[4.19. Danzig:
Frieden bis 1937 - Ausschreitungen 1937 und
Auswanderung]
[1933 und 1934:
Verkündigung, dass keine Nazi-Gesetzgebung eingeführt
wird]
In Danzig erwuchs ein spezielles Problem. Danzig war eine
freie Stadt unter der Obhut des Völkerbunds. Danzigs
Bevölkerung war beinahe vollständig deutsch und wurde mehr
und mehr von der Nazi-Ideologie beeinflusst. Der örtliche
Nazi-Führer, Artur Greiser, hatte im August 1933 erklärt,
dass in der Stadt keine "arische" Gesetzgebung eingeführt
würde. Eine weitere Erklärung vom 2. Juli 1934 besagte,
dass die Verfassung der Stadt "es möglich werden lässt,
dass rechtliche Einschränkungen für Einwohner gemäss ihrer
Rasse oder Glaubensbekenntnis möglich sind."
(Endnote 97: 12-14, Bericht von Neville Laski, 10/15/34
[15. Oktober 1934])
[Die Situation
verschlimmert sich]
Trotz der feinen Worte - die wahrscheinlich nicht nur ein
taktischer Zug der Nazis, sondern auch die Meinung einer
moderateren Politik des Nazi-Führers in Danzig war,
(S.177)
so war es unter Hermann Rauschning (der später die Seite
wechselte und sich gegen den Nazismus wendete) - so, dass
die aktuelle Situation sich schrittweise immer mehr
verschlimmerte. Die Angriffe in den Zeitungen entfachten
einen Boykott, und jüdische Anwälte und Ärzte mussten bald
mitansehen, wei ihre Berufe durch eine inoffizielle, aber
effektive Reihe von Aktionen gefährdet waren.
[3000 gebürtige Juden,
und 5000 polnische Juden in Danzig]
Es gab etwa 3000 gebürtige Juden in Danzig. Dazu kamen
ungefähr 5000 polnische Juden, die sich durch die dortigen
vorteilhaften ökonomischen Bedingungen fühlten und deshalb
in die Stadt gekommen waren.
[Die 1/4-, 1/2- und 3/4-Juden sind nicht erwähnt].
[Ausschreitungen am 21.
und 23. Oktober 1937]
Im Spätjahr 1937, als in Deutschland relativ wenig offene
antijüdische Aktivität herrschte, brach das Desaster über
die Gemeinde in Danzig herein. Den beiden Tagen mit
gewalttätigen Ausschreitungen (21. und 23. Oktober)
folgten Arreste von Juden und Beschlagnahmung des Besitzes
von bekannten jüdischen Händlern. Vor diesen Ereignissen
hatte das JDC die Danzige rJuden nicht unterstützt, ausser
einmal 1000 $ für die Gründung einer Freien Kreditkasse.
[Das Vereinigte
Verteilungskomitee in Danzig - Isaac Giterman -
Diskussion, ob die Juden gehen sollen oder nicht]
Nun sandte das Verteilungskomitee den Obersten des
Warschauer Büros, Isaac Giterman, um die Vorfälle zu
untersuchen und Empfehlungen zu schicken, was weiter
unternommen werden sollte. Giterman berichtete, dass die
Situation ein Desaster war, und dass die Auswanderung aus
Danzig dieselbe Wichtigkeit haben sollte wie die
Auswanderung aus Deutschland.
(Endnote 98: ebenda. [12-14, Bericht von Neville Laski,
11/4/37 [4. November 1937])
Geld wurde für die Unterstützung von Hilfsfällen gesandt,
aber das Problem war nun, die grössere Angelegenheit zu
regeln. Es war klar, dass ein bedeutender Teil der neueren
polnischen Einwanderer die Stadt verlassen musste und ins
Elend der jüdischen Existenz nach Polen zurückkehren
musste. Kahn war geradezu zögerlich, Danzig zu
unterstützen, aus Angst, dass andere Regierungen daraus
die Schlussfolgerung ziehen würden, dass jüdische
Organisationen immer die Juden retten würden, wenn diese
von Vertreibung bedroht waren.
(Endnote 99:
-- ebenda ., [12-14, Bericht von Neville Laski, 11/4/37
[4. November 1937];
-- Kahn an einem Treffen in Paris, 12/12/37 [12. Dezember
1937]: "Man darf nicht zeigen, und dies besonders in
Danzig wegen dessen internationaler Lage, dass, sobald die
Juden durch die Regierung bedrückt werden, gleich jüdische
Organisationen zur Stelle sind, die mithelfen, dass die
Juden den Platz räumen.")
Am Ende wurde eine kleine Summe (12.500 $) als angemessen
betrachtet, den polnischen Juden aus Danzig bei ihrer
Rückkehr zu helfen, unter der Bedingung, dass die
Empfänger damit ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten.
Es gasb keine Hilfe und keine Unterstützung für eine
breite Auswanderung.
Gitermans Meinung war anders: Er meinte, dass die
Situation in Danzig parallel der Situation in Deutschland
entsprach; er fühlte, dass man nicht um die
Schlussfolgerung herumkam, dass die Juden Danzig verlassen
müssten. Ende November 1937 sandte Giterman an Kahn einen
weiteren Bericht, in dem er seinen vorigen Meinungen
wiederholte. Ausserdem fügte er hinzu, dass jüdisches
(S.178)
Kapital in der Stadt nicht mehr transferierbar sei, weil
den Juden verboten wurde, ihren Besitz zu verkaufen, und
deshalb müssten sie unterstützt werden.
[Jüdische Auswanderung
aus Danzig 1937 und 1938]
Trotz dem Widerwillen des Verteilungskomitees sahen
jüdische Organisationen in Danzig keine andere Alernative,
als so vielen Juden wie möglich bei der Auswanderung
behilflich zu sein. Zwischen Oktober 1937 und Ende 1938
verliessen 4900 Juden Danzig; 3300 kehrten nach Polen
zurück, und der Rest ging ins Ausland. Dies waren die
offiziellen Zahlen. Aber Giterman dachte, dass in Tat und
Wahrheit weniger Leute ausgewandert waren und immer noch
5500 Juden in Danzig geblieben waren.
[Giterman für die
Auswanderung nach Palästina - illegale Auswanderung nach
Palästina]
Giterman setzte sich für einen gut organisierten
Auswanderungsplan ein, obwohl die Danziger Gemeinde unter
dem Einfluss der Zionisten-Revisionisten (deren Führer, so
meinte Giterman, wären eher im Dienste der Gestapo)
versuchte, die Mittel für eine massenweise illegale
Auswanderung nach Palästina aufzutreiben.
(Endnote 100:
-- ebenda. [welche?];
-- Bericht von Giterman 12/30/38 [30. Dezember 1938]:
"Eine jüdische Gemeinde hat das gefährliche Abenteuer
begonnen, seine eigenen Mitglieder aus Danzig zu
deportieren."
(orig.:
"A Jewish community has started the dangerous adventure of
deporting their own members from Danzig.")
Giterman warnte das JDC "für dieses Abenteuer ja keine
Verantwortung zu übernehmen."
(orig.:
"not to assume any responsibility for this adventure.")
Der Text dieses Dokuments ist eine englische Übersetzung
des Originals, das unauffindbar ist).
Das Verteilungskomitee - so warnte Giterman - sollte
diesen Plänen keine Unterstützung geben. Am Ende waren
natürlich diejenigen Leute, die auf illegalen Schiffen
Palästina erreichten, vor dem gerettet, was in ihrer
Heimatstadt noch folgen sollte.
(Endnote 101: Eliahu Sterns Ph.D. These an der Hebräischen
Universität, über die Danziger Gemeinde, hat diese Punkte
schon seit langem geklärt).
Das JDC andererseits erhöhte die Unterstützung für Danzig.
Es gab dort im Jahr 1938 24.885 $ aus, und im Jahr 1939
54.000 $.