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Der Friedensvertrag von Versailles, der kein Friede war
3. Die Formulierung "Schadenersatz" / "Reparationen" für den 1.Weltkrieg an der Friedenskonferenz von Paris 1918-1919
von Michael Palomino (1994 / 2005 / 2010)
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aus: Dr.Wilhelm Ziegler: Versailles; Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg 1933.
1918
Schadenersatz: Die Reparationsfrage erscheint genau geregelt gemäss "14 Punkten"
-- Grundsatz durch die "14 Punkte": "Die Räumung und Wiederherstellung der besetzten Gebiete"
-- Auslegung der Alliierten: "dass Deutschland für allen durch seinen Angriff zu Wasser und zu Lande und in der Luft der Zivilbevölkerung der Alliierten und ihrem Eigentum zugefügten Schaden Ersatz leisten solle."
-- folgende Richtlinien:
1. nur Ersatz für Schäden, welche der Zivilbevölkerung der Alliierten, aber nicht Militärpersonen oder öffentlichem Eigentum zugefügt war
2. Schadenersatz nur in der Höhe des Schadens, nicht in der höhe der Neuaufwendungen
3. Es können nur Staaten Anspruch auf Reparationen erheben, die von dd "angegriffen" worden waren
4. Gebietsabgrenzung: Nur die von Deutschland besetzten Gebiete können Anspruch auf Schadenersatz und Wiederherstellung stellen (S.151).
11.2.1918
Schadenersatz:
Ergänzung Wilsons: "Es soll keine Annexionen, keine Kontributionen, keine Schadenersatzansprüche als Strafe geben."
(S.151)
England und Frankreichs Intrigen zur Kriegsentschädigung
-- die Entente-Mächte versuchen von Anfang an, auf Schleichwegen Kriegsentschädigungsansprüche durchzusetzen (S.151), nicht nur der Schaden an der Zivilbevölkerung, sondern eine richtig grosse "Kriegsentschädigung" für allen Aufwand des Krieges (S.152)
-- Anwendung aller möglichen Advokatenkünste, mit Kunststücken juristischer Akrobatik
-- das geheime Ziel wird schlussendlich erreicht, das Kapitel der Fabrikation der Reparationsbestimmungen des Friedensvertrags wird die grösste "Schiebung" im internationalen Rechtsleben, die bis 1933 in der Geschichte vorkommt (S.151)
-- demgegenüber sind Affären wie der Panama-Skandal oder der Kreugerkonkurs "harmlose Durchstechereien" (S.152).
23.1.1919
Schadenersatz: Einsetzen der Kommission für Schadensersatzansprüche
(S.152)
25.1.1919
Schadenersatz: Gründung von drei Unterkommissionen für Schadensersatzansprüche auf Initiative von Lloyd Georges-- erste Unterkommission soll die Frage des zu bezahlenden Betrags behandeln für jedes einzelne feindliche Land
-- zweite Unterkommission soll die Zahlungsfähigkeit der Feinde untersuchen
-- dritte Unterkommission soll die Methoden der Geldeintreibung, der Form der Zahlung und des Zeitraums der Zahlung untersuchen (S.152)
-- Bildung von Expertenzirkeln in den Kommissionen, die ihre Berichte den Staatsoberhäuptern abgeben (S.153).
Mitte März 1919ca.
Schadenersatz: Resultate der Subkommissionen
Erste Unterkommission zur Bilanzierung des geforderten Schadenersatz-- schärfste Gegensätze: Franzosen und Engländer wollen die zivile Wiedergutmachungspflicht in eine Ersatzpflicht für die Kriegskosten umfälschen, Wortführer: französischer Finanzminister Klotz, der gemässigte Loucheur und der australische Premierminister Hughes
-- Widerstand der Amerikaner, "amerikanischer" Finanzexperte John Foster Dulles, appelliert an Respekt vor der Verantwortlichkeit gegenüber Wilson, Clémenceau, Lloyd Georges und Orlando (S.152).-- ein Bericht über die Kategorien der Schäden
-- ein Bericht über die Methoden der Abschätzung
-- keine Zahlenangaben möglich, da keine Einigung (S.153).
Die zweite Unterkommission zur Zahlungsfähigkeit der Feinde ohne Resultat
muss ihre Arbeit aufgeben, da keine exakten Unterlagen für die Schätzungen der deutschen Zahlungsfähigkeit vorhanden sind, so lange die territorialen Bedingungen nicht feststehen (S.153).
-- Lloyd Georges spricht von Schulden von 480 Mia. Goldmark
-- der französische Finanzminister Klotz prahlt von Hunderten von Milliarden Goldmark, ohne eine Ziffer auch nur angesehen zu haben, sein Motto: "Le boche payra tout" - "Der Deutsche bezahlt alles!"
-- Clémenceau über Klotz: Klotz sei der einzige Jude, der nichts von Finanzdingen verstehe, denn das ganze Volksvermögen Deutschlands wurde auf 300 Mia. Goldmark geschätzt, und die Behauptungen von Klotz bewegen sich wie im luftleeren Raum
-- bei der Feststellung der deutschen Zahlungsfähigkeit sind die französische und englische Seite auf Ziffern wie 100 Mia. Reichsmark eingestellt, aber die effektive deutsche Zahlungsfähigkeit liegt weit darunter (S.154).
Die dritte Unterkommission über Methoden der Geldeintreibung, Form der Zahlung und Zeitraum mit provisorischem Bericht
-- nur ein provisorischer Bericht möglich
-- Vorschlag: Errichtung einer interalliierten Finanzkommission für deutsche Schulden (S.153).20.3.1919
Schadenersatz: Rat der 4: Finanzbericht der Expertenteams: "die Vernunft": 10-30 Mia. $-- Bericht der Expertenteams der Hauptmächte von Norman Davis ("USA"), E.S. Montague (England) und Louis Loucheur (Frankreich)
-- der Bericht schildert sehr genau die Tatsachen und Notwendigkeit der Vernunft (S.153)
-- Aufwerfen der Frage, was Deutschland bezahlen kann:
"Die Frage dreht sich daher ausschliesslich darum, wieviel kann von Deutschland gespart werden, wenn sein Import auf das Wesentliche beschränkt wird, und wie sehr lässt sich die Aufnahmefähigkeit der Welt steigern."
-- im Bericht selbst sind sich widersprechende Zahlen vorhanden: Es sollen 10-20 Mia. $ in 20-30 Jahren bezahlt werden, am Schluss des Berichts wird aber eine Gesamtsumme der Forderung von 30 Mia. $ empfohlen, zur Hälfte in deutscher Währung zu bezahlen (S.153).
Die Wirkung des Berichts: kaum Wirkung
-- denn die reaktionären Kräfte England und Frankreich setzen sich durch
-- Loucheur wie Montague werden fallen gelassen
-- die Arbeit des Rat der 4 in Finanzfragen kann beginnen, Suche nach einem gangbaren Weg (S.154).
24.3.1919
Schadensersatz: "amerikanisches" Memorandum zu den Prinzipien: keine Endsumme - Vorschlag einer Sonderkommission-- keine Endsumme genannt
-- Vorschlag einer Kommission im Friedensvertrag, die innerhalb bestimmter Zeitgrenzen Vollmacht haben soll zu bestimmen, was Deutschland im Verlaufe bestimmter Perioden zu bezahlen habe (S.156).
29.3.1919
Schadenersatz: Wilson will hart an "14 Punkten" festhalten
-- Diskussion
-- nochmals Rücksprache mit den Experten
-- Versuch einer fachmännischen Erledigung
-- Wilson will keine Kriegskosten entschädigen:
Wilson an House:"Ich finde, dass wir mit unserer Ehre daran gebunden sind, das geforderte Einverständnis zur Einbeziehung der Kriegskosten in die Reparationen abzulehnen [...] Wir sollten uns distanzieren und, wenn nötig, öffentlich distanzieren, nicht wegen der offensichtlichen Ungerechtigkeit, sondern aus dem Grunde, weil dies einwandfrei unvereinbar mit dem ist, was wir freiwillig den Feind erwarten liessen und jetzt als ehrliche Männer nicht abändern können, nur weil wir die Macht dazu haben." (S.155)
Schadensersatz: Lloyd Georges Entwurf für radikale Geldforderungen: 600 Mia. RM
-- die Deutschen müssten aufgefordert werden, den Vertrag für Schadenersatzansprüche und Pensionen zu bezahlen, "was er sie auch immer kosten möge" (S.156)
-- Höhe der Schadenersatzverprlichtung in Georges Entwurf: "30 Mia. Pfund = 600 Mia. Reichsmark" (S.156-157)
-- ist das Doppelte des gesamten geschätzten Volksvermögens (S.157).
Wilsons Reaktion: Sonderkommission zur Summe und Zahlungsfrist bilden: die "Hohe Reparationskommission"
-- die französische Seite ist zustimmend
-- die "amerikanische" Delegation verlangt zusätzliche Bedingungen:
"dass die geforderten Zahlungen in einer nicht über 30 Jahre hinausgehenden Reihe erfolgen sollen und ganz allgemein auf einer Basis der billigermassen zuerkannten Zahlungsfähigkeit der feindlichen Staaten beruhen müssten." (S.157)
31.3.1919
Schadensersatz: Denkschrift von Smuts: Pensionen für "Schäden der Zivilbevölkerung"
-- Smuts, südafrikanischer Premierminister und General
-- Smuts bringt es fertig, die Pensionszahlungen der Alliierten an Kriegsgeschädigte und Kriegshinterbliebene in das Schema der "Schäden der Zivilbevölkerung" zu integrieren (S.155)
->> Wilson gibt langsam nach (S.155).
1.4.1919
Schadensersatz: Einigung der englischen und "amerikanischen" Seite auf die Bedingungen für die "Hohe Reparationskommission"
-- Anerkennen einer Undurchführbarkeit, "völlige Reparationen für alle derartige Verluste und Schädigungen zu leisten
-- die Alliierten und Assoziierten Regierungen verlangen jedoch, dass die Feindstaaten bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit Kompensationen für sämtliche der Zivilbevölkerung der alliierten und assoziierten Mächte und ihrem Eigentum durch den Angriff der Feindstaaten "zu Lande, zu Wasser und aus der Luft zugefügten Schaden leisten"
-- die "amerikanische" Seite weicht von ihrem Standpunkt erheblich ab
-- keine Begrenzung der Zahlung mehr auf 30 Jahre
-- keine Grenze der Zahlungsfähigkeit, sondern der Leistungsfähigkeit
-- es ist der Urtext des späteren entscheidenden Artikels 232 des Versailler Diktats (S.157).
5.4.1919
Schadenersatz: Rat der 4: Vorlegen eines "gemeinsamen" Entwurfs - die "US"-Position gegen die Pensionen kippt-- die englische Delegation rückt vom Entwurf von Lloyd George ab, wahrscheinlich aus Angst, dass Frankreich sonst am Ende den Vertrag nicht unterschreiben werde
-- die Tagung findet im Zimmer neben Wilsons Krankenzimmer statt (S.157)
-- House gibt nun den Engländern und Franzosen nach:
-- Verzicht auf eine Zeitgrenze für die Zahlungen
-- Verzicht auf die Einschränkung der deutschen Reparationspflicht: Verzicht auf die Formulierung "bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit"
-- House übersieht im Streben nach Übereinstimmung mit George und Clémenceau wesentliche Eckpunkte
-- House im Laufe der Diskussion:
"Mir scheint, M.Clémenceaus Beschluss kommt dem amerikanischen Vorschlag sehr nahe."
-- Norman Davis hält dagegen: "Er [der jetzige Beschluss] bedeutet eine radikale Abweichung von den Prinzipien, für die wir uns in den letzten drei Monaten eingesetzt haben."
-- alle wichtigen Fragen werden offen gelassen, keine Festlegung einer Summe noch einer Verteilung
-- fest steht einzig, dass die Ansprüche nicht aufgegeben sind
-- man hat eine "raffinierte Fassade von Vokabeln" errichtet, die die wahre Absicht verschleiern sollte: die Feststellung von Deutschlands Wiedergutmachungspflicht in horrender Höhe
-- gleichzeitig wird festgestellt, dass die Hilfsmittel Deutschlands für eine volle Wiedergutmachung nicht ausreichen, späterer Paragraph: Artikel 232
-- Anlage I ist entscheidend: beschreibt die "Schäden der Zivilbevölkerung", gemäss dem Beschluss einschliesslich
Militärpensionen
Unterstützungen an Kriegsgefangene
Schäden aus jeder Art von schlechter Behandlung von Kriegsgefangenen durch die Feinde
-- eine Schadensumme soll durch eine zu bildende "Reparationskommission" (S.158) genannt werden, die spätestens bis zum 1.5.1921 bestimmt werden soll (S.159), Artikel 233, eine Art Blanko-Wechsel, der als politisches Instrument zwei Jahre lang gebraucht werden konnte (S.159)
Die Reparationskommission mit diktatorischen Befugnissen
-- die Reparationskommission bekommt diktatorische Befugnisse zur Feststellung der "Finanzlage und Finanzgeschäfte" und zur Feststellung der "laufenden Erzeugung von Rohstoffen und gewerblichen Erzeugnisse"
-- die Reparationskommission gleicht einem Konkursverwalter für das "Deutsche Reich", das unter Zwangsverwaltung gestellt wird
-- einen Verteilungsschlüssel gibt es nicht, der Vertragstext spiegelt eine festgelegte Verteilung vor in Art.237, in Wahrheit wird er erst im Juli 1920 auf der Konferenz in Spa festgelegt bzw. ausgeknobelt, was der "amerikanische" Senatsausschuss als "incorrect" taxiert (S.159).
6.4. 1919
Schadenersatz: Wilson stimmt dem Entwurf zu den Reparationen vom 5.4.1919 im Krankenbett zu
mit Einwilligung in die Forderung von Pensionen (S.159).7.4.1919
Schadenersatz: Zustimmung von House zum Entwurf zu den Reparationen vom 5.4.1919
mit Einwilligung in die Forderung von Pensionen (S.159).8.4.1919
Rat der 4: 1.Sitzung nach Wilsons Krankheit
(S.151)
Schadenersatz: Wilson stimmt dem Entwurf zu den Reparationen vom 5.4.1919 nochmals zu
-- Tardieu zu dem Ergebnis: Er spricht in stolzer Genugtuung von "réparation intégrale", ("vollständige Reparation"
-- die "amerikanische" Delegation meint, man könne ja später die Summe festlegen, die Deutschland zahlen könne, und somit werde Deutschland schon nicht überfordert werden
-- die "amerikanische" Delegation nimmt an, dass auch "Amerikaner" in der Reparationskommission vertreten sein werden (S.159)
-- der "amerikanische" Experte Norman H.Davis prophezeit Populismus und Agitation gegen hohe Reparationen:
"Es ist äusserst wahrscheinlich, dass der auf ein unwilliges Volk ausgeübte Zwang, eine Generation lang zu arbeiten, um eine grosse Schuld abzutragen, Unruhe erzeugen wird, die durch Agitation, diesen Zwang abzuschütteln, den Frieden der Welt erneut stören könnte. Und das kann auch mit der Zeit auf das Weltgewissen eine Wirkung ausüben, die auf die Alliierten zurückfallen wird." (S.160)
ab 8.4.1919
Schadenersatz (S.151): Wilson ist gekippt und befürwortet Reparation für Pensionen-- Wilson verleugnet z.T. fanatisch seine bisherigen Standpunkte (S.155)
-- Wilson nimmt die Pensionen für Kriegsverwundete als "Schaden an der Zivilbevölkerung" in den Katalog der Reparationen auf
-- Wilson muss seine "amerikanischen" Delegierten überzeugen
-- Wilson berücksichtigt die fatale Lage von Lloyd Georges und Clémenceau im finanziellen Bereich
-- geschätzte Summe der Pensionen: 60 Mia. Goldmark, der grösste Posten der Reparationen (S.156)
Streit um die Gesamtsumme der Reparationen
Die Regierungschefs und Aussen- bzw. Finanzminister leben in dieser Frage wie auf verschiedenen Planeten (S.156).
Juli 1920
Konferenz von Spa zu den Reparationszahlungen
Festlegen der Verteilungsschlüssels zu den Reparationszahlungen (S.159).
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