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Das Rheinwiesenlager
Remagen
Deutscher Bericht Nr. 3:
Berichte von Johannes Luxem, Peter Willems, Hans
Altrogge, Willibald Appel und Heinz Pankuweit
präsentiert von Michael Palomino (2013)
aus:
Wolfgang Gückelhorn / Kurt Kleemann: Die
Rheinwiesenlager Remagen und Sinzig. Helios-Verlag 2013,
Aachen, helios-verlag@t-online.de;
www.helios-verlag.de; ISBN 978-3-86933-094-5, S. 70-72
Wortschatz
PWTE =
zeitlich begrenztes / vorläufiges
Kriegsgefangenenlager [Prisoner of War
Temporary Enclosures]
<Kriegsgefangene erzählen: Johannes Luxem
[Überlebenskampf: Krümel-Streit - Hunger -
Entkräftung und Erschöpfung auf der Schlammschicht]
"Im Hungerlager war zu registrieren, wie sich der
Mensch, gepeinigt von Durst, Nässe, Kälte - ohne
Geborgenheit - zu verändern begann. Beklemmungen,
Missmut, Zustände ständiger Gereiztheit in erzwungener
Monotonie. Man hat ein langsames Erlöschen der
Aktivität gehegter Hoffnungen und das Fehlen inneren
Aufschwungs gespürt.
Beim Verteilen des gebleichten Weissbrotes etwa, ist
es um die Frage gegangen, wer an diesem Tag ein
Anrecht auf die Krümel hat. Das ganze Denken hat sich
auf einen einzigen Gedanken verengt: essen, Sättigung,
den Hunger stillen. Die körperlichen Funktionen der
Halbverhungerten hatten sich auf ein Mindestmass
reduziert. Im Zustand völliger Entkräftung und
Erschöpfung war der Schlaf von wirren Traumgestalten
erfüllt.
Nie vorher war das Gefühl eines völligen
Ausgeliefertseins stärker als in den Tagen und Wochen
des ständigen Regens. Die grüne Decke der Erde war
einer zähen Schlammschicht gewichen. Die von Kopf bis
Fuss durchnässten Gefangenen waren den Unbilden der
Witterung schutzlos ausgeliefert.
[Erdlöcher - einstürzende Gruben in der
Nacht in der "Goldenen Meile"]
Auf blanker, nasser Erde liegend, ohne Dach über dem
Kopf, gab es nur eine Losung, das Elend zu mildern;
eingraben in die Erde. Mutter Erde umhüllte die
hungernden und Frierenden, war zum Zufluchtsort
geworden.
Nach längerem Regen ist es geschehen, dass Gruben
nachts einstürzten und den Schläfer verschütteten. So
hat die nasse Schwemmlanderde der Goldenen Meile ihren
Tribut gefordert.
[Eine Knollengrube - Ruhr-Epidemie und Kohlereste
kauen - Totenreihen in Dreierreihen]
Am Ende des Stacheldrahtgevierts entdecken die Männer
eine alte Knollengrube, für die Halbverhungerten eine
Goldgrube. Viehfutter ist mit "Coffeepowder" und
verchlortem Rheinwasser zu einem köstlichen Besitz
geworden. Mit verheerenden Folgen: Die Ruhr stellte
sich ein. In ihrer Verzweiflung haben die
schwerkranken die Kohlereste der Schwellenfeuerchen
als Gegenmittel gekaut.
Die Totenreihen lagen in Dreierreihen auf Stroh; um
ihre Münder hatten sie die schwarzen Ränder der
Schwellenfeuerkohle - sie brachte ihnen keine Hilfe,
keine Rettung mehr......"> [S.70]
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<Peter Willems
[Dank an die Zivilbevölkerung für
die Hilfe am Zaun]
Nicht vergessen haben die meisten Insassen der Lager
die grenzenlose Hilfsbereitschaft der Bevölkerung aus
der Umgebung der Lager:
"Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen und den
Menschen linksrheinisch bis weit in die Eifel hinein
einmal herzlichen Dank sagen. Danken für ein paar
Kartoffeln, einige Zwiebeln, bei viel Glück einem
Stückchen Speck und [S.70] vor allem Brot - Brot und
nochmals Brot.
Sie kamen von überall her, vor allem Frauen und
Mädchen waren es sowie Kinder und alte Leute; jeder
versuchte, etwas zu geben. Wenn diese helfenden
Menschen nicht gewesen wären, hätten viele von uns das
Lager nicht lebend verlassen.
Deshalb möchte ich mich in tiefer Dankbarkeit
verneigen. Ich habe die grösste Achtung gegenüber
diesen Beweisen einmaliger Nächstenliebe, wie sei
diese Leute praktiziert haben."
Quelle: Peter Willems aus Rheinbach-Wormersdorf in
einem Brief an [den Bürgermeister von Remagen] Hans
Peter Kürten.>
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<Hans Altrogge
[Dem Massentod ins Auge gesehen]
"Remagen war für mich die schlimmste Zeit meines
Lebens. Und doch möchte ich rückblickend diese Zeit
nicht missen. Sie hat mich in vielfacher Weise
geprägt, und, wie ich meine, zu meinem Vorteil."
Quelle: Hans Altrogge aus Münster, damals 17 Jahre
jung, in einem Brief an [den Bürgermeister von
Remagen] Hans Peter Kürten.>
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<Willibald Appel
[Eine singende Nacht]
"Die erste Nacht unter freiem Himmel war das Schönste
und Imponierendste. Es war ziemlich kalt, so dass an
Schlaf nicht zu denken war. Die Masse stand
geschlossen Mann an Mann und wir sangen die schönsten
Lieder. Es klang wie bei einem Kosakenchor. Ich dachte
an Richard Wagner, an grosse Uraufführungen. Wir
sangen: "Warum ist es am Rhein so schön..." und
anderes; es war ein nicht enden wollendes Repertoire.
[Bäume fällen für Brennholz]
Zum Feuern mussten die Zwergobstbäume herhalten,
später auch die grossen Bäume, die wie von Ameisen
zerfressen wurden. Ein Bündel frischen Klees diente
mir als Kopfkissen. Es war April, und in den ersten
drei Wochen hat es an 14 Tagen geregnet. Ich war also
täglich mehrmals nass bis auf die Haut, da ich keinen
Mantel und keine Decke besass und auch keine Bekannten
hatte.
[Sparen - und Ohnmacht und Kameradendiebstahl]
Ich war völlig ausgehungert. Nahrung habe ich keine zu
mir genommen. Ich wollte das Milchpulver und den
Kaffee sammeln für bessere Tage, wenn ich wieder
gesund sein würde. Doch dann fiel man auf freier
Strecke um, und aus der Ohnmacht erwacht, war alles
geklaut."
Quelle: Willibald Appel aus Obernburg-Eisenbach in
einem Brief an [den Bürgermeister von Remagen] Hans
Peter Kürten.>
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<Heinz Pankuweit
[Von Gummersbach in die Katastrophe von Remagen]
"Wir waren alle voller Hoffnung, als es nach einer
Woche in Gummersbach in ein anderes Lager gehen
sollte. Es konnte nur besser werden - hatten wir
gedacht. Doch welch eine Enttäuschung. Am Zielort
Remagen erwartete uns eine unübersehbare Lagerfläche
ohne Unterkünfte. So weit man sehen konnte:
Stacheldraht und nackte Erde. Wie kann man in einem
solchen Pferch leben? Wie sollen wir das überstehen?
Fragen über Fragen gingen mir durch den Kopf. Nichts
zu essen, kaum etwas zu trinken- nur mit Chlor
versetztes Rheinwasser. Fortlaufend trafen weitere
Gefangenentransporte ein. [S.71]
[Der tägliche Kampf ums Überleben - und der
Massentod in Remagen - Flucht und Erschiessung - ein
Ort des Schreckens]
Wir standen hilflos herum, kamen uns verloren vor.
Hoffnungslosigkeit breitete sich aus. Doch der Glaube
an Gott und Gerechtigkeit stärkte den
Überlebenswillen.
Von Tag zu Tag verschlimmerte sich die Lage. Es war
ein täglicher Kampf ums Überleben. Hunger, Ruhr und
andere Krankheiten rafften Unzählige dahin. Wir sahen
sie sterben - mitten unter uns - und konnten nicht
helfen. Sie starben einsam, nicht selten qualvoll ohne
ärztlichen oder priesterlichen Beistand. Wie gerne
wäre ich abgehauen und 20 Kilometer zu Fuss zu meinem
Zuhause in Bonn gelaufen, trotz stark geschwollener
Füsse und Unterschenkel. Einigen wenigen gelang die
Flucht, andere mussten den Versuch mit ihrem jungen
Leben teuer bezahlen.
Diese Zeit bleibt allen noch lebenden Lagerinsassen
unvergessen. Wir hatten uns - zwar vom Krieg
gezeichnet, aber relativ gesund - in Gefangenschaft
begeben und verliessen die Elendslager als mehr oder
weniger kranke, hoffnungslos unterernährte, völlig
entkräftete, junge Menschen. Viele hatten sich damals
geschworen, die "Goldene Meile" nie wieder zu
betreten. Remagen war für uns zu einem Begriff des
Schreckens verkommen.
Die Monate zwischen April und Juni 1945 waren
schlimmer als all die Monate an der Front. Es war ein
ständiges Wandeln zwischen Leben und Tod."
[Für viele war Remagen der Tod].
Quelle: Heinz Pankuweit aus Bad Godesberg in der
Rhein-Zeitung, damals 19 Jahre jung.> [S.72]
Quellen
Fotoquellen
[1]
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