[3.6. Die Diskussion im Joint über die
Strategie für die Juden in NS-Deutschland: Bleiben
und kämpfen oder auswandern]
[Das JDC unterstützt
die Auswanderung - viele deutsche Juden wollen nicht
auswandern]
Das Problem für die jüdischen Organisationen ausserhalb
von Deutschland war nun dauernd, ob man die Auswanderung
aus Deutschland unterstützen sollte, und in welchem
Mass. Das Verteilungskomitee JDC, wie auch die anderen
Organisationen, mussten das Auswanderungsproblem in den
Griff bekommen. Die offizielle Position des JDC war,
eine organisierte und geordnete Auswanderung zu
unterstützen und war gegen einen panikartigen und
ungeordneten Flüchtlingsstrom.
Aber die Auswanderungsarbeit war auch nicht bei allen
Führern in Amerika als Ganzes akzeptiert. Diese Stimmen
gaben den deutschen Widersachern einen Gegenpart. Zum
Beispiel verkündete die Reformgruppe am 1. Mai 1933 in
Berlin: "Wir haben absolut nicht die Absicht, uns von
der deutsch-nationalen Gemeinde zu trennen und unsere
nationalen Verbindungen und in eine jüdische-nationale
oder in eine jüdische Volksgemeinschaft zu wechseln."
(original:
"We have absolutely no intention of cutting ourselves
off from our German national community and our national
ties and of changing over to a Jewish national or folk
community.")
(Endnote 20: Mitteilungen an die jüdische Reformgemeinde
zu Berlin, 5/1/33 [1. May 1933], 26-Gen & Emerg.
Germany, "J")
[9. Mai 1935:
CV-Zeitung berichtet, dass über 50 % der deutschen
Juden Deutschland als ihre Heimat betrachten]
Das liberale Blatt
CV-Zeitung
in Deutschland spiegelte dieses Gefühl am 9. Mai 1935
wider, als das Blatt fragte, wieso die Juden der
deutschen Regierung helfen sollten, das jüdische Problem
zu lösen, indem sie ihren eigenen Exodus organisieren
würden. Denn mehr als die Hälfte der deutschen Juden
betrachtete immer noch Deutschland als ihre Heimat und
würden hier bleiben.
(Endnote 21:
-- CV-Zeitung, 5/9/35 [9. Mai 1935], and
-- Jewish Chronicle, 5/24/35 [24. Mai 1935])
Viele Juden in Grossbritannien und Amerika hatten
dieselbe Ansicht.
[11. Okt 1935: Jewish
Chronicle berichtet, Juden in ihrem Kampf zu
unterstützen]
Am 11. Oktober 1935 fragte der Jewish Chronicle,
ob (S.115)
wir uns selbst schuldig
bekennen müssen, so wie es mit der Toleranz geschieht,
geschlagen, und die deutschen Juden evakuieren müssen,
fast eine halbe Million von ihnen in Gott weiss welche
Länder. ... Abscheulich? Ja, tatsächlich, das ist der
Ruin! ... Juden werden weiterkämpfen. Es gibt keinen
anderen Anlass. Besser hilf ihnen, als sie in eine
Lage zu locken, wo sie sich ergeben müssen. Dies
würde sie sie in den Augen der Geschichte in Ungnade
fallen lassen, und alle Anhänger des Fortschritts
würden auf sie zeigen - sogar, vielleicht, von einem
zukünftigen, umgestalteten Deutschland - als ein
Betrug an der Humanität."
(Endnote 22: Jewish Chronicle, 10/11/35 [11. Oktober
1935], S.11)
[JDC: Marshall und
Rosenberg sind gegen Auswanderung - es wäre eine
Konzession an Hitler - und die Wirtschaft in anderen
Ländern kann schlimmer als in Deutschland sein - und
andere Gruppe leiden mehr als die Juden]
Die hauptsächlichen Verfechter einer solchen Meinung an
den Versammlungen des JDC waren James Marshall und James
N. Rosenberg. Marshall dachte, dass eine Auswanderung
"eine Konzession an die Hitlersche Theorie sei, dass die
Juden herausmüssten." Auswanderung "half nur einigen
wenigen Leuten, wogegen der Hauptteil des Problems in
Deutschland selbst zu lösen ist."
(Endnote 23: Memorandum, Hyman an Paul Baerwald, 4/23/35
[23. April 1935], 14-46)
Im Licht der ökonomischen Schwierigkeiten, die sich in
anderen Ländern ergaben, so verschlimmerte das
Verteilungskomitee JDC dort nur noch die Lage, wenn man
Juden auch noch ermuntern würde, dort hin auszuwandern,
ohne die Situation in Deutschland substantiell
abgemildert zu haben.
Darüberhinaus gab es andere Gruppen in Deutschland, die
wirklich leiden mussten. Herr Marshall meinte, dass im
Versuch der Auswanderung die deutschen Juden sich selbst
von den anderen Gruppen ausschlossen, die ihnen auf
längere Zeit gesehen Hilfe geben konnten.
Dies waren
Angelegenheiten von fundamentaler Wichtigkeit, und es
war den Preis nicht wert, diese Sachen zu übergehen
und einfach ein paar 1000 Juden aus Deutschland
herauszubekommen;
[JDC-Stimmen gegen
die separatistische Philosophie des Zionismus -
JDC-Stimmen für die Auswanderung]
und es war auch nicht hilfreich, solch grosse Zahlen
von Juden in dieser Zeit nach Palästina zu bringen.
Rosenberg fügte hinzu, dass "er nicht gewillt sei, die
nationalistische, separatistische Philosophie des
Zionismus zu akzeptieren, denn er schätzte sein
amerikanisches Bürgerrecht viel mehr als das."
Zu Stimmen wie diese hatte Warburg die einfache
Antwort: "Die deutschen Juden wollen das Land
verlassen und müssen mit ihren Problemen an das JDC
gelangen. Die Geldgeber des JDC werden helfen, die
deutschen Juden umzuschulen und sie herauszubringen."
(Endnote 24: Executive Committee, 5/4/36 [4. Mai
1936])
Die generelle Linie des JDC zur Angelegenheit der
Auswanderung war, dass so viel Auswanderung
organisiert werden sollte, wie es für Einwanderer
Plätze gab.
(Endnote 25:
-- J.C. Hyman in seinem Jahresbericht von 1934; und
-- Executive Committee, 10/9/35 [9. Oktober 1935],
Rede von Hyman)
[Der Joint
sieht: Der NS-Antisemitismus ist ein System, nicht
eine vorübergehende Erscheinung]
Warburg, Baerwald, Hyman und die Mehrheit der
Laienführer akzeptierten die Ansicht Kahns, dass der
deutsche Antisemitismus keine "vorübergehende
gewaltsame Aktion (S.116)
innerhalb einer revolutionären Bewegung war, oder eine
vorübergehende gesetzmässige Diskriminierung, die
vielleicht wieder abgeschafft werden würde, oder die
sich vielleicht wieder legen würde."
(Endnote 26: Executive Committee, 1/4/34 [4. Januar
1934], Rede von Dr. Kahn)
Der Antisemitismus war die fundamentale Basis des
neuen deutschen Staates. Es gab für deutsche Juden
keinen Platz mehr. Die deutsche Politik wollte die
Juden loswerden. Wann dies erreicht sein würde, war
schwierig vorherzusagen. Es konnte eine Generation
oder länger dauern, wenn das jetzige Regime nicht
lange an der Macht sein würde, oder es konnte auch
früher so weit sein.
[1934: Der Joint ohne
Strategie zwischen der Hilfe für Auswanderung und
der Hilfe in Deutschland]
Es gab keinen Widerspruch zwischen dem und der Ansicht
des JDC, dass "bis zu Hunderttausende hier bleiben
müssen, und wir ihnen unsere freundliche Hilfe geben
müssen", wie es Rosen sagte. Er fügte hinzu, ein
deutsch-jüdischer Flüchtling in Paris zu sein, sei
eine sehr tragische Sache, an einem Platz, er genau so
unerwünscht war wie in seiner deutschen Heimat, und wo
es nicht erlaubt war, seinen Lebensunterhalt zu
verdienen. Unter diesen Umständen war es manchmal
sogar besser, in Deutschland zu bleiben und dort etwas
für sein Seelenheil zu tun.
(Endnote 27: J.A. Rosen beim Direktorium, 6/13/34 [13.
Juni 1934])
[Rosen sieht dass
Problem bei der Anzahl Visas]
Rosens Meinung basierte auf einigen schlimmen
Tatsachen: Denn es war schwierig, Einreisevisas für
die verschiedenen Länder zu beschaffen, und nicht mehr
als 15-20.000 Juden konnten jährlich auf die Ausreise
aus Deutschland hoffen, und über die Hälfte der Juden
würde dort bleiben müssen, mindestens für noch 10
Jahre, egal, unter welchen Umständen.
(Endnote 28:
-- Zusammenfassung der Aktivitäten des JDC seit 1933
("Summary of Activities of JDC since 1933") (11/25/35
[25. November 1935]), Flugblatt. Auch:
-- Jonah B. Wise: Bericht über die Situation der
Juden in Deutschland ("Report on the Situation of Jews
in Germany"); Februar 1934, Flugblatt, wo er sagt:
"Die halbe Million, die noch in Deutschland ist,
realisiert, dass für die grossen Masse von ihnen ihr
Schicksal und ihre Zukunft in Deutschland liegt."
(original:
"The half million Jews still in Germany realize that
for the great mass of them, their fate and future lie
within Germany.")
[Frühjahr 1934: These
von Wise: Keine Zukunft in Deutschland - nicht alle
können auswandern]
Die Konsequenzen bei diesem Standpunkt des JDC waren
manchmal eher ein Durcheinander. Jonah B. Wise
postulierte im Frühjahr 1934
(Endnote 29: Executive Committee, 1/4/34 [4. Januar
1934])
dass
(a) es keine ordentliche Zukunft für Juden in
Deutschland gab
(b) einige werden bleiben müssen und sich hier
anpassen müssen; und
(c) Deutschland ein Zentrum der jüdischen und der
Weltkultur gewesen war und auch weiterhin sein werde.
Palästina und generelle Auswanderung seien nicht die
einzigen Antworten.
[1934-1935: Die neuen
Gesetze gegen Juden machen klar: Die Strategie muss
die Auswanderung sein]
Aber langsam und unerbittlich wurde es klar, dass alle
anderen Aspekte der deutschen Arbeit, während sie für
sich selbst doch nötig und wichtig waren, immer mehr
zweitrangig wurden gegenüber der Notwendigkeit, so
viele Juden wie möglich aus Hitlers Zugriff zu
entziehen. Dies war 1934 noch nicht allen klar, als
viele eine gewisse Stabilisierung der Haltung des
Nazi-Regimes gegenüber den Juden sahen; aber mit dem
Jahr 1935 und speziell nach der Verkündigung der
Nürnberger Gesetze in diesem Jahr wurde die Situation
deutlich.
[Mai 1935:
Kreutzberger verkündet den Exodus der jungen
jüdischen Generation aus Deutschland]
Im Mai 1935 erklärte Max Kreutzberger, der Sekretär
des ZA (S.117)
vor den Mitgliedern des JDC Exekutivkomitees, dass die
Zeit der verschiedenen Ansichten über das
Hitler-Regime nun vorüber sei, denn nun würden die
Bedingungen in allen Bereichen des deutschen Judentums
als hoffnungslos angesehen. Die junge Generation müsse
auf einen Exodus vorbereitet werden, und der einzige
Kurs für jene, die bleiben würden, sei, hier ihren
Lebensabend in Frieden zu vollbringen.
(Endnote 30: Executive Committee, 5/22/35 [22. Mai
1935])
[Bis 1935: Das JDC
will den Kampf der Juden für die Gleichberechtigung,
so wie die Juden in den "USA" gleiche Rechte haben]
Die Führer des JDC hatten immer einen klaren
Standpunkt gegen ein Programm wie dieses. Sie hatten
eine Massenauswanderung aus Ländern mit grassierendem
Antisemitismus immer bekämpft. Ihr Argument war, dass
jede solche Auswanderung eine Unterwerfung unter einen
Antiliberalismus darstellte, und dass Juden kämpfen
sollten und danach trachten sollten, gleiche Rechte zu
bekommen und gleiche Bürger ihrer Aufnahmeländer zu
werden, so wie sie dieselben Rechte in Amerika hatten.
[Aber Juden dieser Zeit sind in den "USA" auch in
vielen Aspekten des Privatrechts nicht
gleichberechtigt, die Aufnahme in Clubs ist verboten
etc.
In: Encyclopaedia Judaica: United States]
[1937: Hyman vom JDC
behauptet, der Antisemitismus sei nur vorübergehend]
Diese theoretische Position wurde tapfer bis ins Jahr
1937 durch Joseph C. Hyman verteidigt, als er in einem
Brief an Prof. Oscar I. Janowsky sagte, dass
Antisemitismus nur ein vorübergehender Rückschlag zur
Demokratie und zum Liberalismus sei. "Wir glauben
noch, dass ein Weg gefunden werden kann, die Juden in
ihre Umgebung zu integrieren, und dies unter einem
liberalen und toleranten Gesellschaftssystem. ... Ich
bin nicht so sicher, dass es unmöglich ist, in diesem
Tal der Tränen auf den starken guten Willen zwischen
den Juden und ihren Nachbarn zu zählen."
(Endnote 31: J.C. Hyman an Oscar Janowsky, 11/24/37
[24. November 1937], R13)