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Josef Nowak: Das Rheinwiesenlager Rheinberg
Kapitel 9: Eine Büchse Wasser
Täglicher Regen im Lager -- Nowak 6 Wochen ohne Wasser in Hohn 1940 und in Hannover 1943 -- Rasur mit Kaffee -- 16 Stunden Schlangestehen für eine Tasse Chlorwasser -- Sandboden bildet keine Pfützen -- Schlammfolter mit Wasserleitung ohne Abfluss -- NS-Presse während der Niederlage in Stalingrad 1942/1943 -- Flak Bemerode 1945: Die Besatzung sollte marschieren -- eine Büchse Wasser
aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät. Kriegsgefangen in der Heimat
präsentiert von Michael Palomino (2013)
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[Tägliches Regenwasser in Rheinberg]
Wasser gab es in Rheinberg nicht ausser dem, das täglich vom Himmel fiel. Wollte man uns also austrocknen, verdursten lassen? Ach nein, an solche Bosheit braucht man nicht unbedingt zu denken. Es war doch die Militär-Bürokratie, die solch ein Lager einrichtete. Riefe man alle Bürokraten der Erde zu einem olympischen Wettbewerb der Idiotie auf, die Palme wäre den militärischen sicher.
[Hier irrt Nowak: Die tödlichen Bedingungen in den Rheinwiesenlagern waren absichtlich durch Eisenhower so herbeigeführt, um so viele Deutsche wie möglich nach dem Krieg zu töten. Das war nicht einfach ein Fehler der Bürokratie, sondern eine absichtlich eingerichtete Todesbürokratie].
[Nowak als NS-Soldat in Hohn 1940 - 6 Wochen ohne Wasser - 1943 in Hannover wieder ohne Trinkwasser - Rasieren mit Kaffee]
Als ich im Jahre 1940 zum ersten Mal den grauen Rock anziehen musste und als Rekrut im Truppenlager Hohn [bei Kiel] zwischen Rendsburg und Husum weilte, sprach dieser Platz wirklich jedem gesunden Menschenverstand Hohn. 6000 oder mehr Krieger wurden dort geschliffen ohne jemals in vollen sechs Wochen einen Tropfen Wasser zu trinken. Es war typhusverdächtig. Der Mensch der Steinzeit, las ich öfters, liess sich nur dort nieder, wo es Trinkwasser gab. In den Plänen der Generalstäbler spielten solche primitiven Erwägungen keine Rolle. Als ich 1943 zum zweiten Mal Soldat wurde, diesmal in Hannover und Umgebung, wurde uns wieder die Wasserscheu befohlen. In Ahlten [bei Hannover] rasierten wir uns zwei Jahre lang mit Kaffee. Es war nicht ratsam, die dort aus dem Boden geschöpfte Brühe mit einer kleinen Schnittwunde im Gesicht in Berührung zu bringen. Ein paar [S.91] hundert Meter weiter nördlich und östlich hätte es Trinkwasser in Hülle und Fülle gegeben. Aber zwischen der wasserwirtschaftlichen und raumplanerischen Abteilung des Generalstabs waltete keine Korrespondenz. Es ist zu vermuten, dass die amerikanischen Strategen den deutschen an Geistlosigkeit nicht nachstehen wollte. Darum allein war das Lager Rheinberg ohne Trinkwasser.
[Es war eben noch viel schlimmer: Die Lager ohne Wasser waren die Mordstrategie von Eisenhower, um so viele Deutsche wie möglich nach dem Krieg umzubringen - dies war der Morgenthau-Plan].
[Rheinberg: 16 Stunden Schlangestehen für eine Tasse Wasser vom Sprengwagen - keine Pfützenbildung wegen Sandboden - Chlorwasser]
Wollte man aber ein Massensterben unter den scheusslichsten Umständen verhindern, dann musste Wasser für 250.000 Menschen herangebracht werden. Am dritten oder vierten Tag unseres Aufenthalts wurde dieses Unternehmen eröffnet. Ein städtischer Sprengwagen tauchte am Horizont auf. Wir ergriffen, als er in unser Camp einfuhr, froh unser Geschirr, das fast durchweg in einer Konservendose von der Grösse einer Teetasse bestand, und stellten uns an. Morgens um zehn Uhr begann sich die vielfach gewundene Schlange zu bilden. Wer seinen Platz verliess, der konnte sich hinten als der 30.000ste wieder anreihen. Wer sich auf den Boden setzte und einschlief, der wurde am Kragen gepackt und nach vorwärts geschleift, damit er sein Anrecht nicht einbüsste. Nach 16 Stunden war ich am Kran angelangt. Meine kleine Büchse wurde gefüllt. Ich goss den Inhalt in die Kehle, hielt noch einmal hin, wurde aber, gleich allen Frevlern dieser Art, mit einem Fusstritt weiterbefördert.
In der kommenden Nacht fiel nur mässiger Regen. Wir hätten gern die Pfützen aufgeleckt wie [S.92] Hunde. Aber es bildeten sich keine Pfützen. Der Boden war zu sandig. Das Wasser, das die amerikanische Heeresleitung ausgab, schmeckte übrigens grossartig. Es war so gechlort, dass einem speiübel beim Trinken wurde. Die Amerikaner sorgten sich allerdings kaum um unsere Gesundheit. Sie fürchteten sich vor ansteckenden Krankheiten fast noch mehr als vor Brand- und Sprengbomben. Ihre Angst war geradezu kindisch.
[Wasserfolter wird zur Schlammfolter: 1-Liter-Wasserbehälter - Engländer montieren eine Wasserleitung ohne Abfluss - Beschwerdestelle gibt es nicht]
Als sich zeigte, dass man die Bedürfnisse mit Sprengwagen nicht zu decken vermochte, bauten die Amerikaner Wasserbehälter aus imprägnierten Stoffen. Jetzt konnte man immerhin schon einen Liter Wasser beziehen. Noch später, als die Engländer Lagerverwalter geworden waren, kam der Kommandant sogar auf die tolle Idee, eine Wasserleitung zu legen. Die hatte ein paar Dutzend Hähne, aber keinen Abfluss. Wer zum Wasser ging, der watete bis an die Knie durch Schlamm, kam schmutzig hin und kehrte wie ein Schwein zurück. Es ist für die Heeresleitungen aller Nationen nicht besonders schmeichelhaft, dass wir diese Zustände als durchaus militärisch zu würdigen wussten.
In jenen 16 Stunden, als ich geduldig auf einen Mundvoll Wasser wartete, sprach ich mir selber Trost zu. Gewiss, die Versorgung liess zu wünschen übrig. Aber wir hatten ja schon bei der eigenen Wehrmacht auswendig gelernt, dass der Soldat sich über Verpflegung, Bekleidung und Unterkunft nicht zu beschweren habe. Die Amerikaner verliessen [S.93] sich darauf, dass wir in dieser Hinsicht geschult waren. Nur über Vorgesetzte durfte man sich beim Kommiss beschweren. Aber ratsam war das nicht. In Rheinberg hätten wir gar nicht gewusst, wie man das anstellen sollte, sich über einen amerikanischen Offizier zu beschweren. Das hätte gerade noch gefehlt, dass Deutsche sich über einen Uniformträger der Alliierten zu beschweren gedachten. Wozu hatte man schliesslich gesiegt? Gar so schlimm war das nicht. Wenn ich an andere Geschehnisse dachte.
[Erinnerung an die NS-Politik: Beispiel der Pressearbeit mit einer "Panzerarmee" während der Niederlage von Stalingrad - wer schwatzt, wird von Freisler ermordet]
[Die folgende Szene basiert auf dem Wahnsinn, während des russischen Winters Krieg zu führen].
Es war im November 1942. Ich hatte mir mit unsäglicher Mühe und mit Hilfe eines befreundeten Majors beim Wehrbezirkskommando meine letzte U.k.-Stellung [unabkömmlich] verschafft, leitete ein kleines Blatt mit 5000 Beziehern [leider fehlt der Name dieses Blattes]. Mitte November erhielten wir - wie üblich unter Androhung der Todesstrafe für Schwatzhaftigkeit - erstmals im roten Dienst des Propagandaministeriums die Information, dass die deutsche Armee in Stalingrad als verloren anzusehen sei. Die Truppe habe die hehre Aufgabe, sich für Führer und Volk zu opfern. Von diesem Glück dürfe aber weder das Volk noch die Armee des Feldmarschalls Paulus unterrichtet werden. So schickte uns denn vom 15. November 1942 bis zum 29. Januar 1943 dasselbe Ministerium täglich seine Wehrmachtsberichte, in denen es hiess, dass eine Panzerarmee auf dem Wege sei, die Stalingrad-Kämpfer zu befreien, dass sie erfreuliche Fortschritte machte - man konnte sich ihren Weg mit Fähnchen auf der Karte abstecken - dass es sich nur [S.94] noch um Tage, um Stunden handeln könne - - -
So leisteten wir Journalisten mehr als zehn Wochen lang Beihilfe zu einer der schamlosesten Lügen, die je ein Volk befleckt haben. Aber wie gesagt, wer schwatzte, der wurde Roland Freisler ausgeliefert. Jeden Monat einmal mussten Verleger und Schriftleiter den roten Dienst feierlich in den Ofen stecken und verbrennen, nicht ohne ein Protokoll über diese Einäscherung zu unterzeichnen. Dieses ständige Dasein mit dem Kopf unter dem Fallbeil wirkt heute noch [Erscheinungsdatum des Buches 1956] nach. Ich weiss zwar, dass mich heute niemand wegen meiner Plauderei über den roten Dienst hinrichten darf, aber ganz sicher bin ich meiner Sache nicht, vor allem nicht im Halbschlaf oder Wachtraum. Da brauche ich manchmal nach dem Erwachen noch eine gute Weile, bis ich mir klar darüber bin, dass ich in meinem Schlafzimmer und nicht in einer Todeszelle liege.
In der letzten Januar-Woche des Jahres 1943 bekamen wir den Befehl, zum 30. Januar als dem Jahrestag der Machtergreifung eine Festnummer der Zeitung vorzubereiten, in der Wehrmacht und Partei zu verherrlichen seien, die Partei ganz besonders, denn sie allein sei es - - -
Wir hatten allerdings nichts zu tun, als die Prosa-Hymnen der Propagandasänger wirkungsvoll zu platzieren. Auf welcher Seite, in welchem Schriftgrad, mit welcher Überschrift, das war alles angeordnet. Am 27. Januar hatten wir, wie alle Zeitungen, die befohlene Sondernummer fertig daliegen [S.95]. In der Nacht kam ein fernmündlicher Befehl: "Ganze Auflage der Sondernummer einstampfen! Neue Weisungen abwarten!" Am 29. Januar stellten wir Hals über Kopf die neue Sonderausgabe fertig. Stichwort: Nibelungentreue - Heroischer Untergang - Todesmarsch der Goten!
Hitler hatte seine 6. Armee abgeschrieben. Morgenthau wollte das ganze deutsche Volk abschreiben. Wie sich doch die Gehirne gleichen. Dennoch wäre ich schon im November 1942 lieber im Lager Rheinberg gewesen. Zehn Wochen lang zu lügen, wenn auch auf Befehl, oder die Wahrheit zu sagen und sich dafür erschiessen zu lassen, das war eine harte Alternative gewesen. Noch heute ist mir, als sei ich den Stalingrad-Kämpfern etwas schuldig geblieben und damit an ihrem Untergang mitschuldig geworden. Nein, damals wäre ich bestimmt lieber nach Rheinberg gegangen. Und wenn ich daran dachte, was der Wahnsinnige für uns geplant hatte - - -
[Flak-Batterie in Bemerode 1945: Die NS-Befehlshaber wollten die Leute zu Märschen zwingen und sie zwingen, gegen russische Panzer zu kämpfen]
Nachdem wir unsere Batterie in Bemerode in die Luft gesprengt hatten, sollten wir laut Geheimorder nach Osten marschieren. Versammlungsraum Gommern bei Magdeburg! Wir sind nie nach Gommern gelangt. Nur komplette Narren konnten auf den Gedanken verfallen, aus Flak--Batterien Marschierer zu machen. Was dachten sich die letzten Generalstäbler eigentlich, als sie eine völlig technisierte und satzungsgemäss vollmotorisierte Truppe in eine Infanterie-Einheit verwandeln wollten? [S.96] Hatten sie ernstlich erwartet, dass wir vor dem Jüngsten Tag in Magdeburg ankämen, wir akademischen Soldaten, die mehr von der sphärischen Trigonometrie als vom Karabiner verstanden? Was sich hier auftat, das war die Strategie des Jakob-Kohl von Eibelstadt, der im grossen Bruderkrieg des Jahres 1525 die Seinen mit Dreschflegeln ausrüstete und sie gegen die Kanonen der Feste Marienberg und die Kavallerie des Truchsess von Waldenburg jagte. In ähnlicher Weise sollten jetzt schwere Artilleristen, mit Infanteriewaffen nur unzulänglich ausgerüstet, gegen die russischen Panzerarmeen geworfen werden. Nein, so weit wir in Frage kamen, hoffte Hitler vergebens auf die sagenhafte Armee Wenk, die Berlin befreien sollte. Wenn wir die Wahl hatten, gotisch zu sterben oder nach Sibirien verschleppt zu werden - mit einem Wort, wir fühlten uns in Rheinberg nicht eben wohl, aber wenn man die Verhältnisse nüchtern abwog, dann war dies hier allenfalls die Vorhölle, nicht die Hölle selbst.
[Die Büchse Wasser stellt auf]
Es hatte in letzter Zeit wenig geregnet. Ich war lange nicht durchnässt gewesen, mindestens einen Tag lang schon. Ich hatte sogar eine kleine Büchse voll Wasser bekommen. Lange konnte dieses Lager doch auch den Amerikanern keinen Spass machen. Vielleicht würden sie uns bald nach Hause schicken. Ich war nun so guten Willens, wie man ihn bei einem Menschen in meiner Lage voraussetzen konnte [S.97].
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