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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939


[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 4. Flüchtlinge: 1933-1938
[4.8. Die erste Auswanderungswelle - keine Hilfe und die Gründe - deutsche Juden verarmen in Frankreich - und kehren z.T. nach Deutschland zurück]

[1934: Französische Juden wollen die deutsch-jüdischen Flüchtlinge loswerden wegen der Wirtschaftskrise - und die "USA" helfen auch nicht]

Die Haltung des französischen Judentums gegenüber den deutsch-jüdischen Flüchtlingen provozierte in Kahns Briefen an das Verteilungskomitee JDC in New York einen einzigen Schwall von konstanter und sich wiederholender, bitterer Kritik. Das französische Judentum neigte dazu, das amerikanische Judentum wegen ungenügender Hilfe zu kritisieren - dies (S.150)

war im Jahr 1934, während des Höhepunktes der Wirtschaftskrise in den USA. Die Lösung, die von den französischen Juden vertreten wurde, war, die deutschen Juden so schnell wie möglich zur Auswanderung zu bewegen. Sie wiederholten sogar diese Anträge in offiziellen Gremien, wo sie ihre Vertretungen hatten, wie im Beirat der McDonalds-Kommission, und Kahn dachte, er müsste mit einer negativen Reaktion der amerikanischen Juden drohen, wenn bekannt würde, dass die französischen Juden die Flüchtlinge loswerden wollten.

(Endnote 39: Dr. Kahns Akten, Ordner Hilfsverein, 1932-1935, Kahn an Hyman, 5/11/34 [11. Mai 1934])

[1933-1934: Frankreich: Das Nationale Jüdische Komitee löst sich 1934 auf - die Auflösungskommission übernimmt die Unterstützung für die verarmten jüdischen Flüchtlinge in Frankreich]

Das Nationale Komitee, das 1933 gegründet worden war, löste sich im Juni 1934 auf. Eine Auflösungskommission, die die Aufgabe übernehmen sollte, notleidende Flüchtlinge zu versorgen, verweigerte einigen Gruppen von Einwanderern die Hilfe. Darunter waren auch Personen, die im Voraus keinen Antrag auf Hilfe gestellt hatten, sondern die nun ihre Vorräte aufgebraucht hatten und ohne Hilfe nicht mehr weiterleben konnten. Sie hatten alle ihre Sachen verkauft, auch ihre Kleider. Die Leute mussten ja Geld haben, um ihre Hotelrechnungen zu bezahlen. Viele waren nun mit der "Alternative Stehlen oder Betteln" konfrontiert. "Diebstähle, und was noch häufiger ist, Fälle von Mundraub"

(Endnote 40: Gen. & Emerg. Germany, Flüchtlinge 1934/5, Bericht der Deutschen Kommission (übersetzt), unterschrieben von Prof. Georg Bernhard, Dr. Sammy Gronemann, und Dr. Oscar Cohn, unter anderem).

wurden gemeldet. Wohlhabenden deutsch-jüdische Flüchtlingen gelang es, im Frühjahr 200.000 Francs zu sammeln, aber dies war nicht genug. Ein ähnliches Unternehmen in Britannien musste gestoppt werden, als der CBF [Central British Fund for German Jewry] verlangte, dass alles Geld nur über seine Organisation abgewickelt würde. Die Einrichtungen in Paris waren schlecht: Das einzige Obdach in Paris war überfüllt und mit Ungeziefer verwanzt.

[1934-1935: Frankreich: Wenig Landwirtschaftsausbildung für jüdische Flüchtlinge durch Agriculture et Artisanat]

Gruppen, die Flüchtlinge für eine Auswanderung ausbildete wie Agriculture et Artisanat, konnten nur mittelmässige Erfolge vorweisen: Bis 1935 hatte die Gruppe 350 Leute ausgebildet, von denen 200 Frankreich verlassen hatten. Das HICEM half im Jahr 1934 2343 Leuten bei der Auswanderung.

(Endnote 41: R22, 1934 Berichtsentwurf)

[Kahn schlussfolgert: Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit macht jüdische Flüchtlinge zum Feind]

Es schien nur kleine Möglichkeiten zu geben, das Problem mit den Mitteln zu lösen, die den jüdischen Organisationen zur Verfügung standen. Kahn fasste es so zusammen, indem er sagte, dass die Wirtschaftskrise und die vielen Arbeitslosen in den Grossstädten, wo die Flüchtlinge zu siedeln versuchten, "die Humanität in jene primitiven Tage der menschlichen Geschichte zurückgeworfen haben, als jeder Fremde, der ein fremdes Land betrat, als Feind betrachtet wurde, den es zu zerstören galt."

(Endnote 42: R16, Kahn Bericht, 1/3/35 [3. Januar 1935])

[1934: Frankreich: Direkte Hilfe für Flüchtlinge durch den Joint - französische Juden blockieren das Siedeln deutscher Juden]

Es gab wirklich keine Nachfolgeorganisation für das Nationale Komitee, und das Verteilungskomitee JDC hatte einfach nicht die Mittel, die Flüchtlinge zu ernähren und einzukleiden. (S.151)

Es gab im Jahr 1934 ungefähr 10-12.000 jüdische Flüchtlinge in Frankreich, von denen vielleicht nicht mehr als 3500 absolut von Hilfe abhängig waren. Dazu musste das JDC sofort 170.000 $ für Flüchtlinge in Frankreich ausgeben, weil keine Unterstützung an Ort vorhanden war. Das JDC versuchte, durch direkte Interventionen beim französischen Premier Flandin, Arbeitserlaubnisse zu beschaffen. "Die französischen Juden machten alles nur Erdenkliche, um die Bemühungen für eine konstruktive Arbeit hier zu durchkreuzen. ... Es wäre uns möglich gewesen, mehrere hundert Familien auf dem Land in Frankreich anzusiedeln, und es wäre den Juden hier gut bekommen. Wir können dies immer noch tun, aber wir sind hier bereits auf eine unüberwindbare Opposition gestossen. Der Grund ist, dass die französischen Juden Angst vor Antisemitismus haben."

(Endnote 43: Executive Committee, 1/7/35 [7. Januar 1935]; vgl. auch 1/4/34 [4. Januar 1934])

[1934: Politische Morde in Frankreich verbreiten die Angst vor Antisemitismus - jüdische Flüchtlinge werden nicht aufgenommen]

Die Wahrheit in der ganzen Geschichte war, dass das französische Judentum sich vor dem Anwachsen der französischen, faschistischen Bewegungen fürchtete, die im Februar 1934 in Paris schwere Unruhen verursachten. Nach der Ermordung des Königs von Jugoslawien, König Alexander, und des französischen Aussenminister, Louis Barthou, am 9. Oktober 1934, erklärte das Oberhaupt des französisch-jüdischen Presbyteriums, die höchste religiöse Einrichtung des französischen Judentums, dass nichts getan werden sollte, um die Flüchtlinge für immer in Paris leben zu lassen.

(Endnote 44: Siehe Endnote 39 oben; Brief von Kahn, 10/26/34 [26. Oktober 1934])

[Deutsch-jüdische Flüchtlinge kehren ins Dritte Reich zurück und landen in Konzentrationslagern]

Das Verteilungskomitee JDC konnte ausser Hilfe zu leisten kaum etwas anderes tun. Die wenigen Mittel wurden so effektiv wie möglich eingesetzt. Es wurde so vielen Flüchtlingen wie möglich zur Auswanderung aus Frankreich verholfen. Während des Jahres 1934 hatten viele Flüchtlinge keine andere Wahl, als nach Deutschland zurückzukehren. 1200 bis 1500 machten dies von Holland aus, und die doppelte Anzahl machte dies von Frankreich aus.

Im Jahr 1935 hörten die Flüchtlingskomitees mit dieser Praxis auf, weil sie vernahmen, dass die Deutschen die jüdischen Rückkehrer ab Ende Januar [1935] in Konzentrationslager verschickten.

Ein Bulletin des JDC zitierte ein deutsches Regierungsrundschreiben, das besagte, dass "diese Repatriierten in Konzentrationslager gebracht werden sollten, um dort die nationalsozialistischen Grundsätze zu erlernen, die sie während ihres Aufenthaltes im Ausland nicht hatten erlernen können."

(Endnote 45: R16, JDC monatliches Bulletin, Nrn. 1 & 2, 3/6/35 [6. März 1935]; ebenda., Nrn. 3 & 4, 6/3/35 [3. Juni 1935])

[1935: Frankreich: Keine Hilfe für deutsch-jüdische Flüchtlinge - Deportationsbefehle - einige Juden deportiert - versteckte Juden]

Im Jahr 1935 verschlimmerte sich die Situation. Die Hilfe für deutsch-jüdische Flüchtlinge kam faktisch zum Erliegen. Die Anstrengungen des Verteilungskomitees JDC, das französische Judentum dazu zu bringen, eine neue Kampagne für Hilfsgelder zu starten, hatte keinen Erfolg. Die französische Regierung gab tausende Deportationsbefehle heraus, (S.152)

aber nur wenige wurden auch gegen die Juden durchgeführt. Im Frühjahr des Jahres [1935] hielten sich nicht mehr als 9000 Flüchtlinge in Frankreich auf, von denen sich schätzungsweise ungefähr 2000 vor der Deportation versteckt hielten.

(Endnote 46: R14, Kahns Bericht für das Jahr 1935, Jan. 1936)

[1936: Frankreich: Alle örtlichen französisch-jüdischen Komitees lösen sich auf - der Joint bleibt allein mit der Hilfe für die jüdischen Flüchtlinge in Frankreich]

Bis Ende 1935 und Frühjahr 1936 begannen die Flüchtlingshilfekomitees, die 1933/1934 wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, wieder zu verschwinden. Agriculture et Artisanat löste sich 1936 auf;

(Endnote 47: In Paris hatte es ein Komitee gegeben, dass als Assistance Médicale aux Enfants bekannt war, under einer Ärztin, die aus Deutschland geflüchtet war, mit der Hilfe ihres Liebhabers, ein anderer deutscher Flüchtling. Sie gebrauchte den Namen der Baronin von Rothschild, um ohne Schwierigkeiten Spendengelder auftreiben zu können, ohne die Baronin zu informieren. Sie betreute dabei ungefähr 1200 Kinder und Kleinkinder (R16, Mai 1935, Bericht). Sie erhielt auch einige Gelder des JDC. Eines Tages tauchte die Frau des Liebhabers auf und fand das Paar bei der Assistance Médicale. Das Liebespaar flüchtete durch das Fenster, die Frau beging Selbstmord, die Baronin entdeckte, dass zwei Jahre lang das Oberhaupt einer recht gut laufenden Institution gewesen war, und die Assistance Médicale löste sich auf. Was mit den Kindern geschehen ist, die ihre Hilfe erhalten hatten, ist nicht aufgezeichnet (R15, Kahn an Morrison, 3/1/36 [1. März 1936]. Ähnlich erging es einer Organisation, die sich Renouveau nannte, die vorgab, junge Leute unter Einfluss des religiösen Zionismus beruflich auszubilden. Auch dies kam zu einem unehrenhaften Ende (28-9).

andere folgten sogleich. Mit dem Beginn der Volksfront-Regierung des linken Flügels im Jahr 1936 neigten die Rothschilds und ihre Unterstützer, sich von der öffentlichen Bühne zu verabschieden. Kahn, der normalerweise in seinen Meinungen konservativ war, fühlte sich zur Äusserung veranlasst, dass neben dem JDC "niemand sich um die deutschen Flüchtlinge in Frankreich kümmerte, weder die ICA [Jewish Colonization Association], noch die jüdische Gemeinde, noch die Briten (Juden), noch irgendeine andere Organisation."

(Endnote 48: Dr. Kahns Akten, Ordner Hilfsverein, 1936-1939, Kahn an Baerwald, 6/18/36 [18. Juni 1936])







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