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Josef Nowak: Das Rheinwiesenlager Rheinberg

Kapitel 3: Drahtkäfig Brackwede

Sportplatz Brackwede -- Hungerfolter und Wasserfolter und Schlafen im Stehen -- kriminelle "Amis" zertreten Lebensmittel der deutschen Soldaten am Boden -- das Kind einer Generalstochter -- Konservendosen fangen -- kriminelle "Amis" foltern mit Prügeln -- Wasserfolter am Senkboden -- erste Skelette laufen herum -- Schläge mit Hydrantenschlüssel -- Waschen und Körperreinigung gibt es nicht -- Folter mit falschen Heimkehr-Nachrichten -- auch kriminelle Belgier überwachen Hungerfolter und Durstfolter gegen bereits halbtote Deutsche -- die Flak in Bemerode im Februar 1945 mit der illegalen Nachricht vom "Ende" -- Folter ohne WC, Schmutzwasser und Fieber -- Prügelfolter -- Kameradendiebstahl bei den Toten -- viele Familien werden an einen Tod in Russland glauben

aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät. Kriegsgefangen in der Heimat

präsentiert von Michael Palomino (2013)
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[Ein Sport- und Tennisplatz in Brackwede bei Bielefeld]

Brackwede liegt in der Nähe von Bielefeld. Es gibt dort eine Anlage, die einen allgemeinen Sport- und Tennisplatz umfasst. Vielleicht ist Brackwede noch durch andere Vorzüge erwähnenswert. Doch diese sind uns nicht bekanntgeworden. Die Sportanlage war schon von Natur aus stark verdrahtet, eignete sich also vortrefflich dazu, um Vieh aller Art einzusperren.

Als wir vom Wagen sprangen, wurde uns bedeutet, dass wie bei den Preussen so auch bei den Nachkommen Washingtons der Laufschritt die langsamste Gangart des Soldaten, zumindest des Kriegsgefangenen, sei. Ob dieser Umstand auf das Wirken des Generals von Steuben zurückzuführen ist, das mögen die Militärwissenschaftler klären, desgleichen die Frage, ob der gute, alte fredericianische Korporalstock in der demokratischen, amerikanischen Armee illegal, aber doch spürbar fortlebte. Unsere Wächter formierten sich zu einer stockbewehrten Gasse, durch die wir uns munteren Schrittes und stark gezüchtigt zum Drahtkäfig bewegten. Kräftige Arme schrieben uns das ABC der Sieger ins Kreuz und Hinterteil. Es waren weisse Amerikaner, die uns schlugen. Wenn geschlagen wurde, waren es immer die Weissen, selten die Mischlinge, niemals Neger, die den Knüppel schwangen. Tausende und aber Tausende von Gefangenen [S.35] quollen hinein in die Gitterlandschaft. Alle paar Minuten kam ein neuer Geleitzug an. Hätte der Strom nicht gegen Sonnenuntergang nachgelassen, so wäre der Draht geborsten. Und dann hätten sicher die Maschinenpistolen gebellt.

[Keine Verpflegung, kein Wasser, kein Strohsack, kein Platz, und im Stehen schlafen]

Da wir schon kein Mittagessen empfangen hatten, waren wir nicht sonderlich überrascht, als auch das Abendbrot ausblieb. Nein, dieser amerikanische Militarismus unterschied sich vom preussischen in keiner Weise. Zweimal in meinem Leben bin ich zur deutschen Luftwaffe eingezogen worden, einmal als jenes masslos traurige Stück Mensch, das gemeinhin als Rekrut bezeichnet wird, das andere Mal immerhin als Mitglied eines Ersatzhaufens. Beide Male traf ich erst nach 18 Uhr in der Kaserne ein. Es war meine Schuld. Warum hatte ich keinen anderen Zug bestiegen, der mich früher als Ziel brachte. Die Fouriere hatten ihre Schalter bereits geschlossen. Wer so spät kam, der gehörte der "Ist"-Stärke nicht mehr an und hatte keinen Anspruch auf Brot und Fleisch. Auch Bettwäsche empfing er nicht mehr. Dagegen stand dem späten Ankömmling ein gestopfter oder noch zu stopfender Strohsack zu. Hier in Brackwede fiel auch der Strohsack weg. Bettwäsche brauchte daher überhaupt nicht ausgegeben zu werden. Denn wo in aller Welt war es üblich, die nackte Erde mit einem Leintuch zu bespannen? Unsere Kerkermeister waren der Ansicht, dass Männer, die den Krieg verloren hatten, auch keinen Liegeplatz am Boden [S.36] zu fordern hätten. Höchstens der dritte Teil der Gefangenen konnte sich schichtweise auf dem grasbedeckten oder betonierten Boden schlafen legen. Schliesslich weiss man ja, dass auch viele Pferde stehend schlafen.

Gepriesen sei der preussische Kommiss! Er war doch nicht so schlecht und hat uns auf manche Härte des Daseins vorbereitet. Vor allem lehrte er uns bei der Flak, tagelang zu stehen und in jeder Lebenslage zu schlafen. Ich habe Brackwede acht Tage lang fast nur stehenden Fusses erlebt. Käme ich heute auf den Gedanken, diesem Städtchen einen Erinnerungsbesuch zu machen, ich wäre sicher höchst überrascht zu sehen, dass es auch dort an Sitzgelegenheiten nicht mangelt. Acht Tage stand ich also auf dem Tennisplatz zu Brackwede, ungewaschen und unrasiert, einer von vielleicht 30.000 Ungewaschenen und Unrasierten.

[Lebensmittel der deutschen Kriegsgefangenen werden von den kriminellen "Amerikanern" am Boden zertreten]

Wenigstens vier Stunden lang gaben wir uns am nächsten Morgen nach Sonnenaufgang der eitlen Hoffnung hin, dass uns ein Frühstück überreicht werde. Von da an begannen wir, mit dem Mittagessen zu rechnen. Wir hatten ja doch so viel von Kaisers Liberty-Schiffen gehört, die mit vollen Bäuchen kalifornische Ernten nach Europa schleppten. Viele von uns hätten tagelang amerikanischer Speise nicht bedurft. Sie hatten ihre Rucksäcke beim Zusammenbruch der Heimatfront mit Brot, Wurst, mit Zucker und Käse, mit frischem Fleisch und Fleisch in Dosen vollgestopft. Die weissen [S.37] Amerikaner hatten in den meisten Fällen bei der Gefangennahme die deutschen Nahrungsmittel in den Dreck getreten. Weshalb? War das Atavismus [Missbildung am Gehirn oder am Körper]? Schon in der Bronze-Zeit war es ja üblich, die Kornfelder, die Weinberge des Besiegten zu zerstampfen.

[Zucker bei den Kameraden]

Ich machte mich langsam an die Gitterwand heran und umschritt meinen Käfig, nicht ohne von Zeit zu Zeit ein etwas gedämpftes Wiedersehen mit den Kameraden meiner Batterie zu feiern. Sie hatten fast alle den Weg hierher gefunden. Sie hatten fast alle pralle Rock- und Manteltaschen, gefüllt mit Zucker. Die erste Nacht der Gefangenschaft hatten sie in einer Zuckerfabrik verbracht. Sie hatten auf den Zuckersäcken geschlafen und diese angeritzt, um sich mit Proviant zu versorgen. Der eine oder andere langte in die Tasche, und ich leckte dankbar den Zucker aus der hohlen Hand.

[Jemand hat noch ein Kind in Norddeutschland mit einer Tochter eines Generals - Nowak hilft mit Alimenten]

Gegen Mittag war ich beim Offizierskäfig angelangt. Der glich zwar auch keinem Luxushotel, verfügte aber über einige wacklige Stühle, auf denen sich die Träger der Schulterstücke in einem gewissen Rhythmus ausruhten. Hinten in der Ecke stelzte ein Oberfähnrich auf und ab. Wahrhaftig, Hermann war es. Die Sache will es, dass wir uns mit seinem Vornamen begnügen müssen. Oberfähnrich Hermann zählte zu meinen unvergesslichen Wehrmachtserlebnissen. Er war eines Abends, als ich gerade beim Geschütz Bertha Wache schob, an mich herangetreten und hatte einige Male schwer geseufzt. Er wollte eine Beichte ablegen [S.38]. Irgendwo in der Gegend der Mainlinie hatte er auf Geheiss des Führers seine Frau und seine drei Kinder verlassen. In Norddeutschland hatte er die Tochter eines Generals kennengelernt. Die schenkte ihm in der biologisch vorgesehenen Frist einen Sohn. Der Grossvater wider Willen reagierte mit Härte. Hermann wurde an Stelle eines Säbelduells aufgefordert, standesgemäss Alimente zu bezahlen, widrigenfalls - Eben darum ging es in jener Nacht. Es konnte nicht ausbleiben, dass der Batterie-Chef dienstlich von der Sache erfuhr, dass die Gattin zu Hause eine betrübliche Kenntnis erlangte, wenn Hermann die fällige Busse nicht pünktlich entrichtete. Da ich, wie jeder in der Batterie wusste, in jenen Tagen von den Staatstheatern in Dresden, Hamburg, Kassel und Stuttgart beträchtliche Tantiemen bezog, hielt Hermann mich für ebenso vertrauenswürdig wie kreditfähig. Ich schoss also vor und leistete des öfteren Zahlungen in derselben Höhe und jeweils kurz vor dem Ersten eines Monats. Wie wenig sich auch meine Frau um Finanzfragen und Postscheckkonten kümmerte, eines Tages fielen ihr diese eigentümlichen Geldgeschäfte auf. Sie missbrauchte meinen nächsten Wochenendurlaub zu einer indiskreten Frage. Ich antwortete wahrheitsgemäss. Aber sie nahm die Sache doch nicht ohne herbe Kritik hin.

-- Ist das nicht ein bisschen zu viel?

-- Aber ich bitte dich, für das Baby einer Generalstochter! [S.39]

-- Ich denke jetzt nicht an die Höhe der Summe. Die ganze Geschichte - wem willst du das eigentlich glaubhaft machen?

-- Wieso denn?

-- Nun, ich habe schon oft von Männer gehört, die sich dagegen sträuben, ihre Alimente zu zahlen, aber ein Esel, der fremde bezahlt, ist mir bisher noch nicht vorgekommen.

Daran dachte ich, als ich die Nase durch den Maschendraht steckte und mich vergeblich dem fernen Oberfähnrich bemerkbar zu machen versuchte.

[Kriminelle "Amerikaner" mit Konservendosen fangen: Wer kein Artist ist, bekommt nichts - und weisse Amis foltern wieder mit Prügeln]

Bald darauf schien irgendwo etwas zu geschehen. Tausende von Nasen hoben sich witternd in die Luft. Sollte es endlich etwas zu essen geben? Ich schlängle mich näher und näher an den Herd der Unruhe. Tatsächlich, ein Tor hat sich aufgetan. Hinter dem Tor sind Kisten aufgestapelt. Der Empfang des Mittagessens beginnt. Zu zwei und zwei sausen die Gefangenen an den Spendern vorbei. Im Flug wie die Möwen müssen die Gefangenen ihren Frass erhaschen. Zwei kleine Konservendosen wirbeln jeweils durch die Luft. Was fällt, bleibt liegen. Wer kein Artist ist, hat nichts oder nur die Hälfte zu essen. Ich weiss nicht, ob diese Essensausgabe eine Eigentümlichkeit der amerikanischen Wehrmacht ist. Vielleicht konstruierten da die Techniker ein imaginäres Fliessband zwecks Rationalisierung des Fourierdienstes. Ich sehe nur, dass die zweireihige Prügelkolonne wieder Spalier bildet und mit [S.40] maschinenmässig Präzision die Erziehung zur Demokratie über das Gesäss fortsetzt. Jedenfalls beschleunigt sie auf diese Art den Gang der Ereignisse ganz erheblich. Damals hatten wir den Film "Verdammt in alle Ewigkeit" noch nicht gesehen. Darum leisteten wir uns auch als Besiegte die Kühnheit, etwas verwundert zu sein.


Meat and noodles [Fleischnudeln] hatte ich erwischt. Andere kauten an Lima Beans [Limabohnen] oder Ham and Eggs [Schinken mit Ei]. Der Kubikinhalt einer Dose - das muss hier gesagt werden - wer bequem in drei oder vier Streichholzschachteln zu packen. Wir stellten dann bald beim Studium der Aufschriften fest, dass unsere tägliche Futterration einer halben amerikanischen Frühstücksration entsprach, wobei Brot und Butter, da wir nichts davon empfingen, sowieso ausser Betracht blieben. Nun ja, wir hatten den Krieg nicht gewonnen. Ein Gefangenenlager ist schliesslich keine Mastanstalt. Wir mussten zufrieden sein, wenn der Ofen [der Körper] wenigstens mit einem halben Brikett geheizt [ernährt] wurde.

[Kriminelle "Amerikaner" mit Wasserfolter: Schmutziges Wasser vom Senkboden]

Meat and Noodles [Fleischnudeln] - schön, aber eine Tasse Tee oder Kaffee wäre willkommen gewesen. Dort hinter dem Atlantik sollen sie ja doch die Lokomotiven mit Kaffeebohnen heizen. Einige Stunden später waren wir so weit, dass wir nach nichts weiter als einer Tasse frischen Wassers verlangten. Wie jeder anständige Tennisplatz, so verfügte auch der in Brackwede über eine Wasserleitung. Es war nicht gerade Quellwasser, was da heraussprudelte, obwohl [S.41] Brackwede am Fuss des Teutoburger Waldes liegt. Wir hatten im Krieg schon manche Brühe gesoffen, ohne die Bazillen vorher zu zählen. Aber das Wasser war hier von einem fetten Kreolen [Schwarzamerikaner, der eine Mischsprache spricht] bewirtschaftet. Er hatte eine so widerliche Visage, dass mir wie nie zuvor die ganze Schwere des Herrengebotes aufging, demzufolge man seinen Nächsten wie sich selber lieben soll. Wenn ich es nicht vermeiden wollte, eine ketzerische Aussage zu machen, so würde ich dreist behaupten, dass der Herr selber diesem Manne gegenüber Schwierigkeiten mit seinem ersten und grössten Gebot gehabt hätte.

Von Zeit zu Zeit liess der Kreole etwas Wasser in den steinernen Trog laufen, der sich unter dem Hydranten befand. Der Trog war voll von Staub, von Unrat, von Strohresten und anderem Mistzeug. Nur so viel Wasser liess der Kreole herniederträufeln, dass es den Unrat gerade bedeckte und zum Schwimmen brachte. Dann forderte der Kerl uns Nazi-Schweine auf, unseren Durst zu löschen. Ich warnte jeden Mann, der mich anhörte, aus diesem Drecksumpf zu trinken. Ich beschwor die Umstehenden, lieber noch einen Tag Durst zu leiden, vielleicht auch noch einen zweiten, einen dritten Tag. Hier war ein Henker, ein Mörder am Werk. Dennoch wurde getrunken. Zwei Tage später wussten wir, welcher Art dieses Getränk war.

[Erste Skelette laufen herum - kriminelle "Amerikaner" foltern mit Hydrantenschlüssel]

Wahrlich, wir hatten den Krieg gründlich verloren, total, möchte man sagen, sonst hätten wir noch so viel Kraft gehabt, um diesen Halunken [S.42] über dem Boden zu zerfetzen, was auch nachher geschehen mochte. Wir ertrugen ihn schweigend. Ein halbverdurstetes Skelett von einem Menschen, ein wenigstens sechzigjähriger Volkssturmmann, richtete an den Tyrannen von Brackwede, der wie ein Eunuche [mit seinem fetten Körper] fast aus der Hose platzte, die flehentliche Bitte, den Trog doch volllaufen zu lassen und so das Wasser einigermassen trinkbar zu machen. Da lief dem Satansknecht der Hals rot an wie einem Puter. Er hob den schweren Hydrantenschlüssel und stiess ihn dem Skelett ins Gesicht - Er hatte selbst Schuld, der alte Mann. Wie konnte er, der Besiegte, es wagen, eine Forderung an einen Vertreter der Vereinigten Staaten zu richten.

So war Brackwede.


[Kriminelle "Amerikaner": 1 Woche Wasserfolter - 1 Woche Folter ohne Waschen und ohne Körperreinigung]

Eine  volle Woche dauerte das Grauen. Waschen - rasieren - Zähne putzen - kämen - alles Blödsinn. Hunger leiden - Durst leiden, frieren - im Dreck liegen - verzweifeln - das war unser Dasein.

[Kriminelle "Amerikaner": Folter mit falschen Nachrichten über Transporte und Heimkehr]

Manchmal tauchte ein weisser Amerikaner auf dem Podest auf. Er sprach viel zu gut deutsch, um im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten geboren zu sein. Er berichtete uns, was draussen alles geschehen sei. Hitler sei in Berlin gefangengenommen worden. Goebbels habe man bereits im Flugzeug nach London gebracht. Der Friedensschluss stehe in wenigen Wochen bevor. Der Bursche predigte Geduld und Verständnis. Es sei schwer, Lebensmittel heranzuschaffen [das ist gelogen, denn Eisenhower lehnt alle Hilfslieferungen ab und will den Massenmord!]. Aber die Transportlage bessere sich von Tag zu Tag. [Das ist gelogen, denn Eisenhower lehnt  Hilfslieferungen ab, lässt die Kriegsgefangenen ohne alle Rechte und vollzieht so in seinen Todeslagern einen Massenmord an den Deutschen]. In Kürze gehe es [S.43] nach Hause. [Das ist wieder eine grosse Lüge]. Nach solcher Rede sprang der Mann wieder von seiner Kiste herunter. Hinkte er nicht? Der Kerl musste doch einen Hinkefuss haben. Armer Idiot! Du hast wohl noch kein Gaupropaganda-Amt erlebt. Die Leute dort wussten am 18. Februar, dass am 3. März 350.000 Brutto-Registertonnen im Nordatlantik versenkt worden waren. Sie meldeten am 4. März den U-Boot-Erfolg mit Fanfarengeschmetter und betteten in demselben Heeresbericht den fluchtartigen Rückzug von Tobruk nach Benghasi ein. Der Sprecher in Brackwede wollte nur Ruhe im Lager haben, weil er abends bei seinem deutschen Mädchen sorglos schlafen wollte. Der Platz des Entsetzens, der uns bereitet wurde, war nicht hier.

[In Wirklichkeit verlängerte Eisenhower den Krieg absichtlich, indem er Patton immer wieder blockierte, weil er auf die Atombombe gegen Deutschland wartet, aber dann kam die Kapitulation doch noch zu früh].

[Kriminelle Belgier: Hunger-Folter und die Durst-Folter und die bereits halbtote Deutsche]

Manchmal stand ich am Draht und schaute mir die jungen Belgier an, die, das Gewehr im Arm, auf dieses unrasierte Gewimmel herabsahen. Es gelang mir nicht, mit einem dieser Knaben ins Gespräch zu kommen. Das eleganteste Französisch stiess auf taube Ohren. Aber die Gesichter dieser Bürschchen waren sehr aufschlussreich. Tag um Tag sahen sie, wie wir immer mehr verkamen. Sie sahen, dass es unter uns Grosse und Kleine, Dicke und Dünne, Alte und Junge gab. Vielleicht gab es sogar Gute und Böse? Ich merkte es an ihren gerunzelten Stirnen, dass sie mit Mühe die ihnen eingetrichterte Weltanschauung aufrechterhielten. Gott allein weiss, mit welchen Vorurteilen sie sich herumplagten [S.44].

[Ehemaliger NS-Führungsoffizier ist auch Häftling geworden - die Affäre um das baldige Kriegsende in Bemerode im Februar 1945]

Ich stehe wieder einmal am Offizierskäfig. Ist das nicht - natürlich ist es mein ehemaliger Leutnant, bis vor wenigen Tagen Messoffizier und NS-Führungsoffizier in meiner Batterie. So, so, da ist er nun auch, der Herr NS-Führungsoffizier, der mit der Zähigkeit eines mittelalterlichen Kreuzzugspredigers den Endsieg verkündet hatte. Da steht er nun, genauso armselig und gottverlassen wie ich. Nein, ihm wird wohl noch schlimmer zumute sein. Mir ist ja keine Welt zusammengebrochen. Mir hat sich nur eine grausige Vorahnung bestätigt. Ich hoffe, am Ende des Chaos angelangt zu sein. Er ist am Anfang. Aber nicht darum allein schicke ich einen Blick voller Sympathie, voller Freundschaft zu ihm hinüber.

Wir hatten wieder einmal bei der Abwehr von Luftangriffen in Bemerode eine schwere Nacht gehabt. Ich hatte meinen Platz am Kommandogerät verlassen und gerade noch gesehen, dass sich der Leutnant mit dem Batterie-Chef unterhielt. Mit drei anderen Unteroffizieren schlief ich in einem Bunker, der aus zwei Räumen bestand. Den hinteren Raum bewohnte der Leutnant. Er konnte ihn nur durch unseren Raum erreichen. Da ich, wie die ganze Batterie wusste, den Londoner Sender täglich in französischer und italienischer Sprache abhörte, erkundigten sich die drei Korporäle nach der Kriegslage. Februar 1945 war es inzwischen geworden. Ich unterrichtete meine Zuhörer über die strategischen Züge des Generals Patton und wies [S.45] ihnen in einem etwa halbstündigen Vortrag nach, dass es sich allenfalls noch um einige Wochen bis zum Tag X handeln könne -

[Die "USA" hatten die Invasion nach der Landung in der Normandie verzögert, um das Hitler-Attentat abzuwarten. Als das Attentat misslingt, wartete Eisenhower immer noch ab und liess nur ineffiziente Taktiken zu ohne Kessel und ohne Zangen. Er wollte die Atombombe abwarten, um sie auf Deutschland zu werfen. Erst als die Ostfront gegen Berlin rückte, machte Eisenhower dann auch vorwärts und Deutschland kapitulierte zu früh und erhielt keine Atombombe. Stattdessen erhielt Deutschland dann die Rheinwiesenlager und 4 Jahre Hungersnot].

Ich höre gerade auf, ihre Wehrkraft zu zersetzen, als sich die Tür öffnet. Der Leutnant tritt aus seinem Bunker in unsere Bude. Ich hatte mich getäuscht. Er hatte sich nicht auf der Hauptbefehlsstelle mit dem Chef unterhalten.

-- Kommen Sie mit! Nein, ohne umzuschnallen!

Ich gehe mit. Schweigend öffne ich die Tür. Schweigend tritt er zur Seite, lässt mich vorausgehen. Aber er lenkt seine und meine Schritte nicht zur Wache, nicht zum Chef-Bunker. Oha, denke ich. Also was? Genickschuss? Seit wann ist denn das in der Wehrmacht Sitte? Sind neue Befehle vom Kommandeur des Heimatheeres, von Heinrich Himmler gekommen? Einen steilen Feldweg schlägt der Leutnant mit mir ein. Wir sind nun weit genug von der Stellung weg. Der Herr NS-Führungsoffizier öffnet den Mund zu einer kurzen Ansprache:

-- Was denken Sie sich eigentlich, Sie Vollidiot? In welche Lage haben Sie mich da eben gebracht? Sie wissen doch, was ich jetzt tun muss, was ich jetzt tun müsste. Und Sie wissen auch, dass Sie dann morgen früh vor dem Feldgericht stehen und zwei Stunden später erschossen sind. Das sage ich Ihnen, wenn Sie noch einmal so schafsdämlich sind und hochverräterische Reden führen - verdammt noch einmal! Konnten Sie nicht vorher an meine [S.46] Tür klopfen? Und jetzt machen Sie, dass Sie ins Bett kommen! Können Sie sich wenigstens auf die anderen drei Kerle verlassen? Kann ich mich auf diese Knilche verlassen?

-- Herr Leutnant, die sind alle drei uralte Parteigenossen.

-- Das ist ja noch schlimmer! Entsetzt schreit der Leutnant auf. Ich beruhige ihn. Ich versichere ihm, dass nach meiner Kenntnis selber die ältesten Parteigenossen inzwischen erwacht sind. Am kommenden Morgen ergriff der Leutnant, der wusste, was Pflichterfüllung hiess, das Wort vor der Batterie:

-- Es ist wiederholt vorgekommen, dass Soldaten auch unserer Batterie am Sieg zweifeln und dass sei defätistische Reden vor ihren Kameraden führen. Keiner lasse sich erwischen bei solchem Hochverrat. Ich bin ermächtigt, ihn mit eigener Hand ohne Feldgericht niederzuschiessen.

Streng und finster blickt mich der Leutnant an. Streng und finster erwiderte ich seinen Blick. Nur einmal zuckte mein Gesicht ein wenig. Eine Fliege hatte sich auf meine Oberlippe gesetzt und kitzelte mich mit ihren zarten Beinchen ganz fürchterlich.

So war unser Leutnant. Wenn auch unsere Flak-Offiziere mangels Handfeuerwaffen oft genug Holzattrappen in ihren Pistolentaschen trugen, der Leutnant als NS-Führungsoffizier besass eine Pistole. Er wäre sicher belobt, sogar befördert worden, wenn er mich niedergeknallt hätte. Denn ich war meinem Gau- und Kreisleiter nicht ganz unbekannt [S.47]. Der Leutnant war übrigens Lehrer im Zivilberuf. Wenn man weiss, welches Ansehen sich der Lehrerstand im Dritten Reich erworben hat - kurzum, mich hat unser Leutnant gelehrt, von den Lehrern besser zu denken. Er hatte also doch pädagogische Fähigkeiten. NS-Führungsoffizier war er. Ihm wird es wahrscheinlich sehr schlecht gehen, wenn die Justitiare der Vereinigten Staaten das erst merken. Einer wird sich schon finden, der ihn verrät. Ein paar Jahre Straflager wird dieser anständige Mensch dann abmachen müssen. Wer weiss, ob er sie überlebt. Und ich kann ihm nicht helfen. Wenn man nicht einmal um eine Konservendose voll sauberen Wassers bitten darf, ohne den Hydrantenschlüssel in der Fresse zu haben -

[Kriminelle "Amerikaner": Folter ohne Toiletten - schwere Körperverletzung mit Schmutzwasser und Fieber - Folter mit Prügeln ohne Grund]

Latrinen gab es in Brackwede nicht. Wozu auch? Wir brauchten keine. Wir produzierten weder flüssige noch feste Düngemittel. Unser ganzer leiblicher Apparat war wie das Dritte Reich aus den Fugen geraten. Nichts funktionierte mehr.

Immer wieder sah ich Männer aus dem Trog saufen wie durstige Pferde. Einige hatten schon Fieber. Unteroffizier Bruno, einer aus dem erwähnten Quartett im Leutnantsbunker zu Bemerode, konnte fast nicht mehr gehen. Eine trockene Hitze hatte von ihm Besitz ergriffen und machte ihn ganz apathisch. Um die Mittagszeit fasste ich ihn am Arm, schleppte ihn durch die Gasse der prügelnden Mittelwestler zum Essensempfang, erhielt zum Lohn für meine Samaritertätigkeit die fünf- bis [S.48] zehnfache Ration von Schlägen, entwickelte mich ohne Training zum Parterre-Akrobaten, fing seine und meine Büchse im Flug auf, und fiel schliesslich nach dieser Strapaze mit ihm zusammen ermattet zu Boden.

[Schwache werden beklaut - Bruno stirbt - Diakon - seine Familie wird an einen Tod in Russland glauben - 1000e solche Fälle]

Als ich am nächsten Tag meinen üblichen Umgang gemacht hatte und Bruno wieder auf die Beine helfen wollte, rollte er schon am Boden wie ein Betrunkener hin und her. Er war auch schon ärmer geworden. Kameraden hatten ihm seine Wolldecke entrissen. Kameraden hatten ihm die goldene Uhr gestohlen. Gewiss, er brauchte das alles bald nicht mehr. Aber sogar die Geier und Hyänen warten doch, bis die Toten auch wirklich tot sind. Nur die menschlichen Leichenfledderer greifen dem Sterben vor.

Kein Lazarett ist da, keine Ambulanz, nichts. Kein Arzt, kein Sanitäter, kein Medikament, nichts. Keine Tragbahre, kein Krankenzimmer, kein Zelt, nichts. Und so muss Bruno wie ein überzähliger, alter Hund im Dreck verrecken. Man räumt ihn wie ein Aas weg, verscharrt ihn irgendwo.

Diakon war er gewesen, ein kerzengerader Mann, ein unbeugsames Glied der bekennenden Kirche. Mit seiner Frau warteten sechs Kinder auf ihn. Sie warten vielleicht heute noch. Nichts hindert sie anzunehmen, dass er beim Rückzug von Hannover auf die Elbe, dass er auf dem Heimweg nach Thüringen in die Hände der Russen gefallen und in Russland verschollen ist. Und er ist nur einer von vielen Tausenden gewesen [S.49].

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Quellen


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