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Josef Nowak: Das
Rheinwiesenlager Rheinberg
Kapitel 10: Keine
Läuse, aber Hunger
Läuse und DDT -- keine Tiere
-- Kartoffeln verteilen -- Essensausgabe in der Nacht
-- Folter mit rohen Bohnen und Erbsen -- Massenmord
ohne Nahrung -- Kernseife und Toilettenpapier --
Milchsuppe und Streit um Nudeln und Rosinen
aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät.
Kriegsgefangen in der Heimat
präsentiert von Michael Palomino (2013)
[Das Zeitgefühl geht verloren]
Waren es zwei, waren es drei Wochen, seit ich in
Gefangenschaft geraten war? Für uns schied sich die Zeit nur
in Morgen, Mittag, Abend und Nacht. Wir hatten kein Datum
mehr. Wir brauchten es nicht. Es war gleichgültig, ob es am
5., 6. oder 7. Mai regnete. Es war ebenso gleichgültig, ob
wir am 25., 26. oder 27. April Durst hatten. Wir
interessierten uns allenfalls für Tatsachen, aber nicht für
das Datum, an dem sie sichtbar wurden.
[Läuse und DDT]
Eines Tages wanderte ich in der Morgensonne um das Camp.
Ziemlich nahe am Draht hockte im Türkensitz ein ganz
besonders dreckiger Krieger. Sein Hemd war so grau wie altes
Zinn. Er hatte es über den Kopf gezogen und auf dem Schoss
ausgebreitet. Er durchsuchte es mit gewandten Fingern. Ich
hatte bis dahin noch nie eine lebendige Kleiderlaus gesehen
und kannte dieses Tier nur vom Hörensagen. Hier aber war ein
Jäger und Henker am Werk. Er machte reiche Beute und
benutzte seinen Daumennagel als Fallbeil. Er richtete ein
beträchtliches Blutbad an. Mir wurde übel, als ich an mein
zur Stunde zwar nur von mir bewohntes, aber nicht minder
aschgraues Hemd dachte, dem nun die Invasion der
Kleiderläuse bevorstand.
Doch die amerikanische Armee - Gott segne sie! - war in
jenen Tagen unbedingt die bestzivilisierte [S.98] der Erde.
Sie hatte nicht nur die schnelle Moskito, die viermotorige
Fortress, die Atombombe herübergebracht, sondern auch das
beste Läusepulver der Welt in ihrer Bagage und genug davon,
um den ganzen europäischen Kontinent damit weiss zu pudern.
[Hitler hätte das DDT ab 1943 auch anwenden können, tat es
aber nicht, weil es vom "Feind" erfunden worden war. Die
Wehrmacht und manche Konzentrationslager verfügten ab 1944
über die Kurzwellenentlausung mit Apparaten von Siemens]. Es
wäre aber unrecht zu verschweigen, dass sich die Wirksamkeit
dieses Pulvers nicht nur auf die Kopf- und Kleiderlaus
erstreckte, es machte jede menschliche Kleintierhaltung
unmöglich. Es war ein durchaus modernes Hilfsmittel des
Massenmordes. Einem Hindu hätten sich die Haare gesträubt,
wäre er diesen amerikanischen Kopf-, Leib- und Kammerjägern
in die Hände gefallen.
Im Lager Rheinberg war mangels jeder ordentlichen
Lagerhaltung täglich Viehzählung [Personenzählung]. Unsere
gestaltlosen Haufen mussten antreten, sich in
Hundertschaften aufspalten und in solcher Formation das
Futter empfangen. Wir hatten an diesem Tag schon gegessen
und ruhten uns von den Strapazen des Mahls aus, als wir ein
zweites Mal aufgescheucht wurden. Diesmal wurden wir nicht
durch hundert dividiert. Wir hatten eine achtreihige
Schlange zu bilden, die sich nach stundenlangen Zuckungen
und Windungen nach vorn bewegte. Vor jeder Reihe hatten sich
zwei Kerle aufgebaut. Der eine hatte nichts in den Händen.
Er übte nur die Polizeiaufsicht aus. Der andere hatte eine
mächtige Spritze in der Faust, die aber keine Flüssigkeit,
sondern ein mehlartiges Produkt enthielt. Jeder Gefangene
riss seine Mütze oder was er sonst an [S.99] Kopfbedeckung
besass ab und bekam einen Schuss Pulver in die Kopfwolle,
mitten in das verfilzte Haar hinein. Die zweite Ladung wurde
ihm in den Kragen gepustet. Dann hob er die Rockschösse hoch
und liess sich die dritte Staubwolke in den Hosenbund jagen.
Wir lächelten erst etwas hoffärtig oder mitleidig, lernten
aber bald die Zauberkraft der modernen Chemie schätzen.
Mindestens alle vierzehn Tage wurde die schmerzlose Prozedur
wiederholt. Der Effekt war verblüffend. Jene Läuse, die ich
im Hemd des oben geschilderten Kriegers erblickt hatte,
waren die einzigen, die mir in Rheinberg zu Gesicht kamen.
Nein, Ungeziefer gab es hier nicht, falls man uns - und ich
bin dessen sicher, dass es mindestens am Anfang so war -
nicht selbst als Ungeziefer ansah. Läuse waren nicht
lizenziert. Gelobt sei der Vernichtungswille der
amerikanischen Armee!
[DDT bewirkt, dass Vögel nur noch dünnschalige Eier legen.
DDT steht auch im Verdacht, Krebs zu erregen und ist
deswegen seit den 1970er Jahren nur noch in Notfällen
zugelassen].
[Keine Tiere im und über dem Rheinberg-Lager - in der
Kohlenzeche gab es wenigstens Ratten]
Es war übrigens seltsam. In diesem ganzen Riesencamp schien
die Tierwelt überhaupt ausgestorben. Man sah keine Katze,
keine Ratte, keine Maus, keinen Maulwurf. Man sah keinen
Vogel, nicht einmal einen hungrigen, jämmerlichen Sperling.
Keine Krähe, keine Taube überflog unser Lager. Vielleicht
ahnten die Tiere, dass sie beim ersten matten Flügelschlag
hypnotisiert und nach der Landung roh verschlungen würden.
So knapp das Futter war, die Tiere vermisste ich sehr, zumal
die Menschen sich als sehr zweifelhafte Gesellschafter
[S.100] erwiesen. Sogar auf der Zeche, als ich Bremser am
Berg war, wenigstens 700 Meter tief, war es mir gelungen,
zwei junge Ratten so weit zu zähmen, dass sie zum Frühstück
auf meine Kiste kamen. Hier in Rheinberg gab es nichts zu
zähmen. Wir wurden sogar von den Tieren gemieden.
Läuse hatten wir nicht, aber Hunger.
["Kapitäne" dürfen Kartoffeln verteilen - kleine
Feuerstellen]
In der ersten Zeit hatten die Amerikaner uns immer noch
täglich eine halbe Frühstücksration gewährt. Dann hatten sei
anscheinend irgendwo grössere Kartoffelbestände erbeutet.
Jetzt warfen sie jedem Kapitän einer Hundertschaft einen
Haufen roher Kartoffeln vor die Füsse. Der sortierte sie
dann nach der Grösse und teilte sie aus. Einer der Kapitäne
war ich.
Zweihundert böse Augen überwachten mich bei meinem Geschäft.
Zweihundert Füsse verfolgten mich auf Schritt und Tritt. Es
war jedesmal, als trüge ein Raubtier ein Lamm im Rachen
davon, umringt von anderen Raubtieren, die streng darauf
achteten, dass der Träger der Beute ja nicht allein zum
Fressen kam. Es wäre unmöglich gewesen, ein Kartöffelchen
auch nur von der Grösse einer Haselnuss in die Tasche zu
stecken.
Es war verboten, Feuer anzuzünden. Dieses Verbot war allen
Gefangenen gleichgültig, den meisten deshalb, weil sie weder
Papier noch Holz noch Streichholz besassen, den übrigen
deshalb, weil sie im Besitz dieser Utensilien waren und
alsbald zu backen und zu rösten begannen. Wo kein Feuer
[S.101] war, da wurden die Kartoffeln roh verschlungen.
Möglicherweise meldete dann ein fixer Reporter nach Hause,
er habe mit eigenen Augen gesehen, dass die Deutschen die
Kartoffeln wie die Wildschweine roh verschlängen. Der Mann
hat nicht einmal gelogen, obschon er nicht die Wahrheit
geschrieben hat.
[Gemüse und Fütterung mit ein paar Löffeln]
Nach der kurzfristigen Kartoffelperiode mussten die
Amerikaner ein Proviantamt entdeckt und ausgeleert haben.
Jetzt empfing der Kapitän für sich und seine Mannen heute
einen Kanister Tomaten, morgen einen Kanister Sauerkraut,
übermorgen einen Kanister grüne Bohnen, Rotkohl oder Spinat.
Die meisten Gefangenen waren ohne Besteck, alle waren ohne
Geschirr. Eine Anzahl Löffel war bei der Gefangennahme der
Hunderttausenden nicht konfisziert worden. Vor Messer und
Gabel aber hatten die Amerikaner eine Heidenangst. Diese
Werkzeuge rangierten auf einer Stufe mit
Schnellfeuergewehren, Maschinenpistolen, Taschenmessern und
Nagelfeilen. Zwei oder drei Löffel aber waren gewöhnlich im
Bereich einer Hundertschaft vorhanden. Der Kapitän nahm den
Kanister in die eine, den Löffel in die andere Hand, lief an
der langen Reihe seiner Truppe auf und ab, strich jedem
Empfänger einen Schlag Bohnen oder Tomaten ins Maul. Wenn er
es geschickt machte, konnte er am Anfang wie am Ende der
Reihe je einen Löffel voll für sich ergattern. Meist
begleiteten ihn aber einige Gardisten zu Fuss, die es sich
[S.102] zur Pflicht machten, seine Gelüste zu unterdrücken.
[Essensausgabe in der Nacht]
Wenn die Amerikaner tagsüber keine Lust hatten, dann gaben
sie diese Kanister des Nachts aus. Die Nahrungsaufnahme
verlief in solchen Fällen besonders eindrucksvoll. Nicht
immer hing die Lampe am Himmel [Mond], von der die Erde nun
schon seit Jahrmillionen begleitet wird. Aber wenn der Mond
schien, dann mag der Uralte manchmal gedacht haben, dass
doch nicht alles auf Erden schon einmal dagewesen war. Immer
wieder bringen es die Menschen fertig, ihre Fähigkeiten zur
Originalität mit neuen Zeugnissen zu belegen.
[Kriminelle "Amerikaner": Folter mit rohen Bohnen und
Erbsen - grausame Magen-Darmkrämpfe]
Jäh wie sie über uns gekommen, war diese kalte Küche eines
Tages zu Ende. Der Amerikaner ging nun zu Hülsenfrüchten
über. Die Kapitäne bekamen grüne Erbsen, gelbe Erbsen,
weisse Bohnen, braune Bohnen ausgehändigt, ungekochte
natürlich. Hier bliebe nun nichts anderes mehr übrig, als
die Früchte des Feldes statistisch zu erfassen und jedem
Empfangsberechtigten seine 37 Bohnen oder 49 Erbsen
zuzuteilen. Das war neu, wenigstens als Erfahrung am eigenen
Leib.
An fremden Leibern hatte ich lange vorher meine Studien
gemacht. Die Russen in meiner Flak-Batterie [in Bemerode bei
Hannover] bekamen zum Mittagessen meist nur Kartoffeln, ohne
Fleisch, ohne Gemüse, ohne Fett. Zur Ehre der deutschen
Wehrmacht muss aber gesagt werden, dass die Kartoffeln stets
gekocht waren. Da hockten sie dann um ihren Tisch herum,
Semjon, Iwan, Dimitri und wie sie alle hiessen. Mit
lodernden [S.103] Blicken und verkniffenen Lippen,
sortierten, wogen, prüften sie die Kartoffeln, schoben sie
hin und her, bis endlich dieses hundsgemeine Mass von
Gerechtigkeit erreicht war, zu dem der Hunger sie zwang.
Jetzt waren wir selber so weit, wir Übermenschen oder
Obermenschen, wir Mitglieder der Herrenkaste, in die wir
ohne Wunsch und Willen eingereiht gewesen waren. Da hockten
wir am Boden, Majore, Fähnriche, Hauptwachtmeister,
Schriftsteller, Sänger, Pfarrer, Amtsrichter, Rechtsanwälte,
Kaufleute, Lehrer und zählten Hülsenfrüchte ab in der
einzigen, aber berechtigten Sorge, der andere könne drei
oder vier Erbsen mehr bekommen als ihm rechnerisch
zustanden.
Was taten wir mit diesen Nahrungsmitteln? Wir hatten kein
Wasser, um das Zeug quellen zu lassen, wir hatten kein
Geschirr ausser schmutzigen Konservendosen mit verfaulten
Speiseresten. Wir hatten ein Feuer, kein Salz, nichts. Darum
frassen wir die Feldfrüchte roh auf und wanden uns dann
tagelang in Magen- und Darmkrämpfen.
[Kriminelle "Amerikaner" begehen systematischen
Massenmord: Kekse - Reduktion bis auf 0 - Sterbensmittel]
Nach diesem frugalen Trockenkurs ging die geheime Macht, der
unser Appetit ausgeliefert war, zu ausgesprochener
Säuglingsnahrung über. Wir erhielten je Kopf und Tag zwölf
Kekse, vierzehn Kekse, zehn Kekse, elf Kekse, neuen Kekse.
Ein System war nicht zu erkennen. Es wäre reizvoll gewesen,
ein Zahlen-Lotto zu veranstalten. Plötzlich und unerwartet
wie das Thermometer im Mai [nach der deutschen Kapitulation,
nachdem Eisenhower beschlossen hatte, dass Kriegsgefangene
(POW) nur noch entwaffnete Feindkräfte seien (EFK, englisch
DEF] sank die Kekszahl auf sieben, auf fünf, auf vier, auf
[S.104] drei, auf zwei, auf einen Keks je Tag und Kopf. Die
niedrigste messbare Grösse betrug einen halben Keks je Kopf
und Tag. Offenbar hatten die amerikanischen Fouriere von
Kernphysik und Atomzertrümmerung noch nichts gehört, sonst
hätten sie uns mit Mikrorationen beliefert. Es kam auch vor,
dass es keinen Keks je Kopf und Tag gab und ausserdem
überhaupt nichts. Jetzt wussten wir es. Hier war Mord am
Werk, überlegter, kalter Mord. Nicht Mörder waren in
Tätigkeit gewesen, der berechnete Mord einer bürokratischen
Maschine war angelaufen. Irgendein Gehirntrust hatte
beschlossen, uns hinzurichten. Er brauchte kein Blut zu
vergiessen, keine Köpfe abzuschlagen, keine Galgen zu
zimmern. Er überliess es der Natur, ihre Auslese zu treffen,
zuerst die Schwachen, dann die Widerstandsfähigen,
schliesslich die starken zu fällen. [Dieser Massenmord an
Deutschen in den Rheinwiesenlagern war die Entscheidung der
Zionistenclique, die den Morgenthau-Plan ausführte, mit
Baruch, Lehmann, Frankfurter, und Eisenhower als ihr
williger Vollstrecker].
Den Tieren der Wildnis und sogar den meisten
Haustieren ist es gegeben, der Welt mitzuteilen, dass sei
Hunger leiden. In ihrem Gebrüll und Geheul und Gejammer
spricht sich die Hoffnung aus, dass doch noch irgendwoher
Futter kommt. Wir schrien und brüllten und heulten nicht.
Uns sagte der Verstand, dass es zwecklos sei zu schreien.
Wir wussten, dass niemand uns hören wollte. Uns ging die
Erkenntnis auf, dass wir in einem Vergeltungs- oder
Vernichtungslager angekommen waren. Eine andere Erklärung
fanden wir nicht. 250.000 Menschen zählte das Lager
Rheinberg. Wollte man [S.105] jedem Gefangenen täglich ein
halbes Pfund Nahrung bewilligen, so musste man täglich etwa
60 Tonnen Lebensmittel heranschaffen. Das sollte eine Armee
nicht zustandebringen, die es vermocht hatte, während der
letzten Monate des Krieges täglich 6000, ja 12.000 Tonnen
und noch mehr Bomben auf die deutschen Städte zu schleudern?
Törichter Versuch, hier nach Nachschubschwierigkeiten zu
fahnden.
[Massenmörder Eisenhower liess alle Hilfslieferungen
zurücksenden und vollzog in den "amerikanisch" geführten
Rheinwiesenlagern einen Massenmord von 750.000 Toten, die
Franzosen ab Juli 1945 in der französischen Zone 250.000.
Buch von James Bacque: Der geplante Tod].
Es waren Sterbensmittel, nicht Lebensmittel, was man in
Rheinberg austeilte.
[Kernseife und Toilettenpapier - als Notizpapier]
Ich weiss nicht, ob es grausige Ironie oder nur blöder
Ablauf einer Militärmaschinerie war, als man uns freigiebig
und reichlich mit Kernseife versorgte. Es war eine Seife,
wie wir sie seit sechs Jahren nicht mehr in den Händen
gehalten hatte. Leider war sie nicht essbar. Sie war auch
sonst nicht zu verwenden. Wir hätten uns gerne gewaschen und
auch unseren Hemden diesen Genuss gegönnt. Aber wir hatten
ja kein Wasser. Und dann empfingen die Kapitäne der
Hundertschaften ja eine Rolle Klosettpapier für ihre Mannen.
Als ob ein Mensch, der am Tag einen halben oder keinen Keks
zu verzehren hatte, dieser Papierfülle bedurft hätte. Doch
ja, ich bedurfte dieses Papiers dringend. Es war von bester
Friedensqualität, wurde immer wieder nachgeliefert. Ich
benutzte es anfangs selten, später oft zum Schreiben und
hatte am Schluss des Lagerlebens eine neue Komödie
skizziert. Die trug ich dann, da es streng verboten war,
beschriebenes [S.106] Papier auf der Heimreise bei sich zu
haben, als Klosettpapierrolle nach Hause. Alliierte und
deutsche Soldaten mochten an meinem Verstand zweifeln, wenn
sie sahen, mit welcher krampfhaften Besitzerlust ich die
Rolle zärtlich ans Herz presste.
[Milchsuppe und Streit um Nudeln und Rosinen]
Nach der Ära der unteilbaren Kekse brach die Periode der
flüssigen Nahrung über uns herein. In der Mitte jedes
grossen Käfigs war mit der Zeit ein kleiner Käfig errichtet
worden, indem sogar Zelte aufgestellt wurden. Auch einige
Kochkessel wurden installiert, die jeden Tag zahllose
Hektoliter von Milchsuppe ausstiessen. Trockenmilch wurde
angerührt und mit jenem Mandelgeschmack angereichert, der
uns schon bei der deutschen Wehrmacht in die höchsten Gipfel
der Tannen, dahin, wo die meisten Zapfen stehen, getrieben
hatte. Ausserdem schwammen noch ein paar Nudeln oder
Makkaroni, ein paar Rosinen oder getrocknete Zwetschgen in
dieser türkisfarbenen Brühe herum. Wie eine Amsel einen
Regenwurm für ihre Jungen zerhackt, so mussten jetzt die
Suppenverteiler eine Nudel in vier oder sechs Abschnitte
teilen, um den Ausbruch einer Meuterei zu verhindern.
Desgleichen wurde das Backobst herausgefischt, geschätzt,
begutachtet, zerrupft.
Um eine einzige Rosine gab es oft ein Geschrei, wie es nicht
grösser im Feldlager vor Troja gewesen sein kann, als sich
Agamemnon und Achilleus um das schöne Mädchen Briseis
stritten. Einen Viertelliter, höchstens einen halben Liter
Milchsuppe, die zu neun Zehnteln [S.107] aus gechlortem,
warmem Wasser bestand, erhielt jetzt der Gefangene als
Tagesration, dazu eine Rosine, eine ganze oder halbierte
Zwetschge, dazu den Bruchteil einer Nudel. Ging der
Essenholer zu früh zum Kochkessel, dann brachte er Suppe
ohne Einlage mit. Getadelt wurde er darob nicht. Aber wenn
er die Blicke der anderen sah, dann wusste er, auf welcher
Stufe der Minderwertigkeit er sich befand.
Nein, Läuse hatten wir in Rheinberg nicht. Wer weiss, ob wir
das Läusepulver überhaupt notwendig hatten. Vielleicht wären
die armen Tiere an unseren verhungerten Leichnamen von
selber zugrundegegangen. Verglichen mit uns war Johannes der
Täufer, als er in der Wüste fastete, ein Prasser zu nennen.
Heuschrecken ass der Schlemmer und sogar wilden Honig dazu.
Und was hat dieser Maler Mathis Gothart Nithart bloss auf
seinem Isenheimer Altar zusammengepinselt? Da flattert ein
Rabe herzu und bringt dem Einsiedler Antonius Brot! Mein
Gott, wie schmeckte denn Brot? War es drei, war es vier
Wochen her, seit wir keines gesehen hatten? Brot - gab es
denn überhaupt noch Brot auf der Erde? [S.108]
Quellen
Fotoquellen
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