ihnen das zu sein scheint, was uns Salz oder Senf ist.
                Wenn über eine solche Leckerei der Europäer ohnmächtig
                wird, so findet sie der Kamtschadale angenehm sauer, und
                Steller nimmt an, daß in Kamtschatka – durchaus nichts
                stinke.« Carl Julius Weber schildert diese
                geographisch-gastronomischen Charakterbilder.  
                              
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                28 Eine sprachliche Abschweifung. Auf Hawaii-Kreolisch
                heißt der Satz: »Wenn die Arbeit beendet ist, gehen die
                Männer in den Garten, um Kartoffeln anzubauen«
                
                  »When work pau da guys they stay go make garden for
                  plant potato«
                
                und im Pidgin lautet die Übersetzung
                
                  »No, the man, ah-pau work – they go, make garden,
                  Plant this, ah potato, like that.«    
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                29 Die Stadt Amsterdam war Hauptaktionärin der
                Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC) und ihrer
                Schwestergesellschaft Vereinigte Westindische Compagnie
                (WIC). Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatten sich
                holländische und seeländische Handelskonzerne zur VOC
                zusammengeschlossen; sie sollte Handel treiben östlich
                des Kaps der Guten Hoffnung. Hauptumschlagsplatz war
                Batavia (Jakarta); ein zweiter Handelsplatz war die
                künstliche Insel Decima vor Nagasaki, ein halbes Jahr
                Seereise lag zwischen Amsterdam und diesen
                Handelsplätzen.  
                
                Die WIC besaß das Handelsmonopol für den Sklavenhandel.
                Auf der »driehoeksreis« wurde das Geld verdient: Von
                Amsterdam mit allen Waren, mit denen man Geld verdienen
                konnte, nach Westafrika; Sklaven aus Westafrika nach
                Amerika und in Para Maraibo entladen und verkauft an
                Plantagenherren, bezahlt wurde mit Zucker, der in
                Amsterdam marktgerecht verarbeitet wurde.  
                
                Die Küsten Brasiliens waren zeitweilig in
                niederländischer Hand. Amsterdam gewährte ihren
                Gesellschaften besondere Privilegien: Das Recht,
                Handelsverträge zu schließen, eine eigene
                Rechtsprechung, das Recht Kolonien zu gründen und damit
                auch das Recht »een kriegsmacht to onderhouden«. Die
                »oorlogslasten« waren enorm, denn bevor man eine Kolonie
                ausbeuten konnte, mußte Krieg geführt werden, gegen die
                Eingeborenen, gegen die Spanier, gegen die Portugiesen,
                gegen Piraten. Erst danach begann das Scheffeln. 
                              
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                30 Der berühmte Astronom Halley reiste 1676 nach St.
                  Helena, um den südlichen Sternenhimmel zu
                  kartographieren; »es war der richtige Ort, aber die
                  falsche Atmosphäre«, so daß der «Tycho des Südens«
                  durch den Dunst über St. Helena nur 341 neue Sterne
                  entdeckte. Die hohe Luftfeuchtigkeit war und ist für
                  den Anbau der Kartoffel hervorragend geeignet.
                  Napoleon konnte nur deshalb nach St. Helena verbracht
                  werden, weil der (vierte königliche) Astronom Neville
                  Maskelyne aus England erst 1761 die geographische
                  Länge mit Hilfe der Monddistanzen bestimmen konnte.
                  Bis dahin war das Anlaufen der Insel mehr oder weniger
                  zufällig und vom Glück der Seefahrer abhängig.  
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