|
|
4. Einzelne deutsche Institutionen in der Stadt
Magisterarbeit im Fach Mittlere und Neuere Geschichte im Rahmen der Magisterprüfung an der
Philosophischen Fakultät der Universität Köln. Gutachter: Prof. Dr. M.Alexander
Abschrift: Michael Palomino (2000)
Teilen: |
Facebook |
|
Twitter
|
|
|
4.1. Polizei und SS
In der Organisation der Polizei- und SS-Kräfte sind drei Phasen zu unterscheiden. Die erste - ungefähr bis Mai 1942 -, ist gekennzeichnet durch das Bemühen, von der Improvisation wegzukommen und geeignete Organisationsformen zu finden. Nach einer Phase relativer Ruhe bis Sommer / Herbst 1943 ist die letzte Zeit dann stark von Versuchen geprägt, die Rolle der SS in "Weissruthenien" zu stärken. Zudem galt es, auf zunehmende Verfallserscheinungen angemessen zu reagieren.
Am auffälligsten sind diese Einschnitte bei der Dienststelle des "Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD in Weissruthenien" zu beobachten. Sie war die unterste mit Kommandogewalt über alle Polizeiorgane ausgestattet Instanz (1. Justiz IX 11) und führte ihre Aktionen zumeist in Eigeninitiative aus, da ihre Unterstellung unter den SSPF nur sehr locker blieb (vgl. Kapitel 2.1.). Aus den Einsatzgruppen hervorgegangen, übernahm sie auch deren Aufgaben: ihre Angehörigen trugen alle SS- oder SD-Uniformen.
(2. Ebenda. Dies galt auch für die der Dienststelle angehörenden Fachbeamten und dienstverpflichteten Kräfte; vgl. Justiz IX 12).
Der provisorische Charakter der Anfangszeit wird besonders deutlich an Hand des organisatorischen Aufbaus der Dienststelle: Sie war in drei Abteilungen (Verwaltung, SD, Gestapo / Kripo) ohne straffe Geschäftsverteilung eingeteilt; verschiedene "Führer" beschäftigten sich ressortübergreifend mit einzelnen Aufgabenfeldern. So waren beispielsweise nacheinander Kriminalkommissar Kurt Burkhardt und sein Kollege Erich Lütkenhus für Judenangelegenheiten (S.46) zuständig (3. Justiz XIX 187).
Am Ende der ersten Phase hatte die Dienststelle im Frühjahr 1942 mit 130-150 Mitgliedern ihre endgültige Personalstärke erreicht (4. Justiz XIX 188). Ihr neuer Chef Strauch (zu den Stelleninhabern siehe Tabelle 1) ging nun dazu über, die analog dem Aufbau des RSHA in klar getrennte Abteilungen mit verantwortlichen Leitern zu gliedern:
Abteilung I: Personalwesen
Abteilung II: Wirtschaftsangelegenheiten
Abteilung III: SD
Abteilung IV: Gestapo
unterteilt in:
Referat IVa: Bekämpfung von Spionage, Sabotage und Wirtschaftsdelikten, Betriebsabwehr, Erkundung der Partisanenbewegung
Referat IVb: Juden- und Polenangelegenheiten
Abteilung V: Kriminalpolizei
(5. Justiz XIX 187. Im Laufe des Jahres 1942 wurde aus dem Referat Iva ein Referat Ivn ausgegliedert, das sich nur mit der Erforschung der stärker werdenden Partisanenbewegung beschäftigte).
Doch nicht nur organisatorisch blieb der KdS in erster Linie seinen Berliner Vorgesetzten - also dem RSHA - verpflichtet. Auch in Konfliktfällen stand er zumeist auf deren Seite. Besonders Eduard Strauch verstand sich als Heydrichs Mann in Minsk. Exemplarisch wird dies in den Auseinandersetzungen um die aus Deutschland deportierten Juden deutlich. Er war hier der exponierteste Vertreter einer bedingungslosen Vernichtungspolitik und (S.47)
beschwerte sich wiederholt in Berlin über die angeblich judenfreundliche Haltung namentlich Generalkommissar Kubes (6. Heiber 86-91). Er selbst sorgte im Frühjahr 1942 gegen massive Einwände für die Wiederaufnahme der Eisenbahntransporte und Hinrichtungen.
(7. Zu den Einwänden Janetzkes und Kubes nach der ersten Deportationswelle vgl. deren Schreiben an Rosenberg bzw. Lohse vom 3.1.42 und 16.12.41, BA R90/146 512/513 und 558/559. Die Federführung des KdS bei der zweiten Deportationswelle vom Mai bis Oktober 1942 ist dargestellt in Justiz XIX 192-196).
Wesentlich einfacher war der Aufbau der Ordnungspolizei, deren erste Kräfte im September 1941 in der Stadt eintrafen.
(8. Minsker Zeitung vom 26.6.42, 3.8. und 13.8.42. Vorher waren einige dem HSSPF Russland-Mitte direkt unterstellte mobile Ordnungspolizei-Regimenter in Minsk stationiert gewesen).
Sie war in die Gendarmerie für die ländlichen Bereiche und die Schutzpolizei für die Städte Minsk und - eventuell - Baranovitsche eingeteilt. Jede Gliederung wurde von einem Kommandeur geführt, der in der ersten Phase häufig wechselte (vgl. Tabelle 1). Da dem Kommandeur der Schutzpolizei neben seinen eigenen Leuten auch die Wachmannschaften des Minsker Stadtgefängnisses (9. Prozess 208) und wahrscheinlich auch der umliegenden Lager unterstanden, führte er, um diese Kompetenzen institutionell zusammenzufassen, den Titel "SS- und Polizeistandortführer Minsk". (10. Die Benennung ist zuerst nachweisbar in der Minsker Zeitung vom 23.5.42).
Das Hauptproblem der Ordnungspolizei war von Anfang an der Personalmangel. So war schon die Militärverwaltung auf die Mithilfe "fremdvölkischer Freiwilliger" angewiesen (S.48)
gewesen. Sie händigte diesen sowjetische Waffen und Armbinden mit der Aufschrift "Ordnungsdienst der Stadt Minsk" aus (11. Minsker Zeitung vom 26.6.42. Zu dieser Truppe vgl. auch Kapitel 3.2).
Diese Truppe wurde von zwei dem KdO untersthenden russisch sprechenden Polizeioffizieren übernommen, die sie bis November 1941 um weitere ukrainische und weissrussische Einheiten ergänzten (12. Justiz XVII 511, 528-530). Diese waren dann als Schutzmannschaftsbataillone 46, 47 und 48 in einer Kaserne nördlich der Oper einquartiert (13. Ebenda). Sie wurden von baltischen Unterführern befehligt und erhielten eigene schwarze Uniformen (14. Minsker Zeitung vom 26.6.42). Ausbildung, "Siebung" und Disziplinierung dieser "Hilfswilligen" stellten in den folgenden Jahren eine organisatorische Hauptaufgabe der personell schwachen deutschen Ordnungspolizei dar.
(15. Im übrigen erhielt auch der KdS im Februar 1942 "fremdvölkische" - in diesem Fall lettische - Hilfswillige, die vermutich aus dem SK 1b stammten, Justiz XVII 531).
In den beiden ersten Phasen hatte zwischen den Kommandeuren der Sicherheitspolizei und den SS- und Polizeiführern eine Art Arbeitsteilung bestanden: Während erstere - auch auf Anweisung des RSHA - die treibende Kraft insbesondere bei den "Judenaktionen" darstellten (16. Dies gilt besonders für Eduard Strauch), übernahmen letztere die Aussenvertretung, d.h. trugen die mit der Zivilverwaltung entstehenden Konflikte aus. Dies Bild änderte sich mit der Ernennung des SSPF Curt von Gottberg zum Generalkommissar nach Wilhelm Kubes Tod im (S.49)
Tabelle 1: Die Ämter von SS und Polizei und ihre Inhaber17 Amt Amtszeit Amtsinhaber SSPF 12.8.1941 - 21.7.1942 Carl Zenner18
Juli 1942 - Nov. 1942 Walter Schimana
ab November 1942 Curt von Gottberg19 KdS:20 3.12.1941 - Anfang/Mitte März 1942 Regierungsrat Walter Hofmann21
März 1942 - Juni 1943 Dr. Eduard Strauch
30.6.1943 - Okt. 1943 Dr. Erich Isselhorst
Okt. 1943 - April 1944 Dr. Erich Ehrlinger
ab April 1944 Heinrich Seetzen KdO bis Ende 1941/Anfang 1942 Sokolowski
Ende 1941/Anfang 1942 - März 1942 Herf
ab März 1942 von Heimburg22 KdSchupo bis Januar 1942 Krumbiegel
ab Januar 1942 Bendzko23
(S.50)
17. Vgl. Krausnick 639-644; Birn 75; Justiz XVII 510-511.
18. Bis 1.9.41 trug die Dienststelle die Bezeichnung "SSPF im rückwärtigen Heeresgebiet 102", Justiz XVII 510.
19. Seit dem 21.6.1944 unter dem offiziellen Titel "HSSPF Russland-Mitte und Weissruthenien", Birn 75.
20. Ab Oktober 1943 wurde die Dienststelle in "Befehlshaber der Sipo und des SD Russland-Mitte und Weissruthenien" umbenannt, Justiz XIX 186.
21. Zwar war schon am 3.12.41 Eduard Strauch zum KdS ernannt worden, er konnte aber wegen einer Verletzung seinen Dienst erst verspätet antreten. Hofmann war sein Vertreter, Justiz XIX 186. Der genaue Zeitpunkt des Wechsels ist unklar, es werden der 11.3.42 (Ereignismeldung UdSSR Nr. 19, BA R58/221 65) oder ein Tag zwischen dem 16. und 25.3.42 (Justiz XIX 186) genannt.
22. Hier bleibt allerdings ungewiss, ob von Heimburg dieses Amt tatsächlich bis zum Ende bekleidete, ebenso ist der März als Antrittsdatum nur durch Herfs Aussage im Minsker Prozess belegt, Prozess 204.
23. Auch hier bleibt unklar, ob Bendzko dieses Amt bis zum Ende innehatte.
September 1943 grundlegend (24. Gottbergs Ernennung ging auf ein Bündnis von SS und Ostministerium zurück, Birn 235).
Die Initiative ging nun eindeutig auf ihn über. Von Gottberg verfolgte eine Politik, die die Stärkung des eigenen Handlungsspielraumes zum Ziel hatte. Das Mittel dazu bildete die Aufwertung der Besatzungsinstitutionen des "weissruthenischen" Gebietes. Im Zuge dieser Bemühungen wurde der "KdS Weissruthenien" im Oktober in den "BdS Russland-Mitte und Weissruthenien" umgewandelt, nachdem von Gottberg selbst schon vorher faktisch das Amt eines "HSSPF Russland-Mitte" bekleidet hatte.
(25. Offiziell erfolge die Ernennung erst am 21.6.44, jedoch übte von Gottberg diese Funktion praktisch schon vorher als ständiger Stellvertreter des als Chef der Bandenkampfverbände beschäftigten von dem Bach aus, Birn 75,235. Zur Aufwertung der Zivilverwaltung unter von Gottberg vergleiche das folgende Kapitel).
Unter dem Druck der näher rückenden Front und der ständig wachsenden Widerstandsbewegung sah er sich gezwungen, Versuche zur Effektivierung des Polizeiapparates zu unternehmen, zumal die eigene Personaldecke immer dünner wurde. Konkret sollten "Polizeikommandeure" die untere, lokale Ebene schlagkräftiger machen.
(26. Birn 236. Für Minsk-Stadt wurde Polizeioberinspektor Jahrens auf diesen Posten beordert, BA R70/236).
Bevor diese Massnahme greifen konnte, hatte die Rote Armee Weissrussland allerdings schon befreit. Bereits am 27.Juni 1944 begann die Räumung der Minsker Polizeidienststellen. (S.51)
(27. Auszug aus dem Tätigkeitsbericht der Gruppe Pol. (Abtl. IVa) des HSSPF Russland-Mitte und Weissruthenien, BA R70/SU 128).
4.2. Die Zivilverwaltung
4.2.1. Das Generalkommissariat
Das "Generalkommissariat Weissruthenien" (GKW) war zwar als die der Stadtverwaltung formal vorgesetzte Instanz nicht unmittelbar für die städtischen Belange zuständig, es regierte jedoch in vielen Bereichen direkt in die Minsker Angelegenheiten hinein. Dies lag einerseits daran, dass das Herrschaftsgebiet des Generalkommissars immer recht klein blieb
(28. Ein Grossteil des für "Weissruthenien" vorgesehenen Gebiets gelangte nie unter die Kontrolle des GKW, vgl. Kapitel 2.2. und Dallin 212. Zudem kontrollierten Partisanen den gesamten ländlichen Raum).
und so ein sehr grosser Teil seiner Aufmerksamkeit auf die Hauptstadt Minsk konzentriert wurde. Andererseits verfügte die Stadtverwaltung weder über das Personal noch die Kompetenz, bestimmte Massnahmen durchzuführen, so dass der Generalkommissar auch aus diesem Grunde selber tätig werden musste.
(29. Vgl. den Bericht Kubes über die "Wehrertüchtigung der Deutschen in Weissruthenien" vom 11.8.42, in dem es heisst: "Die Arbeit erstreckte sich nicht nur auf die Stadt Minsk,..., wobei die Stadt Minsk natürlich mit dem Generalkommissariat einheitlich zusammenarbeitete", BA R6/27 67).
Es erscheint daher sinnvoll, zunächst einmal den Aufbau dieser Behörde zu betrachten.
Leiter der Zivilverwaltung von Weissruthenien war mit dem Titel Generalkommissar vom 1.September 1941 bis zu seiner Ermordung am 22.September 1943 der ehemalige Gauleiter der Kurmark Wilhelm Kube. Sein Nachfolger wurde Curt Gottberg, dem es am 1.April 1944 gelang, das GKW vom RKO unabhängig zu machen (30. Dallin 233/234; Heiber 68). (S.52)
Die Dienststelle des GKW war in sogenannte Hauptabteilungen (HAbt.) gegliedert (vgl. Tabelle2).
(31. Diese waren wiederum in Abteilungen, Referate oder Ämter unterteilt. Eine Liste von 1944 nennt 5 bis 14 Untergliederungen pro Hauptabteilung, Fernsprechverzeichnis GKW 1944, BA R93/11).
Allerdings unterstanden nur die HAbt. I und II ausschliesslich dem GKW. In HAbt. III sassen die Vertreter es Wirtschaftsstabes Ost, von deren Sonderstellung schon oben die Rede war. Die HAbt. IV unterstand seit August 1942 vollständig der Organisation Todt (32. Franz W.Seidler: Die Organisation Todt, Koblenz 1987, 18).
Eine Sonderstellung nahm ebenfalls die Propagandaabteilung ein. Institutionell war diese Abteilung zwar zunächst Teil des GKW, im Laufe des Jahres 1943 wurde sie aber dem Propaganda- ministerium direkt unterstellt (33. Handrack 33; Dallin 188. Der entsprechende Führererlass datiert vom 15.8.43).
Für die Konzeption und Bereitstellung der Materialien war Goebbels' Ministerium ohnehin von Anfang an zuständig gewesen. In Minsk war bereits Anfang 1943 der vom Propagandaministerium wegen Unfähigkeit heftig angegriffene Amtsleiter Scholz [Schulz?] entlassen worden.
(34. Scholz wurde vermutlich im ersten Halbjahr 1943 abgelöst, ein Bericht vom 1.6.43 erwähnt schon seine Versetzung. Scheinbar scheint sie nichts mit dem Konflikt zwischen Ostministerium und Propagandaministerium zu tun gehabt zu haben, sondern beruhte eher auf erwiesener Unfähigkeit, vgl. ProMi: Leiter Ost an Personalabteilung, 1.6.43, BA R55/1310 34. Scholz' Nachfolger wurde ein gewisser Dr. Fischer, der 1944 ebenfalls abgelöst wurde, im Räumungsbericht firmiert ein gewisser Eschenhagen als Propagandaamtsleiter, Abschluss- und Räumungsbericht der deutschen Verwaltung im GKW, Bd.I: GKW und Gebk. Minsk-Land, BA R6/363).
Sein (S.53)
Stellvertreter war der Pressereferent des GK, Schröter (35. Fernsprechverzeichnis GKW 1944, BA R93/11). All dies zeigt, wie prekär die vordergründig starke Stellung des Generalkommissars war, wie wenig institutionelle Absicherung sie letztlich gewährte. Zumindest Wilhelm Kube gelang es nie, wirklich Herr über die Abteilungen seiner eigenen Dienststelle zu werden.
(36. Die Gründe hierfür liegen zum einen in der strukturellen Schwäche seiner Dienststelle, die ohne eigene Exekutive blieb und deren Kompetenzen durch Sondervorrechte rivalisierender Funktionsträger zusätzlich eingeschränkt wurden. Zudem war Wilhelm Kube als Person nie in der Lage, seinen Kontrahenten - vor allem Eduard Strauch - wirksam entgegenzutreten und sich eine fähige, durch persönliche Loyalität verpflichtete Hausmacht aufzubauen).
Tabelle 2: Die Dienststelle des Generalkommissariats Weissruthenien (GKW) a) 1941 bis Anfang 1943 Leiter HAbt. I (Verwaltung) Landrat Reuscher HAbt. II (Politik) K.F.Jurda (ab 1942 Eger) HAbt. III (Wirtschaft) Freitag HAbt. IV (Technik) Hartwig
b) ab Anfang 1943
HAbt. I (Politik) Reuter (später Robert Bauer) HAbt. II (Verwaltung) Dr.Kaiser (ab Ende 1943 Dr.Täske, ab April 1944 Dr.Lübbe) HAbt. III (Wirtschaft) Freitag HAbt. IV (Arbeit) Osbelt
(S.54)
Sein Nachfolger von Gottberg - eher an einer Stärkung seiner eigenen Organisation, der SS, interessiert - schwächte die Behörde dann noch dadurch, dass er ihr Herzstück, die HAbt. I (Politik) ab Dezember 1943 führungslos liess und sie im April 1944 gar zu einem ihm unmittelbar untergeordneten "Politischen Führungsstab" ohne eigenen Leiter umformte.
(37. Generalkommissar in Minsk, Abt. V1, Lagebericht vom 18.4.44, BA R6/289).
Die vertikale Gliederung des GKW sah unter dem Generalkommissariat in einem eingleisigen Instanzenzug - also einer Zusammenfassung der verschiedenen Fachverwaltungen in einer Behörde - Hauptkommissariate, Gebiets- bzw. Stadtkommissariate, Kreisälteste und als unterste Instanz Gemeindeälteste vor. Die Einsetzung von Hauptkommissaren ist umstritten.
(38. Krausnick 420 und Handrack 62 gehen davon aus, dass sie zumindest zeitweise existiert hätten; andere Autoren bestreiten dies, vgl. Otto Bräutigam: Überblick über die besetzten Ostgebiete des Zweiten Weltkrieges, Tübingen 1954, 14; Justiz XVII, 509. Hauptkommissare waren wohl eher für den Fall gedacht, dass das GKW eines Tages wirklich das gesamte vorgesehene Territorium umfassen würde. Dann wäre die Einteilung Generalkommissariat - Gebietskommissariate zu grob gewesen und hätte eine Zwischenstufe erfordert).
Zumindest für den Bezirk Minsk scheint (S.55) kein Hauptkommissar ernannt worden zu sein. Von ihm existieren keinerlei Unterlagen; in einem Verzeichnis von Anfang 1942 ist die Spalte "Hauptkommissariat Minsk" durchgestrichen, der designierte Amtsinhaber Eger wurde zum Hauptabteilungsleiter II ernannt
(39. Generalbezirk Weissruthenien, Übersicht über die Leitungsfunktionen von Anfang 1942, BA R43II/685 80).
In späteren zeitgenössischen Darstellungen taucht der Posten nicht mehr auf.
(40. Vgl. Dr.Kaiser: Erprobte deutsche Verwaltung, in: Minsker Zeitung vom 1.9.1943).
In Minsk folgte also auf den GK als nächsttiefere Verwaltungseinheit unmittelbar der Stadtkommissar.
Nachdem das Generalkommissariat anfangs im "Haus Potsdam", einem ehemaligen Erholungsheim, in dem sich auch schon die Feldkommandantur befunden hatte, untergebracht worden war (41. Minsker Zeitung vom 20.2.43), bezog es schliesslich im "Hochhaus" Quartier. Die Zahl der "reichsdeutschen" Beschäftigen erhöhte sich nur unwesentlich von 265 im Oktober 1942 auf 324 Anfang 1944.
(42. "Zahl der reichsdeutschen Gefolgschaftsmitglieder", 17.10.42, BA R90/361, Fernsprechverzeichnis GKW 1944, BA R93/11).
4.2.2. Das Stadtkommissariat
Der Stadtkommissar von Minsk - in einigen Quellen auch Gebietskommissar Minsk-Stadt genannt - war die unterste Instanz der Zivilverwaltung in der Stadt. Ihm unterstanden (S.56)
nicht, wie den anderen Gebietskommissaren, Gemeinde- und Kreisverwaltungen (43. Minsker Zeitung vom 1.9.43).
Mit dem Beginn der Zivilverwaltung wurde zunächst der vom Feldkommandanten eingesetzte einheimische Bürgermeister Dr.Tumasch durch Regierungsrat Dr. Kaiser ersetzt. Dieser war bis zum 9.November 1941 in Personalunion Gebietskommissar von Minsk-Land und Stadtkommissar der weissrussischen Hauptstadt.
(44. Verzeichnis der Haupt- und Gebietskommissariate des GKW, 1.10.41, BA R90/272).
Der Grund für diese Übergangslösung war, dass der als Stadtkommissar von Anfang an vorgesehene Wilhelm Janetzke erst verspätet in Minsk eintraf (45. Justiz XVII 535). Janetzke blieb bis Ende September/Anfang Oktober 1943 in diesem Amt.
(46. Die letzte Erwähnung Janetzkes als Stadtkommissar findet sich in der Minsker Zeitung vom 27.9.43, sein Nachfolger Becker taucht dort erstmalig am 16.10.43 auf).
Nach dem Tod seines Protegés Kube wurde er, gegen den besonders die SS Vorbehalte hatte (47. Heiber 82/83), durch Regierungsrat Becker ersetzt, der bis zur Räumung Minsks Stadtkommissar blieb.
(48. Der Stadtkommissar Minsk: Abschlussbericht über die Räumung der Stadt Minsk, BA R6/364 3-24 (fortan: Abschlussbericht).
Die Dienststelle war in Fachverwaltungen unterteilt. Deren Struktur und personelle Ausstattung war durch zwei Faktoren bestimmt: Zum einen genossen die Interessen der Deutschen stets Priorität gegenüber den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung. Zum anderen ergaben sich eine Reihe von Anforderungen an die Zivilverwaltung aus dem Stellenwert Minsks als wichtiger Verkehrsknotenpunkt und (S.57) Nachschubbasis für die mittlere Ostfront.
(49. W.Janetzke: 15 Monate Stadtverwaltung in Minsk, Minsker Zeitung vom 6./7.12.1942 (fortan: Janetzke).
Eine dieser Notwendigkeiten war die Wiederherstellung der baulichen und versorgungstechnischen Infrastruktur, soweit sie den Besatzungserfordernissen diente. Das hierfür in erster Linie zuständige Stadtbauamt verfügte über drei Abteilungen: Hoch- und Tiefbau, Strassenbau und Stadtreinigung (50. Minsker Zeitung vom 15.9.42) ihm waren ausserdem die Stadtwerke angeschlossen.
(51. Minsker Zeitung vom 19.5.43. Als Leiter dieser wichtigen Behörde wird SS-Obersturmbannführer Radke genannt).
Ihr Aufgabengebiet erstreckte sich von der Säuberung und Instandhaltung der Strassen, der Registrierung, Reparatur und Verwaltung von Gebäuden - zunächst für die Bedürfnisse der Wehrmacht - und der Erstellung eines Stadtplanes bis zur Wiederinbetriebnahme des Wasser- und Abwassernetzes, was allerdings nur in sehr geringem Umfang gelang.
(52. Minsker Zeitung vom 15.9.42, 6./7.12.42 und 1.9.43. Fliessendes Wasser gab es zumindest für einige wenige deutsche Dienststellen und Unterkünfte ab Sommer 1942, vgl. Minsker Zeitung vom 29.4.42).
Nachdem der öffentliche Nahverkehr zunächst aus einem von der Reichsbahn betriebenen Buspendelverkehr auf nur einer Strecke bestanden hatte, eröffneten die Stadtwerke im Mai 1943 eine Strassenbahnlinie, die von Deutschen und Einheimischen benutzt werden konnte (53. Minsker Zeitung vom 19.5.43).
Die Stadtverwaltung war von Anfang an bemüht, die der Besatzungsmacht interessanten ökonomi- schen Ressourcen nutzbar zu machen. Entsprechend der in Kapitel 2.1. geschilderten wirtschaftspo- litischen Konzeption des (S.58) Krieges gegen die UdSSR konnte es zwar nicht um den Wieder- oder Neuaufbau eines breiten Industriepotentials gehen: eine begrenzte Infrastruktur von Rüstungs-, Reparatur- und Lebensmittelwerken erschien aber dessenungeachtet sinnvoll. Die Rolle des Stadtkommissariats lag hier anfangs in der "treuhänderischen" Verwaltung von Industriebetrieben; später wurden diese an Monopolgesellschaften oder Einzeltreuhänder übergeben (54. Janetzke; vgl. Minsker Zeitung vom 10.9.42). Investitions- bereiten Unternehmern wurde durch die Bereitstellung von Fabrikanlagen, Baumaterial und Einrichtungsgegenständen geholfen.
(55. Vgl. das Beispiel der Tabakfabrik Raulino und Co. in der Minsker Zeitung vom 8.9.42).
Eine zentrale Rolle in der Wirtschaftspolitik spielte die Erfassung und Steuerung der Arbeitskräfte. Zu diesem Zweck wurde am 1.Oktober 1941 das städtische Arbeitsamt gegründet. Es war zunächst damit befasst, die einheimischen Arbeitskräfte zu registrieren und mit Arbeitsausweisen zu versehen. Wurde man zunächst mit einer grösseren Zahl Arbeitsloser konfrontiert - am 1.10.41: 25.000 -, so stellte sich schon bald ein Arbeitskräftemangel ein.
(56. Minsker Zeitung vom 10.7.42. Leiter des Arbeitsamtes war bis 30.6.42 Schulz, der dann Referent für den Arbeitseinsatz beim GKW wurde. Sein Nachfolger war Regierungsoberinspektor Moos, der wiederum zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt von Dr. Planetorz abgelöst wurde, ebenda; Abschlussbericht 20).
Dem versuchte man einerseits durch schärfere Kontrollen in den Betrieben (Janetzke) andererseits durch Gründung "weissruthenischer" Selbstverwaltungs- körperschaften abzuhelfen. Diese sollten z.B. das einheimische Handwerk organisieren und so für höhere Leistung bei weniger Personaleinsatz sorgen. Wie jede andere Dienststelle konnte das Arbeitsamt bei einem Büro (S.59)
im Ghetto auch jüdische Arbeitskräfte anfordern (58. Loewenstein 711; Justiz IX 14).
Die Ansammlung wichtiger Institutionen des Besatzungsregimes machte es unabdingbar, dass zumindest die elementare Versorgung der Stadt sichergestellt wurde. Dies sollte in enger Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen geschehen. Die Versorgung der "Reichsdeutschen" erfolgte bis 1.Oktober 1942 aus Wehrmachtsbeständen (59. Minsker Zeitung vom 13.8.43), die durch erbeutete sowjetische Vorratslager ergänzt wurden; dazu kamen die Erträge von in der Nähe gelegenen Kolchosen, die der Stadt zur Sicherung der Ernährungsbasis zugeteilt worden waren (60. Ereignismeldung UdSSR Nr.92, BA R58/217 246). Ab 1.10.1942 war dann eine private Grosshandelsfirma für die Versorgung zuständig. Das städtische Wirtschaftsamt übernahm jetzt die Ausgabe von Lebensmittelkarten.
(61. Die Karten wurden in ihrer endgültigen Form an Einheimische ab Oktober 1942 ausgegeben, nachdem schon seit Ende September 1941 vereinzelt primitive Lebensmittelmarken ausgeteilt wurden. Bei den Deutschen begann die Ausgabe Ende September 1942, die Umstellung war aber im November noch nicht abgeschlossen. Die <karten waren bei den Deutschen unbeliebt, da sie eine Verschlechterung der Verpflegungssätze bedeuteten, Janetzke; Mitteilungen aus den besetzten Ostgebieten Nr.29, BA R58/699 21).
Die durch sie sichergestellte Bezugsmenge an Nahrungsmitteln war für die "Reichsdeutschen" knapp bemessen, aber durchaus ausreichend. Zudem konnte sich diese Bevölkerungsgruppe zusätzliche Lebensmittel auf dem "Schwarzen Markt" beschaffen. Die Zuteilungen an die Volksdeutschen waren demgegenüber kleiner; die Volksdeutsche Betreuungsstelle liess ihrer Klientel allerdings Sonderzuteilungen in Form von Lebensmitteln und Bekleidung zukommen (Janetzke) (S.60)
Die Versorgung der einheimischen Bevölkerung war demgegenüber eine Aufgabe, bei der die Stadtverwaltung völlig versagte. Besonders in den Wintermonaten entstanden prekäre Situationen. Die vom Wirtschaftsamt ausgegebenen Lebensmittelmarken waren so bemessen, dass sie unter dem Existenzminimum lagen; auch die Betriebskantinen und Speisesäle konnten die Not nur unwesentlich lindern.
(63. Vgl. Kapitel 5.1.1. Die Stadtverwaltung war auch für die Versorgung des Ghettos zuständig, Justiz IX 14).
Die übrigen Ämter des Stadtkommissariates hatten für die deutsche Besatzungspolitik eine deutlich geringere Bedeutung. Erwähnt seien hier das Kultur- und Bildungsamt, das u.a. für das Schulwesen zuständig war (Janetzke) das Veterinär- und Sanitätsamt (65. Minsker Zeitung vom 19.11.42) das Standesamt,
(66. Es existierte ein deutsches und ein weissrussisches Standesamt, Minsker Zeitung vom 2.6.42 und 26.6.42).
das Meldeamt
(67. Diese Behörde scheint erst im Laufe des Jahres 1943 gegründet worden zu sein, vgl. Minsker Zeitung vom 12.9.43).
und das Steueramt (68. Minsker Zeitung vom 7./8.3.43).
Die Finanzierung der städtischen Ausgaben erfolgte zunächst durch einen Kredit der Reichskreditkasse von 50.000 RM, bevor vorübergehend Gewinne aus wieder in Gang gesetzten Betrieben Haupteinnahmequelle wurden. Schliesslich wurden diverse Steuern erhoben, Ende 1942 waren dies: "Lohnsteuer von Arbeitnehmern, Einkommens- und Gewerbeerlaubnissteuer von Gewerbetreibenden und einigen freien Berufen, Umsatzsteuer auf den Verkauf von Waren der Fabrikationsbetriebe, Gewinnabführung der (S.61)
Fabrikationsbetriebe, Gebäudesteuer, Grundsteuer, Kinosteuer." (69. Janetzke). Die Finanzlage normalisierte sich allerdings nur langsam, der erste Haushaltsplan für die Zeit vom 1.4. bis 30.9.42 wies einen Fehlbetrag von 252.218,29 RM auf (70. ebenda).
4.2.3. Deutsche Führungsverwaltung und einheimische Hilfsverwaltung
Hatte man auf Seiten der deutschen Zivilverwaltung anfangs durchaus erwogen, eine - natürlich strikt kontrollierte - selbständige weissrussische Zivilverwaltung aufzubauen, so gab man diesen Plan sehr schnell wieder auf.
(71. Handrack 61; Vortrag RR Jungwirth beim GKW vom 8.4.43, BA R93/20 1497 (fortan: Jungwirth).
Ausschlaggebend war der Mangel an zuverlässigen, fachlich geeigneten Kollaborateuren, besonders im altsowjetischen Gebiet, nachdem der Rückgriff auf polnische Verwaltungsspezialisten, wie ihn die Militärverwaltung praktiziert hatte, politisch inopportun geworden war. Andererseits zwang die schwache personelle Basis des Ostministeriums dazu (72. Für das GKW vgl. Krausnick 329), Einheimische Verwaltungsaufgaben zu übertragen. Die Lösung fand man in der sogenannten "gemischten Verwaltung,
(73. Erlass des GKW betr. Verwaltung im Bez. Weissruthenien vom 12.10.42, BA R58/699 18/19)
d.h. der Beschäftigung von einheimischen Kräften in der deutschen Verwaltung. Damit beschritt man einen gänzlich anderen Weg als die Militärverwaltung, die versucht hatte, eine eigenständige weissrussische Administration aufzubauen. Das Personal wurde mit einer gesicherten Lebensmittelversorgung (S.62)
angeworben.
(74. Ereignismeldungen UdSSR Nr. 92, BA R58/217 246)
Allerdings gelang es nicht, die deutsche Verwaltung weitestgehend von allen exekutiven Aufgaben zu befreien und zu einer reinen "Führungs- verwaltung" (75. Jungwirth 1497) zu entwickeln. Insbesondere die Gebietskommissariate waren weiterhin stark belastet, da sich die ihnen untergeordneten, nur mit Weissrussen besetzten Kreis- und Gemeindeverwaltungen als nicht sehr leistungsfähig erwiesen (76. Jungwirth 1497/1498).
In Minsk unterschied sich die Situation insofern von den anderen Gebieten, als dass hier unter dem Stadtkommissariat keine weiteren Verwaltungsebenen vorhanden waren. Hier wurden die Weissrussen folglich in die einzelnen Ämter integriert. Sie konnten bis zu Abteilungsleitern aufsteigen (77. Abschlussbericht 13).
4.3. Die Partei und ihre Gliederungen
Die Gründung der NSDAP erfolgte im Generalkommissariat Weissruthenien im Juni 1942, offenbar auf Anregung Rosenbergs.
(78. Minsker Zeitung vom 28./29.6.42; Bericht Kube vom 11.8.42, BA R6/27 67 (fortan: Bericht).
Die vertikale Gliederung erfolgte analog der Zivilverwaltung:
(79. Es fällt auf, dass die Untergliederungen z.T. andere Bezeichnungen erhielten als ihre Entsprechungen im Reichsgebiet).
- dem Reichskommissariat entsprach die Landesleitung
- dem Generalkommissariat die Bezirksleitung
- dem Gebiets- oder Stadtkommissariat die Gebietsleitung (S.63)
- und der Rayonverwaltung die Abschnitte, später Ortsgruppen.
(80. Den Minsker Ortsgruppen wurden keine lokalen Bezeichnungen gegeben, sie erhielten mit der Geschichte der Bewegung in Zusammenhang stehende Namen, z.B. "Leo Schlageter", "Potsdam" oder "Horst Wessel", Minsker Zeitung vom 15./16.11.42, 26.11.42 und 30.7.43).
Die Funktionsträger der Zivilverwaltung erhielten das ihrem Rang entsprechende Parteiamt,
(81. So war Stadtkommissar Janetzke gleichzeitig Gebietsleiter der NSDAP Minsk-Stadt, der GKW gleichzeitig Bezirksleiter, Minsker Zeitung vom 10.4.43 und 9.11.43).
die Arbeit wurde dabei aber von ihren Stellvertretern verrichtet.
Horizontal war die Bezirksleitung in "Hauptarbeitsgebiete" eingeteilt, von denen Ende 1943 sechs existierten: Schule/Erziehung, Organisation und Propaganda, Personal, Arbeits- und Sozialpolitik, Frauenführung und Volkswohlfahrt (NSV), der auch die Gemeindestationen, die Verwundeten- betreuung und der Bahnhofsdienst unterstanden. Daneben verfügte die Bezirksleitung über eine Stabskanzlei und einen Kassenwart.
(82. Minsker Zeitung vom 29.10.43. Die Referate für Volksdeutsche, Siedlung und Völkerschaften unterstanden vermutlich dem "Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums", vgl. Minsker Zeitung vom 11.7.42).
Die einzelnen Dienststellen befanden sich offensichtlich in den Privatwohnungen der Amtsinhaber (83. Für die Frauenführung vgl. z.B. Minsker Zeitung vom 2.2.43), ein zentrales Barackenlager der Bezirksleitung gegenüber dem "Hochhaus" befand sich Ende 1943 erst im Rohbau (84. Minsker Zeitung vom 9.11. 43). Auf der Ebene der Gebietsleitung erledigte - zumindest in Minsk-Stadt - ein Geschäftsführer, in dessen Wohnung sich auch die Geschäftsstelle (S.64) der NSDAP befand, die laufende Arbeit.
(85. Bei einem Wechsel des Geschäftsführers wurde also auch die Geschäftsstelle verlegt, Minsker Zeitung vom 1.7.43).
Der Parteigründung ging zeitlich die der SA voran. Bereits im November 1941 begann man mit der Registrierung der Mitglieder von SA, SS, Nationalsozialistischem Kraftfahrerkorps (NSKK) oder anderen Gliederungen (86. Bericht 67). Es wurden dabei alle Zivilangestellten erfasst. Im Gegensatz zum Reich kam es allerdings nur zur Gründung einer Organisation, der sogenannten Wehrmannschaften, in denen alle Gliederungen zusammengefasst wurden. Die Reichsbahner stellten den zahlenmässig grössten Teil dieser Formationen: Von den im Juli 1942 existierenden drei "Wehrmannstürmen" waren allein zwei aus Reichsbahnern gebildet worden.
(87. Minsker Zeitung vom 9.7.42. Die von Kube genannte Zahl von 8 Stürmen für den April 42 scheint sich auf das ganze GKW bezogen zu haben, Bericht 67).
Ihre Leitung übernahm bis zur Gründung der Partei ein "SA-Beauftragter des Generalkommissars".
(88. Minsker Zeitung vom 9.7.42. In der Bezirksleitung erhielten die Wehrmannschaften ein eigenes Referat, Minsker Zeitung vom 11.7.42).
Die paramilitärischen Einheiten wurden in Minsk vor der Parteiorganisation gegründet. Dies liegt vermutlich darin begründet, dass den Verantwortlichen die Lösung von auf erstere zugeschnittene Aufgaben am dringlichsten erschien. Neben der Notwendigkeit der militärischen Ausbildung in dem unruhigen Land stand vor allem die Vermittlung des Zusammengehörigkeitsgefühlt im Mittelpunkt. Hierfür bot sich die SA auch deshalb an, weil viele Deutsche in Minsk schon sehr lange, z.T. schon vor (S.65) 1933, der SA angehörten (89. Bericht 67). Sie waren also bereits mit deren Sitten vertraut. "Wo Deutsche marschieren, formt sich Kameradschaft", formulierte die Minsker Zeitung (90. Minsker Zeitung vom 21./22.3.43). Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen zu wecken, sie "zusammenzuschweissen".
(91. So der stellvertretende Bezirksleiter Wurster bei einem Vortrag mit dem Thema "Die Aufgaben der Partei im Osten", zitiert nach der Minsker Zeitung vom 21./22.3.43)
war erste Aufgabe der Partei. Wie schon aus dem Reich bekannt, wurden die entsprechenden Aktivitäten stets mit Beeinflussungsversuchen - von den Nationalsozialisten euphemistisch "Schulung" genannt - gekoppelt. In der Praxis waren beide Bereiche nur schwer zu trennen. Die Partei übernahm "Erziehung und Betreuung" gleichermassen.
(92. Minsker Zeitung vom 14.7.42. Dies galt neben den Wehrmannschaften vor allem für die Saalveranstaltungen, die z.T. schon als "Grossschulungen" angekündigt wurden, Frauenführung Weissruthenien an Frauenführung Ostland vom 20.2.43, BA R6/229).
Der weitergehende Anspruch, eine Klammerfunktion zwischen den bei verschiedenen Dienststellen beschäftigten Deutschen auszuüben, setzte voraus, dass die Partei in der Lage war, Konflikte zu schlichten und Beschwerden nachzugehen. Beides scheint indes kaum gelungen zu sein. In den Auseinandersetzungen der Dienststellen untereinander spielte die NSDAP keine Rolle, auch die Behebung kleinerer Mängel gelang ihr nur mühsam. Es fehlte offenbar an Autorität. (S.66)
(93. Vgl. z.B. die Durchsetzungsschwierigkeiten der Frauenführung, insbesondere in ihrem Bemühen um eine bessere Organisation der Kantinen, Frauenführung Weissruthenien an Frauenführung Ostland, BA R6/229. Diese mögen auch damit zusammenhängen, dass es kaum hauptamtliche Parteiangestellte gab).
Dies galt beispielsweise für den Bereich der "Frauenführung". Es gelang dieser nie, eine wirkliche Interessenvertreterin aller in Minsk eingesetzten Frauen zu werden. So verlagerte sie ihre Aktivitäten auf andere Gebiete: Neben der Betreuung der Wohnheime und dem Angebot von geschlechts- spezifischen Freizeitaktivitäten - Handarbeiten, Basteln, Einrichtung von Büchereien in den Heimen, aber auch Sport
(94. Minsker Zeitung vom 3.12.43. Zum Komplex der Heimbetreuung siehe auch die Schreiben der Frauenführung Weissruthenien an die Frauenführung Ostland vom 10.8.42 und 20.2.43 sowie der Frauenleitung Ostland an die NSDAP-Reichsleitung, Arbeitsbereich Osten, Frauenführung vom 10.3.43, BA R90/229).
- richtete sie mehrere Saalveranstaltungen aus. In ihnen sollte vor allem gezeigt werden, dass frau in Minsk nicht alleine stand, dass es viele Schicksalsgenossinnen gab.
(95. Die Zahl der in Minsk eingesetzten Frauen wird im Februar 1943 mit 850, im März mit fast 1500 angegeben, Frauenführung Weissruthenien an die Frauenführung Ostland vom 20.2. und 20.3.43, BA R90/229).
Frauen waren in der NSDAP aber nicht nur Gegenstand der Betreuung, sie wurden auch zu einigen dem damaligen Frauenbild entsprechenden Tätigkeiten herangezogen. Dies geschah zum überwiegenden Teil ehrenamtlich, wie z.B. beim NSV-Bahnhofsdienst, der kleinere Dienstleistungen für durchreisende Zivilisten übernahm und eine Übernachtungsbaracke führte (96. Minsker Zeitung vom 7.8.43). Ähnliches gilt für die Hilfe bei der Verwundetenbetreuung.
(97. Frauenführung Weissruthenien an Frauenführung Ostland vom 20.2.43., BA R90/229. Trägerin der Verwundetenbetreuung war die NSV, Minsker Zeitung vom 3.12.43).
Die soziale Betreuung der Deutschen in Minsk bildete überhaupt einen weiteren Schwerpunkt der Parteiarbeit. (S.67) Sie wurde massgeblich von der NSV getragen, die zu diesem Zweck in Minsk u.a. eine "NS-Gemeindepflege-Station" unterhielt. Besetzt mit einer ausgebildeten Gemeindeschwester und einigen DRK-Schwesternhelferinnen übernahm sie die Krankenbetreuung und Frauenberatung (98. ebenda).
Teilen:
^