[1.1. Die Strukturen
des Joint und die führenden Personen]
[JDC-Struktur: 4 oder 5
führende Personen - Verabschiedung von Entscheindungen in
jedem Komitee]
Das Verteilungskomitee JDC war immer stolz darauf, eine
philanthropische Organisation auf geschäftlicher Basis zu
sein. Die aktuelle Macht dieser Organisation lag nicht so sehr
in der formellen Struktur, nicht so sehr im nationalen Rat, im
Direktorium, oder im Ausführungskomitee (Executive Committee),
sondern eher in einer kleinen Gruppe von 4 oder 5 Personen,
die eigentlich die nötigen Entscheidungen trafen und diese
dann in verschiedenen Komitees verabschieden liessen.
Gleichzeitig wurden die Regeln einer formellen Demokratie
beachtet und die traditionellen religiösen Vertreter auch noch
berücksichtigt, ebenso die Arbeiterkreise, die geholfen
hatten, die Organisation zu gründen.
[JDC-Struktur: Vorsitzender
Felix M. Warburg - verheiratet mit der Tochter von Jacob H.
Schiff]
Der Vorsitzende, ein Gründer und in den ersten Jahren des JDC
eine wichtige Figur, war Felix M. Warburg. Er war ein Mitglied
einer deutsch-jüdischen, aristokratischen Bankiersfamilie. Als
junger Mann war er von Hamburg gekommen und hatte die Tochter
von Jacob H. Schiff geheiratet, die in in die Firma Kuhn, Loeb
& Co. eingeführt hatte.
[Warburg respektiert alle
Juden als Juden]
Felix Warburg war ein Mann von grosser Ernsthaftigkeit und
Überzeugung, ein feiner, warmherziger Mensch, der gegenüber
seinen Anhängern von einer aufrichtigen Leidenschaft bewegt
war, im Speziellen gegenüber seinen "Religionsbrüdern". Trotz
seines provinziellen deutsch-jüdischen Hintergrunds war es für
ihn keine Schwierigkeit, mit den Massen der osteuropäischen
Juden mitfühlend umzugehen. Wie einer seiner Mitarbeiter es
viele Jahre später gegenüber Warburg ausdrückte, "waren sogar
Juden in Rumänien Menschen, eine Einstellung, die nicht von
jedem immer akzeptiert wurde." Es war ihm wirklich ein
Anliegen, den Leuten einfach zu helfen, ein (S.19)
Anliegen, das offensichtlich nicht auf einem Wunsch nach
Status oder sozialem Stand basierte. Seine Hauptmotivation war
eine aristokratische und doch irgendwie mit einem bescheidenen
Sinn der Einstellung, dass Adel verpflichtet.
Das JDC war für Warburg "seine" Organisation, und sein Gesetz
war patriarchal und zu dieser Zeit irgendwie hochtrabend. Er
und einige andere waren für die Mehrheit der aufgebrachten
Gelder verantwortlich, und dies führte dazu, dass sie sich
alles andere als scheu verhielten, wenn es darum ging, ihre
Ideen ohne parlamentarische Konsultationen und ohne Rücksicht
auf demokratische Strukturren durchzubringen.
[Warburg: Bank - jüdische
Angelegenheiten - und nichtjüdische Organisationen]
Er hatte in seinem Leben bereits viele Berufsbereiche erlebt.
Die Bank war ein solcher Bereich, der eine Verpflichtung war,
aber weder ein dominantes Interesse noch eine grosse
Befriedigung. Er beschrieb diesen Gesichtspunkt seines Lebens
einmal, indem er sagte, dass ihm das Leben lehrte, den "Honig
von den sauren Blüten zu trennen".
Seine Welt der Menschlichkeit wurde von jüdischen
Angelegenheiten dominiert, hielt ihn aber nicht davon ab, in
den nichtreligiösen Angelegenheiten des Lebens auch eine
Schlüsselrolle zu spielen, bei den Pfadfindern, beim Roten
Kreuz, und so weiter, und er war auch einer der Gründer der
Jüdischen Philanthropischen Gesellschaft und beim American
Jewish Committee.
Er war tief in die kulturellen Aktivitäten von New York
eingebunden, speziell bei der Musik und bei mehreren Museen,
denen er grosszügig Hilfe leistete. Vor alle war er ein
fröhlicher, warmherziger Mann, bei konstanter Anregung durch
seine Freunde und Beschäftigten, und als Gegenleistung
unterstützte er sie in vielerlei Aktivitäten.
Er war kein guter öffentlicher Redner, aber seine Wärme und
Innigkeit, seine Aufrichtigkeit und das offensichtliche Fehlen
von Hinterlist waren erfrischend. Politisch gesehen war er
naiv, und war sehr erstaunt, dass er die politischen,
jüdischen Führer nicht für seine Denkart gewinnen konnte, so
wie er seine Kollegen bei sich zu Hause hatte für seine Ideen
gewinnen können.
[JDC-Struktur: Paul Baerwald,
ein zurückhaltender, scheuer Mann]
Paul Baerwald, auch ein Bankier, arbeitete mit Warburg im
Verteilungskomitee JDC und war für Warburg ein loyaler
Unterstützer und Freund. Baerwand war eine ganz andere Person
als Warburg, mit seiner warmherzigen und engagierten
Persönlichkeit. Baerwald war ein ernsthafter, aber eher
scheuer Mann. Baerwald neigte zur Vorsicht und zu
zurückhaltenden Ansichten, wo Warburg innovativ war. Baerwald
wünschte immer, das zu tun, was die Mächte als "richtig"
ansahen; er hatte sicher den Mut, seine Überzeugungen zu
vertreten - aber seine Überzeugungen (S.20)
stimmten normalerweise mit der zurückhaltendsten
Interpretation einer Situation überein. Baerwald überzeugte
eher im direkten persönlichen Kontakt, wo sein überwältigender
Wunsch, Gutes zu tun, und seine grosse Ernsthaftigkeit
hervortraten. Als ein Vorsitzender des JDC in den 1930er
Jahren und nach Warburgs Tod war er gegenüber seinem Vorgänger
eher eine blasse Figur.
[JDC-Struktur: James N.
Rosenberg, ein zurückhaltender Anwalt mit Enthusiasmus und
Drang - Antizionist]
Eine weitere Person von grosser Wichtigkeit im JDC war James
N. Rosenberg, ein Anwalt, den Warburg ins JDC geholt hatte.
Rosenberg tendierte auch zur zurückhaltenden Linie, aber wo
Baerwald vorsichtig und scheu war, war Rosenberg extrem und
frech. Rosenberg hinterliess im JDC einen unauslöschlichen
Eindruck. Wir werden noch Gelgenheit haben, seine Abneigung
gegenüber dem Zionismus und seinen Vertretern zum Ausdruck zu
bringen; aber dann unterstützte er in den 1920er und 1930er
Jahren doch wiederum Warburgs Versuche, um sich mit Chaim
Weizman, dem Zionistenführer, zu arrangieren. In Tat und
Wahrheit aber stand er dem Zionismus viel reservierter und
sogar feindlich gegenüber als Warburg. Auf der anderen Seite
waren Rosenbergs Enthusiasmus und dessen kolossaler Drang
Faktoren, die das JDC mit der wirtschaftlichen und sozialen
Hilfe für die russischen Juden in Berührung brachten, wie wir
es später noch auseinandersetzen werden.
[JDC-Struktur: Sekretär
Joseph C. Hyman, Geschäftsführer]
Joseph C. Hyman, der Sekretär, besetzte eine definitiv
niedrigere Rolle, war aber als der aktuelle Geschäftsführer
für die Organisation sehr wichtig.
[JDC-Structur: Pläne in New
York - die eigentliche Arbeit in Europa - Pläne von Kahn und
Rosen]
Über die Pläne für Spendensammlungen und das allgemeine Büdget
wurde in New York entschieden, aber die eigentliche Arbeit des
JDC war in Europa. Fast alle Entscheidungen über Europa lagen
in den Händen von zwei intellektuellen Personen, Dr. Bernhard
Kahn, der Kopf des Europabürosh A. Rosen, der Kopf der
russischen JDC-Arbeit.
[JDC-Struktur: Dr. Bernhard
Kahn, "Herr Joint" ("Mr. Joint")]
Bei der Diskussion um die Arbeit in Russland werden wir es
noch mit Rosen zu tun haben, aber für den Rest von Europa war
Dr. Kahn der "Mr. Joint". Die Gruppe der jüdischen
Deutsch-Amerikaner, Bankiers und Anwälte, die die eigentlichen
Kräfte im JDC waren, brauchten einen Mann, dem sie vertrauen
konnten, und der ihre Ideen in den eigentlichen Operationen
des JDC umsetzen würde. Kahn war ein deutsch erzogener Jude,
ein Mann, dem Warburg vertrauen konnte.
Er war in Schweden mit litauischen Eltern geboren, ein
brillianter Mann, im jüdischen Recht und in der jüdischen
Überlieferung gut versiert, mit einer guten Kenntnis von
Hebräisch und Jiddisch. Er sprach alle (S.21)
grossen, europäischen Sprachen, er war in der deutschen Kultur
tief verwurzelt, und er war ein Wirtschaftsexperte, der nicht
nur mit dem JDC lange zusammenarbeitete, sondern auch mit dem
Hilfsverein, der grossen deutsch-jüdischen philanthropischen
Organisation. Kahn war ein früher Anhänger der zionistischen
Bewegung. Er war 1903 ein Delegierter des Zionistenkongresses
gewesen, der den Vorschlag vorübergehender Planungen für
Uganda abgelehnt hatte.
Er war ein reservierter Mann, äusserlich eher kalt und
pedantisch, aber vom tiefen Wunsch ergriffen, den Juden zu
helfen. Er war die Art Männer, die für die Führung des JDC
gebraucht wurden. Er war gänzlich und absolut zuverlässig,
extrem kompetent. Er war hinreichend zurückhaltend und
unbeugsam, so dass man ihn für das das JDC in New York
empfehlen konnte, und gleichzeitig war er ein Mann mit einer
komplett unabhängigen Denkweise, mit einer grossen
Vorstellungskraft, die mit der Denkweise der JDC-Gruppe
übereinstimmte, wie die Agentur geführt werden sollte.
Gegenüber Kahn zeigte er nie die leiseste Spur von
Unterwürfigkeit. Es gab nie einen Verdacht, dass er unehrlich
zu sich selber gewesen wäre, und auch nicht gegenüber dem Büro
in New York.
[JDC-Struktur: die
"US"-Gruppe - die Kahn-Gruppe - die Rosen-Gruppe]
In Tat und Wahrheit schaute es so aus, dass das JDC in drei
Teile aufteteilt war - eine Agentur in Amerika, die das Geld
sammelte, und zwei unabhängige Gruppen, die das Geld ausgaben:
eine unter Kahn, und eine andere unter Rosen.
[JDC-Struktur: Der innere
Kreis: Warburg, Baerwald, Kahn, Rosen, Rosenberg, Hyman]
Warburg, Baerwald, Kahn, Rosen, Rosenberg, und Hyman - diese
Männer stellten den inneren Kreis dar, der die JDC-Politik
bestimmte. Die meisten der Mitarbeiter der auf Warbug
bezogenen JDC-Arbeit kamen von der deutsch-jüdischen
Aristokratie, mit Ausnahme von Hyman und Rosen.
[JDC-Structur: Louis
Marshall]
Bis zu seinem Tod im Jahre 1929 war die grosse Persönlichkeit
von Louis Marshall eine herausragende Figur dieses Kreises.
[JDC-Kontakte zu anderen
Organisationen]
Ungeachtet der verschiedenen Meinungen über den Zionismus
existierten zwischen den Laienführern der verschiedenen
amerikanisch-jüdisch philanthropischen und sozialen
Organisationen enge persönliche Bindungen.
[Warburgs Position in der
mittleren Gruppe um Marshall - ohne Zionismus, ohne
Nationalismus]
Warburg und seine Freunde gehörten der mittleren Gruppe um
Marshall an, die dem Zionismus gegenübertrat. Warburg hatte
den Antizionismus von Julius Rosenwald nie unterzeichnet,
obwohl Rosenwald der wichtigste finazielle Unterstützer der
JDC war. (S.22)
Zusammen mit Marshall handelte Warburg zusammen mit Weizmann
das Abkommen aus, um in Palästina 1929 die Jüdische Agentur
("Jewish Agency") einzurichten. Warburg blieb diesem Bündnis
grundsätzlich treu, trotz seinen Nichtzionismus und seinen
schwerwiegenden Gegensätzen mit dem grossen Zionistenführer.
Palästina war für ihn keine "Nur"-Angelegenheit, sondern eine
"Auch"-Angelegenheit, so weit sie die Zusammenarbeit mit
Weizmann betraf. Warburg und sein Kreis übernahmen die
zionistische Haltung der "Anwälte" nicht - Brandeis, Mack,
Frankfurter - und deren Kreis. Warburg akzeptierte nie die
Idee eines jüdischen Nationalismus, und er betrachtete dessen
Vertreter mit grossem Misstrauen.