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Josef Nowak: Das Rheinwiesenlager Rheinberg

Kapitel 8: Höhlenbewohner

Höhlen im Sandboden brechen oft zusammen - die Kriegsgefangenen sind dann oft begraben -- Holzfällen mit Weissblech von Konservendosen -- Schmerzen und Albträume -- kriminelle Alliierte brillieren mit Folter und Erschiessung so wie es die NS-Justiz auch gemacht hat -- Folter mit Postverbot und Besuchsverbot, schlimmer als bei einem NS-Zuchthaus -- Rangordnungen

aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät. Kriegsgefangen in der Heimat

präsentiert von Michael Palomino (2013)
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[Mit Konservendosen im Sandboden Höhlen bauen - viele Höhlen werden zum Grab]

Die Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben es gelernt, sich in die Erde einzugraben. Diese Fähigkeit kam uns in Rheinberg zustatten. Wir hatten weder Hacke noch Spaten, noch Schaufel. Kein Werkzeug war da ausser Konservendosen, ausser einem Holzscheit, bevor es verbrannt wurde. Wir wühlten wie die Maulwürfe. Wenn solche da waren, so zwangen wir sie unbedingt zur Bewunderung, da wir ja doch von Natur aus viel schlechtere Graber waren. Wir brachten nicht nur Löcher, wir brachten Höhlen und Gänge zustande.

Viele gruben sich ihr Grab. Der Boden war ziemlich sandig und hatte wenig Halt am Stoss und im Hangenden. Als ehemaliger Gedingeschlepper und Kohlenhauer sah ich dieses leichtfertige Höhlengewirr mit Besorgnis. Immer wieder brachen die Erdbauten zusammen. Mancher hatte schon den Sargdeckel über sich und wusste es nicht. Kam der Einsturz des nachts, dann waren die Höhlenbewohner ohne Vaterunser beerdigt. Und das war im Anfang keineswegs selten. Sollte man die Toten wieder ausbuddeln und den Amerikanern zur Augenweide ans Tor legen? Meist geschah das. Dann wurden sie abgefahren und eingescharrt. Wo, das blieb uns unbekannt.

[Leichen aus Rheinwiesenlagern wurden auf der Fahrt zum Hafen Antwerpen in Belgien in die Wälder in Massengräber geschüttet, oder wurden in ganz Deutschland zu den Konzentrationslagern gefahren und als jüdische Leichen ausgegeben, um einen Millionenmord an Juden zu erfinden. Das war die Taktik des zionistischen Massenmörders Eisenhower im Auftrag der Zionisten Baruch und Morgenthau - denn der Krieg gegen Deutschland sollte auch nach dem Krieg weitergehen und der Ruf Deutschlands total zerstört werden - bis heute (2013) ein Tabu].


[Keine Verwaltung, keine Häftlingsnummern]

Rheinberg hatte keine Registratur. Uns hat man [S.77] die ganzen sechzehn Wochen über um das vornehmste Recht des Gefangenen betrogen, eine Nummer zu haben. Man nahm von uns buchstäblich keine Notiz. Selbst in Hitlers Konzentrationslagern wurde der Mensch noch höher bewertet. Er war noch ein Individuum, wenn auch vielleicht eines, das ausgelöscht werden musste. [Das stimmt nicht, denn deutsche KZs waren unter der Kontrolle des Roten Kreuzes UND der Zionisten, und die Hitchcock-Filme sind gefälscht. Es sind nicht viele jüdische Häftlinge umgekommen, allenfalls in Nebenlagern].
Wir hier waren nur eine breiige Masse, aus der sich der Tod seine Stücke herausschnitt. Ab und zu drängte ein neuer, grauer Haufen durch die Tore herein. Es ging zu wie in einem Schrottlager, das nach Bedarf vermehrt und vermindert wird, das seine Quoten zum Hochofen schickt, damit sie geschmolzen, gereinigt, umgeformt werden.

[Baumfällen und Telegrafenmasten fällen - Feuerstellen für Kartoffeln - deutscher Erfindergeist]

Dennoch vollbrachten diese Namenlosen noch erstaunliche Taten. Mitten im Lager Rheinberg hatten sich ein paar Bauernhöfe mit Scheunen und Nebengebäuden befunden, dazu ein paar Bäume, ein paar Telegrafenmasten. Zwei Nächte hatten genügt, sie völlig vom Erdboden wegzuwischen. Jedes Stück Holz, jedes brauchbare Stück Metall war herausgebrochen worden. Womit? Mit den Fingernägeln? Mit Fusstritten? Mit dem Blech der Konservenbüchsen? Es wird mir ewig rätselhaft bleiben. Und wie hatten sie die Bäume, die Telegrafenmasten umgelegt? Wie hatten sie die Stämme zu Brennholz verarbeitet? Es gab keine Säge, kein Beil, nichts. Nur etwas Weissblech - - -

Nachts war es bitter kalt. Manchmal warf ein barmherziger Bauer einen kleinen Sack voll Kartoffeln [S.78] über den Zaun. Wir warfen den Sack mit ein paar Ziegelsteinen als Ballast zurück. Die Kartoffeln frassen wir roh auf, wenn es sein musste, aber gekocht schmeckten sie besser. Darum war Kleinholz ein begehrter Artikel. Er wurde angeschafft mit einer Zuverlässigkeit, als könne man Bäume übers Knie brechen. Damals soll ein amerikanischer Offizier zu einem unserer Dolmetscher gesagt haben, die Deutschen seien ein entsetzliches Volk. Man brauche nur ein paar Kerle mit einem Stück Blech in den Wald zu schicken, nach einiger Zeit kämen sie mit einer Maschinenpistole zurück.


[Kaum Schlaf vor Schmerzen - Gespräche und üble Albträume mit Kriegsszenen, die nie vergehen]

Wir hatten nachts einen leichten Schlaf. Länger als eine Stunde hielt man die Rückenschmerzen nicht aus. Man hatte das Gefühl, als sei das Rückgrat durchgebrochen, als hätte man mit Eisenstäben Stösse in Schultern und Hüften bekommen. Muskeln, Sehnen, Nerven arbeiteten langsam und schmerzhaft. Jede Umdrehung des Körpers auf der harten Erde war eine Qual. Da alle in einem Loch Vereinten gleichzeitig stöhnten, drehen sie sich auf Kommando um. Wenn wir nicht so rasch wieder einschliefen, kam wohl auch ein Gespräch in Gang. Da musste mir doch einer aus meiner Batterie Stoff zu einem üblen Traum liefern, der mir noch oft zu schaffen machte und heute noch in meinem Unterbewusstsein herumgeistert.

Unsere Grossbatterie hatte, wie es damals üblich war, aus zwei Einheiten bestanden, einer Batterie der Luftwaffe und einer Batterie des Reichsarbeitsdienstes [S.79]. Am letzten Sonntag unseres Aufenthaltes in Bemerode, wenige Tage, bevor wir unsere Geschütz ein die Luft sprengten, hatten RAD-Männer zwei englische Kriegsgefangene eingebracht. Die waren schon seit längerer Zeit in der Landwirtschaft tätigt und hatten nur einen kleinen Sonntagsbummel gemacht. Nun waren sie also neuerdings "gefangengenommen" worden. Der Chef der RAD-Batterie, ein Oberstfeldmeister, hatte beschlossen, sie "umzulegen". Umsonst widersprach unser Oberleutnant. Der Oberstfeldmeister stand der Partei näher und wusste besser, was zu geschehen hatte. Nach Landsknechtart gab er den beiden Engländern die übliche, letzte Zigarette, bevor er sie ins Genick schoss.

Ich hatte nichts davon erfahren. Jetzt musste mich ein Unteroffizier meiner Batterie ins Bild setzen. Viele Stunden brachte ich damit zu, mein Gewissen zu prüfen. War es nicht Pflicht, solch einen feigen Schurken und kaltblütigen Mörder an den Strang zu liefern? Nicht jetzt natürlich, sondern später, wenn ich Rheinberg verlassen hätte. War es nicht notwendig, einen scharfen Trennungsstrich zu Verbrechern zu ziehen? Ich hatte mir überflüssige Sorgen gemacht. Der Oberstfeldmeister war ohne mein Zutun den Briten in die Hände gefallen. Sie hatten ihn aufgeknüpft. Dennoch bin ich immer wieder im Traum der Gefangene, der ohne Ausweg ist und die Mündung der Pistole schon im Genick spürt [S.80].

[Kriminelle Alliierte: Folter, Erschiessung, Verweigerung der Seelsorge... - Beispiel mit einem Pfarrer aus Wolfenbüttel]

Ist es ein Trost zu wissen, dass es auch in anderen Nationen Kreaturen gibt, die es an Schwärze mit jedem Gestapochef aufnehmen können? In jenen Tagen - so erzählte mir der Pfarrer von Wolfenbüttel - kam die Hinrichtungsmaschine im dortigen Zuchthaus keineswegs zur Ruhe. Sie lief unter britischer Herrschaft zwar langsamer, bedächtiger, aber sie lief. Nur gehörten die Hingerichteten jetzt der Klasse an, die im Dritten Reich die herrschende gewesen war. Ein deutscher Polizeileutnant hatte, möglicherweise gestützt auf einen Befehl Himmlers, zwei britische Flieger erschossen, ermordet, muss man wohl richtiger sagen. Dafür war er zum Tode verurteilt worden. Er bat den Pfarrer von Wolfenbüttel, dem britischen Offizier zu sagen, er, der Verurteilte, betrachte seine Strafe als eine gerechte Sühne für das, was er verbrochen habe. Dieses Bussangebot wurde nicht angenommen. Die Salve des Todeskommandos ging dem Gerichteten nicht in das Herz, sondern in den Bauch. Als er sich zu Tode zappelte, wollte der Pfarrer sich neben ihn knien, ihm die letzten Minuten erträglicher machen, ihm dem Gebot seiner Kirche gemäss die letzte Ölung spenden. Der britische Offizier rief ihn mit scharfem Kommando zurück. Er verwehrte ihm die Seelsorge an einem Sterbenden. Der Vertreter des Empire bestimmte, ob einem Menschen die Sterbesakramente gespendet werden durften oder nicht.

Die Hybris der Machthaber weist selten Unterschiede auf. Im Dritten Reich war der Pfarrer [S.81] von Harzburg-Bündheim - um nur einen zu nennen - nur deshalb nach Dachau verschleppt worden und dort gestorben, weil er einer Polin die Sakramente seiner Kirche gespendet hatte.

Ich war selbst einmal dazu ausersehen gewesen, Mitglied eines Erschiessungskommandos zu werden. Ein Deserteur sollte gerichtet werden. Ich kämpfte wie ein Wilder gegen die Ehre, auf einen armen Sünder zu schiessen. Als alle Bitten nichts fruchteten, erklärte ich meinem Chef, ich würde mich freiwillig an die Front melden. Darauf konnte er es nicht ankommen lassen. Ich war B4 am Kommandogerät, hatte den Kurs der Bombenflugzeuge einzudrehen, eine Arbeit, die mit ganz leichter Hand und mit einer fast intuitiven Voraussicht gemacht sein wollte. Nicht einmal General von Unruh, der Heldenklau, kam an diese Spezialisten heran. Er musste sie in Ruhe lassen. Ausserdem hätte der Chef seinen italienischen Dolmetscher verloren. Vielleicht dachte er daran, welche unüberwindlichen Schwierigkeiten es geben musste, wenn er den Italienern den Mann fortnahm, den sie als ihren Vater und ihre Mutter bezeichneten, diese armen Kerle, die Mussolini unter falschen Vorwänden an Hitler verschachert hatte.


[Beispiel von Nazi-Justiz mit falschen Denunziationen und Urteilen ohne Anhörung des Beschuldigten - Nowak wird zum "dottore"]

Erst kürzlich hatte es einen bösen Zwischenfall gegeben. Der österreichische Putzer des Chefs hatte einen Sizilianer, einen heissblütigen, aber unerschrockenen und tapferen Mann denunziert, wobei es ihm auf eine Lüge mehr nicht ankam. Da ich gerade abwesend [S.82] war, wurde Zerillo ohne Verhör zu acht Tagen verschärften Arrest verurteilt. Als ich zurückkam, hatte ich ihm diesen Beschluss seines Gerichtsherrn zu eröffnen. Ein Tobsuchtsanfall war die folge.

-- Porca miseria [Schweinerei], schrie der erboste Sizilianer. Dio cane! [Gott ist ein Hund].

Er warf seine Mütze zu Boden, sein Koppel dazu, raste schräg wie ein Motorradfahrer in der Kurve um uns herum, trampelte auf seiner Mütze herum, stiess mit schäumendem Mund die wildesten Flüche aus.

Sprachlos stand der Chef da. Schliesslich bat er mich, den Mann zu fragen, was das bedeuten solle. Nun stellte es sich schnell heraus, dass der Deutsche [der den Sizilianer denunziert hatte] gelogen hatte. Was tun? Das Urteil konnte nur der Abteilungskommandeur kassieren. Wenn der dann merkte, dass der Chef den Italiener verurteilt hatte, ohne ihn zu hören -

Ich nahm Zerillo in den Arm, erklärte ihm, dass man den Chef irregeführt hatte. Er sei ja doch ein Barbar und nicht einmal rechtgläubig. Ob er zufrieden sei, wenn er verurteilt bleibe, aber nicht ins Gefängnis käme, um die unverdiente Strafe abzusitzen? Damit war Zerillo einverstanden. Alles war wieder in Ordnung.

-- Bravo, dottore, schrien die Italiener allesamt.

-- Wie lassen Sie sich anreden? fragt der Chef mich empört.

-- Sie sagen immer "Herr Doktor" zu mir.

-- Dann machen Sie ihnen klar, dass das verboten [S.83] ist. Wir sind hier in einer Batterie, nicht in einer Universität.

-- Von heute an habt ihr mich "Herr Gefreiter" zu nennen. Verstanden?

-- Si, dottore, brüllten die Italiener. Der Chef gab den Kampf auf und verschwand in seiner Baracke. Wir haben ihn erst beim nächsten Fliegerangriff wieder zu Gesicht bekommen. Nein, er konnte auf meine Dienste nicht verzichten. Darum brauchte ich auch auf keinen Menschen zu schiessen. Nur der Spiess war unzufrieden. Er hatte noch preussische Tradition in den Knochen. In seinen Augen war ich nicht weniger als ein Hochverräter. man sah es ihm an, sollten wir eines Tages den Krieg verlieren, dann würde er mir ein reichliches Teil von Schuld zumessen.

[Kriminelle "Amerikaner": Dauerfolter ohne Post, Verbot von Besuchen]

In Rheinberg waren wir von aller Welt abgeschnitten. Post bekamen wir nicht. Wir konnten auch keine versenden. Das war offenbar eine der Errungenschaften des totalen Kriegs. Erst gegen Ende der Gefangenschaft war es denen, die irgendwie erfahren hatten, wo wir lebten, möglich, Nachricht zu geben. Aber Antwort erhielten sie nie von uns. Sie mussten voller Zuversicht ins Leere schreiben, mussten es im Herzen spüren, dass wir noch nicht begraben waren.

Kein Fremder durfte das Lager betreten. Wenn ich daran denke, was ich im Dritten Reich fertigbrachte -

[Erinnerung an illegale Besuche im NS-Zuchthaus in der Stadt Brandenburg - der "fette Pfarrer" mit Lebensmitteln in den Taschen - Freilassung von Pfarrer Schubert mit Bestechungsgeld und Amtsverbot]

Da war der Generalvikar Dr. Seelmeyer, völlig [S.84] unschuldig verurteilt, im Zuchthaus zu Brandenburg-Görden. Eine Festung war das. Über einen betonierten Graben, in dem nachts Bluthunde herumliefen und der von Maschinengewehrtürmen flankiert war, führte eine Brücke zum Haupttor. Hinter diesem war die Hauptwache. Auf allen Korridoren, in allen Höfen trieben sich Bewaffnete herum. Dennoch konnte ich eindringen. Mit Pfarrer Schubert von Brandenburg betrat ich diese Stätte des Rechts und der Ungerechtigkeit. Der Pfarrer war ein untersetzter und, wie mir schien, wohlgepolsterter Herr. Wir gingen zuerst zur Kapelle, wo wir vom Küster, einem Lebenslänglichen, empfangen wurden. Der schloss den Tabernakel [Aufbewahrungsort der Hostien] auf und füllte ihn aus der dicken Aktentasche des Pfarrers mit Kautabak, Schnupftabak, Zigaretten, kleinen Medikamenten, [so] dass er fast überquoll. Christus der Gütige, der Freund der Sünder, wird es seinem geringen Knecht gewiss vergeben haben, dass er das heilige Zelt zu einem Depot für Liebesgaben machte.

Beim Rundgang kamen wir in die Küche. Dort standen mindestens zwölf Köche mit weissen Ballonmützen herum. Der Pfarrer verschwand in einem wilden Gewoge von weissen Schürzen und kam dann sichtlich abgemagert wieder hervor. Da er den Gefangenen nichts geben durfte, erlaubte er ihnen, ihm die Taschen auszuräumen. Natürlich waren auch die Beamten im Zuchthaus nicht blind. Auch die kannten den fetten Pfarrer, der eintrat [S.85], und den mageren, der von dannen ging. Aber sie schwiegen. Sie waren in der Mehrzahl nur sehr widerwillige Knechte des Diktators. Und nachdem die Welt so viel Schlechtes über sie erfahren hat, ist es an der Zeit, ihre Menschlichkeit zu rühmen.

Der Pfarrer schob mich am Ende des Rundgangs in ein Zimmer. Es war der Raum des Lehrers, der mit im Komplott war. Ich sass da nun mutterseelenallein. Es wäre eine Lüge, wenn ich behaupten wollte, mir sei in meiner Haut wohl gewesen. Plötzlich öffnet sich die Tür. Ein kleiner Mann im gestreiften Gewand wird hereingeschoben. Er sieht mich, schluckt, weint. Was soll man da tun? Ich reisse meine Aktentasche auf.

-- Jetzt wollen wir zuerst Kaffee trinken, Herr Generalvikar.

Ich hatte Brötchen geladen, Wurst, Schinken, Butter, eine Kiste Zigarren, eine Thermosflasche mit Kaffee. Wir frühstückten ausgiebig. Dann besprachen wir bei einer Zigarre den Plan, der den Weg in die Freiheit ebnen musste. Ehre sei den unbekannten Holländern, die das Geld gaben. Waren es 6000 oder 8000 Gulden? Ich weiss es nicht mehr. Sie wurden an die Kasse Himmlers entrichtet. Dann war Dr. Seelmeyer frei, vorausgesetzt, dass er auf jedes Wiederaufnahmeverfahren verzichtete und sein Amt niederlegte. 6000 Gulden - das war nicht gerade viel. Für die aus den Museen entfernten Werke der "entarteten Kunst" kassierte Goebbels in der Schweiz weit höhere Beträge. Aber [S.86] hier handelte es sich ja auch nur um einen Menschen ohne jede Schuld. Es blieb ihm erspart, drei Jahre Zuchthaus abzusitzen.

[Der nächste Fall verlief nicht so glücklich]:

[Pfarrer Schubert spielt den "Postboten" und wird ins KZ Sachsenhausen gebracht - Selbstmord 1937]

Pfarrer Schubert von Brandenburg musste, dem Wort der Bibel gemäss, bald beweisen, dass niemand grössere Liebe hat als der, der sein Leben hingibt, für seine Freunde. Im Zuchthaus befanden sich auch belgische und französische Ordenspriester. Der Pfarrer beförderte heimlich ihre Post nach Hause. Wer weiss, von wem er denunziert wurde. Es können ja kaum fünf, sechs Menschen zusammenkommen, ohne dass nicht ein Judas unter ihnen wäre. Pfarrer Schubert kam ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Am Tag Christi Himmelfahrt - ich glaube, es war im Jahre 1937 - hängte er sich auf. So berichtete wenigstens die Geheime Staatspolizei [Gestapo]. Sie vergass nicht hinzuzufügen, dass der gewissenhafte Priester zuvor noch sein Brevier zu Ende gebetet habe. Man brachte die Leiche zum Begräbnis nach Brandenburg. Der Sarg durfte vor den Verwandten einen Augenblick lang geöffnet werden. Aber herantreten durften sie nicht - - -

Den Generalvikar im Zuchthaus hatte ich besucht, hatte ihm sogar ein Frühstück gebracht. Für Pfarrer Schubert konnte ich nichts tun. Ihn zu besuchen, war unmöglich. Er befand sich in einem Strafvollzug, wie wir ihn jetzt in Rheinberg kennenlernten.

[Das NS-Zuchthaus war menschlicher als die kriminellen "Amerikaner" mit ihren seelenlosen Maschinengewehren]

In Brandenburg-Görden waren die Zellen mit Linoleum und fliessendem Wasser ausgestattet. Wer will es leugnen, dass man in den Zuchthäusern [S.87] des Dritten Reiches besser aufgehoben war als in den Konzentrationslagern der Vereinigten Staaten? Hier gab es keine Beamte, die sich im Geheimen noch einen letzten, namhaften Rest von Menschlichkeit bewahrt hatten. Hier gab es nur noch Funktionäre eines gut geölten Apparats, der mit der Stumpfsinnigkeit eines Hammerwerks arbeitete.


[Die Rangordnung der Häftlinge im NS-Zuchthaus in der Stadt Brandenburg - und beim NS-Staat]

In Brandenburg-Görden hatte es sogar noch eine Rangordnung gegeben. Die Sträflinge selbst hatten sie geschaffen. Soziale Oberschicht waren die politischen Verbrecher, Mittelschicht die gewöhnlichen Verbrecher, Auswurf die Sittlichkeitsverbrecher. Selbst Gewaltverbrecher fühlten sich in ihrer sozialen Ehre gekränkt, wenn man sie mit einem Sittlichkeitsverbrecher zusammen in einer Zelle einkerkerte. "Ich bin ein anständiger Mensch", so pflegte dort der Dieb, der Betrüger, der Mörder sogar zu argumentieren. Er protestierte so lange, bis er von der Gegenwart des Sittlichkeitsverbrechers befreit wurde. In Brandenburg gab es sogar eine anerkannte Aristokratie. Zu ihr gehörte der Generalvikar Dr. Seelmeyer. Wenn er zum Spaziergang kam, dann rissen die Sträflinge ihre Mützen ab und riefen im Chor:

-- Guten Morgen, Herr Generalvikar!

Das war ihre tägliche Demonstration. Sie hatten mehr Gefühl für Sauberkeit und Gerechtigkeit als die Justiz, die den schuldlosen Mann dorthin gebracht hatte [S.88].

Der Staat hatte übrigens eine andere Rangordnung. Oberschicht waren bei ihm die Gewaltverbrecher, Mittelschicht die Sittlichkeitsverbrecher, Auswurf waren die politischen Gegner. Damit haben sich die Herrenmenschen selbst demaskiert. Nicht zuletzt an dieser Rangordnung sind sie dann auch zugrundegegangen.

[Die Rangordnung der Häftlinge in Rheinberg: alle gleich - ein ehemaliger Kreisleiter]

In Rheinberg gab es keinen Rang und keinen Unterschied. Da gab es nur Mitglieder einer Nation von Verbrechern. Wer ihr angehörte, war allein dadurch gekennzeichnet. Von da bis zum Judenstern war kein Schritt mehr. Die Sieger hatten den Schritt schon getan. Es gab genug Männer unter uns, die mit den Amtsträgern des Dritten Reiches Partien gleichzuziehen und Rechnungen glattzumachen hatten. Jetzt sassen sie mit ihren Ortsgruppenleitern, Kreisleitern, Amtsleitern und Amtswaltern aller Sorten in derselben Höhlenlandschaft, nagten am selben Hungertuch, standen im selben Regen, wandten sich in denselben Schmerzen. Doch, das war klug bedacht. Die letzte Rettung der Schwachen ist immer noch die Dummheit der Starken gewesen.

Mich hatte zum Beispiel das Schicksal mit einem meiner ehemaligen Kreisleiter in ein gemeinsames Dreckloch gebettet. Vielleicht hätte ich unter anderen Umständen der Versuchung widerstehen müssen, an einem Sondergericht über ihn teilzunehmen. Rheinberg machte uns zu Freunden fürs Leben. Als ich nach Hause fuhr, während er noch aus politischen Gründen zurückbehalten [S.89] wurde, überlegte ich schon, was ich für ihn tun könnte, um seine Strafhaft abzukürzen. Vielleicht waren die Lager in Rheinberg, in Remagen, in Wickrath die grossen Retorten, in denen sich ein Volk, auf dem Boden des Abgrunds angekommen, aus Schuld und Schrecken und Not neu bildete und sich noch einmal vom Rande des Untergangs löste [S.90].

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