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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Einleitung: Die ersten 15 Jahre 1914-1929 - Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Einleitung. Die ersten 15 Jahre [1914-1929]

(Endnote 1:
Das meiste dieses Einleitungkapitels basiert auf einem nicht publizierten Manuskript von Herman Bernstein: "Die Geschichte der amerikanisch-jüdischen Hilfeleistungen" (orig.: "The History of American Jewish Relief"), geschrieben im Jahre 1928, jetzt in der JDC-Bibliothek. Oscar Handlin: Eine Daueraufgabe (orig.: A Continuing Task) (New York, 1964) und Herbert Agar: Die letzten Geretteten (orig.: The Saving Remnant) (New York, 1960), wurden auch benutzt).

[Palästina 1914: Judenverfolgung - Ruf nach Hilfe von Henry Morgenthau an Jacob H. Schiff: 50.000 $]

Im August 1914 erreichte ein Telegramm das Büro von Jacob H. Schiff, der Chef des Bankhauses Kuhn, Loeb & Co. Es war vom US-Botschafter in der Türkei, Henry Morgenthau, Sr., abgeschickt worden und enthielt die Bitte, dass 50.000  an die Juden in Palästina gesandt würden, die durch Verfolgung und Hunger bedroht seien, wegen der feindlichen Haltung der türkischen Regierenden im Land. Die Auswirkungen des ersten Weltkriegs auf die Juden in Europa und im Mittleren Osten erreichte das amerikanische Judentum.

[Amerikanisch-jüdisches Komitee (American Jewish Committee AJC) 1906 - Jacob H. Schiff organisiert 50.000 $ für Palästina]

Schiff präsentierte die Sache seinen Freunden des American Jewish Committee (AJC), das 1906 gegründet worden war, und das sich nicht nur dem Schutz der jüdischen Zivilrechte und religiösen Rechte in der ganzen Welt widmete, sondern auch "die Folgen der Verfolgung zu lindern und den von Katastrophen betroffenen Juden Hilfe zu eilten, wo immer sie geschehen." Am 31. August wurde das Geld gesammelt, mit Schiff und dem Zionistischen Provisorischen Komitee (Zionist Provisional Committee) (effektiv, Nathan Straus). Beide Teile gaben 12.500 $, und das AJC sprach den Rest von 25.000 $.

[Das Judentum in den "USA": Spanische, portugiesische, deutsche und osteuropäische Juden]

Das amerikanische Judentum war im Jahr 1914 tiefer gespalten als in den kommenden Generationen. Neben der alten Teilung zwischen den Nachkommen der spanischen und portugiesischen (sephardischen) Juden und den deutsch-jüdischen Brüdern (aschkenasisch), waren nun auch innerhalb des deutschen Judentums tiefe Spaltungen - da waren die (S.3)

Mittel- und Oberklasse, die Liberalen, die sich schnell der amerikanischen Lebensart anpassten - und da waren die Massen der osteuropäischen Juden, die erst seit 1882 in der Neuen Welt angekommen waren. Letzter waren in grossem Mass Proletarier oder untere Mittelschicht, und ihre geistige Identität war entweder jüdisch-orthodox oder, im anderen Extrem, sozialistisch und antireligiös. Zwischen den beiden Gruppen gab es sehr wenige Gemeinsamkeiten, ausser dass da ein ungewisses und unklar definiertes Gefühl war, dass man eine gemeinsame Herkunft und einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund hatte, der ihnen mehr bedeuten sollte, als dies aktuell der Fall war.

[Deutsch-jüdische Führung in den "USA"]

Die deutsch-jüdische Führung des amerikanischen Judentums war eine hochgradig menschenfreundliche, intellektuelle Gruppe von Frauen und Männern. Die soziale Elite an der Spitze bestand aus Bankiers, Händlern, Richtern, Anwälten und Ärzten; sie hatten ein gutes Zuhause, waren belesen, waren Schirmherren der Künste und des Sports, unterstützten und förderten eine gut geordnete Demokratie. Ihre Menschenfreundlichkeit war ernsthaft und gut gemeint. Die meisten von ihnen - einige waren bekannte Ausnahmen - hielten einige der religiösen Regeln ihrer Vorfahren ein, oder eher jene davon, die von der jüdischen Reformbewegung nicht aussortiert worden waren. Aber es geschah auch, dass ihnen die Religion weniger bedeutete, je mehr die Zeit fortschritt.

[Deutsche Juden in den "USA" geben europäischen Juden finanzielle Hilfe für die Assimilation]

In einem gewissen Sinn bestand ihre soziale Verpflichtung gegenüber ihren Brüdern (die sie peinlichst als "Glaubensgenossen" bezeichneten, um die Tatsache zu betonen, dass zwischen ihnen nichts als die Religion gemeinsam war, oder Reste davon) aus einer Art vererbtem Wesenszug. Der gemeinsame Charakterzug war in den Ghettos in Deutschland entstanden, die ihre Vorfahren [im 14.-18.Jh.] hatten erleben müssen, wo knapp drei Generationen, bevor Morgenthau an Schiff sein Telegramm sandte, das Leben denselben Typ Juden hervorbrachte, wie er in Osteuropa noch bestand. In ihren Bemühungen, sich "anzupassen", das heisst, Bürger in der Welt zu werden, in der sie lebten, beurteilten sie ihre Hilfe an die Juden als einen Teil eines Ganzen in ihrer Sorge um die Menschlichkeit. Die gemeinsame Vergangenheit gab ihnen eine moralische Pflicht, jenen Juden im zurückgebliebenen Europa zu helfen, damit sie auch die glückliche Stufe der Gleichheit erreichen konnten - und somit auch Wohlstand - den sie auch selbst erlangt hatten. Dies - so erhoffte man sich - würde das Ende des jüdischen Problems der europäischen Juden bedeuten; es wäre dann auch das Ende ihres eigenen (S.4)

Problems als Juden, und es würde sie nicht länger beeinträchtigen. Nun bestand in der Zwischenzeit die Verpflichtung, und es galt, sie ehrenvoll und in Offenheit zu erfüllen.

[Deutsche Juden in den "USA" unterstützen allgemein mehr Projekte der Menschlichkeit als Juden in Europa]

Die Sorge der deutschen Juden in Amerika um die Menschlichkeit generell, und um die Juden im Speziellen, war kein Vorwand; im Gegenteil hatte ihr liberaler Hintergrund und ihre Erziehung in ihnen ein starkes Gefühl für Verantwortung gegenüber den Armen und den Unterprivilegierten entwickelt. Oft überstieg der Anteil ihrer Ausgaben für allgemeine, nicht an Sekten gebundene, geistige Angelegenheiten die Beträge, die für ihre "Glaubensbrüder" ausgegeben wurden; aber sogar dies war Teil ihrer starken, typisch jüdischen Denkweise eines sozialen und moralischen Gebots, das sie als eine Gruppe von anderen reichen Männern in Amerika unterschied. Ihre Betonung auf Nicht-Sektiererei gab ihrem jüdischen Dasein einen speziellen Stellenwert. Sie versteckten das nicht; sie waren sich dessen bewusst, und die meisten von ihnen sahen es ausgesprochen als eine Ehrensache an, diese Denkweise beizubehalten.

[Führer Louis Marshall bis 1929 - das AJC ist in Gruppen gespalten: Zionisten und Antizionisten]

Das American Jewish Committee [AJC] war der organisierte Ausdruck der deutsch-jüdischen, geistigen Aristokratie, der Kultur, und des Geldes. Der Kopf war bis zu seinem Tod der unumstrittene Führer des amerikanischen Judentums, Louis Marshall - ein Anwalt, Staatsmann, und ein Denker. Das AJC, das von ihm geführt wurde, war aber mitnichten homogen, was die politischen Perspektiven betraf.

Da waren Unterschiede, die aus der amerikanischen, politischen Szene herrührten, und auch die Spaltung in Zionisten und Nicht-Zionisten. Die Richter Louis D. Brandeis und Julian W. Mack wurden während des Krieges die Hauptstützen des amerikanischen Zionismus. Andere, speziell Julius Rosenwald, der Chef von Sears Roebuck [eine Ladenkette für Haushaltwaren], folgten der deutsch-jüdischen, liberalen Tradition und sahen im Judentum nur einen religiösen Glauben, und lehnte all die Implikationen einer jüdisch-nationalen Identität ab. Die Mehrheit des AJC tendierte dazu, Marshall in seinem Willen zu folgen, Palästina aufzubauen, dessen grosse, geistige Wichtigkeit in der jüdischen Geschichte sie anerkannten - als ein Platz für Flüchtlinge, nicht notwendigerweise als den Platz für Flüchtlinge, für jene Juden, die dort hin gehen wollten, oder dazu gezwungen wurden.

[Vor 1914: AJC-Führer hoffen, dass der Nationalismus durch Liberalismus verschwinden wird]

Zur gleichen Zeit taten sie alles, was in ihrer Macht stand, um Juden zu helfen, national und rechtlich in ihren Wohhnortsländern gleichgestellt zu werden, so dass sie nie nach einem Flüchtlingsplatz würden suchen müssen. (S.5)

Früher oder später - so hoffte man - würde die gefährliche Idee des Nationalismus insgesamt verschwinden.

[Ergänzung: Der Herzl-Rassismus gegen die Araber
Die jüdischen Führer haben keine Ahnung von der arabischen Existenz, und bis zu diesem Zeitpunkt haben die Araber auch keine Waffen, und der Rassist Herzl gibt in seinem Buch "Der Judenstaat" von 1896 an, man könne die Araber vertreiben wie die Eingeborenen in den "USA", und vielleicht gäbe es dort auch Goldminen auszubeuten wie in Südafrika. Aber ab 1915 sind die Araber durch den Ersten Weltkrieg bewaffnet, und dies wird von der jüdisch-zionistischen Politik nie berücksichtigt. Die "zionistische Bewegung" ist also eine rein rassistisch-kapitalistische Bewegung].

[1914-1918: Durch den Ersten Weltkrieg kommt neuer Nationalismus auf - 10 der 15 Mio. Juden sind vom Krieg betroffen]

Diese Glaubensrichtungen wurden sehr ernsthaft vertreten, und dann folgte die Zeit mit dem Sommer 1914 - als die gesamte Struktur des Liberalismus des 19. Jh. zusammenbrach. Der Zusammenbruch wurde von einer Katastrophe begleitet und traf die jüdische Bevölkerung in den östlichen und südöstlichen Teilen Europas und im Mittleren Osten. Drei Imperien und ein Königreich - Russland, Österreich-Ungarn, Deutschland, und Rumänien [England?] - waren in einen tödlichen Konflikt verwickelt. Von über 15 Millionen Juden weltweit lebten 10 Millionen in diesen Ländern.

[1914-1918: Jüdische Flüchtlinge in Osteuropa zwischen den Fronten]

Innerhalb einer sehr kurzen Zeit wurden 500.000 Juden innerhalb Russlands zu jüdischen Flüchtlingen. Sie wurden von den zaristischen Armeen vertrieben. 400.000 weitere flohen vor den heranrückenden Russen in das Innere von Österreich-Ungarn. Dann überrannten die deutschen Armeen grosse Gebiete des einstmals russischen Polen. Von diesen Vorgängen waren ungefähr 800 Gemeinden und Dörfer betroffen und stark beschädigt, wo Juden lebten, und ungefähr 80.000 jüdische Häuser wurden zerstört.

(Endnote 2: Bernstein: Geschichte der amerikanisch-jüdischen Hilfsarbeit (engl.: History of American Jewish Relief), S.161)

Ausserdem gilt es zu betonen, dass die Aktionen des amerikanischen Judentums durch die alarmierenden Nachrichten, die die USA hinsichtlich des Schicksals der 85.000 Juden in Palästina errreichten, angestossen wurden.

[4. Oktober 1914: Orthodoxe Juden gründen das Zentralkomitee (Central Committee), um leidenden Juden zu helfen]

Die ersten, die agieren mussten, waren die orthodoxen Juden, die meistens aus Osteuropa stammten. Am 4. Oktober 1914 gründeten sie das Zentralkomitee zur Hilfe der notleidenden Juden im Krieg (Central Committee for the Relief of Jews Suffering through the War). Die Hauptdirektoren des Komitees waren Leon Kamaiky, Harry Fischel, Harry Lucas, und Morris Engelman. Aber orthodoxe Juden konnten die Last kaum alleine tragen.

[25. Oktober 1914: Das Amerikanisch-Jüdische Komitee gründet das Amerikanisch-Jüdische Hilfskomitee (American Jewish Relief Committee (AJRC)]

Die Führung des Amerikanisch-Jüdischen Komitees (American Jewish Committee, AJC) berief deshalb ein Treffen von 40 Organisationen ein, das am 25. Oktober 1914 in New York stattfand. Dort wurde ein Komitee der Fünf gewählt: Oscar S. Straus, Louis D. Brandeis, Julian W. Mack, Harry Fischel (vom Zentralkomitee, Central Committee), und Meyer London (von den Sozialisten). Dieses Komitee seinerseits fragte 100 prominente Juden aller Lebensrichtungen, Direktoren für ein neues Komitee auszuwählen: für das Amerikanisch-Jüdische Hilfskomitee (American Jewish Relief Committee, AJRC). Louis Marshall wurde Vorsitzender, Felix M. Warburg wurde Schatzmeister, und Cyrus L. Sulzberger wurde der Sekretär. (S.6)

[27. November 1914: Eine Organisation für die Geldverteilung: Gründung des Vereinigten Verteilungskomitees (Joint Distribution Committee, JDC)]

Im Gegensatz zu den Erwartungen aber entschied die orthodoxe Gruppe am Ende, sich nicht am AJRC zu beteiligen, und so wurde am 27. November 1914 eine andere Körperschaft eingerichtet, um die gesammelten Gelder getrennt von den beiden Komitees zu verteilen. Auf den Vorschlag des neuen Rechnungsprüfers des Komitees, Harriet B. Lowenstein, der Sekretär von Felix M. Warburg, wurde die Verteilungsorganisation Joint Distribution Committee [Vereinigtes Verteilungskomitee] genannt.

[August 1915: Die Sozialisten gründen das Volks-Hilfskomitee (People's Relief Committee) - der "Joint" wird bekannt]

Im August 1915 richteten die Sozialisten eine dritte Körperschaft ein, die mit den anderen zusammenarbeiten sollte, das Volks-Hilfskomitee (People's Relief Committee), unter Leitung von Meyer London, Sholem Asch und anderen.

Mehr als ein halbes Jahrhundert später, auch wenn die drei originalen Komponenten seit langem nicht mehr arbeiten, so bleibt der offizielle Name  American Jewish Joint Distribution Committee; damit wurde ein Tradition etabliert, und keiner würde daran denken, den schwerfälligen Namen zu ändern. "Der Joint" wurde für Millionen Juden zu einem Umgangswort.

[Bitten der jüdischen Kriegsopfer 1914-1918 - 1,5 Mio. $ auf dem Dampfer "Vulcan" für Palästina - der Dampfer "Des Moines" für Palästina]

Die Bitten, die während der Kriegsjahre 1914-1918 an die junge Organisation kamen, waren enorm. In den USA wurden örtliche und staatliche Komitees organisiert, und Sprecher wie Judah L. Magnes, ein Reformrabbiner, Pazifist, Enfant Terrible, und - später - Präsident der Hebräischen Universität in Jerusalem, einer der grossen Redner seiner Zeit, wurden auf Spendensammlungsreise geschickt. Bis zum Ende des Jahres 1915 konnten ungefähr 1,5 Millionen $ aufgebracht werden. Dieses Geld wurde an Bord des Kohlendampfers U.S.S. Vulcan im März 1915 nach Palästina geschickt, zusammen mit 900 Tonnen Lebensmittel und Medizin (55 % kam den leidenden Juden zugute, der Rest wurde auf einer nicht-konfessionellen Basis unter der Aufsicht des amerikanischen Konsuls verteilt).

Nach langer Verspätung erreichte auch ein zweites Gnadenschiff, die U.S.S. Des Moines, im September 1916 Palästina.

[Hilfe für die österreichischen Juden in Russland]

Die Jüdische Hilfsgesellschaft in Russland, EKOPO, erhielt vom Verteilungskomitee JDC Geld, um die Flüchtlinge der Kriegsgebiete zu versorgen, speziell, jene, die von gegnerischen Territorien stammten (d.h. aus Österreich), weil diesen von der zaristischen Regierung verboten worden war, Hilfe von russisch-jüdischen Institutionen zu erhalten.

[Hilfe des Hilfsvereins der deutschen Juden für Juden im deutsch besetzten Polen]

Was das deutsch besetzte Polen angeht, so richtete der Hilfsverein der deutschen Juden einen speziellen Zweig ein, um den betroffenen Juden in diesem Gebiet zu helfen. Sie fungierten als JDC-Vertreter (S.7)

dort bis zum amerikanischen Kriegseintritt im Jahr 1917.

[JDC-Inspektionen zur Kontrolle der Verteilungen]

Das JDC sandte auch Magnes und Dr. Alexander Dushkin nach Polen, um Anschludigungen über eine ungerechte Verteilung der Gelder nachzuprüfen (die zwei Bevollmächtigten beseitigten das Hilfsvereins-Komitee). Beide, die Anschuldigungen und die Untersuchungskomission waren die ersten in einer Reihe ähnlicher Ereignisse während der kommenden Jahrzehnte.

[Präsident Wilson erklärt den 27. Januar 1916 zum Hilfetag für leidende Juden (Jewish Sufferers Relief Day)]

In der Zwischenzeit setzte Präsident Wilson auf Drängen von Freunden der jüdischen Bevölkerung in den USA den 27. Januar 1916 als Hilfetag für leidenden Juden fest (Jewish Sufferers Relief Day). An diesem Tag wurde 1 Million $ gesammelt.

[Sammlung des JDC 1914-1918: Über 16,5 Mio. $ - Spendensammlung von Jacob Billikopf]

Bis Ende 1918 war es dem JDC gelungen, über 16,5 Mio. $ zu sammeln. Dies war durch eine perfekte Spendensammlungstechnik möglich, in weiten Teilen durch die Arbeit von Jacob Billikopf von der Jüdischen Wohlfahrtsgesellschaft von Kansas City (Kansas City Federation of Jewish Charities). Das Geld wurde in den Gebieten des grössten Leids sehr sorgfältig verteilt. Mit dem Fortschreiten des Krieges mussten grosse Summen nach Österreich geschickt werden, und nach 1919 in jene Teile von Rumänien, die erreicht werden konnten.

[Geldversand nach Amerikas Kriegseintritt 1917-1918 durch das neutrale Holland - Boris D. Bogen, Max Senior]

Nach Amerikas Kriegseintritt war das Hauptproblem, wie man das Geld in die Gebiete schleusen konnte, die unter feindlicher Kontrolle standen. Von der Gründung weg bestand das JDC auf seine volle Legalität und auf die Zusammenarbeit mit dem US-Aussenministerium. Jeder Schritt, den es unternahm, "wurde erst nach Absprache mit und mit der Bewilligung der Regierungs-Offiziellen unternommen, speziell bezüglich des US-Aussenministeriums."

(Endnote 3: ebenda [Bernstein: History of American Jewish Relief], S.178)

Mit der Regierungsbewilligung wurde vom Leiter der Holländischen Bank im neutralen Holland ein Komitee gebildet; das JDC sandte Boris D. Bogen und Max Senior aus Amerika, um im dortigen Komitee Vertreter zu haben. Diese Gruppe transferierte das empfangene Geld der USA an holländische, diplomatische Vertreter in den betroffenen Gebieten weiter, die das Geld gemäss den erhaltenen New Yorker Richtlinien via Holland verteilten. Auf diese Weise konnten zwischen Frühling 1917 und März 19198 fast 2 Millionen $ in die deutsch-besetzten Gebiete geleitet werden.

[Ab 1918: Neue Nationalstaaten und neuer Nationalismus lässt die Juden immer zum Opfer werden]

Trotz allen Anstrengungen, speziell in Russland, wurde das JDC am Ende des Krieges mit einem unheimlichen Leid konfrontiert. Allein in Polen waren wahrscheinlich über eine Million Juden ohne ein Zuhause und hungerten regelrecht. Darüberhinaus verursachten die Gründungen der neuen Nationalstaaten - Polen, Litauen, Lettland, Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien, (S.8)

Ungarn und Österreich - und die Bolschewikische Revolution, weitere Verlagerungen und örtliche Kriege. Die jüdischen Minderheiten, die nicht wussten, auf welcher Seite sie jeweils stehen sollten, und die eine wenig beneidenswerte Mittelklasse-Position in diesen nationalen und revolutionär-massenhaften Nachkriegskämpfen einnahmen, wurden bei jeder Verleumdung und Verfolgung jeweils zur Zielscheibe.

[Pogrome in Galizien und Polen - Bürgerkrieg in der Ukraine - Epidemien]

In Ost-Galizien und in Nordost-Polen kam es zu blutigen Pogromen, die von Polen angezettelt wurden. Noch schlimmer war die Lage in der Ukraine, wo Bolschewiken und ihre antisemitischen weissrussischen Gegner um die Macht kämpften. Dabei wurden wahrscheinlich mehr als 200.000 Juden getötet oder starben in den Seuchen in Ostpolen und in der Ukraine; 75.000 weitere wurden verwundet.

[1920-21: Polnisch-sowjetischer Krieg mit jüdischen Opfern]

Das Leid war während des nutzlosen Polnisch-Sowjetischen Kriegs 1920-1921 besonders brutal, der in Gebieten mit grosser jüdischer Bevölkerung ausgetragen wurde.

[1919-1921 Osteuropa: Jüdische Waisenkinder - Tuberkulose - verlassene Gemeinden - verzweifelte Eltern verlassen ihre Kinder]

Die Resultate waren schrecklich. In Polen wurde die Anzahl Waisenkinder nach dem Krieg auf 75.000 geschätzt. In der Ukraine wurde von 200.000 Waisenkindern berichtet. Allein 60 % der überlebenden Kinder in Galizien litten an Tuberkulose. In der Ukraine lagen 500 jüdische Gemeinden verlassen da, und ungefähr eine halbe Million Juden waren wirtschaftlich ruiniert. Die Selbstmordrate schnellte alarmartig in die Höhe, und einige Kinder erlebten es, dass sie von den Eltern vor die Türe von relativ wohlhabenden Leuten abgesetzt und dann von ihren Eltern verlassen wurden, weil diese die Verzweiflung, ein hungerndes Kind zu haben, nicht mehr aushalten konnten.

(Endnote 4: In:
-- Jacob Lestschinsky: Crisis Catastrophe and Survival (London, 1946)
-- Mark Wischnitzer: Die Juden in der Welt (Berlin 1935), S.225)

[Der erste Holocaust 1914-1921 wurde nach 1945 vergessen]

Die Zerstörung des europäischen Judentums während des Zweiten Weltkriegs hat die Erinnerung an den ersten Holocaust im 20. Jh. als Folge des Ersten Weltkriegs ausgelöscht. Aber auch in Begriffen von vor Auschwitz war das Erlebnis schlimm genug.

[1915-1921: Hilfsaktionen durch das JDC - die Amerikanische Hilfsverwaltung (American Relief Administration, ARA) - Herbert Hoover - Boris D. Bogen]

Humanitäre Gruppen wie das JDC versuchten in einer angebrachten Weise zu reagieren. Nach der Klärung einiger Missversändnisse trug das JDC zu den Bemühungen eines 100-Millionen-$-Betrages der American Relief Administration (ARA) under Herbert Hoover bei, das durch den Kongress eingerichtet worden war, um den Leuten in Europa zu helfen. Das JDC steuerte 3,3 Millionen $ bei, und im Gegenzug wurde JDC-Angestellten wie Boris D. Bogen erlaubt, Hilfsmissionen für Juden in Osteuropa als Vertreter des ARA zu unternehmen.

[1915-1921: Aktionen des Joint in Osteuropa: Küchen - Spitäler - Lebensmittelkonvois - Büros - Schulen]

Finanziert durch eine enorme Spendensammlungsarbeit, die insgesamt ein Total (S.9)

von 33,4 Millionen $ für die Jahre 1919-1921 einbrachte, konnte das JDC in grossem Stil Suppenküchen einrichten, Spitäler wiederaufbauen und ausrüsten, Waisenhäuser einrichten, und für Hunderte von Städten und Dörfern in Polen Lebensmittelkonvois auf Lastwagen organisieren. Es wurde ein Fahndungsbüro eingerichtet zur Familienzusammenführung eingerichtet für Familien, die sich wegen des Kriegs und der Krankheiten aus den Augen verloren hatten; das JDC gab Hilfe bei der Wiedereinrichtung von Schulen und höheren Schulungsinstitutionen mit religiöser und weltlicher Ausrichtung.

[1919: U.S.S. Lebensmitteldampfer "Westwar Ho" in Polen - Verteilung von Lebensmitteln an Juden und Polen]

Im Jahr 1919 kam die U.S.S. Westward Ho [ein Dampfer] mit Lebensmitteln in Polen an; die Polen beharrten darauf, dass die Lebensmittel getrennt an Juden und Polen verteilt wurden. Grosse Teile des Geldes wurde an nicht-konfessionelle Missionen auf dem polnischen Land verschickt, weil das JDC Angst hatte, dass Antisemitismus aufkommen könnte, wenn nur Juden versorgt würden (trotz der Tatsache, dass die ARA sich in grossem Stil darum kümmerte, die polnischen Massen von den Nachwirkungen der Feindlichkeiten zu bewahren).

[Juni 1919: Der Joint bekommt die Anerkennung als soziale Agentur in Polen]

Im Juni 1919 arrangierte der US-Botschafter in Polen die offizielle, polnische Anerkennung des JDC als soziale Agentur in diesem Land.

[Ende 1919: Der Joint nominiert Dr. Julius Goldman als europäischen Direktor - Prinzipien Goldmans]

Nach den ersten beiden Jahren der ersten Nothilfe kam die Zeit, Bilanz zu ziehen und eine zukünftige Politik abzustecken. Das JDC hatte Ende 1919 Dr. Julius Goldman zu seinem ersten europäischen Direktor ernannt. Goldman versuchte, in die Operationen etwas Ordnung zu bringen und gab Leitlinien für die Arbeit in den verschiedenen Ländern heraus.

[1919-1920: Bogen organisiert die Sozialarbeiter in den "USA" für Polen und Russland]

Bogen, der für Polen und Russland verantwortlich war, beantragte und erhielt vom New Yorker Büro das Einverständnis, Sozialarbeiter in Amerika für die Hilfe in Europa auszubilden.

[1920-1921: Misserfolg bei Bogen: Gründung lokaler Joint-Komitees ist in Polen nicht möglich - Sammlung von 20.000 $ in Polen]

Im Februar 1920 kam Bogen mit 126 Mitgliedern der ersten JDC-Überseeeinheit in Polen an. Bogen versuchte auch, die tiefen ideologischen Unterschiede innerhalb des osteuropäischen Judentums zu überbrücken und beantragte, dass lokale Komitees aufgestellt würden, von denen er erhoffte, dass daraus ein zentrales Komitee für Sozialarbeit in Polen hervorgehen würde. Dies geschah leider nicht. Dabei hatte sich Bogen im Januar 1921 auf der Hilfskonferenz für Kongresspolen (der zentrale Teil des Landes) in Warschau auf einem guten Weg gesehen.

Im Frühling 1920 wurden auch lokale Spendensammlungen organisiert; obwohl finanziell unbedeutend (ungefähr 20.000 $ wurden in Polen im Jahr 1920 aufgebracht), so war dies doch eine wichtige moralische Stütze für die Bevölkerung und sorgte einer demoralisierten Bittstellerhaltung vor.

[Ab 1920: Neue jüdische Hilfsgruppen]

Durch den grossen (S.10)

Akt von Bogen begannen nun Ende 1920 auch einige lokale Gruppen, Verantwortung für die lindernde Hilfe zu übernehmen.

[1920: Der Joint installiert einen Geldverschickungsdienst unter Isidore Hershfield - 5.250.000 $ für polnische Juden 1920]

Ein weiterer lebenswichtiger Dienst, der durch das JDC in Osteuropa eingeführt wurde, speziell in Polen, war die Institution eines Büros für private Geldanweisungen unter Isidore Hershfield (der Nachfolger von Samuel Golter). Amerikanische Verwandte polnischer Juden konnten jetzt kleine Geldsummen an sie überweisen und dabei einigermassen sicher sein, dass das Geld auch am gewünschten Ziel ankam. Zusätzlich zu der beträchtlichen finanziellen Hilfe, die an die polnischen Juden ausgegeben wurde - das waren in den ersten acht Monaten des Jahre 1920 5.250.000 $,

(Endnote 5: In:
-- Bernstein: The History of American Jewish Relief, p.257
-- Artikel von Zosa Szajkowski mit den Problemen der JDC-Geldverschickung; In: American Jewish Historical Quarterly 17, Nrn. 1-3)

was mehr war, als das ausgegebene Geld, das das JDC zugunsten Polens ausgab - war der Effekt auf die Moral der polnischen Juden enorm.

[Die Arbeit des Joint für Waisenkinder - Waisenkinderorganisation CENTOS 1923 - medizinische Organisation TOZ 1921]

Spezielle Bemühungen waren den Kindern und der Pflege der Waisenkinder gewidmet, der Regelung der Flüchtlingsfrage, und der Entwicklung medizinischer Einrichtungen. Im Jahre 1923 gründete das JDC eine Waisenkinder-Pflegegruppe mit dem Namen CENTOS (Federation of Associations for the Care of Orphans in Poland), die sich später ein eine allgemeine Kinderhilfeorganisation umwandelte.

Die TOZ,

(Towarzystwo Ochrony Zdrowia Ludnosci Zydowskiej (Society for Safeguarding the Health of Jewish Population)

war eine medizinische Gesellschaft, die im Jahre 1921 gegründet worden war.

Diese beiden Organisationen tendierten beide dazu, immer weniger von direkter JDC-Hilfe abhängig zu sein, obwohl sie nie ganz selbsttragend wurden.

[1921-1922: Das Joint baut Häuser und installiert jüdische Gesellschaften]

Während der Jahre 1921 und 1922 gelang es dem JDC auch, den grossen Teil seiner Arbeit für Hunderte und Tausende von Flüchtlingen zu beenden, indem es für die Flüchtlinge vorübergehende oder dauerhafte Häuser zur Verfügung stellen konnte, und indem örtliche Gesellschaften etabliert werden konnten, die sich mit den Problemen beschäftigten.

[Ab Sommer 1920: Kulturarbeit wird vom Joint unter Cyrus Adler unterstützt]

Auf kulturellem Gebiet empfahl das JDC-Kulturkomitee in New York unter Vorsitz von Cyrus Adler im Sommer 1920, dass die Schulen in Osteuropa unterstützt werden sollten, indem ihnen ein Drittel der vom Zentralkomitee [Central Committee] und dem Volks-Hilfskomitees [People's Relief Committee] in speziellen Aktionen aufgebrachten Gelder zufliessen sollten.

[Kulturelle Unterstützung: Spaltung zwischen anti-zionistischen, jiddischen Schulen und zionistischen Schulen]

Nun führte dieses Abkommen aber bald zu grossen Verstimmungen, weil die amerikanisch-jüdischen Sozialisten dazu tendierten, die säkularen, anti-zionistischen, jiddischen Schulen zu unterstützen, während die Orthodoxen (S.11)

natürlich, ihr eigenes Schulsystem in Polen unterstützten. Somit wären die hebräischen und zionistischen Schulen (die Tarbuth-Schulen) diskriminiert gewesen, die zu dem Zeitpunkt an Grösse und Stärke zunehmen. Seit das AJRC [American Jewish Relief Committee] zu dieser Zeit praktisch nicht mehr funktionierte, so übernahm das JDC selbst die Verantwortung, die Gelder in passenden Proportionen zu verteilen und so die Schulen zu unterstützen, die Orthodoxe und Sozialisten nicht unterstützen wollten.

[1921: Die JDC-Hilfe mit Wagenladungen in Polen und in der polnischen Ukraine - Ukrainer ermorden Cantor und Friedlander am 5. Juli 1920]

Das Ende des russisch-polnischen Kriegs von 1920-1921 bedeutete auch die letzten Schritte der Nothilfe durch das JDC. Zwei Amerikaner, die sich zu der Zeit in Polen aufhielten, Dr. Charles D. Spivak und Elkan C. Voorsanger, überwachten die Verteilung von Wagenladungen mit Gütern an die betroffenen Gebiete. Die JDC-Vertreter reisten auf Spendermissionen auch durch den polnisch-besetzten Teil der Ukraine. Auf einer solchen Reise zweier JDC-Mitarbeiter wurden Bernard Cantor und Prof. Israel Friedlander am 5. Juli 1920 durch Ukrainer ermordet.

[Ab 1919?: Gründung eines europäischen Exekutiv-Zweigs des JDC unter Dr. Goldman]

Das nahende Ende der Notzeit war durch Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des JDC in Europa gekennzeichnet. Dr. Goldman, der europäische Direktor, wollte eine allumfassende europäische Exekutive gründen, die die JDC-Komitees in den verschiedenen Ländern kontrollieren sollte. Bogen andererseits zog die zentrale Kontrolle von New York aus und die Verwaltung der JDC-Gelder durch amerikanische Landesdirektoren vor. Am Ende wurde Goldmans Konzept angenommen und wurde für die Zeit zwischen den beiden Kriegen die Standard-Praxis.

Erst später nach 1945 wurde die Nominierung amerikanischer Landesdirektoren wieder eingeführt, wobei aber die europäische Exekutive gleichzeitig nicht abgeschafft wurde, sondern diese basisorganisarotische JDC-Einheit existiert noch bis zum heutigen Tag.

[Europäische Direktoren des JDC 1919-1938: Goldman - Becker - Rosenberg - Kahn]

Julius Goldman trat Ende 1920 zurück. Es folgte James A. Becker. Dessen Nachfolger wurde im Jahre 1921 für ein Jahr James N. Rosenberg. Im Jahr 1924 übernahm Dr. Bernhard Kahn den Posten des europäischen JDC-Direktors, den er für 14 Jahren behielt.

[Ende Oktober 1920: Die Entscheidung zur Einstellung der Nothilfe durch Goldmans Vorschlag - und Protest in Polen]

Bevor er nach Amerika zurückkehrte, schlug Goldman dem JDC in New York vor, dass eine Entscheidung getroffen werden müsste, die Nothilfe einzustellen. Die Entscheidung wurde am 28. Oktober 1920 durch das JDC Executive Committee beschlossen. (S.12)

Das Datum für die Einstellung der Nothilfeprogramme wurde auf den 1. Juli 1921 festgesetzt. Wie erwartet verursachte die Entscheidung einen grossen Aufruhr. Eine Konferenz der Vertreter der jüdischen Hilfskomitees in Warschau am 20. Februar 1921 protestierte gegen die neue Politik und verlangte eine Verschiebung um sechs Monate, zumindest, was Polen anging. Auch gegen die Entscheidung, die JDC-Abteilung für Geldüberweisungen zu schliessen, wurde protestiert.

[1921: Situation der Juden in Europa ist von Land zu Land verschieden]

Die Lage im Jahr 1921 variierte von Land zu Land. Es gab keine praktische Möglichkeit, in Polen die Nothilfe an dem Datum zu stoppen, das von New York bestimmt worden war; aber der Trend war nun gesetzt, und obwohl das JDC die Nothilfe eigentlich nie eingestellt hat, so wurde das Betätigungsfeld bis Ende Jahr doch sehr reduziert.

[1919-1921: Situation in Litauen mit zwei gegensätzlichen Komitees - 35.000 Flüchtlinge aus Polen - Jüdische Volksbank]

Litauen war ein ganz anderer Fall; das JDC ging dort nur 1919 hin, als Sholem Asch, der berühmte jiddische Schriftsteller, sich dort im Auftrag des JDC aufhielt. Ihm folgte ein Komitee des Deutschen Hilfsvereins, mit dem das JDC ein sehr enges Verhältnis hatte. Das Komitee bestand aus Dr. Bernhard Kahn, Dr. Arthur Hantke (ein sehr bekannter, deutsch-zionistischer Führer), und Dr. Meier Hildesheimer. Ein litauisch-jüdischer Nationalrat stand einem linksgerichteten Arbeiterkomitee gegenüber. Amerikanische Vertreter versicherten in der folgenden Zeit, die örtlichen Unterschiede etwas zu regeln und der leidenden jüdischen Bevölkerung zu helfen, speziell den 35.000 Flüchtlingen aus Polen. Am Ende wurde mit Hilfe des JDC die Jüdische Volksbank entwickelt, die im Jahr 1921 77 Ableger entwickelte und Kredite zu niedrigen Zinssätzen anbot.

[Ab Februar 1920: JDC-Aktionen in Lettland für geflohene Juden auf dem Land]

In Lettland begannen die JDC-Operationen erst später im Februar 1920, als die ersten Möglichkeiten, Geld dort hin zu schicken, bekannt wurden. Das JDC sandte den betroffenen lettischen Juden Nothilfe. Viele von ihnen hatten die Städte verlassen und hielten sich auf dem Land auf, weil es in den Städten kaum noch Lebensmittel gab.

[Henry G. Alsberg im Prager Komitee]
In Lettland und in der Tschechoslowakei war ein JDC-Vertreter mit dortigem Wohnsitz, Henry G. Alsberg, eine gewisse Zeit lang Leiter des Prager Komitees (Hilfskomité) der vermögenden Juden.

[1920: Juden der Slowakei und Subkarpatien werden vom Prager Komitee unabhängig]

Unter einem neuen Direktor wurden im Jahre 1920 die Sektionen der Slowakei und von Subkarpatien-Russland (in tschechischen Initialen (S.13)

PKR) vom Prager Komitee unabhängig. Subkarpatien war die östlichste und ärmste Region, wo Ruthenisch gesprochen wurde. Die Juden von Böhmen und Mähren dagegen, die westlichen Sektionen der Tschechoslowakei, erholten sich sehr rasch und brauchten bald keine Hilfe mehr.

[1919: JDC-Aktion für 120.000 jüdische Flüchtlinge in Wien: 1 Mio. $ - Wiener Sozialhilfekomitee (Viennese social aid committee)]

In Österreich bestand das Hauptproblem aus den fast 120.000 jüdischen Flüchtlingen, die sich Ende des Krieges in Wien zusammenfanden. Das JDC schickte Ende 1918 Meyer Gillis und Max Pine in die leidgeplagte Stadt. Bevor die Hilfe des JDC in Gang kam, zogen aber viele der Flüchtlinge auf eigene Initiative in Trecks nach Polen in ihre Heimat. Das alte Wiener Sozialhilfekomitee (Viennese social aid committee), die Israelitische Allianz zu Wien, tat, was in ihrem Möglichkeiten stand, um den Bleibenden zu helfen. Das JDC schickte im Jahr 1919 beinahe 1 Mio. $ nach Wien, um Suppenküchen zu unterstützen und medizinische Hilfe und Kinderhilfe zu leisten.

[Ungarn 1919-1921: Aktion durch die ARA - die jüdische Kun-Regierung - die reaktionäre Regierung - antisemitische Gesetze - Deportationen polnischer Juden - das JDC beendet seine Aktionen im Jahr 1921]

In Ungarn war die Situation nochmals anders. Dort agierte die ARA [American Relief Administration] mit ihrem Programm, minimale Hilfe zu leisten, mit behutsamer Stützung durch JDC-Gelder für spezielle jüdische Ziele. Langsam übernahm ein ungarisch-jüdisches Komitee, das - wie in anderen Ländern - eingerichtet wurde, mit dem vollen Segen des JDC, die spezifischen jüdischen Aufgaben.

Das Problem in Ungarn war dabei in weiten Teilen ein politisches. Nach dem Fall des kurzlebigen Kommunistenregimes unter Béla Kun, ein Jude, kam eine weissungarische Regierung an die Macht, die eine antisemitische Linie führte, obwohl in Tat und Wahrheit die Juden vielleicht unter der Kun-Regierung mehr als alle anderen gelitten hatten. Das neue, reaktionäre Regime liess 22 Zugladungen mit polnisch-jüdischen Flüchtlingen zurück nach Polen deportieren. Im Jahr 1920 war Ungarns Regierung die erste Nachkriegsregierung, die einen Numerus clausus einführte, der die jüdischen Studenten an den Universitäten auf einen niedrigen Prozentsatz beschränkte. Das JDC beendete seine Operationen in Ungarn jedenfalls im Jahre 1921.

[Rumänien 1919-1921: Chaos in den neuen rumänischen Gebieten Bessarabien, Bukowina und Transylvanien - JDC-Aktionen durch Hettie Goldman]

Die Lage der Juden im Rumänien der Nachkriegszeit war sogar noch komplizierter. Während die Juden in Alt-Rumänien (Walachei und Moldavien) relativ wenig zu leiden hatten, regierte in Bessarabien, in der Bukowina und in Transylvanien das komplette Chaos. Dies waren die rumänisch besetzten Gebiete der Nachbarstaaten Russland, Österreich und Ungar. Das JDC leistete dort unter Hettie Goldman (S.14)

und unter James A. Becker 1919-1920 Pionierarbeit. Hauptpunkte waren die Einsetzung eines örtlichen Zentralkomitees in Bessarabien, in der Bukowina und in Transylvanien, sowie die Leistung von Nothilfe.

[Rumänien: Hilfsaktionen des Joint unter Alexander A. Landesco - Hilfsaktionen des Joint unter Noel Aronovici für 15.000 ukrainisch-jüdische Flüchtlinge]

Nach Becker wurde Alexander A. Landesco, selbst ein amerikanischer Jude, der in Rumänien geboren war, zum Agenten, der Kreditkassen einführte - kleine Kooperativ-Banken, die Geld zu niedrigem Zinssatz abgaben. Ausserdem mussten auch 15.000 Flüchtlinge der ukrainischen Pogrome unterstützt werden. Dieses Problem wurde mit einem örtlichen Sozialarbeiter bewältigt, Noel Aronovici, der in den Dienst des JDC trat und in der Zwischenkriegszeit zu einer zentralen Figur des JDC wurde.

Im Februar 1921 verliess Landesco Rumänien, der dafür gesorgt hatte, dass die Hilfe eingestellt werden konnte.

[1921: Juden vom Fluss Dniester werden von der rumänischen Armee nach Alt-Rumänien vertrieben - neue Joint-Aktionen]

Bald nach seiner Abreise musste das JDC erneut eingreifen, als 40.000 bessarabische Juden, die innerhalb der 7-Meilen-Zone an der russischen Grenze am Fluss Dniester wohnten, durch Regierungstruppen brutal nach Alt-Rumänien vertrieben wurden. In Transylvanien wurde die Reduktion der JDC-Hilfe nur dadurch möglich, dass Verwandte in den USA die Geldhilfen nach dorthin erhöhten.

[1914-1918: JDC-Aktion in der Türkei via holländische Botschaft - Aaron Teitelbaum ab 1918]

Wie wir gesehen haben, wurde das JDC wegen eines Hilferufs aus dem Mittleren Osten gegründet. Während des Kriegs erhielt das türkische Judentum die Hilfe über die holländische Botschaft in Istanbul, und nach dem Krieg war es, Aaron Teitelbaum vom JDC, der die Verwaltung der dortigen Hilfe überwachte

[Griechenland 1917: Feuer in Thessaloniki - Joint-Hilfe]
und ebenso im griechischen Thessaloniki, wo eine alte jüdische Gemeinde von einem zerstörerischen Feuer 1917 getroffen worden war.

[Palästina 1914-1918: 1,5 Mio. $ für durch türkische Regenten entwurzelte Juden gespendet]

In Palästina wurde die Hilfe durch ein Komitee unter Eliezer Hoofien unter der Schirmherrschaft des spanischen Konsuls, Señor Ballabar, verteilt. Hoofien war ein holländischer Zionist, der später der Kopf der führenden Bankinstitution des palästinensischen Judentums wurde, der Anglo-Palästina-Bank. Während des Kriegs wurden durch das JDC über 1,5 Mio. $ verschickt, um mit Problemen der durch die türkischen Regenten physisch entwurzelten und aus ihren Häusern vertriebenen jüdischen Gemeinde fertigzuwerden.

Nach der Besetzung des Landes durch die Briten fragte das JDC David de Sola Pool, ein Mitglied der Zionistischen Kommission, ob er als Vertreter des JDC agieren würde. Die Gelder wurden verwendet für Waisenkinderkomitees, für eine zionistisch-medizinische Einheit, für die Unterstützung für religiöse Gruppen und ihre Institutionen, für Kreditbanken.  (S.16)

Alles in allem verschlang diese Arbeit in der Zeit zwischen 1918 und 1921 über 3,2 Millionen $.

[Sibirien 1919-1920: Aktionen des Joint für jüdische Kriegsgefangene unter Dr. Frank F. Rosenblatt]

Ausserdem gab es weitere Aktionen, die zwar kleiner waren, aber für die Betroffenen entscheidend. So wurde 10.000en gestrandeten Kriegsgefangenen in Sibirien geholfen. Dr. Frank F. Rosenblatt, der JDC-Vertreter, war die treibende Kraft, einen Fond für die Repatriierung der sibirischen Kriegsgefangenen zu gründen ("Siberian War Prisoners' Repatriation Fund"), dem mehrere Organisationen beteiligt waren, darunter das amerikanische Rote Kreuz. Das Verteilungskomitee JDC gab dort 700.000 Dollar aus.

[Japan 1919-1920: Juden in Yokohama]

Andere Juden waren in Yokohama gestrandet, einem der vielen Plätze, und gemeinsame Bemühungen des JDC und anderer grosser jüdischer Auswanderungsagenturen, die Hebräische Auswanderungshilforganisation ("Hebrew Immigrant Aid Society" (HIAS), verhalfen ihnen zur Auswanderung.

[Hilfe für Juden im Irak und im Iran - Juden in Abessinien / Äthiopien]

Anderen wurde im Irak und im Iran geholfen, und eine Gruppe eine Gruppe von Wissenschaftlern, die mit den abessinischen Falashas arbeitete, die von einigen als ein verlorener jüdischer Stamm betrachtet wurden, bekamen für ihre Bemühungen auch etwas Hilfe.

[Deutschland 1919: 60.000 eingewanderte osteuropäische Juden - 1923: Hyperinflation und Hilfsaktionen des Joint für die Juden und für deutsche Kinder]

In Europa wurde die Hilfsarbeit unter der Leitung von Becker im Jahre 1921 mehr oder weniger eingestellt. Die Ausnahme von der Regel stellte Deutschland dar, wo 60.000 osteuropäische Juden eingewandert waren, die meisten von ihnen nach dem Waffenstillstand von 1918. Daraufhin erlitt Deutschland In den Jahren 1922-1924 seinen wirtschaftlichen Niedergang und die Hyperinflation. Das JDC musste dem deutschen Judentum helfen. Sie konzentrierte sich auf die Kinderhilfe, und die Geldleistungen, die z.T. aus nichtreligiösen amerikanischen Quellen stammten, kamen auch deutschen Kindern generell zugute.

[Die Zusammenarbeit des Joint mit dem Quäkern in Deutschland]

Bei dieser Aktivität entwickelte sich zwischen dem JDC und der amerikanischen Quäker-Gemeinde (American Friends Service Committee (AFSC) eine Zusammenarbeit; diese Freundschaft zwischen den beiden Hilfsorganisationen hatte während den Katastrophen der 1930er und 1940er Jahre eine grosse Wichtigkeit.

[Neues Europäisches Beratungskomitee ("European Advisory Committee") unter Louis Marshall - Untersuchungen in Europa durch Felix M. Warburg, Goldman und Becker - Beginn mit Hilfe zur Selbsthilfe]

In New York setzte das JDC ein Europäisches Beratungskomitee ein, unter Führung von Louis Marshall. Es sollte eng mit dem europäischen Direktor zusammenarbeiten. Felix M. Warburg ging dafür im Jahre 1921 nach Europa, um die Situation zu untersuchen. Sein Bericht war - zusammen mit den Ansichten von Goldman und Becker - schlussendlich der Anstoss für das JDC, in Europa eine neue Politik einzuschlagen: Man wollte den jüdischen Gemeinden in Europa Hilfe zur Selbsthilfe geben. Dafür sollten die "Wiederaufbauaktivitäten" unterstützt werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass (S.16)

jedes Zentralkomitee in Europa auf eine sichere, selbsttragende Basis gestellt wurde. Wo es kein Zentralkomitee gab, sollten funktionsgebundene Organisationen für Sozialarbeit unabhängig gemacht werden. Dies würde schlussendlich dem JDC erlauben, sich zurückzuziehen und seine Aktivitäten zu beenden.

Am 17. Juni 1921 gab der Vorsitzende des neuen Wirtschaftsaufbaukomitees, Herbert H. Lehman, diese Vorschläge dem JDC-Exekutivkomitee bekannt.

[Joint: Unterkomitees]

Parallel zu Lehmans Komitee gab es andere spezielle Komitees, die für spezielle Flüchtlingsprobleme aufgestellt wurden (unter David M. Bressler), für Waisenkinder (unter Solomon Lowenstein), und für medizinische Hilfe (unter Bernard Flexner); diese traten nun dem älteren Kulturkomitee unter Cyrus Adler bei, und so entstand eine neue organisatorische Struktur des JDC, die eigentlich so schnell wie möglich zur Auflösung vorbestimmt sein sollte. Die Budgets wurden gemäss der verschiedenen Funktionen aufgeteilt, und frei die den europäischen Direktoren zugeteilten Gelder wurden auf ein Minimum reduziert. Das eigene Buchhaltungssystem wurde durch die Revisionsfirma von Loeb und Troper kontrolliert.

[Joint: Die Autorität der Laien - die Politik machen andere]

Was an der ganzen Struktur auffällig war, neben der praktischen, technischen Probleme, war die komplette und unhinterfragte Autorität der Laien, die zu den Geldern beitrugen oder die Sammlungen anderer leiteten. Marshall, Warburg, Lehman, Lowenstein, Bressler, Flexner, Adler - diese Männer bestimmten, was getan werden sollte. Die Professionellen wie Bogen oder Senior, Dr. Rosen in Russland (von dem wir später noch berichten werden), und sogar Jacob Billikopf in den USA, waren wichtig; sie wurden höflich behandelt, und man hörte sie sorgfältig und mit sympathischem Lächeln an, aber am Ende waren nicht sie es, die die Politik bestimmten.

[Polen 1921-24: Der Joint verschickt über 20 Mio. $]

In den Jahren 1921 bis 1924 sammelte das JDC über 20 Millionen $ in der Hoffnung, den europäischen Juden damit in einer "Einmal-für-allemal"-Anstrengung zu helfen.

[Polen 1924-1925: Rezession, Missernten und antijüdische Regierungsmassnahmen - hungernde Juden]

Aber als Warburg 1925 eine weitere Reise zur Untersuchung der Lage machte, fand er, dass das JDC seine Verantwortung einfach nicht abgeben konnte, zumindest noch nicht. Polen befand sich in einer wirtschaftlichen Rezession, und die Regierung hatte deswegen eine Serie widersprüchlicher wirtschaftlicher Massnahmen getroffen, von denen einige ausgesprochen gegen die Juden gerichtet waren. Eine Serie von Missernten in Bessarabien und in der Bukovina verbesserten die Situation ebenfalls nicht. (S.17)

Im Winter 1925-1926 waren 83 % der jüdischen Arbeiter in Warschau arbeitslos.

(Endnote 6: Handlin: A Continuing Task (New York, 1964), S.52)

[Juden von Europa 1926-1928: Aktionen des JDC von 12,5 Mio. $]

Warburg, der von seinen Untersuchungen zurückkam, schlug die Gründung eines "Übersee-Konto" vor. Das JDC und die Zionisten arbeiteten in dieser Unternehmung zuerst zusammen (1925), aber dann sortierten sich die verschiedenen Ziele der beiden Gruppen gegenseitig aus. Dabei wurde die amerikanisch-jüdische Gemeinde gegenüber den Katastrophenappellen zunehmend gleichgültig. Aber dem JDC gelang es trotzdem, in den Jahren 1926-1928 ungefähr 12,5 Millionen $ zusammenzubringen, um die Arbeit in Europa fortzusetzen.

[1929: Das JDC kann nicht aufgelöst werden]

Am Ende des ersten Jahrzehnts nach dem Krieg, 15 Jahre nach seiner Gründung, war das JDC immer noch am Leben, obwohl auch nur sehr widerwillig. Es hatte sich selbst immer als eine rein vorübergehende Organisation zu sehen, um seinen "Glaubensbrüdern" im Ausland wirtschaftlich wieder auf die Füsse zu verhelfen. Amerikanische Juden mussten den Juden im Ausland sicherlich helfen, aber der eigentliche Platz für Menschenliebe und Sozialarbeit war in den USA. Irgendwie war es bezeichnend, dass sich das JDC im Jahre 1929 in einer Welt wiederfand, die das JDC zu einer dauerhaften  Organisation verwandelt hatte. (S.18)


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