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ENGL
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Josef Nowak: Das
Rheinwiesenlager Rheinberg
Kapitel 24: Heimkehr
Gefahr von Typhus - das Wiesenlager in Weeze bei
Kleve -- die Klöckner-Halle in Osnabrück -- ein
Fussballplatz bei Hannover -- Zwangsarbeit in der
britischen Zone -- Ankunft von Lagerfreund Gerd -- der
Rosenstock in den Ruinen des Doms zu Hannover
aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät.
Kriegsgefangen in der Heimat
präsentiert von Michael Palomino (2013)
[Typhus im "Camp F" - 59 Tage
Quarantäne - die "Sieger" können mit Deutschland machen,
was sie wollen]
-- Du hast ja Grünspan im Gesicht. Was ist los?
Ich kam soeben von einer kurzen Lagebesprechung der
"Kommandeure" zurück, meinen Offizierssold in Gestalt eines
halben Brotes unter dem Arm. Was soll schon los sein? Die
Abfahrt nach Hause war schon wieder fraglich geworden. Im
Nachbar-Camp F soll Typhus ausgebrochen sein. [Typhus wurde
von der englischen Besatzungsmacht oft erfunden, um die
Deutschen zu schikanieren oder ihnen Seuchen anzudichten, so
auch im Hitchcock-Film in Bergen-Belsen etc.].
Typhus hat eine Quarantäne von 59 Tagen. Das hat uns gerade
noch gefehlt. Ich fürchte, wir hätten eine Reihe von ernsten
Nervenkrisen und sogar Selbstmorden erlebt. Noch einmal von
vorn anfangen, noch einmal auf das Ende hinter dickem Nebel
warten? Und was konnte den Siegern inzwischen noch
einfallen? Sie brauchten sich nicht an ihre Beschlüsse zu
halten. Sie konnten jeden Tag andere fassen, konnten neue
Verträge miteinander schliessen. Und wir konnten das
Kleingeld sein, mit dem die Spesen bezahlt wurden.
[Die Abreise ohne Wolldecken - 30 Personen pro Lastwagen
- deutsche Köche und Lagerpolizisten fehlen]
Der Typhus, falls er im Camp F wirklich aufgetreten war,
machte einen gnädigen Bogen um uns herum. Am 30. Juli 1945
sagten wir dem Lager Rheinberg adieu. Vorher nahm man uns
alle Wolldecken ab. Na ja, wenn es doch heimging - - -
Aber es ging nicht so schnell heim.
Die Heimkehr war organisiert. Der Soldat kennt das, weiss,
was ihn erwartet, wenn die Wehrmacht [S.218] organisiert.
Als ich im Jahr 1940 Rekrut war und nach sechs Wochen
Lehrzeit uk.-gestellt [unabkömmlich gestellt] wurde, musste
ich von Schleswig-Holstein beinahe erst nach Warschau
reisen, weil dort mein Truppenteil stationiert war. Später
entdeckte der Grosse Generalstab, dass ich auch in Hamburg
abmustern konnte. Hätten wir den Krieg gewonnen, dann hätten
wir nach Linz a.D. in Österreich fahren müssen, um dort nach
Hause entlassen zu werden. Tausend Kilometer hin - tausend
Kilometer zurück. So hatten es die Stäbe beschlossen. Auch
Grossbritannien verfügte über Generalstäbler, wie wir bald
erfahren sollten.
Für je 30 Mann stand ein Lastwagen bereit. In dieser Quote
sprach sich die veränderte Zeit aus. Auf der Reise nach
Westen hatte man 60 Mann auf einen Wagen gestopft. Die
Engländer hatten ihre Gründe, uns nach Hause zu fahren.
Hätten sie uns ausgehungertes Gesindel auf die Landstrassen
gestellt, wir wären wie die Steppenwölfe über Häuser und
Höfe hergefallen. Wir hätten zwar keine Frauen vergewaltigt,
aber Küchen und Keller hätten wir bis auf den letzten
essbaren Brocken ausgeräumt. Es wäre nicht ratsam gewesen,
uns dabei zu behindern.
Wir schieden aus Rheinberg glücklich, aber mit
weissglühender Wut im Herzen, nicht in Erinnerung dessen,
was wir durchgemacht hatten, sondern angesichts der
Tatsache, dass die Briten ihren deutschen Knechten die Treue
hielten. Sie gaben [S.219] uns unsere dicken Köche, unsere
vollgefressenen Lagerpolizisten nicht mit auf den Weg. Wie
gerne hätten wir sie von den Brücken in die Kanäle, auf die
Eisenbahnschienen geworfen. Wie gerne hätten wir sie unter
die Räder der britischen Lastwagen gestossen. Keiner von
ihnen sollte lebend entkommen. Das hatten wir uns selbst
zugeschworen. Die Engländer machten uns meineidig. Sie
hatten keinen Sinn für Gerechtigkeit. So blieb hier ein
wichtiges Werk ungetan. Deshalb fuhren wir unzufrieden und
zornig von dannen.
[Das Wiesenlager in Weeze bei Kleve - krimineller
Militär-Terrorismus von einem britischen Adjutanten - die
nächste Hungerfolter und Nacht ohne Dach]
Wir waren schon eine Weile unterwegs, als einer plötzlich
entdeckte, dass wir die Morgensonne noch immer im Rücken
hatten. Verdammt noch einmal, wir fuhren nicht nach Osten
der Sonne entgegen. Wir trieben nach Westen ab. Wohin? Nach
Holland? Nach Belgien? Nach Frankreich? Brauchte man uns
also doch noch als Zwangsarbeiter, nachdem wir sechzehn
Wochen lang nichts getan und nur gegessen hatten? Wir wurden
unruhig, dann resigniert, schliesslich apathisch. Dann eben
Arbeitslager in der Normandie. Wir hatten den Krieg
verloren. Vermutlich hätten wir dort wenigstens ein Dach
über dem Kopf. Wenn wir etwas leisten sollte, dann musste
man uns auch besser ernähren.
Bald aber war die Wagenkolonne am Ziel. Weeze hiess das
Nest. Hier war einer der grossen Menschenfrachthöfe, wie
immer als Freilichttheater eingerichtet, ohne Baracken, ohne
Zelte [S.220].
Ein grossbritannischer Etappenhengst, elegant, direkt von
der Kriegsschule entlassen, kommandierte. Als Adjutanten
hatte er sich einen deutschen, ungemein zackigen
Hauptfeldwebel zugelegt.
-- In Linie angetreten, Marsch, Marsch!
Wir trauten unseren Ohren nicht. War denn der Krieg noch
nicht zu Ende?
-- Der Grösse nach antreten? brüllte der Zackige.
Wir begriffen zwar nicht, was die Heimkehr mit der
Leibesgrösse zu tun habe, aber schon schrie er:
-- Nach hinten weggetreten, Marsch, Marsch!
Nein, Spass war das nicht, wenn man diese Visage sah.
-- In Linie angetreten, Marsch, Marsch!
Der Zackige prüfte wie auf einem Potsdamer Kasernenhof. Ob
Ellbogen an Ellbogen, ob Schuhspitze an Schuhspitze sich
fügte, ob die Linie auch keine Bucht nach vorn oder hinten
aufweise. Das hätte unsere Heimreise ernstlich gefährdet.
Mit undurchdringlichem Gesicht stand der lackierte Tommy
[Engländer heissen oft "Tom"] im Schmuck seiner Bügelfalten
daneben. Schliesslich war der Zackige halbwegs
zufriedengestellt. Als Chef meines Transports hatte ich
später mit ihm zu verhandeln. Er war das widerlichste Stück
Menschenleben, mit dem ich als Soldat und Gefangener jemals
zu tun hatte. Dass die Engländer sich seiner bedienten, das
stimmte uns nachdenklich.
Holz und Blech hatten wir befehlsgemäss in [S.221] Rheinberg
abgeliefert. Der Decken und Zeltplanen hatte man uns
beraubt. In Weeze gab es nichts an Komfort. Die hohle Hand
war Schüssel und Teller. Die Finger waren Messer, Gabel und
Löffel. Wir hatten kein Gefäss, um auch nur einen Schluck
Wasser zu trinken. Die Nacht war kalt. Wir schliefen eine
Stunde. Dann wachten wir auf, zähneklappernd und schaudernd,
standen auf, liefen eine halbe Stunde hin und her, um etwas
warm zu werden, legten uns wieder für eine Stunde nieder.
Ihr Dichter, die ihr die hellen Sommernächte preist, schlaft
erst einmal unter dem Himmelszelt, bis ihr aufwacht,
triefend vor Nässe, nicht weil ihr schwitzt, sondern weil
der perlende Tau an euch hängt. Da geht die ganze Poesie
über Bord und wendet sich einem verlausten Strohsack in
einer muffigen Baracke zu.
[Osnabrück: Eine Nacht in einer Halle der Klöckner-Werke
- Butterbrote von Nonnen und Schulkindern in Telgte - die
"Haifische"]
Von Weeze ging es nach Osnabrück. Die Stadt mit dem grossen
Schienenkreuz war auch Kreuzungspunkt der britischen
Gefangenenkolonnen. Von hier aus fuhren sie sternförmig nach
Norden und Westen, Süden und Osten. Die Klöckner-Werke waren
unser Hotel. Mein Gott, welch ein Abend! Kein Stacheldraht
war zu sehen. Wir liefen wie freie Menschen umher. Davon
lief keiner. Jeder wusste, dass er am nächsten Morgen auf
einem Lastwagen einen Platz fand. Wir schliefen auf dem
Betonfussboden, den wir mit Feinblechplatten auslegten. Wir
schliefen erträglich, auch ohne Matratzen und Daunendecken,
weil es ja doch die letzte [S.222] Nacht war und wir
immerhin dadurch der Kultur nähergekommen waren, dass sich
ein Dach über uns spannte.
Noch einmal überdachte ich die Fahrt durch das Münsterland.
In den engen Strassen von Telgte [bei Münster] waren Nonnen
mit Schulkindern aufmarschiert. Meterhohe Stösse von
Butterbroten hatten sie mitgebracht.
-- Mensch, schrie ein junger Berliner begeistert auf, haste
das jesehn: Kartoffelpuffer hatten die - - -
Das Schicksal war ihm gnädig. An der nächsten Ecke stockte
die Kolonne. Eine Nonne reichte einen ganzen Stapel
Kartoffelpuffer herauf. Die frommen Frauen und die kleinen
Schulmädchen verdrehten vor Schrecken die Augen. Sie hatten
noch niemals Haifische gesehen. Die Schnitten und Puffer
verschwanden in den aufgesperrten Rachen, als wären es nur
Brosamen gewesen. Was auch an Proviant herbeigeschleppt
wurde, er reichte nicht aus. Dreissig Wagen zählte die
Kolonne [also 900 Mann]. Dreissig Mann hielten auf jedem
Wagen Ausschau mit gierigen Augen und fangbereiten Händen.
Die Brote wurden in der Luft zerfetzt. Für uns wäre es eine
Kleinigkeit gewesen, in fünf Minuten eine Stadt kahl zu
fressen. Wir hätten das gründlicher als die Heuschrecken
besorgt. An ein ehrliches, anständiges Teilen dachte kaum
einer. Und wenn einer versuchte, der Zivilisation das Wort
zu reden, dann wurde er gehässig niedergeschrien [S.223].
Steckten auch in uns Köche und Lagerpolizisten? Zum ersten
Mal nach so kurzer Zeit zweifelte ich daran, ob es recht
gewesen wäre, die Köche und Polizisten unter die Räder zu
stossen. Vielleicht waren die Engländer doch ganz
vernünftige Leute. Wer weiss? Sicher ist da, als das Lager
Rheinberg zu Ende ging, etwas versäumt worden. Aber es wird
so viel auf Erden versäumt - - -
[Ein Fussballplatz bei Hannover]
Es war doch nicht die letzte Nacht der Gefangenschaft
gewesen, die wir in Osnabrück zugebracht hatten. Man liess
uns noch eine Nacht in Hannover auf einem Fussballplatz
schlafen. Aber das war nun wirklich die letzte. Wir nahmen
sie willig als Sport hin.
[Hannover: Bäckermeister Schulze verschenkt Brote]
Am nächsten Morgen waren wir zu Hause, aber noch nicht
daheim. Wir fuhren durch die Stadt, die wir kannten und
liebten. Die britischen Fahrer wussten Bescheid. Jeder
stoppte eine Sekunde vor dem Laden des Bäckermeisters
Schulze. Der hatte einen Berg von Broten an der
Strassenkante aufgestapelt. Zwei Brote flogen vorn, zwei
hinten auf jeden Wagen. Das setzte der Mann wochenlang so
fort, bis die Transporte zu Ende waren. Sein eigener Sohn
war in Kriegsgefangenschaft. Er hoffte, dass auch ihm einer
Brot gab - - -
[Mahlzeit in einer Ziegelei - BDM-Führerinnen im
britischen Dienst behandeln Heimkehrer bereits
herablassend und bestehlen sie]
Man setzte uns in einer alten Ziegelei ab, die wieder im
Schmuck des Stacheldrahts prangte. Jetzt lernten wir die
Heimat kenne, die wir so lange nicht gesehen hatten. Junge
Damen hatten sich bereits in grosser Zahl den britischen
Dienststellen [S.224] verpflichtet, die BDM-Führerinnen an
der Spitze. Solcher Dienst brachte Vorrechte mit sich.
Unsere Marschverpflegung für diesen Tag hatte noch aus dem
jedem Gefangenen bekannten Schokoladepäckchen bestanden. Wir
gedachten es jetzt zu empfangen und unseren Frauen und
Kindern als Reisegeschenk mitzubringen.
Aber die jungen, deutschen Damen hatten uns schon in der
gemeinsten Weise bestohlen. Sie hatten sich unseres
Reiseproviants bemächtigt und liefen auf dem Fabrikhof
umher, indem sie sich ihre rotgeschminkten Lippen mit
unserer Schokolade beschmierten. Zum Ausgleich empfingen wir
einen Blechnapf, indem sich drei Zentimeter hoch Rotkohl und
darüber zehn Zentimeter warmes Wasser befand. Worin nun auch
die von den Engländern geschätzten Fähigkeiten der jungen
Damen bestehen mochten, ihre Kochkunst konnte es nicht sein.
Wir begriffen ganz beiläufig, dass sich dieses weibliche
Jungvolk bereits zu den Siegern geschlagen hatte und dass es
ihm deshalb erlaubt war, Heimkehrer wie Kanaillen zu
behandeln.
[Zwangsarbeit in der britischen Zone - praktisch ohne
Substanz - das Dritte Reich geht weiter - Schriftsteller
soll Bauhilfsarbeiter sein]
Kurz vor dem Gang zum Einwohnermeldeamt erlebten wir den
Höhepunkt der Heimkehr. Im Auftrag des Regierungspräsidenten
begrüsste uns ein beamteter Flegel von ungeheuerlichem
Ausmass. Auch er sprach als "Sieger" zu uns:
-- Sie sind nicht nach Hause gebracht worden, um zu
faulenzen. Sie sind heimgekehrt, um unverzüglich und hart zu
arbeiten. Sie haben sich morgen [S.225] früh beim Arbeitsamt
zu melden. Sie haben jede Arbeit anzunehmen, die Ihnen
zugewiesen wird. Wenn Sie sich weigern, das zu tun, was
Ihnen befohlen wird, werden Sie sofort der Besatzungsmacht
zur Bestrafung übergeben.
Das sagte er uns, die sich keine halbe Stunde auf den Beinen
halten konnten, ohne schwindlig zu werden. Auch in der
Heimat waren also Lagerköche und Lagerpolizisten obenauf.
Die Demokratie war sichtlich schon ausgebrochen. Sie
begrüsste uns mit den Vokabeln des Dritten Reiches, das wir
bis dahin fälschlicherweise für untergegangen gehalten
hatten. Es war also noch da, in deutschen und fremden Köpfen
zu Hause. So einfach war es offenbar nicht, mit Hitler
fertigzuwerden. Die Menschenrechte lagen schon wieder oder
immer noch unter den genagelten Stiefeln.
Wenige Tage später lernte ich den Ernst der Lage kennen. Der
Direktor des Arbeitsamtes ernannte mich zum
Bauhilfsarbeiter. Man muss annehmen, dass grosser Mangel an
Bauhilfsarbeitern herrschte, sonst hätte man nicht den
einzigen Bühnenschriftsteller des ganzen Regierungsbezirks
dazu abgeordnet. Schriftsteller? Das sei kein Beruf,
belehrte mich die Arbeits-Maid, Pardon, eine
Arbeitsamts-Maid. Ich hatte zu gehorchen, widrigenfalls - -
-
Da konnte mir auch mein grosser und geschätzter Landsmann
Götz von Berlichingen nicht mehr helfen. Ich erwirkte also
einen Befehl des britischen Stadtkommandanten, mich hinfort
in Ruhe [S.226] zu lassen. Es war glücklicherweise ein
literarisch gebildeter Kommandant, der mich vor den Proleten
in Schutz nahm.
[Ankunft von Lagerfreund Gerd]
Ein paar Wochen später klingelte es abends an der Haustür.
Mein Freund Gerd, ein Rheinberger Lagerfreund, der noch nach
Belgien verschleppt worden war, fiel mir um den Hals. Er war
Berliner, konnte als solcher nicht heimkehren und hatte
deshalb meine Wohnung als Heimat angegeben. Jetzt stand er
da, hielt mich an der Hand, konnte vor Schlucken und Weinen
nicht sprechen.
Meine Frau und meine Tochter sahen ihn und sich etwas ratlos
an. Na ja, dachten sie wohl, die beiden haben schwere Tage
zusammen erlebt. Wir würden vielleicht auch weinen.
Schliesslich fasste sich Gerd, wurde feierlich, dankte mir
wie einem Schutzheiligen. Ich sei es ja doch gewesen, der
ihm in Rheinberg das Leben im Camp D gerettet habe. Das
behauptete er. Er sei an der Ruhr erkrankt, und ich hätte
ihn ans Tor geschleppt, damit ihn der amerikanische
Krankenwagen fände und mitnähme. Ich sei immer wieder selbst
zusammengebrochen vor Schwäche, hätte ihn halb getragen,
halb gezerrt und geschleift, bis ich es geschafft gehabt
hätte. Und beinahe hätten mich die Amerikaner selbst
aufgeladen, weil ich so erschöpft dagelegen hätte.
Es ist ja sehr schön, wenn einem solche Werke erzählt und
gedankt werden. Nur, ich wusste nichts mehr davon, damals
nicht, als Gerd es mir in die [S.227] Erinnerung zurückrief,
und auch heute weiss ich es nicht. Ich glaube ihm natürlich,
aber nicht die geringste Spur ist in meinem Gedächtnis
vorhanden. Nun, es mag auch manch anderem Menschen so
ergehen, dass er unzurechnungsfähig ist, wenn er seine
besten Taten vollbringt. Das bewahrt ihn vor der
Selbstzufriedenheit und vor dem geistigen Hochmut.
[Der zerstörte Dom von Hannover - der Rosenstock blüht]
Es hat dann eine Weile gedauert, bis ich wieder zum Dom
ging. Ich wusste ja, die Ostapsis war durch eine Luftmine
gespalten. Sandsteinquader, flüssiges Blei und glühende
Kupferplatten hatten den Tausendjährigen Rosenstock
versengt, verbrannt, begraben, erstickt. Das heilige Symbol
der Stadt war vernichtet. Wie anders sollten wir dieses
Zeichen deuten, als dass es mit unserer Zukunft vorbei war?
Ich kletterte über Trümmer- und Schutthalden, über die
aufgerissenen Gräber der Bischöfe. Was war übriggeblieben
von karolingischer, ottonischer und salischer Herrlichkeit?
Eine schwankende Hochwand, ausgebrannte Türme. Aber der
zweigeschossige Kreuzgang war leicht zu restaurieren. Die
Apsis konnte abgetragen und wiederaufgebaut werden. An ihre
Rundung hatte sich ehedem die Tausendjährige Rose gelehnt.
Ich kann nicht mehr sagen, wie lange ich davorstand,
ungläubig zuerst, noch nicht ganz erholt von einem
grässlichen Traum. Aber was ich sah, war doch wahr.
Der Tausendjährige hatte den stürzenden Steinen [S.228] und
dem feurigen Metall getrotzt. Er hatte neue Triebe zur
Apsis-Rundung ausgestreckt. An den Fingern konnte man die
blass-rosa Sterne abzählen. Aber er lebte. Er blühte
[S.229].
Quellen
Fotoquellen
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