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Josef Nowak: Das Rheinwiesenlager Rheinberg
Kapitel 7: Stichwort Wolkenbruch
Käfige zu ca. 30.000 Mann -- Festnahmen: Die kriminellen "Amis" sperren alles ein, was eine Dienstmütze trägt -- eingesperrte Frauen und Amputierte -- Tiefflieger - Leben im Regen und im Schlamm -- Geheimbefehl "Wolkenbruch" mit geplantem Massenmord an Häftlingen in Misburg durch Granatenexplosionen
aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät. Kriegsgefangen in der Heimat
präsentiert von Michael Palomino (2013)
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[Kriminelle "Amerikaner": Dauerfolter an Deutschen in Käfigen zu ca. 30.000 Mann]
Und nun hatten wir Zeit, viele Tage und Nächte lang Zeit.
Vier Monate blieb es dabei, dass der Erdboden unser Bett und dass der Nachthimmel unsere Decke war.
Der grosse Käfig war in zahlreiche kleinere Käfige gegliedert. Jeder von ihnen mochte rund 30.000 Mann beherbergen.
[Kriminelle "Amerikaner": Sie sperren alles ein, was eine Dienstmütze trägt - Festnahmen ohne Kleider]
Die Amerikaner hatten alles aufgesammelt, was ihnen begegnete, Soldaten in Uniform und Soldaten, die sich schon als Bauern, Arbeiter, Wanderer, Strolche kostümiert hatten, Briefträger, Eisenbahner, Hilfspolizisten, Förster, 15-jährige Flackhelfer und 65-jährige Volkssturmmänner. Wenn Hitler sich an der Jugend und am Alter versündigt hatte, die Amerikaner trugen keine Bedenken, seinem Beispiel zu folgen. Der Besitz einer Dienstmütze, sei es die eines Portiers, eines Strassenbahners oder Gepäckträgers, genügte, um nach Rheinberg transportiert zu werden. Ein ehemaliger Panzerpionier hatte nichts am Leib als ein Hemd und eine Unterhose. Als man ihn festnahm, gestattete man ihm nicht, sich anzuziehen. So ergriff er schnell noch eine blauseidene Steppdecke, in die er dann zwei Löcher für die Arme riss. Ein Schauspieler von den Städtischen Bühnen Hannovers war nur mit einem [S.70] schwarzen Trainingsanzug bekleidet. Ein Sänger derselben Bühne lief in dem ihm sichtlich ungewohnten Kostüm eines Volkssturmmanns herum. Er machte nicht den Eindruck, als ob er noch lange leben würde.
[Kriminelle "Amerikaner" sperren auch deutsche Frauen und Amputierte und Schwerstbehinderte ein]
An der einen Schmalseite unseres rechteckigen Camps E war der Draht besonders hoch und breit verlegt. Ich rieb mir zweimal, dreimal die Augen. Tatsächlich, da liefen Tausende von Mädchen aus dem Arbeitsdienst herum, Nachrichtenhelferinnen, Flakhelferinnen und sogar Schwestern des Roten Kreuzes. Sicher waren manche dieser Frauen freiwillig der Wehrmacht gefolgt. Aber unzählige waren doch einfach verpflichtet, zum Dienst in der Armee gepresst worden. Die Frauen schienen nicht besonders niedergeschlagen. Sie waren es schon gewohnt, ihrer Freiheit beraubt zu werden. Von wem, das war schliesslich gleichgültig.
Aber die andere Schmalseite des Rechtecks? Die habe ich nur ein einziges Mal aufgesucht, so lange ich in diesem Camp war. Ein zweites Mal wollte ich dieses grausige Bild nicht mehr sehen. Es war auch nicht nötig. Ich habe es gut im Gedächtnis behalten, und von Zeit zu Zeit werden seine Farben und Konturen in einem quälenden Traum wieder aufgefrischt.
Da waren Männer, die einen Arm oder beide Arme eingebüsst hatten. Da waren Männer, die ein Bein oder auch beide Beine verloren hatten. Da waren Männer mit bandagierten Köpfen, Händen [S.71] und Füssen. Ob auch Blinde dabei waren, kann ich nicht sagen. Ich muss es leider für möglich halten. Alle diese Verwundeten und Verstümmelten waren in Lazaretten erbeutet und nach Rheinberg verschleppt worden. Hier kampierten sie nun als Genesungshaufen, zunächst wie wir ohne Dach über dem Kopf. Es war ein schauerliches Gemälde, von Pieter Breughel und Hieronymus Bosch zusammen skizziert. Beide Maler müssen dabei betrunken gewesen sein. Ein nüchterner Mensch kann solch ein Bild nicht gemalt haben. Ich weiss nicht, wer diese Schande zu verantworten hatte. Ich weiss nicht, ob es einer allein war oder ob er sich wie die meisten Schurken bei dieser Tat in guter Gesellschaft befand. Ich weiss erst recht nicht, ob Staatsmänner, ob Heerführer oder ob sadistische Etappenschweine an dieser Generalversammlung der Kriegskrüppel schuldig waren. Ich weiss nur, dass mit der göttlichen und irdischen Weltordnung etwas nicht stimmt, so lange die Verantwortlichen für diese Schmach nicht zur Rechenschaft gezogen sind.
[Tiefflieger mit Kameras - alle haben lange Bärte - keine Spiegel - Regen und Schlamm - ein Wolkenbruch]
In den ersten Tagen hatten wir häufigen Besuch von Tieffliegern. Sie hatten Kameramänner an Bord. Die drehten eifrig ihre Wochenschau zusammen. Die Welt wollte sehen, welch ein verlotterter Sauhaufen wir waren. Die Flieger störten uns nicht. Mochten sich die Filmbesucher in Neu-Mexiko oder Minnesota an dem ergötzen, was sie für Realismus und Wahrheit hielten. Uns machte das nichts [S.72] aus. Das Flugbenzin wäre zu sparen gewesen. In Jack Londons Buch "Abenteuer des Schienenstrangs" ist nachzulesen, wie es in amerikanischen Gefängnissen zugeht. Man brauchte bloss die Insassen herauszuholen, mit Dreck zu schminken und mit struppigen Bärten zu versehen, um denselben Effekt wie in Rheinberg zu erzielen. Oder denken die Bewohner Amerikas, dass sie immer noch wie Diplomaten beim Neujahrsempfang aussehen, wenn sie sich wochenlang nicht rasieren und waschen und die ganze Zeit auf der blanken Erde liegen? Wenn man uns die Filme gezeigt hätte, ich glaube, wir hätten uns selbst nicht erkannt. Wir hatten ja keine Spiegel, um unseren Gang in die Verwilderung zu kontrollieren.
Abends regnete es in Rheinberg, eine halbe, eine ganze Stunde lang, manchmal etwas weniger, aber es regnete regelmässig. Insofern eignete sich der Niederschlag besonders gut für ein Lager unter freiem Himmel. Wir wurden täglich nass bis auf die Haut und wanderten dann am Zaun auf und ab, bis wir trocken waren. Gleich in den ersten Tagen bescherte uns ein gütiges Geschick einen Wolkenbruch. Da standen wir wie die Säulen und liessen das Wasser vom Kapitel abwärts rinnen. In dieser Nacht kam keiner zum Schlafen. Keiner legte sich zu Bett in den Schlamm.
Wolkenbruch - - -
[Geheimbefehl "Wolkenbruch" in Bemerode im März 1945 - gegen Häftlinge in Misburg durch Granatenexplosionen 2m über dem Boden - der Sabotageplan gegen den Befehl - der Befehl kam nie]
Während mir die Flut aus dem Haar in den Mund lief, dachte ich nichts als Wolkenbruch - - - [S.73]
Im März 1945 war es gewesen.
Abends pflegte ich einen Oberfähnrich meiner Batterie zu besuchen. Er war von Beruf Amtsrichter. Bei uns sollte er zeigen, ob er zum Leutnant reif war. Einmal kam ich zu ihm und sah ihn trostlos am Tisch hocken, als hätte er eben die Nachricht erhalten, dass seine ganze Familie bei einem Bombenangriff ausgerottet worden sei. Ich schwieg auch eine Weile. Dann wünschte ich ihm eine gute Nacht. Dieser Wunsch kam von Herzen, war jedoch ziemlich blöde, weil wir damals überhaupt nicht mehr zum Schlafen kamen. Spätestens in zwei Stunden und dann bis Sonnenaufgang würden wir wieder an den Kanonen stehen.
Ich kam nicht weg. Mit einer müden, aber erschütternden Geste bat er mich zu bleiben. Wir schwiegen noch eine Weile. Dann sagte ich:
-- Wenn du mit mir noch etwas besprechen willst, und wenn das heute noch sein soll, viel Zeit bleibt uns nicht mehr.
Er hatte Angst, zitterte, als ob er einen Schüttelfrost hätte, wollte lange nicht mit der Sprache herausrücken, versicherte mir, dass er nur mir allein in der Batterie vertraue, aber - - -
Ich verstand. Es ist nicht so leicht, in Erwartung der Todesstrafe zu reden. Ich erfuhr dann die Wahrheit. Ein Geheimbefehl war gekommen, den nur der Batteriechef und er als technisch Schiessender kannte, ein Blutbefehl, ein Mordbefehl. Stichwort Wolkenbruch! Wenn der Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar [S.74] dieses Stichwort herausgebe, dann habe die Grossbatterie für alle sechzehn Kanonen eine bestimmte Entfernung, einen bestimmten Seitenwinkel, eine bestimmte Rohrerhöhung einzustellen und mit hochgezogenem Sprengpunkt 2000 Schuss abzufeuern. Hochgezogener Sprengpunkt - das bedeutete, dass die Granaten etwa zwei Meter über dem Boden platzten.
Er hatte auf der Karte Besteck genommen.
Wir sollten die Gestreiften in Misburg ermorden! Sie wenigstens sollten den Tag der Katastrophe nicht überleben!
Der Oberfähnrich schien zusammengebrochen. Er weinte haltlos wie eine Frau. Ich tröstete ihn.
-- Mensch, das ist doch nicht schlimm. Ich habe ja doch den Schlüssel des Kommandogeräts in der Hand. Ein Wink, und ich verdrehe die Seite schnell um ein paar Strich. Dann geht die ganze Ladung ins Moor. Und wenn es der liebe Gott mit den armen Kerlen gut meint, dann sorgt er dafür, dass ich im Augenblick der Gefahr am Gerät stehe, sonst allerdings - - -
Das Stichwort "Wolkenbruch" ist nie ausgegeben worden. Wir brauchten keinen Landesverrat, oder was das nun war, zu begehen. Der Gauleiter hatte samt seinem Stabsgesindel solche Eile, aus Hannover fortzukommen, dass er die Gestreiften in Misburg vergass. Nur die Schnapskisten und die Zigarettenkartons hatten sie nicht vergessen, als sie sich in wilder Hast nach dem Harz absetzten [S.75].
[Dauerregen in der Nacht]
Wolkenbruch - die Wolken brachen noch immer auseinander. Die Säulenfüsse standen schon bis zu den Knöcheln und höher im Schlamm. Wenn einer weinte von den Stummen in Rheinberg, niemand hat es gesehen. Er hätte es auch nicht gespürt. Die paar Tropfen hätten es nicht vermocht, den herabstürzenden Ozean zu salzen [S.76].
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