9g. Granada
[Yusuf Ibn Nasr in Granada - mit einem Bündnis mit
Ferdinand III. in Córdoba]
Yusuf Ibn Nasr, Kleinherrscher aus Arjona, hatte den
kastilischen König Ferdinand III. 1236 bei der
Einnahme Cordobas unterstützt und bekam dafür freie
Hand in Granada, das er in seinen Besitz brachte. Das
Königreich umfasste immerhin die Küste von Almería bis
Tarifa und schloss somit das wichtige Gibraltar ein.
1246 erkannte Ferdinand Ibn Nasr offiziell als
Herrscher über Granada an - der Beginn des letzten
Kapitels muslimischer Herrscher in Spanien, das 250
Jahre später geschlossen werden sollte.
Ibn Nasr war vollkommen klar, dass es keinen
sinnvollen Widerstand mehr gegen die überlegenen
Reiche aus dem Norden geben konnte und unterzeichnete
einen Vasallenvertrag, denn nichts andere war das
[S.198] Abkommen von 1246. Die muslimische Enklave
Granada erkaufte sich seine Existenz durch
Tributzahlungen und Dienstleistungen, vollkommen
abhängig von der Gunst des christlichen Lehnsherrn.
Trotz aller riesigen äusseren Schwierigkeiten
leisteten sich die Herren von Granada ständige interne
Streitigkeiten, die nur deshalb kein früheres Ende
herbeiführten, weil es die christlichen Herrschaften
zu dieser Zeit auch nicht viel besser machten.
Letztere hatten auch keine Eile, die Kuh namens
Granada zu schlachten, solange sie noch reichlich
Milch gab.
[Die Schaukelpolitik Granadas mit Ferdinand und
Islamisten in Afrika gleichzeitig]
Das zunehmend in Gefahr geratende Granada sah sich in
Nordafrika, Ägypten und Istanbul nach Bundesgenossen
um und vollführte eine gewagte Schaukelpolitik.
Inzwischen kontrollierten die in Tunis regierenden
Hafsiden den lukrativen Handel aus Innerafrika nach
Spanien und unterhielten enge Handelsbeziehungen zu
Kastilien und Barcelona. Diese wollte man nicht durch
Abenteuer aufs Spiel setzen - Granada war nur noch
lästig.
[
Das Ende von Granada und die Gründe:
Schaukelpolitik, Piraten und Osmanen]
Von ausschlaggebender Bedeutung für das Ende des
letzten muslimischen Reiches in Spanien war die Heirat
Ferdinands von Aragon mit Isabel von Kastilien im
Jahre 1469, die zehn Jahre später in die
Zusammenlegung der Königreiche und damit in die
Vereinigung Spaniens mündete.
Umgehend wurde mit der Eroberung von Festungen und
Städten des Königreichs Granada begonnen, bis die
Truppen Ferdinands und Isabels 1491 vor den Toren
Granadas selber standen.
[[Genau im selben Jahr war Kolumbus auf
seiner Fahrt, um "neues Land" zu suchen. Es wird
spekuliert, dass er ein von Königin Isabella
verfolgter Jude war]].
Nach traditioneller Meinung habe die strenggläubige
Katholikin Isabel Ferdinand aus religiösen Gründen zur
Eroberung Granadas getrieben. Tatsächlich aber sah
Ferdinand die Situation aus einem machtpolitischen
Blickwinkel und hatte lange auch aus finanztechnischen
Gründen - sprich Tribute, die bis zu 50% des
Staatshaushaltes ausmachten - eine Entscheidung
hinausgezögert. Seine Gründe für die Liquidierung der
Enklave waren nüchterner Natur: Granada hatte
fortwährend muslimischen Piraten in seinen Häfen
Zuflucht gewährt und die Tributzahlungen gingen auch
zunehmend schleppend ein. Das Beunruhigendste war aber
die wiederholte Kontaktaufnahme mit der neuen
Schreckensmacht im Osten, den Türken [[Osmanen]]. Die
"Türkengefahr" war das grosse Thema der Zeit, und sie
schien durchaus immanent zu sein, denn als 1481 eine
osmanische Expedition in Süditalien landete, war die
Panik so gross, dass der Papst aus [S.199] Italien
floh. Die Türken entwickelten sich zu einer ernsten
Bedrohung und man konnte sich in Spanien keinen
Bündnisfall auf eigenem Territorium leisten. Das war
das Ende Granadas.
Aber es war ein Ende, zu dem es in der Geschichte
nicht viele Parallelen gibt: Die Bedingungen
Ferdinands waren so günstig, dass Emir Abu Abdallah
gar keine andere Wahl hatte, als sie anzunehmen. Am 2.
Januar 1492 übergab er die Schlüssel der Stadt an das
spanische Königspaar.
Ihm und den Bewohnern von Granada, die zum Schluss
fast ausschliesslich aus Muslimen bestanden, sagte
Ferdinand Wahrung des Besitzstandes und persönliche
Unversehrtheit zu. Wer abziehen wollte, konnte das
ungehindert tun, seinen Besitz mitnehmen oder ihn ohne
Einschränkung innerhalb von 2 Jahren veräussern. Fast
alle Vermögenden entschieden sich für letztere Option
und verliessen Spanien als wohlhabende Leute in
Richtung Marokko. [117]
[117] Auf einer sanften Anhöhe südlich von
Granada, die einen letzten Blick auf die Stadt
gewährt, tat der letzte muslimische Herrscher
Spaniens der Legende zufolge den "Seufzer des
Mohren". Ein Autobahnschild macht darauf aufmerksam.
Granada bleibt unzerstört - Konstantinopel
wurde zerstört - Edikt zur Zwangsbekehrung in
Grandada, Kryptomuslime und Flucht
Überschwänglich wird allenthalben die Architektur,
Kultur und Kunst der Alhambra, der Burg Granadas,
gepriesen, die unversehrt in die Nachwelt gelangte. 39
Jahre zuvor erlitt eine Stadt von unvergleichlich
höherer architektonischer, kultureller und
kunsthistorischer Bedeutung ein ganz anderes
Schicksal: 1453 eroberte Sultan Mehmed II.
Konstantinopel. Kaiser Konstantin XI. kam nicht in den
Genuss ähnlicher Bedingungen, wie sie Emir Abdallah
von Granada erhalten hatte, er endete unerkannt in
einem Massengrab. Mehmeds Truppen richteten ein
Blutbad und Zerstörungen unvorstellbaren Ausmasses an,
von denen nur ein paar mauern und ein als Grossmoschee
geeignetes Gebäude für die Nachwelt übrigblieben. Die
ganze damalige Welt hatte darüber Entsetzen gepackt,
und sicher hatte Abdallah [[in Granada]] diese
Ereignisse vor Augen, als er die Stadt [[Granada]]
übergab.
Mit der Kapitulation Granadas war die Zeit des
Islamischen Reiches auf spanischem Boden endgültig zu
Ende, aber noch nicht die Geschichte der [S.200]
Muslime. Bereits 1507 wurde ein Edikt zur
Zwangsbekehrung erlassen: Allen erwachsenen Muslimen
blieb nur noch die Wahl zwischen Taufe und Emigration.
Komplikationen traten aber dadurch ein, dass der Islam
für seine Anhänger die "taqiyya" vorsieht, die
gezielte Verstellung. Wie sollte man also bei den
verbliebenen Muslimen zwischen einem echten
Konvertiten unterscheiden und einem, der sich
lediglich verstellte, einem "Kryptomoslem"?
[[Dieselbe Taktik der Verstellung gilt für
verfolgte Kryptojuden]].
[[Nun sollten also die falschen Moslem-Konvertiten
herausgefunden werden, und Jesus-Fantasie-Spanien
richtetre die Inquisition mit Folter und Rufmord
ein]]:
Auch für diese Aufgabe nahm in Spanien 1529 das "Santo
Oficio", die Heilige Inquisition, ihre Arbeit auf.
Ihre Arbeit war an der Zeit gemessen keineswegs
grausam [118],
[118] Bei 10 Prozent der Anklagen wurde
ein Verfahren eröffnet. 30% der Verfahren endeten
mit Freisprüchen, bei weniger als 2% wurde die
Todesstrafe verhängt. Freiheitsstrafen konnten
Galeerendienst, aber genauso gut Hausarrest bedeuten
und waren gewöhnlich auf 3 Jahre beschränkt. Die
berüchtigten Verbrennungen auf den so genannten
Autodafes waren bis auf ganz wenige Ausnahmen "in
effigie", also Verbrennungen von Strohpuppen. Bei
Folterungen waren etwa Knochenbrüche und dauerhafte
Verstümmelungen untersagt. Die spanische Inquisition
war einem umfangreichen Regelwerk verpflichtet,
staatliche Stellen gingen weitaus radikaler vor.
[[Die Realität mag wohl anders als die Regeln
ausgesehen haben: brutale Morde durch Rufmorde und
Pogrome etc.]].
aber sie war bemerkenswert uneffektiv. Als Konsequenz
wurden 1609 die letzten 100.000 Morisken (Muslime) aus
Spanien ausgewiesen. Es wird kontrovers diskutiert,
welchen Schaden Spanien damit erlitten hat oder nicht.
Man kann jedoch umgekehrt feststellen, dass Nordafrika
kein signifikanter Nutzen daraus entstand [S.201].