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Josef Nowak: Das Rheinwiesenlager Rheinberg

Kapital 2: Prügel am Anfang, Prügel am Ende

Raserei mit Lastwagen -- Fremdarbeiter rauben deutsche Bauern aus - Fremdarbeiter schlagen auf deutsche Köpfe der Gefangenen auf den Lkws -- Mann über Bord wird überfahren -- schwarze "Amis" töten absichtlich schon beim Transport -- Viehhändler Nussbaum

aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät. Kriegsgefangen in der Heimat

präsentiert von Michael Palomino (2013)
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[Rasende, schwarze "Ami"-Kraftfahrer]

Westwärts rast die Kolonne auf der uralten Reichsstrasse 1, die schon manchen Soldatentransport in tausend und mehr Jahren gesehen hat, aber keinen, der es so eilig gehabt hätte. Die Neger an den Lenkrädern treten in kindischer Freude wie die Besessenen auf die Gashebel. Vielleicht sitzen sie im Geist auf den Rücken durch die Steppe brausender Rhinozerosse, obwohl bisher noch kein Forscher eine derartige Parforce-Jagd verzeichnet hat. Widerlich kreischen die Reifen, wenn es in die Kurven geht. Die Reifen brauchen nicht geschont zu werden. Ein Land, das so viel Gummi hat, das konnte den Krieg nicht verlieren. Bremsen zu betätigen, scheint verboten zu sein. Und das leuchtet auch ein. Es befindet sich ja keine Wachmannschaft an Bord. In der schnellen Fahrt allein liegt die Gewähr, dass kein Gefangener abspringt und flüchtet. Absprung ist sicherer Tod. Wer eine Handgranate abzieht und in den Mund steckt, kann sein jähes Ende nicht zuverlässiger haben.

Ein wunderbarer Frühling liegt über dem Land. Dieser April nimmt alle Schönheit, die die Dichter dem Mai nachsagen, vorweg. Wie ein zartes, leuchtendes Gewand bedeckt die junge Saat die dunkle Erde. Drüben am Berghang liegt Osterwald, das [S.26] Dorf mit den zahlreichen steilen Strassen und den noch zahlreicheren Eseln. Norddeutschlands Zuchtstätte für Esel befindet sich hier. Nur hier? Wir rasen weiter. Links auf einem Feld verfault der Kadaver eines Pferdes. Das Tier hat ausgedient, hat Ruhe. Am Waldrand drüben liegt der Kadaver eines Panzers. Er hat auch ausgedient und streckt seine Kanone wie eine Deichsel lächerlich in die Luft. Sonst ist in dieser Landschaft wenig vom Ruhm des Krieges zu lesen. So schnell brach er über dieses Tal der Weser herein, dass er nicht dazu kam, Unheil anzurichten. Die Männer auf den Sturmgeschützen kamen nur selten zum Schuss. Die Granatwerfer hatten vor lauter Schnelligkeit keine Zeit, junge Wälder abzumähen und Dörfer zu zerstören.

[Fremdarbeiter rauben deutsche Bauern aus und wandern heimwärts - und sie schlagen auf deutsche Köpfe]


Eine halbe Stunde sind wir vielleicht unterwegs, als die Strasse belebt wird. Es ist, als seien ganze Völkerstämme wie zur Zeit der Cimbern und Teutonen auf die Wanderschaft gegangen. Franzosen sind es, Belgier, Holländer, Zwangsarbeiter alle, die nun Eile haben, nach Hause zu kommen. Traktoren haben sie aus Scheunen und Schuppen geholt, die letzten Pferde aus den Ställen gezogen und vor Erntewagen und Kutschen ehrwürdigen Alters gespannt. Heimwärts fahren sie, westwärts ohne Pause. Wie die Prozessionsspinner hängen sie sich aneinander. Sie singen, schreien, hüpfen auf und ab, als hätten sie Gummibänder in den Gelenken. An Proviant fehlt es ihnen nicht. Sie haben den Bauern die Wurstkammern ausgeräumt. Sie [S.27] haben Kälber und Schafe zum Schlachten mitgenommen.

Sie haben auch nicht vergessen, dass sie seit ein paar Stunden zu den siegreichen Nationen gehören. Auf jedes Fahrzeug haben sie einen ausreichenden Vorrat von Knütteln, Dreschflegeln und Bohnenstangen gepackt. Damit hauen sie jauchzend und brüllend den verhassten Deutschen auf die Schädel. "Ail Itleer!" kreischen die Franzosen und dreschen die Menschenfracht auf den Lastwagen wie reifes Korn. Die Deutschen biegen und bücken sich nicht. Sie können den Schlägen nicht ausweichen. Sie täten es auch nicht, wenn sie es könnten. Sie haben das dumpfe Gefühl, dass dies alles zum Ende gehört. Darum stehen sie aufrecht wie Bäume.

[Mann über Bord und wird überfahren - wandernde, deutsche Soldaten]

Hin und wieder wird einer vom Wagen gefällt, geht wie eine Marsstenge [?] über Bord. Das ist vom Schicksal bestimmt. Er stürzt zu Boden und gerät sofort unter die Räder der folgenden Wagen, wird zerquetscht, zermalmt. Er war nicht Wachmann in Auschwitz, nicht Leichenverbrenner in Theresienstadt, nicht Menschenschinder in Buchenwald. Er hat nur den Krieg verloren und wird nun in Busse genommen. Keiner hält den Fallenden fest. Er fiele nur selbst mit. Es ist die Frage, ob er ihn hielte, wenn er selbst nicht mitfiele. Diese ganze elende Menschheit ist von einem Starrkrampf befallen, der sie moralisch lähmt.

Ich schaue einen Augenblick zur Seite, auf die Strasse hinab. Ich traue meinen Augen nicht. Da [S.28] wandern deutsche Soldaten friedlich heimwärts. Ohne Gewehr, ohne Seitengewehr, aber mit vollem Rucksack pilgern sie westwärts und ostwärts. Niemand denkt daran, sie gefangenzunehmen. Es ist nicht befohlen. Der Sergeant, der die Ehre hat, unseren Transport zu leiten, sieht die deutschen Landser auch. Er schiebt den Kaugummi vom linken Oberkiefer zum rechten Unterkiefer und spuckt den Marschierern hin und wieder einen kräftigen Strahl auf die Mützen. Er denkt nicht daran, seine Kolonne zu stoppen. Nur wir auf den Wagen, wir sind schon gefangengenommen. Unsere Schicksalslinie verläuft eben anders.

[Wieder Schläge auf deutsche Köpfe - der Holländer]

Ein riesiger Holländer schwingt eine mächtige Latte. Auf meinen Kopf in der Nordostecke des Wagens hat er es abgesehen. Wenn dieser Keulenschlag richtig ankommt, liege ich unten. Eine halbe Sekunde später saust der nächste Wagen über mich weg. Und nichts bleibt übrig als blutiger Brei, den man keiner Gattin, keinem Kind mehr vorzeigen kann. Der Tulpenzüchter oder Käsehändler oder was er nun ist, hat mehr Muskulatur als Verstand. Von Waffentechnik versteht er nichts. Er hat keine Ahnung davon, dass er die Geschwindigkeit seines und meines Wagens einrechnen muss, keine Ahnung davon, dass sich der Seitenwinkel immer langsamer, der Höhenwinkel immer schneller verändert, je näher der Wechselpunkt ist. Kurzum, von Flak-Schiesslehre versteht er nichts. So streift er nur lahm und weich meinen Hinterkopf. Es war [S.29] nicht meine Stunde, vom Wagen zu fallen.

Wie lange ist es bloss her, dass ich das letzte mal Stockschläge bezog? Zweiundzwanzig Jahre sind seitdem vergangen. Bald nach der Machtergreifung, im Frühjahr 1933 war es. SA-Stürmer marschierten mit den lächerlichen Starenkästen [die Volksradios] auf den Köpfen hinter der Hakenkreuz-Fahne durch die Stadt. Da ich an politischem Rheuma in der rechten Schulter litt, betrachtete ich angestrengt das Schaufenster eines Juweliers. Und dann gab es Faustschläge und Stockhiebe. Ich hatte dem Hut nicht Reverenz erwiesen. Es war meine Schuld. Ich brauchte ja meinen Rücken nicht so demonstrativ anzubieten. Ausserdem hätte ich Zeit genug gehabt zu emigrieren [abzuhauen].

Education, nicht wahr? Wo es Stöcke gibt, da wachsen auch schnell die Erzieher nach. Aber wofür bekomme ich heute holländische Prügel? Vielleicht nur aus dem einen Grunde, damit sich das Erlebnis aus dem Dritten Reich in meiner Seele besser abrundet. Prügel am Anfang, Prügel am Schluss. Nur die Nationalität der Schläger hat gewechselt. Sonst ist alles beim Alten geblieben. Wenn wir das geahnt hätten, damals im November 1938, als das Scherengitter hinter mir einschnappte und Himmlers geheime Staatspolizisten in stundenlangem Verhör nach einem ganz kleinen Gründchen suchten, um mich ins KZ zu transferieren, wenn wir das geahnt hätten, dass mich sieben Jahre später holländische Prügelhelden gewissermassen zum [S.30] posthumen Nationalsozialisten zu stempeln versuchten, wir wären wahrscheinlich vor schauerlichem Lachen von den Stühlen gefallen. Gesegnet sei eure Einfalt, Schläger und Geschlagene! Denk ja nicht, du prügelnder Niederländer ich sei dir sonderlich böse gewesen. Ich tat mir nicht leid. Du tatest mir leid, vornehmlich wegen deiner grasgrünen Dummheit. Deinem primitiven Gehirn genügte es, auf einen Schädel zu schlagen, bloss weil es ein deutscher Schädel war. Sollte dir jemals dieses Buch in die Hände fallen, denke nach, ob es dir damals gelungen ist, einen anderen deutschen Soldaten vom Wagen zu schlagen und zu ermorden. Vielleicht bist du, Bruder aus Holland, ein wallonisch-reformierter Christ aus Haarlem oder Utrecht. Und vielleicht war dein Opfer ein reformierter Bekenntnis-Pfarrer aus Deutschland, der mit seinen schwachen Kräften Christi treue Schar, die immer kleiner wurde, zusammenhielt und davor bewahrte, dem Zeichen des Tieres zu dienen. Und wenn du dann ein paar schlaflose Nächte hast, die seien dir von Herzen gegönnt.

[Wieder Mann über Bord - die schwarzen "Ami"-Kraftfahrer rasen rücksichtslos und töten absichtlich deutsche Kriegsgefangene]

Immer weiter geht die rasende Fahrt. Was ich schon lange befürchtet hatte, geschah. Der Wagen vor uns hatte keine sehr hohe Reling. Man hatte sie mit Lattengerüsten höher gezogen. In wildem Tempo braust die Kiste in eine scharfe Rechtskurve. Das Gerüst hält dem Sog nicht stand. Es kracht auseinander. Menschenleiber wirbeln durch die Luft. Sind es zwei, drei, vier? Einer hat sich den [S.31] Schädel an der Mauer eingerannt. Die andern liegen schon unter den Rädern. Sie haben den Krieg verloren. Der Krieg hat sie verloren. Es ist wie im Jahr 1525, als Martin Cronthal in seiner Würzburger Chronik vom grossen Bauernsterben berichtete. Ein Menschenleben habe weniger Wert gehabt als das eines Huhns. Irgendwer wird die Toten schon auflesen und begraben. Irgendwer wird die Krüppel, wenn es sich lohnt, schon wieder zusammenflicken. Unsere Fahrer hatten keine Frachtbriefe bei sich, in denen das von ihnen transportierte Stückgut näher bezeichnet war. Sie kannten nicht einmal die Zahl der Menschen, die sie beförderten, genau. Von ihnen würde daher keine Rechenschaft für Frachtverluste gefordert werden. Ja, wenn sie ihren Hauptmann um ein gebratenes Huhn gebracht hätten -

[Eine Kuh und ein Wagen - die Erinnerung an den jüdischen Viehhändler Nussbaum]

Jetzt überholen wir ein Wägelchen, hochbepackt, vor das als Zugtier nur eine noch rüstige Kuh gespannt ist. Bald wird der Fuhrmann gezwungen sein, eine klare Stellung zum Rindvieh zu beziehen. Fleisch oder Arbeitskraft, das wird die Frage sein. Westwärts bewegt sich auch dieses armselige Gefährt. Mein Mann führt die Kuh am Halfter. Er sieht sehr jüdisch aus. Weiss Gott, wie er es angestellt hat, diese Katastrophe Israels zu überstehen. Ich beglückwünsche ihn. Woran erinnert er mich bloss, dieser jüdische Männerkopf, der ein so uraltes Gesicht hat? Ein paar Kilometer später fällt es mir ein. An den jüdischen Viehhändler [S.32] Nussbaum erinnert er mich, der in meiner Strasse wohnte. Er war ein wohlhabender, anständiger Mann. Sein Geschäft betrieb er mit mehreren Kraftwagen. Aber eines Tages - es war vielleicht im Sommer des Jahres 1933 - sah ich ihn auf einem ziemlich klapprigen Pferdewagen sitzen. An dessen Steven hatte er eine Kuh gebunden, die er einem Bäuerlein abgekauft hatte. Einige Wochen später sah ich ihn wieder. Diesmal zog er am Halfter ein Rind hinter sich her. Er war gekleidet wie ein Bankprokurist. Denn schlechte Kleider hatte er nicht. Ich grüsste ihn freundlich wie immer, blieb stehen, wechselte ein paar Worte mit ihm. Er flehte mich an, weiter zu gehen und nicht ihn, nicht mich selbst in Gefahr zu bringen. "Mensch", sagte ich zu ihm, "sind Sie noch immer da? Gehen Sie doch um Gottes Willen fort nach Paris als Stiefelputzer, nach London als Hausierer. Alles wird besser sein als das, was Sie hier erwartet. Glauben Sie mir, ich habe die ganze Literatur der braunen Götterdämmerung gelesen. Irgendeine Seuche hat die Gehirne angefressen. Es wird kein Gewitter, es wird eine Serie von Gewittern geben. Der Teufel ist los in Deutschland und niemand weiss, wann er wieder eingefangen wird." Ich habe meinen Nachbarn nicht wiedergesehen. Hoffentlich hat er auf meinen Rat gehört und pflanzt jetzt Apfelsinen in Palästina an.


[Dabei muss man wissen, dass die jüdisch-zionistischen Organisationen mit dem Hitler-Regime zusammengearbeitet haben und die antisemitischen Gesetze ausgearbeitet haben, um die europäischen Juden alle nach Palästina zu treiben, mit massenweise Palästina-Büros in Berlin
und in anderen deutschen und europäischen Städten. Diese Taktik der Judenvertreibung nach Palästina ist vielfach bewiesen und wird schon im Büchlein "Der Judenstaat" von Herrn Herzl so angepriesen].

Wir haben die Reichsstrasse 1 verlassen. Wir halten plötzlich in der Nähe von Detmold. Hier [S.33] scheint ein Gefangenenlager von beträchtlichem Umfang zu sein. Da wird dann wohl auch Verpflegung ausgegeben. Es kommt zu einem langen Palaver am Tor. Dann klettern die Neger wieder mürrisch in ihre Kabinen. Wir fahren weg von unserem Abendbrot, immer westwärts, um irgendwo eine Herberge für die erste Nacht der Gefangenschaft zu finden [S.34].

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Quellen


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